ra-3tb-2Th. NagelF. EnriquesG. HeymansW. WundtW. K. Clifford    
 
WILLIAM KINGDON CLIFFORD
Über die Ziele und Werkzeuge
des wissenschaftlichen Denkens
(1)

"Von zahlreichen Philosophen aus den blühenden Zeiten Europas wurde die Ansicht vertreten, daß am Grund der Naturordnung ein Etwas liegt, wovon wir wissen können, daß es  unreasonable ist, daß es den Prozessen des menschlichen Denkens entschlüpft. Diese Ansicht ist, soweit ich weiß, zuerst von  Kant in der Form seiner berühmten Doktrin von den Antinomien oder Widersprüchen auseinandergesetzt worden."

"Die Frage nach dem Wesen des wissenschaftlichen Denkens, wovon ich Ihnen in so ungenügender Weise einen leisen Begriff zu geben versuchte, ist die für die Menschheit allerwichtigste Frage."

Es mag denen, welche die Lust hatten, den Titel dieser Vorlesung zu lesen, vorgekommen sein, daß es sich hier notwendigerweise um einen sehr trockenen und schwierigen Gegenstand handeln müßte, der für sehr Wenige interessant, für noch Wenigere verständlich ist und, vor Allem, nicht in den Grenzen einer Abhandlung, wie dieser, auch nur einigermaßen genügend behandelt werden kann. Es ist durchaus wahr, daß eine vollständige Auseinandersetzung meines Gegenstandes eine umfassende Darstellung der Logik verlangen würde, mit gelegentlicher Abschweifung auf die wichtigsten Fragen der Metaphysik; daß sie mit Gedanken sich befassen würde, zu deren Verständnis ein genaues Studium nötig ist und mit Untersuchungen, zu denen ein besonderer Geschmack gehört. Es ist aber keineswegs meine Absicht, Ihnen hier eine solche Abhandlung zu liefern.

Die British Association, wie die Welt im Allgemeinen, enthält drei Klassen von Leuten: - Zunächst enthält sie wissenschaftliche Denker, d. h. Leute, deren Gedanken häufig die Eigenschaften darbieten, von denen ich im Folgenden sprechen werden; zweitens enthält sie Leute, welche sich mit sogenannten Gegenständen der Wissenschaft beschäftigen, welche jedoch im Allgemeinen über diese Gegenstände nicht in einer wissenschaftlichen Weise denken, was man auch gar nicht von ihnen verlangen kann; schließlich enthält sie Leute, welche sehr gut wissen, daß ihre Arbeit und ihre Gedanken unwissenschaftlich sind, welche aber über die Tätigkeit der beiden anderen vorerwähnten Klassen etwas wissen möchten. Nun wird Jeder, der zu einer von diesen Klassen gehört und die beiden anderen betrachtet, einzusehen scheinen, daß eine Kluft zwischen ihm und ihnen besteht, daß er sie nicht recht versteht und umgekehrt, und daß eine Gelegenheit zur gegenseitigen Annäherung und Sympathie durch diesen Mangel an Verständnis ausgeschlossen ist. Diese Kluft möchte ich nun, soweit es in meiner Macht steht, überbrücken. Daß der wissenschaftliche Denker seine Tätigkeit mit Rücksicht auf das allgemeine Leben der Menschheit betrachtet; daß die große Armee der praktischen Arbeiter ihre Beziehungen mit der Außenwelt erkennt und den Geist, welcher beide leiten muß; daß diese sogenannte Außenwelt im Werk der Wissenschaft nur die Offenbarung dessen sieht, was das Beste in ihrem eigenen Werk ist, daß sie fühlen mag, wie das Königreich der Wissenschaft auch in ihr lebt, - All das soll Gegenstand meiner gegenwärtigen Untersuchung sein. Und deshalb muß ich solche Teile meines umfangreichen Gegenstandes wählen, welche Allen verständlich sind, während sie doch ein allgemeines und persönliches, intensives Interesse erregen.

Zunächst nun, was versteht man unter wissenschaftlichem Denken? Sie haben etwas davon on den verschiedenen Sektionen heute morgen gehört. Sie haben wahrscheinlich an derselben Stelle auch ein Gutteil unwissenschaftlichen Denkens gehört, obgleich es sich vielleicht um mechanische Energie, oder Kohlenwasserstoffe, oder eocene [vor 56 bis 34 mio Jahren - wp] Ablagerungen oder um Malacopterygii [Knochenfisch - wp] Wissenschaftliches Denken heißt nämlich nicht, Gedanken über wissenschaftliche Gegenstände mit langatmigen Namen zu entwickeln. Es gibt überhaupt keine wissenschaftlichen Gegenstände. Vielmehr ist der Gegenstand der Wissenschaft das All der Menschheit, d. h. Alles, was jetzt oder je zuvor oder in Zukunft sich auf die Menschen beziehen kann. Lassen sie uns daher verschiedene Gegenstände nacheinander betrachten und versuchen, ausfindig zu machen, in welchen Fällen die Gedanken darüber wissenschaftlich sind und in welchen nicht.

Die Astronomen des Altertums beobachtetn, daß die gegenseitigen Bewegungen von Sonne und Mond in derselben Reihenfolge ungefähr alle 19 Jahre wiederkehrten; sie waren so imstande, die Zeit vorauszusagen, in der eine Finsternis stattfinden würde. Ein Rechner auf einem unserer Observatorien kann bedeutend mehr, als dies, leisten. Ebenso wie jene benutzt er Erfahrungen der Vergangenheit, um die Zukunft vorauszusagen. Er kennt aber eine viel größere Zahl von Perioden außer dem 19-jährigen Zyklus, und zieht sie alle in die Rechnung; und er kann in dieser Weise über eine Sonnenfinsternis welche sechs Jahre später stattfinden wird, genau aussagen, wann sie sichtbar sein wird, wieviel von der Oberfläche der Sonne an jedem Ort bedeckt sein wird, und - auf die Sekunde genau - zu welcher Tageszeit sie anfangen und enden wird. Diese Voraussage verlangt eine technische Schulung vollkommenster Art, aber sie verlangt kein wissenschaftliches Denken, wie es jeder Astronom Ihnen bestätigen wird. Durch solche Berechnungen wurde die Stellung des Planeten  Uranus  für verschiedene Zeiten des Jahres vorausgesagt. Diese Voraussagen erfüllten sich aber nicht; dann kam ADAMS und berechnete aus den Irrtümern der Voraussagen die Stellung eines vollkommen neuen Planeten, von dem man bis dahin keine Ahnung hatte, und Sie alle wissen, daß in der Tat der Planet sich an der berechneten Stelle fand. Diese Voraussage setzt nun allerdings wissenschaftliches Denken voraus, wie Jeder, der sich mit diesem Gegenstand beschäftigt hat, es Ihnen sagen wird.

Sie haben hier zwei Fälle des Denkens über ein und denselben Gegenstand; in beiden werden Ergebnisse unter Anwendung vergangener Erfahrung vorausgesagt; und doch nennen wir das eine Denken handwerksmäßig oder  technisch,  und das andere  wissenschaftlich. 

Lassen Sie uns nun ein Beispiel aus dem Brückenbau und der Architektur wählen. Wenn eine Öffnung mit einer Konstruktion bedeckt werden soll, welche ein gewisses Gewicht tragen muß, ohne sich zu verbiegen, so hat man zwei Konstruktionsarten zur Wahl: den Bogen oder die Kette. Jeder Teil eines Bogens wird an den anderen Teilen gedrückt; jeder Teil der Kette befindet sich in einem Zustand der Spannung oder wird von anderen Teilen gezogen. In vielen Fällen sind beide Arten vereinigt. Ein zusammengesetzter Träger besteht aus zwei Stücken, von denen das obere wie ein Bogen wirkt und gedrückt wird, während das untere wie eine Kette wirkt und gezogen wird. Und dies ist in der Tat der Fall, selbst wenn beide Stücke ganz gerade bleiben. Dies wird dadurch möglich, daß die beiden Stücke durch Querstücke verbunden sind, wie sie es selbst oft gesehen haben müssen. Nun nehmen wir an, daß irgendein guter Ingenieur eine Brücke oder ein Dach baut nach irgendeinem bewährten Plan, welcher vorher bereits benutzt wurde. Er bezeichnet die Größe und Gestalt, damit die Konstruktion zu der Öffnung paßt, für welche sie bestimmt ist; wählt das Material entsprechend der Lokalität, bezeichnet die Stärke, welche die verschiedenen Teile entsprechend der für sie bestimmten Last haben müssen. Bei der Herstellung eines solchen Planes handelt es sich um einen guten Teil Nachdenken, und der Erfolg des Planes wird durch die Anwendung vorhergegangener Erfahrungen vorausgesagt. Dies verlangt wohl eine technische Geschicklichkeit des höchsten Grades, keineswegs aber wissenschaftliches Denken. Andererseits entwirft Mr. FLEEMING JENKIN (2) ein Dach, welches aus zwei miteinander verbundenen Bögen besteht, anstelle eines mit einer Kette kombinierten Bogens, und, obgleich diese Konstruktion von jeder vorher bekannten sich unterscheidet, bezeichnet er doch vor der Ausführung des Baus genau die Menge Material, welche jeder Teil der Konstruktion erfordert, um die ihm zugewiesene Last tragen zu können, und diese Voraussage ist vollkommen zuverlässig. Was kann man nun dazu bemerken? Selbstverständlich, daß Mr. FLEEMING JENKIN ein wissenschaftlich denkender Ingenieur ist.

