cr-3ra-2ra-1p-4H. RitterJ. B. ErhardA. KöppenG. RoskoffF. Boden 
 
FRITZ MAUTHNER
Geschichte des Teufels
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"Die moderne christliche Kirche sieht im modernen Pessimismus einen Feind und begünstigt den allzeit zufriedenen Optimismus, d. h. die Überzeugung, daß der gute und liebe Gott alles aufs Beste eingerichtet hat oder zum Besten kehren wird; die alte christliche Kirche, der Augustinismus, war wesentlich pessimistisch und verfluchte die schöne Frau Welt."

"Der Teufel des Mönchs von Heisterbach erscheint bald als ein Tier (als Affe, Rabe, Kröte, aber auch als Pferd, Hund, Katze), bald als ein schöner oder auch ungestalter Mensch; er ist nicht ganz körperlich, denn er hat keinen Rücken, gewissermaßen keinen Schatten. Der Wille des Menschen bleibt gewissermaßen frei, der Teufel kann nur zur Sünde anreizen, wie der Schutzengel zur Tugend; der Teufel sitzt darum im Leib des Menschen, irgendwo beim Unrat in den Eingeweiden, nicht in der Seele."

"Ein Verehrer des Teufels, der Abt Richalmus, hat für die Allgegenwart der Teufel ein hübsches Bild: wie wenn ein armer Sünder, tief ins Meer eingetaucht, oben und unten von Wasser umgeben wäre, geradeso umströmen die Teufel den Menschen von allen Seiten. Der Teufel steckt hinter jedem Husten, hinter jedem ungehörigen Einschlafen, hinter jedem Flohstich, hinter jedem Jucken, hinter jedem Bauchgrimmen, hinter jedem Versagen der Eßlust. Gegen alle Teufel ist das Zeichen des Kreuzes gut, darum auch gegen den Flohbiß und gegen den Rausch."

"Alle Vorliebe für die sittliche Kraft und für die dichterische Sprachkraft Luthers darf uns nicht abhalten, seine schwerste Schuld zu erkennen: daß er den Teufelswahn der letzten Jahrhunderte in den Protestantismus mit hinübergenommen, ja eigentlich in dogmatischer Hinsicht womöglich noch gestärkt hat; die Hexenbrände wurden in den protestantischen Ländern beinahe fanatischer, beinahe mit besserem Gewissen verteidigt als in katholischen."

Der christliche Teufel war in der neuen Wissenschaft, die sich Theologie nannte (a potiori [den Namen von der Hauptsache - wp], sie umfaßte auch die Satanologie) nicht so genau, nicht so logisch beschrieben und umschrieben, wie der christliche Gott; und daher mag es gekommen sein, daß die Leugnung des Teufels mit der Leugnung Gottes doch nicht völlig gleichgestellt wurde und daß der Adiabolismus um mehr als hundert Jahre früher als der Atheismus in der gebildeten Welt des Abendlandes herrschend wurde. Vergleicht man aber den Teufelsbegriff der christlichen Zeit mit den älteren Vorstellungen von Dämonen und anderen schädlichen Geistern, so zeigt es sich doch, daß das Aufkommen einer sogenannten Theologie, die auf das vermeintliche Wort Gottes ein System metaphysischer Kenntnisse aufbaute, auch für den Teufel Glaubensartikel genug geschaffen hatte. Und weil später der Ansturm gegen den Teufelswahn, den Hexenwahn usw. notwendig wurde, um der eigentlichen Aufklärung freiere Bahn zu schaffen, so wird es wirksam und belehrend sein, einer kurzen Darstellung der mittelalterlichen Aufklärungsarbeit eine Geschichte der Teufelsvorstellung vorauszuschicken. Besonders darauf hinzuweisen, wie die Scheinwissenschaft der Theologie mit der gleichen Logistik und Sophistik, mit der sie allerlei über das Wesen und die Eigenschaften Gottes ausgemacht zu haben vorgab, auch Wesen und Eigenschaften des Gegengottes erkante, des leibhaftigen Teufels. Die Teufelsfratze gehört als ein wesentlicher Bestandteil mit zur christlichen Theologie. Unmenschlichkeit widerspricht nicht der Gottesvorstellung des Mittelalters. Schon AUGUSTINUS hatte es abgelehnt, den Glauben an die Ewigkeit der Höllenstrafen aus menschlichem Mitleid anzuzweifeln. Ein französischer General setzte tausend Jahre später auf seine Fahne den Spruch: "L'ami de Dieu et l'ennemi des tous les hommes." [Freund Gottes und Feind der Menschheit. - wp]

Die dogmatische Religion des Christentums ist für all die Theologen, die seit ARIUS das Geheimnis von den drei Personen in der Gottheit ablehnen, ein Tritheismus, also trotz aller metaphysischen Spekulationen darüber eine Art des Polytheismus; daß alle strengen Monotheisten seit den Arianern bis zu den Sozianern von der Kirche der Ketzer genannt und blutig verfolgt wurden, ändert nichts an dieser Feststellung. Was zuerst ketzerisch war, konnte nachher rechtgläubig werden, und umgekehrt. Christentum und Islam waren zuerst ketzerische Sekten des Judentums. Die Zufallsgeschichte der Religion entschied über den Begriff der Ketzerei.

Anders steht es um das Zweigöttersystem, das ein gutes und ein böses Prinzip der Weltregierung anerkennt, den Gott und den Teufel. Hier hat sich die rechtgläubige Theologie bald so geholfen, daß auch der Teufel ein Geschöpf Gottes ist, bald so, daß der Gott aus einem unerforschlichen Grund die übermenschliche, aber untergöttliche Macht des Teufels duldet, und hat so wenigstens in diesem Punkt den Monotheismus hergestellt. Der Glaube der Volksreligion jedoch distinguiert [unterscheidet - wp] nicht so genau; nach diesem nicht nur in katholischen Ländern allgemein verbreiteten Glauben ist der Gott zwar mächtiger und klüger als der Teufel (der arme Teufel, der dumme Teufel), aber man müßte blind sein, um nicht zu erkennen, daß dieser Dämon göttliche Eigenschaften hat; und vom Gott HUMEs und MILLs, der nicht allmächtig und nicht allweise, sondern nur sehr mächtig und sehr weise ist, unterscheidet sich der Satan nur in moralischer Hinsicht: der Gott ist ziemlich wohlwollend, der Teufel ist ganz böse. Böse Götter gibt es in manchen Religionen. Bezüglich des Volksglaubens täten wir gut daran, uns das Verhältnis zwischen einem Gott und dem Teufel fast genauso vorzustellen wie das Verhältnis, etwa zwischen  Zeus  und einem der weniger mächtigen Untergötter. Der Volksglaube wird - abgesehen vom dogmatischen Tritheismus - durch den Teufel zu einem Zweigöttersystem, also wieder zu einer Art des Polytheismus.

Doch auch die religiöse Grübelei hat sich der Vorstellung vom Teufel bemächtigt und ist schon in sehr alter Zeit zu einer Phantasie gelangt, die sich nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen läßt. In der Zend-Religion der Parsen standen sich  Orzmud  und  Ahriman  als zwei gleichberechtigte und gleichstarke Prinzipien oder Götter gegenüber; durch  Mani  und die Manichäer kam diese Lehre unter den abstrakteren Namen des Guten und des Bösen nach dem Abendland, wirkte in immer neuen ketzerischen Sekten bis in die Neuzeit hinein und wurde von recht skeptischen Philosophien der letzten Jahrhunderte ernsthaft erörtert. PIERRE BAYLE erklärte den Manichäismus für unwiderleglich und hatte um dieser Behauptung willen einer seiner schwersten Kämpfe zu bestehen; und noch JOHN STUART MILL spielte mit der Annahme eines guten und eines bösen Prinzips.

Auch bei diesen modernen Ausdeutungen der Teufelsvorstellungen ist manche allte Spekulation nachwirksam: die eigentlich mystische Träumerei, daß der Teufel oder das böse Prinzip in der Materie steckt, während Gott ein reiner Geist ist. Eigentlich die äußerste Konsequenz des Dualismus, den DESCARTES erst begründet haben soll, der aber im Grunde schon im naiven Realismus, der Philosophie des dummen Kerls, und darum in der Gemeinsprache enthalten ist. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß diese mystische Lehre von der Teufelsmäßigkeit der Materie sich nicht gar so sehr vom sogenannten Volksaberglauben, den man gern sauber vom Glauben loslösen möchte, unterscheidet. Wenn die Gesetze der verteufelten Materie als schädliche Kräfte die Schuld daran tragen, daß die Weisheit und die Güte Gottes die Welt nicht vollkommener schaffen konnte, daß es körperliche und seelische Übel gibt, dann sind Weisheit und Güte Gottes gebunden, dann ist seine Macht begrenzt, schrecklich begrenzt; diesen Schluß, ohne just den Teufel immer zu bemühen, haben HUME, PLATNER und MILL gezogen, diesen Schluß hätte man ehrlicherweise unmittelbar gleich aus der Theodizee [Rechtfertigung Gottes - wp] von LEIBNIZ ziehen müssen. Und die einfältig Frommen glauben dasselbe, ohne sich durch die großen Worte des Katechismus irre machen zu lassen: daß die Allmacht Gottes durch die Macht des Teufels eingeschränkt wird.

Diese Beziehung des Teufelsglaubens zu den Eigenschaften der Allmacht und auch der Allweisheit geht unmittelbar nur die Theologie an und wirkt nur mittelbar, jetzt immer seltener, auf die menschlichen Handlungen ein. Aber die eben erwähnte uralte Vorstellung, daß der Gott das gute Prinzip sei und der Teufel das Böse, daß also die Allgüte des nicht mehr allmächtigen Gottes durch den bösen und sehr mächtigen Teufel eingeschränkt wird, war von einer Bedeutung, die über alles Theologische weit hinausgeht. Nicht nur die Moral, sondern auch die Ästhetik konnten neue Wege erste einschlagen, als der Teufelsglaube so gut wie verschwunden war. Als nämlich dieser Glaube noch in seiner Blüte stand, im Mittelalter, war der Fromme gut, der Gottlose böse. Der Fromme folgte den Geboten Gottes und endete im Himmel; der Gottlose folgte dem Teufel und endete in der Hölle. Das Fegefeuer mit seinen nicht ewigen Strafen für die mittleren Sünder war eine spätere Erfindung und eigentlich schon eine Anpassung an eine menschlichere Vorstellung von Gott. Die Begriffe gut und böse waren schon im Mittelalter relativ; da aber die Relation die absoluten Gesetze Gottes betraf, so blieben diese Begriffe richtige Gegensätze. Erst als mit dem Auslöschen des Teufelsglaubens und mit dem Verblassen des Glaubens überhaupt die Unterwerfung des Menschen unter einen Gottesstaat aufhörte, als das Leben nicht mehr das gemeinsame Ziel im Jenseits besaß, konnte langsam die Zeit des Individualismus und des Militarismus anbrechen; der Militarismus war bei seinen edelsten Vertretern ein Versuch, die natürliche Selbstsucht der Individuen in den Dienst eines gemeinsamen Nutzens zu stellen, schließlich die jenseitigen Ziele des Gottesstaates durch die diesseitigen Ziele des sozialen Staates zu ersetzen. Man kehrte zur weltlichen Begriffsbestimmung der Antike zurück und nannte wieder das Nützliche gut, das Schädliche böse; kein Wunder, daß sich der Gegensatz milderte und für beide Begriffe Übergänge und Mischungen anerkannt wurden. Ich will nur flüchtig darauf hinweisen, daß auch die Künste, insbesondere die der Sprache, von dieser erneuten Weltanschauung, von dieser moralischen Renaissance nicht unberührt blieben; man denke nur an das Drama, in welchem bis in die Neuzeit hinein Engel und Teufel die handelnden Personen waren und jetzt fast durchaus gebrochene Farben und gemischte Charaktere geschaffen und verlangt werden; in welchen sich übrigens auch mehr und mehr das künstlerische Recht der Individualität durchgesetzt hat. Es ist ein weiter, aber deutlich sichtbarer Weg vom Aufhören des alten Teufelsglaubens zu diesen Neuerungen.

Eine ansprechende Vermutung SCHOPENHAUERs ("Parerga" II, Kap. 15) sagt, daß der Satan der Juden, eben der  Ahriman  der Zend-Religion, als der Gott der Schlangen und der anderen Ungeziefer, den platten Optimismus des Judentums verbessert hat, indem er zum Sündenfall reizte und das Elend als eine Strafe über die Menschen brachte; und daß das Christentum just durch den Sündenfall, von dem es Erlösung versprach, an das Judentum anknüpfte. Das Judentum war so diesseitig gerichtet und daneben mitsamt seinem Nationalgott so zum Polytheismus geneigt, es war schließlich so wenig dogmatisch, daß damals die Begrenzung der göttlichen Allmacht durch einen kleinen Satan gar nicht erst auffiel; nur ins Christentum mit seinem dogmatischen Monotheismus und mit seiner Jenseitigkeit von Himmel und Hölle brachte der Teufel ein Zweigöttersystem.

Wer völlig unter dem Bann ererbter Sprachvorstellungen im Gott das höchste Gut erblickt, im Teufel die personifizierte Bosheit, wer sich also über die Gleichung von Gott und Teufel entsetzt, der achte zunächst darauf, daß beide Begriffe Schöpfungen der Volkspoesie sind, Ideale, der Gott das Ideal des Guten, der Teufel in gleicher Weise das Ideal des Bösen. Wie meine Geschichte des Atheismus das langsame Erlöschen des Gottesglaubens darstellt, so könnte parallel das Erlöschen des Teufelsglaubens in einer gelehrten Geschichte des Adiabolismus erzählt werden. Und versucht werden zu erklären, warum die öffentliche Meinung des gebildeten Abendlandes den Teufel um einige hundert Jahre früher preisgab als den Gott. Das gilt natürlich nicht für die Orthodoxie, die heute noch an ihrem Teufel festhält, bald verschämt, bald unverschämt.

