p-4cr-2faÖlzelt-NewinL. NelsonE. Dubois-ReymondM. Verworndow    
 
ROMAN INGARDEN
Über die Gefahr einer Petitio Principii
in der Erkenntnistheorie


"Wir haben vor allem zwischen verschiedenen Typen der  Begabung  zum Wahnehmen zu unterscheiden. Schauen und wirklich  sehen  ist nicht einerlei. Der eine blickt zehnmal auf einen Gegenstand hin und  sieht  trotzdem nichts, oder nur sehr wenig. Er ist in gewissem Sinne geistig blind. Ein anderer dagegen sieht  auf den ersten Blick  den Kern der Sache."

"Aus dem Wesen des intuitiven Durchlebens der Akte schöpfen wir die letzte anschauliche Grundlage der Idee der Erkenntnis überhaupt. Die Sachlage, daß irgendetwas überhaupt dem Subjekt so  zu Bewußtsein kommt,  daß mit anderen Worten: das Subjekt es so erschaut,  wie es in sich ist,  nennen wir  Erkenntnis  im weitesten Sinn des Wortes."


Ich will in der folgenden Betrachtung die schon mehrmals erörterte Frage erwägen, ob die Erkenntnistheorie einen Zirkel notwendig in sich schließen muß und somit unmöglich ist. Ich will diese Frage ganz unabhängig von der vorhandenen Literatur zu beantworten versuchen und mich von jeder literarisch vorhandenen Konzeption der Erkenntnistheorie frei machen. Rein systematisch eingestellt, lege ich hier eine bestimmte Idee der absoluten Erkenntnistheorie zugrunde, welche sich mir rein aus dem Wesen des Erkenntnisproblems zu ergeben scheint. Ich habe sie schon an einem anderen Ort zu entwickeln gesucht (1), wobei ich mir dort die Frage gestellt habe, welcher Erkenntnisart sich eine solche Erkenntnistheorie bedienen muß, um von prinzipiellen Irrtümern frei zu sein. Hier dagegen will ich erwägen, ob ihr nicht die Gefahr droht, sich in einem Zirkel zu bewegen. Es wird sich zeigen, daß dies - wie es beim Eingang in die Probleme zunächst scheint - in verschiedenem Sinn der Fall ist, daß aber diese Gefahren nach Beseitigung naheliegender, aber unberechtigter Gedankengänge zu vermeiden sind. Zugleich wird sich als Resultat unserer Betrachtung eine bestimmte Methode der Erkenntnistheorie ergeben, welche unsere am Anfang aufgestellte Idee der Erkenntnistheorie weiter ausgestalten wird.

Die Erkenntnistheorie in unserem Sinne soll vor allem eine  absolute  Erkenntnis von der Erkenntnis  überhaupt  erzielen. Unter Absolutheit der Erkenntnis wird ihre Unbezweifelbarkeit und Vollkommenheit verstanden. Wie ich in dem zitierten Werk zu zeigen versuchte, muß eine solche Erkenntnistheorie sich einer  immanenten  und  apriorischen  Erkenntnis - in einem  Husserlschen  Sinn - bedienen und muß in der Begründung von jeder wissenschaftlichen Theorie unabhängig sein, da sie die Gültigkeit  jeder  Theorie erst zu begründen und endgültig zu begründen hat. Als eine Theorie stellt sie ein einheitliches System von Erkenntnissen dar, die zuletzt in unmittelbaren - und wo dies möglich ist, in immanenten - Erkenntnissen gründen. Diese Erkenntnisse vollziehen sich, wie jede Erkenntnis, in bestimmten Bewußtseinsakten und an bestimmten Gegenständen, die hier die verschiedenen Erkenntnisakte, die ihnen zugehörigen Gegenstandssinne, sowie die Beziehungen zwischen ihnen bilden.

Das eben Gesagte gibt sofort Anlaß zu einer Erwägung, welche auf die Gefahr einer Petitio Principii hinweist. Sie besteht, der Hauptsache nach, in folgendem Gedankengang: Die erkenntnistheoretische Arbeit vollzieht sich zuletzt in Erkenntnisakten, die auf Erkenntnisakte gerichtet sind. Zugleich bildet das Zuerkennende, also das selbst mit einem Fragezeichen Behaftete, "die Erkenntnis überhaupt", d. h. das reine Wesen jeder nur möglichen Erkenntnis überhaupt. Die bei der erkenntnistheoretischen Arbeit in der Ausübung begriffene Erkenntnis fällt also in das Gebiet des Problematischen. Entweder also sind die gewonnenen Resultate selbst problematisch, oder die Geltung der in der Ausübung begriffenen Erkenntnis wird ununtersucht vorausgesetzt. Im ersten Fall aber würde die Erkenntnistheorie das an sie gestellte Postulat der Unbezweifelbarkeit nicht erfüllen, im zweiten dagegen wäre sie "dogmatisch" und widersinnig, weil sie einen offenkundigen Zirkel in sich schließen würde. Es bleibt freilich der Ausweg übrig, die in der Ausübung begriffene Erkenntnis einer neuerlichen Erkenntnis zu unterziehen. Das aber verbesserte - wie es zunächst scheint - die Situation nicht im mindesten. Wenn nämlich die neuerliche Erkenntnis eben  Erkenntnis  sein soll, so fällt auch sie in das Gebiet des Problematischen. Die Situation wäre also mit der vorherigen identisch. Versucht man aber zu sagen, die Erkenntnistheorie habe nicht das Wesen  jeder  Erkenntnis überhaupt, sondern nur das bestimmter Erkenntnisarten, so gelangt man dadurch auch entweder zu einer Petitio Principii, oder zu einem Regressus ad infinitum. Denn entweder setzt man die Geltung der benutzten Erkenntnis voraus, oder man unterzieht sie einer neuerlichen Erkenntnis, welche wiederum zu erkennen wäre, und so ad infinitum. Die Erkenntnistheorie in der oben festgelegten Gestalt führte somit zum Widersinn und wäre unmöglich.

Indessen scheint uns die Situation keinesfalls so hoffnungslos zu sein. Vor allem: wer uns auf obigem Weg die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie zu beweisen sucht, begeht selbst eine Petitio Principii. Im obigen Beweis wird ja offenbar die Idee der Wahrheit, wie die Geltung der logischen Gesetze vorausgesetzt. Die vernünftige Setzung der Idee der Wahrheit ist aber ohne die Möglichkeit der Erkenntnistheorie unmöglich. Somit muß die Möglichkeit der Erkenntnistheorie zwecks eines Beweises der Unmöglichkeit derselben vorausgesetzt werden. Aber diese rein negative Erwägung kann uns hier nicht genügen. Sie zeigt nur, daß der oben angeführte Gedankengang nicht stichhaltig ist, nicht aber, daß die Erkenntnistheorie möglich ist. Das letzte aber wollen wir hier zu zeigen versuchen und den Skeptiker nicht durch abstrakte Argumente, sondern durch einen positiven Nachweis unbestreitbarer, anschaulicher Sachlagen von der Möglichkeit der Erkenntnistheorie überzeugen. Damit stellen wir uns freilich vor eine weit schwierigere Aufgabe, aber nur dieser Weg scheint mir wirklich wertvoll zu sein. Wir müssen also die ganze Situation genauer untersuchen.

An der Spitze der obigen Argumentation steht die Behauptung: Da das Grundproblem der Erkenntnistheorie das Wesen der Erkenntnis ausmacht, so fällt die bei der erkenntnistheoretischen Arbeit in der Ausübung begriffene Erkenntnis selbst in das Gebiet des Problematischen und darf als solche zur Begründung der letzten, unbezweifelbaren Erkenntnis nicht benutzt werden. Es ist aber zu fragen, in welchem Sinne das Wesen der Erkenntnis überhaupt "problematisch" ist. Denn das Wort "problematisch" kann dreierlei Verschiedenes bedeuten:
    1. Es ist etwas "problematisch", weil wir noch nicht wissen,  was  es ist,

    2. "problematisch" nennt man etwas, dessen Existenzsetzung bzw. Geltungsrecht neutralisiert (2) ist,

