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FRANZ von BRENTANO
Psychologie
vom empirischen Standpunkt

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"Nach der Behauptung von James Mill müssen für Vorstellen und Glauben oder, wie ich sagen würde, für Vorstellen und Urteilen, zwei verschiedene Urvermögen angenommen werden. Nach meiner Ausdrucksweise aber ist seine Lehre die, daß Vorstellen und Urteilen zwei völlig verschiedene Arten der Beziehung auf einen Inhalt, zwei grundverschiedene Weisen des Bewußtseins von einem Gegenstand sind."

"Kant hat bei seiner Kritik des ontologischen Gottesbeweises die treffende Bemerkung gemacht, in einem Existentialsatz, d. h. in einem Satz von der Formel A ist, sei das Sein kein reales Prädikat, d. h. ein Begriff von etwas, was zum Begriff eines Dings hinzukommen kann. Es ist, sagte er, bloß die Position eines Dings oder gewisser Bestimmungen ansich."

"Die bisherige Psychologie hat, man kann sagen, durchwegs die Erforschung der Gesetze der Entstehung der Urteile in ungebührlicher Weise vernachlässigt; und dies kam daher, weil man immer Vorstellen und Urteilen als Denken zu einer Klasse zusammenrechnete, und mit der Erforschung der Gesetze der Aufeinanderfolge der Vorstellungen auch für die Urteile das Wesentliche getan glaubte."

Siebentes Kapitel
Vorstellung und Urteil
zwei verschiedene Grundklassen

§ 1. Wenn wir sagen, Vorstellung und Urteil sind verschiedene Grundklassen psychischer Phänomene, so meinen wir damit nach dem zuvor Bemerkten, sie seien zwei gänzlich verschiedene Weisen des Bewußtseins von einem Gegenstand. Dabei leugnen wir nicht, daß alles Urteilen ein Vorstellen zur Voraussetzung hat. Wir behaupten vielmehr, daß jeder Gegenstand, der beurteilt wird, in einer doppelten Weise im Bewußtsein aufgenommen ist, als vorgestellt und als anerkannt oder geleugnet. So wäre dann das Verhältnis ähnlich dem, welches mit Recht, wie wir sahen, von der großen Mehrzahl der Philosophen, und von KANT nicht weniger als von ARISTOTELES, zwischen Vorstellen und Begehren angenommen wird. Nichts wird begehrt, was nicht vorgestellt wird; aber doch ist das Begehren eine zweite, ganz neue und eigentümliche Weise der Beziehung zum Objekt, eine zweite, ganz neue Art von Aufnahme desselben ins Bewußtsein. Nichts wird auch beurteilt, was nicht vorgestellt wird; aber wir behaupten, daß, indem der Gegenstand einer Vorstellung Gegenstand eines anerkennenden oder verwerfenden Urteils wird, das Bewußtsein in eine völlig neue Art von Beziehung zu ihm tritt. Er ist dann doppelt im Bewußtsein aufgenommen, als vorgestellt und als für wahr gehalten oder geleugnet, wie er, wenn sich die Begierde auf ihn richtet, als zugleich vorgestellt und begehrt ihm innewohnt.

Das sagen wir ist, was die innere Wahrnehmung die aufmerksame Betrachtung der Erscheinungen des Urteilens im Gedächtnis klar erkennen läßt.

§ 2. Freilich hat dies nicht verhindert, daß das wahre Verhältnis zwischen Vorstellen und Urteilen bis jetzt allgemein verkannt wurde, und ich muß deshalb darauf rechnen, daß ich, wenn ich auch nichts anderes sage, als was das Zeugnis der inneren Wahrnehmung unmittelbar bestätigt, mit meiner Aufstellung zunächst dem größten Mißtrauen begegne.

Aber wenn man nicht annehmen will, daß im Urteilen zum bloßen Vorstellen eine zweite, grundverschiedene Weise der Beziehung des Bewußtseins zum Gegenstand hinzutritt, so leugnet man doch nicht und kann nicht leugnen, daß irgendein Unterschied zwischen dem einen und anderen Zustand besteht. Vielleicht wird eine nähere Erwägung darüber, worin die Verschiedenheit des Urteilens, wenn sie nicht in unserer Weise aufgefaßt wird, eigentlich liegen mag, zur Annahme unserer Behauptung geneigter machen, indem sie zeigt, daß keine einigermaßen haltbare Antwort gegeben werden kann.

Käme im Urteilen nicht eine zweite und eigentümliche Weise der Beziehung zum Vorstellen hinzu; wäre also die Weise, wie der Gegenstand des Urteils im Bewußtsein ist, wesentlich dieselbe wie die, welche Gegenständen, insofern sie vorgestellt werden, zukommt: so könnte ihr Unterschied wohl nur gefunden werden entweder in einem Unterschied des Inhalts, d. h. in einem Unterschied zwischen den Gegenständen, auf welche sich Vorstellung und Urteil beziehen, oder in einem Unterschied der Vollkommenheit, mit welcher derselbe Inhalt beim bloßen Vorstellen und beim Urteilen von uns gedacht wird. Denn zwischen dem Denken, welches wir Vorstellen, und demjenigen, welches wir Urteilen nennen, besteht ja doch ein innerer Unterschied.

A. BAIN allerdings hatte den unglücklichen Gedanken, den Unterschied zwischen Vorstellen und Urteilen nicht in diesen Denktätigkeiten selbst, sondern in den daran geknüpften Folgen zu suchen. Weil wir dann, wenn wir etwas nicht bloß vorstellen, sondern auch für wahr halten, in besonderer Weise bei unserem Wollen und Handeln es maßgebend werden lassen, so meinte er, der Unterschied des für-wahr-Haltens vom bloßen Vorstellen besteht in nichts anderem als in diesem Einfluß auf den Willen. Das Vorstellen, welches einen solchen Einfluß ausübt, ist dadurch, daß es ihn ausübt, ein Glauben (belief). Ich nannte diese Theorie eine unglückliche. Und in der Tat, woher kommt es denn, daß das eine Vorstellen des Gegenstandes jenen Einfluß auf das Handeln hat, das andere aber nicht? - Das bloße Aufwerfen der Frage genügt, um das Versehen, dessen BAIN sich schuldig machte, deutlich zu zeigen. Die besonderen Folgen würden nicht sein, wenn sein, wenn nicht ein besonderer Grund dafür in der Beschaffenheit des Denkens gegeben wäre. Weit entfernt, daß der Unterschied in den Folgen die Annahme einer inneren Verschiedenheit zwischen der bloßen Vorstellung und dem Urteil entbehrlich macht, weist er vielmehr nachdrücklich auf eine solche innere Verschiedenheit hin. Von JOHN STUART MILL bekämpft (1), hat BAIN darum selbst die von ihm in seinem großen Werk über die Gemütsbewegungen und den Willen (2), so wie in den ersten Ausgaben seines "Kompendiums der Psychologie" vertretene Behauptung in einer Schlußbemerkung zu dessen dritter Auflage als irrig anerkannt und zurückgenommen (3).

In einen ähnlichen Fehler ist der ältere MILL (4) und in neuester Zeit wieder HERBERT SPENCER (5) gefallen. Diese beiden Philosophen sind der Meinung, das Vorstellen einer Vereinigung von zwei Merkmalen sei dann mit einem Glauben (belief) verbunden, wenn sich in einem Bewußtsein zwischen den beiden Merkmalen eine untrennbare Assoziation gebildet hat, d. h. wenn die Gewohnheit zwei Merkmale verbunden vorzustellen so stark geworden ist, daß die Vorstellung des einen Merkmals unausbleiblich und unwiderstehlich auch das andere ins Bewußtsein ruft und mit ihm verknüpft. In nichts Anderem als in einer solchen untrennbaren Assoziation, lehren sie, besteht das Glauben. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob wirklich in jedem Fall, in welchem eine gewisse Verbindung von Merkmalen für wahr gehalten wird, eine untrennbare Assoziation zwischen ihnen besteht, und ob wirklich in jedem Fall, in welchem eine solche Assoziation sich gebildet hat, die Verbindung für wahr gehalten wird. Angenommen vielmehr, beides ist richtig, so ist es doch leicht erkennbar, daß diese Bestimmung des Unterschiedes zwischen Urteil und Vorstellung nicht genügen kann, da, wenn der angegebene Unterschied allein zwischen dem Urteil und der betreffenden Vorstellung bestände, beide in sich selbst betrachtet ein völlig gleiches Denken sein würden. Die Gewohnheit zwei Merkmale vereinigt zu denken ist nicht selbst ein Denken oder die besondere Beschaffenheit eines Denkens, sondern eine Disposition, die sich einzig und allein in ihren Folgen offenbart. Und die Unmöglichkeit von zwei Merkmalen das eine ohne das andere zu denken, ist ebensowenig selbst ein Denken oder die besondere Beschaffenheit eines Denkens; sie ist nach Ansicht der genannten Philosophen vielmehr nur ein besonders hoher Grad jener Disposition. Wenn sich diese Disposition nur darin offenbart, daß die Verbindung von Merkmalen ausnahmslos, aber ganz in derselben Weise wie vor ihrer Erwerbung gedacht wird, so ist es klar, daß, wie wir sagten, zwischen dem Denken vorher, welches ein bloßes Vorstellen, und dem Denken nachher, welches ein Glauben sein soll, in sich selbst kein Unterschied besteht. Wenn sich die Disposition aber noch in anderer Weise von Einfluß zeigt, so daß nach ihrer Erwerbung das Denken der Verbindung der Verbindung modifiziert ist und eine neue, besondere Beschaffenheit erlangt hat, so muß man sagen, daß in dieser Beschaffenheit, nicht aber in einer inseparablen Assoziation aus welcher sie hervorgeht, der eigentliche Unterschied des für-wahr-Haltens vom bloßen Vorstellen anzuerkennen ist. Darum sagte ich, der Fehler von JAMES MILL und HERBERT SPENCER ist demjenigen von BAIN verwandt. Denn, wie BAIN eine Besonderheit der Folgen mit der inneren Besonder des für-wahr-Haltens verwechselte, so haben der ältere MILL und SPENCER etwas als Besonderheit dieser Weise des Denkens geltend gemacht, was sie nur etwa als Ursache seiner Besonderheit hätten bezeichnen dürfen.

§ 3. Soviel steht also fest, daß der Unterschied zwischen Vorstellen und Urteilen ein innerer Unterschied des einen Denkens vom anderen sein muß. Und wenn dies so gilt, was wir oben gesagt haben, daß nämlich, wer unsere Anschauung über das Urteilen bestreitet, die Verschiedenheit, die zwischen ihm und dem bloßen Vorstellen besteht, nur in einem von Beidem, entweder in einem Unterschied der gedachten Gegenstände, oder in einem Unterschied der Vollkommenheit, mit welcher sie gedacht werden, suchen kann. Ziehen wir von diesen zwei Ausnahmen zunächst die letztere in Erwägung.

Wo es sich um einen Unterschied der Vollkommenheit zweier psychischer Tätigkeiten handelt, die sowohl hinsichtlich der Weise ihrer Beziehung auf das Objekt als auch hinsichtlich des Inhalts, auf welchen sie sich beziehen, übereinstimmen, da kann wohl von nichts anderem als von einem Unterschied der Stärke des einen und anderen Aktes die Rede sein. Die Frage, die wir zu untersuchen haben, ist also keine andere als die, ob etwa darin die Besonderheit des Urteilens gegenüber dem Vorstellen besteht, daß beim Urteilen der Inhalt mit größerer Intensität gedacht, also das Vorstellen eines Objekts durch eine Zunahme seiner Intensität zum für-wahr-Halten gesteigert wird. Es leuchtet ein, daß eine solche Auffassung nicht richtig sein kann. Nach ihr wäre das Urteil eine stärkere Vorstellung, die Vorstellung ein schwächeres Urteil. Aber in Vorgestelltsein, wenn auch noch so klar und deutlich und lebendig, ist kein Beurteilt-sein, und ein mit noch so geringer Zuversicht gefälltes Urteil ist keine bloße Vorstellung. Allerdings mag es geschehen, daß einer etwas, was ihm mit fieberhafter Lebhaftigkeit in der Phantasie erscheint wie etwas, was er sieht, für wirklich nimmt, was er nicht tun würde, wenn es ihm in einem schwächeren Eindruck erschiene; aber wenn mit der größeren Stärke einer Vorstellung in gewissen Fällen ein für-wahr-Halten gegeben ist, so ist sie deshalb nicht selbst das für-wahr-Halten. Die Jllusion kann darum schwinden, während die Lebendigkeit der Vorstellung beharrt. Und in anderen Fällen hält man mit aller Zuversicht etwas für wahr, obwohl der Inhalt des Urteils nichts weniger als lebendig vorgestellt wird. Wie endlich sollte, wenn die Anerkennung eines Gegenstandes ein starkes Vorstellen wäre, die verneinende Verwerfung desselben gefaßt werden?