Die beiden so ungleichen Männer, auf die sich katholische und protestantische Rechtgläubigkeit beruft, haben stramm an den Teufel geglaubt, MARTIN LUTHER womöglich noch handgreiflicher als THOMAS von AQUIN; wollen wir aber das Zweigöttersystem, das der Teufelsglaube in das Christentum hineingebracht hat, deutlich erkennen, so dürfen wir uns nicht auf die gewundene Dogmatik der katholischen und der protestantischen Theologen einlassen, sondern müssen uns an den Volksglauben halten, wie er zur Zeit des blühenden Teufelsglaubens bestand, und von den Theologen bis vor etwa zweihundert Jahren niemals getadelt worden ist; das Buch von BALTHASAR BEKKER, das den Teufel zum erstenmal beinahe zu leugnen wagte, erschien 1690, und der Verfasser wurde abgesetzt und exkommuniziert. Ich will gar nicht darauf eingehen, daß der Volksglaube auch dem Teufel wenigstens eine Großmutter gab, daß die Teufelsliebchen oder Hexen trotz ihrer Scheußlichkeit in gewisser Weise den Bräuten Gottes oder den Nonnen entsprachen. Ich will an ernsthaftere Gleichungen erinnern. Weder der Gott noch der Teufel hielten es unter der Würde ihrer Majestät, mit dem Menschen Verträge zu schließen, der Gott einen alten und dann einen neuen Bund mit dem auserwählten Volk und mit allen Gläubigen, der Teufel einen Pakt mit denen, die wiederum an ihn glaubten. (Und das ist sehr merkwürdig, daß der Gott wie der Teufel den Glauben an ihr Dasein verlangten.) Der Wohnsitz des Gottes und der Wohnsitz des Teufels unterschieden sich voneinander nur darin, daß der Himmel sichtbar, die Hölle verborgen war; als aber die Naturwissenschaft den Himmel für ein menschenähnliches Wesen unbewohnbar gemacht und die alten Sternensphären abgeschafft hatte, war die unterirdische Hölle als Wohnsitz des Teufels beinahe noch eher vorstellbar als der von Fernrohren abgesuchte Himmel als Wohnsitz des Gottes. Die Mehrzahl der Götter in den meisten Religionen ist widerspruchsvoll; die Mehrzahl der Teufel (fast hätte ich gesagt: der christlichen Teufel) entspricht dem Volksglauben ebensogut wie dem Katechismus. Darauf jedoch möchte ich besonders hinweisen, daß der Staat sich in alter und neuer Zeit dem Gott gegenüber nicht viel anders benommen hat, wie dem Teufel gegenüber. Der moderne Staat, der sich seit dem Ausgang des Mittelalters nicht mehr auf göttliches Recht gründete, sondern immer weltlicher auf das Recht der Natur, der Vernunft oder der Gewalt, benützte nur die alten Vorstellungen des Volksglaubens und hütete sich vor einem Bruch mit der Tradition. Hatte der Staat sich einst zum Schwert der Kirche hergegeben, so gebrauchte er schließlich die Kirche oder den Volksglauben als einen Schleifstein seines Schwertes. Selbst ungläubig, schützte er lange den Glauben an das Dasein Gottes und des Teufels; Teufelslästerung schien ihm ebenso strafbar wie Gotteslästerung. Gegenwärtig darf man den Teufel von Staats wegen leugnen, den Gott nur, wenn man auf jede Stellung im Staat verzichten will.

Eigentlich ist aber das Zweigöttersystem, d. h. der Glaube an ein gutes und ein böses Prinzip der Weltregierung, aus dem Orient nicht in den abendländischen Volksglauben herübergekommen; hier ist der Teufel dem Gott nur in ketzerischen Spekulationen ebenbürtig. Das Volk kümmerte sich nicht um Logik und stellte sich die Sache so vor, als ob der alte Widersacher Gottes zugleich ein Geschöpf des allmächtigen Gottes sein könnte. Als ob er auch nur so etwas wie ein Mensch wäre. Das Volk stand darum mit dem Teufel auf Du und Du und lachte gern über ihn. Die Dichter und Erzähler, im Mittelalter also besonders die Verfasser von Heiligenlegenden, glaubten vielleicht nicht recht an den Teufel, wenn sie berichteten, wie er in unzähligen Fällen gefoppt, gehänselt, geprügelt und um den Lohn seiner Mühen betrogen wurde; im Grunde war das nach dem dogmatischen Verhältnis zwischen Gott und Teufel gar nicht möglich, weil die Gerechtigkeit Gottes gebieten mußte, auch dem Teufel Wort und Vertrag zu halten. Die Rechtsbeugung (auch am Ende von GOETHEs  Faust)  ist schon ein Spiel mit dem echten Teufelsglauben.

Wir können uns heute, da der Teufel für die Gebildeten nur noch einer mythologischen Sprache angehört (etwa so wie die römischen Götter der Sprache der Humanisten), kaum mehr eine Vorstellung davon machen, wie fast allgegenwärtig, fast allmächtig, fast allwissend der Teufel einst war, in der Zeit der Frömmigkeit. Jeden Schaden an Vermögen und Gesundheit hatte der Teufel veranlaßt, jeden Vorteil der liebe Gott; wohl konnte man sich in der Not an den Gott wenden, weil das Kreuzzeichen noch wirksamer war als das Teufelszeichen; aber verzweifelte Menschen, denen es schlecht ging nach Gottes Ratschluß, konnten auch den Teufel anrufen, mit seiner Hilfe Geld und Ruhm erlangen, und hatten dafür nur mit ihrer jenseitigen Seligkeitz zu bezahlen. Wer es also zustande brachte (wie von manchem Condottiere [Kriegsherr italienischer Stadtstaaten - wp] berichtet wird), an Gott und an die Unsterblichkeit der Seele ganz und gar nicht zu glauben, dagegen aber an den Teufel und seine Zaubergewalt zu glauben, der machte mit einem Teufelsbündnis wirklich ein glänzendes Geschäft.

Ich glaube nicht, daß die Kirche in Sorge war, das Christentum könnte sich allgemein in einen solchen atheistischen Teufelsglauben umwandeln; auch hätte sich die Kirche am Ende angepaßt. Wohl aber war die Satanologie den besseren Theologen immer unbequem, und es gab in alter und neuer Zeit immer einzelne Päpste und Kirchenlehrer, die den schwarzen Gott leichteren Herzens aufgaben, als den weißen Gott. Wie dem auch sei, die Satanologie wurde bei der Oberschicht der abendländischen Menschheit im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts völlig überwunden, während die Theologie noch blühte. Für uns, die wir Teufelsglauben und Teufelsdienst als eine Parallelerscheinungen des Gottesglaubens und Gottesdienstes erkannt haben, die wir die Geschichte der Gottlosigkeit zu erforschen unternommen haben, ist es von großer Wichtigkeit zu erfahren, wie sich die Befreiung vom Teufelswahn und vom Hexenwahn in verhältnismäßig kurzer Zeit vollzog, binnen dreier Jahrhunderte nämlich, wenn man die Bulle "Summis desiderantes affectibus" (1484) als den Anfang der Hexenprozesse annehmen will und den letzten europäischen Hexenprozeß in das Jahr 1793 setzt.

Selbstverständlich ist der christliche Teufel, sein Name und seine Macht, nicht eine freie Erfindung des Mittelalters; selbstverständlich ist die vergleichende Religionsgeschichte in ihrem Recht, wenn sie für die Entwicklung der Teufelsvorstellung an eine Art von Dualismus erinnert, der die sittlichen Gedanken das asiatischen und europäischen Völker beherrschte, welche dann, als sie das Christentum annahmen, ihren alten Glauben mit dem neuen zu vermischen pflegten. Doch in keinem dieser vorchristlichen Religionssysteme kam es zu einem so barbarischen Teufelswahn, wie im Christentum; wir werden nur mit vorurteilsloser Gerechtigkeit eine Unterscheidung versuchen müssen zwischen dem rohen Aberglauben, der sich beim Volk herausbildete, und der nicht weniger fratzenhaften Teufelsvorstellung, die durch die katholische, besonders aber die protestantische Theologie unlösbar mit dem Glauben und mit dem Leben der Christenheit verbunden wurde. Man hat gesagt, es sei ein Zufall, daß die herrschende Religion des Abendlandes nicht Paulinismus oder Augustinismus hieß; achtet man genauer auf die Bedeutung des Teufelswahns, so ist es ein Zufall, daß die Religion, deren Ursprung doch die sonnige Bergpredigt gewesen war, nicht den Namen  Diabolismus  erhielt.

Der Dualismus, auf welchen abstrakten Begriff die weit verbreitete Furcht vor einem Gott und einem Teufel gewöhnlich zurückgeführt wird, mag wirklich tief in der zwiespältigen oder schwankenden Menschennatur begründet sein. Einen reinen Monotheismus hat es, wenn man von einzelnen systematischen Denkern absieht, niemals und nirgends gegeben. Götter sind Wörter, also wie alle Wörter der Sprache durch Metaphern oder Bilder entstanden; als Verursacher von Glück und Unglück wurden gute und böse Dämonen bildhaft gedacht, hüben und drüben, bei Indern, Persern, Babyloniern und Arabern, wie bei Griechen, Römern und Germanen. Es ist gar nicht nötig, zum Erweis dieses allgemein menschlichen Dualismus in den Mythen der einzelnen Völker nach Beispielen zu forschen. Um die Übertragung dieser Mythen von einem Volk auf das andere ist es eine sehr unsichere Sache. Die Religionsvergleichung liegt noch in ihrer Wiege, die Ergebnisse sind so unzuverlässig, wie die der ersten Sprachvergleichung waren.

Nur der Dualismus in den Dämonenvorstellungen des Alten und des Neuen Testaments verlangt Beachtung, weil die mittelalterliche Theologie und Satanologie in diesen beiden Schriften Gottes Wort sah und so die Einwirkung der Bibel auf den Teufelswahn unzweifelhaft ist, trotz allen Irrtümern und bewußten oder halbbewußten Fälschungen, die mitwirkten. Für die Zweigötterei bei den vormosaischen Hebräern spricht schon der rätselhafte  Azazel  oder  Asasel,  der doch höchstwahrscheinlich als ein persönlicher Satan dem persönlichen  Jahwe  gegenüberstand; also brauchten die Juden ihren Teufel nicht erst aus dem weiteren Osten zu holen, während der babylonischen Gefangenschaft; leicht möglich wäre es aber, daß damals erst der Aberglaube an freundliche und unfreundliche Dämonen, an Engel und Teufel eine feste Gestalt gewann und daß sich unter dem Einfluß des offiziellen Monotheismus die Satansfigur bildete, die uns im Buch  Hiob  zum erstenmal entgegentritt: ein Dämon der Finsternis, der ein sehr mächtiger Zaubererist, aber doch nicht ganz so mächtig wie der Dämon des Lichts. Übrigens braucht nicht erst gesagt zu werden, daß der Monotheismus der mosaischen Lehre nicht ernst zu nehmen sei;  Jahwe  war der einzige Gott, aber die  Gojim  hatten andere einzige Götter;  Jahwe  war ein guter Geist für die Juden und ein böser Geist für die  Gojim;  die Götzen der  Gojim  waren wiederum den Juden feindlich.

Wir erfahren aus dem Alten Testament nicht, wie es kam; gewiß aber ist, daß der Teufelswahn bei den Juden zur Zeit  Jesu Christi  schon sehr ausgebildet war, wohlgemerkt: der Glaube an die schädlichen Dämonen und auch schon der Glaube an den teuflischen Charakter der ganzen irdischen Welt. Unzählige Male ist vom Teufel die Rede, bei den drei ersten Evangelisten und in der Apokalypse, bei  Paulus  und in der Apostelgeschichte. Er trägt vielerlei Namen, die heute noch der Gemeinsprache angehören, seit nicht viel länger als hundert Jahren erst als tote Symbole. Der Satan ist der Herr der bösen Geister, der Plagegeister, die Krankheit über die Menschen bringen; man irrt gröblich, wenn man, um die Wunderheilungen dumm-rationalistisch zu erklären, die Krankheiten des Neuen Testaments durchaus zu Nervenkrankheiten oder hysterischen Erscheinungen machen will; es gibt auch Besessene, die an Blindheit, Taubheit oder Gichtknoten leiden. Man irrt wohl auch, wenn man, damit  Jesus Christus  nicht abergläubisch erscheint im Sinne unserer Aufklärung, wacker daherredet, er habe nicht selbst an den Teufel geglaubt und sich nur den Vorstellungen und der Sprache des Volkes angepaßt. Dann hätte er unendliches Unheil gestiftet, denn seine ersten Jünger und die späteren Anhänger stützten just auf seine Wunder ihren grobschlächtigen Teufelsglauben.

Diesen rohen Glauben an gute und böse Engel, dazu den Glauben an ein nahes Gottesreich, dem die bösen Engel widerstrebten, entnahmen die sogenannten Kirchenväter der ersten drei Jahrhunderte den Schriften des neuen Testaments; den besser geschulten unter diesen Lehrern drängte sich aber bald die Frage auf, wie das Dasein so mächtiger Geister mit dem Monotheismus, wie das unleugbare Böse im Weltlauf mit der Güte des Weltschöpfers in Übereinstimmung zu bringen wäre. An solchen Aufgaben übte die Gnostik ihre mehr phantastische als philosophische Kraft, und mancher Zug dieses gnostischen Dualismus ist in die gelehrte Satanologie übergegangen und viel später (bei MILTON und BYRON) in die dichterische Rettung der überlebensgroßen Satansgestalt. Im Volksglauben war für so gewaltige Verstiegenheiten wenig Platz: daß nicht der Gott selbst, sondern ein Untergott die Welt geschaffen habe, der Demiurg [Weltschöpfer - wp]; daß der Judengott wie der Satan auch nur Geschöpfe des höchsten Gottes sind; daß der Teufel ein Affe Gottes ist; daß der Demiurg und seine Dämonen dummschlau den Tod  Jesu Christi  veranlaßt und so wider Willen den Plan des höchsten Gottes gefördert haben. Schnell und sicher aber ging eine besondere Meinung des gnostischen Vorstellungskreises in den Volksglauben über: die Heidengötter - deren Nichtexistenz sich die Kirchenväter so wenig vorstellen konnten wie die alten Juden die Nichtexistenz der Gojimgötter - seien Dämonen, böse Mächte, Lügengeister, Teufel. Nun war im 4. Jahrhundert, als das Christentum fast plötzlich zur Kirche des Staates gemacht wurde, die Masse der Bevölkerung noch dem alten Götterdienst zugetan, und man kann sich vorstellen, daß es diesen Menschen gar nicht viel ausmachte, ob sie eine  Venus,  eine  Diana  als eine Göttin fürchteten, oder als eine Teufelin. Die Furcht war da, und es kam nicht darauf an, ob man ihre Wirkung Aberglauben nannte oder Religion. Der üblichen Darstellung dieser Dinge liegt eine Täuschung oder Selbsttäuschung zugrunde. Es war nicht so, daß die neue Kirche - aus welchen Absichten auch immer - unzählige Zaubereien und Bräuche aus den alten Kirchen aufnahm; vielmehr hatte die Masse des Volkes ihr Verhältnis zum Übersinnlichen nur wenig geändert, war ihren abergläubischen Gewohnheiten treu geblieben, mit allen Zaubereien und Bräuchen, war christlich geworden nur im Aufsagen des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers.

