tb-1cr-4David HumeHumes KausalitätstheorieHume über den Glauben     
 
RICHARD HÖNIGSWALD
Über die Lehre Humes
[3/4]
I - II - III - IV - V - VI

"Die kritische Erfahrungstheorie eliminiert nun nicht allein den erkenntnistheoretischen Nominalisms durch die Entdeckung der logischen Apriorität gewisser Begriffe, sie beseitigt vor allem auch jedes Motiv für die Geringschätzung des Begriffs gegenüber der Einzeltatsache, indem sie mit der empiristischen Tradition, den Begriff als Gemeinvorstellunge zu definieren, bricht."

"Denn es ist eine unveräußerliche psychologische Tatsache und nur dem von der vollen empirischen Wirklichkeit abstrahierenden Empirismus verborgen, daß Wahrnehmungen überall nur als Bestimmungen allgemeingültiger Gegenstände auftreten."

"Streng genommen sind Wahrnehmungen nur durch eine  Abstraktion  zustande gekommene  Gegenstände." 

V.

1. HUME hat also - und das glauben wir ausdrücklich feststellen zu sollen - zwischen Form und Inhalt der Erfahrung prinzipiell deutlich unterschieden. Was er verkannte, war nur die  logische  Natur der aller Erfahrung zugrunde liegenden Synthesis.

Nicht, als ob ihm die erkenntnistheoretische Eigenart der logischen Funktion, die allgemeine Gültigkeit ihrer Produkte unbekannt gewesen wäre. Er kennt den objektiven Charakter, d. h. den positiven Erkenntniswert analytischer Urteile. Er kennt das Kriterium ihrer Wahrheit, den Satz des Widerspruchs, die "sicheren und untrüglichen Regeln" der "demonstrativen Erkenntnis." (1) Er kennt den strengen Begriff der rationalen Wahrheit, er kennt daher auch - und darin liegt ein wesentliches Merkmal seiner Wissenschaftslehre - die scharfe Grenze zwischen der "komparativen" [vergleichenden - wp] Allgemeingültigkeit des consensus omnium [der allgemeinen Übereinstimmung - wp] und der absoluten Allgemeingültigkeit von Begriffsurteilen. Die Lehre HUMEs hat nichts gemein mit dem, was ein modernes Schlagwort  Psychologismus  nennt.  Logik  geht für ihn nicht restlos auf in Psychologie, sie gilt ihm nicht - wie es ein moderner Erkenntnistheoretiker in einer für die Aussichtslosigkeit der psychologistischen Bestrebungen bezeichnenden Weise formuliert - als   "idealer  Grenzfall" einer "biologisch-organischen Erscheinung." (2) HUME kennt - und das verdient ganz besonders betont zu werden - den strengen Begriff des  logischen  Apriori, so gewiß er den analytischen Charakter von Begriffsurteilen erfaßt und als erster die fundamentale Frage nach dem Erkenntniswert der Erfahrung aufwirft, freilich, um sie aufgrund von Voraussetzungen, welche erst die Kritik KANTs aus dem Weg räumt, zu verneinen. HUME weiß sehr genau den Begriff der objektiven, analytischen Wahrheit von unserem subjektiven Überzeugungsgefühl, unserem Wissen  um  die Wahrheit mit all den verschiedenen Graden der Intensität desselben zu unterscheiden. Mit der größten begrifflichen Schärfe trennt er die "sicheren und untrüglichen Regeln der demonstrativen Wissenschaften" von der "geringen Sicherheit und Zuversichtlichkeit, mit der wir sie anwenden, oder - wie er sich einmal vielleicht etwas anschaulicher, wenn auch weniger treffend ausdrückt - unsere "Vernunft als eine Art von Ursache", deren "natürliche Wirkung die Wahrheit ist" von der "Unbeständigkeit in der Funktion unserer geistigen Kräfte", welche jene Wirkungen gelegentlich "vereiteln". (3)

2. Wenn trotzdem im Verlauf seiner Untersuchung gelegentlich das letztgenannte Moment in den Vordergrund rückt, so liegt das an der doppelten Tendenz dieser Untersuchung, neben Inhalt und Bedeutung überall auch den empirischen  Prozeß  der Erkenntnis zu analysieren. In dieser Dichotomie [Zweiteilung - wp] der Problemstellung tritt eben der Übergangscharakter der HUMEschen Erkenntnislehre in die Erscheinung. Knüpft HUME mit der Erörterung der Frage unserer  Fähigkeit  zur Erkenntnis an die Lehre seines großen Vorgängers LOCKE an, so steht er mit der deutlichen Besinnung auf den Unterschied des subjektiven vom objektiven Erkenntnisproblem schon völlig auf dem Standpunkt der kritischen Erfahrungstheorie KANTs. Gewiß muß diese fundamentale Trennung der Gesichtspunkte wesentlich dort erschwert sein, wo ein empirisches Vermögen - wie bei HUME - für die Bedingung der Erfahrung, beziehungsweise des Gegenstandes der Erfahrung gehalten wird. Allein, wer aufgrund der Anschauung HUMEs, daß die Erfahrung und deren Objekt, soweit dieses nicht schon die bloße Wahrnehmung selbst ist, als Produkt der Einbildungskraft zu betrachten ist, HUME als Vorläufer unserer heutigen "Psychologisten" betrachten wollte, verkennt unseres Erachtens die Situation. HUMEs Anschauung enthält die irrige Antwort auf eine richtige Frage. Nicht die aber sind in strengem Sinne Psychologisten, welche mit HUME die Frage, ob Erfahrung Erkenntnis sei, verneinen, sondern die, welche Erkenntnis aus Erfahrung herleiten möchten. Von diesen aber ist HUME durch die tiefe Kluft geschieden, welche den Begriff der objektiven Notwendigkeit von dem der empirischen Regelmäßigkeit trennt.

