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Tetens
In seinen psychologischen Untersuchungen geht er vor allem darauf aus, die verschiedenen Arten psychischer Tätigkeiten genau zu unterscheiden, den eigentümlichen Charakter einer jeden und ihr gegenseitiges Verhältnis zu bestimmen. Wenn LEIBNIZ die Vorstellungskraft für die Grundkraft der Seele erklärt hatte, so hat er, wie TETENS bemerkt, den Unterschied des Vorstellens von anderen geistigen Vorgängen zu wenig beachtet. Seiner Ansicht nach besteht die ursprüngliche Tätigkeit der Seele so wenig im bloßen Vorstellen, daß vielmehr alle Vorstellungen gewisse ihnen vorangegangene Modifikationen der Seele voraussetzen, und ihrerseits nichts anderes sind, als die von jenen zurückgelassenen Spuren, Darstellungen der ihnen vorangegangenen Seelenzustände oder Ursachen, die sie hervorrufen. Näher unterscheidet TETENS, (I, 620f und öfter) in der Seele ein dreifaches Vermögen. Zuerst besitzt sie ein Vermögen, sich modifizieren zu lassen und diese Veränderungen zu fühlen. Beides zusammen macht das Gefühl aus. Dieser Rezeptivität steht die Aktivität, die innere tätige Kraft der Seele gegenüber. Sofern sich diese auf die empfundenen Modifikationen bezieht und uns ein Bild von ihnen liefert, nennen wir sie die Vorstellungskraft, sofern sie die Vorstellungen wieder bearbeitet, Denkkraft; beides fassen wir unter dem Namen des Verstandes zusammen. Neben dieser Beschäftigung mit ihren früheren Modifikationen bewirkt aber die Seele durch ihre tätige Kraft auch neue Veränderungen in ihrem inneren Zustand oder in ihrem Körper oder in beiden zugleich. Das Vermögen dazu kann die Tätigkeitskraft im engeren Sinn oder der Wille genannt werden. Durch diese Erörterungen von TETENS, welche SULZERs Unterscheidung des Erkennens und Empfindens mit der hergebrachten aristotelischen des Erkennens und Begehrens verknüpfen, ist die Lehre von den drei Seelenvermögen in die Psychologie eingeführt worden. Der nächste Gegenstand des Gefühls sind immer die jedesmal gegenwärtigen passiven Modifikationen der Seele, die tatsächlich mit ihr vorgehenden Veränderungen; und TETENS behauptet deshalb, das Gefühl beziehe sich unmittelbar immer auf das Absolute, nicht auf das Relative, d. h. auf einen bestimmten realen Vorgang als solchen, nicht bloß auf das Verhältnis mehrerer Dinge oder Vorgänge. Die Selbsttätigkeit, durch welche wir Vorstellungen erhalten, äußert sich zunächst in einem Vermögen, zu perzipieren, Empfindungsvorstellungen zu bilden; zu einem höheren Grad gesteigert, in der Einbildungskraft oder Phantasie, dem Vermögen, diese Vorstellungen zu reproduzieren; auf der höchsten Stufe in der Dichtkraft, der Schöpfung neuer Vorstellungen aus dem Stoff, den wir in den Empfindungen aufgenommen haben. Im Erkennen der Verhältnisse und Beziehungen zwischen den Dingen, deren Bild uns die Vorstellung liefert, besteht das Denken. Ihm haben wir es zu verdanken, daß die äußeren Eindrücke gesondert, die Dinge wahrgenommen werden, daß unser Selbstgefühl zur Klarheit des Selbstbewußtseins gelangt, daß die sinnlichen Bilder sich in Ideen, die sinnlich allgemeinen Vorstellungen in Begriffe umsetzen; durch das Denken werden aus den Wahrnehmungen die allgemeinen Verhältnisbegriffe, wie unter anderem auch die des Raumes und der Zeit, abstrahiert; auf der Anwendung der uns angeborenen Denkgesetze und Axiome beruhen alle Folgerungen. Bei der Besprechung des Willens widmet TETENS der Frage über die Willensfreiheit eine ausführlich eingehende Untersuchung, und er bemüht sich hier, zwischen Determinismus und Indeterminismus zu vermitteln; schließlich kommt er aber, nach der sorgfältigsten Untersuchung all der Elemente, aus denen sich die Willenstätigkeit zusammensetzt, im wesentlichen doch wieder auf den Determinismus von LEIBNIZ zurück. Das Wesen der Seele betreffend, schließt sich TETENS an LEIBNIZ und WOLFF an, indem er dasjenige, was in uns fühlt, denkt und will, für ein einfaches unkörperliches Wesen erklärt; und derselben Philosophie folgt er in der Annahme, daß auch die Körper aus einfachen Wesen, oder Monaden, als ihren letzten Bestandteilen zusammengesetzt sind. Dagegen kann er sich mit dem System der prästabilierten Harmonie, welches den Einfluß des Leibes auf die Seele ganz aufhebt, nicht befreunden. Wenn jedoch BONNET und andere Sensualisten diesen Einfluß so weit getrieben hatten, daß die Erinnerung und die Ideenassoziation lediglich eine Folge von den im Gehirn zurückgebliebenen materiellen Spuren der Vorstellungen sein sollten, so nimmt TETENS in seiner eingehenden Prüfung dieser Theorie die Selbsttätigkeit des Geistes gegen sie in Schutz. Sehr ausführlich bespricht er die Frage über die Perfektibilität der menschlichen Natur. Daß der Mensch zu einer fortwährenden Vervollkommnung bestimmt ist, steht ihm außer Zweifel; dagegen findet er es nicht ganz richtig, wenn LEIBNIZ und WOLFF die Glückseligkeit jedes Einzelnen seiner Vollkommenheit einfach gleichgestellt, und deshalb bald diese bald jne als das letzte Ziel unserer Tätigkeit bezeichnet hatten. Er gibt wohl zu, daß die innere Vollkommenheit die wichtigste Bedingung der Glückseligkeit ist, und daß diese im Großen und Ganzen mit jener fast durchaus gleichen Schritt hält; aber er verkennt nicht, daß die menschliche Glückseligkeit teilweise auch von äußeren Ursachen abhängt, daß manches, was die Gesamtsumme unserer angenehmen Empfindungen erhöht, unserer geistigen und sittlichen Vervollkommnung hinderlich ist, während umgekehrt Unglück und Schmerz zwar zur Entwicklung unserer Kräfte ungemein viel beitragen, aber unsere Glückseligkeit auf das Empfindlichste stören. Aus dieser Antinomie weiß er sich, wie KANT (der ihn auch besonders geschätzt hat), nur durch die Aussicht auf ein künftiges Leben zu retten. ![]()
1) JOHANN NIKOLAS TETENS, Philosophische Versuche über die menschliche Natur, 2 Bde., 1777 |