Eine Theologie, die man schwarz auf weiß besitzt, die man auswendig lernen kann und die darum auf unseren Universitäten die Rechte einer Wissenschaft beansprucht, gab es - wie gesagt - damals noch nicht; wohl aber gab es schon seit dem 2. Jahrhundert Kirchenlehrer oder Kirchenväter, die sich die unlösbare Aufgabe gestellt hatten, Christologie, Heilslehre und Teufelsglauben zu einem möglichst logischen Ganzen zu vereinigen, gewissermaßen Vernunft in das Widervernünftige zu bringen. Bereits der heilige IRENÄUS († 200 als Bischof von Lyon) mühte sich an dieser Vergewaltigung der Vernunft; seine Schriften, die erst durch ERASMUS wieder allgemein zugänglich geworden sind, waren zunächst gegen die Gnostiker gerichtet und machen auf den heutigen Leser einen wunderlichen Eindruck besonders dadurch, daß IRENÄUS, der ja von der Trinität und sogar von der Gleichheit des Vaters mit dem Sohn nicht viel wußte, allen gesunden Menschenverstand anstrengen mußte zum Beweis dafür, daß Gottvater mit dem Sohn und nicht etwa ein teuflischer Demiurg die Welt geschaffen habe. Dem Gott gegenüber zeigte IRENÄUS eine beinahe sokratische Bescheidenheit des Nichtwissens: ohne Gott könne man Gott nicht erkennen; vom Teufel weiß er mehr und hat der Satanologie (die ich immer als gleichwertiges Gegenstück zur Theologie verstanden wissen möchte) eine Anregung gegeben, die bis tief in die Reformationszeit nachwirkte. Er trat als erster in der Eigenschaft eines  advocatus diaboli  auf, eines juristischen Sachwalters, der im Namen des gerechten Gottes den Teufel gegen jede Rechtsbeugung verteidigen wollte. So wie diese Prozeßakten des Teufels (kontra  Jesum Christum,  kontra die  Jungfrau Maria)  in ihren letzten Bearbeitungen aus dem 16. Jahrhundert vorliegen, erscheinen sie fast parodistisch und mögen bei den Studenten, die an ihnen vielleicht nur spielend den Prozeßgang des römischen Rechts üben sollten, weltliche Heiterkeit ausgelöst haben. Dem heiligen IRENÄUS jedoch war es bitterer Ernst um den Gedanken, auf den sich der ganze Unfug der Teufelsprozesse aufbaute. Hart und gerecht war der alte Judengott bei IRENÄUS geblieben; einst werden die Gerechten auferstehen zum tausendjährigen Reich des Sohnes, danach aber werden die Ungerechten auferstehen, und der strengere Vater wird das jüngste Gericht abhalten. Einem jeden wird da sein Recht werden, auch dem Teufel. Nach der ebenso verehrungswürdigen wie tollen Vorstellung des IRENÄUS gibt es zwischen dem Gott und dem Teufel ein Rechtsverhältnis, dessen Gegenstand die Menschheit ist; wie der Kaufmann von Venedig durch seine Schuldverschreibung dem  Shylock  verfallen ist, so die Menschheit dem Teufel durch die Schuld  Adams;  nur daß SHAKESPEARE - mit mehr Christentum als Rechtsgefühl - das klare Recht  Shylocks  beugen läßt, durch Gnade beugen, während der Kirchenvater IRENÄUS, ganz unchristlich, ganz jüdisch oder römisch, den Kampf ums Recht auf die Spitze treibt und den Gott das Blut seines eingeborenen Sohnes als Lösegeld für die sündige Menschheit bezahlen läßt. Es liegt eine gewisse Größe in der juristischen Konstruktion des ganzen Handels; alles erscheint wie eine juristische Notwendigkeit: die Erlösung als Wehrgelt für die Erbsünde, aber auch die Überwindung der Hölle durch  Jesus Christus.  Fast noch beachtenswerter als dieser scheinbare Rechtsstandpunkt ist die Wendung, die die Sache in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunders nahm, als feinere Theologen die Entdeckung machten, der Teufel wäre in diesem Prozeß gefoppt und betrogen worden, wirklich wie  Shylock  bei SHAKESPEARE; denn der Teufel habe glauben müssen, im Erlöser der Menschen nur Menschliches verschlungen zu haben, und nicht geahnt, daß er die Angel des Göttlichen mitverschlingt.

Wenn es sich so verhält, daß nämlich die eisnt vielegelesenen Teufelsprozesse gegen  Maria  und gegen  Jesus Christus  auf das gut römische Rechtsgefühl des Bischofs IRENÄUS von Lyon zurückgehen, dann war es umso leichter, diese Prozesse zu Musterbeispielen zu machen, an denen mehr als tausend Jahre später ein junger Jurist die Formalien jedes Prozesses lernen und üben konnte. Und das war offenbar, wie ich noch einmal behaupte, der Zweck der Schriften, die gegen das Ende des Mittelalters in allen europäischen Sprachen verbreitet waren, mit der ausdrücklichen Tendenz, dem Schüler ernsthafte Kenntnisse in lustiger Weise beizubringen. Die Verfasser, als welche Juristen von Weltruf galten, waren möglicherweise vom Glauben an ein klares Rechtsverhältnis zwischen  Maria  und dem Teufel, zwischen  Jesus  und dem Teufel ausgegangen; die Wirkung konnte nur ein Gelächter sein, zunächst nur über den geprellten Teufel, dann aber über die Rechtsbeugung, die der arme Teufel erfuhr.

Die zweite der beiden Schriften ist in breitester Ausführung noch einmal deutlich herausgegeben worden, 1656, durch JAKOB AYRER, unter einem sehr umständlichen Titel: "Historischer Prozessus Juris. In welchem sich Lucifer über Jesum, darum dar er ihm die Höllen zerstöret, eingenommen, die Gefangenen daraus erlöst, und hingegen ihn Luzifern gefangen und gebunden habe, auf das allerheftigste beklagt" usw. usw. Eine durchaus parodistische Wirkung lag nicht, wie etwa bei den mythologischen Dialogen des alten LUKIAN, in der Absicht des Verfassers, wenn er auch von einem schalkhaften Übermut nicht ganz freizusprechen sein dürfte; die parodistische Wirkung ergibt sich aber ganz von selbst, für uns wenigstens, aus dem genannten Zweck des Buches: den Streit um die tiefsten Geheimnisse der christlichen Religion zu einem Übungsbeispiel für Rechtskandidaten zu machen. Die burleske Schilderung der Teufel  (Belial  schwänzelt in seinem Hochmut einmal, als hätte er Besen in seinem Hintern und wollte seine Fußtritte wieder auskehren), die groben Schimpfrede zwischen  Moses  und dem teuflischen Anwalt sind freilich nur dazu bestimmt, die Leser des Buches zu belustigen. Und die entsetzlichen Anachronismen (der Prozeß spielt im ersten Jahr nach der Auferstehung  Christi  und beruft sich dennoch auf Kaiser JUSTINIAN, auf KARL V., auf Rechtsgutachten von Paris und anderen Universitäten, auf Kammergerichtsentscheidungen, auf den hürnen [aus Horn - wp]  Siegfried,  auf Päpste, auf die Zerstreuung der Juden durch die ganze Welt usw.) mögen damals weniger gestört haben, weil sie dem Stand der naiven Geschichtsforschung entsprachen. Aber so viel Mühe sich der Verfasser auch gibt, den Richter erster und den Richter zweiter Instanz, den König  Salomon  und den ägyptischen Statthalter  Joseph,  nach tollen Zeugenvernehmungen und nach einem Austausch endloser Schriftstücke zu einem rechtgläubigen Urteil kommen zu lassen, der Spaß ist doch stärker als der Ernst, und man lacht nicht immer bloß über die dummen Teufel und die ungläubigen Juden. Dazu kommt, wie gesagt, daß der Verfasser recht häufig seiner Laune nachgibt und eine versteckte Kritik übt: an der Ehrlichkeit der Juristen, an der Unnahbarkeit der theologischen Geheimnisse und sogar an der Gerechtigkeit Gottes. In den Zeugenvernehmungen namentlich kommt es zu bedenklichen Aussagen, die schon an die Bibelkritik BAYLEs erinnern: die Erzväger werden Betrüger und Schelme genannt, König  David  ein Schurke,  Petrus  ein Verräter,  Jesus  ein natürliches Kind usw.; allen diesen Aussagen wird von anderen Zeugen widersprochen, doch bleiben die Beschuldigungen am Ende haften, und vorsichtig drückte sich später ja auch BAYLE aus. Der Spott über die Käuflichkeit von Richtern und Gerichtsbeamten hätte keine Bedeutung für die Religion, wenn nur nicht dem Herrgott selber die gleiche Ungerechtigkeit gegen den Teufel vorgeworfen würde. Gott habe sich (Seite 280) gegen die Menschen barmherziger gezeigt als seinerzeit gegen die gefallenen Engel. Ich habe diese beiden merkwürdigen Prozeßakten schon an dieser Stelle erwähnen zu müssen geglaubt, weil ihre Entstehung und Verbreitung ins Mittelalter zurückreicht. Der Prozeß "Satan contra Jesum" ist die Arbeit eines Meisters des kanonischen Rechts, des JAKOBUS von Ancharano (oder von Theramo), der 1417 starb. Der Prozeß zwischen dem Teufel und der heiligen Jungfrau, bei welchem  Jesus Christus  als Richter fungiert, ist übrigens in jeder Beziehung viel sorgfältiger gearbeitet und darum in der Wirkung auf heutige Leser noch grotesker als der andere.

Heute erscheinen uns die Bücher über die Rechtshändel zwischen Gott und dem Teufel durchaus als parodistische Spielereien; den Kirchenvätern, die die Begriffe der Erbsünde und der Rechtfertigung am römischen Recht prüften, war das vielleicht ein blutiger Ernst, ja ihre juristischen Haarspaltereien gewannen Einfluß auf die Kodifizierung [Vergesetzlichung - wp] des christlichen Dogmas, wie sie sich vom Anfang des 4. bis gegen Mitte des 5. Jahrhunderts vollzog. Die Gnostik der älteren Kirchenväter war schon der Wortbedeutung nach nichts anderes als eine Religionsphilosophie vor der Kodifizierung der Dogmen oder Lehrsätze; als diese Dogmen dann - in einem ewigen Kampf mit den Ketzern - festgestellt waren, verlor die freie Religionsphilosophie oder Gnostik jede Wirkungsmöglichkeit; die neuere Religionsphilosophie mußte entweder die Dogmen bloß umschreiben oder zu einer dogmenfeindlichen Aufklärung werden.

Schon vor der Erstarrung der sogenannten Dogmen war, wie wir eben gesehen haben, der Teufelslaube zu einem großen Teil der Volksreligion geworden dadurch, daß die junge Kirche die alten Heidengötter zu furchtbaren Dämonen gemacht hatte; in das Dogmensystem kamm der Teufel auf ganz anderem Weg, und die Hauptschuld dafür trifft den heiligen AUGUSTINUS, wenn man sich nur von seiner schillernden Rhetorik nicht bestechen läßt. Sein Kampf gegen seine alten Genossen, die Manichäer, und dann gegen die eigentlich unchristlichen, weil auf die Güte der Menschennatur und die Zuverlässigkeit des Menschenverstandes vertrauenden Pelagianer war mehr, als bisher bekannt geworden ist, eine Begründung des Teufelswahns. Die moderne christliche Kirche sieht im modernen Pessimismus einen Feind und begünstigt den allzeit zufriedenen Optimismus, d. h. die Überzeugung, daß der gute und liebe Gott alles aufs Beste eingerichtet hat oder zum Besten kehren wird; die alte christliche Kirche, der Augustinismus, war wesentlich pessimistisch und verfluchte die schöne Frau Welt. Die Manichäer glaubten in jedem Menschen neben dem lichten auch ein finsteres Prinzip wirksam; AUGUSTINUS wurde ein abtrünniger Manichäer, aber eigentlich ging er noch weiter als seine früheren Genossen, da er lehrte, die Menschen wären erst böse  geworden  durch die Erbsünde. Nach der Meinung der Pelagianer konnte der freie Wille der Sündhaftigkeit der Menschen entgegenarbeiten; nach der Lehre des AUGUSTINUS, die im Calvinismus noch weit mehr als im Katholizismus und im Luthertum eine folgerichtige und rücksichtslose Orthodoxie ist, wurde der Wille völlig ohnmächtig ohne die Gnade, war der freie Wille zum Guten durch die Erbsünde ausgetilgt worden. Und die Erbsünde, das Um und Auf des schlimmheiligen AUGUSTINUS, war ein Werk des Teufels gewesen. So geriet der Teufel, vor dem sich das Volk nach eigenen Vorstellungen fürchtete, auch in das Dogma hinein, und bald wußten die Geistlichen, die jetzt zum ersten Mal ein Lehramt hatten, allerlei Dogmatisches vom Teufel zu erzählen: daß er ein Geschöpf Gottes sei, ein gefallener Engel, daß er einen Körper habe und so als Inkubus (schon bei Augustinus) wahrnehmbar werden könne. Schon ist die geschlechtliche Phantasie tätig, diesen Teufel als Anreger böser Lüste auszumalen. Schon ist die Kirche gegen das Heidentum, die Teufelsreligion, so unduldsam, daß die Tugenden der Griechen und Römer (von LACTANTIUS und AUGUSTINUS) für glänzende Laster erklärt werden. Die ersten Teufelslegenden werden schon vor dem 6. Jahrhundert erdichtet. Die geistlichen Verfasser wissen um den Teufel Bescheid, um sein äußeres wie um sein inneres Wesen. Er ist nicht so kenntnisreich wie die guten Engel; er bewirkt alles Böse, nicht nach dem Willen Gottes, aber mit der "Zulassung" Gottes. ORIGENES hatte noch gehofft, der Teufel würde sich dereinst bessern und zu Gott zurückkehren; jetzt verkündete die Kirche und verordnete der Kaiser (JUSTINIAN) die Unverbesserlichkeit des Teufels. Die Bekanntschaft mit dem Teufel wurde immer genauer: der Böse hatte menschliche Gestalt angenommen und war von schwarzer Farbe. Mit diesem menschlichen Teufel konnten verworfene Leute einen Vertrag schließen, ein sogenanntes Bündnis, durch eine Verschreibung wie durch ein gerichtliches Schriftstück. (Die älteste Faustsage, die vom heiligen  Theophilus,  stammt zwar erst aus dem 10. Jahrhundert, gründet sich aber auf viel ältere Teufelsbündnisse; in dieser Legende verschreibt sich  Theophilus  dem Teufel aus Zorn und Weltlust, und der Teufel wird um die Urkunde betrogen, wie Satan beim Erlösungswerk.) Die Neuerung bestand nur in einem rechtlichen Vertragsverhältnis zwischen dem Teufel und dem Vasallen, der für seine Huldigung belohnt wurde; sonst war es wie einst: auch der Römer hatte z. B. von irgendeinem Gott günstiges Wetter für sich und ungünstiges für seinen Nachbar erfleht; aus dem Gott war eben ein Teufel geworden, mit dem sich aber, weil er sehr menschenähnlich war, ein Pakt schließen ließ.