    3. "problematisch" heißt schließlich - in einem laxen Sinn des Wortes - etwas, was "fraglich", zweifelhaft ist.
Im dritten Sinn braucht die Erkenntnis am Beginn der Erkenntnistheorie überhaupt nicht problematisch zu sein, weil wir - theoretisch gesprochen - über die Erkenntnis noch nichts wissen. Das Wesen der Erkenntnis überhaupt kann aber nur im ersten Sinn problematisch sein. Das heißt es handelt sich in der Erkenntnistheorie um die Frage,  was  zum Wesen der Erkenntnis überhaupt gehört,  was  ihre Idee wesensmäßig ausmacht? Denn was die Existenz dieser Idee betrifft, so steht diese im Moment, in welchem man an eine Erkenntnistheorie überhaupt denkt, ganz außer Frage. Die pure Existenz dieser Idee bezweifeln und gar sie negieren zu wollen, wäre übrigens ganz widersinnig. Sowohl nämlich das  Bezweifeln,  wie der positive Zweifel sind notwendige Korrelate der Erkenntnis und würden jeden vernünftigen Sinn verlieren, wenn die Erkenntnis nicht existieren würde. Auch der radikalste Skeptiker setzt die Existenz der Erkenntnis voraus, da er eben an ihr die von ihm behaupteten oder nur vermuteten Mängel der faktisch vorgefundenen bestimmten Erkenntnisse mißt. Aber auch das Geltungsrecht der Erkenntnis überhaupt, bzw. ihrer Idee, ist im zweiten, bzw. dritten Sinn der angegebenen Bedeutungen des Wortes nicht "problematisch". Die Idee der Erkenntnis überhaupt, als das oberste regionale Wesen, schreibt ja erst die Idee der Geltung vor. Sie ist mit anderen Worten das Maß, an dem die Ideen bestimmt gearteter Erkenntnisse, bzw. bestimmte konkrete Erkenntnisse gemessen werden. Sie selbst noch einmal messen zu wollen, wäre ein offenbarer Widersinn. Die einzige Frage also ist,  wie  sie zu bestimmen ist,  was  ihren wesensmäßigen Gehalt ausmacht. Dann aber löst sich unsere Schwierigkeit von selbst. Nur dann nämlich, wenn die "Erkenntnis überhaupt" in Bezug auf ihre Geltung in Frage gestellt sein würde, würde auch die zu ihrer Erfassung benutzte Erkenntnis im zweiten, bzw. dritten Sinn problematisch sein und dürfte nicht benutzt werden. Daß sie aber im ersten Sinn problematisch ist, das stört uns nicht im mindesten. Wir brauchen nicht zu wissen,  was  die von uns benutzte Erkenntnis ist, um sie benutzen zu können. Sie fällt als ein konkretes Individuum unter die untersuchte Idee, aber das tut nichts zur Sache.

Man wird uns indessen entgegnen: Mag sein! Aber erstens ist es die Frage, ob das, was wir als den wesensmäßigen Gehalt der Idee der Erkenntnis überhaupt betrachten, diesen Gehalt wirklich ausmacht. Mit anderen Worten: Es ist fraglich, ob das diesbezügliche, von uns gewonnene Resultat objektiv ist. Eine absolute Erkenntnistheorie wäre aber nicht absolut, wenn sie ihre Resultate nicht mit vollem Bewußtsein von der Objektivitär der letzteren aufstellen würde. Die aufgeworfene Frage muß also beantwortet werden. Wie sollen wir sie aber entscheiden können, wenn wir nicht wissen, ob die von uns benutzte Erkenntnis "wahr", "objektiv" ist. Setzen wir ihre Objektivität stillschweigend voraus, so ist das gewonnene Resultat erstens ein unwissenschaftliches Dogma, dessen Beseitigung eben das Ziel der Erkenntnistheorie ist. Tun wir es aber nicht und untersuchen wir  die von uns benutzte Erkenntnis  in Bezug auf ihre Objektivität, so entsteht zweitens die Frage, was uns bei dieser Untersuchung als Maß der Objektivität dienen soll, wenn selbst die Idee der Erkenntnis überhaupt, die dieses Maß abgeben soll, ihrem Gehalt nach fraglich ist. Wir dürfen ja diese Idee nicht voraussetzen, ohne eine Petitio Principii zu begehen. Andererseits ist dieses Beginnen zwecklos. Wenn es uns nämlich auch gelänge, diese Schwierigkeit zu überwinden, so entsteht sofort dieselbe Schwierigkeit in Bezug auf die neue zur Entscheidung der vorigen Schwierigkeit benutzte Erkenntnis, und so in infinitum.

Wir antworten: Gewiß! Die Geltung der Erkenntnis, die wir zur Entfaltung der Idee der Erkenntnis überhaupt benutzt haben, darf nicht stillschweigend vorausgesetzt werden. Diese Erkenntnis muß ihrem Wesen nach untersucht werden und muß bestimmte Bedingungen erfüllen, wenn sie bei der erkenntnistheoretischen Arbeit rechtmäßig verwendet werden soll. Welcher Art diese Bedingungen sind, haben wir an einem anderen Ort zu bestimmen gesucht. Wir dürfen sie hier nicht voraussetzen, weil sie aus dem Wesen der Erkenntnis überhaupt und aus dem Sinn des erkenntnistheoretischen Grundproblems abgeleitet sind. Hier aber arbeiten wir gerade an der Überwindung des Vorwurfs, daß wir den Gehalt der Idee der Erkenntnis überhaupt voraussetzen, bzw. voraussetzen müssen, ohne die betreffende konkrete Erkenntnis untersucht zu haben, bzw. sie untersuchen zu können. Trotzdem scheint uns die Situation gar nicht verzweifelt zu sein. Erstens steht es gar nicht fest, daß wir bei der Untersuchung der in der erkenntnistheoretischen Arbeit benutzten Erkenntnis notwendig einen Regressus ad infinitum, oder eine Petitio principii begehen müssen. Zweitens ist es gar nicht wahr, daß wir entweder die Idee der Erkenntnis überhaupt dogmatisch voraussetzen müssen, oder jedes "Kriteriums" beraubt werden und somit nicht imstande sein sollen, die betreffende konkrete Erkenntnis zu erkennen und zu prüfen. Wir fangen mit der zweiten Behauptung an.

Wir dürfen - wie schon gesagt - den Gehalt der Idee der Erkenntnis überhaupt nicht voraussetzen. Aber das besagt noch nicht, daß wir deswegen jedes "Kriteriums" überhaupt beraubt sind und die uns gestellte Aufgabe nicht lösen können. Erstens ist zwischen dem logischen Aufbau, sowie den logischen Zusammenhängen unter den einzelnen Sätzen der vollendeten Erkenntnistheorie und dem konkreten Gang der erkenntnistheoretischen Arbeit zu unterscheiden. Es wäre vielleicht ein Ideal, der Erkenntnistheorie die Gestalt einer reinen "rationalen Wissenschaft" zu verleihen, d. h. sie zu axiomatisieren. Aber vor allem ist es die Frage, ob die Erkenntnistheorie sich axiomatisieren läßt und ob man von vornherein an sie solche Forderungen stellen darf, die bei einer rein rationalen Wissenschaft voll berechtigt wären. Auch dann aber, wenn sie sich axiomatisieren ließe, ist der von uns eben gemachten Scheidung zu gedenken. In unserem Fall handelt es sich speziell um folgendes: Bei dem deduktiv-logischen Verfahren spielt eine Voraussetzung ihre erkenntnisbegründende Rolle dann und nur dann, wenn sie wahr ist. Ist sie selbst mit einem Fragezeichen behaftet, so ist auch das Gefolgerte in demselben Sinn und Grad "fraglich". Andererseits muß sie von der Folge  logisch  vollkommen unabhängig sein. Wo es sich aber um ein Verfahren handelt, das seinem Sinn nach  vor  jeder Deduktion liegt und dessen Funktion vor allem im reinen Schauen besteht, kann das, was nach der Herausarbeitung der unmittelbar einsehbaren Grundlagen der Theorie als ein Axiom dienen und dessen logische Funktion ausüben wird, eine andere, erkenntnismäßig gleich wichtige Rolle spielen. Es verliert freilich seine Macht der Begründung, kann uns aber als ein wichtiger methodischer Behelf dienen: es leitet uns in unserer Untersuchung als eine "leitende Idee", welche übrigens sehr wohl mit einem Fragezeichen behaftet werden und deswegen zu Irrtümern führen kann. In unserem Fall: Wir haben die Erkenntnis zu untersuchen, mittels welcher wir die Idee der Erkenntnis überhaupt erfaßt haben. Man fragt uns, welches Kriterium der Objektivität wir haben, wenn selbst die Idee der Erkenntnis überhaupt ihrem Gehalt nach nicht "sicher" ist? Wir antworten: die Idee der Erkenntnis überhaupt gilt ihrem Gehalt nach freilich im jetzigen Augenblick noch nicht. Aber wir können sie, nach der Neutralisierung ihres Geltungsanspruchs, als eine "leitende Idee" verwenden. Natürlich dürfen wir sie dann als ein kategorisch entscheidendes Kriterium nicht benutzen. Wenn sie aber auch noch so problematisch wäre, schreibt sie uns doch einen Bereich von "möglichen" Erkenntnissen vor, in dem wir uns  vorläufig  orientieren können, ohne eine Entscheidung zu fällen. Diese Entscheidung bleibt einem Moment  vorbehalten,  in dem wir einen absolut festen Stützpunkt erreichen. Die prinzipielle Möglichkeit dieses Erreichens ist es eben, die wir hier zeigen wollen. Dessen Unmöglichkeit behauptet der von uns bekämpfte Gedankengang.