Nun scheint es mir, daß der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und rein handwerksmäßigem Denken nicht allein in diesem, sondern auch allen anderen Fällen genau dieser ist: - Beide Arten Denken benutzen die Erfahrung, um das menschliche Handeln damit zu lenken; während aber das handwerksmäßige Denken oder die Geschicklichkeit einen Mann befähigt, dieselben Umstände zu beherrschen, welche er früher schon bereits kennen gelernt hat, befähigt das wissenschaftliche Denken ihn, mit Umständen fertig zu werden, welche er niemals vorher angetroffen hat. Wie kann nun aber die Erfahrung in  einer  Sache und befähigen, eine ganz  andere  zu behandeln? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Natur des wissenschaftlichen Denkens eben genauer betrachten.

Lassen Sie uns ein anderes Beispiel nehmen. Sie wissen, daß wenn Sie einen Punkt auf Papier zeichnen und ein Stück Doppelspath [isländischer Kristall, welcher die Dinge doppelt darstellt - wp] darüber halten, Sie nicht einen, sondern zwei Punkte sehen. Ein Mineraloge mißt die Winkel eines Kristalls und sagt Ihnen, ob derselbe diese Eigenschaft besitzt oder nicht, ohne hindurch zu schauen. Er benutzt kein wissenschaftliches Denken in diesem Fall. Sir WILLIAM ROWAN HAMILTON, der verstorbene königliche Astronom von Irland, kannte diese Tatsachen und auch die Erklärung derselben, welche wir FRESNEL zu verdanken haben. Er stellte über den Gegenstand Betrachtungen an und er sagte voraus, daß beim Hindurchsehen durch gewisse Kristalle in einer besonderen Richtung man nicht zwei Punkte, sondern vielmehr einen ganzen kontinuierlichen Kreis sehen würde. Mr. LLOYD unternahm das Experiment und sah den Kreis - ein Resultat, welches man niemals erwartet hatte. Dies hat man stets als eines der auffälligsten Beispiele für wissenschaftliches Denken in der Physik betrachtet. Es ist dies ganz augenscheinlich eine Anwendung der Erfahrung, die unter bestimmten Umständen gewonnen ist, auf davon ganz verschiedene Umstände.

Nun nehmen Sie an, daß in der Nacht, ehe Sie nach Brighton kamen, Sie von einem Eisenbahn-Unglück geträumt hätten: Die Lokomotive wurde scheu von einer Herde Schafe und sprang plötzlich über sämtliche Wagen; dabei wurde Ihnen der Kopf abgetrennt, so daß Sie ihn in ihre Hutschachtel tun und ihn mit nach Hause nehmen mußten, um ihn ausbessern zu lassen. Es gibt, wie ich fürchte, noch heutzutage viele Leute, welche Ihnen nach einem solchen Traum abraten würden, die Eisenbahn nach Brighton zu benutzen. Das wäre ein Vorschlag, die Erfahrung, welche Sie im Schlaf gewonnen hatten, wo Ihr gesunder Menschenverstand nicht auf seinem Posten war, eine Erfahrung in Bezug auf eine eingebildete Eisenbahn, zu nehmen und Sie nach dem Erwachen, während Sie Ihren Menschenverstand wieder besitzen, auf eine wirkliche Eisenbahn anzuwenden. Und doch ginge diese Vorschlag nicht vom wissenschaftlichen Denken aus.

Lassen Sie uns nun auf das große Beispiel der Biologie übergehen. Ich übergehe die Tätigkeit der Klassifikation, welch ansich schon sehr viel wissenschaftliches Denken verlangt, besonders wenn ein Naturforscher, der nicht nur eine Familie, sondern vielmehr eine ganze Fauna oder Flora studiert und beschrieben hat, imstande ist, sofort die charakteristischen Merkmale zur Unterscheidung einer ihm ganz neuen Klasse zu erkennen. Setzen wir voraus, wir besäßen all diese feine und umfassende Kenntnis der Pflanzen-, der Tiere- und der Übergangs-Organismen, ihrer Verwandtschaften und Unterschiede, ihren Aufbaus und ihrer Funktionen, - einen unendlichen Schatz von Erfahrungen, gesammelt durch unendliche Arbeit und Aufopferung. Nun kommt HERBERT SPENCER und benutzt die Erfahrung über nicht menschliches Leben, das sich scheinbar in einem stationären Zustand befindet und sich von Jahr zu Jahr ähnelt, und er wendet dieselbe an, um uns mitzuteilen, wie wir den wechselnden Charakter der menschlichen Natur und der menschlichen Gesellschaft aufzufassen haben. Wie ist es aber möglich, daß eine Erfahrung dieser Art, so umfangreich sie auch sein mag, uns in einer so verschiedenen Sache leiten kann. Wie ist es möglich, daß wissenschaftliches Denken, angewandt auf die Entwicklungsgeschichte eines Känguruh-Fötus oder die Bewegung des Saftes in der Rinde uns ermöglicht, zum erstenmal über die wichtigste aller Wissenschaften, über die der Beziehungen der Menschen untereinander etwas auszusagen? Im dunklen unwissenschaftlichen Mittelalter hatten die Menschen eine andere Art, Erfahrungen auf neue Verhältnisse anzuwenden. Sie glaubten zum Beispiel, daß die, Judenohr genannte, Pflanze, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit dem menschlichen Ohr hat, ein nützliches Heilmittel für Ohrenkrankheiten sein soll. Diese Lehre von den "Signaturen", wie man sie nannte, hatte einen außerordentlichen Einfluß auf die Medizin jener Zeiten ausgeübt. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß dieses Verfahren hoffnungslos unwissenschaftlich war; doch hat es mit den Beispielen, welche wir soeben betrachtet haben,  das  gemeinsam, daß es die Kenntnis der Form der Pflanze, welche  eine  ihrer Eigenschaften bildet, auf ihre Heilkräfte anwendet, welche eine ganz andere Eigenschaft derselben darstellen. Lassen Sie uns nun wiederum voraussetzen, daß Sie durch ein Gewitter auf dem Land in einen Schrecken versetzt würden, oder aber, daß Sie bei einem Sturm auf dem Meer den Mut verloren hätten; würde Ihnen dann jemand sagen, Sie sollten infolgedessen  solange  ein unangenehmes Gefühl in Ihrer Magengrube erhalten, bis es Ihnen angenehm vorkäme, Sie sollten Ihr gesundes und vernünftiges Leben durch die Empfindungen, welche Sie in einem Moment des Schreckens und der Unbesonnenheit gehabt hätten, verbessern - ein solcher Rat würde wohl nicht das Muster eines wissenschaftlichen Denkens sein; und doch wäre es die Anwendung vergangener Erfahrung auf neue und verschiedene Umstände.

Sie werden aber bereits schon bemerkt haben, welches die zweite Bedingung ist, die wir zu unserer Definition hinzufügen müssen, um wissenschaftliches Denken, und nichts anderes, zu umschreiben. Der Schritt von der Erfahrung über die Tiere zur Betrachtung der menschlichen Gesellschaft beruth auf dem Gesetz der Evolution. Der Übergang von Fehlern in der Berechnung der Stellung des  Uranus  zu einer Annahme der Existenz des  Neptun  beruth auf dem Gravitationsgesetz. Der Übergang von einem beobachtetem Verhalten von Kristallen zur konischen Lichtbrechung geschieht aufgrund der Gesetze der Optik und der Geometrie. Der Übergang von alten Brückenkonstruktionen zu neuen setzt die Gesetze der Elastizität und der Festigkeit der Materialien voraus.

Der Übergang von vergangener Erfahrung auf neue Verhältnisse muß also in Übereinstimmung mit einer beobachteten Gleichförmigkeit in der Reihenfolge der Ereignisse gemacht werden. Diese Gleichförmigkeit hat sich in gewissen Fällen in der Vergangenheit bewährt. Sollte sie sich auch in der Zukunft und bei anderen Gelegenheiten, und in anderen Fällen bewähren, so kann man sie mit unserer Erfahrung aus der Vergangenheit verbinden und ist so imstande, die Zukunft vorauszusagen und zu wissen, was anderswo geschieht. Dies befähigt uns, unser Verhalten nach dieser Kenntnis zu lenken.