Gewiß wäre es unnütz, wollten wir uns länger mit der Bekämpfung der Hypothese aufhalten, bei welcher schon von vornherein nur Wenige geneigt sein werden, sie zu vertreten. Sehen wir vielmehr, ob es uns ebenso gelingen wird, den anderen Weg, auf welchem man mit einem größeren Schein unsere Annahme für vermeidlich halten könnte, als einen unmöglichen nachzuweisen.

§ 4. In der Tat geht eine sehr gewöhnliche Meinung dahin, daß das Urteilen in einem Verbinden oder Trennen besteht, welches sich im Bereich unseres Vorstellens vollzieht, und das bejahende Urteil und, in etwas modifizierter Art, auch das verneinende werden darum im Gegensatz zur bloßen Vorstellung sehr gewöhnlich als ein zusammengesetztes oder auch beziehendes Denken bezeichnet. So gefaßt würde das, was den Unterschied des Urteilens vom bloßen Vorstellen ausmacht, wirklich nichts anderes sein als ein Unterschied des Urteilsinhaltes vom Inhalt des bloß vorstellenden Denkens. Würde eine gewisse Art von Verbindung oder Beziehung zweier Merkmale gedacht, so wäre der Gedanke ein Urteil, während jeder Gedanke, der keine solche Beziehung zum Urteil hätte, eine bloße Vorstellung genannt werden müßte.

Aber auch diese Ansicht ist unhaltbar.

Nehmen wir an, es ist richtig, daß immer nur eine gewisse Art von Verbindung mehrerer Merkmale den Inhalt eines Urteils bildet, so wird dies die Urteile zwar von einigen, keineswegs aber von allen Vorstellungen unterscheiden. Denn offenbar kommt es vor, daß ein Denkakt, welcher nichts als ein bloßes Vorstellen ist, eine vollkommen ähnliche, ja eine völlig gleiche Zusammensetzung mehrerer Merkmale zum Inhalt hat, wie diejenige, welche in einem anderen Fall den Gegenstand eines Urteils bildet. Wenn ich sage: irgendein Baum ist grün, so bildet das Grün als Eigentümlichkeit mit einem Baum verbunden den Inhalt meines Urteils. Es könnte mich aber einer fragen: ist irgendein Baum rot? und ich, in der Pflanzenwelt nicht genugsam erfahren und uneingedenk der herbstlichen Farbe der Blätter, könnte mich jedes Urteils über die Frage enthalten. Aber dennoch würde ich die Frage verstehen und mir infolgedessen einen roten Baum vorstellen. Das Rot, ganz ähnlich wie zuvor das Grün als Eigentümlichkeit mit einem Baum verbunden, würde dann den Inhalt einer Vorstellung bilden, mit welcher kein Urteil gegeben wäre. Und hätte jemand nur Bäume mit roten und niemals einen mit grünen Blättern gesehen, so würde er vielleicht bei einer Frage über grüne Bäume nicht bloß eine ähnliche, sondern sogar dieselbe Verbindung von Merkmalen, die der Inhalt meines Urteils war, in einer bloßen Vorstellung erfassen.

Offenbar hatten JAMES MILL und HERBERT SPENCER dies erkannt, da sie bei der Bestimmung der Eigentümlichkeit des Urteils nicht wie die meisten Anderen dabei stehen bleiben, daß der Inhalt des Urteils eine gewisse Art von Verbindung vorgestellter Merkmale ist, sondern als eine weitere Bedingung hinzufügten, daß eine inseparable Assoziation zwischen denselben bestehen muß. Und auch BAIN hatte darum für nötig gehalten, noch eine besondere Bestimmung hinzuzufügen, nämlich den Einfluß des Denkens auf das Handeln. Der Fehler, den sie begingen, war nur der, daß sie nicht in der Angabe einer inneren Besonderheit des urteilenden Denkens, sondern in einem Unterschied von Dispositionen oder Folgen die Ergänzung suchten. Glücklicher war hier JOHN STUART MILL, der den besprochenen Punkt mit großem Nachdruck hervorhob und überhaupt mehr als irgendein anderer Philosoph einer richtigen Würdigung des Unterschieds zwischen Vorstellung und Urteil nahe gekommen ist.
    "Es ist", sagt er in seiner Logik, "ganz richtig, daß wir, wenn wir urteilen "Gold ist gelb", die Idee von Gold und die Idee von gelb haben, und daß beide Ideen in unserem Geist zusammengebracht werden müssen. Es ist aber klar, daß dies nur ein Teil von dem ist, was vorgeht; denn wir können zwei Ideen zusammenstellen, ohne daß ein Glauben stattfindet, wie wenn wir etwas, z. B. einen goldenen Berg, nur erdichten, oder wenn wir geradezu nicht glauben; denn sogar um nicht zu glauben, daß Mohammed ein Apostel Gottes war, müssen ir die Idee von Mohammed und die eines Apostels Gottes zusammenstellen. Zu bestimmen, was im Falle einer Zustimmung oder Leugnung außer dem Zusammenstellen zweier Ideen noch weiter vorgeht, ist eines der verwickeltsten metaphysischen Probleme." (6)
In seinen kritischen Noten zu JAMES MILLs "Analyse der Phänomene des menschlichen Geistes" geht er tiefer in die Sache ein. Er bekämpft im Kapitel über die Aussage (Prädikation) die Ansicht, welche in ihr in ähnlicher Weise den Ausdruck für eine gewisse Ordnung von Ideen wie im Namen den Ausdruck für eine einzelne Idee sehen wollte. Der charakteristische Unterschied zwischen einer Aussage und einer anderen Form des Sprechens, behauptet er seinerseits, sei vielmehr der, daß sie nicht bloß ein gewisses Objekt vor den Geist bringt, sondern daß sie etwas darüber behauptet, daß sie nicht bloß zur Vorstellung einer gewissen Ordnung von Ideen, sondern zum Glauben an sie anregt, indem sie anzeigt, daß diese Ordnung eine wirkliche Tatsache ist (7) . Wiederholt kommt er dabei darauf zurück, sowohl bei demselben (8) als bei späteren Kapiteln, wie beim Kapitel über das Gedächtnis, wo außer der Idee von einem Ding und der Idee davon, daß ich es gesehen, nebst anderem auch noch der Glaube, daß ich es gesehen habe, hinzukommen muß. (9) Besonders ausführlich handelt er aber in einer langen Anmerkung zum Kapitel "Belief" von der eigentümlichen Natur des Urteils gegenüber der bloßen Vorstellung. Er zeigt wiederum deutlich, daß es sich nicht in bloße Vorstellungen auflösen und durch eine bloße Zusammensetzung von Vorstellungen bilden läßt. Vielmehr, sagt er, müsse man jeden Versuch einer Ableitung der einen aus der anderen Erscheinung als etwas Unmögliches anerkennen und den Unterschied zwischen Vorstellung und Urteil als eine letzte und ursprüngliche Tatsache betrachten.
    "Kurzum", frägt er am Schluß einer längeren Erörterung, "was ist für unseren Geist der Unterschied zwischen dem Gedanken, es sei etwas wirklich, und der Vorstellung eines von der Einbildungskraft entworfenen Gemäldes? Ich gestehe, daß ich keinen Ausweg finde, auf dem man sich der Ansicht entziehen könnte, daß der Unterschied ein letzter und ursprünglicher ist." (10)
Wir sehen, JOHN STUART MILL erkennt hier einen Unterschied an, ähnlich dem welchen KANT und andere zwischen Denken und Gefühl geltend gemacht haben. In ihrer Sprache ausgedrückt, würde die Behauptung von MILL die sein, daß für Vorstellen und Glauben oder, wie wir sagen würden, für Vorstellen und Urteilen zwei verschiedene Urvermögen angenommen werden müssen. Nach meiner Ausdrucksweise aber ist seine Lehre die, daß Vorstellen und Urteilen zwei völlig verschiedene Arten der Beziehung auf einen Inhalt, zwei grundverschiedene Weisen des Bewußtseins von einem Gegenstand sind.

Also, wie gesagt, angenommen es findet bei jedem Urteil wirklich ein Verbinden oder Trennen vorgestellter Merkmale statt - und JOHN STUART MILL war in der Tat dieser Ansicht (11) -: so besteht hier doch nicht die wesentliche Eigentümlichkeit des urteilenden im Gegensatz zum bloß vorstellenden Denken. Eine solche Eigentümlichkeit des Inhalts würde die Urteile zwar von einigen, nicht aber schlechthin von allen Vorstellungen unterscheiden. Und sie würde darum die Annahme einer anderen und mehr charakteristischen Besonderheit, wie die, welche wir im Unterschied der Weise des Bewußtseins anerkennen, nicht entbehrlich machen.

§ 5. Aber noch mehr. Es ist nicht einmal richtig, daß bei allem Urteilen eine Verbindung oder Trennung vorgestellter Merkmale stattfindet. So wenig wie das Begehren oder Verabscheuen, so wenig ist auch das Anerkennen oder Verwerfen ausschließlich auf Zusammensetzungen oder Beziehungen gerichtet. Auch ein einzelnes Merkmal, das wir vorstellen, kann anerkannt oder verworfen werden.

Wenn wir sagen, "A ist" so ist dieser Satz nicht, wie Viele geglaubt haben und noch jetzt glauben, eine Prädikation, in welcher die Existenz als Prädikat mit A als Subjekt verbunden wird. Nicht die Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit "A", sondern "A" selbst ist der Gegenstand, den wir anerkennen. Ebenso wenn wir sagen, "A ist nicht", so ist dies keine Prädikation der Existenz von A in entgegengesetztem Sinn, keine Leugnung der Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit "A", sondern "A" ist der Gegenstand, den wir leugnen.

Damit dies recht deutlich wird, mache ich darauf aufmerksam, daß, wer ein Ganzes anerkennt, jeden einzelnen Teil des Ganzen einschließlich anerkennt. Wer immer daher eine Verbindung von Merkmalen anerkennt, erkennt einschließlich jedes einzelne Element der Verbindung an. Wer anerkennt, daß ein gelehrter Mann, d. h. die Verbindung eines Mannes mit dem Merkmal "Gelehrsamkeit" ist, erkennt einschließlich an, daß ein Mann ist. Wenn wir dies an auf das Urteil "A ist". Wäre dieses Urteil die Anerkennung der Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit "A", so würde darin einschließlich die Anerkennung jedes einzelnen Elementes der Verbindung, also auch die Anerkennung von A liegen. Wir kämen also an der Annahme einer einschließlichen einfachen Anerkennung von A nicht vorbei. Aber wodurch würde sich diese einfache Anerkennung von A von der Anerkennung der Verbindung von A mit dem Merkmal "Existenz", welche im Satz "A ist" ausgesprochen sein soll, unterscheiden? Offenbar in gar keiner Weise. Somit sehen wir, daß vielmehr die Anerkennung von A der wahre und volle Sinn des Satzes, also nichts anderes als A Gegenstand des Urteils ist.