Bevor wir aber weiter gehen, bemerken wir noch folgendes: Es wäre vollkommen verfehlt, wenn man in der jetzigen Problemsituation etwa folgendermaßen argumentieren wollte: Jedenfalls haben wir vorläufig kein feststehendes Kriterium der Objektivität. Wie können wir also wissen, was die von uns untersuchte Erkenntnis eigentlich ist? Wir haben ja noch keinen "Begriff" von der Erkenntnis! - In einem solchen Gedankengang gibt sich die heimliche skeptische Tendenz jeder "Begriffsphilosophie", bzw. "Kriteriumsphilosophie" kund. Man ruft nach "Kriterien", nach "Begriffen", und wenn man sie im Augenblick nicht zur Verfügung hat, ist man ratlos, als ob die direkt auf den noch unbekannten Gegenstand gerichtete Erkenntnis uns kein "Wissen" von ihm zu verschaffen vermöchte, wenn wir noch keine fertigen Begriffe oder Kriterien an der Hand haben; oder als ob uns diese Begriffe und Kriterien etwas helfen könnten, falls wir keine unmittelbare Erkenntnis zur Verfügung hätten. Natürlich wird uns die direkte unmittelbare Erkenntnis von der in Frage stehenden konkreten Erkenntnis nicht sagen können, ob sie den Bedingungen der Objektivität im strengen Sinne genügt, wenn wir die Idee der Erkenntnis überhaupt endgültig noch nicht festgelegt haben. Aber einerseits wird uns diese vorläufig herausgestellte und neutralisierte Idee als eine Richtschnur dienen, während andererseits auch die von uns eben untersuchte Erkenntnis eine Idee von der Erkenntnis nahebringen wird. Jede Erkenntnis hat ihr "Gewicht". So werden auch hier die beiden Erkenntnisse (die Erkenntnis von der "Erkenntnis überhaupt" und die von der Erkenntnis der "Erkenntnis überhaupt") ihre Gewichte ins Spiel setzen und beim eventuellen Widerstreit zum Überwiegen eines der Gewichte, bzw. zur Modifizierung eines der gewonnenen Resultate hindrängen und zur weiteren Untersuchung einladen, oder sie werden sich gegenseitig bekräftigen. Ein Augenblick kann kommen, in welchem eine von den Erkenntnissen ein solches  in sich faßbares  Gewicht besitzt, daß wir den absolut festen Stützpunkt erreichen und jeder weiteren Untersuchung entbehren können. Die Möglichkeit eines solchen Augenblicks wollen wir jetzt zeigen.

Damit treten wir den Beweis der ersten unserer oben aufgestellten Behauptungen an, des Satzes nämlich, daß man bei der Untersuchung der zur Aufstellung der Idee der "Erkenntnis überhaupt" benutzten Erkenntnis nicht notwendig eine Petitio Principii begehen, oder zu einem Regressus kommen muß. Die entgegengesetzte Behauptung lautet ausführlich formuliert folgendermaßen:

Es ist die Erkenntnis zu erkennen, in welcher wir die Idee der Erkenntnis überhaupt zu erfassen glauben. Das kann nur in einem neuen Erkenntnisakt geschehen, der auf die betreffende Erkenntnis gerichtet ist. Nach der Erledigung dieser Aufgabe entsteht aber sofort die Frage, ob sie gut gelöst wurde, d. h. ob die eben vollzogene Erkenntnis rechtmäßig ist und was uns diese Rechtmäßigkeit verbürgt. Die beiden letzten Fragen können wir natürlich nur durch eine neuerliche Erkenntnis der eben benutzten Erkenntnis beantworten, wobei wir aber nur das erreichen, daß wir uns in einer analogen Situation befinden, mit dem einzigen Unterschied, daß sich jetzt die beiden, eben angeführten Fragen nicht auf die Erkenntnis von der Erkenntnis, sondern auf die Erkenntnis der Erkenntnis von der Erkenntnis beziehen. Man kann in dieser Situation die RUSSELLsche Typentheorie anwenden, die scheinbar die Lösung der Schwierigkeit herbeiführt. Jedoch genau besehen führt diese Anwendung entweder zum völligen Verzicht auf die Lösung der angedeuteten Frage, oder zu einem unüberwindlichen Regreß. Man sagt nämlich, die Erkenntnis irgendeines Gegenstandes (z. B. eines Dinges) - Typus I. Ordnung - sei verschieden von der Erkenntnis der Erkenntnis dieses Ding - Typus II. Ordnung -. Wenn es also wahr ist, daß die Erkenntnis  n-ter  Ordnung in einer Erkenntnis  (n + I) -ter Ordnung untersucht werden muß, deren Objektivität wiederum zu untersuchen ist, falls deren Resultate mit vollem Bewußtsein ihrer Stichhaltigkeit aufgeteilt werden sollen, so läge vor uns eine unendliche Reihe von Untersuchungen, die nie zu einem endgültigen Resultat führen würden. Wenn aber die Verschiedenheit zwischen Erkenntnissen verschiedener Ordnung so groß wäre, daß die Frage nach der Geltung der Erkenntnis II. Ordnung ihren Sinn verliert, weil so etwas wie "Geltung", einen Sinn nur beim Typus I. Ordnung hat, so müßte man nicht auch die Erkenntnis II. (und jeweilig höherer) Ordnung in Bezug auf ihre Geltung untersuchen. Und so würde sich die Schwierigkeit von selbst lösen. In Wahrheit ist es aber ein Verzicht auf die Lösung. Denn man darf die RUSSELLsche Typentheorie nicht in einem so radikalen Sinn anwenden, als ob die Erkenntnisse verschiedener Ordnung absolut nichts Gemeinsames hätten. Was würde uns dann noch zwingen, die beiden Erkenntnisse  Erkenntnisse  zu nennen, was wir doch offenbar tun müssen? Eine Erkenntnis aber, bei welcher man nach ihrer Geltung nicht fragen dürfte, wäre keine Erkenntnis mehr. Stellt man aber bei der betreffenden Erkenntnis die danach lautende Frage nicht, so verzichtet man darauf, über ihre Geltung etwas Positives zu wissen. Das obige Dilemma ist somit vermeidbar. Wenn aber die RUSSELLsche Typentheorie hier nicht anwendbar ist, so muß man in der obigen Situation eine Petitio Principii begehen.

Unsere Antwort lautet: Die eben angeführte Argumentaion ist irrig, weil sie auf einer - übrigens zweifelhaften - Voraussetzung beruth, welche selbst dem Gebiet der vom Argumentator prinzipiell geleugneten Erkenntnistheorie entnommen ist. Sie ist somit im Grunde mit einer Petitio Principii behaftet. Die erwähnte Voraussetzung aber lautet:  Jeder  Erkenntnisakt schlechthin ist vom entsprechenden Erkenntnisgegenstand streng verschieden. Mit anderen Worten.: es ist zur Erkenntnis einer Erkenntnis  immer  ein ganz  neuer  Erkenntnisakt notwendig. Diese Behauptung ist in der ganz allgemeinen Formulierung nicht stichhaltig. Man muß freilich bei jeder Erkenntnis überhaupt zwischen dem Erkenntnisakt und dem Erkannten als solchem unterscheiden, aber das schließt nicht aus, daß in einem ganz bestimmten Fall diese Unterscheidung nur ein Betrachten desselben identischen Etwas von zwei verschiedenen Gesichtspunkten ist. Das Erkennen und das Erkannte bildeten dann ein einheitliches Ganzes, an dem sie nur abstraktiv und beim Verbleiben außerhalb des aktuellen Vollzugs des betreffenden Erkennens als unselbständige ("abstrakte") Momente zu unterscheiden wären. Im folgenden wollen wir zeigen, daß es wirklich so ist und daß man dadurch die obige Schwierigkeit lösen kann.