Der Zweck des wissenschaftlichen Denkens ist nunmehr die Anwendung vergangener Erfahrung auf neue Fälle, das Werkzeug aber ist eine beobachtete Gleichförmigkeit im Verlauf der Ereignisse. Mit der Benutzung dieses Werkzeugs gibt uns das wissenschaftliche Denken Kenntnisse, welche über unsere Erfahrung hinausgehen; es befähigt uns, Dinge, die wir nie gesehen haben, aufgrund solcher, welche wir gesehen haben, vorauszusagen. Und die Evidenz der Wahrheit jener Kenntnis hängt davon ab, ob unsere Voraussetzung der Gleichförmigkeit über unsere Erfahrung hinaus sich bewährt. Ich muß nun diese Gleichförmigkeit ein wenig genauer untersuchen, um zu zeigen, wie der Charakter des wissenschaftlichen Denkens und seine Beweiskraft vom Charakter der Gleichförmigkeit der Natur abhängt. Natürlich kann ich nicht alles, was von diesem Charakter bekannt ist, Ihnen auseinandersetzen, ohne eine Enzyklopädie zu schreiben. Daher werde ich mich auf zwei Punkte beschränken, über welche, meiner Meinung nach, gerade jetzt etwas gesagt werden muß. Ich möchte ausfindig machen, was es heißt, wenn wir sagen, daß die Gleichförmigkeit der Natur  genau  ist, und was es heißt, wenn wir sagen, daß sie  vernünftig (reasonable)  ist.

Wenn ein Studierender zuerst das Gebiet jener Wissenschaften betritt, welche mathematisch behandelt werden, bietet sich ihm ein neuer wunderbarer Anblick der Natur dar. Er war bis dahin gewohnt, alle Dinge mehr oder weniger ungenau zu betrachten. Alle Tatsachen, die er bis dahin kannte, wurden ihm nur qualitativ dargestellt, mit mehr oder weniger Feher nach der einen oder der anderen Seite hin behaftet. Gegenstände, welche man losläßt, fallen zu Boden. Ein guter Beobachter weiß, daß sie umso schneller fallen, je länger sie unterwegs sind. Unser Student lernt nun aber, daß nach einer Fallzeit von einer Sekunde im leeren Raum ein Körper mit einer Geschwindigkeit von 32 Fuß fällt, daß nach einer Fallzeit von zwei Sekunden die Geschwindigkeit die doppelte, nach einer Fallzeit von 2½ Sekunden die  2½ fache  ist. Wenn er das Experiment anstellt und er findet 1 Zoll pro Sekunde zuviel oder zuwenig, so muß Eins von den Beiden eingetreten sein: entweder ist das Fallgesetz unrichtigt aufgestellt worden oder das Experiment ist nicht genau; es steckt irgendwo ein Fehler. Er findet Veranlassung zu der Annahme, daß das Letztere der Fall ist; je sorgfältiger er zu Werke geht, umso deutlicher stellen sich die Fehler als Resultate des Experiments heraus. - Ferner weiß er bereits, daß Wasser aus zwei Gasen, Wasserstoff und Sauerstoff, besteht; nun aber lernt er, daß zwei Liter Wasserdampf bei einer Temperatur von 150° Celsius stets zwei Liter Wasserstoff und ein Liter Sauerstoff bei derselben Temperatur ergeben, vorausgesetzt, daß alle drei Volumina bei ein und demselben, dem (normalen) Atmosphärendruck etwa, gemessen werden. Sobald er nun das Experiment ausführt und etwas mehr oder weniger als ein Liter Sauerstoff bekommt, ist dann deshalb das Gesetz ungültig? Keineswegs; der Dampf war unrein, oder er hatte irgendeinen Fehler begangen. Myriaden von Analysen bestätigen das Gesetz der Verbindungen in Bezug auf das Volumen; je genauer sie ausgeführt wurden, desto mehr näherten sie sich dem Gesetz. Die Anordnung der Flächen eines Kristalls gehorcht einem geometrischen Gesetz, welches uns in den Stand setzt, sobald nur vier Flächen angegeben sind, die übrigen Flächen des Kristalls zu finden. Die Stellung eines Planeten zu einer bestimmten Zeit wird aufgrund des Gravitationsgesetzes berechnet, und ergibt sich einmal ein Fehler vom Betrag einer Sekunde, so hat man denselben dem Instrument, dem Beobachter, der Uhr oder dem Gesetz anzurechnen. Je mehr aber Beobachtungen gemacht werden, umso deutlicher kommt der Fehler dem Instrument, dem Beobachter oder der Uhr zu. Es ist daher kein Wunder, daß unser Student hinsichtlich dieser und vieler anderer Beispiele zur folgenden Schlußbehauptung gelangt: - Ich war bis jetzt kurzsichtig, nun aber schaue ich durch die Brille der Wissenschaft, welche die Natur für mein Auge bestimmt hat. Ich sehe, daß die Dinge bestimmte (scharfe) Grenzen haben; die Welt wird von exakten und strengen mathematischen Gesetzen beherrscht. Es wird nun unsere Aufgabe sein, zu untersuchen, ob sein Schluß richtig ist, d. h. ob die Gesetzmäßigkeit (Uniformity) der Natur absolut genau oder aber nur genauer als unsere Experimente ist.

Hier müssen wir eine sehr wichtige Unterscheidung machen. Es kann namentlich ein Gesetz auf zweierlei Weise ungenau sein. Für die eine Art der Ungenauigkeit finden wir ein Beispiel im Gesetz des GALILEI, welches ich eben erwähnte, nämlich -: daß ein Körper, der im luftleeren Raum fällt, in gleichen Zeiten gleiche Geschwindigkeitsinkremente bekommt; ganz unabhängig davon wie schnell er sich in einem Augenblick bereits bewegt, wird er nach Verlauf einer Sekunde um 32 Fuß pro Sekunde schneller fallen. Wir wissen nun heutzutage, daß dieser Geschwindigkeitszuwachs in verschiedenen Höhen nicht genau derselbe bleibt, sondern daß derselbe von der Entfernung des Körpers vom Mittelpunkt der Erde abhängt, sodaß das obige Gesetz nur eine annähernde Gültigkeit besitzt: der Zuwachs der Geschwindigkeit ist, in gleichen Zeiten, nicht genau der gleiche, er nimmt vielmehr ganz wenig zu, je länger der Körper fällt. Wir wissen aber auch, daß diese Abweichung des Gesetzes von der Wirklichkeit zu klein ist, um bei direkter Beobachtung wahrgenommen zu werden. Nehmen wir jedoch an, wir hätten ein Mittel, diese Abweichung wahrnehmbar zu machen, und hätten gefunden, daß der Zuwachs der Geschwindigkeit sich umgekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung (des Körpers) vom Mittelpunkt der Erde ändert. Noch immer würde das Gesetz ungenau sein: Denn die Erde zieht nicht genauch nach ihrem Zentrum an und die Richtung der Anziehung verändert sich überdies fortwährend mit dem Verlauf von Ebbe und Flut. Der Körper wird nicht einmal in einer geraden Linie fallen. Auch werden die Sonne und die Planeten, besonders aber der Mond Abweichungen hervorbringen: die Summe all dieser Fehler wird jedoch auch unserer neuen Beobachtungsmethode entgehen, da sie bedeutend kleiner ist, als der unumgängliche Beobachtungsfehler. Wenn aber selbst diese Summe von Abweichungen in Rechnung gezogen ist, existiert ja noch immer der Einfluß der Fixsterne. In diesem Fall jedoch opfern wir nur  ein  exaktes Gesetz für das andere auf. Es könnte ja noch immer behauptet werden, daß, wenn wir den Einfluß eines jeden materiellen Partikels im Universum auf den fallenden Körper gemäß dem Gesetz der Schwere berechnen würden, der Körper genau so, wie es die Rechnung verlangt, sich bewegen wird. Und wollte man noch einwenden, daß ja der Körper ein wenig magnetisch oder diamagnetisch sein kann, während andere magnetische Körper nicht unendlich weit weg sind, daß eine geringe Abstoßung - selbst bis zu merklichen Entfernungen - die Anziehung begleitet, so könnte man darauf antworten, daß auch diese (magnetischen) Erscheinungen exakten Gesetzen unterliegeen, und, - daß, wenn alle diese Gesetze beachtet werden, die wirkliche Bewegung (des Körpers) mit der berechneten genau übereinstimmen muß.

