Friedrich Kuntze Wilhelm Dilthey | |||
[mit NS-Vergangenheit] Die Existenz der Wissenschaft und ihre Objektivität [2/2]
Wir können an dieser Stelle nun von der historischen Betrachtung der Wissenschaft und ihres Selbstverständnisses zurückzukehren zu unserer grundsätzlichen Frage! Zur Frage also nach dem tatsächlichen echten Sinn der Wissenschaft überhaupt! Unser historischer Rückblick lehrt uns hierüber zunächst nämlich folgendes: Offenbar ist das moderne Selbstverständnis der objektiven Wissenschaft und ihres Wissens als eines Wissens rein um seiner selbst willen zwar einerseits nicht eigentlich falsch; aber es ist andererseits doch ebenso offenbar ein unzulängliches Verständnis! Diese moderne Wissenschaft übersieht in ihrer Selbstauslegung das, was die antike Wissenschaft von sich sehr genau wußte: daß sie selbst tatsächlich eine Weise des Daseins und seines zeitlichen Vollzugs ist! Und daß, wenn sie in ihrem Bestehen gerechtfertigt werden soll, daß sie dann eben auch als solche Weise des Daseinsvollzugs gerechtfertigt werden muß! Aber zugleich sehen wir hier nun noch ein Zweites. Und dazu muß ich bitten, sich in die Erinnerung zurückzurufen, was zu Beginn gesagt wurde über die Einstellung der heutigen Jugend und der Kriegsjugend zur Wissenschaft! Wir sehen hier nämlich folgendes: Wenn dieser Sinn des Vollzugs der reinen Wissenschaft etwa (entsprechend dem griechischen Wissenschaftsverständnis) das Dasein im Sammeln von Wissen oder in der anschauenden Betrachtung und in der Freude an diesem Sammeln und im Ordnen dieser Schau sein soll; ein Dasein also in einer Tätigkeit, die losgelöst ist von allen drängenden Fragen, die das Leben uns vor und außerhalb dieser Tätigkeit stellt, dann verzichten wir Jungen auf eine solche Wissenschaft! Dann ist eine solche Wissenschaft im Grunde und gemessen am Ernst der drängenden Fragen des Lebens, ein Spiel des Menschen! Ein Spiel, das bald gut, bald schlecht betrieben wird; das dementsprechend bald unterhaltsam und spannend ist wie eine Denksportaufgabe; das aber leicht auch trocken und langweilig wird und sich dann schließlich nur noch für Sonderlinge eignet! Aber wie dieses Spiel auch sei; ob interessant oder langweilig, ob etwas für geistig Normale oder nur für sonderbare Käuze: ein Spiel ist eine solche Wissenschaft, mit dem das Dasein zu verbringen wir nicht verantworten können, wenn wir sehen, wie unser Volk um seine Existenz kämpft! Ein Spiel ist sie dann, dem sich hinzugeben ein sträflicher Luxus und Leichtsinn einer dünnen Schicht des Volkes ist, die sich nicht darum kümmert wie die Massen in Not sind und das dringendste entbehren. Ein Spiel ist eine solche Wissenschaft auch, wenn wir sehen, wie nicht nur unsere völkische Existenz ungelöste praktische Aufgaben zahllos vor uns stellt; sondern wenn wir auch sehen, wie unser völkisches und unser individuelles Leben uns vor Entscheidungen und ungelöste Fragen stellen, deren Lösung gerade Aufgabe einer ernsthaften Wissenschaft wäre! - Ich will nun hier kein Urteil darüber fällen, wie weit der Betrieb der heutigen Wissenschaft tatsächlich in einer Loslösung vom Leben und von den Fragen des Lebens vollzogen wird, die ihn zu einem solchen Spiel macht! Daß unsere Wissenschaft diesen Charakter tatsächlich auf weiteste Strecken hin nicht hat, ist zweifellos! Sondern es ist ganz sicher, daß da und dort, an vielen Stellen, und immer wieder, Gelehrte und Dozenten da sind, daß da und dort, an vielen Stellen, und immer wieder, Gelehrte und Dozenten da sind, daß Vorlesungen gehalten werden, daß Bücher geschrieben werden, die lebendig sind und dem Leben dienen! Aber das Eigenartige ist: Eine zureichende Idee von dieser lebendigen Wissenschaft fehlt uns! Ja, nach der Idee, die wir von unserer Wissenschaft haben, ist es nur zu begreiflich, wenn da und dort auch das Leben in ihr abgestorben ist! Und doch brauchen wir eine Idee, die uns den positiven Sinn unserer Wissenschaft zeigt, gerade heute dringender als je! Dies nicht nur, weil die jüngste politische Entwicklung dazu Anlaß gibt. Nein, schon an der Universität der letzten dreißig Jahre zeigte sich mehr und mehr als Schwäche, daß sie innerlich keine Einheit besaß, da sie mehr und mehr in sich abkapselnde Fächer auseinanderfiel, da sich besonders zwischen den Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften eine immer größer werdende Kluft auftat. Mit dieser Kluft zeigte sich aber nichts anderes, als daß eben tatsächlich die Wissenschaft nicht alle von einer einheitlichen Idee beherrscht waren! Sondern neben der rein "objektiven", vermeintlich nur dem reinen Wissen dienenden Naturwissenschaft standen die doch offenbar irgendwie anders gerichteten Geisteswissenschaften. Was aber so bisher schon seit Jahrzehnten als Krise der Universität immer deutlicher fühlbar wurde, das ist heute zur unmittelbaren Existenzfrage für sie geworden! Wir stehen heute in einer Bewegung, die von tiefstem und stärkstem Willen beseelt ist, unser völkisches Dasein von Grund auf zu erneuern. Was morsch und tot ist, wird hinausgeräumt werden, um dem Leben Platz zu machen! Nur was lebendig ist und Lebenskraft hat, soll und wird bestehen bleiben. Damit ist eine Schicksalsstunde für die Universität gekommen! Aber diese Schicksalsstunde trifft sie denkbar ungerüstet! Aber diese Schicksalsstunde trifft sie denkbar ungerüstet! Sie soll ihr Leben, ihre Existenz verteidigen; - und sie, deren Lebenselement das Wissen ist, sie weiß gerade ihren eigenen Sinn nicht zu sagen! Das Wissen, das sie brauchte, um sich selbst zu verteidigen, das hat sie nicht! So ist die Existenz der Universität heute bedroht (7), weil sie den Sinn dieser ihrer Existenz nicht weiß und ihn daher nicht verteidigen kann! Und doch ist dieser Sinn ihrer Existenz irgendwie, zwar nur gefühlt und dunkel bewußt, aber nichtsdestoweniger deutlich merkbar da! Nicht nur für die Angehörigen der Universität selbst, sondern auch für die Draußenstehenden. Und deshalb kann und darf diese ihre Existenz doch auch nicht zugrunde gehen! Aber es ist höchste Zeit geworden, daß die Universität das Wort findet, auf das im Grunde alle warten. Wissen wir doch, daß die nationalsozialistische Bewegung, wenn sie aufräumen will, dies doch nur will um des Lebens willen! Daß sie gewillt ist, alles Lebendige und Lebensechte nicht nur bestehen zu lassen, sondern auch zu pflegen! Und daß namentlich die Führung dieser Bewegung mit ihrem Erneuerungswillen auch tiefst und ernsthafteste Besinnung und Besonnenheit verbindet! Um aber das Lebendige vom Toten zu trennen, dazu genügen Gefühl und Instinkt allein - namentlich, wenn es sich um die Wissenschaft handelt - nicht! Sondern dazu bedarf es über Instinkt und Gefühl hinaus des neuen Entwurfs einer Idee! Eine solche Idee allein kann uns Klarheit gewinnen lassen, kann uns ein scharfes Richtmaß geben, damit wir reinlich scheiden können zwischen Totem und Lebendigem in dem angesammelten Stoff der Wissenschaft und im Betrieb seiner Bearbeitung und seiner Weitergabe. Aber nicht nur innerhalb der Wissenschaft zu scheiden zwischen Totem und Lebendigem ist heute die Aufgabe einer solchen Idee! So wie die Lage heute ist, muß sie noch mehr als dies: Sie muß uns zeigen, daß die Wissenschaft überhaupt etwas Lebendiges ist und sein kann! Diese Idee muß das Ziel und den Sinn der Wissenschaft in sich selbst aufleuchten lassen, als sein Ziel und einen Sinn, um den es sich lohnt zu leben und das Leben einzusetzen! Zu leben und das Leben einzusetzen auch heute und gerade auch heute, wo uns scheinbar Dringenderes bedrängt als die Wissenschaft! Wenn uns dies gelingt; wenn wir in solcher Weise die Wissenschaft sehen lernen, dann werden wir nicht nur eine Waffe haben zu ihrer Verteidigung gegen die Bedrohungen von außen. Sondern dann gewinnen wir, die Vertreter und Jünger der Wissenschaft an der