Nehmen wir an, wir beginnen eine Analyse der äußeren Wahrnehmung. Wir vollziehen eine konkrete äußere Wahrnehmung und versuchen in ihrem Vollzug sowohl auf das Wahrnehmen, wie auf den wahrgenommenen Gegenstand zu "reflektieren". Wir finden, daß das Wahrnehmen (der Wahrnehmungsakt) vom wahrgenommenen Gegenstand radikal verschieden ist und diesen auf eine ganz bestimmte Weise vermeint und erfaßt. Wir stellen weiter die "reale Transzendenz" (3) des wahrgenommenen, als real vermeinten Gegenstandes dem Wahrnehmungsakt gegenüber fest und erfassen andererseits das Wesen des Wahrnehmens als eines Bewußtseinsaktes, der im schlichten Vollzug selbst nicht mehr wahrgenommen, sondern nur  "durchlebt"  wird. Die Untersuchung gibt uns schließlich als Resultat, in welchem Sinn und in welchen Grenzen das Wahrnehmen den Gegenstand zu erfassen vermag. All das glauben wir zu erkennen, wobei wir zunächst noch nicht "wissen", wie wir das alles erkennen, obwohl wir dieses Erkennen  bewußt  durchleben. Da taucht aber die Frage auf, ob das eben gewonnene Resultat "wahr" ist? Der direkte Weg zur Beantwortung dieser Frage geht über die Untersuchung der eben vollzogenen Erkenntnis von der Wahrnehmung. Wir beginnen diese Untersuchung und da bemerken wir, daß sie auf doppeltem Weg geführt werden kann. Der erste Weg ist folgender: Wir versuchen unser vorheriges Verfahren nachzuahmen, von dem wir freilich noch keine Erkenntnis im strengen Sinne haben, welches aber uns doch nicht ganz unbekannt ist, da wir es bewußt durchlebt haben. Wir erfassen auf diese Weise, daß das Erkennen des Wahrnehmens von einem äußeren Gegenstand seinem regionalen Wesen nach unter dieselbe Seinsart fällt, wie das schlichte Wahrnehmen. Es ist nämlich ebenfalls ein Bewußtseinsakt, der im schlichten Vollzug nicht wahrgenommen, sondern durchlebt wird. Das Erkennen des Wahrnehmens ist aber zugleich vom schlichten Wahrnehmen, samt dessen bewußtseinsmäßigen Korrelat, streng verschieden. Das schlichte Wahrnehmen wird jetzt zu einem "Gegenstand" gewordenen Wahrnehmens. Das Ich ist nicht direkt auf den Wahrnehmungsgegenstand gerichtet, sondern auf das Wahrnehmen. Im letzteren freilich ist ein Gerichtetsein des Ich auf den Wahrnehmungsgegenstand vorfindbar, aber einerseits wird dieses Gerichtetsein nur im Charakter eines versuchten Experiments vollzogen (es ist nur ein Quasi-Vollzug - wie wir oben sagten -), andererseits ist es eben  vor findbar. Das heißt es ist etwas, worauf der Blick des reinen Ich eben  ruht,  gerichtet ist, und was das reine Ich im Erkennen des Wahrnehmens als ein bestimmtes Vermeinen und eventuell Erfassen des Wahrnehmungsgegenstandes  erfaßt.  Das Ich lebt aber "eigentlich", "wirklich" im  Erkennen  der Wahrnehmung selbst. Schon dadurch zeigt sich die Verschiedenheit zwischen dem Wahrnehmen eines äußeren Gegenstandes, das selbst wiederum Gegenstand eines anderen Erkennens ist, und diesem letzteren Erkennen. Diese Verschiedenheit tritt noch besser zutage, wenn man beachtet, daß das Wahrnehmen eines äußeren Gegenstandes ein "sinnlicher" Akt ist, wogegen das Erkennen dieses Wahrnehmens in dieser Hinsicht eine vollständig heterogene Natur aufweist. Beide Akte sind, wie schon gesagt, desselben regionalen Wesens, d. h. beide sind letzten Endes "Bewußtseinsakte". Aber andererseits sind sie beide Entitäten, die nicht nur ihrer Gattung nach verschieden sind, sondern von welchen - und darauf kommt es uns hier vor allem an! - jede in sich und für sich selbst ein  einheitliches, in sich abgeschlossenes Ganzes  ausmacht. Beide sind in gewissem Sinne  selbständig  und - wenn man so bildlich sagen darf -  "auseinander".  Das Wahrnehmen des äußeren Gegenstandes in dem Sinne, daß es  in concreto  existieren kann, ohne von einem anderen Erkenntnisakt begleitet zu werden. Das Erkennen des Wahrnehmens dagegen in diesem Sinne, daß wenn es auch  in concreto  nicht existieren könnte, ohne ein Vermeintes zu haben, auf es gerichtet zu sein, es trotzdem eine vollkommene, nur durch das Wesen des Bewußtseins begrenzte, Freiheit in Bezug darauf besteht, was das Vermeinte gerade ausmacht. Das heißt: Das Vermeinte dieses Erkennens kann z. B. ebensogut ein Wahrnehmen eines äußeren Gegenstandes, wie ein Werterfassen eines ethischen, oder ästhetischen Wertes, oder aber ein Vollzug eines Wunsches oder Begehrens, oder schließlich ein Akt der Liebe oder des Hasses sein - und das alles ohne das gattungsmäßige Wesen des Erkennens all dieser Bewußtseinsakte zu tangieren. Dieses Erkennen ist etwas, was zu allen diesen Bewußtseinsakten als etwas vollkommen  Neues hinzu kommt, falls sie eben erkannt werden. Es ist in diesem Sinne "außerhalb" der genannten Akte, daß es weder bei ihrem schlichten Vollzug überhaupt vorhanden ist, noch bei ihrem "reflektierten" Vollzug ein  ihnen  wesentlich  zugehöriges, an ihnen  vorfindbares Moment ausmacht. Es ist eine in sich vollkommen geschlossene und "außerhalb" der genannten Akte verbleibende Einheit. Das Wort "außerhalb" soll natürlich  nicht  im Sinn irgendeiner räumlichen Relation verstanden werden. (Wie überhaupt das Bewußtsein ein jedem Räumlichen radikal heterogenes Wesen bildet.) Was das Wort "auseinander" hier besagen soll, wird klar, wenn wir dieser Form des Zusammenseins im Bewußtsein eine andere gegenüberstellen werden, die man bildlich als das "Ineinander" bezeichnen könnte. Zu diesem Zweck gehen wir zu der zweiten der oben erwähnten Arten des Wahrnehmens, bzw. der Bewußtseinsakte überhaupt über.

Unserer obigen Beschreibung des Unterschiedes zwischen dem Quasivollzug des Gerichtetseins des Ich auf den Wahrnehmungsgegenstand in dem selbst zum Erkenntnisgegenstand gemachten Wahrnehmen und dem wirklichen, "eigentlichen" Sich-richten des reinen Ich im Erkennen des Wahrnehmens auf das letztere, könnte der Einwand gemacht werden, daß sie insofern unrichtig ist, als die "immanente" Wahrnehmung (4) im Moment, wo sie selbst Thema der Analyse ist, ebenfalls nicht im eigentlichen Sinne vollzogen wird, sondern auch in einem Quasi-Vollzug begriffen ist. In dem Augenblick aber, in welchem sie noch nicht analysiert wird, könne man - sagt der Einwand - über sie nichts aussagen, da man von ihr noch nichts "weiß" und in ihrem Vollzug so vollkommen aufgeht, daß man sozusagen keine Zeit hat, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. - Es läßt sich nicht leugnen, daß der Einwand nicht ganz fehltgeht. Unsere Beschreibung war wirklich nicht ganz korrekt, aber nur unter der Voraussetzung, daß wir die immanente Wahrnehmung in einem  ihr analogen  Akt untersuchen. Sie kann aber ganz korrekt sein, wenn wir diese Voraussetzung fallen lassen. Mit einer gewissen Verwunderung bemerken wir sogar, daß sie ganz korrekt ist, und daß wir das feststellen können, ohne uns eines neuen, der immanenten Wahrnehmung analogen Aktes zu bedienen. Oder besser gesagt, daß wir das gerade dann feststellen können, wenn wir uns eines solchen Aktes  nicht  bedienen! Der zweite Teil des oben angedeuteten Einwandes ist somit unrichtig. Wir können ganz wohl ein "Wissen" von der  unreflektierten  immanenten Wahrnehmung haben, und sogar ein Wissen, besser, ein Erkennen, das in vielen Richtungen wichtige Vorzüge der immanenten Wahrnehmung gegenüber aufweist. Wir wollen dieses Erkennen " Intuition nennen und gehen zu ihrer Beschreibung über.