Erwägen wir in derselben Weise den Satz "A ist nicht"; vielleicht wird seine Betrachtung die Wahrheit unserer Auffassung noch einleuchtender machen. Wenn derjenige, welcher ein Ganzes anerkennt, jeden Teil des Ganzen einschließlich anerkennt, so gilt doch nicht ebenso, daß derjenige, welcher ein Ganzes leugnet, jeden Teil des Ganzen einschließlich leugnet. Wer leugnet, daß es weiße und blaue Schwäne gibt, leugnet darum nicht einschließlich, daß es weiße Schwäne gibt. Und natürlich; da, wenn auch nur ein Teil falsch ist, das Ganze nicht wahr sein kann. Wer daher eine Verbindung von Merkmalen verwirft, verwirft dadurch keineswegs einschließlich jedes einzelne Merkmal, welches Element der Verbindung ist. Wer z. B. leugnet, daß es einen gelehrten Vogel, d. h. die Verbindung eines Vogels mit dem Merkmal "Gelehrsamkeit" gibt, leugnet damit nicht einschließlich, daß ein Vogel, oder daß Gelehrsamkeit in Wirklichkeit besteht. Machen wir auch hiervon auf unseren Fall Anwendung. Wäre das Urteil "A ist nicht" die Leugnung der Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit "A", so würde damit keineswes A selbst geleugnet sein. Das aber wird unmöglich Jemand behaupten. Vielmehr ist klar, daß nichts Anderes als eben dies der Sinn des Satzes ist. Somit ist auch nichts Anderes als A der Gegenstand dieses verwerfenden Urteils.

§ 6. Daß die Prädikation nicht zum Wesen eines jeden Urteils gehört, geht auch daraus recht deutlich hervor, daß jede Wahrnehmung zu den Urteilen zählt; ist sie ja eine Erkenntnis oder doch ein, wenn auch irrtümliches, für-wahr-Nehmen. Wir haben dies, daß wir von den verschiedenen Momenten des inneren Bewußtseins sprachen, schon berührt (12). Und es wird auch von solchen Denkern nicht geleugnet, welche dafür halten, daß jedes Urteilen in einem Verbinden von Subjekt und Prädikat besteht. So erkennt z. B. JOHN STUART MILL es ausdrücklich an, sowohl anderwärts als auch an der zuletzt von uns zitierten Stelle. Es liegt, fügt er hier bei, keine größere Schwierigkeit darin, so, wie er es getan hat, den Unterschied zwischen dem Anerkennen einer Realität und dem Vorstellen eines imaginären Gebildes für einen letzten und ursprünglichen zu halten, als darin, den Unterschied zwischen einer Sensation und einer Idee (13) für einen ursprünglichen zu erklären. Es scheint dieser kaum etwas Anderes als dieselbe Differenz unter einem veränderten Gesichtspunkt betrachtet (14). Nun dürfte es aber nicht leicht etwas geben, was offenbarer und unverkennbarer wäre, als daß eine Wahrnehmung nicht in der Verbindung eines Subjekt- und Prädikatbegriffes besteht, oder sich auf eine solche bezieht, daß vielmehr der Gegenstand einer inneren Wahrnehmung nichts anderes als ein psychisches Phänomen, der Gegenstand einer äußeren nichts Anderes als ein physisches Phänomen, Ton, Geruch oder dgl. ist. Also haben wir hier einen recht augenscheinlichen Beleg für die Wahrheit unserer Behauptung. Oder sollte einer auch hier noch Bedenken hegen? Sollte er, weil man nicht bloß sagt, man nimmt eine Farbe, einen Ton, man nimmt ein Sehen, ein Hören wahr, sondern auch, man nimmt wahr, daß ein Sehen, Hören existiert, sich zu dem Glauben verleiten lassen, auch die Wahrnehmung besteht in der Anerkennung der Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit dem betreffenden Phänomen? Mir scheint eine solche Verkennung offen liegender Tatsachen fast undenkbar. Doch aufs Neue und mit einer vorzüglichen Klarheit wird sich die Unhaltbarkeit einer solchen Meinung aus der Erörterung des Begriffs der Existenz ergeben. Manche waren der Ansicht, daß dieser Begriff nicht der Erfahrung entnommen sein kann. Wer werden darum bei der Untersuchung über die sogenannten angeborenen Ideen ihn in dieser Hinsicht zu prüfen haben. Und wir werden dann finden, daß er allerdings der Erfahrung, aber der inneren Erfahrung entstammt und nur im Hinblick auf das Urteil gewonnen wird. So wenig daher der Begriff des Urteils im ersten Urteil ein Prädikat sein konnte, so wenig konnte es der Begriff der Existenz. Und darum erkennt man auch auf diesem Weg, daß zumindest die erste Wahrnehmung, diejenige, welche im ersten psychischen Phänomen gegeben war, unmöglich in einer solchen Prädikation bestanden haben kann.

JOHN STUART MILL definiert in der letzten (achten) Ausgabe seiner Logik den Begriff Existenz in folgender Weise: Sein, sagt er, heißt soviel wie irgendwelche (gleichviel welche) Sinnesempfindungen oder sonstige Bewußtseinszustände erregen oder erregen können. (15) Obwohl ich diese Bestimmung nicht vollkommen billige, so würde doch auch sie genügen, um die Unmöglichkeit, daß bei der ersten Empfindung der Begriff der Existenz als Prädikat des Urteils benutzt werden konnte, recht anschaulich zu machen. Denn darin stimmt sie mit derjenigen, welche wir als dir richtige darzulegen hoffen, überein, daß sie erst im Hinblick auf psychische Tätigkeiten gewonnen werden kann, die in jenem Fall umgekehrt ihrerseits ihn voraussetzen und als einen schon gegebenen verwenden würden.

§ 7. Daß sich nicht jedes Urteil auf eine Verbindung vorgestellter Merkmale bezieht, und die Prädikation eines Begriffs von einem anderen nicht unumgänglich dazu gehört, ist eine Wahrheit, die zwar gewöhnlich, aber doch nicht ausnahmslos verkannt wurde. KANT hat bei seiner Kritik des ontologischen Gottesbeweises die treffende Bemerkung gemacht, in einem Existentialsatz, d. h. in einem Satz von der Formel "A ist", sei das Sein "kein reales Prädikat, d. h. ein Begriff von etwas, was zum Begriff eines Dings hinzukommen kann". "Es ist", sagte er, "bloß die Position eines Dings oder gewisser Bestimmungen ansich." Anstatt aber nun zu erklären, daß der Existentialsatz überhaupt kein kategorischer Satz ist, weder ein im kantischen Sinn analytischer, d. h. ein solcher, bei welchem das Prädikat im Subjekt eingeschlossen ist, noch ein synthetischer, bei welchem das Subjekt das Prädikat nicht in sich begreift (16), ließ KANT sich dazu verleiten, den Satz zu den synthetischen zu rechnen, indem er meinte, wie das "ist" der Kopula gewöhlich zwei Begriffe zueinander in Beziehung setzt, so setzt das "ist" im Existentialsatz "den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff". "Der Gegenstand", sagt er, "kommt zum meinem Begriff synthetisch hinzu". (17)

Dies war eine unklare und widerspruchsvolle Halbheit. HERBART machte ihr ein Ende, indem er die Existentialsätze deutlich als eine besondere Art von kategorischen Sätzen unterschied (18). Andere Philosophen, und nicht bloß seine zahlreichen Anhänger, sondern bis zu einem gewissen Maß auch solche, die, wie TRENDELENBURG, der Schule HERBARTs gewöhnlich polemisch entgegentreten, haben sich ihm in diesem Punkt angeschlossen (19).

Aber noch mehr. Wenn auch nicht alle Denker die von uns vertretene Auffassung des Existentialsatzes bereits als richtig anerkennen, so geben doch gegenwärtig alle ohne Ausnahme eine andere Wahrheit zu, aus welcher sich dieselbe mit größter Stringenz erschließen läßt. Auch diejenigen, welche die Natur des "ist" und "ist nicht" in einem Existentialsatz mißdeuten, beurteilen doch das "ist" und "ist nicht", welche als Kopula zu einem Subjekt und Prädikat hinzukommen, vollkommen richtig. Wenn sie glauben, daß das "ist" und "ist nicht" im Existentialsatz etwas für sich allein bezeichnet, daß es die Vorstellung des Prädikats "Existenz" zur Vorstellung des Subjekts hinzubringt, um beide miteinander zu verknüpfen: so erkennen sie dagegen hinsichtlich der Kopula an, daß sie, für sich allein genommen ohne alle Bedeutung, nur den Ausdruck von Vorstellungen zum Ausdruck eines anerkennenden oder verwerfenden Urteils ergänzt. Hören wir z. B. JOHN STUART MILL, der in der Auffassung des Existentialsatzes unser Gegner ist:
    "Ein Prädikat und ein Subjekt", sagt er, "sind alles, was nötig ist, um ein Urteil zu bilden. Da wir aber aus der bloßen Zusammenstellung zweier Namen nicht ersehen können, daß sie Prädikat und Subjekt sind, d. h. daß das eine vom anderer behauptet oder verneint werden soll, so muß ein Modus oder eine Form da sein, woraus sich das erkennen läßt, irgendein Zeichen, um eine Prädikation von jeder anderen Redeform zu unterscheiden ... Diese Funktion wird bei einer Affirmation gewöhnlich von dem Wort ist, bei einer Negation von ist nicht oder durch einen anderen Teil des Zeitwortes sein übernommen. Ein solches als Zeichen der Prädikation dienendes Wort wird Kopula genannt." (20)
Von diesem "ist" oder "ist nicht" der Kopula unterscheidet er dann ausdrücklich dasjenige, welches den Begriff der Existenz in seiner Bedeutung einschließt. Das ist die Lehre nicht allein von MILL, sondern man darf sagen von Allen, welche in der Auffassung des Existentialsatzes nicht mit uns übereinstimmen. Außer von Logikern findet man sie auch von Grammatikern und Lexikographen vertreten (21). Und wenn JOHN STUART MILL erst JAMES MILL diese Auffassung klar entwickeln läßt (22), so ist er sehr im Unrecht. Er hätte sie z. B. in der Logik von Port Royal schon ganz ebenso dargelegt finden können (23).

Wohlan denn, - es bedarf nicht mehr als dieses Zugeständnisses, welches unsere Gegner allgemein in Bezug auf die Kopula machen, um daraus mit Notwendigkeit zu folgern, daß auch dem "ist" und "ist nicht" des Existentialsatzes keine andere Funktion zugeschrieben werden kann. Denn auf das Deutlichste läßt sich zeigen, daß jeder kategorische Satz ohne irgendeine Änderung des Sinnes in einen Existentialsatz übersetzt werden kann, und daß dann das "ist" und "ist nicht" des Existentialsatzes an die Stelle der Kopula tritt.

Ich will dies an einigen Beispielen nachweisen.

Der kategorische Satz "irgenein Mensch ist krank" hat denselben Sinn wie der Existentialsatz "ein kranker Mensch ist" oder "es gibt einen kranken Menschen".

Der kategorische Satz "kein Stein ist lebendig" hat denselben Sinn wie der Existentialsatz "ein lebendiger Stein ist nicht" oder "es gibt keinen lebendigen Stein".

Der kategorische Satz "alle Menschen sind sterblich" hat denselben Sinn wie der Existentialsatz "ein unsterblicher Mensch ist nicht" oder "es gibt keinen unsterblichen Menschen" (24).

Der kategorische Satz "irgendein Mensch ist nicht gelehrt" hat denselben Sinn wie der Existentialsatz "ein ungelehrter Mensch ist" oder "es gibt einen ungelehrten Menschen".

Da in den vier Beispielen, die ich wählte, die sämtlichen vier Klassen von kategorischen Urteilen, welche die Logiker zu unterscheiden pflegen (25), vertreten sind, so ist die Möglichkeit der sprachlichen Umwandlung der kategorischen Sätze in Existentialsätze dadurch allgemein erwiesen; und es ist deutlich, daß das "ist" und "ist nicht" des Existentialsatzes nichts als ein Äquivalent der Kopula, also kein Prädikat, und für sich allein genommen gänzlich bedeutungslos ist.