Universität, erst auch die wahre und tiefe Kraft, die notwendig ist zu ihrer eigenen Erneuerung! Und so erst werden wir dann zugleich auch Selbstsicherheit und Kampfkraft finden zu ihrer Verteidigung! Kampfkraft nicht nur zu Selbst behauptung; sondern zu der besseren Verteidigung des Angriffs und zum Sieg über die Kräfte, die ihre Existenz bedrohen von außen und von innen! - Wir suchen also nach einer zureichenden Idee der Wissenschaft! Mit der Einsicht in die Notwendigkeit, sie zu gewinnen, haben wir bisher zugleich schon zwei Anhaltspunkte für ihre Erlangung selbst gewonnen. Die antike Wissenschaft und ihre Selbstauslegung hat uns verstehen gelehrt, daß Wissenschaft eine Weise der Existenz ist. Unser, der heutigen Jugend, Verständnis unserer Existenz sagt uns, daß eine Existenz der aus dem Leben losgelösten Betrachtung für uns nicht in Frage kommt. Daß die Wissenschaft mit dem übrigen Leben verbunden sein muß; verbunden sein muß mit seiner Not; verbunden aber auch mit seiner möglichen Größe! Mit seiner Größe, die wir verwirklichen, die wir aber auch verfehlen können! Und für deren Verwirklichung oder Verfehlung uns dieses einzige und unwiederbringliche Leben und Dasein geschenkt ist, auf daß wir es einsetzen in einer Weise, die sich lohnt und die wir nie zu bereuen brauchen! Es hat nun in neuerer Zeit keineswegs an solchen ganz gefehlt, die irgendwie gespürt und gesehen haben, daß der Sinn des Wissens hier gesucht werden muß: in der Weise unserer Existenz, die wir im Wissen verwirklichen und gewinnen; und die diesen Sinn zugleich zu deuten versucht haben! Ich erinnere hier vor allem an die alten und neuen Bemühungen der Erzieher und der Vertreter der Erziehungs wissenschaft, die den bildenden Wert des Wissens und seiner Aneignung herauszuarbeiten suchten. Und wenn der tatsächliche Zustand unserer Wissenschaft auf weite Strecken wirklich über der Leerheit unserer allgemeinen Idee von ihr steht, wenn sie in diese Höhe aus allem Absinken immer wieder hinaufgehoben worden ist, so verdankt sie dies in hervorragendem Maß solchen Bemühungen. Allein, gemessen an der uns hier gestellten Frage und Aufgabe leiden doch diese Bemühungen alle an einem grundsätzlichen Mangel! Sie blieben nämlich stets mehr oder weniger bloße Fach angelegenheiten eben der Erziehung und der Erzieher! Diese suchten wohl die Wissenschaft und ihre einzelnen Zweige für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Aber man ging nicht dazu über, von hier aus nun die Frage nach dem Sinn der Wissenschaft überhaupt neu zu stellen und zu beantworten! Sondern der Bildung swert der Wissenschaft blieb etwas, was als ihr u. a. auch anhaftend festgestellt und gepflegt wurde! Und daneben blieb die Wissenschaft als solche auf die Idee des reinen Wissens als solchen und um seiner selbst willen angewiesen! Die Abkapselung der Gebiete und Fächer: hier Erziehung, da reine Wissenschaft, hat hier eine radikale Besinnung nicht zum Durchbruch kommen lassen. Nur in manchen Einzelfächern der Wissenschaft war es anders. So ist vor allem die klassische Altertumswissenschaft seit ihrem Erwachen in der Renaissance sich immer mehr oder weniger bewußt gewesen, daß ihr Sinn als Wissenschaft überhaupt irgendwie an ihrer Bedeutung für unsere menschliche Existenz hängt, die weder in einem reinen Wissen liegt noch in einem sogenannten praktischen Nutzen. In jüngster Zeit sind unter ähnlichen Gesichtspunkten sogar neue Wissenschaftszweige wie etwa Volkskunde und Deutschkunde erwachsen. Auch in der Geschichtswissenschaft hat die Idee des reinen Wissens kaum jemals längere Zeit unbestritten geherrscht. Die Selbstauslegung dieser Wissenschaft ist sehr starken Wandlungen unterlegen und die bewegten Kämpfe darum sind hier bis heute noch zu keiner Einigung gediehen. In der Richtung einer bewußt existenziellen Auslegung und einer Ablehnung des Wissens um seiner selbst willen ging hier besonders der Vorstoß, den NIETZSCHE unternommen hat in seiner Schrift "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". In der Theologie und in der Philosophie hat sich heute eine existenzielle Auffassung ihrer Aufgabe weitgehend durchgesetzt; ohne daß hier auf der anderen Seite der selbstgenügsame Betrieb einer von den Fragen des Lebens losgelösten und in diesem Sinn "objektiven" Wissenschaft völlig verschwunden wäre. Allein, wenn auch diese Bemühungen in einzelnen Wissenschaften weitgehend durchgedrungen sind: In anderen, besonders in den Naturwissenschaften, fehlen sie! Ja sie scheinen hier zum Teil sogar unmöglich zu sein, weil dem Wesen dieser Wissenschaften einfach widersprechend. So ist eine existenzielle Deutung der Wissenschaft im ganzen (soweit ich wenigstens zu sehen vermag) bisher nirgends gelungen. Gewisse Ansätze zu einem solchen Entwurf sind in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg zustandegekommen in einer öffentlichen Diskussion zwischen MAX WEBER und ERICH von KAHLER aus dem GEORGE-Kreis (7a). Aber diese Ansätze blieben unbefriedigend. In den letzten Jahren zeigte sich dann in der nationalen Bewegung ein starkes Drängen nach einem neuen Entwurf der Wissenschaft, der diese im Zusammenhang mit unserer Existenz vor allem als völkischer Existenz zu sehen sucht. Dieses Drängen hat in mancherlei Reden und Veröffentlichungen - ich nenne hier nur die Namen ALFRED BÄUMLER, MARTIN HEIDEGGER und ERNST KRIECK - einen Ausdruck gefunden, der wesentliche Gedanken zum Neuentwurf unserer Wissenschaft enthält. Allein hier hat fast überall die Forderung und der Begriff der politischen Wissenschaft es verhindert, daß die Frage nach dem Sinn und Wesen der Wissenschaft überhaupt zu ihrem vollen Recht kam. Auch wo diese Frage ausdrücklich ergriffen wurde - wie z. B. bei HEIDEGGER - ist es doch zu einem ausgeführten Entwurf einer Wissenschaftsidee nicht gekommen (8). Indessen, wesentlich Ansätze zu einem solchen Entwurf sind, wie wir gesehen haben, da! Sie sind da und stehen uns zur Verfügung von den Bemühungen der Antike an bis zu denen unserer letzten Tage! Was uns fehlt ist im Grunde nur die Durchführung und Zusammenschau dieser Ansätze zu einer Einheit! Allerdings ist auch diese Aufgabe keineswegs leicht. Denn die Züge, die hier zusammengesehen werden müssen, sind sehr mannigfaltig. Und es gilt ja keineswegs nur, sie so zusammenstellen, daß dabei kein wesentlicher vergessen bleibt; sondern unser Blick muß zugleich und vor allem auch ihre wesentliche innere Einheit zu fassen bekommen und sie alle in dieser Einheit und Ganzheit sehen! Und es muß dies so geschehen, daß dabei zugleich auch das Bekannte, aber allzu Selbstverständlichgewordene in unserem Verstehen der Wissenschaft nach Möglichkeit neu erweckt, zu einem erneuerten Verstehen verlebendigt und verwandelt wird! Wenn ich es nun hier wage, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen und Ihnen einen Entwurf einer existenziellen Deutung der Wissenschaft vorzulegen, so geschieht es im Bewußtsein, damit der geringen eigenen Kraft Schweres zuzumuten. Aber es geschieht zugleich in dem noch stärkeren Bedrängtsein von der Dringlichkeit der Aufgabe. Und es geschieht im Durchdrungensein davon, daß die vorhandenen Ansätze schon deutlich die Richtung weisen, in der die Deutung der Wissenschaft gesucht werden muß. Den Bemühungen derer, die diese Ansätze geschaffen haben, verdanke ich daher die Möglichkeit dieses Entwurfs, den ich hier vorlege. Ich möchte dabei den Namen MARTIN HEIDEGGERs besonders hervorheben, durch dessen Schule ich jahrelang gegangen bin; der mir überhaupt erst den Blick geöffnet hat für das was menschliche Existenz heißt; und der mich gelehrt hat, alles was in unserem Dasein vorkommt, im Rahmen dieser unserer Existenz und der aus ihr entspringenden Bedeutsamkeit zu sehen! Wir müssen zur Erfassung des existenziellen Sinnes der Wissenschaft vor allem ihren Ort, ihre Funktion innerhalb der Gesamtstruktur unseres Daseinsablaufs sehen. Das wird am ehesten erreicht, wenn wir uns über den gesamten in Frage stehenden Zusammenhang durch einige Thesen einen Überblick verschaffen. Und zwar sollen zunächst zwei Thesen die Darlegung des eigentlichen strukturellen Ortes der Wissenschaft vorbereiten. Vier weitere Thesen sollen dann diejenigen Strukturen darlegen, an denen der eigentliche existenzielle Sinn der Wissenschaft hängt. Anschließend sollen endlich Erläuterungen diesen Sinn noch näher verdeutlichen und das Entscheidende an ihm noch klarer hervorheben.