Die "Intuition" - in unserem eben zu bestimmenden Sinn - ist vor allem kein "Akt" im eigentlichen phänomenologischen Sinn des Wortes. Um ihr Wesen leichter zu erfassen, stellen wir uns zunächst das Wesen des Bewußtseins überhaupt vor Augen. Zum Wesen des Bewußtseins - wir meinen hier das  reine - gehört es eben, daß es ein  Bewußt sein ist. Im Gegensatz zu jedem unbewußten - z. B. materiellen - Sein, das wesensmäßig als ein  für sich  "stummes und  für sich  "blindes" Sein charakterisiert ist, ist das Bewußtsein nicht nur in dem Sinne "offen" - um mit HEDWIG CONRAD-MARTIUS zu reden -, daß es andere, vom betreffenden Bewußtsein verschiedene Gegenstände vermeinen und erfassen kann; sondern es ist ein Sein, das  für sich selbst  existiert und in seinem puren Sein  von sich selbst  ein "Wissen" hat. Es besteht in diesem  Von-sich-selbst-wissen.  Indem es andere Gegenstände "erlebt", bzw. sie "gegeben" hat,  durchlebt  es sich selbst und ist nichts anderes, als dieses  Sich-selbst-durchleben  selbst. Man könnte es dem sich selbst durchglühenden Eisen vergleichen, wenn man nur sowohl von der Materialität, wie von der Ausdehnung des Eisens abstrahieren und ausschließlich auf die sich selbst durchdringende Glut achten könnte. Aber dieser Vergleich vermag das eigentümliche konstitutive Moment des Bewußtseins nicht adäquat wiederzugeben. Denn es ist nicht nur ein Sich-selbst-durchdringen, sondern ein solches Sich-selbst-durchdringen, in dem sowohl das Durchdringende, wie das Durchdrungene vom selben identischen Wesen ist und  ein  identisches  Individuum  bildet. Dieses Wesen sind wir nur mit dem Wort  "Bewußtsein"  zu  nennen  imstande, aber können es durch gar keine, der Sphäre des Unbewußten entnommene Vergleiche adäquat wiedergeben. Auch die eben ausgesprochene Scheidung zwischen dem Durchdringenden und dem Durchdrungenen entspricht dem im puren Durchleben Enthaltenen nicht, weil dieses ein schlechthin Einfaches, - wie gesagt - ein  ein  identisches Individuum bildendes ist. Und es liegt uns ganz besonders am Herzen, diese Einfachheit zu betonen und sie etwas genauer herauszustellen. Vielleicht wird uns folgende Erwägung zu diesem Zweck behilflich sein: Nehmen wir als Beispiel eines Bewußtseinserlebnisses die äußere Wahrnehmung von irgendeinem Gegenstand, so können wir folgende drei verschiedene Reihen von Unterschieden nebeneinanderstellen:

1. Der wahrgenommene Gegenstand gibt sich uns in einer ganz bestimmten "Klarheit" und "Deutlichkeit" und zwar deswegen, weil seine Eigenschaften oder Umstände, in denen er gerade wahrgenommen wird, diesen Modus der Klarheit, bzw. Deutlichkeit hervorzubringen vermögen (5). Je nach der Art der mehr oder weniger "auffallenden" Eigenschaften des Gegenstandes, oder je nach "günstigen" oder "störenden" Umständen des Wahrnehmens, kann diese Klarheit und Deutlichkeit verschiedene Formen annehmen und wechseln. All das unter der Voraussetzung einer bestimmten und als unverändert gedachten Schärfe der Aufmerksamkeit und der "Sehschärfe" (worunter natürlich nur Eigentümlichkeiten des  reinen  Wahrnehmungsaktes und nicht etwa irgendwelche reale Fähigkeiten des psychophysischen Subjektes verstanden werden sollen). (5) Diesen Klarheits- und Deutlichkeitsunterschieden entspricht eine genau umschriebene Mannigfaltigkeit von Erscheinungsmodi des wahrgenommenen Gegenstandes, von denen jeder aber nur ein abstrahiertes Moment aus der konkreten Fülle der mannigfaltigen Erscheinungen bildet. Denn in der Mannigfaltigkeit der konkreten (in der originären Fülle genommenen) Gegenstandserscheinungen kann man andere Reihen der Klarheits-, bzw. Deutlichkeitsunterschiede herausstellen, die nicht mehr von den Eigentümlichkeiten des wahrgenommenen Gegenstandes  phänomenal  abhängig sind, sondern wesensmäßig auf bestimmte Unterschiede im  Wahrnehmen  selbst hinweisen.

2. Es sind eben  Unterschiede des Wahrnehmens,  unter denen vor allem Unterschiede der Aufmerksamkeit und der Sehschärfe zu nennen sind. Man muß aber zwei verschiedene Reihen dieser Unterschiede scheiden, die voneinander unabhängig sind:  a)  die Unterschiede der Aufmerksamkeit und der Sehschärfe beim  gegenständlichen  Vermeinen und Erfassen und  b)  analoge Unterschiede beim  Erleben  von  ichfremden  Beständen, die  nicht  in der  Gegenstands form gegeben sind: beim Erleben von "Empfindungen" und "Ansichten" verschiedener Stufen.

a) Die ersteren ließen sich folgendermaßen beschreiben: In der Mannigfaltigkeit der zu einem identischen, wahrgenommenen Gegenstand gehörigen Wahrnehmungsakte lassen sich bestimmte Akte von ausgezeichneter Aktivität abscheiden. Ihr Vollzug hat zur Folge, daß der wahrgenommene Gegenstand bei identischen, "objektiven" (als objektiv vermeinten) Wahrnehmungsumständen und bei identischen, "objektiven" Eigentümlichkeiten des Gegenstandes, doch in klarerer und deutlicherer Gestalt erscheint, als beim Vollzug anderer, auf diese Weise nicht ausgezeichneter Akte. Übertragen wir die hier betrachteten Sachlagen ins Psychologische, so hätten wir vor allem zwischen verschiedenen Typen der "Begabung" zum Wahrnehmen zu unterscheiden. Schauen und wirklich "sehen" ist nicht einerlei. Der eine blickt zehnmal auf einen Gegenstand hin und "sieht" trotzdem nichts, oder nur sehr wenig. Er ist in gewissem Sinne geistig blind. Ein anderer dagegen sieht "auf den ersten Blick" den Kern der Sache. Auf dem Gebiet des Psychologischen sind aber diese Unterschiede in verschiedenen realen Fähigkeiten fundiert, die mit dem Aufbau des reinen Erlebnisses nichts zu tun haben und in sich zufällig sind. Wir haben auch die psychologischen Beispiele nur zwecks besserer Veranschaulichung der von uns im Auge gehabten Fälle herangezogen und wollen jetzt - natürlich nur andeutungsweise - zeigen, daß die betrachteten Unterschiede rein in den Bewußtseinsakten gründen. Es sind mit anderen Worten manche Eigentümlichkeiten der eidetischen Singularitäten des Gattungswesens Wahrnehmungsakt aufzuweisen. Die Voraussetzung ist dabei, daß es sich um Wahrnehmungen eines ausweisbar identischen und unveränderten Gegenstandes handelt, und daß die Erscheinungsunterschiede, die auf objektive oder subjektive  Umstände  des Wahrnehmens zurückführbar sind, außer Acht gelassen werden. Das letztere besagt unter anderem, daß wir unsere Analyse nur innerhalb der thematischen Einstellung auf den wahrzunehmenden Gegenstand führen. Man kann auf einen Gegenstand gerichtet und sogar konzentriert sein und ihn doch unklar und undeutlich sehen. Die Gründe dessen sind verschiedener Art. Man müßte hier vor allem zwischen dem in gewissem Sinne "toten" und dem "lebendigen" Ich, bzw. Wahrnehmen unterscheiden (6). Im ersten Fall ist das Ich zwar auf den Gegenstand konzentriert, es vermag aber nicht, einen Akt des ursprünglichen Sehens und Erfassens zu vollziehen. Die wesentliche Leistung dieses Aktes des ursprünglichen Erfassens ist das  Kennenlernen  des Gegenstandes und das  Erkennen  des Gegenstandes,  als  eben dieses und solches und keines anderen. Fehlt dieser Akt, so wird die Wahrnehmung zwar vollzogen, man sollte aber diesen Vollzug nur einen scheinbaren Vollzug nennen. Das Ich ist noch dabei, der Strahl des Erfassens ist aber kraftlos geworden: das Ich zielt nur, aber es vermag nicht wirklich zu treffen, und auch das Zielen selbst hat den Charakter einer "bewußten Tat", eines wirklichen, ursprünglich und aus eigener Kraft vollzogenen  Aktes  verloren. Wenn die Wahrnehmung ein synthetisches, intentionales Erlebnis ist und daß somit - wie unter anderem auch HENRI BERGSON trotz der vielfachen Irrtümer richtig sieht - ein beträchtlicher Teil des Inhaltes jeder Wahrnehmung nicht auf ihre eigene Rechnung, sondern auf die der vergangenen Erfahrung zu schreiben ist. Man könnte fast sagen, daß das "tote" Ich nur deswegen die Wahrnehmung zustande bringt, weil es unter dem Druck der vergangenen Erfahrung steht. Das, was vor ihm in schlechthin neuer Originalität steht, ist ihm unzweifelhaft irgendwie, auf dunkle Weise, gegenwärtig. Es modifiziert auch dadurch das Gesamtphänomen. Aber weder diese Modifikation, noch das schlechthin Originäre als solche, kann das Ich in seiner Eigenheit wirklich, thematisch erfassen. Der Gegenstandssinn ist für sich nicht abgehoben, sondern verschwindet gewissermaßen unter dem Aspekt des betreffenden Gegenstandes, einem Aspekt, oder besser gesagt, einem Vermeinungssinn, der in früheren Erfahrungen gewonnen wurde und gegenwärtig mehr gewohnheitsmäßig, als "bewußt", vom Ich vermeint wird. Von diesem einen Extrem zum anderen, in dem das Gegenteil des eben beschriebenen Falles vorliegt, führt eine unendliche Reihe von Übergangsformen. Wir können sie hier nicht beschreiben. Einiges nur zur andeutenden Charakterisierung des zweiten Extrems. Das Ich ist in höchstem Grad dem schlechthin Originärgegebenen zugänglich und erfaßt es in vollkommener Adäquatheit. Es versteht nicht nur die Sprache des schlechthin Originärgegebenen, sondern es vermag auch sofort die entsprechende "Idee zu bilden" und sie in diesem Originärgegebenen zur Erfüllung zu bringen. Zugleich wird das letztere nicht nur als Ganzes, sondern es wird auch sein Aufbau in vollkommener Klarheit und Deutlichkeit erfaßt. Die Vermeinung, bzw. die Erfassung hat den Charakter der unfehlbaren Sicherheit, des wirklichen Erreichens des Gegenstandes und des Beherrschen des letzteren. Die Aktivität ist so groß, daß man hier in gewissem Sinne von der Freiheit des Wahrnehmens sprechen darf. Das Ich gibt dem schlechthin Originärgegebenen sein ihm gebührendes Gewicht und befreit sich dadurch von der früheren Erfahrung. Die kontinuierliche Synthese der Wahrnehmung wird deswegen unter der Richtschnur des Originärgegebenen vollzogen. (7)