Die Antwort also und nicht die Fragestellung scheidet HUME von KANT. KANT hat nur den rationalen Erkenntniswert auch der Erfahrung und ihrer Gegenstände bewiesen, den HUME geleugnet hatte. Damit freilich wurde er zum Reformator der Erkenntnistheorie. Er hat den  logischen  Charakter des synthetischen Prinzips, das aus der Wahrnehmung von Veränderungen Erfahrung von Veränderungen macht, aus Erscheinungen von Dingen symbolische "Vorstellungen" von Dingen schafft, erkannt, mithin die Allgemeingültigkeit, d. h. die objektive Notwendigkeit dieser "Vorstellungen" von Dingen schafft, erkannt, mithin die Allgemeingültigkeit, d. h. die objektive Notwendigkeit dieser "Vorstellungen" und der Einheit von Erfahrungs- und Gegenstandsproblem dargetan. Er hat zum Unterschied von HUME in der Form des Denkens Gesetze für Dinge und deren Veränderungen erkannt. Er hat objektive, d. h. logische Kriterien für die Wahrheit auch der Erfahrung aufgewiesen. er ist daher Monist in höchstem Sinne, denn er hat  logisch  vereinigt, was HUME nur  biologisch  verknüpft hatte, Natur und Denken. Die kritische Erfahrungstheorie KANTs weiß nichts von einem "Bruch" zwischen empirischer und rationaler Gesetzlichkeit in der Natur - wie einer ihrer neueren Interpreten (4) dartun wollte. Denn sie kennt in der Natur gar keine andere Gesetzlichkeit, als die empirische, aber sie kennt sie nur als durch die Formen des denkenden Bewußtseins möglich. Nicht darin etwa besteht also der rationalistische Monismus KANTs, wie derjenige HEGELs, die Natur als realisiertes Denken zu betrachten, sondern im Beweis, daß die Dinge durch die Gesetze des Denkens zur "Natur" geformt werden müssen. Und das System dieser Gesetze des Denkens als Bedingungen der Natur und deren empirischer Gesetzlichkeit bildet den Inbegriff der "Transzendentalphilosophie".

HUME ist also der strenge Begriff des logischen Apriori so wenig unbekannt, wie KANT die Rolle der Einbildungskraft als Bedingung des Erfahrungsobjektes, ja selbst schon der einzelnen Wahrnehmung. Nur die Frage, wie etwas in logischem Sinn apriorisch sein, also das Merkmal von reinen Begriffsurteilen an sich tragen kann, ohne auf den Bereich der Begriffsvergütung beschränkt zu bleiben, wie es im strengen Sinn möglich ist, allgemeingültige Urteile synthetisch, d. h. über Dinge und nicht nur über Begriffe zu fällen, diese Frage hat HUME nicht gestellt. KANT erst hat sie aufgeworfen und mit dem Beweis beantwortet, daß die Form der analytischen Denkfunktion auch das Gesetz der Erfahrung der Dinge, mithin der Dinge in der Erfahrung bildet, (5) daß also die synthetische Funktion des Intellekts als Bedingung des Gegenstandes der Erfahrung imaginierend nur in Gemäßheit der Normen des Denken sein kann. Dinge der Erfahrung sind nach ihm durch Begriffe bestimmte Erscheinungen.

3. Der Nominalismus HUMEs, selbstgeschaffene Gedankensymbole als Gegenstände unserer Erfahrung zu bezeichnen, ist also, obwohl in ihm das kritische Prinzp von der erkenntnistheoretischen Aktivität des Intellekts deutlich zum Ausdruck kommt, zur Entwicklung des kantischen Begriffes vom Erfahrungsobjekt unvermögend. Denn das Formalprinzip, das jenen Nominalismus ermöglicht, besitzt nur  subjektive  Geltung. Es ist kein Zufall, daß HUME selbst gerade den  ökonomischen  Wert jenes "Zusammen" von Wahrnehmungen in den Vordergrund rückt. Der scharfe Analytiker erkennt eben, daß der ganze Wert der Verknüpfung von gleichzeitigen Wahrnehmungen durch die Einbildungskraft kein anderer sein kann, als der, diese Wahrnehmungen durch einen "besonderen  Namen  zu bezeichnen, damit wir sie uns oder anderen ins Gedächtnis zurückrufen können." (6) Ökonomie aber bildet so wenig ein konstitutives Prinzip der Natur, wie der Naturforschung. Gewiß ist sie eine nicht zu unterschätzenden Maxime der letzteren. Allein, wer wissenschaftliche Erkenntnis erschöpfend definiert zu haben glaubt, wenn er erklärt, ihre Aufgabe besteht darin "Erfahrung überflüssig zu machen" und das, "was man noch erst erfahren müßte, vorauszubestimmen" - so beschreibt der scharfsinnige LAMBERT den "ökonomischen Wert der physikalischen Forschung" schon im achtzehnten Jahrhundert (7) der verwechselt die Begriffe von Kenntnis und Erkenntnis. Das Wesen der Naturwissenschaft ist die Ermittlung der allgemeingültigen Beziehungen oder der Gesetze von Wahrnehmungstatsachen. Gesetze sind darum so wenig eine Summe von Wahrnehmungstatsachen, wie Dinge der Erfahrung ein "Zusammen" von Eindrücken. Jedes Gesetz ist vielmehr - wie RIEHL es mit prägnanter Kürze bestimmt - "ein Satz mit einem Wenn: zwei Massenpunkte würden sich genau nach dem Gesetz der Gravitation annähern,  wenn  sie allein in der Welt wären". (8) MACH verstößt so gegen den  Begriff  der Erkenntnis, wenn er erklärt: das "Gesetz habe nicht im Mindesten mehr sachlichen Wert, als die einzelnen Tatsachen zusammen." (9) Denn gerade Gesetze sind dasjenige, dem die "Tatsachen" ihren allfälligen "sachlichen" Wert verdanken.