2. Die Welt des Daseins bestimmt dessen Sein und erhält zugleich ihren eigenen Inhalt dadurch, daß sich das Dasein auf die Welt gewissermaßen einläßt. Dieses Sicheinlassen des Daseins auf die Welt geschieht in zwei Grundformen: einerseits dadurch, daß das Dasein, von der Welt umfangen und sich an ihr Seiendes in Betrachtung hingebend, an dessen Verhalten lebendig Anteil hat; andererseits dadurch, daß diese Welt zugleich der Ort und Raum ist, in dem das Dasein handelt und wirkt und der ihm die Möglichkeiten seines Einsatzes im wirkenden Handeln vorgibt. 3. Der so im Sicheinlassen auf die Welt in Betrachtung und Einsatz dem Dasein zuwachsende Gehalt seiner Welt wird jedoch von diesem nur dadurch und insoweit voll angeeignet, als dieses Sicheinlassen auf die Welt in rhythmisch sich ablösendem Wechsel steht mit einer weiteren Grundverhaltensweise; nämlich damit, daß das Dasein sich besinnend von der Welt Abstand nimmt und Überblick gewinnt sowohl über das Seiende der Welt, wie auch über den eigenen Standort in ihr und das eigene Sein selbst. 4. Im Abstandnehmen und Überblickgewinnen über das Seiende erfährt das Dasein einen Widerstand dreifacher Art: erstens einen Widerstand des zu überblickenden Seienden und seines Seins, wenn dieses sich in undeutlichen oder gar in widersprechenden Gestaltungen darbietet; zweitens einen Widerstand seiner selbst, wenn eine Gestalt des Seienden den eigenen Wünschen des Daseins widerspricht und es dadurch angetrieben wird, sich gegen dieses Seiende zu verschließen; drittens einen Widerstand von anderen, die mit ihm da sind und mit denen es als inmitten desselben Seienden Existierenden sich über dieses Seiende (und sein Sein) zu verständigen veranlaßt wird. 5. Indem das Dasein vor diesem Widerstand nicht ausweicht, sondern ihn und sich selbst überwindet und so mit Mühe, Mut und Demut um den Anblick und Überblick über die wahre Gestalt des Seienden ringt, geschieht zugleich eine Bewegung und Wandlung seiner selbst. Diese Bewegung und Wandlung vollzieht sich zwischen folgenden Gegensätzen: einerseits innere Enge, d. h. Verschlossenheit, Armut, Dürftigkeit, Beschränktheit, Oberflächlichkeit des Daseins und seiner Welt; andererseits innere Weite, d. h. Offenheit, Reichtum, Fülle, Überblick, Tiefe des Daseins und seiner Welt. 6. Diese innere Ausweitung, Bereicherung und Vertiefung des Daseins und seiner Welt, die sich ergibt, wenn es aus dem Sicheinlassen auf die Welt in Betrachtung und Einsatz sich zurückzieht und in der Besinnung die Gewinnung des Anblicks und Überblicks über das Seiende gegen alle Hindernisse durchsetzt: diese innere Ausweitung ist der existenzielle Sinn der Wissenschaft! Gehen wir nun dazu über, diese Thesen zu erläutern! Zunächst ist zur ersten These darauf hinzuweisen, daß die Welt, von der wir hier sprechen, nicht die Welt der kosmischen Natur ist! In diesem Sinne von Welt leben wir ja alle in derselben Welt. Sondern Welt ist hier gewissermaßen der existenzielle "Raum", in dem sich ein menschliches Dasein abspielt. Diese Welt ist eine grundverschiedene etwa bei einem Schwarzwaldbauern, bei einem Arbeiter der Leunawerke, bei einem Berliner Gelehrten, bei einer Hottentottenfrau usw. Diese Welt bestimmt durch ihre jeweilige Eigenart ein solches Dasein selbst; ja sie gehört geradezu mit zu ihm; sie ist etwas am Dasein selbst. (9) Gehen wir nun weiter, zunächst zur 2. und 3. These! Hier wird eine bestimmte rhythmische Struktur umschrieben, in der sich der Ablauf und Vollzug des menschlichen Daseins abspielt. Von entscheidender Bedeutung ist hier nun, daß die Wissenschaft überhaupt innerhalb des Ganzen dieses Daseinsablauf gesehen wird! Das heißt also, Wissenschaft ist nicht etwas für sich! Sondern sie entspringt als eine bestimmte Phase innerhalb eines bestimmten rhythmisch gespannten Wechsels im Daseinsablauf! Und wie sie im Ganzen dieses Daseinsablaufs ihren Ursprungsort hat, so hat sie auch nur innerhalb dieses Ganzen ihren Sinn! Das Überschauen des Seienden, das das Wissen darstellt, miß versteht sich selbst, wenn es sich nur in sich selbst, nämlich eben als Überschau, als Wissen, sieht; wenn es nicht sieht, wie dieses Überschauen eingespannt ist zwischen das Sichverlieren an das Seiende in der Betrachtung einerseits und im Einsatz des wirkenden Handelns andererseits! (10) Mit der 3. These ist nun das eigentliche Wesen der Wissenschaft bereits vorläufig angezeigt: Wissen und Wissenschaft ist nichts anderes als das Sichzueignen, das vom Dasein vollzogene eigentliche Sich- Aneignen der Welt, an der es zuvor im beschauenden und wirkenden Sicheinlassen auf sie lebendigen Anteil gewonnen hat! Was das Dasein nämlich schon in diesem Sicheinlassen irgendwie gewann und hatte, das gewann und hatte es darin doch nicht ganz und eigentlich. Sondern diese Zuneigung wird erst vollzogen im Abstandnehmen, im Überblicken, in der Bewußtwerdung und in der Abgrenzung des theoretischen Ergreifens und Begreifens, dessen Vollzug die Wissenschaft ist! Was in der Unmittelbarkeit des Beschauens und wirkenden Handelns unmittelbar erlebt wird, das wird in der theoretischen Überschau abgegrenzt, ergriffen und eingeordnet in das Ganze des bisher schon Erlebten und Erfahrenen. Und zugleich schafft sich das Dasein so eine neue Ausgangsgrundlage, von der aus es in erneutem Wirken und Beschauen sich auf die Welt einlassen kann. Unsere 4. These zeigt nun zunächst die Vollzugsart des wissenschaftlichen Daseins genauer. Dabei wird eine Seite der wissenschaftlichen Existenz herausgehoben, die in der antiken Deutung derselben nicht zur Geltung gekommen war: Wissenschaft ist nicht nur in seliger Freude vollzogenes Beschauen. Sondern indem dieses Beschauen darauf aus ist, die Wahrheit des Seienden und seines Seins zu erkennen, stößt es zugleich auf Widerstände, die durch Kämpfe überwunden werden müssen! Und Wissenschaft ist ein Durchkämpfen dieses Kampfes, ein Standhalten in ihm bis zur Erreichung des Ziels: zu Gewinnung der Überschau über das Seiende in seiner Einstimmigkeit und Wahrheit! Doch ist mit dieser Kennzeichnung der Vollzugsart der Wissenschaft der Gehalt dieser 4. These noch nicht erschöpft. Wir gehen aber auf den weiteren Gehalt dieser These jetzt noch nicht ein, sondern kommen darauf erst zurück, wenn wir zur zweiten der beiden Grundfragen Stellung nehmen, die wir uns eingangs gestellt hatten: zur Frage nämlich, was dem wahren und allseitigen Wissen den Vorzug gibt vor dem einseitigen und falschen! Unsere 5. These kehrt nun von der Kennzeichnung des Vollzugs der Wissenschaft zurück zu dem, was sie über diesen Vollzug hinaus ist und dem Dasein gibt: zur Überblickgewinnung über das Seiende. Das Wesen dieser Überblickgewinnung wird dabei näher gekennzeichnet und gedeutet als die Gewinnung von Weite und Reichtum des Daseins; im Gegensatz zur verhältnismäßigen Enge und Armut, die das Dasein ohne diesen Überblick kennzeichnet. Was heißt das? Wie die Welt des Daseins überhaupt nicht etwas ist, in das es nur zufällig hineingeraten wäre, sondern wie diese Welt unmittelbar das eigene Sein des Daseins mit bestimmt, so ist auch echtes Wissen nicht nur ein Besitz, den das Dasein hat; sondern es macht etwas aus, was das Dasein ist; es bestimmt das Sein des Daseins mit! Die Art