b) Von diesen Unterschieden innerhalb des  gegenständlichen  Wahrnehmens sind die Unterschiede der Bewußtheit des  Erlebens von ichfremden Beständen  zu scheiden. Wir sprachen oben von einem dunklen Gegenwärtigsein des schlechthin Originären beim gleichzeitigen Wahrnehmen eines  Gegenstandes.  In dieser Redeweise kommt die Scheidung zwischen dem gegenständlichen Wahrnehmungsvermeinen und dem Erleben von ichfremden Beständen zum Vorschein. Mag sein, daß zwischen beiden Abhängigkeitsbeziehungen bestehen; und es ist eben das Arbeitsthema einer der wichtigsten Teile der erkenntnistheoretischen Untersuchung, festzustellen, ob und welche Abhängigkeiten in dieser Hinsicht existieren. Unzweifelhaft ist es aber, daß es etwas anderes ist, etwas  gegenständlich gegeben  zu haben und während dieses Gegebenhabens die ichfremden Bestände zu  erleben.  Nehmen wir z. B. einen Tisch wahr, so haben wir in diesem Wahrnehmen die Ansichten verschiedener Stufe und ebenso die mannigfaltigen, immer wechselnden Empfindungsdaten  nicht  gegeben und es bedarf einer Reihe bestimmt gebauter Akte, um sie zur Gegebenheit zu bringen. Andererseits sind uns unzweifelhaft die Ansichten, bzw. die Empfindungsdaten - obwohl unthematisch und ungegenständlich - gegenwärtig und wir können sie sogar in ihrer eigenen Gestalt - also auf nicht-objektivierende Weise - erfassen, ohne den Akt der äußeren Wahrnehmung zu verlassen. Streng gesprochen, können die Empfindungsdaten in vollkommenerer Reinheit nur dann erfaßt werden, wenn wir die Wahrnehmung vollziehend, den Bewußtseinsgrad des  Erlebens  steigern und - noch immer in erster Linie auf den Wahrnehmungsgegenstand achtend - die Empfindungsdaten in einem absichtlichen  "Nebenbei-beachten" erfassen. Hier interessiert uns nur das Folgende: das Erleben läßt verschiedene Grade der Bewußtheit zu. Von einem Erleben, das fast "unbewußt", d. h. vor allem dunkel und verworren ist, kann man sukzessive zu Erlebensarten übergehen, die immer mehr "bewußt", immer heller, klarer sind, um endlich zu einem Erleben zu gelangen, das die höchste Stufe der Bewußtheit ausweist. Dabei bleiben alle Erlebensarten von einem  gegenständlichen Vermeinen  und  Erfassen  streng verschieden. Das Erlebte ist in allen diesen Fällen vom Erleben phänomenal verschieden. Das betrifft ebensowohl die Empfindungsdaten, wie die Ansichten verschiedener Stufe. Das Erlebte - im Fall der  äußeren  Wahrnehmung - wird immer als das dem reinen Ich gegenüber Fremde erlebt. Es hat seine eigene Reihe der Veränderungen und der Intensität - soweit man in dieser Sphäre überhaupt von "Intensität" im strengen Sinn sprechen darf -, die sowohl von der Intensität mancher Wahrnehmungsgegenstände, wie von der Akte (des Wahrnehmens, des Erlebens) verschieden und in vielen Fällen unabhängig ist. Ebenso ist der kategoriale Aufbau des Erlebten vom kategorialen Aufbau sowohl der "Gegenstände" (im spezifischen, engen Sinn des Wortes), wie der Akte prinzipiell verschieden, obwohl alle diese Gegenständlichkeiten dem kategorialen Aufbau des "Etwas überhaupt" in einem analytisch-formalen Sinn der formalen Ontologie Genüge tun. Wenn auch von der Distanzstellung des Wahrnehmungsgegenstandes - umd das Wort von HEDWIG CONRAD-MARTIUS zu benutzen - beim Erleben der Empfindungsdaten keine Rede sein kann, so müssen wir trotzdem hervorheben, daß die Empfindungsdaten als etwas den Bewußtseinsakten gegenüber  Fremdes,  als etwas, was  außerhalb  der Akte verbleibt, zu betrachten sind. Wenn man das Moment des - im weitesten Sinne des Wortes - "Wissen von etwas" als das konstitutive Moment des  Bewußtseins  betrachten wollte, so wären die Empfindungsdaten aus dem Bereich des Bewußtseins überhaupt zu eliminieren. Jedenfalls sind die Empfindungsdaten - und in noch höherem Maß die Ansichten verschiedener Stufen - Inhalte,  die den Bewußtseinsakten auf bestimmte Weise  gegenüber treten und  selbst (in sich) nicht  bewußt sind. Das heißt ihre Seinsweise ist die des Erlebt werdens  und  nicht  die des Durch lebens.  Die Seinsweise des  Erlebens  der Empfindungsdaten dagegen ist die des "Durchlebens" (8).