4. Übrigens kann eine nominalistische Auffassung, welche nur in Einzelwahrnehmungen Realitäten sieht und die Symbole ihrer Verknüpfung, beziehungsweise den Begriff - dann auch Begriffe sind für sie lediglich "Repräsentanten" von Einzeltatsachen - als erkenntnistheoretisch gleichgültig beiseite schiebt, im Rahmen der Erkenntnislehre, welche die Bedingung für die Realität des Erfahrungsobjektes in einer nur durch Abstraktion lösbaren objektiv gültigen Verbindung von Wahrnehmungen und Begriffen erkennt, überhaupt keinen Platz finden. Die relative Wertlosigkeit des Begriffes, welche der Empirismus immer wieder betont, kann vom Standpunkt einer kritischen Erfahrungstheorie aus höchstens in methodologischer Hinsicht, d. h. für den  empirischen  Begriff - sei er nun Individual- oder Gattungsbegriff - zugestanden werden. Man kann nämlich den "sachlichen" Wert des Begriffs gegenüber dem der Einzeltatsache immerhin bezweifeln, sofern man die Bedeutung einer allgemeingültigen Darstellung dieser Einzeltatsache, die nur durch den empirischen Begriff möglich ist, d. h. jeder wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Verständigung überhaupt gering schätzt. Man kann aber die empiristische Behauptung von einer erkenntnistheoretischen Minderwertigkeit des Begriffes gegenüber der Einzeltatsache unmöglich gelten lassen, sofern man sich den unerläßlichen Anteil des begrifflichen Faktors an der Einzeltatsache selbst zu Bewußtsein bringt, d. h. auch die apriorischen Begriffe als logische Bedingungen der Einzeltatsache in Betracht zieht. Der empiristischen Geringschätzung des Begriffs überhaupt liegt zunächst unstreitig dessen Definition als  Gemeinbild  zugrunde. Es ist selbstverständlich, daß die empiristische Philosophie bei ihrem stark entwickelten Bedürfnis nach anschaulicher Klarheit das allgemeine und unbestimmte Bild, das "als Niederschlag zahlreicher Wahrnehmungen ähnlicher Objekte im Bewußtsein haften bleiben soll" (10) theoretisch geringer bewerten muß, als die sinnlich bestimmte klare Einzeltatsache. Natürlich fällt darum auch vom Standpunkt eines konsequenten Empirismus die Unterscheidung zwischen empirischen und apriorischen Begriffen, so gewiß ein verschwommenes Bild einer Tatsachenreihe nie als die Bedingung von Tatsachen wird angesehen werden können.

Die kritische Erfahrungstheorie eliminiert nun nicht allein den erkenntnistheoretischen Nominalisms durch die Entdeckung der logischen Apriorität gewisser Begriffe, sie beseitigt vor allem auch jedes Motiv für die Geringschätzung des Begriffs gegenüber der Einzeltatsache, indem sie mit der empiristischen Tradition, den Begriff als Gemeinvorstellunge zu definieren, bricht.

Denn sie verbindet die Vorstellung von der Allgemeinheit des Begriffs mit derjenigen seiner vollkommenen Bestimmtheit und erkennt jene der  Form,  diese dem  Inhalt  des Begriffes zugehörig. Nicht das Unvermögen der Einbildungskraft nämlich, "die Unterschiede in den Wahrnehmungen genau und in allen Einzelheiten zu wiederholen" (11), sondern das Vermögen des Denkens eine nur individuell gültige Vorstellung in allgemeingültiger Form auszudrücken liegt der Funktion der Begriffsbildung zugrunde. Wir  denken  mit anderen Worten im Begriff eine individuell gültige Vorstellung, sei es, daß wir sie einem durch Vorstellungen eines anderen Anschauungsgebietes bestimmten Objekt, bzw. einem synthetischen Urteil, sei es, daß wir sie einem allgemeingültigen, d. h. wahren Verhältnis von bloßen Begriffen gleichsetzen. Dabei supponieren wir die nur individuelle Geltung der im Begriff zu definierenden Vorstellung natürlich auch dort, wo sie an sich betrachtet schon allgemeingültig, d. h. selbst schon ein Begriff ist und wir verwandeln sie in eine allgemeingültige, indem wir sie definieren, d. h. uns eben von ihr einen Begriff bilden.