Im Zeitalter KARLs des Großen finden wir den mittelalterlichen Teufelswahn schon recht vollkommen ausgebildet. Die Taufe, in der Hauptsache wie in örtlichen Bräuchen, ist zu einer Abschwörung, einer Aushauchung, einer Anspeiung des Teufels geworden; die germanischen Götter zu christlichen Teufeln, die germanischen Sitten zu höllischen Gewohnheiten; wie früher im römischen Reich der Teufelswahn durch eine Herabsetzung der antiken Götter gestärkt wurde, so jetzt bei den jungen Völkern die Teufelsfurcht durch die abergläubische Art, in der die Landesreligionen verfolgt wurden.

Für das 10. Jahrhundert mag ohne Einschränkung gelten, was eine protestantische oder eine aufklärerische Geschichtsschreibung dem gesamten Mittelalter nachgesagt hat; die Finsternis wird kaum mehr durch einen Lichtstrahl erhellt, und der Teufel, immer leibhaftiger vorgestellt, wird beinahe zum alleinigen Weltregierer. Ohne Übertreibung: man erweist dem Teufel dieser wahrhaft barbarischen Zeit zu wenig Ehre, wenn man ihm nur die Rolle eines Gegenspielers, eines gleichmächtigen Gegengottes zuspricht; vor ihm allein haben die Menschen Furcht, durch ihn allein wird Zauberei geübt, er tut die meisten Wunder; was irgendwie Ungewöhnliches geschieht, das heißt aber wunderbar, also teuflisch; der Teufel ist zum Herrn der Welt geworden. Wer den Teufel leugnen woltle, wäre ein Atheist (1). Im ganzen Abendland gab es damals nicht leicht einen Teufelsleugner, wenn nicht etwa am Hof der Päpste des sogenannten Hurenregiments; von einem dieser Päpste wurde allerdings berichtet und ihm in einem Prozeß zum Vorwurf gemacht, er hätte auf die Gesundheit des Teufels getrunken. Vielleicht mündete die grauenhafte Angst, die man vor dem erwarteten Weltende empfand (man setzte den Begiff des tausendjährigen Reiches in das Jahr von  Christi  Geburt), in die nicht mehr zu überbietende Teufelsfurcht; vielleicht hängt es damit zusammen, daß sich im 11. Jahrhundert, weil dei Welt nicht untergegangen war, ein Freidenken, überhaupt ein Weltdenken wieder hervorwagte. Bei Einzelnen. Im Volk hört die Epidemie des Teufelswahns vorläufig nicht zu wüten auf. Ja, man kann erst das 13. Jahrhundert, obgleich es zugleich wie plötzlich eine mittelalterliche Aufklärung gegen die Kirche in Kampf treten läßt, als den Höhepunkt der christlichen Teufelsreligion bezeichnen. Wir besitzen just aus den Jahren, in denen Kaiser FRIEDRICH II. das Schlagwort von den drei Betrügern in die fromme Menschheit schleuderte, ein ganz harmloses, ehrlich gläubiges Buch, das den Zustand der Volksseele in greller Weise beleuchtet, das Buch der Wunder und Gesichte des Mönchs CÄSARIUS zu Heisterbach (geboren um 1180, wahrscheinlich in Köln gestorben um 1240). Das Buch ist eine Wunder- und Teufelschronik, die der Verfasser zumeist nicht aus älteren Schriften, sondern aus Berichten von noch lebenden Zeugen zusammengestellt hat; die Wundersucht des Verfassers ist so groß, daß er den unerhörten Ereignissen gegenüber nicht einmal feierlich wird, daß er manche Geschichte wie einen lustigen Schwank vorträgt. Das "Wundergespräch" des Mönchs von Heisterbach war ein Privatunternehmen; aber es hat durch seine Verbreitung dazu beigetragen, daß der Teufel der Volksreligion zu einer Gestalt der christlichen Theologie wurde; es hat besonders dem Hexenwahn eine bestimmtere Form gegeben und so die Hexenbrände mit vorbereitet. Der Teufel des Mönchs von Heisterbach erscheint bald als ein Tier (als Affe, Rabe, Kröte, aber auch als Pferd, Hund, Katze), bald als ein schöner oder auch ungestalter Mensch; er ist nicht ganz körperlich, denn er hat keinen Rücken, gewissermaßen keinen Schatten. Die Unzucht vollführt er je nachdem als Inkubus [männlicher nachtaktiver Dämon - wp] oder als Sukkubus [weibliches Gegenstück davon - wp]. Der Wille des Menschen bleibt gewissermaßen frei, der Teufel kann nur zur Sünde anreizen, wie der Schutzengel zur Tugend; der Teufel sitzt darum im Leib des Menschen, irgendwo beim Unrat in den Eingeweiden, nicht in der Seele. Nach dem Tod streiten Engel und Teufel um die Seele des Menschen; wenn so eine arme Seele zur Hölle fahren muß, so hat sie Entsetzliches auszustehen, das mit ausführlichem Realismus geschildert wird.

Diesen allgegenwärtigen Teufelsvorstellungen entsprach das Treiben der kleinen Menschen, während gleichzeitig die Großen der Erde, der Kaiser und der Papst, ihren Kampf um die Herrschaft führten wie Leute, die sich vor Gott nicht fürchten und nicht einmal vor dem Teufel. In den Jahren, da Kaiser FRIEDRICH II. als der Antichrist auftrat, wird aus den Niederlanden von der Stiftung einer Sekte der Luziferianer berichtet; es ist, als ob sich die kommenden Hexengreuel ankündigen wollten. Um die gleiche Zeit spielt die Geschichte der Stedinger, im Oldenburgischen; die Bauern wollten dem Erzbischof von Bremen die von Gott eingesetzten Zehnten nicht bezahlen; der Streit dauerte just so lange wie der Dreißigjährige Krieg, und der Sieg in größeren und kleineren Scharmützeln schien gegen den Erzbischof zu entscheiden. Da griff der zu Mitteln des geistlichen Kampfes; auf einmal wurden die Zehntverweigerer zu Teufelsanbetern gemacht, und die Teufelsanbetung, die die gesamte Christenheit übte, zu einer Ketzerei, die ausgerottet werden mußte. Zug um Zug wird in einer päpstlichen Bulle von 1233 den Stedingern das vorgeworfen, was vorher den meisten christlichen Sekten und nachher den Hexen den Hals brechen mußte: ekelhafte Liebkosung des Teufels, der in Gestalt einer Kröte oder eines eiskalten, blassen Mannes erscheint, oder auch eines schwarzen Katers; widernatürliche Unzucht; Schändung der Hostie. Als der Stedinger Aufruhr dann (1234) endlich im Blut der Bauern erstickt wurde, war von dem ganzen Teufelskram nicht mehr die Rede und der Sieger begnügte sich mit dem Hab und Gut der angeblichen Ketzer.

Den Ausdruck LUTHERs "die Welt voll Teufel" verstehen wir besser und buchstäblicher, wenn wir von der Satanologie des 13. Jahrhunderts ausgehen. Das Einmischen des Teufels in alle Verrichtungen des Menschen ist ein Gegenstück zur Vielgeschäftigkeit der göttlichen Vorsehung; nur ist die teufliche Vorsehung vorstellbarer: es gibt nur einen Gott, aber unendlich viele Teufel. Ein Verehrer des Teufels, der Abt RICHALMUS, hat für die Allgegenwart der Teufel ein hübsches Bild: wie wenn ein armer Sünder, tief ins Meer eingetaucht, oben und unten von Wasser umgeben wäre, geradeso umströmen die Teufel den Menschen von allen Seiten. Es ist genau wie bei der Vorsehung, die die Haare auf dem Kopf gezählt hat; der Teufel steckt hinter jedem Husten, hinter jedem ungehörigen Einschlafen, hinter jedem Flohstich, hinter jedem Jucken, hinter jedem Bauchgrimmen, hinter jedem Versagen der Eßlust. Gegen alle Teufel ist das Zeichen des Kreuzes gut, darum auch gegen den Flohbiß und gegen den Rausch.

Die unzähligen Teufel sind alle bereit, die Menschen für ihren Abfall von Gott zu belohnen; der Glaube an die Möglichkeit eines Bündnisses mit dem Teufel wird jetzt allgemein, und schon wird erzählt, daß die Teufelsurkunde mit Blut geschrieben sein muß. Auch die Berichte über die blasphemischen und ekelhaften Formalien beim Teufelsbund mehren sich, über die Verleugnung  Christi  und den von jetzt ab immer wiederkehrenden Kuß auf den Hintern des Satans. Schon 1312 wird den Templern, die man aus Neid und Geldgier vernichten wollte, das Geständnis solcher Undinge auf der Folter erpreßt; noch vor der eigentlichen Einführung der Hexenprozesse.

Bekanntlich wurde das Dasein des Teufelsbundes und der Hexen, nachdem Volk und Geistlichkeit diesen Wahn ausgebildet hatten und nachdem die Inquisition diesen Wahn schon lange gegen die Ketzer ausnützte, amtlich und feierlich von Papst INNOZENZ VIII. anerkannt durch seine Bulle "Summis desiderantes" vom 5. Dezember 1484. Amtlich und feierlich,  ex cathedra [unfehlbar - wp], weil weltliche und geistliche Fürsten der Rechtsbeugung der Inquisitoren zu widerstreben wagten. So verdichtete sich just in den letzten Jahren der Zeit, die man bisher das Mittelalter nannte, der Teufelswahn zum Hexenwahn, und die drei Jahrhunderte der Hexenbrände begannen. Ketzer und Aufklärer wurden womöglich mitverbrannt; und als die protestantische Ketzerei sich wie durch ein Wunder durchsetzte und sofort die alte Kirche im Verfolgen der Hexen und der Ketzer nachahmte, schien die Aufklärung, deren Verkünder des Feuertodes sicher war, für immer verloren, die Kirchenherrschaft für immer gesichert. Die Aufklärung, die im 13. Jahrhundert schon antichristlich oder deistisch gewesen war, mußte mühsam und vorsichtig erst den Hexenwahn bekämpfen. Ich werden diesen späten Rückschritt der Aufklärung in einem besonderen Abschnitt behandeln und will jetzt, unbekümmert um den Hexenwahnsinn der Kirche und um das untilgbare Verbrechen der Hexenverfolgung, die verhältnismäßig anständige und ehrliche Geschichte des Teufelswahns zu Ende führen. Wie bisher zumeist nach dem Buch von ROSKOFF, freilich mit einiger Vergleichung zwischen der Satanologie und der Theologie, also mit einer Vorurteilslosigkeit, die man bei GEORG GUSTAV ROSKOFF, dem protestantischen Gottesgelehrten (geboren 1814 in Preßburg, gestorben 1889 bei Aussee), dem österreichischen Professor und Beamten, nicht suchen und nicht antreffen wird, so freisinnig auch seine "Geschichte des Teufels" (1869) die Vorstellungen des Mittelalters bekämpft.

Wer sich nicht durch den in der Sprache mitverstandenen Gefühlswert täuschen läßt, der hier den Gottesbegriff hell und strahlend umgibt, dort den Teufelsbegriff rot und schwarz, wie ein Hof den Mond, der wird das Gemeinsame in beiden Vorstellungen nicht verkennen. Es sind zwei Dämonen, die nach ihrem Nutzen für den Menschen als gut und böse auseinandergehalten werden. Nicht einmal der Ausdruck "falscher Gott" für die Götter der griechischen, römischen, germanischen und slawischen Heiden ist richtig; so ein Dämon bleibt ein Gott, solange er durch übernatürliche Kräfte nützen oder schaden kann; und auf dem Glauben an übernatürliche Kräfte beruth die gesamte mittelalterliche Weltanschauung in Satanologie wie in Theologie. Die Wirkungen der Teufel mögen gefährliche Wunder sein, falsche Wunder gibt es nicht. Nicht einmal die Kirchenlehre macht da einen Unterschied, denn der Glaube an den Teufel und seine übernatürlichen Kräfte gehört ja mit zur Rechtgläubigkeit; die Kirche sagt nur, was schon der alte Judengott gesagt hat: auch der andere Gott, der Gegengott, der Teufel ist ein Zauberer, ist fast so mächtig wie ich, aber du darfst ihn nicht anrufen, weil ich ein eifersüchtiger Gott bin; verbündest du dich mit dem Gegengott, so behandle ich dich als meinen Gegner. Der Begriff eines "falschen Gottes", eines Götzen, entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn man sich erst dessen bewußt wird, daß man da an etwas Ähnliches denkt wie an einen falschen Prinzen, d. h. an einen lebendigen Menschen, der nur das Erbrecht des echten Prinzen nicht auf seiner Seite hat. Die Griechen und Römer waren in ihrem Polytheismus einfach genug, von falschen Göttern nichts zu wissen. Die Juden machten aus den Göttern der  Gojim  unberechtigte und darum machtlose Prätendenten [Beansprucher - wp]. Wer den Teufel für den stärkeren Gott hielt, der schloß eben dennoch sein Bündnis mit dem Teufel. Auch der Teufel besaß seinen ordentlichen Dienst und seine Hierarchie; auch einen Sohn hatte er, mit einer Nonne gezeugt, den Zauberer  Merlin. 

