David HumeHumes KausalitätstheorieHume über den Glauben | |||||
Über die Lehre Humes [2/4]
III. 1. Nicht der methodische Charakter des HUMEschen Empirismus allein trennt diesen vom Standpunkt des metaphysischen Dogmas vom esse = percipi. Sein Phänomenalismus, den wir schon früher als die Voraussetzung der erkenntnistheoretischen Fragestellung des Philosophen erkannt hatten, vervollständigt diese Trennung. "Zu erklären, daß die Eindrücke der Sinne und der Reflexion Erscheinungen von Dingen seien ... und zu behaupen, daß die Existenz überhaupt nur eingebildet ist, daß es keinen Körper gebe, weil die Vorstellung des Körpers ein Phänomen ist, ... diese Behauptung und jene Erklärung sind himmelweit verschieden." (1) Gerade diese Verschiedenheit aber bestimmt HUMEs Verhältnis zur sensualistischen Metaphysik seiner empirischen Vorgänger und Nachfolger. HUME steht in der prinzipiellen Frage der Existenz von Außendingen dem Bischof BERKELEY nicht näher, als etwa dem modernen Erkenntniskritiker MACH. Nicht der Zufall des Wahrgenommenwerdens entscheidet für den scharfen Denker über das reale Dasein der Außendinge. Die Dinge sind - unabhängig von unseren Wahrnehmungen, aber sie sind uns in unseren Wahrnehmungen und nur in diesen "gegeben". Sie existieren, allein es wäre "ungereimt", sie unabhängig von unseren Wahrnehmungen, also "klar und deutlich" (2) vorstellen zu wollen. "Jede Theorie, jede Erforschung der Ursache, jede Lehre vom wahren Sein hinter den Erscheinungen ist" für HUME - wie WINDELBAND treffend bemerkt - "ausgeschlossen." (3) Ebenso ausgeschlossen aber ist für ihn jeder Zweifel an diesem wahren Sein selbst. - Die Differenz zwischen HUME und BERKELEY ist darum mehr, als gewissermaßen nur quantitativ. HUMEs Leistung auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie erschöpft sich mit anderen Worten nicht darin, in den Bereich seiner zersetzenden Kritik einbezogen zu haben, wovor der fromme Bischof von Cloyne noch scheu innegehalten hatte: die geistigen Substanzen. HUMEs theoretische Philosophie ist nicht - wie so häufig gesagt worden ist - die einfache Vollendung des BERKELEYschen "Konszientalismus" [Existenz der Außenwelt wird geleugnet - wp]. Der Stellungnahme HUMEs gegen das spiritualistische Dogma BERKELEYs läuft vielmehr seine unzweideutige Ablehnung auch des sensualistischen Dogmas, daß nichts sei, sofern nichts wahrgenommen werde, parallel. 2. HUME ist also, unseres Erachtens, weit entfernt, "die Wirklichkeit in ein pures Phänomen und den Zusammenhang des Wirklichen in einen psychologischen Schein aufzulösen" (4) - wie es KÖNIG von ihm behaupten zu können glaubt. Phänomene sind für ihne nur unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit. Und die von HUME allerdings scharf betonte "Ungereimtheit" der Annahme eines von unseren Wahrnehmungen spezifisch Verschiedenen bedeutet naturgemäß nichts anderes, als die tatsächliche Unmöglichkeit eines erkenntnismäßigen Vorstellens der Gegenstände an sich. Denn die völlig haltlose Behauptung von der Absurdität der Annahme als solcher, daß die Gegenstände auch unabhängig von ihrem Wahrgenommenwerden existieren, darf HUME füglich nicht imputiert [zugerechnet - wp] werden. Schon der Umstand allein, daß er die angebliche Absurdität jener Annahme nicht etwa durch den Satz des Widerspruchs, dessen entscheidende Rolle bei der Feststellung von "Absurditäten" er sehr wohl zu ermessen versteht, sondern durch den Hinweis auf die tatsächliche Erfahrung zu begründen sucht, zeigt, wie fern ihm jene Behauptung liegt. Ja, selbst der Satz von der faktischen Unmöglichkeit der Vorstellung eines außersinnlichen Gegenstandes bedarf noch einer wesentlichen Einschränkung. Er kann sich nämlich einzig und allein auf eine adäquate, d. h. "klare und deutliche", also diejenige Vorstellung von außersinnlichen Dingen beziehen, welche wir als Norm der Erkenntnis von tatsächlichen Wahrheiten schon kennen gelernt haben: die sinnliche Wahrnehmung. Nur dieser, nicht aber auch dem Vorstellen in weiterem Sinne, dem "Denken", sind jene außersinnlichen Gegenstände unzugänglich, so gewiß wir uns von ihnen einen an sich vollkommen widerspruchslosen Begriff zu bilden vermögen. - Das allein ist der Sinn des HUMEschen Wortes von der Absurdität einer Vorstellung außersinnlicher Gegenstände. Dieser Sinn spricht auch aus einer ganzen Reihe unzweideutiger Äußerungen der Philosophen. Oder sollte der schon einmal erwähnte Ausspruch von den äußeren Objekten, die "uns nur durch die Perzeptionen, die sie veranlassen, (occasion) bekannt sind", (5) in einem anderen, als einem phänomenalistischen Sinn verstanden werden können? Wie deuen diejenigen, welche HUMEs Lehre als eine "Auflösung des Wirklichen in psychologischen Schein" charakterisieren wollen, solche und ähnliche Sätze? Mit einer jeden Zweifel ausschließenden Bestimmtheit spricht der Philosoph doch auch von den Dingen, die unsere Sinne in bestimmter Weise "affizieren" (affect the senses), (6) ja geradezu von den "sinnlichen Erscheinungsweisen der Gegenstände" (7) (the appearances of objects to our senses). Das sind nicht bedeutungslose "Rückfälle in die gewöhnliche Redeweise", wie ein bekannter HUME-Forscher meint, (8) sondern wichtige prinzipielle Zeugnisse für den wirklichen erkenntnistheoretischen Standpunkt HUMEs. 