dieses Seins aber, die echtes Wissen gibt, läßt sich kennzeichnen als die eines Erfülltseins von der Welt, eines Teilhabens an ihr und ihren Gehalten: am Kleinen und Großen, am Schönen und Häßlichen, am Allgemeinen wie am Einzelnen und Besonderen, am Vergangenen wie am Gegenwärtigen. Und dieses Erfülltseins in der Teilhabe am Seienden und seinen Seinsgestaltungen gibt dem Dasein selbst nun also eine eigentümliche Seinsweise, die wir als Weite, Reichtum, Fülle, Tiefe andeutend zu kennzeichnen suchten. Eine eigentliche Erklärung des hier Gemeinten ist nicht möglich. Voll verstehen wird was hier gemeint ist nur derjenige, der es irgendwie erlebt hat. Dieses Erleben besteht aber nicht etwa in Aneignung großer Gelehrtheit. Vielmehr kann dazu eine einzige Wissenseinsicht genügen, deren Gewinnung zum Erlebnis wurde. Aber eine gewisse nähere Verdeutlichung des hier Gemeinten ist doch möglich. Und zwar zunächst eine solche nach der negativen Seite durch Abwehr eines hier naheliegenden Mißverständnisses. Wie wir schon sahen, ist die eigentliche Quelle der Anteilgewinnung an der Welt nicht das Überblicken derselben, sondern das Sicheinlassen und Sichverlieren an das Einzelne in der Unmittelbarkeit des Beschauens und des Einsatzes. Daher ist nun auch die Quelle des Reichtums, den die Wissenschaft gibt, nicht der Überblick selbst, sondern das, was ihm vorangeht, das Sicheinlassen auf die WElt selbst im unmittelbaren Erleben. In erster Linie entscheidend für die Tiefe und Weite des in der Wissenschaft zu gewinnenden Reichtums ist daher auch nicht die Vielheit der überblickten Seinsgestalten der Welt, sondern die Tiefe der vorangegangenen Anteilgewinnung an ihnen. Andererseits wird aber nun dieser Reichtum dem Dasein (in dem Maße, in dem er ihm im Erleben ursprünglich zugänglich wurde) doch richtig zu eigen erst in der Bewußtwerdung des Überblicks! Denn dieser Überblick besteht darin, daß der Ertrag von vielem und vielerlei Erleben festgehalten und in einer Ordnung zusammengenommen wird! Das bloße Erleben als solches zerfließt wieder, nachdem es vorbei ist! Nur das in der Erinnerung festgehaltene, mit anderem, verwandtem und verschiedenem Erleben zusammengebrachte und so überblickte Erleben gibt dem Dasein den in dessen Mannigfaltigkeit und Tiefe angelegten Reichtum zu eigen, so daß es in gewisser Weise darüber verfügen kann. Auch insofern kommt dieser Reichtum erst durch die Überblickgewinnung zustande, als diese (wie uns die 4. These zeigte) erkämpft ist und dieser Kampf selbst ein neues und wesentliches Stück bereichernden Erlebens darstellt! Vielleicht noch bedeutsamer ist eine andere Seite an dem, was wir mit dem "Reichtum" des Daseins im Auge haben. Wir müssen, um diese Seite herauszuarbeiten, nun noch etwas weiter ausholen. Wir können zugleich, indem wir hierzu übergehen, uns von unserer Erläuterung der Thesen im Einzelnen lösen. Denn die These 6, die wir damit überspringen, gibt nichts anderes als die Feststellung, daß und wie eben in der durch die vorangegangenen Thesen beschriebenen Struktur die Wissenschaft ihren Ort und ihren Sinn hat. Dagegen wird nun, indem wir uns der genannten weiteren Seite des Reichtums, den die Wissenschaft gibt, zuwenden, zugleich das Ganze unserer Thesen noch eine gewisse Erhellung erfahren, indem wir über ihren bloßen Thesen-Charakter hinaus damit nun zugleich auch noch eine gewisse innere Begründung derselben in ihrer Ganzheit gewinnen. Wir gehen aus von einem für die Möglichkeit der Wissenschaft grundlegenden Tatbestand, dessen ursprüngliche, aber oft wieder verschüttete Erkenntnis wir PLATON verdanken und den zuletzt MAX SCHELER erneut und eindringlich herausgearbeitet hat (11). Das betrachtende Sicheinlassen auf das Seiende birgt in sich und setzt voraus eine liebende Teilnahme am Seienden! Zwar mag es auch andere Unter- und Hintergründe des Wissensstrebens geben, wie etwa bloße Neugier. Oder wo Wissenschaft zu einer Institution der Gemeinschaft geworden ist, da können auch Triebfedern wirksam werden wie etwa Ehrgeiz oder bloßer Broterwerb. Aber sicher ist, daß wir als ursprünglichste, eigentlichste und zugleich auch erfolgreichste, ja auf manchen Gebieten einzig erfolgreiche Triebfeder der Wissenschaft (insbesondere der Forschung) eine unmittelbare Liebe zum Seienden ansprechen dürfen und müssen! Wo dieser Triebfeder nicht wirksam ist, da bleibt nicht nur das Wissen selbst meist flach und äußerlich, sondern es gibt auch nicht jenes innere Erfülltsein, das wir eben zu kennzeichnen suchten. Ist aber nun die Wurzel der echten Erkenntnis des Seienden teilnehmende Liebe zu ihm, so ergibt sich ohne weiteres folgendes: Liebe entdeckt einerseits den Charakter des "Guten" am Seienden, d. h. in der Sprache heutiger Philosophie, sie entdeckt Werte; sie entdeckt andererseits aber auch Schlechtes und Mängel, d. h. Unwerte! Das Sehen von Werten ist aber notwendig und ohne weiteres ein Aufruf zu erneuter und vermehrter Verwirklichung derselben, das Sehen von Un werten ein Aufruf zu ihrer Vermeidung und Beseitigung. Und daher steht echtes Wissen und Erkennen stets in einem lebendigen Spannungsverhältnis zur anderen Form des Sicheinlassens auf die Welt: zum Einsatz durch Eingreifen in das Verhalten des Seienden! Dieser Punkt ist nun aufs schärfste zu betonen. Wenn wir Wissenschaft als in der Gesamtstruktur des Daseins stehend gekennzeichnet haben, so heißt das auch und vor allem auch: Sie muß jederzeit bereit sein, zwar nicht sich selbst aufzugeben, wohl aber sich in ihrer Begrenzung und innerhalb der Gesamtlage des Daseins zu sehen. Das heißt sie muß bereit sein, aus ihrer eigenen Haltung auch wieder in die des wirkenden Handelns überzugehen! Dies ist nun aber auch der Punkt in unserer Auslegung der Wissenschaft und ihres Ortes, der wohl (in dieser Allgemeinheit ausgesprochen) am meisten auf Widerspruch stoßen wird! Man wird sagen: Ja in welcher Weise soll denn z. B. ein Assyriologe oder ein Astronom von seiner Wissenschaft aus gesehen bereit sein zum Einsatz mit der Tat? Wir müssen, um auf diesen Einwand zu antworten, nun auf den eigentlichen Kernpunkt des Wesens der Wissenschaft, wie sie in unserem Schema gezeichnet ist, noch etwas genauer eingehen. Der Ort, an dem wir die Wissenschaft sehen, ist in unserer dritten These genauer gekennzeichnet als Abstandnehmen und Überblickgewinnen über das Seiende; zugleich aber auch als Überblickgewinnen über den eigenen Standort im Seienden und das eigene Sein selbst. Dieser Punkt, daß die Wissenschaft mit der Überblickgewinnung auch Bestimmung des eigenen Standorts im überblickten Seienden ist, dieser Punkt ist nun hier von entscheidender Bedeutung! Machen wir ihn uns zunächst noch näher deutlich! Das, wenn auch noch so rein sachhingegebene, "objektive" Erkennen vollzieht sich doch tatsächlich immer von einem bestimmten Standort aus. Allerdings wird in der Selbstvergessenheit des Hingegebenseins an das Seiende dieser eigene Standort nicht gesehen. Im Abstandnehmen vom Seienden und Überblickgewinnen dagegen wird nun der eigene Standort notwendig irgendwie merklich. Zwar braucht dieses Merklichwerden kein eigentliches und ausdrückliches Beachten dieses eigenen Standorts zu sein. Aber indem das Seiende von diesem Standort aus überblickt und sozusagen in seinem Zueinanderstehen abgeschätzt und abgemessen wird, gelangt für das so überblickende und abschätzende menschliche Dasein stets auch sein eigener Standort irgendwie mit zur Gegebenheit und Bestimmung! Und zwar geschieht das, wenigstens in dieser unausdrücklichen und unbemerkten Form, notwendig in jeder Wissenschaft! Einige Beispiele mögen das verdeutlichen: Der Assyriologe muß, um zu seinem Gegenstand zu gelangen, den geschichtlichen Raum durchmessen, der ihn (und uns alle) von diesem seinem Gegenstand trennt; und er muß dabei diesen Zwischenraum vom Raum seiner