Der Wunderglaube des christlichen Mittelalters stand tief unter dem, was im Altertum nur Leichtgläubigkeit war; auch Griechen und Römer nahmen die tollsten Berichte als Tatsachen hin, aber das lag nur an ihrer elenden Naturbeobachtung, denn eigentlich waren Griechen und Römer - abgesehen vom Pöbel - vom ursächlichen Geschehen in der Natur und Menschenleben überzeugt und hätten im Fortschreiten der Naturerkenntnis ihre Leichtgläubigkeit, die kein dogmatischer Wunderglaube war, ohne religiöse Bedenken ablegen können. Im christlichen Mittelalter dagegen gehörte es zum kirchlichen Dogma, daß es überhaupt keine Naturgesetze gibt, daß gegen den Naturlauf der Gott das Gute, der Teufel mit Gottes Zulassung das Böse bringt. Nicht nur Seuchen, Erdbeben, Hungersnöte, sondern auch alltägliche Vorkommnisse standen regellos unter der Willkür des guten oder des bösen Dämons. Die Phantasie des Mittelalters war unerschöpflich in der Erfindung wundersüchtiger Heiligenlegenden. Auch die Heroen des Altertums bestanden, wenn man den Dichtern glauben wollte, wunderbare Abenteuer; doch niemand brauchte den Dichtern zu glauben. Die Heiligen dagegen, die die Athleten  Christi  hießen, waren Wundertäter nach der Lehre der Kirche, und wer sich der Heiligenverehrung oder auch nur dem Bilderdienst widersetzte, war des Todes schuldig, als Ketzer oder gleich als Teufelsanbeter. Natürlich, denn die Hauptarbeit der Heiligen, die ursprünglich eben nur die Märtyrer gewesen waren, bestand nach der Volksmeinung und nach der Absicht unzähliger Legenden darin, daß sie die bußfertigen Sünder gegen die Bosheit des Teufels in Schutz nahmen. Die allerstärkste Feindschaft bestand zwischen dem Teufel und der heiligen  Maria.  Es verstand sich von selbst, daß die Mutter des Heilands geliebt und gefeiert wurde; doch bereits seit dem 4. Jahrhundert entwickelte sich - gegen häufigen Widerspruch - ein Kultus, der zuerst die Mutter als Mittlerin zwischen den armen Menschen und Gott verehrte, sie dann als Gottgebärerin einfach anbetete. Diese Vergottung der jungfräulichen Mutter hielt mit der Angst vor dem Teufel gleichen Schritt; in der Zeit, da Kaiser FRIEDRICH das Schlagwort von den drei Betrügern prägte und doch zugleich die Einführung der Inquisition anordnete, da der Teufel nach allgemeiner Meinung das Weltregiment angetreten hatte, suchte die verzweifelte Menge ihre Zuflucht bei der Jungfrau  Maria.  Sie durfte nicht müde werden, die Macht, aber auch das Recht des Teufels durch ihre Wunder zu beugen. Lesen wir diese Marienlegenden heute nur noch als alte Dichtungen, so unterliegen wir sehr leicht dem Reiz dieser allerliebsten, einprägsamen, oft hinreichend schwärmerischen Fabeln; auf die Menschen, die alle diese ungerechten Wunder inbrünstig glaubten, muß das Vertrauen auf eine solche Hilfe entsittlichend gewirkt haben. Eine ganze Menge von Legenden erzählt Geschichten, in denen die Jungfrau  Maria,  bloß weil sie angerufen worden ist, den ärgsten Sündern beisteht. Nicht nur schlimmen Nonnen, die ihre Gelübde gebrochen haben, auch ausgemachten Verbrechern. Ein Straßenräuber, der sein Gewerbe regelmäßig mit einer Lobpreisung der Jungfrau  Maria  begann, wird zum Dank dafür, am Galgenstrick hängend, von den weichen Händen  Marias  gestützt, so daß er nicht sterben kann; und da der Henker ihn mit dem Schwert richten will, wird er durch ein Wunder auch dem Schwert entzogen. Und nicht nur die diesseitige, auch die jenseitige Gerechtigkeit wird durch die gottgleiche Macht  Mariens  verhöhnt; der Teufel wird geprellt, betrogen, selbst da, wo er nach dem Rechtsgefühl des Mittelalters in seinem guten Recht ist. Sogar mit Gewalt wird ihm mitunter die Verschreibung entrissen. Das Äußerste scheint mir die Legende zu bieten, die ein Wunder an das mechanische Wiederholen des Namens  Maria  knüpft: ein Star, der das "Ave-Maria" aufsagen gelernt hat, plappert die Worte unter dem Griff eines Habichts und wird so gerettet. Die Kirche hatte kein Bedenken, ein solches Marienwundert, das an die Gebetsmühlen der Lama erinnert, unter ihre Legenden aufzunehmen. Doch auch die ganz alltäglichen Marienwunder enthalten oft einen Zug von Rechtsbeugung, der uns empört und die Theologen der "Rechtfertigung", die Protestanten, noch tiefer empören mußte. Anstatt hundert oder weniger bekannter Beispiele nur eines, das die Umgehung des Rechtsweges durch ein freches Bild darstellt. Ich finde dieses unbezahlbare Beispiel in der Selbstbiographie des Stralsunder Bürgermeisters BARTHOLOMÄUS SASTROW, die 1595 von ihm als Greis niedergeschrieben, erst 1823/24 vollständig, dann öfter in Auszügen herausgegeben wurde. Der alte Herr berichtet über eine katholische Predigt, die er in Landau, nach der Verkündigung des Interims [provisorische kirchliche Regelung - wp] und Vertreibung der evangelischen Prediger, von einem geistlichen jungen Bengel hörte: daß die Jungfrau  Maria  doch anzubeten sei, gegen die Meinung der Lutherischen. Eine wahrhaftige Geschichte, von der ich nicht sagen kann, auf welche alte Legende sie zurückgeht. Einer, der viele Ave-Maria gesagt hat, stirbt und soll nicht in den Himmel eingelassen werden. Zu seinem Glück ergeht sich just  Maria  mit dem Sohn vor der Himmelspforte.  Jesus  meint, er allein wäre die Tür, der Weg und die Wahrheit. Darauf  Maria:  "Bist du die Tür, so bin ich das Fenster. Nimm (zum Verstorbenen) die Seele beim Kopf und wirf sie durchs Fenster in den Himmel." Der alte Schreiber ruft dann auch entrüstet aus: "Was konnte gottloser und unverschämter sein als eine solche Predigt." (2)

Insofern freilich wurde der Teufel zu einer Bezeichnung des falschen Gottes, als Sektenhaß, von Priesterherrschaft geschürt, alle Andersgläubigen leicht zu Teufelsdienern machte, nicht nur bildlich; LUTHER hatte die Gebräuche der römischen Kirche nur Schlingen des Teufels genannt, die Katholiken nannten ihn ernsthafter einen Sohn des Teufels, wei einst die Gottesgeißel ATTILA als Sohn des Teufels galt. Als seit Ende des 15. Jahrhunderts der Hexenprozeß eine feste Einrichtung geworden war und von weltlichen und geistlichen Fürsten auf Ausrottung der Ketzer ausgedehnt wurde, abgesehen von dem Nebenzweck der Gelderpressung, da mögen Gesetzgeber, Richter und Henker oft das schlechte Gewissen gehabt haben, daß sie eigentlich Schufte waren; in der Volksreligion jedoch waren die Ketzer in der Tat Anbeter eines falschen Gottes, des Teufels, und gerade bei den gläubigen Kirchenfürsten, deren es gewiß immer gab und die sich über die Volksreligion nicht erhoben, braucht man ein schlechtes Gewissen nicht jedesmal vorauszusetzen. Dazu kam, daß die Kirchenfürsten seit GREGOR VII. und INNOZENZ III. eine ungeheure Macht zu verteidigen hatten und so als Politiker behaupten durften, daß der Zweck die Mittel heiligt. Es ist ja töricht, von einem Kampf zwischen Staat und Kirche als von einem Kampf zweier Ideen zu reden; in Wahrheit strebten die neuen Kaiser und die neuen Könige wie die neuen Kirchenhäupter nur danach, die ihnen geschichtlich zugefallene Gewalt zu stärken und zu sichern, die religiösen und die politischen Gründe waren nur Wortwaffen neben anderen Waffen. Der erbitterte Streit zwischen den Hohenstaufen und den Päpsten war ein weltlicher Streit um die Macht. Als nach dem Niedergang des Kaiseransehens Frankreich den Staatsgedanken aufnahm, wurde der gleiche Streite mit den gleichen Wortwaffen weitergeführt, nur scheinbar um religiöse Fragen.

Seit dem Zusammenbruch der antiken Kultur und dem Sieg des Christentums wurde die Aufklärung besonders dadurch verhindert, daß der geistliche Stand im Alleinbesitz der noch vorhandenen Bildung war. Bildung hieß und war Kenntnis der lateinischen Sprache; sinnlos war die beinahe schon tote Sprache Roms zur heiligen Kirchensprache geworden, danaben auch zur Sprache der Juristen und der Staatsmänner. Es gelang den Päpsten zwar nicht, die Volkssprachen zu vernichten, aber die Entscheidungen in allen Fragen der sogenannten Kirche und des sogenannten Staates war bei den Lateinkundigen, den Geistlichen, und man weiß, in welcher Weise das kirchliche wie das bürgerliche Recht zugunsten des geistlichen Standes gebeugt wurde. Die Kirche war geldgierig geworden und wurde reicher als irgendein weltlicher Fürst: durch gefälschte und ehrliche Schenkungen, durch Belehnungen und Stiftungen, dann in einem jähen Abstieg durch Reliquienhandel und Ablaßhandel. Der bare Unsinn gewann Geldwert, auch Reliquien des Teufels fehlten nicht: als Reliquie teuer gekauft wurde ein Stück von dem Loch, in dem das Kreuz gestanden hatte, wurde der Stein, den der Teufel dem Heiland gereicht hatte. Buße, einst ein sittlicher Begriff der Gesinnungsumkehr, wurde zu einer Geldzahlung. Die schmerzhafte Buße der Geißler war eben die Zahlung der Armen.

Nach dem Volksglauben verlieh die göttliche Vorsehung mehr Schlachtensiege und Staatsgewalt, die Hilfe des Teufels mehr Gold und andere Schätze, aber es konnte auch umgekehrt kommen, der Gott und der Gegengott waren beide Verwalter weltlicher Güter. Nur eine einzige irdische Annehmlichkeit schien dem Teufel vorbehalten: die Befriedigung des Geschlechtssinnes, die dann auch verächtlich Fleischeslust oder Unzucht hieß. Man hat mit sehr viel Gelehrsamkeit aus Zufallsquellen nachzuweisen gesucht, daß die mittelalterlichen Menschen der Wollust besonders ergeben gewesen wären; es wird wohl eine arge Übertreibung sein, entstanden durch die lüsterne Phantasie just derjenigen Mönche, die sich kasteiten und in ihrer Überreizung überall einen widernatürlichen Geschlechtsgenuß zu erblicken glaubten. Noch schlimmer als im Altertum und in der Neuzeit wird auch die Perversität des Mittelalters kaum gewesen sein. Nur daß im Altertum und in der Neuzeit dem wirklichen Leben keine Lehre gegenüberstand, die jede Geschlechtslus zur Sünde erklärte. Im Hinblick auf die reine Gestalt des Heilands macht es freilich einen tollgrotesken Eindruck, wenn in Rom der Bischof vor der Weihe ausdrücklich beschwören mußte, er hätte weder das Verbrechen der Päderastie begangen, noch das der Sodomiterei, hätte keine Nonne vergewaltigt und nicht in Bigamie gelebt. Die Menschen waren im Mittelalter nicht reiner und nicht verruchter als vorher und nachher, aber daß die Geistlichen, die sich für Spender des jenseitigen und auch des diesseitigen Heils ausgaben, entgegen den Lehren des Evangeliums in Genußsucht und Habgier versunken waren, das schien unerträglich, schien nur als eine Wirkung des Teufels begreiflich. Das Mittelalter besaß als vermeintliches Wissen nur die Theologie, die zur Hälfte Satanologie geworden war. Allen Fakultäten wurden ihre Aufgaben von der Theologie gestellt: die Philosophie sollte nur die Lehrsätze der Kirche logisch beweisen, auch das Dasein und die Eigenschaften des Teufels; die Rechtswissenschaft sollte Kirchenrecht werden, dessen Handhabung den Geistlichen zustand, und besonders das Strafrecht sollte die Verfolgung der Ketzer und Teufelsanbeter, die Anwendung der Folter und der grausamsten Strafmittel begründen; sogar die Arzneikunst, die eigene Wege gegangen ar, sollte zu dem Gedanken zurückgeführt werden, die wahren Erreger der Krankheiten waren die Dämonen. Die entsetzlichen Seuchen des Mittelalters wurden von der Kirche - ich kann zwischen beiden Auffassungen keinen wesentlichen Unterschied finden - entweder als Strafen des Gottes oder als graumsame, vom Gott zugelassene Niederträchtigkeiten des Teufels betrachtet.