3. Man hat gelegentlich im HUMEschen Satz, daß die "Vorstellung der Existenz genau dieselbe sein müsse, wie die Vorstellung dessen, was wir uns als existierend vergegenwärtigen" (9), da "wir keine Eindrücke und keine Vorstellungen irgendwelcher Art in unserem Bewußtsein oder in unserer Erinnerung haben, die nicht von uns als existierend vorgestellt würden", ein Verhalten, dem auch "die vollkommenste Vorstellung und die vollkommenste Gewißheit des Seins, die wir haben, entstamme" - eine Stellungnahme HUMEs gegen die Lehre von der Existenz außersinnlicher Gegenstände und für das BERKELEYsche esse = percipi [sein = wahrnehmen - wp]erblicken wollen. Das eine ist aber geradesowenig der Fall, wie das andere. Denn augenscheinlich behandelt jener Satz gar nicht die Frage nach der Existenz der Dinge, auf welche es in diesem Zusammenhang doch allein ankäme, sondern lediglich das Problem des Ursprungs und der Eigenart unserer Existenzvorstellung. Dabei können wir den Vorstellungsbegiff in weiterem oder engerem Sinne interpretieren. Im ersteren Fall enthielte jener Satz, auch wenn er an sich richtig wäre, nicht mehr, als das, daß wir auch mit der Vorstellung außersinnlicher Gegenstände stets die der Existenz verbinden müßten; und im zweiten würden wir lediglich die unlösliche Verbindung beziehungsweise Identität der Existenzvorstellung mit unseren sinnlichen Wahrnehmungen oder Wahrnehmungsideen behauptet, in keinem aber etwas über die reale Existenz der Gegenstände selbst ausgesagt haben. Wer aus dem oben angeführten Satz HUMEs, auf die Übereinstimmung des Philosophen mit der sensualistischen Gleichung BERKELEYs folgern wollte, müßte daher früher noch eine wesentliche Bedingung erfüllen. Er hätte nachzuweisen, daß aus der Eigenart des Ursprungs unserer Existenzvorstellung respektive unseres Glaubens an die reale Existenz der Dinge irgendetwas für das Dasein oder Nichtdasein der Gegenstände selbst folge. Aber auch mit diesem sicherlich schwer zu erbringenden Nachweis wäre dem Geist und der Tendenz der HUMEschen Untersuchung kein Dienst erwiesen. Denn die Beantwortung der Frage nach der realen Existenz der Dinge liegt, wie schon mehrfach hervorgehoben wurde, ganz außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung. Was sie anstrebt, ist lediglich eine erschöpfende Kritik des Erkenntniswertes unserer Überzeugung von der beharrlichen Existenz der Dinge und die Fixierung von Art und Grenzen der Erkenntnis, die von den real existierenden Dingen überhaupt erlangen können. Es ist daher nicht nur kein Widerspruch oder ein "Rückfall in die gewöhnliche Redeweis", wenn HUME (10) nach einer anscheinend streng positivistischen Erörterung über das Zusammenfallen der Existenzvorstellung mit unseren Perzeptionen plötzlich von Dingen als den Veranlassern dieser Perzeptionen spricht. Es ist dies vielmehr die Konsequenz seines empiristischen Phänomenalismus, der sich der realen Existenz der Außendinge und der Grenzen ihrer möglichen Erkenntnis gleichermaßen bewußt ist. Natürlich verträgt sich die dargelegte Differenz zwischen den erkenntnistheoretischen Grundanschauungen HUMEs und BERKELEYs mit mannigfacher Übereinstimmung in anderer Richtung. So ist HUME Nominalist wie BERKELEY. Auch er leugnet die Existenz der Begriffe als Allgemeinvorstellungen. "Alles in der Natur" - so verkündet der Philosoph "als einen in der Philosophie allgemein angenommenen Grundsatz" - sei individuell" (11) und "als eine der größten und schätzenswertesten Entdeckungen im Reich der Wissenschaften" preist er die Einsicht, daß unsere Begriffe, als durch die Eigenart der sprachlichen Ausdrucksmittel in ihrer Bedeutung modifizierte Vorstellungen individuellen Charakters aufzufassen seien. (12) "Wenn wir einen allgemeinen Ausdruck gebrauchen" - sagt HUME - "stellen wir uns in jedem Fall Einzeldinge vor" als "Stellvertreter derjenigen, "welche wir nicht ausdrücklich vorstellen." (13) Begriffe sind Einzelvorstellungen, sofern diese andere Einzelvorstellungen "repräsentieren". Die "gewohnheitsmäßige Tendenz", welche die durch ein Wort hervorgerufene Einzelvorstellung im Gefolge hat, weckt eben eine andere Einzelvorstellung, wie wir sie gerade brauchen mögen." (14) Von der Anschauung aber, welche Körper Wahrnehmungskomplexen oder Dinge "Gedankensymbolen" für eine Gruppe von Empfindungen gleichsetzt, ist HUME - wie wir schon früher begründet haben - weit entfernt. Der Philosoph, der unablässig die "Unvorstellbarkeit" der Dinge betont, oder, wie er zur Charakterisierung der metaphysischen Natur des Problems zu sagen pflegt, der "Substanz" kann nicht als einer Schule angehörig betrachtet werden, welche die Dinge für eine Art von Vorstellungen erklärt. Dinge können für ihn durch Vorstellungen höchstens symbolisiert, niemals aber mit diesen identifiziert werden. Eine Verknüpfung von Eindrücken als den Erscheinungen der Dinge kann den Bewußtseinswert eines Dinges erlangen, ohne dessen Realitätswert zu besitzen. Auch HUME spricht von einem "Zusammen" bestimmt gearteter