Doch ist die von mir gegebene Rückführung der vier kategorischen Sätze auf Existentialsätze auch wirklich richtig? Gerade von Seiten HERBARTs, den wir zuvor als Zeugen anriefen, würde sie vielleicht beanstandet werden. Denn seine Auffassung der kategorischen Sätze war von der meinigen völlig verschieden. Er glaubte, daß jeder kategorische Satz ein hypothetisches Urteil ausdrückt, daß das Prädikat nur unter einer gewissen Voraussetzung, nämlich unter der Voraussetzung der Existenz des Subjekts, demselben zu- oder abgesprochen wird. Gerade darauf gründete er seinen Beweisversuch, daß der Existentialsatz nicht als ein kategorischer Satz gefaßt werden darf (26). Nach uns dagegen entspricht der kategorische Satz einem Urteil, das man ebensogut in der existentialen Formel aussprechen kann, und die in Wahrheit affirmativen kategorischen Sätze enthalten einschließlich die Anerkennung des Subjekts (27). Allein, so sehr wir die Ansicht HERBARTs über das "Sein" des Existentialsatzes billigen, so wenig können wir uns mit seiner Deduktion derselben einverstanden erklären. Vielmehr scheint uns diese ein Beispiel, das in ausgezeichneter Weise die Bemerkung des ARISTOTELES bestätigt, daß irrige Prämissen zu einem richtigen Schlußsatz führen können. Es ist eine starke, ja unmögliche Zumutung, zu glauben, daß der Satz "irgendein Mensch geht spazieren" oder auch der oben angeführte "irgendein Mensch ist krank" die stillschweigende Voraussetzung "wenn es nämlich einen Menschen gibt" enthält. Und ebenso ist es nicht bloß richtig, sondern es hat auch nicht den mindesten Schein für sich, daß der Satz "irgendein Mensch ist nicht gelehrt" diese Voraussetzung macht. Bei dem Satz "kein Stein ist lebendig" wüßte ich gar nicht, was die Beschränkung "wenn es nämlich einen Stein gibt" für eine Bedeutung haben sollte. Wenn es keinen Stein gäbe, so wäre es ja sicher ebenso richtig, daß es keinen lebendigen Stein gibt, als jetzt, da Steine existieren. Nur bei dem Beispiel "alle Menschen sind sterblich", einem von den gewöhnlich sogenannten allgemein bejahenden Sätzen, hat es allerdings einen gewissen Schein, als ob eine beschränkende Bedingung darin enthalten ist. Er scheint die Verbindung von "Mensch" und "sterblich" zu behaupten. Diese Verbindung von Mensch und sterblich besteht offenbar nicht, wenn kein Mensch besteht. Und doch läßt sich aus dem Satz "alle Menschen sind sterblich" nicht die Existenz eines Menschen erschließen. Somit scheint er die Verbindung von Mensch und sterblich nur unter der Voraussetzung der Existenz eines Menschen zu behaupten. Doch ein Blick auf den diesem kategorischen Satz äquivalenten Existentialsatz löst die ganze Schwierigkeit. Er zeigt, daß der Satz in Wahrheit keine Bejahung, sondern eine Verneinung ist und darum gilt von ihm Ähnliches wie das, was wir soeben über den Satz "kein Stein ist lebendig" bemerkten.

Wenn ich übrigens die Lehre HERBARTs, daß alle kategorischen Sätze hypothetische Sätze sind, hier bekämpfte, so tat ich es nur, um meine oben gegebenen Übersetzungen in Existentialsätze im Einzelnen zu rechtfertigen, nicht aber, weil im Fall, daß HERBART Recht hätte, eine solche Rückführung unmöglich sein würde. Im Gegenteil gilt von den hypothetischen Sätzen dasselbe, was ich von den kategorischen sagte; auch sie lassen sich sämtlich in die existentiale Formel kleiden, und es ergibt sich dann, daß sie lauter verneinende Behauptungen sind. Ein Beispiel wird genügen, um zu zeigen, wie dasselbe Urteil ohne die geringste Veränderung sowohl in der Formel eines hypothetischen als in der eines kategorischen und eines Existentialsatzes ausgesprochen werden kann. Der Satz "wenn ein Mensch schlecht handelt, schädigt er sich selbst" ist ein hypothetischer Satz. Er ist aber dem Sinn nach derselbe wie der kategorische Satz "alle schlechthandelnden Menschen schädigen sich selbst". Und dieser wiederum hat keine andere Bedeutung als der Existentialsatz "ein sich selbst nicht schädigender schlechthandelnder Mensch ist nicht" oder, etwas gefälliger ausgedrückt, "es gibt keinen sich selbst schädigenden schlechthandelnden Menschen". Die schwerfällige Gestalt, die der Ausdruck des Urteils in der existentialen Formel erhält, macht es sehr begreiflich, warum die Sprache außer ihr auch andere syntaktische Einkleidungen erfunden hat, aber mehr als ein Unterschied sprachlichen Ausdrucks liegt in der Verschiedenheit der drei Sätze nicht vor, obwohl der berühmte Philosoph von Königsberg sich verleiten ließ, um derartiger Verschiedenheiten willen fundamentale Unterschiede der Urteile anzunehmen, und besondere apriorische Kategorien auf diese "Relation der Urteile" zu gründen.

Die Rückführbarkeit der kategorischen, ja die Rückführbarkeit aller Sätze, welche ein Urteil ausdrücken, auf Existentialsätze ist also zweifellos (28). Und dies dient in doppelter Weise die irrige Meinung derjenigen widerlegen, welche den wesentlichen Unterschied des Urteils von der Vorstellung darin finden wollten, daß es eine Verbindung von Merkmalen zum Inhalt hat. Einmal tritt bei der Rückführung des kategorischen auf den Existentialsatz das "Sein" des Existentialsatzes an die Stelle der Kopula und läßt so erkennen, daß es so wenig wie diese ein Prädikat enthält. Dann sieht man recht anschaulich, wie die Verbindung mehrerer Glieder, die man für die allgemeine und besondere Natur der Urteile so wesentlich glaubte, die Kombination von Subjekt und Prädikat, von Antezedens [Vorhergehendem - wp] und Konsequens [Nachfolgendem - wp] usw., in Wahrheit nichts anderes als eine Sache des sprachlichen Ausdrucks ist.

Hätte man dies von Anfang an erkannt, so wäre wohl Niemand auf den Gedanken gekommen, Vorstellungen und Urteile dadurch zu unterscheiden, daß der Inhalt der ersteren ein einfacher, der Inhalt der letzteren ein zusammengesetzter Gedanke ist. Denn in Wahrheit besteht hinsichtlich des Inhaltes nicht der geringste Unterschied. Der Bejahende, der Verneinende und der ungewiß Fragende haben denselben Gegenstand im Bewußtsein; der letzte, indem er ihn bloß vorstellt, die beiden ersten, indem sie ihn zugleich vorstellen und anerkennen oder verwerfen. Und jedes Objekt, das Inhalt einer Vorstellung ist, kann unter Umständen auch Inhalt eines Urteils werden.

§ 8. Überblicken wir noch einmal rasch den Gang unserer Untersuchung in seinen wesentlichsten Momenten. Wir sagten, wenn man nicht zugibt, daß zwischen Vorstellung und Urteil ein Unterschied wie zwischen Vorstellung und Begehren, d. h. ein Unterschied in der Weise der Beziehung zum Gegenstand besteht, so leugnet doch niemand, daß irgendein Unterschied zwischen beiden anerkannt werden muß. Ein bloß äußerer Unterschied, eine bloße Verschiedenheit in den Ursachen oder Folgen kann aber dieser Unterschied offenbar nicht sein. Vielmehr ist er, wenn man die Verschiedenheit der Beziehungsweisen ausschließt, nur in zweifacher Art denkbar; entweder als ein Unterschied in dem, was gedacht wird, oder als ein Unterschied der Intensität, mit welcher es gedacht wird. Wir prüften beide Hypothesen. Die zweite erwies sich sofort als hinfällig. Aber auch die erste, zu der man zunächst eher geneigt sein konnte, zeigte sich bei näherer Betrachtung als völlig unhaltbar. Wenn eine noch immer sehr gewöhnliche Meinung dahin geht, daß die Vorstellung auf einen einfacheren, das Urteil auf einen zusammengesetzteren Gegenstand, auf eine Verbindung oder Trennung geht, so wiesen wir dagegen nach, daß auch bloße Vorstellungen diese zusammengesetzteren Gegenstände, und andererseits auch Urteile jene einfacheren Gegenstände zum Inhalt haben. Wir zeigten, daß die Verbindung von Subjekt und Prädikat und andere derartige Kombinationen durchaus nicht zum Wesen des Urteils gehören. Wir begründeten dies durch eine Betrachtung des affirmativen wie negativen Existentialsatzes; wir bestätigten es durch den Hinweis auf unsere Wahrnehmungen und insbesondere unsere ersten Wahrnehmungen, und endlich durch die Rückführung der kategorischen, ja aller Arten von Aussagen auf Existentialsätze. So wenig also ein Unterschied der Intensität, so wenig kann ein Unterschied des Inhaltes es sein, was die Eigentümlichkeit des Urteils gegenüber der Vorstellung ausmacht. Somit bleibt nichts Anderes übrig als, wie wir es getan haben, die Eigentümlichkeit des Urteils als eine Besonderheit in der Beziehung auf den immanenten Gegenstand zu begreifen.

§ 9. Ich glaube, die eben beendete Erörterung ist eine kräftige Bestätigung unserer These; und zwar so, daß sie jeden Zweifel daran niederschlägt. Dennoch wollen wir wegen der fundamentalen Bedeutung der Frage den Unterschied von Vorstellung und Urteil nochmals und von einer anderen Seite her beleuchten. Denn nicht bloß die Unmöglichkeit sonstwie von ihm Rechenschaft zu geben, auch vieles Andere weist uns auf die Wahrheit hin, die nach unserer Behauptung unmittelbar in der inneren Erfahrung vorliegt.

Vergleichen wir zu diesem Zweck das Verhälntnis von Vorstellung und Urteil mit dem Verhältnis zwischen zwei Klassen von Phänomenen, deren tiefgreifende Verschiedenheit in der Beziehung zum Objekt außer Frage steht: nämlich mit dem Verhältnis zwischen Vorstellungen und Phänomenen von Liebe oder Hass. So sicher ist es, daß ein Gegenstand, der zugleich vorgestellt und geliebt oder zugleich vorgestellt und gehaßt wird, in zweifacher Weise intentional im Bewußtsein ist: so sicher gilt dasselbe auch in Bezug auf einen Gegenstand, den wir zugleich vorstellen und anerkennen, oder zugleich vorstellen und leugnen.

Alle Umstände sind hier und dort analog; alle zeigen, daß, wenn im einen, dann auch im andern Fall eine zweite, grundverschiedene Weise des Bewußtseins zur ersten hinzugekommen ist.

Betrachten wir dies im Einzelnen.

Zwischen Vorstellungen finden wir keine Gegensätze außer die der Objekte, die in ihnen aufgenommen sind. Insofern Warm und Kalt, Licht und Dunkel, hoher und tiefer Ton und dgl. Gegensätze bilden, können wir die Vorstellung des einen und des anderen entgegengesetzte nennen; und in einem anderen Sinn findet sich überhaupt auf dem ganzen Gebiet dieser Seelentätigkeiten kein Gegensatz.

Indem Liebe und Haß hinzutreten, tritt eine ganz andere Art von Gegensätzen auf. Ihr Gegensatz ist kein Gegensatz zwischen den Objekten, denn derselbe Gegenstand kann geliebt oder gehaßt werden: er ist ein Gegensatz zwischen den Beziehungen zum Objekt; gewiß ein deutliches Zeichen, daß wir es hier mit einer Klasse von Phänomenen zu tun haben, bei welchen der Charakter der Beziehung zum Objekt ein durchaus anderer als bei den Vorstellungen ist.

Ein ganz analoger Gegensatz tritt aber unverkennbar auch dann im Bereich der Seelenerscheinungen auf, wenn sich nicht Liebe und Haß, sondern Anerkennung und Leugnung auf die vorgestellten Gegenstände richten.

Ferner: in den Vorstellungen findet sich keine Intensität außer der größeren oder geringeren Schärfe und Lebhaftigkeit der Erscheinung.