Auch die Ketzer des Mittelalters, weil sie eben keine Aufklärer waren, mochten sich gegen den unchristlichen Weltsinn der Kirche auflehnen und gegen das noch unchristlichere Treiben der Geistlichkeit; doch sie dachten gar nicht daran, eine andere Sprache zu reden als die der Theologie und die der Satanologie. Besonders die Sekte der Manichäer war nicht ausgestorben, lebte unter verschiedenem Namen wieder auf und brachte ein fertiges System von Teufelsreligion über Konstantinopel nach dem Abendland, einen Dualismus, der den Teufel zu einem Sohn Gottes und zum eigentlichen Regierer der Erde machte. Unter der Bezeichnung der Katharer wurden jetzt ähnliche Sekten zusammengefaßt; mag nun der Schimp "Ketzer" wirklich (wogegen PAUL Bedenken äußert) von "Katharer" herkommen oder nicht: gegen die Ketzer, die Teufelsanbeter, richtete die Kirche seit INNOZENZ III. ihre zusammengefaßten Angriffe, belebte die alten Kreuzzüge, führte die neue Inquisition ein, benutzte die Wut des Volkes, die eigentlich nur den Hexen und Zauberern galt, so daß erst die Inquisition und der Hexenprozeß überwunden werden mußte, bevor die moderne Aufklärung ihre Arbeit beginnen konnte.

Die neueste Geschichtsschreibung sagt für Katharer gern Neu-Manichäer; eine wahrscheinliche Vermutung wird so durch Namengebung zu einem wissenschaftlichen Ausgangspunkt gemacht, die Vermutung, daß die abendländischen Ketzer (die Albigenser) in einem geschichtlichen Zusammenhang stehen mit den alten Manichäern. Mit Sicherheit ist dieser Zusammenhang nachgewiesen für die morgendländischen Sekten der Euchiten in Thrakien und der Bogomilen in Bulgarien. (Bogomil, slawisch, nicht "Gott erbarme dich", sondern "Gottlieb", Gottesfreund.) Diesen beiden Sekten ist es gemeinsam, daß sie die Satanologie, die im Abendland an der Kirche als Volksreligion emporrankte - bis die Ranke zur Stütze wurde -, zuerst in ein phantastisch großes theologisches System brachten. Im 11. und 12. Jahrhundert. In Lehre und Leben offenbar den ursprünglichen Manichäern verwandt. Bei den Euchiten und Bogomilen wurde namentlich, was ich hervorheben möchte, die Vorstellung von einem Gott-Teufel ausgebildet, einem  Satanael.  Nach einem sehr alten Bericht gab es da bei beiden Sekten, die in  Moses  ein Werkzeug des Teufels und in der Bibel ein Buch der Unwahrheit erblickten, einen obersten Gott, dessen ältester Sohn  Satanael  die irdische, dessen jüngerer Sohn  Christus  die himmlische Welt verwaltete; man diente den beiden Gottessöhnen oder auch nur einem, dem bösen oder dem guten. Besonders bei den Bogomilen, denen  Elohim  der Satanael gewesen zu sein scheint, wird die Menschenschöpfung und die Geburt des Heilands zu einer dichterisch willkürlichen Kosmogonie und Heilsordnung umgedeutet.  Christus  wird nur zum Schein ein Mensch. Der scheinbar aus einer Jungfrau Geborene besiegt den Bruder  Satanael,  der jetzt den zweiten Namen (El = Gott) verliert und zum Satan wird. Die Bogomilen oder Gottesfreunde sind die Auserwählten, die keine Taufe und kein Abendmahl brauchen, die nicht einmal das Kreuz verehren, geschweige denn die Bilder. Die Bogomilen wurden verfolgt, erhielten sich aber seit der Mitte des 12. Jahrhunderts bis fast zur Zeit der Eroberung der Balkanländer durch die Türken und vielleicht noch länger.

Die Katharer des Abendlandes, die noch viele andere Namen führten (wie Bulgaren, Pateriner), hängen also wahrscheinlich mit dem Bogomilen, fast sicher mit den alten Manichäern zusammen, die in Nordafrika, Spanien, Italien und Frankreich nicht völlig ausgetilgt worden waren; von Zeit zu Zeit treten Sektierer auf, die die Sakramente und die Trinitätslehre verwerfen und dafür in den Tod gehen. Im Jahre 1167 wird in Frankreich ein Konzil der Katharer veranstaltet; der Sitz des Oberhauptes soll nach Bosnien gewiesen haben, wo die Pateriner seit INNOZENZ III. als eine manichäische Sekte arg bedrängt wurden.

Der Name der Albigenser (von Albi in Südfrankreich, aber doch wohl angelehnt an die Albanesen, die nach Alba in Piemont so hießen) wurde zum Gesamtnamen für die französischen Ketzer, von denen die strengsten ähnlich wie die Bogomilen zwei Prinzipien anerkannten, in  Moses  ein Werkzeug des bösen Prinzips sahen, auch in  Johannes  dem Täufer, die Personen der heiligen Familie für Scheingestalten erklärten; andere Anhänger der Sekte stellten sich in ein leidliches Verhältnis zur Trinität.

Um das Jahr 1200 war diese Ketzerei in Südfrankreich zu einer Macht angewachsen, zu einer wirklichen Gefahr für die katholische Kirche. Es ist bekannt, wie blutig die Sekte (1208 bis 1229) durch die neue Inquisition und den "weltlichen Arm" ausgetilgt wurde.

Es ist selbstverständlich, daß die Kirche da zunächst nur aus politischen Gründen die unbotmäßigen Katharer und den Grafen von Toulouse unterdrückte. Wäre es ein geistiger Kampf gewesen, so müßte mit geringer Übertreibung gesagt werden: daß die Katharer von der orthodoxen Kirche freilich auch in Lehrsätzen und im Gottesdienst abwichen, daß aber der Hauptunterschied doch mehr auf dem Gebiet der Satanologie als der Theologie lag. Schroff ausgesprochen (schroffer, als es der Zeit zum Bewußtsein kam): die Kirche lehrte grundsätzlich einen gewissen Monotheismus und fand sich mit der Nebenregierung des Satans unbestimmt ab; die Katharer lehrten grundsätzlich die Doppelregierung Gottes und des Teufels. Und da ist es nun höchst beachtenswert, daß das vermeintlich rechtgläubige Volk just damals, im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, der äußersten Teufelsfurcht erlag, den Teufel zum fast alleinigen Herrn der Welt machte und so noch über die Lehre der Katharer hinausging. Die Inquisition hatte den Satan der Ketzer mit Hilfe des volksmäßigen Teufels ausgetrieben; und dieser Teufel blieb von jetzt ab in der Kirche mächtig. Man kann einfach sagen, daß die Kirche viele Teufelsvorstellungen der Manichäer in ihre eigene Satanologie aufnahm und den Teufelswahn des Volkes überall begünstigte; ihre Gewalt war zu Beginn des 13. Jahrhunderts stark genug geworden, um die Unbotmäßigkeit der Ketzer zu unterdrücken; einst hatte man sich damit begnügt, die eigensinnigen Leute, die irgendein Dogma ablehnten, von der Gemeinsamkeit der Gläubigen auszuschließen, was ja ein gutes Recht jeder Genossenschaft ist; jetzt beriefen sich römische Juristen auf altes spätrömisches Recht, um die Todesstrafe über die Ketzer zu verhängen. Erst die Gerichtsbarkeit konnte der Kirche Gewalt über Leben und Tod der Menschen verschaffen; das Recht der Untersuchung, der Inquisition, also die Gerichtsbarkeit, erlangte die Kirche zur Zeit ihrer höchsten Macht zumindest gegen die Ketzer und gegen die Teufelsdiener. Mit sophistischer Geschicklichkeit wußten es die Theologen dahin zu bringen, daß diese beiden religiösen Verbrechen zusammengedacht wurden, der Abfall von der Kirche und das Bündnis mit dem Teufel; das Volk, das die Ketzer nicht haßte und ihre Verfolgung mißbilligte, hatte vor dem Teufel und den Hexen eine wilde Angst und wurde so der Ketzerausrottung erst günstig gestimmt, als es die Ketzerei für eine Wirkung des Teufels zu nehmen gelernt hatte; vorher konnten sich weltliche und geistliche Fürsten, die sich aus Klugheit oder Menschlichkeit der Einführung der Inquisition entgegenstellten, auf das Volk stützen; nachdem aber erst der Teufel an die Wand gemalt worden war, gewöhnten sich auch die kleinen Leute an die Ketzerverbrennungen wie an die Hexenverbrennungen, an all die Unmenschlichkeiten der Inquisition.

Das Grauen, das unsere Zeit in unzähligen geschichtlichen und dichterischen Darstellungen von der Inquisition bekundet, kann natürlich nur Einrichtung gelten, nicht dem Begriff, der ursprünglich fast ebenso unschuldig ist wie der Begriff "sanctum officium" [heiliges Amt zur Reinhaltung des katholischen Glaubens - wp] für die Würde und die Aufgabe dieses kirchlichen Gerichtshofes. "Inquisitio" war schon im Lateinischen ein schlichter Fachausdruck für Untersuchung, Vernehmung in einem Prozeß; es gehört in die Zufallsgeschichte der Sprachen, daß z. B. in Frankreich die ältere Form "enquête" besonders für die Einleitung eines Kanonisationsprozesses verwandt wurde. Von solchen Prozessen auf Leben und Tod weiß die Kirche nichts, solange sie nicht eine Macht zu verteidigen und einzusetzen hat; eine gewisse halb unfreiwillige Duldsamkeit wird erst von AUGUSTINUS und dann noch härter von THOMAS von AQUIN verlassen; dieser verlangt bereits den Tod des Ketzers, weil Glaubenstrübung schlimmer ist als Münfälschung und weil - unser Gefühl sträubt sich umsonst gegen eine solche Logik - der Umgang mit einem Ketzer verboten ist, der Umgang aber am sichersten durch seine Verbrennung vermieden wird.

Zur förmlichen Einsetzung einer Gerichtsbarkeit über die Ketzer, zu einer Inquisition, kam es aber erst unter INNOZENZ III., als dieser stärkste aller Päpste den Kaiser und die Könige von England und Frankreich unter seinen Willen, den Willen von Gottes Statthalter, gezwungen hatte und gleichzeitig die Ketzerei bedenklich anzuschwellen begann. INNOZENZ III. scheint gläubig gewesen zu sein, kein Heuchler; aber wie er der eigentliche Begründer des weltlichen Kirchenstaates war, so bestimmten ihn auch rein politische Gründe, die langsam verblassende Idee der Kreuzzüge dadurch zu beleben, daß er die Kreuzzüge gegen die Ungläubigen zu Ketzerkriegen, zu Ausrottungskriegen gegen die Irrgläubigen verwandelte. Eine solche Blutarbeit wurde allen Fürsten durch das vierte Laterankonzil (1215) zur Pflicht gemacht, wo übrigens kaum beraten, sondern nur der Wille des Papstes angehört und zum Gesetz erhoben wurde: Vertilgung der Albigenser, Verdammung des AMALRICH von Bena und des JOACHIM von Fiore, Drangsalierung der Juden; der Fürst, der sich nicht den Befehlen des Papstes fügte, sollte selbst verdammt und schließlich abgesetzt werden. Kein Wunder, daß die Kirche noch rücksichtsloser gegen Privatpersonen vorging, die auch nur im Verdacht standen, mit Ketzern menschlich verkehrt oder sich ihrer angenommen zu haben.

Die juristische Unterlage des Verfahrens gegen die Ketzer wurde ebenfalls vom vierten Laterankonzil gelegt; dieses Gerichtsverfahren, also die  inquisitio,  stand zunächst den Legaten [Gesandte des römischen Magistrats - wp] und den Bischöfen zu, wurde aber schon von den folgenden Päpsten zu einer Angelegenheit der römischen Kurie gemacht. Der Papst ernannte die Inquisitoren, betraute mit diesem Amt die neuen Orden, besonders den der Dominikaner, schuf das Kriegsrecht gegen die Ketzer, gegen ihre Verteidiger, Helfer und Anhänger. Der Inquisition verfallen ist jedermann, ob hoch oder nieder, mit alleiniger Ausnahme des Papstes. Der Papst hat ein Netz über die Welt geworfen, dem niemand zu entgehen vermag; nach menschlicher Voraussicht.

Der Kampf umd die Durchführung des neuen Gerichtsverfahrens beginnt überall. Gleich unter INNOZENZ III. in Italien. Selbst dort widersetzen sich einige Kleinstaaten, wie die Republik Venedig, die die höchste Gerichtsbarkeit nicht abtreten wollen. In Frankreich, wo der eigentliche Ketzerkrieg zwanzig Jahre lang tobt, empört sich das Volk gegen die blutigen Schaustellungen; die Inquisitoren sind mitunter ihres Leben nicht sicher. Die Könige benützen freilich dann und wann das außerordentliche Verfahren, um widerspenstige Große zu vernichten oder Geld zu gewinnen; aber früh schon, hundert Jahre vor der Reformation, gelingt es, die gallikanische Kirche soweit von Rom zu befreien, daß die Inquisition, d. h. der Blutbann des Papstes, auf französischem Boden aufhört.

In Deutschland gab es der Kirche gegenüber keine starke königliche Macht; als KONRAD von Marburg, der harte Beichtvater und Peiniger der heiligen ELISABETH von Thüringen, sich zum Werkzeug der Kurie hergab, vielleicht doch noch mehr blutgierig als Blutwerkzeug, um so etwas wie die Albigenserkriege auch in Deutschland durchzuführen, da wehrten sich die Herrn von Adel, das Volk ging mit dem Adel, und KONRAD wurd (30. Juli 1233) totgeschlagen, ungerächt; einer seiner Mitinquisitoren wurde in Friedberg von Rechts wegen aufgehängt. Das Recht auf Ketzerverfolgung wurden in Deutschland wieder von den Bischöfen in Anspruch genommen; der Papst bekam die Oberhand erst, als (1484) durch die oft zitierte Bulle "Summis desiderantes" die Grenzen zwischen Ketzerverfolgung und Hexenverfolgung verwischt wurden. Auch in den Niederlanden konnte sich die eigentliche Inquisition, das Verfahren gegen die Irrgläubigen, nicht halten; der spätere Versuch Spaniens, die Inquisition als politisches Mittel zu verwenden, beschleunigte den Abfall. In England war die Kirche wie in Frankreich national genug, der römischen Inquisition keine Macht über die Bischöfe zu gewähren.