Eigenschaften und einfacher Vorstellungen. (15) Nie aber ist dieses "Zusammen" für ihn, wie etwa für BERKELEY oder für MACH ein Ding. Es ist nur das Symbol des an sich unvorstellbaren Dinges in unserem Bewußtsein, oder - wie HUME es nicht ganz unzweideutig ausspricht - unsere einzige "Vorstellung" einer Substanz als des Wesens der Dinge. (16) 4. HUME steht an diesem entscheidenden Punkt seiner Lehre der modernsten empiristischen Metaphysik, die sich so gern ihrer Übereinstmmung mit ihm zu rühmen pflegt, nicht näher als der alten rationalistischen. Der Dogmatiker, der die Wahrnehmbarkeit beziehungsweise Begreiflichkeit der Dinge zum Maß ihrer Wirklichkeit macht, ist vom kritischen Denker, der an der Unerkennbarkeit nicht wahrnehmbarer Dinge festhält, ohne doch die Bedingungen des Erkennens zum Kriterium des Seins zu machen, durch eine tiefe Kluft geschieden. Denn der dogmatische Charakter des Dings der Empiristen bleibt trotz aller nominalistischen Geringschätzung, mit der sie es als "bloßen" Wahrnehmungskomplex betrachten, bestehen. Nicht ein sekundärer Wertmaßstab, wie das Verhältnis der "Dinge" zum Universalienproblem, sondern schon die Tatsache ihrer positiven Bestimmung allein entscheidet eben für die dogmatische Natur einer erkenntnistheoretischen Doktrin. - HUME also erkennt und analysiert nicht, gleich der rationalistischen und empiristischen Metaphysik, die Dinge oder die Substanz, sondern nur unsere "Vorstellung" von den Dingen. Und diese "Vorstellung", das "Symbol der Realität" im Bewußtsein sind geordnete, also von einem Formalprinzip beherrschte Erscheinungen der Dinge, oder, wie HUME sagt: "ein vom Geist geschaffenes Zusammen von Vorstellungen verschiedener, an sich selbständiger Qualitäten, die ein Objekt zusammensetzen und dabei eine konstante Verbindung miteinander zeigen." (17) Dem dogmatischen Streben, die Dinge ihrem Dasein und ihrer Beschaffenheit nach zu bestimmen, steht also das kritische Bewußtsein, sich auf eine Analyse ihrer Symbole beschränken zu müssen, gegenüber. Und HUME ist dieses kritische Bewußtsein eigen: an seine Lehre von der realen Existenz unmittelbar nicht vorstellbarer Außendinge knüpft sich folgerichtig die Lehre von der jene Realitäten im Bewußtsein symbolisierenden mittelbaren "Vorstellung" der Dinge. Was diese mittelbare Vorstellung der Dinge bei HUME ist, wurde schon festgestellt: sie ist das "Ding" der empiristischen Metaphysik, ein "Zusammen" von Eindrücken, ein Komplex von Wahrnehmungen. Diese Übereinstimmung zwischen HUME und dem metaphysischen Empirismus sollte freilich den konsequente Vertretern des letzteren, da doch für sie die Unterscheidung zwischen Dingen und deren "Vorstellungen" im Bewußtsein unmöglich ist, als eine äußerliche und nebensächlichhe, ja durchaus unverständliche erscheinen. - Dem Empirismus HUMEs setzt eben dessen Phänomenalismus Grenzen. Er muß vor den realen Dingen außerhalb aller Wahrnehmung innehalten, so gewiß diese Dinge nicht "klar und deutlich" erkannt, so gewiß sie nicht unmittelbar vorgestellt werden können. 5. Man wird dabei - wie wir nebenbei bemerken wollen - die Harmonie zwischen BERKELEY und den Vertretern des modernen Empiriokritizismus keineswegs überschätzen müssen, um ihre gemeinsame prinzipielle Differenz HUME gegenüber zu erkennen. So muß es z. B. MACH, den man wohl für den geistreichsten und populärsten Vertreter des Empiriokritizismus erklären darf, durchaus zugegeben werden, "daß derjenige gewiß von der richtigen Würdigung seiner Ansicht sehr weit entfernt ist, welcher dieselbe ... mit der BERKELEYschen identifiziert." (18) Ja, man wird bei genauerer Überlegung finen, daß MACH, ganz abgesehen von seiner naturgemäß ablehnenden Haltung gegenüber der spiritualistischen Metaphysik BERKELEYs, auch in den Prinzipienfragen seiner Erkenntnistheorie eine dem BERKELEYschen Idealismus geradezu entgegengesetzte Position einnimmt. Macht für diesen das metaphysische Dogma vom esse = percipi das Dasein der Welt ausschließlich vom psychologischen Subjekt abhängig, so bilden für MACH gerade subjektlose Vorstellungen - Elemente - Zentrum und Ausgangspunkt des erkenntnistheoretischen Raisonnements. Das "Ich" ist für BERKELEY alles, für MACH nichts, ein wesenloses Gedankensymbol für eine relativ beständige, d. h. "stärker zusammenhängende Gruppe von Elementen." (19) Nur bei der Frage nach der Existenz und Definition der Dinge begegnen und verbünden sich ihre metaphysischen Interessen unzweifelhaft zu gemeinsamer Opposition gegen HUME. Sie definieren die Dinge und leugnen implizit deren reale Existenz, die sich für beide im Vorgestelltwerden erschöpft. Damit aber verstoßen sie offenbar in doppelter Hinsicht gegen das von HUME vertretene Prinzip des Kritizismus, dessen einzige, aber unentbehrliche, ja geradezu konstitutive Voraussetzung die reale Existenz unvorstellbarer oder was für HUME dasselbe bedeutet, unerkennbarer Dinge bildet. Gerade das empiristische Element der kritischen Philosophie, die "Gegebenheit" des Inhaltes unserer Erfahrung und die Beschränkung unserer Erkenntnis von den Dingen auf ein gesetzmäßiges Verknüpfen dieses "Gegebenen" fordert und begründet