Ich glaube, es gibt kaum einen Studenten der Physik, der nicht sofort (außer wenn sich derselbe besonders mit diesem Problem beschäftigt hatte) all dem, was ich soeben behauptet habe, beistimmen würde, nämlich: daß die Natur, falls wir sie vollkommen kennenlernen, durchaus genauen, in Zahlen ausdrückbaren, Gesetzen folgt. Lassen Sie uns doch noch einen Augenblick darüber nachdenken, was man damit gesagt haben will. Das Wort  genau (exakt) hat einen praktischen und theoretischen Sinn. Wenn ein Kaufmann Ihnen genau eine bestimmte Quantität Zucker abwiegt und sagt, es sei genau ein Pfund, so meint er damit, daß der Unterschied zwischen dem Gewicht des Zuckers und dem des von ihm gebrauchten Pfundstückes, zu klein ist, um auf seiner Waage bemerkt zu werden. Wenn ein Chemiker eine besondere Untersuchung unternimmt, in der Absicht, so genau wie möglich zu arbeiten, und er Ihnen mitteilt, dies sei genau ein Pfund Zucker, so will er damit sagen, daß die Masse des Zuckers von der eines bestimmten Platingewichtes sich so wenig unterscheidet, daß der Unterschied mit Hilfe  seiner  chemischen Waage, welche tausendmal genauer als die des Kaufmanns ist, sich nicht entdecken läßt. Was würde aber ein Mathematiker darunter verstehen, wenn er dieselbe Behauptung aufstellen würde? Folgendes: Angenommen, die Masse des genauen Pfundes sei dargestellt durch eine Länge, - sagen wir - einen Fuß, abgetragen auf einer bestimmten Linie, so daß ½ Pfund durch 6 Zoll, usw. dargestellt sein würde; dann möge die Differenz zwischen der Masse des Zuckers und der des genauen Pfundes in demselben Maßstab auf derselben Linie abgetragen werden; würde man nun diese Differenz unendlich vielmal vergrößern, noch immer würde dieselbe unsichtbar bleiben. Dies ist der theoretische Sinn des Wortes: Genauigkeit. Der praktische Sinn desselben beruth nur auf einer Annäherung; wie weit dieselbe geht, hängt von den jedesmaligen Umständen ab. - Die Kenntnis also eines im theoretischen Sinn des Wortes genauen Gesetzes würde dasselbe sein, wie eine unendlich fortgesetzte Reihe von Beobachtungen. Ich will zwar nicht behaupten, daß eine derartige Kenntnis dem Menschen verschlossen ist, soviel behaupte ich aber, daß eine solche von all dem, was wir gegenwärtig wissen, sich vollständig unterscheiden würde.

Man wird mir, ohne Zweifel, sagen, daß wir doch viele Kenntnisse dieser Art auf dem Gebiet der Geometrie und Mechanik besitzen; und es ist gerade das Beispiel  dieser  Wissenschaften, welches die Menschen veranlaßt, Genauigkeit auch auf anderen Gebieten anzustreben. Hätte man mir dies im vorigen Jahrhundert gesagt, ich würde darauf nicht antworten können. Nun aber kommt es, daß ungefähr im Anfang unseres Jahrhunderts zwei Mathematiker die Grundlagen der Geometrie unabhängig voneinander einer Kritik unterworfen haben: LOBACZEWSKI (3) und der unsterbliche GAUSS (4), deren Resultat neuerdings von RIEMANN (5) und HELMHOLTZ (6) erweitert und verallgemeinert wurden; und der Schluß, zu welchem diese Untersuchungen führen, ist der, daß obgleich die Annahmen, welche von den alten Geometern ganz richtig aufgestellt wurden, in der Praxis genau sind, d. h. genauer, als das Experiment sein kann, und für solche begrenzten Gegenstände, wie sie uns vorkommen, und für solche Entfernungen, welche wir zu erreichen imstande sind, gelten, daß dennoch die Richtigkeit dieser Annahmen für viel größere oder auch viel kleinere Gegenstände, oder für Entfernungen, welche augenblicklich noch außerhalb unseres Bereiches sind, erst durch das Experiment entschieden werden muß, nachdem die Beweiskraft des letzteren noch bedeutend vergrößert sein wird.

Ich möchte den gegenwärtigen Stand dieser Frage so klar wie möglich auseinandersetzen, da man oft glaubt, es handle sich hier nur um eine Wortfrage oder Frage der Metaphysik, während es doch ganz klar und einfach eine Frage der Tatsachen ist. Man behauptet, wir wüßten, daß die Summe der drei Winkel eines geradelinigen Dreiecks genau zwei Rechten gleich ist. Nehmen wir nun an, es seien drei Punkte im Raum gegeben, soweit voneinander entfernt, wie die Sonne von Alpha-Centauri, und daß zwischen diesen Punkten die kürzesten Linien gezogen sind, und in dieser Weise ein Dreieck gebildet wird. Lassen Sie uns ferner voraussetzen, daß die Winkel dieses Dreiecks genau gemessen und zueinander addiert werden. Dies kann man heutzutage so sorgfältig ausführen, daß der Fehler sicherlich weniger als eine Minute, d. h. weniger als 1/5000 eines rechten Winkels beträgt. Dann weiß ich zwar nicht sicher, ob diese Summe sich von zwei Rechten unterscheidet, ich weiß aber ebenfalls nicht, ober der Unterschied weniger als zehn Grad oder 1/9 eines rechten Winkels betragen würde (7), und dieses mein Nichtwissen ist sehr wohl begründet. Das angeführte Beispiel ist außerordentlich wichtig, da es Beziehungen zwischen Genauigkeit und Allgemeingültigkeit (universality) zeigt. Es stellte sich nämlich heraus, daß, wenn ein Unterschied (zwischen zwei rechten und der Summe der Dreieckswinkel) überhaupt existiert, derselbe der Größe (dem Flächeninhalt) des Dreiecks annähernd proportional ist, so daß der Fehler bei einem Dreieck, dessen Seiten nur je 1 Meile lang sind, 400 Quadrillionen mal kleiner als der Fehler beim vorher spezialisierten Dreieck ausfallen würde. Das Resultat müßte eine unmerklich kleine Größe sein, welche kein Experiment entdecken würde. Zwischen diesem unmerklich kleinen Fehler aber und gar keinem liegt eine ungeheure Kluft, die Kluft eben zwischen praktischer und theoretischer Genauigkeit, und, was noch richtiger ist, die Kluft zwischen dem praktisch Allgemeinen und dem theoretisch Allgemeinen. Ich sage, ein Gesetz soll praktisch allgemeingültig heißen, wenn es genauer ist, als das Experiment in allen Fällen, welche wir mit Hilfe der besten uns zu Gebote stehenden Hilfsmitteln untersuchen können. Wir stellen diese Art Allgemeingültigkeit auf und wir finden, daß es einen Wert hat, eine solche aufzustellen. Ein Gesetz würde aber im theoretischen Sinn des Wortes allgemeingültig sein, wenn es für  jeden  Fall gelten würde, und dies können wir von keinem Gesetz behaupten. Ich sagte vorher, es gäbe  zwei  Gründe, aus welchen ein Gesetz ungenau sein könnte. Es gibt in der Lehre von den Gasen ein Gesetz, welches behauptet, daß, wenn Sie ein vollkommenes Gas zusammendrücken, der Druck desselben in demselben Verhältnis zunimmt, wie das Volumen abnimmt;  genau  so, d. h. das Gesetz ist genauer als das Experiment und die Experimente werden durch das Gesetz korrigiert. Num kommt es, daß dieses Gesetz eine Erklärung bekommen hat. Wir wissen genau, was geschieht, wenn ein Gas komprimiert wird. Wir wissen: ein Gas besteht aus einer großen Anzahl von Molekülen, die sich nach allen Richtungen mit verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen, die im Mittel für die Luft dieses Zimmers, z. B. 20 Meilen in der Minute betragen. Der Druck eines Gases auf eine angrenzende Fläche ist nichts anderes, als die gemeinsame Wirkung all dieser kleinen auf die Fläche aufprallenden Teilchen. Auf eine Fläche, groß genug, um sichtbar zu sein, wirken in je einer Sekunde Millionen dieser Teilchen. Wenn der Raum, in welchem das Gas eingeschlossen ist, verkleinert wird, werden die Stöße der Teilchen gegen die Wände im Durchschnitt in demselben Verhältnis häufiger vorkommen, und wegen der außerordentlich großen Zahl derselben ist die tatsächliche Häufigkeit stets nahezu (mit einer außerordentlich großen Annäherung) der durchschnittlichen gleich. Das Gesetz ist aber dennoch statistisch, seine Genauigkeit beruth auf der  großen  Zahl (von Teilchen), die in Betracht kommt; und deshalb kann, der Natur der Sache nach, seine Genauigkeit nicht theoretisch oder absolut sein. Fast alle Gesetze der Gase haben diese statistische Grundlage erhalten. Elektrische und magnetische Anziehung und Abstoßung sind in ähnlicher Weise behandelt, und eine Hypothese dieser Art ist sogar für das Gravitationsgesetz vorgeschlagen worden. Andererseits zeigt die Art und Weise, in welcher die Moleküle aufeinander wirken, daß sie sich im umgekehrten Verhältnis der fünften Potenz der gegenseitigen Entfernung abstoßen (8). So finden wir dann am Grund einer statistischen Erklärung ein Gesetz, welches die Form theoretischer Genauigkeit besitzt. Nach welcher von den beiden Formen sollen wir streben? Es scheint mir wiederum, wir wüßten es nicht und die Erkenntnis unserer Unwissenheit sei der beste Weg, um sie zu beseitigen.