Nur in Spanien gelangte die Inquisition zu voller Blüte, um nachher dort zuerst in den politischen Dienst der Gegenreformation gestellt zu werden. Es ist bekannt, wie teuflisch die berüchtigten Großinquisitoren (TORQUEMADA, ARBUES - von den Verwandten seiner Opfer 1485 ermordet - und auch der weit großzügigere Staatsmann XIMENES) gegen Ketzer und Juden, gegen Marranen und Moriskos wüteten; bekannt und doch lange nicht bekannt genug. Für die Unmenschlichkeit der Todesurteile und für die theatralische, zu Volksfesten ausartende Vollstreckung ist in Spanien Königtum und Papsttum gleicherweise verantwortlich. Nur in Spanien hatte die Inquisition sich als Machtmittel entwickelt und erhalten, so daß sie, inzwischen durch die Verbindung mit der überall populären Hexenverfolgung für uns noch tiefer geschändet, für die damalige Zeit rehabilitiert, als Hauptwaffe gegen die erste siegreiche Ketzerei, die Reformation, dienen konnte. In dieser neuen Gestalt arbeitete die Inquisition in Spanien, in Italien (jetzt auch in Venedig), bis zum Ausbruch der Revolution auch in den Niederlanden; erst im 19. Jahrhundert erlosch sie in den katholischen Staaten; die katholische Kirche hat auf ihre Inquisition bis heute nicht verzichtet, hat noch 1867 den Ketzerbrenner ARBUES heilig zu sprechen gewagt, worauf dann WILHELM KAULBACH durch seinen damals vielbewunderten, allzu tendenziösen Karton antwortete.

Einige Humanisten (OCHINO, PALEARIO) waren einsichtsvoll genug, die Bedeutung dieser fruchtbaren Waffe, die "gegen alle Gebildeten immer gezückt war", zu erkennen, zu begreifen, daß eine Befreiung von Theologie und Satanologie nicht möglich war, solange lebendig verbrannt wurde, wer ein Wort gegen das Dasein des Gottes oder des Teufels vorbrachte. Im Ganzen wird der Kampf des Humanismus gegen die Inquisition mit äußerster Vorsicht geführt. Die Reformatoren, gegen die sich die Inquisition bald, etwa seit 1542, mit furchtbarem Erfolg wenden sollte, sind als Freiheitskämpfer scharf von den Humanisten zu scheiden. Sie waren zu tief vertrickt in Unduldsamkeit gegen andere und in Teufelswahn, um die Ausrottung der Irrgläubigen und der Teufelsdiener nicht gut zu heißen.

Alle Vorliebe für die sittliche Kraft und für die dichterische Sprachkraft LUTHERs darf uns nicht abhalten, seine schwerste Schuld zu erkennen: daß er den Teufelswahn der letzten Jahrhunderte in den Protestantismus mit hinübergenommen, ja eigentlich in dogmatischer Hinsicht womöglich noch gestärkt hat; die Hexenbrände wurden in den protestantischen Ländern beinahe fanatischer, beinahe mit besserem Gewissen verteidigt als in katholischen. Nur hätte ich nicht eine Schuld nennen sollen, was doch nur eine Folge von LUTHERs Beschränktheit war. Für ihn war der Teufel einfach das Werkzeug, der Henker im Dienst von Gottes Zorn. Der Teufel hat es besorgt, wenn ein Mensch ertrinkt, abstürzt oder an einer Seuche stirbt. Der blödeste Teufelswahn des Pöbels wurde von LUTHER in Lehrsätze gekleidet und kam so in das Augsburger Bekenntnis und in die Konkordienformel hinein. Der Katholik war nicht ganz so gottverlassen, weil ihn gute Werke oder die Wunder der Heiligen vor der Bosheit des Teufels schützen konnten; der gläubige Protestand war schlimmer dran, weil er sich durch die Erbsünde dem Teufel von Rechts wegen verfallen wähnen mußte. Das "Theatrum Diabolorum" (1569), ein gut lutherisches Sammelwerk von Teufelstraktätchen, war nicht so grauenhaft blutig wie der Hexenhammer von 1487, aber auf das Denkvermögen der Protestanten wirkte es ebenso vergiftend. Der Teufel könne Zeichen und Wunder tun, auch durch Gespenster und durch Verblendung; nur einige besondere Wunder sind dem Gott vorbehalten. Durch anhaltende Gebete könne der Teufel ausgetrieben werden. (Widerwärtig ist eine solche Teufelsaustreibung durch LUTHER, bei der der leidenschaftliche Mann seinen Gott zuerst "heftig" anfleht und dem armen besessenen Mädchen, das wohl nicht sofort erlöst wurde, einen Fußtritt gibt; selbstverständlich galt der Fußtritt dem Teufel.) An fleischliche Vermischungen mit dem Teufel glaubt das  Theatrum  nicht so gröblich wie LUTHER, hält sie aber doch wohl für möglich. Es soll übrigens nicht verschwiegen werden, daß dieses Bekenntnisbuch mit seinem ganzen nichtswürdigen Teufelskram vielleicht gar noch aufklärerisch wirken wollte und sollte gegenüber dem Pöbelteufel, vor dem LUTHER zeitlebens zitterte; wäre diese Vermutung richtig, daß nämlich die Verfasser des  Theatrum  das Roß Gottes und des Teufels rationalistisch zu verbessern meinten, so wäre über LUTHER das härteste Urteil gesprochen, so hätten ihn schon seine nächsten Anhänger und Nachfolger in puncto Teufelswahn gern verleugnen mögen. Denn darin war die neue Religion ehrlicher, aber auch rückständiger als die alte: daß in Rom zwar jeder Volksglaube weislich erhalten und gepflegt wurde, Päpste und Kardinäle jedoch weder an Gott noch den Teufel glaubten, daß dagegen die gottseligen Reformatoren (auch ZWINGLI und KARLSTADT) von einer ganz echten Teufelsangst geplagt wurden.

Man redet und schreibt gewöhnlich so, als wäre der Protestantismus auf dem Weg von LUTHER zu den orthodoxen Pastoren des 17. Jahrhunderts tief hinabgesunnken; gewiß, die Persönlichkeiten dulden keinen Vergleich: der Augustinermönch, der mit Inbrunst und Lebensgefah, aus eigener Kraft, gegen Kaiser und Papst einige Lehren der Kirch als unbiblisch verwarf und den Abfall von Rom zum ersten Mal seit dem ganz anderen griechischen Schisma siegreich durchsetzte - und die protestantischen Orthdoxen, die als kleine Päpstlein von ihrer Landesherrn Gnaden wieder scholastische Buchstabenklauberei zu treiben anfingen. Aber den Buchstabenglauben hatte schon LUTHER selbst der Reformation in die Wiege gelegt. An einige Traditionen der römischen Kirche glaubte LUTHER nicht mehr, aber an der entscheidenden Tradition, der von einem inspirierten Wort Gottes, wagte er, dachte er nicht zu rütteln; so durfte die Lehre vom Teufel weiter als inspiriert gelten. "Rund und rein ganz und alles geglaubt oder nichts geglaubt." Und weil nach der neuen oder erneuerten Theologik gute Werke und ein guter Wille nichts mehr wert sein sollten, sondern nur noch der gute Glaube, für das ewige Heil nämlich, darum wurde es jetzt so überaus wichtig, daß der Christ alles glaubt, auch und besonders den Teufel. Jetzt kam der Teufel sogar in das Gebet hinein und in die Form des Gebets, die Kirchengesang heißt. In dem Lied "Eine feste Burg ist unser Gott", gegen dessen Schönheit ich mich so wenig verschließe wie gegen die der Marsellaise, wird "der alte böse Feind" ausdrücklich "der Fürst dieser Welt" genannt; der Gegengott, mit dem fertig zu werden der gute Gott Mühe und Arbeit genug hat; und eher zweifelt LUTHER noch in seinem Herzen (wie seine oft widerliche Teufelsangst beweist) an der Überlegenheit des guten Gottes als am Dasein des Gegengottes.

So war der Teufelswahn, im Mittelalter ein gern geduldeter, oft geförderter Aberglaube, durch die Reformation zu einem Hauptstück des richtigen Glaubens geworden.

Die katholische wie die protestantische Theologie hielt bis tief ins 18. Jahrhundert hinein an der Vorstellung von einem leibhaftigen Teufel fest, nachdem die Bekämpfer der Hexenprozesse im 17. Jahrhundert nur die entsetzlichste Wirkung des Teufelswahns zu tilgen versucht hatten, nicht aber den Teufel selbst, wir werden, wenn uns die Aufklärer beschäftigen werden, die gegen die Hexenbrände schrieben, erfahren, daß so tapfere Männer wie DALE, WEYER und BEKKER das Dasein des Teufels nicht zu leugnen wagten, daß noch der starke Aufklärer THOMASIUS nur den von außen wirkenden persönlichen Teufel ablehnte, nicht den innerlichen, unsichtbaren Teufel im - Gottlosen. Der Teufel war bereits zum Gott-Ersatz geworden: wer den Gott leugnete, aus dem sprach der Teufel. Da aber dieser gottlose Teufel kein persönlicher Teufel mehr war, sondern das Böse ansich, so lieft die neue Ansicht darauf hinaus: der böse Mensch glaubt weder an Gott noch Teufel. Nur noch ein Schritt war zu tun und aus dem bösen Menschen wurde der denkende, der starkgeistige Mensch.

Für die christliche Theologie ist bis zur Stunde der Teufelswahn ebensowenig erledigt wie für die katholische Theologie der Hexenwahn; eine heimliche Sorge läßt auch die aufgeklärtesten Theologen befürchten, der Leugnung des Gegengottes, des bösen Gottes, werde die Leugnung des lieben Gottes selbst auf dem Fuße folgen. Ich muß es mir vorbehalten, den Anteil einzelner Aufklärer am Streit um des Teufels Bocksbart in späteren Abschnitten darzustellen; hier möchte ich nur vorausschicken, daß die Teufelsleugnung gegen Ende des 18. Jahrhunderts genau auf den gleichen kritischen Punkt gelangte wie die Gottesleugnung: noch vor dem persönlichen Gott wurde der persönliche Teufel abgeschafft, auch der Teufel wurde ungefähr ins Psychologische übersetzt und ins Innere des Menschenherzens verlegt.

Der deutschen Gründlichkeit ging wieder einmal englischer Humor voraus, wenn die "Geschichte des Teufels", die bereits 1733 herauskam, wirklich noch humoristisch zu nennen ist. Der Verfasser ist kein anderer als DANIEL DEFOE, der Erfinder des  Robinson-Märchens. Er ist auch als Theologe kein Draufgänger, geht freilich in der Vergleichung zwischen Gott und Teufel offen und versteckt weiter als die öffentliche Meinung damals zu begreifen vermochte; vielleicht übte das vorsichtige Buch darum keine rechte Wirkung. Der Teufel sei mit der Geschichte fortgeschritten und entfalte in verschiedenen Zeiten eine verschiedene Tätigkeit; an unserem Glauben habe Gott ungefähr soviel Teil wie der Teufel. Die "Altertümer der Geschichte des Teufels" werden durchgenommen und die derben Teufelsversuchungen des Alten Testaments ohne Andacht vorgetragen. Seit dem Erscheinen  Jesu Christi  lasse sich der Teufel seltener sehen, doch es gehe ihm recht gut, weil er sich der Geistlichen bediene, um die einzelnen Kirchen gegeneinander zu hetzen. Ganz ungereimt sei es, sich den Teufel als eine Person und noch dazu an einem bestimmten Ort der Hölle, vorzustellen.
    "Obgleich der Endzweck ist, Schrecken einzujagen, so ist das doch so einfältig, daß ich versichert bin, der Teufel lache darüber und ein vernünftiger Mensch werde auch kaum das Lachen halten können."
Wohl gebe es einen Teufel, aber nur symbolisch in allen Tyranneien, Narreteien, Spitzbübereien, Betrügereien und Inquisitionen. "Sonst versuchte der Teufel die Menschen zur Sünde, heutzutage versuchen sie ihn." Dem Teufel werde die Schuld für jeden Mord und jeden Diebstahl aufgebürdet; je unwissender ein Mensch, desto mehr sei er geneigt, der Wirkung des Teufels zuzuschreiben, was irgendwie merkwürdig oder unbegreiflich ist, einerlei ob es sich wirklich zugetragen hat oder nicht.

Am Kampf gegen einen Glauben an den persönlichen Teufel beteiligte sich dann mit einer für einen deutschen und protestantischen Theologen unerhörten Freimut der berühmte SEMLER. Zuerst 1759 in einer "Abfertigung der neuen Geister und alten Irrtümer", die er den angeblichen Teufelserfahrungen eines Superintendenten [protestantischer Oberaufseher - wp] entgegenstellte. Es handelte sich um die Besessenheit einer begeisterten Weibsperson; SEMLER fand an der Sache gar nichts als die alte gemeine Täuscherei. Aber er benützte die Gelegenheit, seine Art der Bibelkritik auf die Teufelsfrage anzuwenden: so wenig wie der Ausdruck "im Himmel" wörtlich zu verstehen sei, ebensowenig die Redensart, der Teufel sei in einem Menschen; die Evangelisten und auch  Jesus  gebrauchten die Begriffe, die die Juden vom Teufel hatten. Sie redeten zum Volk, d. h. sie richteten sich nach den Begriffen des Volkes.