zugleich jene metaphysische Voraussetzung. Sie läßt sich durch eine willkürliche Definition der Dinge - das Verfahren des Metaphysikers der reinen Erfahrung - geradesowenig beseitigen, wie durch den Versuch für die "Gegebenheit" des Erfahrungsinhaltes statt der Dinge eine unbewußte oder außerempirische Funktion des Subjekts verantwortlich zu machen. Denn genau besehen, müßte doch auch diese dieselbe metaphysische Valenz besitzen, wie die vorsinnlichen Dinge an sich. 1. Indem HUME die empiristische Definition des Dinges in phänomenalistischem Sinn verwertet, d. h. als eine Definition unserer Vorstellung vom Ding erkennt, befreit er die für die kritische Philosophie wertvollen Kräfte des dogmatischen Empirismus und fördert damit in engstem Anschluß an seinen großen Vorgänger LOCKE die Entwicklung des kritischen Fundamentalbegriffs vom Objekt der Erfahrung, des Gegenstandes von empirischer Realität. Als ein Gesetz der Verknüpfung sinnlicher Vorstellungen, welches deren objektive, d. h. allgemeingültiges oder notwendiges Verhältnis bestimmt, muß dieser empirische Gegenstand durch eine für jedes Bewußtsein gemeinsame und verbindliche Funktion des Subjekts, also durch die Einheitsform allen Denkens bestimmt sein. Nun ist unzweifelhaft, daß die ersten Ansätze zur Bildung dieses Begriffs der empiristischen Lehre entstammen. Denn das stärkste Motiv für die Annahme, daß sich das Subjekt seine Gegenstände durch die eigene produktive Betätigung schaffe, liefert unstreitig der Standpunkt des Empirismus. Vermöchte doch keine andere Annahme die Ohnmacht, mit welcher ein konsequenter Empirismus der Wirklichkeit gegenübersteht, zu bemänteln. Der Nominalismus, Dinge als selbstgeschaffene Gedankensymbole zu bezeichnen, ist das einzige Auskunftsmittel der empiristischen Dogmatik ihren theoretischen Standpunkt scheinbar aufrecht zu erhalten, ohne doch dabei gegen die elementarste Erfahrung, die sich von der Dingvorstellung unter keiner Bedingung zu emanzipieren vermag, zu verstoßen. Dieser Nominalismus der Empiristen ist mit anderen Worten ihr Tribut an den auch durch die "reinste" Erfahrung nicht zu beseitigenden Glauben an die empirische Wirklichkeit der Dinge, für dessen Berechtigung er, anstatt ihn der Tendenz seiner Urheber gemäß aufzuheben, vielmehr schon durch sein bloßes Vorhandensein einen indirekten Beweis liefert. Das nominalistische Auskunftsmittel des Empirismus kehrt sich also gegen dessen eigene und wesentlichste Absicht. Ja, es stellt den Empirismus, was nicht minder bedenklich erscheint, vor die seinem Prinzip so arg widersprechende Annahme einer doppelten, d. h. einer wirklichen und einer symbolischen Existenz der Wahrnehmungen, was, da beide Arten der Existenz bloß Bewußtseinsrealität haben, die Sachlage natürlich nur kompliziert. Daß dabei der Standpunkt des Nominalismus stets die verknüpfende Funktion des frei reflektierenen Subjekts voraussetzt und für den Empiriokritizismus, der - wie erwähnt - auch das "Ich" zu einem theoretisch gleichgültigen Symbol für eine stärker zusammenhängede Gruppe von Elementen degradiert, nur um den Preis der größten Inkonsequenz erreichbar ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Aber auch in den Systemen der an BERKELEY anknüpfenden Richtung des idealistischen Empirismus, bei welchem die letztgenannte Schwierigkeit nicht obwaltet, ist der Nominalismus, sofern er Dinge als ein Zusammen von Wahrnehmungen betrachtet, den ihm zugrunde liegenden Motiven nach ein fremder Körper, die unvermeidliche Konzession des Idealismus an den Realitätsglauben. 2. Sei dem aber wie auch immer, sicher ist, daß der dogmatische Empirismus trotz, ja wegen seiner rein passiven Grundtendenz das kräftigste Motiv zur Reflexion auf die Aktivität des Intellekts enthält und den Ausgangspunkt für eine neue Bestimmung des Verhältnisses zwischen Intellekt und den Gegenständen unserer Erfahrung bildet. Der Empirismus leugnet die reale Existenz der Dinge und produziert eine Scheinexistenz derselben, welche das Minimus der Bedingungen ausmacht, unter denen er sich mit der erfahrungsmäßigen Wirklichkeit abzufinden vermag. Nun fordert auch der Kritizismus, wie aus dem oben festgestellten Begriff der Erfahrung folgt, Aktivität des Intellekts. Allein, er fordert diese Aktivität nicht in Bezug auf die Dinge, was ja für denjenigen, der an ihrer Existenz festhält, sinnlos wäre, sondern in Bezug auf die Bewußtseinssymbole der Dinge, so gewiß diese Symbole als Bedingungen für die allgemeine Geltung der sinnlich gegebenen Erscheinungen von Dingen das Produkt der Beurteilung und Erkenntnis bilden. Und hier ist der Punkt, an welchem wir uns am leichtesten klar zu machen vermögen, wie HUME der Aktivitätsgedanken des empiristischen Nominalismus der kritischen Erkenntnistheorie dienstbar macht: auch er erkennt die Dinge der Erfahrung als ein von unserem Intellekt durch Einbildungskraft selbstgeschaffene Verknüpfung von Wahrnehmungen, welche uns von unerkennbaren Gegenständen geliefert werden, d. h. als durch die Aktivität des Intellekts gebildete Vorstellungssymbole für Dinge. Uns leitet bei dieser Feststellung - dies sei hier ausdrücklich bemerkt - nicht etwa der Gedanke einer Kontinuität in der Entwicklung der Wissenschaftslehre von metaphysischem Empirismus zu erkenntnistheoretischem Kritizismus. Eine solche besteht nicht, so gewiß kritische Philosophie einen Bruch mit den dogmatischen Prinzipien der empiristischen Tradition bedeutet. Der metaphysische Empirismus liefert nur das historische Material, an welchem der kritische Gedanke seine positiven Leistungen entfaltet. Und nur in diesem sehr bedingten Sinne hat es mit dem Ausspruch HAMANNs seine Richtigkeit: "Soviel ist gewiß, daß ohne BERKELEY kein HUME geworden wäre, wie ohne diese kein KANT. Es läuft doch alles zuletzt auf Überlieferung hinaus." (20) Eine sachliche Kontinuität in der Entwicklung des kritischen Gedankens besteht lediglich zwischen LOCKE, HUME und KANT - sofern wir von seinen weniger bedeutenden Vertretern absehen. Und hier hat KANT vollendet, was LOCKE begonnen und HUME fortgebildet hatte. 3. Denn der Satz, in welchem wir eben HUMEs Verdienst um die Verwertung der empiristischen Motive für die Zwecke der kritischen Erkenntnistheorie zusammenfaßten, bedarf gerade vom Standpunkt des entwickelten Kritizismus aus wesentlicher Ausgestaltung und Volleindung. Das Produkt der Aktivität des Intellekts muß, vermöge der Bedingungen, welche an die sinnlich bestimmten Symbole der Dinge tatsächlich gestellt werden, eine von jedem individuellen Dafürhalten unabhängige Geltung erlangen. Nicht Wahrnehmungen oder ein mögliches "Zusammen" von Wahrnehmungen sind das, was in unserem Bewußtsein das unerkennbare Ding vertritt, was wir daher als einen Gegenstand der Erfahrung bezeichnen, sondern die gedachte Abhängigkeit eines Wahrnehmungskomplexes von einem gedachten, daher in seiner Geltung auch nicht auf das erfahrende Individuum beschränkten Grund. Und nur, wo diese gedachte Abhängigkeit stattfindet, wo wir also die objektive Bedingtheit unserer Erlebnisse konstatieren, sprechen wir von einem sinnlich bestimmten oder empirischen Gegenstand. Was der Empirismus gegen diese Definition des Gegenstandes hauptsächlich einzuwenden pflegt, betrifft im wesentlichen den Begriff der Allgemeingültigkeit. Der Empirismus leugnet die Berechtigung dieses Begriffs, weil er ihn - und darin werden wir ihm durchaus recht geben - durch keine Erfahrung zu verifizieren vermag. Nur übersieht er den wahren Sinn dieses Begriffs. Diejenige Allgemeingültigkeit, von der hier die Rede ist, bedeutet nicht sowohl Geltung für alle, als vielmehr Geltung unabhängig von allen. Und diese allein ist es, welche wir, welche auch die energischsten Vertreter der "Theorie der reinen Erfahrung" von den Wahrnehmungen aussagen, sofern diese als Bestimmungen eines empirischen Gegenstandes betrachtet werden, wenn - mit anderen Worten - für sie ein objektiver Grund verantwortlich gemacht wird. Ja, auch die bloß individuelle Gültigkeit, oder der consensus omnium [der allgemeine Konsens - wp], mit welchem der Empirismus sich begnügen zu können erklärt, hat den Begriff der von jeder individuellen Zustimmung unabhängigen Geltung, die er implizit negiert, zu seiner notwendigen Voraussetzung und eine Erkenntnistheorie, die diesen Begriff zu eliminieren unternimmt, müßte vorher die Unabhängigkeit des Begriffs der Erkenntnis von dem der Wahrheit - natürlich ohne Appell an diese letztere - bewiesen haben. Objektivität und überindividuelle Geltung sind also Wechselbegriffe. Quelle und Bedingung aller Objektivität ist daher das Urteil. Allgemeingültige, d. h. auf einen Gegenstand der Erfahrung bezogene Wahrnehmungen sind beurteilte Erscheinungen von Dingen. Damit erst ist Richtung und Charakter jener Aktivität des Intellekts, welche aus den Erscheinungen der Dinge im Bewußtsein "Vorstellungen", oder Symbole der Dinge schafft, im kritischen Sinn bestimmt. Sie besteht in der für jedes denkende Wesen verbindlichen Urteilsfunktion, deren besondere Form von der Form der zu beurteilenden Erscheinung abhängt. Sie ist einer gleichzeitigen Mannigfaltigkeit gegenüber die der Substanz, so gewiß Abhängigkeit von einem (allgemeingültigen) Objekt Abhängigkeit von einem Beharrenden bedeutet. Wir erkennen also in einer Form des Bewußtseins die Bedingung für das objektive, d. h. von jedem besonderen Bewußtsein unabhängige Sein unserer Wahrnehmungen. Nur unter dieser Bedingung werden existierende, als Erscheinungen "gegebene" Dinge allgemeingültige, d. h. erkennbare Gegenstände der Erfahrung. Beharrlichkeit also ist nicht reale Existenz von Dingen, wir denken nur die Realität als beharrlich. Sie ist der Begriff, der für unser Bewußtsein "die Stelle des Gegenstandes vertritt." (21) 4. Fassen wir diesem Standpunkt gegenüber die Position HUMEs ins Auge. Der Philosoph erkennt die Substanz der Metaphysiker als eine Fiktion der Einbildungskraft, bestimmt den Widerspruch zu lösen, in welchen wir bei der Betrachtung eines jeden sich verändernden Gegenstandes geraten müssen. "Wenn wir den Gegenstand in seinen aufeinanderfolgenden Veränderungen stetig verfolgen" - heißt es bei HUME - "so veranlaßt uns das ungehemmte Fortgleiten der Vorstellungstätigkeit der Aufeinanderfolge Identität zuzuschreiben ... Wenn wir dagegen einen