3. Nach diesen Feststellungen können wir jetzt zu unserem eigentlichen Thema übergehen: zur "Intuition". Den beiden oben besprochenen Unterschiedsreihen des Wahrnehmens und des Erlebens muß man eine dritte Reihe der Unterschiede im Bewußtseinsgrad des  Durchlebens  gegenüberstellen. Diese Unterschiede sind wiederum von den oben angedeuteten verschieden und von ihnen unabhängig. Man kann ganz dunkel, unklar und unaufmerksam wahrnehmen, bzw. die ichfremden Bestände erleben, und doch die entsprechenden Akte sehr "bewußt" durchleben. Dasselbe betrifft den umgekehrten Fall. Die Unterschiede der Klarheit, der Helligkeit des Durchlebens, die wir hier im Auge haben, sind nicht etwa auf das Auftreten irgendwelcher  neuen Akte  zurückzuführen. Im Gegenteil! Es kommt uns hier gerade darauf an, daß sie zwischen  schlicht  durchlebten Akte so anzuordnen, daß man sukzessive von  fast  ganz unbewußt durchlebten Akten zu Akten übergehen kann, die den höchsten Grad der Bewußtheit besitzen. Ein Akt, der  vollkommen  unbewußt durchlebt wäre, ist ein Unding. Um den Übergang von den dunkel durchlebten Akten zu den mehr bewußt durchlebten zu veranschaulichen, wird es vielleicht gut sein, einen Vergleich aus dem Farbengebiet zu nehmen. Wir denken hier an den Prozeß der Sättigung einer Farbe. Auf irgendeine, uns hier nicht mehr interessierende Weise bewerkstelligen wir es, daß eine zunächst farblose, oder weiße Fläche durch eine bestimmte Farbennuance immer mehr durchdrungen wird, so daß sie immer farbiger und schließlich durch die gesättigte Farbe der betreffenden Nuance erfüllt wird. Abstrahieren wir von der Fläche selbst, die von der Farbe verschieden ist, und konzentrieren wir uns ausschließlich auf die sich immer mehr  sättigende  Farbe, so haben wir einen Prozeß vor uns, der in einem Sich-immer-mehr-durchdringen ein und desselben Elements besteht und eine Steigerung dieses Elements hervorruft. Eine analoge Sättigung findet man vor, wenn man von einem weniger bewußten Akt zu einem mehr bewußten übergeht. Daß es sich hier um keine quantitativen Unterschiede handelt, sondern um Unterschiede, die auf dem Gebiet der Qualität - im weitesten Sinn des Wortes - liegen, und nur die Eigentümlichkeit haben, daß sie sich in eine Reihe anordnen lassen, bedarf kaum einer Erwähnung. Das Beispiel mit der Sättigung ener Farbe ist insofern unzutreffend, als die Farbe  für sich  nicht bewußt ist, während das Gegenteil bei den Bewußtseinsakten stattfindet. Der Übergang von einem dunkel durchlebten Akt zu einem "intuitiveren" vollzieht sich nicht auf die Weise, daß man - wie beim Wahrnehmen bzw. Erleben - außerhalb des Wahrzunehmenden, bzw. dem Zu-erlebenden verbleibt und es sozusagen konstant behält, um auf es sein Augenmerk zu richten. Man muß im Gegenteil bei sich selbst bleiben und einfach den Modus des Durchlebens ändern (9). Dadurch wird zugleich auch das "Durchlebte" - (wenn es erlaubt ist, sei es auch nur abstrahierend, zwischen dem "Durchlebten" und dem "Durchleben" zu scheiden) - insofern geändert, als es nicht mehr der dunkel durchlebte, sondern der mehr bewußt durchlebte Akt bildet. Die Rede von einem "Sich-in-sich-selbst-versenken" hat beim Übergang zur Intuition keinen rechten Sinn, denn sie setzt einerseits eine Doppeltheit zwischen dem Akt und seinem Korrelat voraus, andererseits läßt sie die Möglichkeit eines Verbleibens außerhalb seiner selbst zu, was beim Durchleben des Aktes ganz ausgeschlossen ist. Aus dem selben Grund ist die Rede vom unmittelbaren Erfassen unpassend. Am besten noch könnte man hier von einer sich selbst sättigenden Aufhellung reden. Die größtmögliche Aufhellung des im Vollzug begriffenen Bewußtseinsaktes nennen wir das  intuitive Durchleben des Aktes,  oder die  Intuition des Durchlebens.  Wie wir oben sagten, bildet das "Durchlebte" und das "Durchleben" einen schlechthin einfachen und identischen Akt. Deswegen muß man eine radikale Scheidung zwischen jeglichen "Gegenständen", bzw. "Inhalten", die den Akten  gegenüber treten, und den Akten selbst machen, welche sehr wohl Gegenstände eines intentionalen, gegenständlichen Vermeinens sein können, aber es nie sein können, wenn es sich um ihr originäres und speziell intuitives Gegenwärtigsein in ihrer eigentümlichen Seinsweise handelt. Trotzdem sind sie im schlichten, intuitiven Durchleben phänomenal erschaubar und bilden somit "Phänomene" ganz eigener Art. Die intuitiv durchlebten Akte kommen dem Erlebnissubjekt durch das Faktum des so Durchlebtwerdens "zu Bewußtsein". Obwohl wir also bei den intuitiv durchlebten Akten zwischen "Akt" und "Gegenstand" im Sinne selbständiger Einheiten nicht scheiden können, müssen wir das intuitive Durchleben der Akte als eine Erkenntnis dieser Akte betrachten. Oder umgekehrt: hier, aus dem Wesen des intuitiven Durchlebens der Akte schöpfen wir die letzte anschauliche Grundlage der Idee der Erkenntnis überhaupt. Die Sachlage, daß irgendetwas überhaupt dem Subjekt so "zu Bewußtsein kommt", daß mit anderen Worten: das Subjekt es so erschaut,  wie es in sich ist,  nennen wir "Erkenntnis" im weitesten Sinn des Wortes. Diese Sachlage muß in  schlechthin jeder  Beziehung zwischen dem Subjekt und irgendeinem Etwas enthalten sein, wenn diese Beziehung "Erkenntnis" im weitesten Sinn des Wortes sein soll. Natürlich gibt es verschiedene Arten der Erkenntnis, die dadurch konstituiert werden, daß neue Elemente zu der bezeichneten Sachlage hinzutreten. Im Hinblick darauf bildet das intuitive Durchleben eine eigentümliche Erkenntnisart, die sich allen anderen Erkenntnisarten radikal gegenüberstellt. Bei allen anderen Erkenntnisarten tritt die Verschiedenheit zwischen dem Erkannten und dem Erkennen zutage. Beide bilden  zwei selbständige  Einheiten. Bei intuitiven Durchleben des Aktes dagegen ist das Erkannte mit dem Erkennen schlechthin identisch, die Erkenntnis ist in diesem Fall eine "Sich-selbst-erfassung".  Da aber hier diese Identität vorliegt, ist jede Möglichkeit einer Täuschung bei der Intuition des Durchlebens prinzipiell ausgeschlossen Das intuitive Durchleben ist eine absolut unbezweifelbare Erkenntnis. Es ist absolut unmöglich, daß das intuitiv Durchlebte anders ist, als es durchlebt wird. Es ist zweitens eine vollkommen adäquate und vollkommene Erkenntnis. Endlich ist es eine Erkenntnis, welche die Existenz des Erkannten absolut verbürgt. Das Wichtigste für uns ist aber, daß das intuitive Durchleben originär nur intuitiv zu erkennen ist. Es ist somit kein neuer Erkenntnisakt nötig, um das intuitive Durchleben zu erkennen, sondern es bedarf nur der Verwandlung eines dunkel durchlebten Aktes in einen intuitiven Akt.

Auf diese Weise erreichen wir den von uns gesuchten Punkt, in dem wir nicht nur die absolute Unbezweifelbarkeit der Erkenntnis besitzen, sondern auch die Lösung des Ausgangsproblems finden. Haben wir eine Erkenntnis bestimmter Art zu erkennen, so müssen wir in der Reihe der Erkenntnisse immer höherer Stufe so weit gehen und alle bis dahin gewonnenen Resultate ihrem Geltungsrecht nach so lange neutralisieren, bis wir den Punkt erreichen, in dem sowohl die zu erkennende Erkenntnis, wie die, der wir uns bedienen, intuitiver Natur sind. In diesem Moment brauchen wir nicht mehr neue Erkenntnisse zu suchen, um die Natur und den Erkenntniswert der Intuition zu erkennen, denn die Intuition ist im schlichten Vollzug intuitiv erkennbar. Wir sind also in der Lage den unendlichen Regreß zu vermeiden. Andererseits sind wir auch von der Gefahr einer Petitio Principii befreit. Denn der Zirkel würde nur dann drohen, wenn wir genötigt sein würden, den Geltungswert der Intuition ungeprüft, auf blinde Weise vorauszusetzen. Das ist aber gerade durch die Natur der Intuition ausgeschlossen. Ist das betreffende Durchleben des Aktes wirklich intuitiv, so erschauen wir in seinem schlichten Vollzug die Natur und den absoluten Geltungswert der Intuition.  Zugleich  aber (in diesem selben Vollzug) erkennen wir, daß unsere Erschauung selbst intuitiver Natur ist. Hier endlich gewinnen wir - wie schon oben gesagt - auf letzte, unbezweifelbare Weise den Punkt, in dem die Idee der Erkenntnis überhaupt ihren Wesensgehalt schöpft, bzw. in dem wir den absoluten Maßstab, das "Kriterium" erreichen, an welchem wir alle bisher gewonnenen Resultate - also auch die auf anderem Weg gewonnene Idee der Erkenntnis überhaupt - messen können. - Auf diese Weise glauben wir das Hauptproblem - zumindest, was die prinzipiellen Punkte betrifft - gelöst zu haben.

Es ist aber noch ein Einwand zu beseitigen: Es wurde oben gesagt, daß der Übergang von einem dunkel durchlebten Akt zu einem intuitiv durchlebten auf die Weise geschieht, daß der  ganze  Akt - somit abstraktiv gesprochen sowohl das Durchleben, wie das Durchlebte - modifiziert wird. Der Modus des Dunkel-durchlebens wird in den des Intuitiv-durchlebens verwandelt. Daraus könnte man schließen, die Akte seien, in ihrem  ursprünglichen  Durchlebtsein unmodifiziert, nur in den Grenzen und auf die Weise erkennbar, wie das eben der Modus des Durchlebens zuläßt, in welchem der betreffende Akt gerade zufällig vollzogen wurde. Würde der uns interessierende Akt zufällig auf ganz dunkle Weise vollzogen, so wären wir der Möglichkeit vollkommen beraubt, ihn intuitiv zu erkennen. Da außerdem das Erkennen-wollen die gewisse Naivität und Unwillkürlichkeit des Aktvollzugs in hohem Maße stört, so ist die rein theoretische Erkenntnis der Bewußtseinsakte unmöglich. Wenn man schließlich die absolute Unwiederholbarkeit und somit die Unmöglichkeit der Identifizierung der Bewußtseinsakte im ursprünglichen Vollzug beachtet, so muß man an der Möglichkeit der absoluten Erkenntnistheorie zweifeln.