Es ist also klar, daß von der Allgemeingültigkeit einer anschaulichen Vorstellung in zweifachem Sinn gesprochen werden kann: sofern sie einerseits ein empirisches, von allen subjektiv-individuellen Bedingungen freies, substantiell gedachtes Objekt bestimmt, darauf  "bezogen"  wir und, sofern sie andererseits selbst mittels eines synthetischen Urteils bestimmt oder  definiert  wird. Eine Tonwahrnehmung wird allgemeingültig, sofern ich für sie nicht  mich,  sondern ein Objekt verantwortlich mache, oder, sofern ich sei durch ein synthetisches, d. h. von einem Objekt (etwa der schwingenden Luft) gültiges Urteil bestimme. In beiden Fällen aber untersteht sie dem Gesetz des apriorischen Begriffes. Im Hinblick darauf werden wir also sagen können: das Gesetz, welches der individuell gültigen Anschauung überindividuelle Gültigkeit verleiht, ohne doch die Anschauung im Bewußtsein vertreten zu können, ist der apriorische Begriff, er  konstituiert  das gegenständliche Verhältnis der Vorstellungselemente (12); - das (allgemeingültige) Gesetz hingegen, welches anschauliche Vorstellungen im Bewußtsein zu  ersetzen  vermag, ist der empirische Begriff, er  substituiert  die Vorstellungselemente durch ein gegenständliches Verhältnis.

5. Dem Empirismus sind diese Gesichtspunkte naturgemäß fremd, denn er verkennt vor allem den  logischen  Charakter des Begriffs, dessen "Freiheit von der Gewalt der Zeit". Er leugnet dabei nicht etwa seine Allgemeinheit, er deutet sie bloß als Unbestimmtheit: der Begriff wird für ihn zum verschwommenen Gemeinbild, zum wesenlosen "Inbegriff der übereinstimmenden Bestandteile" von "Erlebnissen". (13)

Nun kann freilich nicht geleugnet werden, daß die scharfsichtigeren Vertreter des Empirismus sich der Unhaltbarkeit dieser Situation bewußt sein. "Der Begriff" - sagt der schon mehrfach erwähnte geistreiche Physiker MACH - "ist dadurch rätselhaft, daß derselbe einerseits in logischer Beziehung als das  bestimmteste  psychische Gebilde erscheint, daß wir aber andererseits psychologisch, nach einem  anschaulichen  Inhalt suchend, nur ein sehr verschwommenes Bild antreffen." (14) Es ist hier nicht Ort auf die eigenartigen Beziehungen dieses Denkers zu Logik und Psychologie näher einzugehen. (15) Hier mag nur hervorgehoben sein, daß die originellen Anschauungen MACHs vom Begriff als einem  "Impuls  zu einer geläufigen  sinnlichen  Tätigkeit" (16) oder als das Bestreben, "in  einem  Bild zu vereinigen, was nur durch mehrere Ansichten gewonnen werden kann", (17) ebensoviele vergebliche Versuche sind, der Schwierigkeiten des Begriffsproblems mit Umgebung des Aprioritätsgedankens Herr zu werden.

Und auch HUME wird nicht ohne weiteres als Anhänger der empiristischen Gemeinbildungstheorie bezeichnet werden dürfen. Denn für ihn ist der Begriff - wie wir schon gesehen haben - eine scharf umschriebene Einzelvorstellung und nicht der verschwommene "Inbegriff der übereinstimmenden Bestandteile von Erlebnissen". Einzelvorstellung freilich, nur sofern diese andere Einzelvorstellungen "repräsentiert", sofern, mit anderen Worten ihr sprachliches Symbol das Symbol auch für andere Einzelvorstellungen bildet, welche dadurch mit den ersteren im Bewußtsein eng verknüpft werden können. - Die abstrakten Vorstellungen sind für HUME - wie JODL es ausdrückt - "nur der Art der Auffassung nach allgemeine." (18) Die Begriffslehre HUMEs charakterisiert sich also durch die überragende Bedeutung, die sie im psychischen Leben der Sprache einräumt, doer wie wir mit MEINONG sagen können, durch "das Außerachtlassen des Begriffsinhaltes und das Einführen der Ideenassoziation zur Ableitung der Erscheinungen des Begriffsumfanges." (19) - Es ist unzweifelhaft, daß die Schwierigkeiten der Gemeinbildungstheorie auch durch eine solche Anschauung nicht beseitigt, sondern nur verschoben werden. Denn an die Stelle der Allgemeinheit des Vorstellungsinhaltes tritt hier die durchaus wesenlose Vorstellung von einer Allgemeinheit des sprachlichen Ausdrucks. Gewiß ist die Sprache die unerläßliche Bedingung jeden Begriffs. "Ein Begriff ohne jedes sprachliche Zeichen könnte im Bewußtsein nicht festgehalten werden, er würde schon im Entstehen wieder verschwinden, nämlich durch die anschaulichen Vorstellungen verdrängt werden. Erst der ausgesprochene Begriff ist der vollendete Begriff und die Namensgebung ganz eigentlich die Begriffsschöpfung." (20) Aber auch  nur  in dieser ihrer organischen Verbindung mit dem Begriff besteht die theoretische Bedeutung der Sprache. Eine Allgemeinheit des sprachlichen Ausdrucks, wie sie im Gegensatz hierzu HUME fordert, ohne Beziehung auf die allgemeingültige Bedeutung einer Vorstellung, d. h. auf den Begriff, gibt es schlechterdings nicht. Die Bedingung, beziehungsweise der Träger dieser Allgemeingültigkeit aber ist - wie oben gezeigt werden konnte - immer der  apriorische  Begriff, die Bedingung zugleich für die Objektivität von "Einzeltatsachen" und Veränderungen selbst.