Indem Liebe und Haß hinzukommen, kommt eine ganz neue Gattung von Intensität hinzu, die größere oder geringere Energie, die Heftigkeit oder Mäßigung in der Gewalt dieser Gefühle.

In ganz analoger Weise finden wir aber auch eine vollkommen neue Gattung von Intensität in dem zur Vorstellung hinzutretenden Urteil. Denn das größere oder geringere Maß an Gewißheit in der Überzeugung oder Meinung ist offenbar nichts, was dem Unterschied in der Stärke der Vorstellungen verwandter genannt werden könnte als der Unterschied in der Stärke der Liebe.

Noch mehr: in den Vorstellungen wohnt keine Tugend und keine sittliche Schlechtigkeit, keine Erkenntnis und kein Irrtum. Das alles ist ihnen innerlich fremd, und höchstens in homonymer Weise können wir eine Vorstellung sittlich gut oder schlecht, wahr oder falsch nennen; wie z. B. wenn eine Vorstellung schlecht genannt wird, weil wer das Vorgestellte liebt sündigen und eine andere falsch, weil wer das Vorgestellte anerkennt irren würde; oder auch, weil in der Vorstellung eine Gefahr zu jener Liebe, eine Gefahr zu dieser Anerkennung gegeben ist (29).

Das Gebiet der Liebe und des Hasses zeigt uns also eine ganz neue Gattung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit, von welcher das Gebiet der Vorstellung nicht die leiseste Spur enthält. Indem sich Liebe und Haß zu den Vorstellungsphänomenen gesellen, tritt - zumindest häufig, und da wo es sich um zurechnungsfähige psychische Wesen handelt - das sittlich Gute und Böse in das Reich der Seelentätigkeit ein.

Doch auch hier gilt in Bezug auf das Urteil Ähnliches. Denn die andere ebenso neue und wichtige Gattung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit, an der, wie wir sagten, kein bloße Vorstellen teilhat, ist in ähnlicher Weise das Eigentum des Gebietes des Urteils wie die erstgenannte das Eigentum des Gebietes der Liebe und des Hasses ist. Wie die Liebe und der Haß Tugend oder Schlechtigkeit sein, so sind die Anerkennung oder Leugnung Erkenntnis oder Irrtum.

Schließlich noch Eines: obwohl von den Gesetzen des Vorstellungslaufes nicht unabhängig, unterliegen doch Liebe und Haß, als eine besondere, in der ganzen Weise des Bewußtseins grundverschiedene Gattung von Phänomenen, noch besonderen Gesetzen der Sukzession und Entwicklung, welche vornehmlich die psychologische Grundlage der Ethik ausmachen. Sehr häufig wird ein Gegenstand wegen eines anderen geliebt und gehaßt, während er uns an und für sich in keiner von beiden Weisen oder vielleicht nur in einer entgegengesetzten bewegen würde. Und oft haftet die Liebe, einmal in dieser Weise übertragen, ohne Rücksicht auf den Ursprung bleibend am neuen Objekt.

Auch in dieser Hinsicht aber finden wir eine ganz analoge Tatsache bei den Urteilen. Auch bei ihnen kommen zu den allgemeinen Gesetzen des Vorstellungslaufes, deren Einfluß auf dem Gebiet des Urteils nicht zu verkennen ist, noch besondere Gesetze hinzu, die speziell für die Urteile Geltung haben, und in einer ähnlichen Beziehung zur Logik, wie die Gesetze der Liebe und des Hasses zur Ethik stehen. Wie eine Liebe aus der anderen nach besonderen Gesetzen entsteht, so wird ein Urteil aus dem anderen nach besonderen Gesetzen gefolgert.

So sagt dann JOHN STUART MILL mit Recht in seiner Logik der Geisteswissenschaften:
    "In Betreff des Glaubens werden die Psychologen immer durch ein spezifisches Studium nach den Regeln der Induktion zu untersuchen haben, welchen Glauben wir durch ein unmittelbares Bewußtsein haben und nach welchen Gesetzen ein Glaube den anderen erzeugt; welches die Gesetze sind kraft deren ein Ding, mit Recht oder mit Unrecht, von unserem Geist als Beweis für ein anderes Ding angesehen wird. In Bezug auf das Begehren werden sie ebenso zu untersuchen haben, welche Gegenstände wir ursprünglich begehren, und welche Ursachen uns dazu führen, Dinge zu begehren, die uns ursprünglich gleichgültig oder sogar unangenehm sind usw." (30)
Dem entsprechend verwirft er in seinen Noten zur Analyse von JAMES MILL nicht bloß die Ansicht des Verfassers so wie HERBERT SPENCERs, daß der Glauben in einer untrennbar festen Assoziation von Vorstellungen besteht, sondern er leugnet auch, daß sich, wie diese beiden Denker notwendig annehmen mußten, der Glauben nur nach den Gesetzen der Ideenassoziation bildet.
    "Wäre dies der Fall", so sagt er, "so würde das für-wahr-Halten eine Sache der Gewohnheit und des Zufalls und nicht der Vernunft sein. Sicher ist eine Assoziation zwischen zwei Vorstellungen, so stark sie auch sein mag, kein hinreichender Grund des für-wahr-Haltens; sie ist kein Beweis dafür, daß die betreffenden Tatsachen in der äußeren Natur verbunden sind. Die Theorie scheint jeden Unterschied aufzuheben zwischen dem für-wahr-Halten des Weisen, welches durch Beweisgründe geleitet wird und den wirklichen Sukzessionen und Koexistenzen der Tatsachen in der Welt entspricht und dem für-wahr-Halten eines Toren, welches durch irgendeine zufällige Assoziation, welche die Vorstellung einer Sukzession oder Koexistenz im Geist hervorruft, mechanisch hervorgebracht worden ist, einem für-wahr-Halten, das treffend charakterisiert wird durch die gemeinübliche Bezeichnung, etas für-wahr-Halten, weil man es sich in den Kopf gesetzt hat." (31)
Es wäre überflüssig, jetzt länger bei einem Punkt zu verweilen, der genügend klar und, mit geringen Ausnahmen, auch von allen Denkern anerkannt wird. Spätere Erörterungen werden das, was hier über die besonderen Gesetze der Urteile und der Gemütsbewegungen gesagt worden ist, noch mehr ins Licht setzen. (32)

Unser Ergebnis ist also dieses: Aus der Analogie aller begleitenden Verhältnisse ist aufs Neue ersichtlich, daß, wenn zwischen Vorstellung und Liebe, und überhaupt irgendwo zwischen zwei verschiedenen psychischen Phänomenen, auch zwischen Vorstellung und Urteil eine fundamentale Verschiedenheit der Beziehung zum Objekt angenommen werden muß.

§ 10. Fassen wir die Beweisgründe für diese Wahrheit kurz zusammen, so sind es folgende:
    Erstens zeigt die innere Erfahrung unmittelbar die Verschiedenheit in der Beziehung auf den Inhalt, die wir für Vorstellung und Urteil behaupten.

    Zweitens würde, wenn nicht ein solcher, überhaupt kein Unterschied zwischen ihnen bestehen. Weder die Annahme einer verschiedenen Intensität, noch die Annahme eines verschiedenen Inhalts für die bloße Vorstellung und das Urteil ist haltbar.

    Drittens endlich findet man, wenn man den Unterschied von Vorstellung und Urteil mit anderen Fällen psychischer Unterschiede vergleicht, daß von allen Eigentümlichkeiten, welche sich anderswo zeigen, wo das Bewußtsein in völlig verschiedenen Weisen zu einem Gegenstand in Beziehung tritt, auch hier nicht eine einzige mangelt. Also, wenn nicht hier, so dürften wir wohl auch in keinem anderen Fall einen solchen Unterschied auf psychischem Gebiet anerkennen. -
§ 11. Es bleibt uns nun noch eine Aufgabe zu lösen. Außer dem Irrtum in der gewöhnlichen Ansicht müssen wir auch den Anlaß des Irrtums nachweisen.

Die Ursachen der Täuschung waren, wie mir scheint, von doppelter Art. Der eine Grund war ein psychischer, d. h. eine psychische Tatsache, welche die Täuschung begünstigte; der andere ein sprachlicher.

Der psychische Grund scheint mir vorzüglich darin zu liegen, daß in jedem Akt des Bewußtseins, so einfach er auch sein mag, wie z. B. in dem, worin ich einen Ton vorstelle, nicht bloß eine Vorstellung, sondern zugleich auch ein Urteil, eine Erkenntnis beschlossen ist. Es ist dies die Erkenntnis des psychischen Phänomens im inneren Bewußtsein, deren Allgemeinheit wir früher nachgewiesen haben (33). Dieser Umstand, der manche Denker dazu veranlaßt hat, alle psychischen Phänomene unter den Begriff des Erkennens als unter eine einheitliche Gattung zu subsumieren, hat andere bestimmt, wenigstens Vorstellung und Urteil, weil sie nie getrennt erscheinen, in Eins zu fassen, indem sie nur für die Phänomene, die, wie Gefühle und Bestrebungen, in besonderen Fällen hinzukommen, besondere neue Klasen aufstellten.

Ich brauche, um diese Bemerkung zu bestätigen, nur eine schon früher einmal angeführte Stelle aus HAMILTONs Vorlesungen in Erinnerung zu bringen.
    "Es ist offenbar", sagte er, "daß jedes psychische Phänomen entweder ein Akt der Erkenntnis oder einzig und allein durch einen Akt der Erkenntnis möglich ist, denn das innere Bewußtsein ist eine Erkenntnis; und dies ist der Grund, weshalb viele Philosophen - wie Descartes, Leibniz, Spinoza, Wolff, Platner u. a. - dazu geführt worden, die vorstellende Fähigkeit, wie sie sie nannten, die Fähigkeit der Erkenntnis, als das Grundvermögen der Seele zu betrachten, von dem alle anderen sich ableiten. Die Antwort darauf ist leicht. Jene Philosopehen beachteten nicht, daß obwohl Lust und Unlust, Begierde und Willen bloß sind, insofern sie als seiend anerkannt werden, dennoch in diesen Modifikationen ein absolut neues Phänomen hinzugekommen ist, welches nie in der bloßen Fähigkeit der Erkenntnis enthalten war, und daher auch nie daraus entwickelt werden konnte. Die Fähigkeit der Erkenntnis ist sicher die erste der Ordnung nach und insofern eine conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] der übrigen usw." (34)
Wir sehen, weil kein psychisches Phänomen möglich ist, äußer insofern es von innerer Erkenntnis begleitet ist, so glaubt HAMILTON, ein Erkennen sei der Ordnung nach das Erste in uns, und unterscheidet, indem er das Vorstellen mit ihm in Eines faßt, nur noch für Gefühl und Streben besondere Klassen. In der Tat ist es aber nicht richtig, daß ein Erkennen der Ordnung nach das Erste ist, da ein solches zwar in jedem und darum auch im ersten psychischen Akt auftritt, aber nur sekundär. Das primäre Objekt des Aktes ist nicht immer erkannt (sonst könnten wir nie etwas falsch beurteilen) und auch nicht immer beurteilt (sonst würden die Frage und eine Untersuchung darüber wegfallen), sondern oft und in den einfachsten Akten nur vorgestellt. Und auch hinsichtlich des sekundären Objekts bildet die Erkenntnis in gewisser Weise nur das zweite Moment, indem sie wie jedes Urteil die Vorstellung des Beurteilten zur Vorbedingung hat, also diese (wenn auch nicht zeitlich, so doch der Natur nach) das Frühere ist.