Zustand ins Auge fassen, in dem er sich befindet, nachdem er eine beträchtliche Veränderung erfahren hat, so geschieht der Fortschritt des Vorstellens sprungweise, wir gewinnen demgemäß die Vorstellung der Verschiedenheit. Um nun diese widerstreitenden Gedanken zu versöhnen, ist die Einbildung geneigt, etwas Unbekanntes und Unsichtbares zu erdichten, von dem sie annimmt, daß es sich in allen jenen Veränderungen gleichbleibt; dieses unfaßbare Etwas nennt sie Substanz." (22) Es ist dies offenbar dasselbe Unbekannte, das zur Überwindung des Gegensatzes zwischen den Bedürfnissen der Einbildungskraft und den Forderungen der Überlegung erdacht haben und - sofern wir nur den unbestreitbaren Wechsel der Wahrnehmungen zugestehen - auf den Antrieb eines übermächtigen Instinktes hin erdenken müssen: das beharrende, den Wahrnehmungen zugrunde liegende Ding. Die immerwährende Wiederholung der Vorstellung unserer Einbildungskraft von der zwischen den einzelnen Qualitäten und diesem erdachten Ding als Substanz bestehenden Verbindung nun erzeugt die gewohnheitsmäßige Nötigung, eine Abhängigkeit zwischen den einzelnen Qualitäten und deren Träger anzunehmen. Dieser Fiktion gegenüber erkennt aber - wie wir gesehen haben - HUME mit den "urteilsfähigsten Philosophen" die wahre Natur unserer Vorstellung vom Körper als ein vom Geist geschaffenes Zusammen von Qualitäten, welche - wie er sagt - "durch die Einbildungskraft vereinigt worden sind und einen besonderen Namen erhalten haben, durch welchen wir dieses Zusammen uns oder anderen ins Gedächtnis zurückrufen können." (23) Im "vereinigenden Prinzip" sieht der kritische Scharfsinn des Denkers die "Hauptsache" der Substanz- oder was dasselbe bedeutet, der Dingvorstellung. Warum aber entscheidet jener übermächtige physiologisch begründete Instinkt und der auf ihm beruhende "belief" nicht auch zugunsten des "urteilsfähigsten Philosophen"? Was veranlaßt den Intellekt - ähnlich, wie bei der Kausalvorstellung - zur "Gewohnheit", sich "eine Abhängigkeit der Qualitäten von einer Substanz einzubilden," da doch zweifellos auch das durch jenes "vereinigende Prinzip" geschaffene Zusammen von Qualitäten imstande ist, die durch unsere Natur geforderte Vorstellung der Identität und Beharrlichkeit zum Ausdruck zu bringen, gleichviel, innerhalb welcher Grenzen und unter welchen Voraussetzungen bei einem Komplex von Identität und Beharrlichkeit gesprochen werden kann? Die Antwort auf diese Frage ist naheliegend. Jenes "Zusammen" mag immerhin Identität und Beharrlichkeit ausdrücken; was es nicht ausdrückt, ist Abhängigkeit von einem Beharrlichen. Und gerade das ist, wie schon LOCKE erkannt hatte, im Begriff der Substanz enthalten, so gewiß dieser Begriff des logischen Grundes ist "angewendet auf eine gleichzeitige Mannigfaltigkeit von Eindrücken." (24) Und für diesen Inhalt des Substanzbegriffes entscheidet sich der belief, wenn er der Vorstellung der Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von einer Substanz vor der eines Zusammen von Qualitäten den Vorzug gibt. Er bringt zum Ausdruck, was in diesem "Zusammen" niemals enthalten sein kann: die Überzeugung von der objektiven Einheit der Verknüpfung jener Qualitäten. Die Berechtigung dieser Überzeugung nachzuweisen, d. h. zu zeigen, daß die Dinge als Gegenstände der Erfahrung, gleichviel, ob sie von einem empirischen Subjekt erfahren werden, oder nicht, Einheitsgesetzen unterworfen sein, d. h. allgemeine Geltung besitzen müssen, ist die erst durch KANT gelöste Aufgabe des kritischen Denkens. Es ist der Beweis, daß die von jedem besonderen Inhalt befreiten obersten Gesetze des Denkens die gesetzliche Form der Naturobjekt und besonderen Naturgesetze bilden. 5. Und nun kann über den Abstand der HUMEschen Aktivitätslehre von den erkenntnistheoretischen Grundsätzen KANTs auf der Wertskala des Kritizismus kein Zweifel mehr sein. HUME weiß, gleich seinem großen Nachfolger KANT, daß die Gegenstände unserer Erfahrung nicht die Dinge, sondern unsere Vorstellungen von den Dingen, er weiß, wie KANT, daß diese Vorstellungen Produkt der aktiven Betätigung des Intellekts sind. Was er KANT gegenüber verkennt und bei der Eigenart seines Erkenntnisbegriffes verkennen muß, ist nur die Natur dieser Betätigung: der aktive Intellekt ist für ihn nicht der denkende, sondern der imaginierende, denn Einbildungskraft und nicht Verstand schafft jenes Zusammen von Qualitäten, als welches wir seiner Ansicht nach die Dinge vorstellen. Aktivität bedeutet für ihn, zum Unterschied von KANT, nicht Voraussetzung für Objektivität. Eine über das individuelle Erleben hinausgehende Geltung, d. h. eine rationale Erkenntnis von den Bewußtseinssymbolen der Realitäten ist damit für HUME ausgeschlossen. Für ihn gibt es kein objektives Gesetz der Dinge als Erscheinungen, keine "objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden." (25) Die markanteste Erkenntnistatsache, das Dasein überindividuell gültiger Erfahrungsurteile, das sich besonders deutlich schon in der substantivischen Ausdrucksweise des naiven Menschen manifestiert, fällt aus diesem Grund ganz außerhalt des Bereichs seiner Erkenntnislehre und