Die Welt im Allgemeinen hat genau die Erfahrung gemacht, die ich einen jungen Studenten der angewandten Naturwissenschaften habe machen lassen. Als die Entdeckungen GALILEIs, KEPLERs, DALTONs, CAVENDISHs, GAUSS' stets neue Erscheinungen als mathematischen Gesetzen gehorchende erkannt haben, hielt man die theoretische Genauigkeit des Weltalls für eine sichere Tatsache. Wenn nun die Leute in Bezug auf einen Gegenstand hoffnungslos unwissend sind, so streiten sie über die Quelle ihres Wissens. So behaupteten denn auch in unserem Fall Viele, daß wir jene exakten Gesetze  a priori  wüßten; sie behaupteten allerdings  eine  Wahrheit, nämlich: daß wir jene Gesetze nicht aus der Erfahrung erkannt haben.

Andere sagten, daß diese Gesetze in Wirklichkeit durch die Tatsachen selbst gegeben sind, und nahmen zu den spitzfindigsten Mitteln Zuflucht, um die Kluft, die sich zwischen Ersteren und Letzteren befindet, zu verbergen. Noch Andere leiteten aus transzendentalen Überlegungen zuweilen die Gesetze selbst, zuweilen aber Dasjenige ab, was sie durch einen Mangel an Sachkenntnis für Gesetze hielten. Weit ernstere Folgen entstanden aber, als diese aus der Physik abgeleiteten Begriffe auf das Gebiet der Biologie übertragen worden sind. Man zog scharfe Grenzlinien zwischen Königreichen und Klassen und Gattungen; ein Tier wurde der Pflanzenwelt gegenüber als ein Wunder beschrieben; spezifische Differenzen, welche nur im praktischen Sinne des Wortes, und zwar nur für den Zeitraum der historischen Epoche, permanent sind, hielt man für permanent für alle Zeiten; es wurde zwischen organischen und anorganischen Substanzen eine scharfe Grenzlinie gezogen. Aus den weiteren Untersuchungen ergab es sich jedoch, daß Genauigkeit vorzeitig der Wissenschaft zugeschrieben wurde, und es wurden nun all die Kluften und Lücken, welche die Naturforscher erfanden, ausgefüllt. Es besteht zwischen den beiden Königreichen der Tiere und Pflanzen ein disputierbares Terrain, welches von Wesen bewohnt ist, die sowohl die Merkmale des einen wie des anderen besitzen und dennoch ausdrücklich zu keinem der beiden Königreiche gehören. Klassen und Gattungen lagern sich längs ihrer ganzen gemeinsamen Grenzen übereinander. Es zeigte sich auch, daß spezifische Differenzen das Werk der Zeit sind. Zieht man heute die Grenzlinie zwischen organischen und anorganischen Substanzen, so muß man sie morgen anderswo verschieben, und ein Chemiker würde ihnen sagen, daß diese Unterscheidung heutzutage in seine Wissenschaft nicht statthaft ist, außer in ein technischen Sinn des Wortes, wegen der Bequemlichkeit, die Kohlenstoffverbindungen für sich zu studieren. In der Geologie gebar dieselbe Tendenz die Lehre von scharf voneinander getrennten Perioden, welche durch die Merkmale der in ihnen abgelagerten Schichten gekennzeichnet sind, - eine Lehre, die, vielleicht, von der Wahrheit entfernter und für den Fortschritt der Wissenschaft schädlicher war, als irgendeine Kosmogonie der Alten. Vor sieben Jahren von HERBERT SPENCER (9) widerlegt, wurde sie jetzt von allen Seiten her attackiert und hat nachgegeben, sodaß man sie in Ruhe lassen kann.

Indem wir also sagen, daß die Gleichförmigkeit, die wir im Lauf der Dinge beobachteten, genau und universell ist, verstehen wir darunter nichts weiter als das: daß wir imstande sind, allgemeine Regeln aufzustellen, welche viel genauer sind, als das, direkte Experiment, und welche sich anwenden lassen auf alle Fälle, denen wir gegenwärtig wahrscheinlich begegnen können. Wichtig ist es, zu bemerken, welchen Einfluß die Genauigkeit, wie wir sie beobachten, auf die Natur des Schließens (inference) ausübt. Als ein Telegramm mit der Nachricht ankam, daß Dr. LIVINGSTONE von Mr. STANLEY gefunden worden war, welches war der Prozeß, mit dessen Hilfe Sie aus dem erschienenen Telegramm auf das Wiederfinden von LIVINGSTONE geschlossen haben? Sie haben dabei auf Schritt und Tritt die Gleichförmigkeit der Natur vorausgesetzt: daß die Zeitungen sich so verhalten haben, wie sie es gewöhnlich in Bezug auf telegraphische Sendungen tun; daß die Beamten den bekannten Gesetzes ihres Amtes gefolgt sind; daß die Elektrizitt sich im Kabel genau ebenso verhielt, wie sie sich im Laboratorium verhält; daß die Handlungen von Mr. STANLEY mit seinen Motiven in demselben gesetzmäßigen Zusammenhang waren, wie bei anderen Leuten; daß Dr. LIVINGSTONEs Handschrift der merkwürdigen Regel gehorchte, kraft welcher die Handschrift eines gewöhnlichen Menschen als eine sogar zu verschiedenen Perioden seines Lebens, mit dauernden charakteristischen Merkmalen behaftete erkannt werden kann. Sie hatten aber das Recht, einigen dieser Schlüsse mehr Vertrauen zu schenken, als den anderen. Das Gesetz der Elektrizität war mit praktischer Genauigkeit bekannt und die daraus abgeleiteten Schlüsse waren die sichersten von allen. Das Gesetz von den Handschriften, das zu demjenigen Teil der Physiologie gehört, welches sich mit den unbewußten Prozessen befaßt, besitzt zwar eine geringere, aber doch noch ansehnliche Genauigkeit. Die Gesetze der menschlichen Handlungen, wobei das Bewußtsein mitbegriffen ist, sind immer noch so weit davon entfernt, vollständig analysiert und auf eine genaue Form zurückgeführt zu werden, daß die mit Hilfe derselben gewonnenen Schlüsse nur eine provisorische Kraft besaßen. Es ist möglich, daß, nachdem die Psychologie enorme Fortschritte gemacht hat und eine exakte Wissenschaft werden wird, es uns nach und nach möglich werden wird, dem (menschlichen) Zeugnis eine ebensolche Überzeugungskraft zuzuschreiben, wie den Schlüssen der Physik. Dann wird es möglich sein, sich einen Fall zu denken, welcher zeigen wird, wie vollständig der ganze Prozeß des Schließens von unserer Annahme der Gleichförmigkeit abhängt. Nehmen Sie nun an, daß ein Zeugnis, nachdem es die von mir gedachte ideale Kraft erreicht hat, behaupten würde, daß ein gewisser Fluß bergauf strömt. Sie würden dann gar nichts schließen können. Der Arm des Schließens würde paralysiert und das Schwert der Wahrheit gebrochen werden; der Verstand würde sich ruhig niedersetzen und abwarten, bis sein Glied wieder gesund und weitere Erfahrung ihm neue Waffen verschaffen wird.

Zunächst will ich untersuchen, was wir darunter verstehen, wenn wir sagen, daß die von uns im Laufe der Dinge beobachtete Gleichförmigkeit sowohl  vernünftig (reasonable),  wie auch genau ist.