Auf dieselbe Weise, wie HAMILTON für die Erkenntnis, könnte man auch für das Gefühl den ersten Platz in der Ordnung der Phänomene in Anspruch nehmen und infolge davon auch dieses mit Vorstellung und Urteil konfundieren. Denn, wie wir gesehen haben, kommt auch ein Gefühl als sekundäres Phänomen in jedem psychischen Akt vor (35). Wenn dieses nicht oder doch nicht so häufig wie die Allgemeinheit der begleitenden inneren Wahrnehmung zu einem ähnlichen Mißgriff veranlaßte: so erklärt sich dies nur daraus, daß einerseits die Allgegenwart der Gefühle nicht so allgemein erkannt wird; und andererseits gewisse Vorstellungen uns zumindest relativ gleichgültig lassen, und dieselbe Vorstellung zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen, ja entgegengesetzten Gefühlen begleitet ist (36). Die innere Wahrnehmung dagegen besteht immer und wechsellos mit derselben Fülle der Überzeugung, und wenn sie einem Unterschied der Intensität unterliegt, so ist es ein solcher der mit einer Intensität des von ihr begleiteten Phänomens in gleichem Grad steigt und fällt. (37)

Dies also ist, was ich den psychischen Grund des Irrtums nannte.

§ 12. Zu ihm kommt, wie gesagt, auch ein sprachlicher. Wir können nicht erwarten, daß Verhältnisse, die sogar scharfsinnigen Denkern der Anlaß einer Täuschung wurde, nicht auch auf die gewöhnlichen Ansichten einen Einfluß gewonnen haben sollten. Aus diesen aber erwächst die Sprache des Volkes. Und so müssen wir von vornherein vermuten, daß unter den Namen, mit welchen das gemeine Leben die psychischen Tätigkeiten zu bezeichnen pflegt, sich einer findet, welcher auf Vorstellungen wie Urteile, aber auf kein anderes Phänomen anwendbar, beide wie zu einer einheitlichen, weiteren Klasse gehörig zusammenfaßt. Dies zeigt sich in der Tat. Wir nennen Vorstellen und Urteilen mit gleicher Ungezwungenheit ein Denken; auf ein Fühlen oder Wollen dagegen können wir den Ausdruck wohl nicht anwenden, ohne der Sprache Gewalt anzutun. Auch finden wir in fremden Sprachen, antiken wie modernen, Bezeichnungen, die in demselben Umfang gebräuchlich sind.

Wer die Geschichte der wissenschaftlichen Bestrebungen kennt, wird mir nicht widersprechen, wenn ich diesem Umstand einen hindernden Einfluß zuschreibe. Wenn sehr berühmte Philosophen der Neuzeit, ein um das andere Mal, sogar dem Paralogismus der Äquivoction erlegen sind: wie sollte nicht eine Gleichheit der Benennung bei der Klassifikation eines Erscheinungsgebietes verführerisch für sie gewesen sein? WHEWELL in seiner Geschichte der induktiven Wissenschaften zeigt solche Versehen und andere ihnen verwandte Fehler in reichen Beispielen; denn wie zu einem Verbinden, wo keine Gleichheit vorhanden ist, so führt uns die Sprache oft zu einem Unterscheiden, wo keine Verschiedenheit vorliegt und die Scholastiker waren nicht die Einzigen, die Distinctionen auf bloße Worte gründeten. Es ist also sehr natürlich, wenn die Homonymie des Namens "Denken" in unserem Fall nachteilig gewirkt hat.

§ 13. Aber weit mehr ohne Zweifel hat eine andere Eigenheit des sprachlichen Ausdrucks die Erkenntnis des richtigen Verhältnisses erschwert.

Die Aussage eines Urteils ist, man kann sagen, durchgehends ein Satz, eine Verbindung mehrerer Worte, was sich auch von unserem Standpunkt leicht begreifen läßt. Es hängt damit zusammen, daß eine Vorstellung die Grundlage eines jeden Urteils ist, und daß bejahende und verneinende Urteile hinsichtlich des Inhalts auf den sie sich beziehen übereinstimmen, indem das negative Urteil nur den Gegenstand leugnet, den das entsprechende affirmative anerkennt. Obwohl der Ausdruck des Urteils der vorzügliche Zweck sprachlicher Mitteilung war, so war es daher sehr nahe gelegt, den einfachsten sprachlichen Ausdruck, das einzelne Wort, nicht für sich allein dazu zu verwenden. Benützte man es für sich als den Ausdruck der einem Urteilspaar gemeinsam zugrunde liegenden Vorstellung, und fügte man, um Ausdrücke für die Urteile selbst zu erhalten, eine doppelte Art von Flektion oder auch eine doppelte Art von stereotypen Wörtschen (wie "sein" und "nicht sein") hinzu: so ersparte man durch diesen einfachen Kunstgriff dem Gedächtnis die Hälfte der Leistung, indem dieselben Namen in den affirmativen und in den entsprechenden negativen Urteilen Verwendung fanden. Außerdem hatte man den Vorteil, bei der Weglassung jener Ergänzungszeichen den Ausdruck einer anderen Klasse von Phänomenen, der Vorstellungen, rein für sich zu besitzen, welcher, da die Vorstellungen auch für Begehren und Fühlen die Grundlage sind, in Fragen, in Ausrufungen, in Befehlen usw. noch weitere treffliche Dienste leisten konnte.

So konnte es nicht fehlen, daß längst vor den Anfängen eigentlich wissenschaftlicher Forschung der Ausdruck des Urteils eine Zusammensetzung aus mehreren unterscheidbaren Bestandteilen geworden war.

Danach bildete man sich die Ansicht, das Urteil selbst müsse ebenfalls eine Zusammensetzung, und zwar - da die Mehrzahl der Worte Namen, Ausdrücke von Vorstellungen, sind - eine Zusammensetzung von Vorstellungen sein (38). Und stand dies einmal fest, so schien ein unterscheidendes Merkmal des Urteils von der Vorstellung gegeben, und man fühlte sich nicht aufgefordert näher zu untersuchen, ob dies der ganze Unterschied zwischen Vorstellung und Urteil sein kann, ja ob ihre Verschiedenheit sich nur irgendwie in dieser Weise begreifen läßt.

Nach all dem vermögen wir uns recht wohl zu erklären, weshalb das wahre Verhältnis zwischen zwei fundamental verschiedene Klassen psychischer Erscheingungen so lange Zeit verborgen blieb.

§ 14. Inzwischen hat natürlich die falsche Wurzel mannigfache Schößlinge des Irrtums hervorgetrieben, welche sich in weiter Verzweigung nicht bloß über das Gebiet der Psychologie, sondern auch über das der Metaphysik und Logik ausbreiteten. Das ontologische Argument für das Dasein Gottes ist nur eine ihrer Früchte. Die gewaltigen Kämpfe, welche die mittelalterichen Schulen über essentia [Wesen - wp] und esse [Sein - wp], ja über esses essentiae und esse existentiae führten, geben von der konvulsivischen Anstrengung einer energischen Denkkraft Zeugnis, welche sich müht des unverdaulichen Elements Herr zu werden. THOMAS, SCOTUS, OCCAM, SUAREZ - alle beteiligen sich lebhaft am Kampf; jeder hat in der Polemik, keiner in seinen positiven Aufstellungen Recht. Immer dreht sich die Frage nur darum, ob die Exitenz des Wesens eine andere, oder ob sie dieselbe Realtität wie das Wesen ist. SCOTUS, OCCAM, SUAREZ leugnen mit Recht, daß sie eine andere Realität ist (was besonders SCOTUS sehr hoch anzurechnen und bei ihm schier wie ein Wunder zu betrachten ist); aber sie fallen infolgedessen in den Irrtum, die Existenz eines jeden Dings gehört zum Wesen des Dings selbst, sie betrachten dieselbe als seinen allgemeinsten Begriff. Hier war nun der Widerspruch der Thomisten im Recht, obwohl ihre Kritik den eigentlich schwachen Punkt nicht traf und sich vornehmlich auf die Grundlage gemeinsamer irriger Annahmen stützte. Wie, riefen sie, die Existenz eines jeden Dings sein allgemeinster Begriff? - Das ist unmöglich! - Würde doch seine Existenz sich dann aus seiner Definition ergeben und folglich die Existenz des Geschöpfes so selbstevident und von vornherein notwendig wie die des Schöpfers selbst sein. Aus der Definition eines kreatürlichen Seins ergibt sich nicht mehr, als daß es ohne Widerspruch, also möglich ist. Das Wesen einer Kreatur ist demnach ihre bloße Möglichkeit, und jede wirkliche Kreatur ist aus zwei Bestandteilen, aus einer realen Möglichkeit und einer realen Wirklichkeit zusammengesetzt, deren eine von der anderen in einem Existentialsatz ausgesagt wrid, und die sich ähnlich wie nach ARISTOTELES Materie und FOrm in den Körpern zueinander verhalten. Die Grenzen der Möglichkeit sind natürlich auch die der in ihr aufgenommenen Wirklichkeit. Und so ist die Existenz, die ansich etwas Schrankenloses und Allumfassendes wäre, in der Kreatur eine beschränkte. Anders ist es bei Gott. Er ist das insich selbst notwendig Seiende, auf welches alles Zufällige zurückweist. Er ist also nicht aus Möglichkeit und Wirklichkeit zusammengesetzt. Sein Wesen ist seine Existenz; die Behauptung daß er nicht ist, ist ein Widerspruch. Und eben darum ist er unendlich. In keiner Möglichkeit aufgenommen, ist die Existenz bei ihm unbeschränkt; und so ist er der Inbegriff aller Realität und Vollkommenheit.

Das sind hochfliegende Spekulationen, die aber Niemanden mehr mit sich über die Wolken erheben werden. Bezeichnend ist es aber, daß ein eminenter Denker, wie THOMAS von AQUIN sicher einer war, wirklich mittels eines solchen Beweises die unendliche Vollkommenheit des Urgrundes der Welt dargelegt zu haben glaubte. Ich brauche hiernach nicht mehr auf die allbekannten Beispiele der neueren Metaphysik zu verweisen, welche den nachteiligen Einfluß irriger Anschauungen über die Urteile und das, was damit in einem nächsten Zusammenhang steht, nicht weniger anschaulich machen können. (39)

§ 15. Auch in der Logik hat die Verkennung des Wesens der Urteile mit Notwendigkeit weitere Irrtümer erzeugt. Ich habe den Gedanken nach dieser Seite in seine Konsequenzen verfolgt und gefunden, daß er zu nichts Geringerem als zu einem völligen Umsturz aber auch zu einem Wiederaufbau der elementaren Logik führt. Und Alles wird dann einfacher, durchsichtiger und exakter. Nur in einigen Beispielen will ich den Kontrast zwischen den Regeln dieser reformierten Logik und der althergebrachten nachweisen, indem uns hier die vollständige Durchführung und Begründung natürlich zu lange aufhalten und zu weit von unserem Thema abführen würde (40).

An die Stelle der früheren Regeln von den kategorischen Schlüssen treten als Hauptregeln, die eine unmittelbare Anwendung auf jede Figur gestatten, und für sich allein zur Prüfung eines jeden Syllogismus vollkommen ausreichend sind, folgende drei:
    1. Jeder kategorische Syllogismus enthält vier Termini, von denen zwei einander entgegengesetzt sind und die beiden andern zweimal zu stehen kommen.

    2. Ist der Schlußsatz negativ, so hat jede der Prämissen die Qualität und einen Terminus mit ihm gemein.

    3. Ist der Schlußsatz affirmativ, so hat die eine Prämisse die gleiche Qualität und einen gleichen Terminus, die andere die entgegengesetzte Qualität und einen entgegengesetzten Terminus.
Das sind die Regeln, die ein Logiker der alten Schule zunächst nicht ohne Grauen hören wird. Vier Termini soll jeder Syllogismus haben: - und er hat die quaternio terminorum immer als Paralogismus verdammt (41). Negative Schlußsätze sollen lauter negative Prämissen haben: - und er hat immer gelehrt, daß aus zwei negativen Prämissen nichts gefolgert werden kann. Auch unter den Prämissen des affirmativen Schlußsatzes soll sich ein negatives Urteil finden: - und er hätte darauf geschworen, daß er unumgänglich zwei affirmative Prämissen verlangt. Ja, für einen kategorischen Schluß aus affirmativen Prämissen ist gar kein Raum gelassen: - und er hatte doziert, daß die affirmativen Prämissen die vorzüglichsten sind, indem er, wo sich eine negative dazu gesellte, diese als die "pejor pars" [größerer Teil - wp] bezeichnete. Von "allgemein" und "partikulär" endlich hört man in den neuen Regeln gar nichts: und ihm waren diese sozusagen nicht aus dem Mund gekommen. Und haben nicht seine alten Regeln sich bei der Prüfung der Syllogismen so geeignet erwiesen, daß nun umgekehrt wieder die tausend an ihrem Maßstab gemessenen Schlüsse für sie selbst Probe und Bewährung sind? Sollen wir den berühmten Schluß: "Alle Menschen sind sterblich, Cajus ist ein Mensch, also ist Cajus sterblich", und alle seine Begleiter nicht mehr als bündig anerkennen? - Das scheint eine unmögliche Zumutung.