weil es HUME an einem Rechtsnachweis für den objektiven Gebrauch jenes verknüpfenden Prinzips gebricht, sinkt für ihn das höchste Problem der kritischen Erkenntnistheorie, das der Gegenständlichkeit beinahe zum Rang einer terminologischen Frage herab; es bedarf für ihn gar keiner besonderen Rechtfertigung, auch schon Einzelwahrnehmungen als Gegenstände der Erfahrung zu bezeichnen. Die Historiker der Philosophie pflegen die Identifizierung von Wahrnehmung und Gegenstand als für die HUMEsche Erkenntnislehre besonders charakteristisch hervorzuheben. Sie ist es auch unzweifelhaft, aber freilich nur - wie wir glauben - vom Gesichtspunkt ihrer eben skizzierten Voraussetzungen aus. Ohne Zusammenhang mit diesen in den Vordergrund der Betrachtung gestellt, beeinträchtigt die besondere Betonung dieses Punktes nicht allein in ungerechtfertigter Weise unsere Überzeugung von der Konsequenz des großen schottischen Denkers, sondern entrückt auch unserer Aufmerksamkeit gerade dasjenige Prinzip, welches neben der fundamentalen Frage nach dem Erkenntniswert der Erfahrung überhaupt, HUMEs historische Stellung im Rahmen der kritischen Philosophie recht eigentlich bestimmt: das Prinzip der Aktivität des Intellekts. Anders freilich steht es um die Verträglichkeit der Anschauung von der Wahrnehmung als dem Objekt der Erfahrung mit dem Prinzip des methodischen Empirismus überhaupt. Diese Schwierigkeit, das Widerspruchsvolle der Vorstellung einer Erkenntnis von Wahrnehmungen durch Wahrnehmungen brauchen wir an dieser Stelle wohl nur kurz zu berühren. Hier möchten wir uns lediglich auf eine Erörterung der systematischen Voraussetzung für die Identifizierung von Wahrnehmung und Gegenstand der Erfahrung durch HUME beschränken. Und diese Voraussetzung bildet, wie aus dem Vorangegangenen zu folgen scheint, der Mangel eines objektiv gültigen Prinzips der Verknüpfung. Wie wenig übrigens HUME auf den Grundsatz der Aktivität des Intellekts auch dort verzichtet, wo er von der Freiheit, bloße Wahrnehmungen als Gegenstände zu bezeichnen, den erkenntnistheoretisch wichtigsten Gebrauch macht, zeigt ein Blick auf seine Auffassung des Kausalverhältnisses. Wir überzeugen uns dabei, daß Wahrnehmungen auch hier, wo sie konsequent als "Gegenstände" bezeichnet werden, nur als Konstituentien der Erfahrung erkenntnistheoretische Bedeutung erlangen. Erfahrung aber besteht nach HUME in Folgerung von gegenwärtigen auf nicht gegenwärtige Wahrnehmungen und ist eine in der Aktivität der Einbildungskraft begründete synthetische Funktion des Intellekts. Ebensowenig tritt diese Aktivität bei der, unserem Problem näher stehenden Frage nach der Beharrung von Wahrnehmungsgegenständen in den Hintergrund. Wenigstens ist keines der Beispiele, die HUME zur Unterstützung der angeblichen Ansicht des "gewöhnlichen" Menschen von der Persistenz der Wahrnehmungsobjekte anführt, eine einzelne mit anderen nicht verknüpfte Wahrnehmung. Berge, Häuser, Bäume, "mein Tisch, meine Bücher und Papiere," die "zu meinem Zimmer hinführende Treppe", das im Ofen brennende Feuer sind im günstigsten Falle ebensoviele Beispiele für die Persistenz eines "Zusammen", nicht aber der Beharrung von einzelnen Wahrnehmungen. Die "Kohärenz" (26) von Wahrnehmungen ist - wie HUME ausdrücklich bemerkt - die Bedingung unseres naiven Glaubens an deren Beharrlichkeit. Bei der Beurteilung der historischen und sachlichen Eigenart der HUMEschen Erkenntnislehre wird also, unseres Erachtens, neben der bemerkenswerten Tatsache, daß HUME von seinem Standpunkt aus schon bloße Wahrnehmungen als Erfahrungsgegenstände bezeichnen darf, auch der dieser Gleichsetzung von Impressionen und Objekten zugrunde liegende Umstand besondere Beachtung verdienen, daß das synthetische Prinzip der Einbildungskraft, auf welches HUME sowohl unsere "Vorstellung" von den Dingen, als auch die Erfahrung, d. h. die Notwendigkeit der kausalen Sukzession zurückführt, einen objektiven Gebrauch nicht gestattet. Die Bedingungen, unter welchen ein solcher möglich ist, das Denken als das der Einbildungskraft übergeordnete, ihren Produkten gegenständliche Gültigkeit verleihende Prinzip der Synthesis war eben HUME noch unbekannt. Gerade hierin markiert sich aber, nicht weniger, als in der Identifizierung von Wahrnehmung und empirischem Gegenstand, sein Abstand vom "logischen" Kritizismus KANTs. Urteile, als "Handlungen, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objektes werden" (27) sind dem scharfsinnigen Denker noch fremd. 