6. Der Empirismus freilich wird solchen Erwägungen gegenüber auf die Mehrdeutigkeit des Wortes "Einzeltatsache" verweisen und geltend machen, daß er darunter lediglich die in begrifflicher Hinsicht noch völlig unbestimmte  Wahrnehmung  verstehe, daß er also füglich auch eine  erkenntnistheoretische  Minderwertigkeit des Begriffs gegenüber der "Einzeltatsache" zu behaupten berechtigt sei. Allein, er vergißt, daß Erscheinungen, bzw. Wahrnehmungen  Vorstellungen  sind, d. h. selbst schon unter Denkbestimmungen stehen müssen, wenn sie als "Erlebnisse, die wir von anderen getrennt oder unterschieden empfinden" (21) mithin als Einheiten überhaupt erkannt werden sollen. Das Freisein der Erscheinung als solcher von begrifflichen Bestimmungen ist nur ein relatives, im Hinblick auf den Begriff des allgemeingültigen Gegenstandes der Erfahrung, dessen Bedingungen sie an sich noch nicht zu erfüllen vermag. Und nur in diesem relativen Sinn konnte sie früher auch von uns behauptet werden. Gerade in der Fähigkeit aber beurteilt und damit zu Bestimmungen eines Erfahrungsobjektes werden zu können, manifestiert sich die noch vor aller Beurteilung vorhandene Bestimmtheit des Wahrnehmungsinhaltes durch das Einheitsgesetz des Denkens. Die Bedingungen für die Möglichkeit der Verknüpfung des sinnlich "Gegebenen" im Begriff des Gegenstandes, sind dieselben, unter denen die zu verknüpfenden Elemente selber stehen müssen, um als solche überhaupt erfaßt zu werden, das Einheitsgesetz eines Bewußtseins überhaupt". Wahrnehmungen - als mögliche Bestimmungen empirischer Gegenstände müssen von vornherein durch Begriffe verknüpfbar, oder - um es so auszudrücke - von vornherein an der Form des Begriffes orientiert sein. Das Sinnliche, sofern es sinnlich ist, ist seiner Form nach "vernünftig", d. h. objektiver Erkenntnis zugänglich. "Die Dinge, die uns a posteriori (d. h. durch  empirische  Anschauung) gegeben werden mögen, müssen" - wie KANT sagt - "ebensowohl ein Verhältnis zum Verstand haben, d. h. eine  Art der Erscheinung, dadurch es möglich ist, von ihnen einen Begriff zu bekommen,  als ein Verhältnis zur Sinnlichkeit." Ja, durch ihr Verhältnis zum Verstand  gewinnen  sie erst ihr Verhältnis zur Sinnlichkeit. Das allgemeinste Gesetz der letzteren, die Bedingung unserer räumlich-zeitlichen Wahrnehmungen, die  Einheit  in Raum und Zeit sind selbst der Ausdruck der synthetischen Funktion des denkenden Bewußtseins. Diese ist die notwendige Bedingung der verknüpfenden Einheitsfunktion jener. Dinge überhaupt als Dinge der Erfahrung unterliegen also von vornherein der allgemeingültigen Einheitsfunktion des Bewußtseins. In der Einheit des Bewußtseins nicht verknüpfbare Erscheinungen bedeuten einen Widerspruch, sie wären Vorstellungen, welche dem obersten Gesetz allen Vorstellens entzogen sind. Die synthetische Einheit des Mannigfaltigen im Bewußtsein ist das höchste  objektive  Gesetz aller Erscheinungen. "Dinge, die mit der Einheitsfunktion des Denkens nicht übereinstimmen würden, könnten auch keine Gegenstände für ein Bewußtsein bilden; sie wären keine Gegenstände möglicher Erfahrung." (22)

Auf diesem Umstand beruht die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Vorstellung des absoluten Chaos. Gesetze deuten Ordnung und alle Anschauungen stehen als solche schon unter Gesetzen. Unsere Einbildungskraft müßte daher die Form jeder möglichen Erfahrung durchbrechen, sollte sie einer anschaulichen Vorstellung des absoluten Wirrsals fähig sein. Nur wer gelernt hat, schon in  "Tatsachen"  Probleme zu sehen, wird sich diese Erkenntnis zu eigen machen können, d. h. in den räumlich-zeitlichen Bestimmungen, also schon in der formalen Unterscheidbarkeit von Wahrnehmungen eine Manifestation des obersten Formgesetzes der Dinge als Erscheinungen, der verknüpfenden Funktion oder der Form des Denkens erblicken. Auch Wahrnehmungen als solche stehen also schon unter Denkbestimmungen und es gibt keinen Gesichtspunkt, unter welchem die erkenntnistheoretische Minderwertigkeit des Begriffes gegenüber der "Einzeltatsache" behauptet werden könnte.