Doch schlimm steht die Sache auch nicht. Da die Fehler, aus welchen die früheren Regeln der Syllogistik entsprangen, in der Verkennung der Natur der Urteile nach Inhalt und Form bestanden, so glichen sie, bei der Anwendung derselben konsequent festgehalten, meistens ihre nachteilige Wirkung selber aus (42). Von allen Schlüssen, die man nach den bisherigen Regeln für richtig erklärte, waren nur die nach vier Modis gefolgerten ungültig, wogegen auf der anderen Seite freilich auch eine nicht unbedeutende Zahl richtiger Modi übersehen wurde (43).

Schädlicher waren die Folgen in der Lehre von den sogenannten unmittelbaren Schlüssen. Nicht bloß ist z. B. die richtige Regel für die Konversion, daß jeder kategorische Satz simpliciter convertibel ist (man muß nur über das wahre Subjekt und über das wahre Prädikat im Klaren sein), sondern man erklärte nach den alten Regeln auch viele Konversionen für gültig, die in Wahrheit ungültig sind, und umgekehrt. Bei den so genannten Schlüssen durch Subalternation und Opposition ergibt sich dasselbe (44). Auch stellt sich, wenn man kritisch die alten Regeln miteinander vergleicht, seltsam genug heraus, daß sie zuweilen miteinander im Widerspruch stehen, so daß, was nach der einen als gültig, nach der anderen als ungültig zu bezeichnen wäre.

§ 16. Doch wir überlassen es einer künftigen Revision der Logik, dies im Einzelnen auszuführen und zu bewähren. Uns gehen hier weniger die nachteiligen Folgen an, welche die Verkennung der Natur des Urteils für Logik oder Metaphysik hatte, als diejenigen, welche sich für die Psychologie ergaben und, wegen des Verhältnisses der Psychologie zur Logik, allerdings auch für diese ein neues Hindernis fruchtbarer Entwicklung wurden. Die bisherige Psychologie hat, man kann sagen, durchwegs die Erforschung der Gesetze der Entstehung der Urteile in ungebührlicher Weise vernachlässigt; und dies kam daher, weil man immer Vorstellen und Urteilen als "Denken" zu einer Klasse zusammenrechnete, und mit der Erforschung der Gesetze der Aufeinanderfolge der Vorstellungen auch für die Urteile das Wesentliche getan glaubte. So sagt selbst ein so eminenter Psychologe wie HERMANN LOTZE:
    "In Bezug auf die Urteilskraft und Einbildungskraft werden wir ohne Bedenken zugeben, daß diese beiden nicht zu einem angeborenen Besitz der Seele gehören, sondern Fertigkeiten sind, die sich durch die Bildung des Lebens, die eine langsam, die andere schnell entwickeln. Wir werden zugleich zugestehen, daß zur Erklärung ihrer Entstehung nichts als die Gesetze der Vorstellungslaufes nötig sind." (45)
Hier zeigt sich der Grund des großen Versäumnisses unverhüllt. Er lag in der mangelhaften Klassifikation, die LOTZE von KANT übernommen hatte.

Richtiger hat hier JOHN STUART MILL geurteilt. In den früher von uns zitierten Stellen sahen wir ihn mit Nachdruck eine spezifische Erforschung der Gesetze des für-wahr-Haltens als unumgängliches Bedürfnis betonen. Eine bloße Ableitung aus den Gesetzen des Vorstellungsverlaufes schien ihm in keiner Weise genügend. Aber die Vorstellungsverbindung, die Zusammensetzung von Subjekt und Prädikat, die er bei sonst sehr richtigen Ansichten über die Natur des Urteils immer noch für wesentlich hielt, ließ den Charakter desselben als einer besonderen, den anderen ebenbürtigen Grundklasse nicht hinreichend hervortreten. Und so ist es gekommen, daß nicht einmal BAIN, der MILL so nahe stand, die von ihm gegebenen Winke zur Ausfüllung einer weitklaffenden Lücke der Psychologie benützt hat.