6. Allein, nicht bloß in der möglichen Gleichsetzung von Wahrnehmung und Erfahrungsobjekt äußern sich die Wirkungen der Eigenart von HUMEs synthetischem Prinzip. Die nur subjektive Geltung dieses Prinzips hintert den Philosophen auch, ein wichtiges Ergebnis der kritischen Erkenntnistheorie vorwegzunehmen: die Erkenntnis der Identität des Erfahrungs- und Gegenstandsproblems, d. h. der Einheit von Substanz- und Kausalsatz. Eine auf Logik gegründete Theorie der Erfahrung kann darüber nicht im Zweifel sein. Denn eine solche muß, sofern sie einmal im allgemeinen Kausalgesetz die synthetische, d. h. von Objekten gültige Gestalt des Satzes vom Grunde erkannt hat, im Substanzbegriff notwendig einen dem Kausalgesetz logisch übergeordneten Grundsatz erblicken, so gewiß jener Begriff die synthetische Form der Voraussetzung des Satzes vom Grunde, des logischen Prinzips der Identität darstellt. Eine Theorie des objektiven Geschehens ohne eine solche des objektiven Seins ist für sie unmöglich. Eine Veränderung gilt ihr nur dann als objektiv, sofern die Sukzession der Erscheinungen, worin sie besteht, eine kausale oder, sofern die Sukzession selber Wirkung einer Ursache ist; (28) und eine Sukzession ist kausal, sofern sie an einer Substanz vor sich geht. Objektive Veränderung ist - wie KANT es ausdrückt - "eine Art zu existieren, welche auf eine andere Art zu existieren eben desselben Gegenstandes erfolgt." (29) HUME ist der Befreier der Wissenschaft von der metaphysischen Kraftvorstellung. Er hat LOCKEs kritischer Analyse des Substzanzbegriffs die Kritik der Kraftvorstellung hinzugefügt und damit das Kausalproblem aus einem metaphysischen in ein erkenntnistheoretisches verwandelt: er hat die substantiale Auffassung der kausalen Notwendigkeit unter dem Bild der Kraft für alle Zeiten unmöglich gemacht. HUME eliminierte damit den metaphysischen Begriff der Notwendigkeit. Was er aber an dessen Stelle setzte, war nicht der Notwendigkeitsbegriff der Logik, dessen Geltung für Dinge dem scharfsinnigen Analytiker noch fremd war, sondern der Begriff der phsychophysiologischen Nötigung. Und darum ist seine Erfahrungstheorie der Aufgabe, die Objektivität der Aufeinanderfolge von Erscheinungen zu begründen nicht gewachsen. Eine solche Begründung aber - und die logische Erfahrungstheorie liefert sie - hat die Verbindung des kritischen Substanz und Kausalbegriffs zu ihrer Voraussetzung. Wenn HUME den Begriff einer durch die aktive Betätigung des Intellekts bedingten Allgemeingültigkeit der verknüpften Elemente, mithin den kritischen Begriff des Erfahrungsobjektes - wie wir gesehen haben - noch nicht konzipiert, mit anderen Worten den logischen Charakter jener Funktion noch nicht erfaßt hatte, so ist daran zweifellos auch seine Stellung zum GALILEIschen Begriff der Experimentalwissenschaft in hervorragender Weise beteiligt. Der an historischen und philologischen Fragen orientierte Geist des großen Denkers stand den methodologischen Problemen der Naturwissenschaft viel zu fern, seine Erkenntnistheorie war viel zu sehr vom Streben beherrscht, das Kausalproblem jedes metaphysischen Einschlags zu entledigen, als daß er die Aufgabe, die GALILEI dem Erkennen stellt in ihrer prinzipiellen Bedeutung hätte erfassen und auf eine erkenntnistheoretische Formel bringen können: "die Ersetzung einer im engeren Sinne des Wortes kausalen Erklärung durch die logisch-mathematische Begründung." (30) Gerade darin aber liegt die über HUMEs Position hinausgreifende Entwicklung des kritischen Denkens, so gewiß es den Rechtsnachweis für den objektiven Gebrauch der methodologischen Maximen GALILEIs, d. h. den Beweis für die logisch-mathematische Substruktion der Erfahrungswelt erbracht hat. Die überragende Bedeutung HUMEs für die Entwicklung des naturwissenschaftlichen Denkens bleibt dadurch aber unangetastet. Die Erinnerung an den Mann, der als Erster die Unmöglichkeit einer apriorischen Aussage über die ursächliche Verknüpfung von Erscheinungen scharf formuliert und die Kausalitätslehre von der drückenden Last metaphysischer Vorurteile befreit hatte, kann aus der Geschichte der Naturwissenschaft nicht getilgt werden.
1) ALOIS RIEHL, Der philosophische Kritizismus, Seite 154 2) Treatise, Seite 19f 3) WINDELBAND, Geschichte der Philosophie, 2. Auflage, Tübingen und Leipzig 1900, Seite 389 4) KÖNIG, Entwicklung des Kausalproblems von Cartesius bis Kant, 1884, Seite 14 5) Treatise, Seite 67 6) Treatise, Seite 58f 7) Treatise, Seite 638 8) PFLEIDERER, Empirismus und Skepsis, 1874, Seite 229 9) Treatise, Seite 66 10) Treatise, Seite 66 11) Treatise, Seite 18 12) Vgl. Treatise, Seite 120 13) Treatise, Seite 22 14) Treatise, Seite 20f 15) Treatise, Seite 16 16) Vgl. Treatise, Seite 16, sowie Treatise, Seite 219 17) Treatise, Seite 218. Man stoße sich nicht am Ausspruch von den "Qualitäten, die ein Objekt zusammensetzen". Denn HUME will damit ganz unzweifelhaft nicht Dinge, sondern unsere Vorstellung von Dingen definieren: our ideas of bodies. Vgl. auch Treatise, Seite 16: "The idea of a substance ... is nothing but a collection of simple ideas ..." 18) ERNST MACH, Analyse der Empfindungen, 3. Auflage, Jena 1902, Seite 275 19) ERNST MACH, a. a. O., Seite 22 20) HAMANNs Schriften VI, Seite 243f 21) ALOIS RIEHL, Philosophie der Gegenwart, Seite 56 22) Treatise, Seite 220 23) Treatise, Seite 16 24) ALOIS RIEHL, Der philosophische Kritizismus I, Seite 78 25) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Seite 145 26) Treatise, Seite 195 27) KANT, Anmerkung zur Vorrede der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (Rosenkrankz) V., Seite 315 28) Tag und Nacht 29) KANT, Kritik der reinen Vernunft (Vorländer), Seite 212 30) ALOIS RIEHL, Über den Begriff der Wissenschaft bei Galilei, Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1892, Seite 9 |