Unsere Antwort lautet: Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Akt durch die Verwandlung des Vollzugsmodus modifiziert wird. Es ist aber die Frage, ob diese Modifizierung so weit geht, wie es in der angeführten Argumentation vorausgesetzt wird. Zweitens ist es die Frage, was eigentlich den Untersuchungsgegenstand der Erkenntnistheorie bildet. Käme es nämlich in der Erkenntnistheorie darauf an, das Bewußtsein in seiner Individualität samt der einmaligen, ursprünglichen Färbung seines intentionalen, wie reellen Gehalts zu erkennen, wäre also die Erkenntnistheorie mit einer eigentümlichen Geschichte des Bewußtseins identisch, so würde tatsächlich unsere letzte und einzige Stütze im Erkennen der Akte eben der Modus des Durchlebens bilden, in welchem die betreffenden Akte faktisch durchlebt wurden. Originär vermöchten wir sie auf eine andere Weise nicht zu erreichen. Es stände uns höchsten das Nacherleben und die Erinnerung zur Verfügung, Akte also, welche der absoluten Unbezweifelbarkeit entbehren. Die Erkenntnistheorie ist aber in keinem, noch so weitem Sinne Geschichte. Nicht das individuelle Faktum, sondern seine Natur, sein reines Wesen, bildet den Unterrichtsgegenstand der Erkenntnistheorie, sein Wesen, das - prinzipiell gesprochen - in unzähligen individuellen Fakten unmodifiziert verkörpert werden kann. Es ist also nur die Frage, ob bei der Verwandlung des Vollzugsmodus das reine Wesen des Bewußtseinsaktes tangiert wird, oder nicht. In dieser Hinsicht aber kann kein Zweifel bestehen. Ob z. B. ein Akt der äußeren Wahrnehmung dunkel, oder rein intuitiv vollzogen wird, hat absolut keine Bedeutung für sein Wesen, als Wesen des Wahrnehmungsaktes. Dieser Akt bleibt, was er ist, und wird durch den intuitiven Vollzug nicht zu einem anderen, z. B. zu einem Vorstellungs-, oder Willensakte. Somit ist die Schwierigkeit in Bezug darauf, was den prinzipiellen Punkt betrifft, beseitigt. Die anderen Einwände sind nur methodischer Natur und deswegen lassen wir sie hier beiseite.

Man wird uns aber noch einmal aufhalten und sagen: Es sei denn! Aber wie steht es mit der Erkenntnis dieser Vollzugsmodie der Akte, die eben "dunkel", also nicht intuitiv durchlebt werden. Denn wenn auch das reine Wesen des Aktes durch die Verwandlung des Vollzugsmodus nicht modifiziert wird, so kann das natürlich nicht den Vollzugsmodus selbst betreffen. Es entsteht also das folgende Dilemma: entweder wird der dunkel durchlebte Akt in einem schlichten Vollzug auf dunkle, unklare Weise erkannt; dann entsteht die Frage, ob dieses Erkennen den Charakter der absoluten Unbezweifelbarkeit besitzt? Oder er wird intuitiv erkannt, dann aber gilt der Satz nicht, daß bei einem intuitiven Durchleben des Aktes das Durchlebte seinem Vollzugsmodus nach modifiziert wird. Der zweite Fall wäre natürlich nur dann möglich, wenn das intuitive Durchleben von einem dunkel durchlebten Akt verschieden wäre. Dann aber würde der Satz nicht gelten, daß die Intuition kein selbständiger Akt, sondern nur ein ausgezeichneter Vollzugsmodus der Akte ist. Daraus würde aber folgen, daß die ganze Betrachtung über die Intuition uns in unserem Hauptproblem nichts helfen kann, und daß wir uns um dessen Lösung von neuem bemühen müssen.

Wir wollen uns hier nicht mit der Frage beschäfigen, was es wäre, wenn der dunkel durchlebte Akt nur in demselben schlichten Vollzug erkennbar wäre. Wir bemerken nur, daß unser Resultat auch dann gelten wird, wenn der Geltungswert des Dunkeldurchlebens kein absoluter wäre. Wir hätten dann - unter der Voraussetzung, daß die oben gemachte Disjunktion vollständig ist - nur die Tatsache festzustellen, daß manche Behauptungen über den dunklen Vollzug der Akte keinen absoluten Geltungswert besitzen und deswegen als Prinzipien der Erkenntnistheorie nicht verwendet werden dürfen. Die Feststellung über das Wesen der Intuition, als einer intuitiv gewonnenen, würde trotzdem unantastbar bleiben. Wir bezweifeln aber auch die Vollständigkeit der oben gemachten Disjunktion. Der dunkel vollzogene Akt braucht nicht intuitiv erkannt werden zu müssen. Er kann es auch in der immanenten, reflektiven Wahrnehmung. Und unabhängig davon, welchen Geltungswert diese Wahrnehmung hat, bleiben alle unsere Feststellungen über die Intuition des Durchlebens bestehen.

So glauben wir das letzte Hindernis zur Lösung des aufgeworfenen Hauptproblems beseitigt zu haben. Zum Schluß bemerken wir, daß wir uns der Dürftigkeit unserer positiven, phänomenologischen Betrachtungen wohl bewußt sind. Alle diese Ausführungen - sowohl über die Scheidung zwischen dem gegenständlichen Vermeinen, dem Erleben von ichfremden Beständen und dem Durchleben, wie auch die über die Intuition selbst, - bilden natürlich nur die ersten Anfänge einer phänomenologischen Analyse und müßten als solche - wenn es sich um eine systematische Bearbeitung der diesbezüglichen Sachlagen handelte - durch ausführliche Untersuchungen ergänzt werden. In dieser Arbeit handelte es sich nur darum, durch Ausblicke in die von uns im Auge gehabte Sphäre darauf hinzuweisen, daß die Lösung des Hauptproblems unserer Betrachtung möglich und auf dem von uns angedeuteten Weg zu finden ist. (10)
LITERATUR Roman Ingarden, Über die Gefahr einer Petitio Principii in der Erkenntnistheorie, Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. 4, Halle/Saale 1921
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    Anmerkungen
    1) Vgl. meine Arbeit "Intuition und Intellekt bei Henri Bergson", 2. Teil, 2. Kapitel.
    2) Vgl. EDMUND HUSSERL, Ideen zu reinen Phänomenologie", §§ 109-115.
    3) In dem von HEDWIG CONRAD-MARTIUS gebrauchten Sinne. Vgl. "Zur Ontologie und Erscheinungslehre der realen Außenwelt", Jahrbuch für Philosophie, Bd. 3, Seite 439
    4) So wollen wir von nun an mit EDMUND HUSSERL das unmittelbare Erkennen der Bewußtseinserlebnisse nennen.
    5) Wir sprechen hier ausschließlich von Gründen, die  phänomenologisch  ausweisbar sind!
    6) Die Benennung "totes" und "lebendiges" ich, wie auch einiges Sachliche der folgenden Bemerkung verdanke ich einem Gespräch mit EDMUND HUSSERL - im Herbst 1917. Ich vermag heute, nach einem Jahr, nicht mit Sicherheit zu sagen, was HUSSERLs Gedanken sind und was ich unbeeinflußt in dieser Hinsicht sagen würde. Jedenfalls behaupte ich nur das, was ich gegenwärtig sehe.
    7) Wir meinen hier die von HUSSERL in seinen "Ideen" erwähnten  kontinuierlichen  Synthesen, die übrigens so bald wie möglich einem gründlichen Studium unterzogen werden sollten. Hier liegt der Punkt, von welchem aus die schwierigsten Probleme der "Konstitution" und somit die wichtigsten Fragen der Erkenntnistheorie in einem der wesentlichen Punkte mit Erfolg angegriffen werden können.
    8) Alle diese hier nur angedeuteten, äußerst schwierigen und wichtigen Sachlagen und Probleme hoffe ich in einer der nächsten Arbeiten eingehend darstellen zu können.
    9) Wir müssen hier ausdrücklich bemerken, daß unsere Ausführungen mit der BERGSONschen Theorie der Intuition nichts zu tun haben, obwohl wir hier ähnliche Redewendungen, wie BERGSON, benutzen. Wir haben oben eine Reihe von Unterscheidungen gemacht, die BERGSON ganz unbekannt sind und außerdem im Widerspruch mit seinen Prinzipien stehen. Abgesehen schon davon, daß sein Begriff der Intuition sehr vieldeutig ist. Höchstens könnten wir sagen, daß eine von den vielen Sachen, die BERGSON vorschweben, wenn er von der "Intuition" redet, vielleicht dem verwandt ist, was wir hier beschreiben.
    10) Das von uns hier Dargebotene bildet das erste Kapitel einer größeren Arbeit, welche die verschiedenen, der Erkenntnistheorie drohenden Gefahren einer Petitio Principii bespricht. Wir hoffen, daß es uns gelingt, in absehbarer Zeit die ganze Arbeit der Öffentlichkeit zu übergeben.