In den Niederungen der Theologie blieb der Teufelswahn und der Teufelsdienst bestehen, in den Niederungen der katholischen Theologie kam es sogar zu einer Renaissance der Teufelsliteratur. Während TELLER (1772) in seinem biblischen Wörterbuch bereits vom Satan wie von einer allegorischen Figur sprach, während LESSING die Herausgabe der Fragmente des Wolfenbüttler Unbekannten vorbereitete, erstand im Zeitalter FRIEDRICHs des Großen und JOSEPHs II. plötzlich ein begeisterter Teufelsgläubiger. Der Schweizer Pfarrer GASSNER heilte sich selbst und unzählige andere Hysteriker durch den Teufelsbann. GASSNER starb zwar (1779) im Besitz einer reichlichen Pfründe [Kirchenamt, das mit einem Einkommen verbunden ist - wp], denn einzelne deutsche Bischöfe und der Papst selbst hielten sein Auftreten für verdienstlich; aber der Teufel hatte an Kredit verloren, österreichische Bischöfe nahmen gegen GASSNER die Partei der Aufklärung; nicht nur wissenschaftlich gebildete Ärzte, auch der Eigenbrötler MESMER wollten die Wunderkuren natürlich erklärt wissen. Wieder mischte sich SEMLER in den Streit, um diesem Diabolismus mit seinem ganzen Ansehen entgegenzutreten, diesmal ohne seine sonst geübte Rücksicht. (SEMLERs Briefe und Aufsätze über die GASSNERschen Geisterbeschwörungen sind vom Jahr 1776).
    "Ein wunderlicher roher Eifer beschützt den verfluchten Teufel selbst wider die Christen ... Es ist kein Wunder, daß sehr viel von diesem Teufelsdreck auch unter den Protestanten übrig geblieben und zur Lehre sogar mitgerechnet worden. Freilich ist es mein Ernst, ich fordere, es soll im Artikel des theologischen  Compendii  von Engeln und bösen Geistern, also auch in der kasuistischen [fallbezogenen - wp] Theologie alles ausgestrichen werden, was von leiblichen Handlungen und Taten des Teufels bejaht, geglaubt und gelehrt worden ist. Es ist ein alter heidnischer Irrtum und verfälscht die wahre rechte christliche Religion. Ich will als ein christlicher Theologus solchen ganzen Teufelskram und alten schäbigen Plunder gerade ausstreichen aus dem Herzen und der sogenannten christgläubigen Seele, die übrigens von Gott und  Christo Jesu  nicht den zehnten Teil soviel und so ernsthaft und so oft denkt als vom theologischen Untier, Teufel, Satan, Beelzebub, und was es noch für heidnische Mützen und Namen geben mag."
Die Teufelsanbeter im katholischen und protestantischen Lager erklärten sich durchaus nicht für besiegt; und es muß zugegeben werden, daß sowohl die katholische Tradition wie auch das Bibelwort keinen Zweifel am Dasein des Teufels übrig ließ. In einer der Streitschriften wittert der fromme Gegner SEMLERs deutlich die Gefahr, die dem Gott droht, wenn der Gegengott abgesetzt wird, wenn die Freidenker "dem Teufel seine Persönlichkeit nehmen und ihn in ein bloßes moralisches Wesen, in ein Bild oder in eine Allegorie und ebenso die ganze Religion in ledige Moral verwandeln."

Auf diesem Standpunkt, daß nämlich der böse Teufel ebensogut ein Glaubensartikel ist wie der liebe Gott, steht heute noch die gesamte Orthodoxie, die protestantische wie die katholische; ja sogar den kirchlichen Vertretern der Mystik und des Pietismus paßt der Teufel in ihre Krämchen. Nur etwa der protestantische Liberalismus hat soviel unlogisches Schamgefühl, daß er den Gottesbegriff festhalten und den Teufelsbegriff preisgeben will. Diese auf irgendeinem Punkt der Entwicklung stehengeblieben Freidenker möchten am liebsten im Teufel eine Personifikation des Bösen erblicken, im Gott eine Personifikation des Guten; nur daß sie unter "Personifikation" beim Teufel ganz verwogen etwas wie eine Redefigur verstehen, der nichts Wirkliches entspricht, daß sie dagegen beim Gott doch wieder eine leibhaftige Persönlichkeit mitverstehen. Dahin hat aber erst die Entwicklung der letzten zweihundert Jahre geführt. Seit LOCKE etwa ging es bergab mit dem Teufelsglauben in England, in Frankreich und schließlich auch in Deutschland [heine]. Der englische sogenannte Deismus glaubte zwar nicht den Atheismus, sondern nur die religiöse Duldsamkeit einzuführen; er schaffte aber den christlichen Gott ab, den Gott der positiven Religionen, den persönlichen Gott und der persönliche Teufel stürzte da nebenher mit von seinem niedrigeren Thrönchen. Die französische Aufklärung der VOLTAIRE und DIDEROT folgte und nahme es leichter mit dem Gott wie mit dem Gegengott. Adiabolismus wie Atheismus wird nicht geradezu gelehrt, nur dem Leser suggeriert. Die Enzyklopädie geht über den "diable" mit wenigen Zeilen verächtlich hinweg: das klassische Altertum habe den christlichen Teufel nicht gekannt; der Schwarzafrikaner stellt sich den Teufel weiß vor; der schwarze Teufel sei nicht besser begründet als der weiße. Der kleine Artikel verweist noch auf die Artikel "Dämon" und "Prinzip"; aber auch dort würde man vergeblich ein Wort über Satanologie suchen.

In Deutschland darf ein gelehrter und nicht fanatischer Theologe, WALCH, es noch 1740 wagen (in seinem "Philosophischen Lexikon"), das Dasein der Teufel für gewiß zu erklären nach der Offenbarung, für wahrscheinlich nach der Vernunft; doch fast im gleichen Jahr (1741) darf EBERHARD DAVID HAUBER seine "Bibliotheca Magica" herausgeben, in der die Hypothese des THOMASIUS, die Teufel seien zwar vorhanden, aber unwirksam - etwa so wie die Götter des EPIKUR, durchaus anders als der deistische Gott, der äußerst wirksam, aber vielleicht gar nicht wirklich war - vorsichtig weiter führte. Die Bezeichnungen "Dämoniaker" und "Adämonisten" flogen als Schimpfwörter hin und her; noch war es keine Gefahr, für einen Atheisten gehalten zu werden, noch durfte man nicht etwa mit der Gegenschelte "Gottesanbeter" antworten, aber schon wurde der Vorwurf, ein Adämonist zu sein, lachend hingenommen. Der Theologe JOHANN SALOMO SEMLER (1725-1791), der zuerst in Deutschland eine moderne Kirchengeschichte schrieb, der zuerst frei zwischen Theologie und Religion unterschied, der einige Bibelkritik trieb, muß hier zum dritten Mal genannt werden; er hielt sich für verpflichtet, den "Wolfenbüttler Fragmenten" (die seit etwa 1745 entstanden waren) mit geheuchelter Rechtgläubigkeit entgegenzutreten, war aber frei genug, dem immer wieder auftauchenden Gerede vom Besessensein kühn zu widersprechen: das Besessensein von bösen Geistern sei nur eine Redensart der alten Juden gewesen, die neuen Fälle seien gemeine Täuschereien; der Teufel könne weder in die Seele noch in den Leib des Menschen eindringen; überhaupt spreche das Neue Testament vom Teufel, wie die Menschen damals redeten, in den Begriffen, nach dem Mund der gemeinen Leute. Die Lage der Dinge war jetzt die: die "Dämoniaker" glaubten den Teufel in der christlichen Lehre nicht entbehren zu können, die "Adämonisten" ließen den Teufel fallen, sie gaben ein Fort preis, um die Hauptfestung, die Gottesvorstellung, desto besser verteidigen zu können.

Wenn wir VAIHINGER Glauben schenken dürften, so hätte KANT noch vor Ende des 18. Jahrhunderts das letzte geleistet, was noch zu leisten war: hätte den Gott und den Teufel gleicherweise als Fiktionen hingestellt, als Postulate der praktischen Vernunft, die nur innerhalb dieser Vernunft existierten, als fiktive Postulate, denen wir uns trotzdem zu beugen hätten,  als ob  sie (Gott und der Teufel) der Wirklichkeitswelt als Schöpfer und Gesetzgeber angehörten, bzw. als Vernichter und Verneiner. Gegen Ende des Weges, den zu schreiten wir kaum begonnen haben, werden wir zu prüfen haben, ob KANT wirklich den Gott, den er unter Preisgabe seiner Vernunftkritik als eine Forderung der praktischen Vernunft einschmuggelte, nicht metaphysisch verstand, sondern nur als eine moralisch nützliche Idee, ob KANT wirklich nur dem banalen Satz, dem Volk müßte die Religion erhalten werden, den abstraktesten Ausdruck verlieh, ob also KANT wirklich zugleich für die Neuverchristlichung der Philosophie und zugleich für eine radikale Kritik des Gottesbegriffs die Verantwortung trägt. An dieser Stelle möchte ich nur feststellen, daß KANT allerdings den Teufel, den er freilich seltener bemüht - so wenn er zwischen den viehischen Lastern der Roheit (Völlerei, Wollust) und den teuflischen Lastern der Kultur (Neid, Schadenfreude) unterscheidet -, fast ebenso wie den lieben Gott als einen Grenzbegriff einführt als ein Ideal, über dessen Dasein in der Wirklichkeitswelt er nichts aussagt. In der "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft", besonders im zweiten Stück (man vergleiche dazu VAIHINGERs "Philosophie des Als Ob", 1911, Seite 656f), lobt er an der christlichen Moral, daß sie das Gute und das Böse nicht wie Himmel und Erde, sondern wie Himmel und Hölle unterschieden vorstellt, "eine Vorstellung, die zwar bildlich und als solche empörend, nichtsdestoweniger aber ihrem Sinn nach philosophisch richtig ist". Die Frage nach der Endlichkeit oder Ewigkeit der Höllenstrafen wird zunächst eine Kinderfrage genannt (Seite 81), dann aber deutlich davor gewarnt, solche Sätze als Dogmen aufzustellen, wenn sie auch, geglaubt, dem Bösen Abbruch tun können. Genauso wie später die Geburt eines vom Hang zum Bösen freien Heilandes aus einer Jungfrau, als möglicher Gedanke hingestellt wird, als eine mögliche Idee, als ein Symbol, das wohl wieder nicht Dogma werden sollte. Offenbar versteht KANT überall, wo er von objektiver Realität einer Idee redet, nicht, was alle Welt darunter verstehen würde: ein Dasein in der Wirklichkeitswelt; sondern ein  ens rationis,  ein Gedankenwesen. So ist der Gott zuerst bei KANT zu einem Hilfsbegriff geworden, zu einem Wort, doch zu einem äußerst wertvollen Wort der praktischen Philosophie.

Ich habe die Geschichte des Teufels über das Mittelalter hinaus genauer bis zu der Zeit dargestellt, in welcher - etwa nach der französischen Revolution - Satanologie und Theologie in gleicher Weise verächtliche Scheinwissenschaften hätten werden müssen, wenn die Regentenweisheit der Gewalthaber den Philosophen und anderen Gelehrten den Atheismus ebenso gestattet hätte wie den Adiabolismus. Nun ist die ungeheuerliche Erscheinung des Hexenwahns wirklich nur ein einzelner Zug des Teufelswahns, ein besonderer Ritus der Teufelsfurcht; der Kampf gegen die Hexenprozesse wäre also unmittelbar an den Kampf gegen die gesamte Teufelsreligion anzuknüpfen. Ich will aber vorher den Überblick über die Aufklärung des sogenannten Mittelalters weiter führen, weil die geistige Epidemie des Hexenwahns erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts beginnt, während der Teufelswahn - wie wir eben gesehen haben - von Anfang an und fast unlöslich mit dem christlichen Glauben verbunden war. Man könnte es so ausdrücken: der Teufelswahn gehörte zum Wesen des Christentums; der Hexenwahn, im Volk entstanden, wurde von der Kirche künstlich geschürt und unmenschlich benützt erst dann, als Aufklärung und Ketzerei die Kirchenmacht zu untergraben schienen und so gegen Sektenbildung, Duldung, Gewissensfreiheit oder Indifferentismus - welche Forderungen man durch die Bezeichnung Atheismus oder Ketzerei zu Verbrechen stempelte - jedes Mittel erlaubt schien. Die Sorge um die Macht der Kirche kann die Wahl des Mittels natürlich nur erklären, nicht entschuldigen; daß aber die Macht der Kirche schon im Mittelalter selbst bedroht war, daß eine eigentümliche Freidenkerei die mittelalterliche Theokratie ernsthaft gefährdete, das ist viel zu wenig bekannt.
LITERATUR - Fritz Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, Stuttgart/Berlin 1922
    Anmerkungen
    1) Etwas von dieser Vorzugsstellung des Teufels hat sich bis zur Stunde da und dort erhalten. Es läßt sich nicht bestreiten, daß der Glauben an einen bösen Teufel eigentlich noch tiefer, zumindest noch wirksamer im Volk lebt als der Glaube an einen guten Gott. KLEISTs Richter  Adam,  der lustige schlaue Schuft, drückt es so aus:
      "Man hat viel beißend abgefaßte Schriften,
      Die, daß ein Gott sei, nicht gestehen wollen
      Jedoch den Teufel hat, soviel ich weiß,
      Kein Atheist noch bündig wegbewiesen."
    Ein nicht ungebildeter italienischer Arciprete [Erzpriester - wp] sagte mir einmal: "Daß Ihre Frau von  Christus  und von der Madonna nichts wissen will, das ist zu begreifen. So sind die Deutschen! Aber sie glaubt nicht einmal an den Teufel! Wie ist das nur möglich!?" Wie die Vorstellung vom Teufel viel leibhafter ist als die von Gott, so haben auch Theologen und Dichter die christliche Hölle viel anschaulicher dargestellt, als den christlichen Himmel. DANTE malt die Hölle und das Fegefeuer realistischer als das Paradies, weshalb viele seiner Leser die Schönheiten der letzten Gesänge gar nicht kennen; der christliche Himmel gilt mit Recht für langweilig.
    2) Eine solche Marienreligion, die die Jungfrau über den lieben Gott stellt, besteht heute noch oft in katholischen Ländern. Die verwegenste Blasphemie finde ich in PAALZOWs "Ästhetischem Christentum" (Seite 274). Ein Spanier sagt zum Beweis dafür, daß  Maria  anbetungswürdiger sei als alle anderen Personen der Gottheit: "Die Mutter muß doch wohl mehr sein als der Sohn. Quando tenga la Vergin para me, yo caco en Dios." (Wenn ich die Jungfrau zur Freundin habe, so scheiße ich was auf Gott.)