In ihrer allerersten Form wurde diese Idee durch die merkwürdige Anpassung gewisser natürlicher Strukturen an spezielle Funktionen veranlaßt. Der erste Eindruck, der von Denjenigen empfangen wurde, welche sich mit vergleichender Anatomie beschäftigt haben, war der, daß ein jeder Teil des tierischen Organismus für die von ihm zu verrichtenden Funktionen außergewöhnlich vollkommen geeignet war. Ich sage "außergewöhnlich", - weil zu jener Zeit die geläufigsten Beispiele dieser Anpassung in den Erzeugungen der menschlichen Geschicklichkeit gegeben waren, und die Vollkommenheit und Feinheit der natürlichen Anpassung war der ersteren weit überlegen. Man sah, daß der Mechanismus der Glieder bedeutend mehr als irgendeine der existierenden Maschinen, für diejenigen Bewegungen und Kombinationen von Bewegungen geeignet war, welche für den betreffenden Organismus am nützlichsten waren. Der schöne und komplizierte Apparat der Sinneswerkzeuge nahm vom umgebenden Medium die verschiedensten Zeichen auf, sortierte und analysierte dieselben und teilte die Resultate dem Gehirn in einer solchen Weise mit, daß zur Zeit, von der ich rede, keine künstliche Einrichtung in Bezug auf Vollkommenheit damit wetteifern konnte. Dadurch verbreitete sich nun unter den Physiologen der Glaube, daß eine jede Struktur, die sie fanden, ihre bestimmte Funktion haben und zu einem gewissen nützlichen Zweck dienen muß, - ein Glaube, welcher in der Tat nicht ohne Begründung war und welcher (nach Dr. WHEWELLs Bemerkung) für die Förderung des Fortschritts auf dem Gebiet der Physiologie ganz gewiß wundervolle Dienste geleistet hat. Nachdem sich dieser Glaube auf  einem  Gebiet als vorteilhaft erwiesen hat, hatte man denselben - wie es gewöhnlich auch sonst der Fall ist - auf ein anderes Gebiet übertragen, wofür man ein bemerkenswertes Beispiel in den Betrachtungen von Count RUMFORD über die physikalischen Eigenschaften des Wassers findet. Reines Wasser erreicht seine Dichte bei einer Temperatur von circa 39½° Fahrenheit: es dehnt sich aus und wird leichter, sowohl wenn es erwärmt, als auch wenn es abgekühlt wird, sobald also nur die genannte Temperatur eine Änderung erfährt. Daraus schloß man, daß Wasser in diesem Zustand (der größten Dichte) sich am Meeresgrund befinden muß und daß in dieser Weise das Erfrieren der ganzen Wassermasse verhütet wird; denn würde die größte Dichte dem Eis zukommen, so müßte, wie man glaubte, die ganze Wassermasse durch und durch zu Eis erstarren. Man hatte hier also eine Substanz, deren Eigenschaften zur Sicherung von für die Erhaltung des Lebens auf der Erdoberfläche ganz wesentlichen Bedingungen in eminenter Weise geeignet waren. Kurz, die Leute kamen zu dem Schluß, daß die Ordnung der Natur in  dem  Sinne vernünftig (reasonable) ist, daß alles, was sich in der Natur vorfindet, zu irgendeinem guten Zweck geeignet eingerichtet ist.

Die weiteren Untersuchungen haben jedoch die Leute auf zweierlei Weise veranlaßt, auf diesen Schluß zu verzichten. Erstens ergab es sich, daß die diesbezüglichen Tatsachen falsch festgestellt wurden. Man fand in mehreren Fällen ganz wunderbar komplizierte Gebilde, die absolut gar keinen Zweck hatten, wie z. B. die Zähne des Walfisches oder die Zähne des Dugong, welcher eine Hornplatte besitzt, die sämtliche Zähne bedeckt und an deren Stelle gebraucht wird: oder die Augen des Maulwurfs vor der Geburt, welche niemals von ihm gebraucht werden, obwohl sie ebenso vollkommen sind wie die einer Maus, bis sich dann die Schädelöffnung schließt, und ihre Verbindung mit dem Gehirn abgeschnitten wird, so daß sie verkümmern und unbrauchbar werden; oder z. B. Ihre eigenen äußeren Ohren, welche Ihnen absolut gar nichts nützen. - Ferner, als die menschlichen Erzeugnisse sich mehr vervollkommnet haben, ergab es sich, daß die natürlichen Anpassungen einer Kritik unterworfen werden können. So hatte z. B. HELMHOLTZ - der Physiologe, welcher die Physik für seine Physiologie und die Mathematik wieder für seine Physik studierte und gegenwärtig ein Mann ersten Ranges in einem jeden dieser drei Wissensgebiete ist - das Auge, als optisches Instrumen und als Produkt menschlicher Handarbeit aufgefaßt, folgendermaßen beschrieben:
    "Würde mir ein Optiker dies als ein Instrument senden, so würde ich es ihm zurücksenden mit schweren Vorwürfen wegen Nachlässigkeit seiner Arbeit und würde von ihm mein Geld zurückverlangen."
Die Übertragung der eben besprochenen Doktrin auf das Gebiet der Physik hatte sich als noch unrichtiger herausgestellt. Jene merkwürdige Eigenschaft des Wassers, welche die Meere gegen das Erfrieren schützen wollte, kommt nicht dem salzigen Wassesr zu, woraus eben die Meere bestehen. Es ergab sich, in der Tat, daß der Begriff der vernünftigen Anpassung von Mitteln an gewisse Zwecke, als wie nützlich er sich auch immer in seinem eigentlichen Gebiet erwiesen hat, doch keineswegs allgemeingültig genannt oder auf die Ordnung der Natur, als ein Ganzes, angewandt werden kann.

Zweitens aber hatte man auf diesen Gedanken verzichten müssen, weil er von einer höheren und allgemeineren Idee des "Reasonable" verdrängt wurde, wobei letztere den Vorteil besaß, auch noch auf einen großen Teil physikalischer Erscheinungen anwendbar zu sein. Beides: sowohl die Anpassung als auch die Nichtanpassung, welche bei den organischen Strukturen vorkommen, ist  erklärt  worden. Der wissenschaftliche Gedanke von CHARLES DARWIN, HERBERT SPENCER und Mr. WALLACE hat den bisher unerkannten Prozeß der Anpassung auf wohlbekannte und geläufige Prozesse zurückgeführt. Es gibt zwei Arten solcher Prozesse:
    1) die direkten Prozesse, wobei die für die Ausbildung einer Struktur erforderlichen physikalischen Änderungen eben durch  die  Wirkungen geschaffen werden, an welche diese Struktur sich anzupassen hat, wie z. B. der Rückenknochen oder die Notochord [Vorstufe der Wirbelsäule - wp] von Generation zu Generation modifiziert wurde durch die Beziehungen, die sie durchgemacht hat und

    2) die indirekten Prozesse, welche unter dem Namen "natürliche Auswahl" (natural selection) zusammegefaßt sind: die Reproduktion von Kindern, welche von ihren Eltern ein Wenig abweichen, und das Bestehenbleiben derjenigen, welche am geeignetsten sind, sich im Kampf ums Dasein zu halten. Ein Naturforscher könnten Ihnen davon einen Begriff geben, in welchem Maße wir die Erklärung der Entwicklung sämtlicher Tier- und Pflanzenteile in dieser Weise gewinnen: die Erklärung des Wachstums des Knochengerippes, des Nervensystems und des entsprechenden Geistes, der Blätter und Blumen.
Was wird denn aber unter  Erklärung  verstanden?

Wir betrachteten soeben die Erklärung eines Gasgesetzes, nämlich: daß der Druck eines Gases in demselben Verhältnis wächst, in welchem sein Volumen abnimmt. Die Erklärung beruhte auf der Voraussetzung, daß das Gas aus einer Unzahl kleiner, in fortwährender Bewegung begriffenen und aneinander stoßender Teilchen besteht, und ferner auf dem Beweis, daß das Maß des Anprallens eines solchen Teilchenschwarms an die Wände eines denselben einschließenden Gefäßes sich genauso ändern würde, wie es der Druck (bei gleichzeitiger Volumenänderung) tut. Angenommen, das Gefäß habe zueinander parallele (ebene) Wände, und es gäbe nur ein einziges zwischen denselben sich hin- und herbewegendes Teilchen; dann ist es klar, daß, wenn wir die Entfernung zweier gegenüberliegender Wände auf die Hälfte reduzieren, eine jede dieser Wände von unserem Teilchen zweimal so oft getroffen, oder, daß der Druck verdoppelt werden wird. Nun ergibt es sich aber, daß dies ganz ebenso, wie für  ein  Teilchen, für Millionen Teilchen stimmen würde, sogar wenn dieselben nicht nur in  einer  Richtung, sondern nach allen möglichen Richtungen sich hin und her bewegen. Passen Sie nun auf: Es ist eine vollkommen wohlbekannte und geläufige Sache, daß ein Körper gegen eine Fläche stößt und von derselben wieder zurückprallt, und es ist bloß eine alltägliche Erfahrung, daß, was nur halb so weit zu gehen hat, in der halben Zeit zurückkommt; daß aber der Druck eines Gases der Dichte genau proportional ist, ist ein verhältnismäßig fremdartiges, ungeläufiges Ding. In der Erklärung wird also das Unbekannte und Ungeläufige als etwas aus dem Bekannten und Geläufigen zusammengesetztes beschrieben. Und dies scheint mir die richtige Bedeutung des Wortes "Erklärung" zu sein. (10)