Forschung irgendwie abheben. Er muß ferner, wenn er sich und uns die damaligen Ereignisse, Zustände und Einrichtungen klar machen will, diese irgendwie an den unsrigen messen, indem er Übereinstimmung und Verschiedenheit aufzeigt. Schon durch den unvermeidlichen Gebrauch unserer Begriffe kommt ja dieser Vergleich, dieses Messen des Damaligen am Heutigen und Unsrigen notwendig zustande! - Der Astronom muß eine Vorstellung von den kosmischen Räumen haben, die unsere Erde trennen und zugleich verbinden mit den Gestirnen, die er gerade betrachtet. Und er kann sich und uns vom Zustand dieser Gestirne ebenfalls nur eine Vorstellung machen, indem er auf die Elemente und ihre Zustände zurückgreift, die wir auf unserer Erde kennen. Der Biologe, der sich mit Pflanzen oder Tieren und deren Wesen befaßt, muß zugleich eine Vorstellung von dem haben, was Tier oder Pflanze mit dem Menschen gemeinsam haben und was sie von ihm unterscheidet. Der Mathematiker, der von Nicht-Euklidischen Räumen spricht, kann sich und uns diese nur voll verständlich machen, wenn er Gemeinsamkeit und Verschiedenheit derselben gegenüber unserem Daseinsraum aufzeigt usw. So bestimmen notwendig alle Wissenschaften, ganz gleichgültig welchen besonderen Gegenstand sie haben, irgendwie bewußt oder unbewußt ihren eigenen Standort im All des Seienden und in der Art seines Seins mit! Zum Verständnis des eben Gesagten ist es nun wichtig noch folgendes zu beachten: Der Umkreis des eigenen Daseins, dessen Standort jeweils vorausgesetzt und mitbestimmt wird, kann von sehr verschiedener Weite sein; und er ist in den einzelnen Wissenschaften sehr verschieden! Es kann sich beispielsweise um den Standort der ganzen Menschheit überhaupt handeln; und zugleich also um den Standort des Forschers als eines Menschen überhaupt. Dies wird z. B. beim Physiker und Chemiker der Fall sein; denn diese bestimmen, indem sie die physische Natur bestimmen, zugleich den Standort des Menschen überhaupt im Verhältnis zu ihr! Aber auch z. B. der Theologe bestimmt den Standort des Menschen überhaupt, nämlich seinen Standort vor Gott! Einen etwas eingeschränkteren Standort hat eine Wissenschaft wie etwa die Geologie und der einzelne Geologe als Vertreter dieser Wissenschaft. Ihr Standort, den sie von vornherein einnimmt und zugleich immer deutlicher bestimmt, ist der der heutigen Menschheit; heutig dabei verstanden in einem weiten Sinn unseres heutigen Zeitalters im Rahmen der Erdgeschichte. In anderen Wissenschaften ist ihr Standort noch enger begrenzt. In vielen, insbesondere in den Geisteswissenschaften, wird der Standort stets notwendig national bedingt, für uns also der Standort des Deutschen sein. Und zwar kann es sich dabei um den Standort des Deutschen schlechthin handeln; oder aber auch um den des Deutschen in seiner heutigen Lage; und dabei wieder der etwa seiner politischen oder seiner kulturellen oder seiner wirtschaftlichen Lage. So wird es besonders (ob bewußt oder unbewußt) bei jeder von einem Deutschen vollzogenen Geschichtsbetrachtung sein. Aber welches auch immer der Standort ist, von dem aus ein wissenschaftlicher Überblick gewonnen wird: immer erfährt eben dieser Standort selbst in dieser Überblickgewinnung wenigstens mittelbar eine nähere Bestimmung! Mit dieser Einsicht ist nun der Sinn, in dem die Wissenschaft eine Bereicherung des Menschen darstellt, noch deutlicher geworden! Die Wissenschaft in ihrem allgemeinen existenziellen Wesen ist innere Bereicherung des Menschen nicht nur durch die Teilhabe am Seienden in der Hingabe der Anschauung; sondern sie ist Bereicherung auch, und vor allem auch, durch immer erneute und erweiterte Bestimmung des eigenen Standorts in der Welt! Oder wir können auch so sagen: Wissenschaft ist Erkenntnis unserer selbst in Abhebung vom Seienden der Welt! Jedes auch noch so sehr in die Ferne schweifende Erkennen zieht doch notwendig eine Linie, die unseren Standort in dieser Richtung neu absteckt, die ihm eine neue Bestimmung gibt. Und hierbei ergibt sich nun eine eigentümliche Umkehrung der gewöhnlichen Wertung der einzelnen Wissenschaften für unsere Existenz! Diejenigen Wissenschaften, die am weitesten in die Ferne schweifen, und die man deshalb als die lebens fernsten anzusehen pflegt, die ziehen die größten und die weitesten Linien! Und d. h. offenbar, sie ziehen die für unsere Existenz im ganzen und letztlich bedeutsamsten Linien! Denn gerade diese Linien erweitern die Welt, in der wir uns stehen sehen; sie stellen uns aus den engen Kreisen unseres Alltags heraus in immer weitere und umfassendere Horizonte hinein! Allein diese Bereicherung als solche der Bestimmung unseres eigenen Standorts schließt nun zugleich eine andere in sich! Und damit kommen wir zurück auf unsere Behauptung daß Einsatzbereitschaft notwendig zu jeder echten, lebendigen Wissenschaft gehöre! Offenbar ist der Standort, an dem wir uns stehen sehen, notwendig auch immer der Standort, von dem aus wir handeln! Nur ist der, dem diese Einsatzmöglichkeit gegeben ist, nicht immer der einzelne. Bestimmt die Wissenschaft irgendwo den Standort der Menschheit (wie etwa die Physik) , so werden damit Einsatzmöglichkeiten der Menschheit vorgezeichnet! (12) Bestimmt eine Wissenschaft den Standort des eigenen Volkes (wie etwa die Geschichtswissenschaft), so macht sie eben die Einsatzmöglichkeiten des betreffenden Volkes deutlich! Wie weit dabei auch der einzelne diesen Einsatz verwirklichen kann (sei es allein, sei es als geringes Glied einer großen Gemeinschaft) dies hängt von den besonderen Verhältnissen des jeweiligen Gebietes ab. Zum Beispiel kann und muß am Ziel der Reinhaltung einer Rasse jeder mitwirken, der dieser Rasse angehört, wenn das Ziel verwirklicht werden soll. Überall aber ist somit Wissenschaft "Bereicherung" des Daseins nicht nur an Seins-Teilhabe und standortbestimmenden Überblick, sondern zugleich auch an eigener "Einsatzmöglichkeit!" Ist aber nun grundsätzlich die Möglichkeit des Einsatzes da, so treten notwendig auch immer Gelegenheiten auf, die den Einsatz fordern! Denn Werte und Unwerte finden sich überall in der Welt! Und wo ein Unwert in Sicht kommt, da entsteht die Forderung einen Wert an seine Stelle zu setzen! Und so bleibt es bei unserer Behauptung, daß grundsätzlich "jede" Wissenschaft in der Einsatzbereitschaft zu stehen hat! Es gilt nur, sich darüber klar zu sein, wer das Daseinssubjekt ist, auf dessen Standort die gerade in Frage kommende Wissenschaft steht; und an das sich daher die Forderung der Einsatzbereitschaft dementsprechend richtet! (13) Die größten Möglichkeiten und Forderungen des Einsatzes aber ergeben sich demgemäß aus denjenigen Wissenschaften, die die weitesten Linien ziehen; und nur aus ihnen! Nur wer Jahrtausende unserer Geschichte nach rückwärts überblickt, nur der kann auch den Einsatz unseres geschichtlichen Handelns bewußt und konkret auf das Werden künftiger Jahrtausende abstellen! Nur wer die kosmischen Gesetze beherrscht, kann etwa den Plan einer Weltraumrakete überhaupt ernstlich fassen! Nur wer das Wesen des Menschen so tief erfaßt hat wie ein NIETZSCHE, nur der konnte den Gedanken eines kommenden anderen Menschen, des Übermenschen, überhaupt entwerfen! So gewinnt das menschliche Dasein in diesen scheinbar weltfremden Wissenschaften, die die weitesten Linien ziehen, nicht nur Reichtum, sondern auch noch einen anderen Charakter: Sie geben ihm "Größe"! Je weiter der Mensch den eigenen Standort abgesteckt hat, des "Größeres" kann er grundsätzlich durch seinen Einsatz leisten! Das gilt für den einzelnen; das gilt für die ganze Menschheit, das gilt ganz besonders auch für ein "Volk"! Von hier aus fällt ein besonderes und helles Licht auch auf die nationale Bedeutung der Wissenschaft! Nicht etwa aus irgendwelchen Prestigegründen gegenüber dem Ausland, nicht weil nun einmal das