Das Wort, welches die Scholastik von ARISTOTELES ererbt hatte, "parvus error in principio maximus in fine [ein kleiner Fehler am Anfang wird schließlich zu einem sehr großen - wp] hat sich also in unserem Fall in jeder Hinsicht bewährt.
LITERATUR - Franz von Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkte, Leipzig, 1874
    Anmerkungen
    1) In einer Note zur "Analysis of the Phenomena of the Human Mind" von JAMES MILL, zweite Auflage, Bd. 1, Seite 402.
    2) ALEXANDER BAIN, The Emotions and the Will
    3) BAIN, Mental and Moral Science, dritte Auflage, London 1872, Note on the chapter on Belief, Append. Seite 100.
    4) MILL, Analasis of the Phenomena etc., a. a. O. Kapitel 11
    5) HERBERT SPENCER, Principles of Psychology, zweite Auflage, Bd. I. London und Edinburgh, 1870. Siehe darüber JOHN STUART MILL in einer Note zu dem eben zitierten Kapitel der "Analysis" Seite 402.
    6) JOHN STUART MILL, Deduktive und induktive Logik, Buch 1, Kapitel 5, § 1.
    7) The characteristic difference between a predication and any other form of speech, is that it does not merely bring to mind a certain object ...; it asserts something respecting it ... Whatever view we adopt of the psychological nature of Belief, it is necessary to distinguish between the mere suggestion to the mind of a certain order among sensations or ideas - such as take place when we think of the alphabet, or the numeration table - and the indication that this order is an actual fact, which is occuring, or which has occured one or oftener, or which, in certain definite circumstances, always occurs; which are the things indicated as true by an affirmative predication and as false by a negative one. (Analysis of the Phenom. of the Human Mind, zweite Auflage, Kapitel IV, § 4, Note 48, Seite 162)
    8) ebd. Note 55, Seite 187
    9) ebd. Kapitel X, Note 91, Seite 329.
    10) "that the distinction is ultimate and primordial". (ebd. I, Seite 412)
    11) Sowohl in seiner Logik gibt sie sich zu erkennen, wo MILL vom Inhalt der Urteile handelt (Buch I, Kapitel 5) als auch in seinen Noten zum genannten Werk seines Vaters. So z. B. in folgender Stelle: "I think it is true, that every assertion, every object of Belief, - everything that can be true or false - that can be an object of assent or dissent - is some order of sensations or of ideas: some coexistence or succession of sensations or ideas actually experienced, or supposed capable of being experienced (a. a. O. Kapitel IV, Note 48, Seite 162).
    12) Buch II, Kapitel 3, § 1f
    13) Im Sinne HUMEs auch Buch I, Kapitel 1, § 2, Seite 15
    14) Er fährt fort: "There is no more difficulty in holding it to be so, than in holding the difference between a sensation and an idea to be primordial. It seems almost another aspect of the same difference." Ebenso sagt er im Verlauf derselben Abhandlung: "The difference (between recognising something as a reality in nature, and regarding it as a mere thought of our own) presents itself in its most elementary form in the distinction between a sensation und an idea." (a. a. O., Seite 419).
    15) MILL, Logik, Übersetzung von GOMPERZ, Anhang, III. Seite 373
    16) Auch diese Bestimmungen gebe ich nach KANT. Daß sie eigentlich nicht auf die betreffenden Urteile passen (was aus den folgenden Untersuchungen hervorgehen wird), hindert nicht, daß sie, wegen ihrer Übereinstimmung mit der Ansicht, die man gemeinhin von ihnen hat, sie genugsam kennzeichnen.
    17) Daß KANT die Urteile der Existentialsätze noch mit zu den kategorischen Urteilen rechnete, ersieht man daraus, daß er sie bei der Relation der Urteile nicht besonders erwähnt. - - - Ganz ebenso nahe wie KANT ist im Mittelalter THOMAS von AQUIN der Wahrheit gekommen, und merkwürdigerweise in einer Reflexion auf denselben Satz "Gott ist". Auch nach ihm soll das "ist" kein reales Prädikat, sondern ein Zeichen des für-wahr-Haltens sein (Summ. Theol. P. I. Q. 3. A. 4. ad 2). Aber auch er hält dennoch den Satz für kategorisch (ebd.) und glaubt, daß das Urteil einen Vergleich unserer Vorstellung mit ihrem Gegenstand enthält, was nach ihm von jedem Urteil gelten soll. Daß dies unmöglich ist, haben wir weiter oben gesehen (Buch II, Kapitel 3, § 2).
    18) vgl. dazu DROBISCH, Logik, dritte Auflage, Seite 61
    19) TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, zweite Auflage, Bd. II, Seite 208. Vgl. auch das Zitat aus SCHLEIERMACHER (ebd. Seite 214, Anm. 1). Anklänge an die richtige Auffassung der Existentialsätze finden sich schon bei ARISTOTELES. Doch scheint er nicht zu voller Klarheit über sie gelangt zu sein. In seiner Metaphysik, Φ 10 lehrt er, daß, da die Wahrheit des Denkens in seiner Übereinstimmung mit den Dingen besteht, die Erkenntnis einfacher Gegenstände im Gegensatz zu anderen Erkenntnissen keine Verbindung oder Trennung von Merkmalen, sondern ein einfaches Denken, ein Wahrnehmen (er nennt es Berühren, digein) sein muß. In der Schrift "De Interpretatione" (Kapitel 3) spricht er klar aus, daß das "Sein" der Kopula nicht etwas für sich bedeutet wie ein Namen, sondern nur den Ausdruck eines Urteils ergänzt, und von diesem "Sein" der Kopula hat er das "Sein" im Existentialsatz nie als etwas wesentlich Anderes, und als etwas, was schon für sich eine Bedeutung hat, unterschieden. ZELLER sagt mit Recht: "Daß jeder Satz, selbst der Existentialsatz, logisch betrachtet aus drei Bestandteilen besteht, sagt Aristoteles nirgends." Und er macht darauf aufmerksam, wie vielmehr Manches eine entgegengesetzte Ansicht bei ARISTOTELES erkennen läßt (Philosophie der Griechen II, 2. Seite 158, Anm. 2). Wäre dies richtig, so würde ARISTOTELES hierdurch nicht hinter der Lehre der gewöhnlichen späteren Logik zurückstehen, wie ZELLER zu glauben scheint, sondern im Gegenteil hier wie in manch anderem Punkt eine richtigere Anschauung antizipiert haben. (Man vgl. auch die Reproduktion der aristotelischen Lehre bei THOMAS von AQUIN, Summ. Theol. P. I. Q. 85. 1. 5)
    20) MILL, Logik, Übersetzung von SCHIEL, I. Seite 93
    21) vgl. z. B. HEYSE's "Wörterbuch der deutschen Sprache".
    22) ebd. Seite 95
    23) Logique ou l'Art des Penser II. Partie, Kapitel 3
    24) Die gewöhnliche Logik erklärt, die Urteile "alle Menschen sind sterblich" und "kein Mensch ist nicht sterblich" für aequipollent [gleichbedeutend, aber verschieden formuliert - wp] (vgl. z. B. ÜBERWEG, Logik, Teil 5, § 96, zweite Auflage, Seite 235; in Wahrheit sind sie identisch.
    25) Die partikulär bejahenden, die allgemein verneinenden, und die irrtümlich sogenannten allgemein bejahenden und partikulär verneinenden. In Wahrheit ist, wie die obige Rückführung auf die existentiale Formel deutlich erkennen läßt, kein bejahendes Urteil allgemein (es müßte denn ein Urteil mit individueller Materie allgemein genannt werden) und kein verneinendes Urteil partikulär.
    26) vgl. DROBISCH, a. a. O., Seite 59f.
    27) Die in Wahrheit affirmativen sind nach dem, was in einer vorausgehenden Note bemerkt worden ist, das sogenannte partikulär bejahende und das sogenannte partikulär verneinende. Die in Wahrheit negativen Behauptungen, zu welchen auch die allgemein bejahenden gehören, enthalten selbstverständlich nicht die Anerkennung des Subjekts, da sie ja überhaupt nicht etwas anerkennen, sondern verwerfen. Warum sie auch nicht die Verwerfung des Subjekts enthalten, zeigt eine frühere Erörterung (am Schluß von § 5 dieses Kapitels).
    28) Es gibt noch gewisse Fälle, in welchen eine solche Rückführbarkeit aus spezielleren Gründen beanstandet werden könnte. Obwohl ich ihretwegen den Gang der Untersuchung im Text nicht aufhalten will (denn Mancher wird sich von vornherein wenig daran stoßen), so scheint es mir doch andererseits gut, sie wenigstens in einer Anmerkung zu berücksichtigen. JOHN STUART MILL, wo er in seiner "Logik" die verschiedene Natur des "Seins" der Kopula und des "Seins" des Existentialsatzes, welches nach ihm den Begriff der Existenz einschließt, klar machen will, beruft sich zur Verdeutlichung auf den Satz "ein Kentauer ist eine Erfindung der Poeten". Dieser, sagt er, kann unmöglich eine Existenz aussagen, da vielmehr im Gegenteil daraus hervorgeht, daß das Subjekt kein reales Dasein besitzt. (Buch I, Kapitel 4, § 1). Ein andermal führt er zu einem ähnlichen Zweck den Satz an: "Jupiter ist ein Non-Ens". In der Tat sind diese Sätze von der Art, daß bei ihnen die Rückführbarkeit auf existentiale Sätze am Wenigstens möglich scheint. Im Briefwechsel mit MILL hatte ich einmal die Frage über die Existentialsätze zur Sprache gebracht, und namentlich auch die Möglichkeit der Zurückführung einer jeden Aussage auf einen Existentialsatz dagegen geltend gemacht, daß das "Sein" desselben sich zu dem der Kopula so, wie er glaubte, verhält. In seiner Antwort beharrte MILL auf seiner alten Auffassung. Und obwohl er nicht ausdrücklich der von mir dargelegten Rückführbarkeit aller anderen Aussagen auf existentiale widersprach, so vermutete ich doch, ich möge diesen Punkt meiner Beweisführung ihm nicht genugsam einleuchtend gemacht haben. Ich kam darum nochmals auf ihn zurück und besprach auch speziell die Beispiele in seiner Logik. Da ich unter meinen Papieren gerade ein Brouillon [ersten Entwurf - wp] des Briefes finde, so will ich die kleine Erörterung hier wörtlich wiederholen. "Es dürfte", schrieb ich, "nicht unendlich sein, wenn ich die Möglichkeit einer solchen Reduktion speziell an einem Satz zeige, welchen Sie in Ihrer Logik sozusagen als ein Beispiel, an dem das Gegenteil ersichtlich ist, anführen. Der Satz "ein Kentaur ist eine Erfindung der Poeten" verlangt, wie Sie mit Recht bemerken, nicht, daß ein Kentaur existiert, vielmehr das Gegenteil. Allein er verlangt, um wahr zu sein, zumindest daß etwas anderes existiert, nämlich eine Fiktion der Poeten, die in einer besonderen Weise Teile des menschlichen Organismus und Teile des Pferdes verbindet. Wenn es keine Fiktion der Poeten gäbe, und wenn es keinen von den Poeten fingierten Kentauren gäbe, so wäre der Satz falsch; und seine Bedeutung ist tatsächlich keine andere als die, "es gibt eine poetische Fiktion, welche einen menschlichen Oberleib mit dem Rumpf eines Pferdes zu einem lebenden Wesen vereinigt denkt", oder (was dasselbe sagt) "es gibt einen von den Poeten fingierten Kentauren". Ähnliches gilt, wenn ich sage, Jupiter ist ein Non-Ens, d. h. wohl, er ist etwas, was bloß in der Einbildung, nicht aber in Wirklichkeit besteht. Die Wahrheit des Satzes verlangt nicht, daß es einen Jupiter, wohl aber, daß es etwas Anderes gibt. Gäbe es nicht etwas, was bloß in der Vorstellung existiert, so wäre der Satz nicht wahr. - Der besondere Grund, warum man bei Sätzen wie "der Kentaur ist eine Fiktion" geneigt ist, ihre Rückführbarkeit auf Existentialsätze anzuzweifeln, liegt in einem, wie mir scheint, von den Logikern bisher übersehenen Verhältnis ihrer Prädikate zu ihren Subjekten. Ähnlich wie die Adjektiva für das ihnen beigefügte Substantiv, sind auch die Prädikate für das mit ihnen verbundene Subjekt gewöhnlich etwas, was den Begriff durch neue Bestimmungen bereichert, manchmal aber etwas, was ihn modifiziert. Das Erste gilt z. B., wenn ich sage "ein Mensch ist gelehrt"; das Zweite, wenn ich sage "ein Mensch ist tot". Ein gelehrter Mensch ist ein Mensch; ein toter Mensch ist aber kein Mensch. So setzt dann der Satz "ein toter Mensch ist" nicht, um wahr zu sein, die Existenz eines Menschen, sondern nur die eines toten Menschen voraus; und ähnlich fordert der Satz "ein Kentaur ist eine Fiktion" nicht, dß es einen Kentauren, sondern einen fingierten Kentauren, d. h. die Fiktion eines Kentauren gibt, usw." Vielleicht dient diese Erklärung dazu, ein Bedenken, das in jemand entstanden sein konnte, zu beseitigen. Was MILL selbst betrifft, so zeigt es sich, daß sie bei ihm gar nicht nötig gewesen wäre, denn er antwortete mir am 6. Februar 1873: "You did not, as you seem to suppose fail to convince me of the invariable convertibility of all categorial affirmative propositions into predications of existience (er meint affirmative Existentialsätze, die ich natürlich nicht als "Prädikationen von Existenz" bezeichnet hatte). The suggestion was new to me, but I at once saw its trutz when pointed out. It is not on that point that our difference hinges etc." Daß MILL trotz der zugestanden Rückführbarkeit aller kategorischen Sätze auf Existentialsätze seine Meinung, das "ist" und "ist nicht" in ihnen enthält einen Prädikatsbegriff "Existenz" wie früher festhielt, zeigt sich schon in der mitgeteilten Stelle seines Briefes, und er sprach es in dem darauf Folgenden noch entschiedener aus. Wie er aber dabei an seiner Lehre von der Kopula festhalten kann, zeigt er nicht. Konsequent hätte er sie aufgeben und überhaupt noch Vieles in seiner Logik (wie z. B. Buch I, Kapitel 5, § 5) wesentlich umbilden müssen. Ich hoffte, im Frühsommer seiner Einladung nach Avignon folgend, über diese wie über andere zwischen uns schwebende Fragen mich mündlich leichter mit ihm verständigen zu können, und urgierte den Punkt nicht weiter. Doch sein plötzlicher Tod vereitelte meine Hoffnungen. - - - Nur noch eine kurze Bemerkung will ich meiner Erörterung gegen MILL beifügen. Die Sätze von der Art wie "ein Mensch ist tot" sind im wahrsten Sinn des Wortes gar nicht kategorisch zu nennen, weil tot keine Attribut, sondern, wie gesagt, eine Modifikation des Subjekts enthält. Was würde einer zu dem kategorischen Schluß sagen: "alle Menschen sind lebende Wesen; irgendein Mensch ist tot; also ist irgendein Totes ein lebendes Wesen"? Er wäre aber, wenn die Minor [Untersatz - wp] ein wahrer kategorischer Satz wäre, ein gültiger Schluß der dritten Figur. Wollten wir nun mit KANT, solchen verschiedenen Aussageformeln entsprechend, verschiedene Klassen von "Relation" der Urteile annehmen, so hätten wir hier wieder neue "transzendentale" Entdeckungen zu machen. In Wahrheit ist aber die besondere Aussageformel leicht abgestreift, indem der Existentialsatz "es gibt einen toten Menschen" ganz und gar dasselbe besagt. Und somit, hoffe ich, wird man endlich einmal aufhören, hier sprachliche Unterschiede mit Unterschieden des Denkens zu verwechseln.
    29) Vgl. was schon ARISTOTELES in dieser Hinsicht bemerkt hat, in meiner Abhandlung "Von der Mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles", Seite 31f.
    30) MILL, Logik B, Kapitel 6, § 3.
    31) a. a. O., Kapitel XI, Note 108, Seite 407.
    32) Buch IV und V.
    33) Buch 2, Kapitel 3
    34) HAMILTON, Lectures on Metaphysics I, Seite 187.
    35) siehe oben Buch II, Kapitel 3, § 6
    36) vgl. ebd.
    37) siehe ebd. Seite 4
    38) Man vergleiche zum Beleg das erste Kapitel der aristotelischen Schrift "De Interpretatione.
    39) Einwirkungen auf KANTs Transzendentalphilosophie wurden im Vorausgehenden berührt.
    40) Zum Zweck meiner Vorlesungen über Logik, die ich im Winter 1870/71 an der Würzburger Hochschule hielt, habe ich eine auf die neue Basis gegründete logische Elementarlehre vollständig und systematisch ausgearbeitet. Da sie nicht bloß bei meinen Zuhörern, sondern auch bei Fachmännern in der Philosophie, denen ich davon Mitteilung machte, Interesse erregte, so ist es meine Absicht, sie nach vollendeter Herausgabe meiner "Psychologie" nochmals zu revidieren und zu veröffentlichen. Die Regeln, die ich hier im Text beispielsweise folgen lasse, werden, mit den übrigen, in dieser Schrift jene sorgfältige Begründung finden, die man bei einem Widerspruch gegen die gesamte Tradition seit ARISTOTELES gewiß zu verlangen berechtigt ist. Übrigens werden Viele vielleicht von selbst die notwendige Verkettung mit der dargelegten Ansicht von der Natur des Urteils.
    41) In der allerneuesten Zeit hat auch ein englischer Logiker, BOOLE, richtig erkannt, daß manche kategorische Syllogismen vier Termini haben, von denen zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzt sind. Andere haben ihm beigepflichtet, und auch BAIN, der in seiner Logik ausführlich über BOOLEs Zusätze zur Syllogistik berichtet, gibt seine Zustimmung unzweideutig zu erkennen (I. Seite 205). Obwohl BOOLE diese Syllogismen mit vier Terminis nur neben Syllogismen mit drei Terminis stellt, statt die quaternio terminorum als allgemeine Regel anzuerkennen und obwohl die ganze Weise seiner Ableitung mit der meinigen keine Ähnlichkeit hat: so war sie mir doch interessant als ein Zeichen, daß man auch jenseits des Kanals am Gesetz der Dreiheit der Termini zu zweifeln anfängt.
    42) Sagte man z. B. infolge des Mißverständnisses der Sätze: zum richtigen kategorischen Schluß gehören drei Termini, so bewirkte dasselbe Mißverständnis, daß man im einzelnen Schluß drei Termini sah, wo in Wahrheit vier gegeben waren.
    43) Letzteres wurde auch von den vorerwähnten englischen Logikern bereits erkannt. Die vier ungültigen Modi, von denen ich spreche, sind in der dritten Figur Darapti und Felapton und in der vierten Bamalip und Fesapo.
    44) Unzulässig ist die Konversion eines sogenannten allgemein bejahenden in einen partikulär bejahenden Satz; die gewöhnlichen Schlüsse durch Subalternation sind sämtlich ungültig, und von denen durch Opposition die Schlüsse auf die Unwahrheit der sogenannten konträren so wie die auf die Wahrheit der sogenannten subkonträren Urteile.
    45) LOTZE, Mikrokosmus I, erste Auflage, Seite 192