Hier ist ein zweites Beispiel: Wirft man kleine Stückchen Campher ins Wasser, so beginnen dieselben sich auf der Oberfläche in einer ganz merkwürdigen Weise zu bewegen. Mr. TOMLINSON, wie ich glaube, gab die Erklärung dafür. Zuerst müssen wir bemerken, daß eine jede Flüssigkeit eine Haut besitzt, von welcher sie zusammengehalten wird; Sie können dies gut bei einem Tropfen beobachten, der aussieht, als wäre er in eine Kapsel eingeschlossen. Nun ist aber die Spannung dieser (Oberflächen-)Haut bei einigen Flüssigkeiten größer als bei anderen, und sie ist größer für eine Lösung von Campher in Wasser, als für reines Wasser. Wird also Campher in Wasser gestreut, so fängt er an, sich aufzulösen und, anstatt mit reinem Wasser, sich mit Campherlösung zu umgeben. Wäre nun ein Stück Campher vollständig symmetrisch, so würde weiter nichts geschehen; die Spannung würde zwar in seiner unmittelbaren Nähe größer geworden sesin, es würde aber dadurch keine Bewegung eintreten. Weil aber das Stück Campher von irregulrer Form ist, so löst es sich auf der einen Seite mehr auf, als auf der anderen, und wird folglich herumbewegt, weil die Spannung der Haut dort, wo der Campher am meisten aufgelöst ist, auch größer ist. Nun ist es wahrscheinlich, daß dies für Sie keine ebenso befriedigende Erklärung ist, wie sie es für mich war, als ich dieselbe zum erstenmal kennengelernt habe, und zwar aus folgendem Grund: Zu jener Zeit war ich mit dem Begriff einer über der Flüssigkeitsoberfläche gespannten Haut bereits vollständig vertraut, und man hatte mich gelehrt, mit Hilfe dieses Begriffs Kapillaritätsprobleme [Verhalten von Flüssigkeiten in engen Röhren - wp] auszuarbeiten. Die Erklärung war also eine Beschreibung der unbekannten Erscheinung, mit der ich nicht umzugehen wußte, als einer aus bekannten Erscheinungen zusammengesetzten, mit denen ich umzugehen wußte. Vielen meiner Zuhörer aber kann die Flüssigkeitshat möglicherweise ebenso fremd vorkommen, wie die Bewegung von Campher an der Wasseroberfläche.

Dies führt mich nun auf den Gedanken, nach der Quelle des Vergnügens, das uns eine Erklärung bereitet, zu fragen. Unter Bekanntem und Geläufigem verstehe ich dasjenige, womit wir, sie es durch eine Tätigkeit im gewöhnlichen Sinn des Wortes, sei es durch aktives Denken, umzugehen wissen. Wird aber dasjenige, womit wir nicht umzugehen wissen, als Etwas aus Dingen, mit denen wir umzugehen wissen, bestehendes beschrieben, so haben wir das Gefühl vergrößerter Macht, was die Grundlage jeglichen höheren Vergnügens ist. Natürlich können wir auch, durch Assoziation, nach und nach dazu gebracht werden, daß wir an einer Erklärung ihrer selbst willen Vergnügen finden. - Haben wir denn nun die Berechtigung, zu sagen, daß die beobachtete Ordnung der Erscheinungen in  dem  Sinne vernünftig (reasonable) ist, daß sie überall eine Erklärung zuläßt? Damit ein Prozeß der Erklärung fähig ist, muß derselbe in einfachere Bestandteile zerfallen, mit denen wir bereits vertraut sind. Nun kann aber ein Prozeß, erstens, an und für sich einfach sein und nicht zerfallen, und zweitens, kann derselbe in Elemente zerfallen, die ebenso ungeläufig und ungewöhnlich sind, wie der ursprüngliche Prozeß selber.

Es ist  eine  Erklärung der Mondbewegung, wenn man sagt, daß der Mond ein fallender Körper ist, nur daß er sich so schnell bewegt und so weit (von der Erde) entfernt ist, daß er rings herum auf die andere Seite des Erdballs käme, anstatt denselben zu treffen und daß er nun in dieser Weise sich immer weiter fortbewegt. Es ist aber  keine  Erklärung, zu sagen, daß ein Körper vermöge der Gravitation fällt. Damit will man sagen, daß die Bewegung des Körpers in Bewegungen eines jeden seiner Teilchen gegen ein jedes Teilchen der Erde mit einer dem Quadrat ihrer gegenseitigen Entfernung umgekehrt proportionalen Beschleunigung aufgelöst werden kann. Ich glaube aber, daß diese Anziehung je zweier Teilchen immer noch weniger geläufig als der ursprüngliche fallende Körper sein muß, wie früh auch die Kinder der Zukunft ihren NEWTON zu lesen anfangen werden. Kann die Anziehung selbst etwa noch erklärt werden? Le SAGE sagte, es gäbe einen ewigen Hagel von unzähligen kleinen Ätherteilchen von allen Seiten her, wovor die zwei (gröberen) materiellen Teilchen einander beschilden, so daß sie also gegeneinander getrieben werden. Dies ist eine Erklärung; sie mag richtig oder unrichtig sein. Die Anziehung (Gravitation) kann eine letzte einfache Tatsache sein, oder aber sie kann aus einfacheren Tatsachen bestehen, die jedoch all dem, was uns gegenwärtig bekannt ist, äußerst unähnlich sind; und in einem jeden dieser beiden Fälle gibt es keine Erklärung. Wir haben also kein Recht zu schließen, daß die Ordnung der Erscheinungen immer eine Erklärung zuläßt.

Es wird aber noch in einem anderen Sinn behauptet, die Natur sei  reasonable,  insofern namentlich eine jede Wirkung eine Ursache hat. Was wird nun darunter verstanden?

Indem wir diese Frage aufwerfen, haben wir ein abschreckend schwieriges Gebiet betreten.

Das Wort "Ursache" hat 64 Bedeutungen bei PLATO und 48 bei ARISTOTELES. Es waren dies Männer, welche so genau wie nur möglich wissen wollten, was sie meinen; wieviele Bedeutungen aber hat nun das Wort in den Schriften der Myriaden von Leuten gehabt, die sich  nicht  bemüht haben, zu wissen, was sie damit meinen, wird, hoffe ich, niemals zusammengerechnet werden.Nicht nur würde es der höchste Grad an Anmaßung meinerseits sein, die Bedeutung eines Wortes, welches von so großen Autoritäten in so vielen Bedeutungen gebraucht wurde, feststellen zu wollen, sondern es scheint auch noch eine undankbare Unternehmung zu sein, dasjenige, was früher so oft zu verschiedenen Zeiten und auf so verschiedene Weise gemacht wurde, noch einmal zu tun. Und doch können wir, ohne den in Frage stehenden Begriff festzustellen, nicht bestimmen, was wir damit meinen, wenn wir sagen, die Ordnung der Natur sei vernünftig (reasonable). Ich will nun diese Schwierigkeit überwinden, indem ich Ihnen Mr. GROTEs Ansicht (11) mitteile. Sie kommen zu einer Vogelscheuche und fragen: Was ist die Ursache (cause) davon? Sie finden, daß ein Mensch sie aufgestellt hat, um die Vögel zu vertreiben. Sie gehen fort und sagen sich: "Alles ähnelt dieser Vogelscheuche. Alles hat seinen Zweck (purpose)." Und von nun an ist für Sie das Wort "Ursache" gleichbedeutend damit, was ARISTOTELES unter "Endzweck" [endur] (final cause) verstand. Oder aber Sie kommen in den Laden eines Friseurs und staunen darüber, wodurch das Rad bei seiner Maschine gedreht wird. Indem sie andere Prämissenteile untersuchen, finden Sie einen Menschen, der mit einer Kurbel beschäftigt ist. Dann gehen Sie weg und sagen: "Alles ist wie dieses Rad. Hätte ich genügend nachgeforscht, so würde ich immer einen Menschen an einer Kurbel finden." und ein Mensch an einer Kurbel, oder was ihm sonst auch entsprechen mag, gilt Ihnen von nun an als "Ursache".