Ausland wissenschaftsgläubig ist, müssen wir die nationale Wissenschaft pflegen! Sondern deswegen, weil nur ein Volk, das die Wissenschaft pflegt, auch die "Größe" des eigenen "Einsatzes" finden kann, die die Wissenschaft durch ihre "Weltweite" zu geben vermag! Hier ergibt sich aber nun noch eine Frage. Nach dem Gesagten erhält die Wissenschaft ihr eigentliches und volles Schwergewicht doch erst durch die Einsatzmöglichkeit, die sie dem Menschen gibt. Hat die Wissenschaft aber damit ihren Sinn nicht letzten Endes doch darin, der Praxis dienen zu können? Also praktische Wissenschaft, wenn auch nist ständig zu sein, so doch jeden Augenblick wieder werden zu können? Diese Frage enthält eine grundsätzliche und zugleich gefährliche Verkennung des Wesens gerade der reinen Wissenschaft! Wie wir schon eingangs gesehen haben, beruhen die großen Erfolge der Wissenschaft gerade darauf, daß sie sich nicht von praktischen Zwecken leiten läßt. Es ist aber auch nicht so, daß nun die reine Wissenschaft gewissermaßen zufällig nun doch immer wieder dazu gelangt, der praktischen zu dienen! Sondern es ist vielmehr umgekehrt die praktische Wissenschaft überhaupt erst möglich auf der Grundlage der reinen! Machen wir uns dies klar an folgenden Tatbestand: die praktischen Wissenschaften sind gekennzeichnet dadurch, daß für sie die Theorie nur Mittel ist; während das Praktische der Zweck ist, dem die Theorie als Mittel dient. Diese praktischen Zwecke werden ihrerseits dabei als vorgegeben angenommen. Und sie sind auch tatsächlich zum größten Teil schon vor der Wissenschaft da; denn sie entstammen zumeist den vitalen menschlichen Bedürfnissen! Die Bedeutung der theoretischen Wissenschaft für die Möglichkeiten unseres Einsatzes, die wir eben herausgearbeitet haben, ist aber nun eine ganz grundsätzlich andere! Hier handelt es sich ja nicht darum, daß Mittel gefunden werden für schon vorgegebene Ziele und Zwecke! Sondern die rein theoretische Wissenschaft erweitert ja gerade erst sozusagen den Raum, innerhalb dessen wir uns Ziele stecken können! Sie erweitert diesen Raum nach immer neuen zur Entdeckung gelangenden Richtungen! Sie entdeckt uns also allererst neue Möglichkeiten und neue Räume möglicher "Ziele"! Daß sie dies kann, liegt aber nun gerade in ihrem tiefsten Wesen als reiner, theoretischer Wissenschaft begründet! Es liegt daran, daß sie eben nicht von schon vorgegebenen Zwecken ausgeht! Nur weil sie ganz losgelöst von solchen Absichten dem Seienden nachgeht, nur deswegen kann es jeden Tag und jede Stunde geschehen, daß sich irgendwo am Seienden etwas Neues zeigt, was unserem Handeln, unserem Einsatz ein mögliches neues Ziel vorgibt! Es ist, wenn wir diese Bedeutung der Wissenschaft einmal eingesehen haben, wie wenn wir hinter einen der großen Zweck der Natur oder Gottes gekommen wären! Dieser Trieb der rein erkennenden Hingabe an das Seiende, der das große Gebäude unserer Wissenschaft aufgebaut hat und der scheibar sich selbst genügt und nur sich selber dient: dieser Trieb ist in Wirklichkeit die Waffe des menschlichen Geistes zur Eroberung der Welt! Er ist es, der immer die erste Bahn bricht in neues, unbekanntes Land. Dann erst kann unser Einsatz nachfolgen. Damit dürfte nun der lebendige Sinn unserer Wissenschaft einigermaßen deutlich geworden sein. Und damit ist diese selbst zugleich auch gerechtfertigt. Aber aus dieser Rechtfertigung der Wissenschaft ergibt sich nun auch ihre Kritik! Es gibt erstens eine Wissenschaft, die nicht mehr aus liebender Hingabe" an das Seiende entspringt, sondern deren Begriffsgeklapper oder deren Namen- und Tatsachenhamsterei wirklich nur noch ein leeres Wissen um des Wissens selber willen ist! (Vorausgesetzt, daß nicht noch Schlimmeres, Negativeres dahinter steht, was vorhin angedeutet wurde.) Solche Wissenschaft ist keine Bereicherung des Daseins mehr, sondern Ballast, der abgeschüttelt werden muß! Es gibt aber auch noch eine zweite tote Wissenschaft: Statt den eigenen Standort, von dem aus sie alles sieht, möglichst herauszuarbeiten, statt durch diese Herausarbeitung des Standorts auf die Einsatzbereitschaft ständig hinzuweisen, übersieht diese Wissenschaft gerade geflissentlich diesen eigenen Standort! Und so läßt sie ihre Jünger den Einsatz verpassen und vergessen. Diese leben dann in zwei Welten: in einer Welt der wissenschaftlichen Betrachtung und in einer Welt des sonstigen handelnden Menschendaseins. Die Bedauernswerten! Das Schönste und Größte, was die Wissenschaft geben kann, verpassen sie! Statt in ihren Entdeckungen immer neue Einsatzmöglichkeiten zu finden und so in der gespannten Lebensfülle des Hin und Her zwischen Hingabe und Einsatz zu stehen, verkümmern sie früher oder später in der Enge ihrer Tatenarmut! Oder, wenn sie den Mangel spüren, dann suchen sie einen Ausgleich in ihrem zweiten, dem außerwissenschaftlichen Dasein und sind dann abwechselnd Mensch und Wissenschaftler. Dies gibt dann wohl unter Umständen einen Ausgleich für die persönliche Lebendigkeit und geistige Gesundheit. Aber der Wissenschaft, die so betrieben wird, fehlt dabei trotzdem der lebendige befruchtende Boden! Die vermeintliche absolute Objektivität wird nämlich dann zur Bodenlosigkeit und Uferlosigkeit, die im Material untergeht und die nicht mehr weiß, was denn wichtig ist und was nicht; was zuerst kommt und was erst viel später! Die Wissenschaft versandet im "Betrieb" - bis ein Sturm kommt und sie hinwegfegt! (14) Soll die Wissenschaft lebendig und lebenskräftig sein, so darf sie ihren eigenen Standort nicht nur nicht übersehen, sondern sie muß ihm gerade eigens herausarbeiten! Lebendig bleibt nur eine Wissenschaft, die uns zeigt. Hier und so ist das Seiende der Welt! Und hier und so stehe ich dazu! Und die uns damit sehen läßt: Hier und so bin ich aufgefordert zu handeln und mich einzusetzen! Und die vom eigenen Einsatz und den darin gewonnenen Erfahrungen aus sich wieder Fragen stellen läßt und sie zu beantworten sucht! Hier scheidet sich Objektivität der Wissenschaft in einem echten Sinn von einer Objektivität, die zugleich ein Losgelöstsein von den Fragen unserer Existenz und damit ein Zerfallen der Wissenschaft bedeutet. Diese losgelöste Objektivität, die das Seiende zu einer Sache macht, welch uns im Grund nichts mehr angeht, verneinen wir! Wir verneinen sie, weil sie die Auflösung und das innere Absterben der Wissenschaft bedeutet und weil uns eine solche Wissenschaft selbst nichts bedeuten kann. Lebendiges Wissen ist nur solches, das mit unserer Existenz, ja mit unserer ganzen Existenz in Verbindung steht, dessen Überblick stets auch Überblick über die eigenen Einsatzmöglichkeiten ist und zu sein strebt und das dadurch allein zu wirklichem und echtem Daseinsreichtum wird. Als solche Wissenschaft aber hat die Wissenschaft ihren großen Sinn, für den sich seinerseits einzusetzen und unser Menschendasein hinzugeben sich lohnt, wie früher so auch heute und solange wir als in der Welt lebende Menschen da sind! Somit erscheint uns jetzt das Wissen als Wissen überhaupt gerechtfertigt und die Grenze gezogen, an der es aufhört, wissenswert zu sein. Allein, indem wir diese Grenze in der eben gekennzeichneten Weise ziehen, erhebt sich hier ein Bedenken. Und dieses Bedenken führt uns zugleich hinüber zu unserer zweiten grundsätzlichen Zweifelsfrage gegenüber der Wissenschaft: zur Frage nach der Objektivität im Sinne der Wahrheit des Wissens und nach ihrem Wert! Das Bedenken, das sich hier erhebt, ist zunächst folgendes: Bleibt denn eine solche Wissenschaft, die das Seiende nur von unserem Standort aus und damit diesen selbst bestimmen will und die ihn im Hinblick auf die Möglichkeiten und Forderungen des eigenen Einsatzes bestimmen will, nicht in der Subjektivität stecken? Ist ein solches Wissen noch wahres Wissen des Seienden, wie es ansich ist? Ist es nicht gefärbt