7. Diese Aktivität des Intellekts als eine Bedingung der Verknüpfbarkeit, ja der  notwendigen  "Assoziabilität" der Dinge als Erscheinung, ist nicht allein einem dogmatischen, sie ist natürlich auch dem phänomenalistischen Empirismus HUMEs unbekannt. Der Intellekt schafft wohl auch bei HUME aus Wahrnehmungen Erfahrungsobjekte, d. h. Komplexe, aber er formt nicht schon Dinge zu Wahrnehmungen. Das Gesetz, nach welchem uns die Dinge "gegeben" sind, ist für ihn nicht auch das Gesetz, nach welchem "gegebene" Dinge zu Objekten der Erfahrung werden.

Die Einheitsform der bloßen Erscheinung, des von anderen trennbaren Erlebnisses, ist das erste Glied in der Kette der Bedingungen für den durch diese Erscheinungen bestimmten Begriff des Gegenstandes, für die "Möglichkeit" eines empirisch bestimmten, aber allgemeingültigen Objekts der Erfahrung, das unser Bewußtsein von der nur individuell gültigen Wahrnehmung in allen Fällen zu unterscheiden vermag. Denn es ist eine unveräußerliche psychologische Tatsache und nur dem von der vollen empirischen Wirklichkeit abstrahierenden Empirismus verborgen, daß Wahrnehmungen überall nur als Bestimmungen allgemeingültiger Gegenstände auftreten. Weder glaubt der naive Mensch - wie HUME will - an eine beharrliche, d. h. vom Beobachter unabhängige Existenz von Wahrnehmungen, noch setzen wir Beharrlichkeit erst voraus, um ähnliche Perzeptionen zu verknüpfen, wie es die bekannte Lösung des Kompromisses zwischen den unabweisbaren Forderungen der Einbildungskraft und den klaren Ansprüchen der Überlegung verlangt. Die Vorstellung einer Abhängigkeit der Wahrnehmung vom beharrlichen Gegenstand der Erfahrung ist vielmehr schon im Wirklichkeitsbewußtsein jeder einzelnen Wahrnehmung unmittelbar vorhanden. Nicht die Wahrnehmung halten wir dabei für beharrlich, aber wir verbinden jede Wahrnehmung  uno intuitu  [mit einem einzigen Blick - wp] mit der Vorstellung eines Beharrlichen, so gewiß schon die formalen Bestimmungselemente unserer Wahrnehmungen die Voraussetzungen für die Anwendung des Beharrlichkeitsbegriffs enthalten. Der Glaube an eine beharrliche Existenz von Wahrnehmungen besteht also in Wirklichkeit überhaupt nicht und der ganze von HUME so energis betonte Unterschiede zwischen dem "gewöhlichen" Beharrlichkeitsglauben und einem "philosophischen Standpunkt reduziert sich für uns im wesentliche darauf, daß der erstere von den Begriffen und Grundätzen, deren Berechtigung der letztere erst zu begründen verpflichtet ist, schon  vor  aller Begründung mit der Sicherheit eines "natürlichen Instinktes" Gebrauch macht. Der naive Mensch, der den unaufhaltsamen Fluß der Zeit kennt, hält ähnliche, selbst gleiche Wahrnehmungen niemals für numerisch identische, er bezieht jene bloß auf das numerisch-identisch gedachte, beharrliche  Objekte.  Der naive Mensch steht eben auf dem Standpunkt der philosophischen Anschauung unseres Denkers von der Beharrung der Dinge und dem Wechsel der Wahrnehmungen.

Und daraus erklärt sich auch die Leichtigkeit, mit welcher HUME selbst im Dienst seiner erkenntnstheoretischen Forschung des Stanpunkt des naiven Menschen mit dem Philosophie vertauscht. Warum er unter solchen Umständen den Satz von der Beharrung unserer Wahrnehmungen überhaupt aufstellt? Es is schwer über die Punkt eine wissenschaftlich begründbare Anschauung auszusprechen. Wahrscheinlich ist, daß den Philosophen bei der Aufstellung jenes Satzes - bewußt oder unbewußt - lediglich das Bedürfnis leitete, seinem Raisonnement, daß die Funktion der  Einbildungskraft  als Grundlage für den an das Dasein beharrlicher, von ihrem Wahrgenommenwerden unabhängig existierender Dinge in den Vordergrund rückt, einen geeigneten Angriffspunkt zu sichern.

8. Die "Beziehung" der Wahrnehmung auf einen beharrenden Gegenstand geht ihrer inhaltlichen Bestimmtheit durchaus parallel, sie ist und in  psychologischem  Sinne wenigstens mit der Wahrnehmung selber schon "gegegeben". Im Verlaufe der wirklichen psychologischen Entwicklung gehen die Erfahrungsurteile den Wahrnehmungsurteilen voran. Denn die Vorstellungen von beharrendem Objekt und Wahrnemung sind nicht in der Wirklichkeit des empirischen Bewußtseins, sondern nur in erkenntnistheoretischer Hinsicht, d. h. unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung einer Erkenntnisbedingung oder nach Maßgabe ihres Verhältnisses zum Begriff der allgemeingültigen Erkenntnis trennbar. Streng genommen sind daher Wahrnehmungen nur durch eine  Abstraktion  zustande gekommene "Gegenstände" und stehen als solche unter einer doppelten erkenntnistheoretischen Bedingung. Sie müssen als Vorstellungen nicht allein dem Einheitsgesetz des verknüpfenden Bewußtseins unterliegen, sie müssen auch - und darin ist die  empirische  Möglichkeit jener Abstraktion selber, mithin die tatsächliche Unterscheidung der Wahrnehmung vom allgemeingültigen Gegenstand der Erfahrung begründet - am Maßstab einer Erkenntnisnorm gemessen werden, welcher Wahrnehmungen und Gegenstandsbegriff in verschiedenem Grad genügen. Wenn wir also sagen, daß wir uns auch schon unseren Wahrnehmungen als "Gegenständen" gegenüberzustellen vermögen, so heißt das genau genommen nur: wir können uns Wahrnehmungen als Gegenstände  vorstellen  und wissen umd die bloß individuelle Gültigkeit solcher Gegenstände.

9. Eine kurze Untersuchung darüber nun, wie in der HUMEschen Philosophie die beiden Komponenten der psychologisch einheitlichen Erfahrung eines durch Wahrnehmungen bestimmten Gegenstandes zum Ausdruck kommen, in welchem Verhältnis hier die als Einheit von anderen abgrenzbare, inhaltlich bestimmte Wahrnehmung zum Begriff des Beharrenden steht, ist geeignet, die HUMEsche Realitätslehre von einer anderen, als der bisher betrachteten Seite aus zu beleuchten.

Die beharrlichen Gegenstände, die wir in keiner Weise zu erkennen, an deren Existenz wir aber unter keiner Bedingung zu zweifeln vermögen, erscheinen uns nach HUME als wechselnde Wahrnehmungen, welche die Aktivität unserer Einbildungskraft - nach Maßgabe der uns von den Erscheinungen selbst gebotenen Regelmäßigkeit zur "Vorstellung", beziehungsweise dem Repräsentanten der beharrlichen Gegenstände zusammenfaßt. Die Unbestimmtheit der realen Gegenstände ist also bei HUME eine bloß relative und unvollständige. Denn nicht die Erscheinungen eines schlechterdings unbekannten und durchaus "problematischen" Dinges an sich werden hier unter das Gesetz der synthetischen Form des kategorischen Urteils, d. h. den Substanzbegriff gebracht, sondern das Ding an sich selbst. Der Begriff der Beharrlichkeit ist hier nicht das Symbol der Realität und als solches das konstitutive Prinzip des durch Wahrnehmungen bestimmten Gegenstandes der Erfahrung, er wird hier zum konstitutiven Prinzip der  Realität.  - Die Begriffe von Geltung und Dasein werden verwechselt. Nicht bloß in der Erscheinung, in welcher allein uns unbekannte Gegenstände "gegeben" werden können, sondern auch vor und außerhalb jeglicher Erscheinung, d. h. unabhängig von einem Sinnenwesen sind nach HUME Dinge Substanzen.

Dieses Verfahren aber ist mehr, als der kritische Denker zu tun berechtigt ist, es ist die Verwendung eines Erkenntnisbegriffes der Erfahrung über die Grenzen jeder möglichen Erfahrung hinaus, mithin "dogmatisch" und der Satz von der Substantialität außersinnlicher Gegenstände ist ein metaphysischer.

Die Verschiedenheit der HUMEschen "Gegenstände", deren sinnliche Erscheinungsweisen unsere empirische Welt bilden von den "Dingen an sich" der kantischen Philosophie, eine Verschiedenheit, die im Verlauf unserer Erörterungen bisher zurückgetreten ist, wird damit offenkundig. Sie ist durch den Abstand markiert, der zwischen substantialen, wenn auch im übrigen unerkennbaren Gegenständen und dem Begriff des "denknotwendigen Grundes der Erscheinung", welcher "zugleich die Bestimmtheit des Daseins und die Unbestimmtheit unserer Erkenntnis der Dinge selbst" bedeutet, vorhanden ist. (23) - Gewiß können reine Begriffe auch auf Dinge als reine Verstandeswesen angewendet werden, sofern nämlich die in der Anschauung gebotenen Bedingungen für die Anwendung der Kategorien auf Gegenstände, mithin die Bedingungen der  Erkenntnis  fehlen. (24) Wir vermögen mit anderen Worten auch Dinge nach dem leeren Schema der Kategorien zu  denken.  Allein, dieser Gesichtspunkt kann bei Beurteilung des HUMEschen Dingbegriffes nicht maßgebend sein. Denn zunächst hatte HUME wohl den Unterschied zwischen den Begriffen einer Erkenntnis durch Wahrnehmungen und einer solchen durch Begriffe, nicht aber den zwischen dem Begriff der Erkenntnis überhaupt und dem eines von allen anschaulichen Elementen der Sinnlichkeit und Einbildung freien Denkens von Gegenständen mit hinreichender Schärfe konzipiert. Dann aber handelt es sich für ihn gar nicht um das Denken eines von jeder sinnlichen Bestimmtheit freien Dings. Seine substantial determinierten Gegenstände haben vielmehr auch die Aufgabe, den Wahrnehmungen den vom "belief" mit der Energie des Instinktes geforderten Rückhalt zu geben, den ihnen in Wahrheit nur der auf eine gleichzeitige Mannigfaltigkeit von Eindrücken angewandte Begriff des logischen Grundes zu verleihen vermag. Dinge an sich haben hier - kurz gesagt - neben ihrer Existenz als Erscheinungen eine dogmatische Sonderexistenz als Substanzen; Beharrlichkeits- und Existenzbegriff, Geltung und Dasein koinzidieren.