und verfälscht durch unsere mit in dieses Wissen hereinspielende Subjektivität? Es ist nicht möglich, hier auf die erkenntnistheoretischen oder (richtiger) metaphysischen Fragen einzugehen, die hinter diesen Bedenken stehen. Nur soviel sei hier gesagt: Wahrheit ist wesenhaft Wahrheit für ein Bewußtsein. Als solches Bewußtsein kommt aber für uns nur in Frage unser eigenes, in unserem Dasein verankertes Bewußtsein! Wenn wir von unserem Standort aus und zur Erhellung dieses unseres Standorts Fragen an das Seiende richten, so sind zwar diese Fragen und die in ihnen liegenden Gesichtspunkte eben die unseren, durch unseren Standort gegebenen. Aber darin liegt kein Verzicht auf Wahrheit, sondern nur ein Verzicht auf eine Absolutheit, die es gar nicht gibt und ein Wiedereinsetzen der Wahrheit in den Ort, der ihr ursprünglich und wesenhaft zukommt! Eine Objektivität, die unser Dasein, unsere Existenz überspränge, ist eine Jllusion, ja mehr als dies, sie ist ein Unding! Aber so eine existenzielle Wahrheit ist deswegen nicht weniger Wahrheit! Ja, sie ist Wahrheit und kann es sein gerade nur so, als Wahrheit für uns! (15) Welches ist aber nun der lebendige Sinn eines solchen Wahrheitsstrebens in der Wissenschaft? Ist es etwa die Wahrheit um ihrer selbst willen, was wir in ihr suchen? So scheint es hier zunächst, ebenso wie auch das Wissen zunächst in sich selbst ein letztes Strebensziel zu sein schien! Und doch zeigt sich auch hier, daß dieses Verstehen unseres Wahrheitsstrebens nicht alles und das letzte erfaßt, was in ihm liegt! In gewisser Hinsicht liegt die Forderung nach wahrem Wissen schon im Streben nach Wissen überhaupt mit eingeschlossen. Denn Teilhabe am Seiende und Überblickgewinnung über dasselbe zur eigenen Standortbestimmung ist eben das, was sie sein will, wirklich nur dann, wenn das Seiende in seiner Wahrheit entdeckt wird. Vor allem aber werden wir uns auch von unserem Einsatz in das Verhalten des Seienden immer nur dann Erfolg versprechen dürfen, wenn wir das Seiende in seiner Wahrheit erkennen. Haben wir es falsch oder zu einseitig gesehen, so wird unser Einsatz fehl gehen! Jede Ungenauigkeit, jede Oberflächlichkeit, jede Selbsttäuschung aus Furcht vor den Tatsachen kann sich rächen. Das wahre Wissen hat also hier über die Sicherung einer echten Teilhabe an der Welt hinaus den Sinn, uns in unserem Einsatz in das Verhalten des Seienden vor Mißerfolg und Schaden zu bewahren! Deshalb müssen wir - und dies führt uns hier zurück zur vierten unserer Thesen - um die Wahrheit kämpfen; sowohl mit dem Seienden, mit der "Sache", damit sie sich uns zeige; wie auch mit uns selbst, damit wir nicht selbst sie uns verbergen! Dieser Kampf um die Wahrheit ist aber auch noch ein dritter Kampf: ein Kampf mit den anderen! Der Sinn dieses dritten Kampfes aber ist Verständigung und Einigung! Überall, wo das Seiende zunächst verschiedenen Menschen in verschiedener Weise erscheint, da besteht zunächst ein Zwiespalt und da winkt die Möglichkeit der Einigung durch die Wahrheit! Wie hoch dieses Gut der Einigung besonders da ist, wo es darum geht, es für das ganze eigene Volke und innerhalb des ganzen eigenen Volkes zu erlangen, brauche ich hier nicht besonders zu betonen. Umso mehr muß die Mühe gerade dieses Kampfes immer wieder unternommen werden. Dabei hat dieser Kampf seine besonderen Tugenden! Denn der Erfolg wird hier gerade nicht erzielt durch rücksichtsloses Sichdurchsetzen, wie in anderen Kämpfen; sondern durch ernsthaftes Bemühen um Verstehen des anderen und durch immer erneutes und zur Selbstverleugnung und Umkehr bereites Vergleichen und Nachprüfen der verschiedenen Ansichten an der Sache selbst! Allerdings wird hier vielleicht mancher zur Skepsis geneigt sein und darauf hinweisen, wie gerade in unserem völkischen Dasein die Einigung nicht durch Diskussion hat erzielt werden können, sondern gerade nur durch Ausschaltung derselben. Darauf ist zu sagen, daß allerdings der ungehemmte Kampf der Meinungen als Mittel zur Einigung der Volksmassen nicht geeignet ist. Diese Ansicht ist eine Jllusion der Demokratie, von der heute auch der letzte geheilt sein dürfte, der ihr je in unserem Volk verfallen war. Vielmehr erfordert es sowohl eine hohe kritische Schulung wie vor allem auch stärkste persönliche Selbstzucht, wenn auf diesem Wege gegensätzliche Meinungen und Haltungen zu einem Ausgleich gelangen sollen. Allein, unter den zur Verantwortung und Führung Berufenen wird dieses Mittel der Einigung umso weniger entbehrt werden können! Dies nicht nur, weil jede nicht an der Wahrheit ausgerichtete Führung sich auf die Dauer als schlechte Führung erweist (durch die Mißerfolge im Einsatz)! Sondern auch weil Vertrauen und Zusammenarbeit von Führern und Unterführern einerseits und voneinander neben geordneten Führern andererseits nur dauerhaft sein kann, wenn die bedingungslose äußere Gefolgschaft durch die inner Übereinstimmung ergänzt und diese immer wieder neu gewonnen und gestärkt wird. Diese innere Übereinstimmung aber kann selbst mit dem besten und treuesten Willen zur Gefolgschaft allein nicht gesichert werden! Sondern dazu bedarf es des gemeinschaftlichen Ringens um die Wahrheit! In diesem Ringen aber wird das Objektivitätsstreben der Wissenschaft somit im Führerstaat eher noch mehr die hohe Schule zu bilden bestimmt sein, als im Staat der Vergangenheit. Und so gesehen steht also das Objektivitätsstreben der Wissenschaft nicht nur nicht im Gegensatz zum Nationalsozialismus, sondern es scheint berufen ihm bei seiner Aufgabe der Führung des durch ihn geeinten Volkes Dienste zu leisten, die durch nichts anderes ersetzt werden können! Noch in einer anderen Hinsicht muß die Bedeutung des wissenschaftlichen Objektivitätsstrebens durch den Sieg des Nationalsozialismus als nicht nur vermindert, sondern als sogar erhöht betrachtet werden. Der Nationalsozialismus hat unseren Blick besonders dafür geschärft, was es heißt eine Ehre zu besitzen. Wer sich aber bewußt ist, was es heißt, die Ehre auf seine Fahne geschrieben zu haben, der hält nicht nur seine eigene Ehre hoch, sondern er achtet auch - wie unser Führer selbst wiederholt betont hat - die Ehre des andern! Dies gilt sowohl für unser Volk im ganzen gegenüber den anderen Völkern im ganzen. Dies gilt ebenso für jeden einzelnen gegenüber dem einzelnen Volksgenossen, wie auch gegenüber dem einzelnen Volksfremden. Und es gilt nicht nur gegenüber Lebenden, sondern auch gegenüber Toten. Wenn wir diese Forderung, die Ehre des anderen zu achten, ernst nehmen - so ernst wie die Tiefe der Verankerung dieser Forderung im Wesen der nationalsozialistischen Weltanschauung es verlangt - so ergibt sich hier eine besondere existenzielle Bedeutung all der Wissenschaften, die es mit der Beurteilung des Verhaltens von Menschen in der Wirklichkeit zu tun haben (also vor allem der Geschichtswissenschaft, aber auch etwa der angewandten Rechtswissenschaft oder Psychologie): Objektivität als Streben nach unbedinger Wahrheit und Überwindung jeder Einseitigkeit heißt hier am allerwenigsten eine Wahrheit um der Wahrheit selbst willen suchen; sondern Wahrheit ist hier Wahrheit um der Ehre willen! Um der Ehre einerseits des anderen willen; durch deren Wahrung wir aber andererseits immer zugleich unsere eigene Ehre hochhalten! - Aus der Sicht dieses positiven Sinnes unseres Wahrheitsstrebens ergibt sich hier wieder zugleich auch seine Grenze! Wie wir sahen, ist nicht Wahrheit als solche und in sich selbst der letzte Sinn des Wahrheitssuchens. Sondern ihr Sinn liegt darin, daß unser Überblick über den eigenen Standort und die Möglichkeiten des Einsatzes uns einen wirklichen Überblick und wirkliche Einsatzmöglichkeiten gebe und daß wir im Streben nach einer solchen Erkenntnis zugleich die Einigung untereinander und Achtung voreinander verwirklichen. Das alles aber hat seinen Sinn nur innerhalb unserer Existenz überhaupt und auf der Grundlage derselben. Wo es um diese Existenz selbst geht und wo diese bedroht ist, da muß alles andere zurückstehen. Und wenn also unser Wahrheitsstreben uns in unserem Existenzkampf zu lähmen droht, dann müssen wir den Entschluß treffen, es im gegebenen Zeitpunkt abzubrechen und das Dringendere zu tun. Nur eine von den genannten Bedeutungen der Wahrheit steht, obwohl auch ihrerseits nur in unserer Existenz zu verwirklichen, doch über ihr: die Ehre! Sie darf auch um der nackten Existenz (im naturhaften Sinn) willen nicht preisgegeben werden. Sondern die Existenz der Ehre wird gewahrt, indem um ihretwillen sogar die naturhafte Existenz selbst geopfert wird, wenn die Lage zur Erhaltung beider keinen Weg mehr offen läßt! Hier gibt die Wissenschaft und die wissenschaftlich objektive Haltung überhaupt unserem Dasein noch einmal eine besondere Größe! Eine Größe, die noch über der anderen steht, die wir vorhin im theoretischen Eroberungssstreben der Wissenschaft aufgezeigt haben. Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsch, daß der Geist der Wissenschaft und ihrer Objektivität in diesem fruchtbaren und lebendigen Sinn aus der großen Bewegung der Gegenwart in unserem deutschen Volk Kraft schöpfen möge! Auf daß eine aus dieser Kraft geborene neue Blüte unserer Wissenschaft dazu beitragen möge, unser Volk emporzuführen zu einer inneren Weite, einem inneren Reichtum und der Größe eines Daseins in dieser Welt, zu der ihm durch den inneren Adel seiner Anlagen die Sendung und Bestimmung aufgetragen ist!
7) Wenn dies zu viel behauptet, zu schwarz gesehen scheint, dem sei folgender Vorfall berichtet, der mir selbst sowohl wie auch einem Teil meiner Hörer fünt Tage nachdem ich diesen Vortrag gehalten hatte unerwartet diese Sätze und damit die Notwendigkeit der ganzen Fragestellung dieses Vortrags bestätigt hat. Bei der Einweihungsfeier des Kameradschaftshauses der Hallischen Studentenschaft sprach u. a. ein Referent aus dem Reichsarbeitsdienst. Er führte u. a. aus: Die heutige, immer noch bedeutende Stellung der Universität in unserem nationane Leben beruhe wesentlich auf der noch bestehenden Gesetzgebung, die zur Erlangung gewisser Berufsstellungen ein Universitätsexamen verlange. Für 80 % derer, die heute die Universität besuchen, sie dies der entscheidende Grund. Dies könne aber durchaus auch anders werden. Die betreffenden Bestimmungen könnte ja geändert werden. Schon heute seien ja überall Führerschulen der N.S.D.A.P., der Arbeitsfront usw. im Aufbau begriffen. In Ostpreußen berechtige der Besuch solcher Führerschulen heute schon zur Erlangung von Bürgermeisterstellen. Was in Ostpreußen schon wirklich sei, das könne eines Tages auch im ganzen Reich ... kommen ... Den Abschluß dieser Ausführungen bildete die wohlwollende Mahnung an die Vertreter der Universitätswissenschaft, sich umzustellen auf eine politische, vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen Wissenschaft; sonst werde die Universität an den neuen Führerschulen zerschellen, in denen die Wucht und Kraft dieses Geistes bereits lebendig sei. (Vgl. den Bericht hierüber in Nr. 4 - 12 der "Hallischen Hochschulblätter", sowie in den Hallischen Tageszeitungen.) 7a) Siehe MAX WEBER, Wissenschaft als Beruf, München 1919, ERICH von KAHLER, Der Beruf der Wissenschaft, Berlin 1920. 8) HEIDEGGER definiert Wissenschaft als "das fragende Standhalten inmitten des sich ständig verbergenden Seienden im Ganzen" (Die "Selbstbehauptung der deutschen Universität", Breslau 1933, Seite 10). KRIECK sagt über das Wesen der Wissenschaft u. a. folgendes: "Wissenschaft ist die Weise der Bewältigung und Gestaltung der Welt durch methodische Erkenntnis und die Art, wie wir mit der Erkenntnis an die Welt herantreten, offenbart unseren völkischen Charakter ebenso wie unsere zeitlich Lage und Augabe." ("Die neuen Aufgaben der Universität" in "Volk im Werden", 1933). 9) Wir müssen hier darauf verzichten, die Art des hier gebrauchten Weltbegriffs philosophisch genauer zu umgrenzen. Näheres über die Problematik dieses Begriffs siehe HEIDEGGER, Sein und Zeit, besonders § 14. 10) Noch oberflächlicher, dem eigentlichen Wesen der Wissenschaft ferner ist das Verstehen derselben aus ihren technischen Formen und Hilfsmitteln wie Schrift und Druck! Diese Hilfsmittel sind zwar für den Ausbau und den Umfang des durch die Wissenschaft zu erreichenden Weltüberblicks von entscheidender Bedeutung geworden. Das existenzielle Wesen der Wissenschaft überhaupt liegt jedoch tiefer als die (heute am meisten in die Augen fallende) Formung, die ihr Apparat und ihr Betrieb durch diese Hilfsmittel erhalten hat. 11) Siehe besonders den Aufsatz "Liebe und Erkenntnis" in "Krieg und Aufbau", 1916 12) Daß bei den Wissenschaften, deren wesentlicher Standort nicht national begrenzt sondern umfassender ist, die Einsatzbereitschaft etwa des Deutschen zunächst und besonders auch die Möglichkeiten des Einsatzes im Dienst des eigenen Volkes im Auge haben wird, ist selbstverständlich. Indessen ist doch zu betonen, daß hier die nationale Bedeutung der Wissenschaft von wesentlich anderer Art ist, als bei Wissenschaften, deren eigener Standort schon wesenhaft national ist. Wissenschaften wie Physik oder Chemie werden nie so ihrem inneren Wesen nach national sein und betrieben werden können wie etwa die Geschichtswissenschaft. Und es wäre eine Verkennung ihrer Aufgabe, wenn sie dies wollten! - Was im übrigen den nationalen Standort und Charakter etwa der Geschichtswissenschaft anbelangt, so schließt dieser nicht aus, daß für manche Gebiete und Fragen sich dieser nationale Standort doch wieder einem umfassenderen einordnet. Zum Beispiel wird es Fragen geben, für die der nationale Standort mit dem des abendländischen Menschen überhaupt zusammenfällt. Dies ändert aber nichts daran, daß der Standort jeder Geschichtsschreibung im ganzen doch grundsätzlich und unvermeidlich (wenn nicht bewußt, so unbewußt) der nationale ist. 13) Daß dabei außerdem die Art der Forderung, die von den Werten ausgehen kann, sehr verschieden und von verschiedenem Gewicht ist, kann hier nur anmerkungsweise erwähnt werden. Vgl. hierüber die Untersuchungen zur Wertethik von MAX SCHELER, DIETRICH von HILDEBRAND und NICOLAI HARTMANN. 14) Daß der einzelne Forscher auch in einer Wissenschaft, die ihre eigenen Lebensbedingungen nicht kennt oder mißversteht und auch wenn er selbst in dieses Mißverstehen mit hineingezogen ist, doch unter Umständen Furchtbares für dieses Wissenschaft leisten kann, soll hier nicht bestritten werden. Wo die Leitung durch die richtige Idee fehlt, kann es doch sein, daß der gesunde Instinkt noch vor Verirrungen bewahrt. Indessen ist für die Wissenschaft im ganzen dieser Zustand der Verkennung ihres eigenen existenziellen Sinnes doch eine stete innere Gefahr. Und dies umso mehr, je mehr sie äußerlich ungehemmt in die Breite wachsen kann. 15) Vgl. zu dem hier nur Angedeuteten die ausführlichen Darlegungen bei HEIDEGGER in "Sein und Zeit", besonders § 44. - Streng zu unterscheiden von dieser Voraussetzung des Daseins überhaupt für die Möglichkeit der Wahrheit ist die Frage nach der Bedingtheit der Erkenntnis durch das Einzelsubjekt und seine individuellen Eigenheiten. Diese letztere Frage ist in unserem Zusammenhang besonders als solche nach dem "objektiven" (besser gesagt "intersubjektiven") Bestehen der Werte bedeutsam. Trotz der grundsätzlichen und grundlegenden Wichtigkeit dieser Frage ist sie doch in der heutigen geistespolitischen Lage in Deutschland nicht so unmittelbar dringend wie die hier behandelten Fragen. Da sie außerdem eine eigene Abhandlung für sich erfordert hätte, wurde sie hier übergangen bzw. nur eben gestreift. Es sei dafür auf die Forschungen von MAX SCHELER und NICOLAI HARTMANN verwiesen. |