10. Einer Verwendung des Begriffs der Beharrlichkeit ist vom Standpunkt HUMEs, d. h. sofern dieser Begriff nur ein  subjektives  Bedürfnis befriedigen soll, allerdings keine objektiv gültige Grenze gesetzt. Wir bezweifeln daher aufgrund unserer Erörterungen auch nicht etwa die wissenschaftliche Konsequenz des großen schottischen Denkers; unsere Bemerkungen richten sich lediglich gegen die Stichhaltigkeit seiner Ergebnisse für den Standpunkt einer logischen Erfahrungstheorie. - Freilich, auch HUME bezeichnet die vom "belief" geforderte und von uns als dogmatisch erkannte Substanzvorstellung ausdrücklich als etwas durchaus imaginäres. Allein, das bedeutet für unseren Philosophen noch lange keine bedingungslose und praktische, sondern lediglich eine bedingungsweise, erkenntnismäßige und theoretische Ablehnung des dogmatischen Gebrauchs der Substanzvorstellung. Eine vom Gesichtspunkt der Überlegung unhaltbare Vorstellung wird - wie wir bei der Erörterung der Frage nach dem Wesen und der Eigenart der HUMEschen Skepsis dazulegen schon Gelegenheit hatten - vor dem Forum des aller Überlegung in Tatsachenfragen übergeordneten "belief" rehabilitiert. Die dogmatische Verwendung des Substanzbegriffs beruth auf der subjektiven Nötigung des Intellekts durch ein physiologisch begründetes Bedürfnis, dessen Forderungen ihrem allgemeinsten Inhalt nach mit den Ergebnissen einer objektiv-kritische Untersuchung - Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von einem Beharrlichen - übereinstimmen. Nur ist dieses Beharrliche für einen dogmatischen Gebrauch nicht ein numerisches Gesetz von Erscheinungen, sein Begriff mithin nicht ein  Formalbegriff,  sondern ein nach Inhalt und Form unbekanntes und unbestimmtes Etwas, "der dunkle Klumpen, den wir" - wie MACH es einmal treffend bezeichnet - zu unseren Wahrnehmungen "unwillkürlich hinzudenken." (25)

Wir wissen bereits, warum HUME, der mit dieser mystischen, schon von LOCKE endgültig beseitigten Vorstellung theoretisch längst gebrochen hatte, an dieser Stelle der Mithilfe des "belief" dennoch nicht entraten konnte. Er bedurfte eines zureichenden Grundes für die nicht zu umgehende Annahme eines Beharrenden, dessen Vorstellung schon mit der Wahrnehmung selbst verbunden ist, welches  durch  die Wahrnehmung als deren Gegenstand bestimmt wird. Die kritischen Voraussetzungen dieser Annahme aber, das schon in den Wahrnehmungen selbst wirkende Gesetz des  Denkens  war dem scharfsinnigen Analytiker der Erfahrung noch unbekannt.
LITERATUR - Richard Hönigswald, Über die Lehre Humes von der Realität der Außendinge, Eine erkenntnistheoretische Untersuchung, Halle/Saale 1904
    Anmerkungen
    1) Treatise, Seite 180
    2) ERNST MACH, Mechanik, 4. Auflage, Leipzig 1901, Seite 526
    3) Treatise, Seite 180
    4) Vgl. PAULSEN, Immanuel Kant, 2. und 3. Auflage, Stuttgart 1899, Seite 182
    5) Vgl. RIEHL, Philosophie der Gegenwart, Seite 114
    6) Treatise, Seite 16
    7) LAMBERT, Dianoiologie § 678
    8) ALOIS RIEHL, Philosophie der Gegenwart, Seite 245
    9) ERNST MACH, Geschichte und Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit, Prag 1872. Vgl. auch LIEBMANN, "Gedanken und Tatsachen", Bd. I, Straßburg 1899, Seite 176f
    10) RIEHL, Beiträge zur Logik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1892, Seite 6
    11) RIEHL, ebenda, Seite 6
    12) WILHELM WINDELBAND, System der Kategorien, Philosophische Abhandlungen zu Sigwarts 70. Geburtstag, Tübingen 1900, Seite 49
    13) WILHELM OSTWALD, Naturphilosophie, Leipzig 1902, Seite 17
    14) ERNST MACH, Wärmelehre, 2. Auflage, Leipzig 1900, Seite 419
    15) Vgl. meine Studie "Zur Kritik der Mach'schen Philosophie", Berlin 1903
    16) ERNST MACH, Analyse der Empfindungen, 3. Auflage, Jena 1902, Seite 245
    17) ERNST MACH, Wärmelehre, a. a. O. und "Ökonomische Natur der physikalischen Forschung", Wien 1882
    18) FRIEDRICH JODL, Leben und Philosophie David Humes, Halle 1872, Seite 34
    19) ALEXIUS MEINONG, Hume-Studien I, Wien 1877, Seite 47
    20) ALOIS RIEHL, a. a. O., Seite 4
    21) WILHELM OSTWALD, Naturphilosophie, Leipzig 1902, Seite 77
    22) ALOIS RIEHL, Philosophie der Gegenwart, Seite 126f
    23) ALOIS RIEHL, Philosophischer Kritizismus I, Seite 434f
    24) Vgl. RIEHL, ebenda, Seite 432
    25) ERNST MACH, Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, 2. Auflage, Leipzig 1897, Seite 225