Und so ist es im Allgemeinen. Nachdem Sie eine Reihe (Sequenz) von Ereignissen in einem Sie ganz befriedigendem Maß ermittelt haben, so daß Sie alles von ihr wissen, wobei die involvierten Gesetze so geläufig sind, daß Sie zu sehen glauben, wie dem Anfang das Ende gefolgt sein mußte, wenden Sie dies aus Analogiegründen auf irgendwelche anderen Erscheinungen an, und dadurch ist nun Ihr Kausalbegriff bestimmt. Kommt aber, wie es sich einmal ereignen muß, ein Fall vor, worauf sich das Analogon nicht anwenden läßt, so werden Sie Sich nicht zugestehen, daß Sie es eben nur mit Analogien zu tun haben und daher ihr Begriff nicht immer und überall anwendbar zu sein braucht, sondern Sie werden sagen: "Die Ursache dieses Ereignisses ist ein Mysterium, welches mir immer verschlossen bleiben muß." Aus ganz denselben Gründen ist aber auch das Nervensystem meines Schirms ein Mysterium, welches uns für immer unbekannt bleiben muß. Mein Schirm hat eben kein Nervensystem; und das Ereignis, worauf Ihr Begriff sich nicht anwenden ließ, hat keine Ursache in dem Ihrigen Sinn des Wortes. Indem wir also sagen, eine jede Wirkung hat eine Ursache, meinen wir damit, daß ein jedes Ereigenis mit irgendetwas so zusammenhängt, daß jemand sich dadurch veranlaßt fühlen könnte, letzteres als Ursache des ersteren zu bezeichnen. Ich selbst zumindest habe aber bisher noch keine einzige Bedeutung des Wortes (Ursache) kennengelernt, die sich auf die  ganze  Naturordnung recht gut anwenden läßt.

Die eben von mir gemachten Bemerkungen treffen sogar einen neuerdings von ALEXANDER BAIN gemachten Versuch, dem Wort "Ursache" eine allgemein anwendbare Bedeutung zu geben, obwohl ich von diesem Versuch mit größtem Respekt zu sprechen wünsche. BAIN (12) will nämlich das Wort "Ursache" in einer gewissen Weise damit in Zusammenhang bringen, was wir das Gesetz der Energie nennen; obgleich ich aber davon mit großer Vorsicht spreche, glaube ich dennoch, daß eine sorgfältige Untersuchung zeigen wird, daß die Einführung des Wortes "Ursache" nur eine Konfusion veranlassen kann in einem Gegenstand, welcher für diejenigen, die sich den Begriff der Energie zu verstehen bemüht haben, genug klar und deutlich ist. Ich kann Ihnen dies unmöglich heute Abend erklären; ich bemerke nur, daß "Energie" ein  terminus technicus  der mathematischen Physik ist, zu dessen Verständnis bei den Meisten ein sehr sorgfältiges Studium gehört.

Wir wollen nun dazu übergehen, mit aller Hochachtung noch eine andere Ansicht zu betrachten, die von zahlreichen Philosophen aus den blühenden Zeiten Europas vertreten wurde,  die  Ansicht nämlich, daß am Grund der Naturordnung ein Etwas liegt, wovon wir wissen können, daß es  "unreasonable"  ist, daß es den Prozessen des menschlichen Denkens entschlüpft. Diese Ansicht ist zuerst von KANT, soweit ich weiß, in der Form seiner berühmten Doktrin von den Antinomien oder Widersprüchen auseinandergesetzt worden; ich will Ihnen eine spätere Form (13) dieser Lehre zu erklären versuchen. Man sagt, der Raum müsse entweder unendlich sein oder eine Grenze besitzen. Sie können nun einen unendlichen Raum nicht begreifen; ebenso aber können Sie sich auch nicht denken, daß der Raum begrenzt ist. Wir haben also hier zwei Behauptungen, wovon eine richtig sein muß, während doch beide unfaßbar sind, sodaß unseren Gedanken über den Raum der weitere Weg durch einen Widerspruch versperrt wird. Ferner sagt man, die Materie müsse entweder unendlich teilbar sein, oder aber aus kleinen einer weiteren Teilung unfähigen Partikeln bestehen. Sie können nun, einerseits, weder ein in unendlich viele Teile zerteiltes Stück Materie, noch andererseits, ein noch so kleines Stück Materie fassen, welches auch die Kräfte sein mögen, welche die Teile eines Partikels zusammenhalten, können Sie sich doch noch größere Kräfte vorstellen, welche imstande sind, die Teile auseinander zu reißen. Hier haben wir wiederum zwei Sätze, von denen einer richtig sein muß, während doch ein jeder für sich unfaßbar ist, sodaß wir auch mit unseren Gedanken über die Materie auf einen Widerspruch stoßen. Es gibt mehrere Fälle von dieser Art; diese beiden habe ich aber als lehrreiche Beispiele auserkoren. Der Schluß aber, zu welchem die Philosophen durch die Untersuchung derselben gekommen sind, war, daß wir, sobald wir uns den Grenzen des Seins nähern, in jeder Richtung hin an einen Widerspruch stoßen müssen. Die in Frage stehende Lehre wurde von den großen Nachfolgern KANTs weiter entwickelt und ausgedehnt; und dieses "Unreasonable" oder Unerkennbare, welches auch als das Absolute und Unbedingte bezeichnet wird, wurde auf mannigfache Weise als die wahre Grundlage aller Dinge erklärt. Wie oben bemerkt, nähere ich mich dieser Lehre mit all der Achtung, die man dafür, was die Gedanken so vieler der Weisesten der Menschheit geleitet hat, haben muß. Nichtsdestoweniger werde ich aber zu zeigen versuchen, daß in diesen Fällen vermeintlichen Widerspruchs immer etwas steckt, was wir bis jetzt noch nicht erkannt haben, wovon wir aber auch nicht sicher sein können, daß wir es im nächsten Jahr nicht erkennen werden. Die in Rede stehende Doktrin ist ein Versuch, auf diese Unwissenheit eine positive Behauptung zu gründen, was nun kaum einer Berechtigung fähig sein kann. SPINOZA sagte: "Ein freier Mensch denkt über keine Sache so wenig, wie über den Tod." Es scheint mir, daß wir, auf dem Gebiet des Denkens, parallel zu diesem Satz sagen können: "Ein weiser Mensch erinnert sich an seine Unwissenheit nur, um dieselbe zu vernichten." Eine Grenze ist dasjenige, was zwei anliegende Teile des Raumes voneinander trennt. Die Frage also: "Hat der Raum (im Allgemeinen) eine Grenzen?" enthält einen Widerspruch in den Worten und ist daher sinnlos. Die Frage aber: "Enthält der Raum eine endliche oder aber eine unendliche Zahl Kubikmeilen?" ist eine vollkommen verständliche und vernünftige Frage, die aufgrund von Experimenten in der Zukunft zu beantworten ist. (14) Die Oberfläche des Ozeans würde immer noch eine endliche Zahl Quadratmeilen enthalten, wenn es auch kein dieselbe begrenzendes Land gäbe. Ob nun der Raum, in welchem wir leben, von dieser Beschaffenheit ist oder nicht, muß durch entsprechende Untersuchungen entschieden werden. Sollte seine Ausdehnung endlich sein, so ist es wohl möglich, daß wir dieselbe zu bestimm nächstes Jahr schon imstande sein werden; hat der Raum hingegen kein Ende, so ist es zwar ganz richtig, daß die Kenntnis dieser Tatsache von einer jeden anderen Kenntnis, die wir gegenwärtig besitzen, ganz verschieden sein würde; wir haben aber kein Recht zu sagen, eine solche Kenntnis sei unmöglich. Entweder wird die Frage ein für allemal erledigt, oder aber es wird sich zeigen, daß die Ausdehnung des Raumes größer ist als eine Größe, welche mit einer Verbesserung unserer Erkenntnishilfsmittel von Jahr zu Jahr wachsen wird. Beide Alternativen sind vollkommen gut denkbar, und es gibt weiter keinen Widerspruch mehr. Bemerken Sie im Besonderen, daß der vermeintliche Widerspruch von der Annahme einer theoretischen Genauigkeit der Gesetze der Geometrie herrührt. Der andere Fall, den ich angeführt habe, hat einen ganz ähnlichen Ursprung. Der Begriff eines Stücks Materie, dessen Teile durch Kräfte zusammengehalten werden und durch größere Kräfte auseinander gerissen werden können, ist ganz und gar den großen Stücken Materie, mit denen wir es fortwährend zu tun haben, entlehnt. Wir wissen nicht einmal, ob dieser Begriff in irgendeinem Sinn auch auf die Moleküle eines Gases anwendbar ist; noch weniger können wir denselben auf die  Atome  anwenden, aus denen die letzteren zusammengesetzt sind. Das Wort  Kraft  wird bei zwei Prozessen gebraucht: dem Druck, welcher, während zwei Körper einander berühren, die Bewegung eines jeden von ihnen mit der Lage des anderen in einen Zusammenhang bringt, und der Anziehung oder Abstoßung, d. h. einer Geschwindigkeitsänderung eines Körpers, welche von der Lage irgendeines anderen, mit dem ersteren in keiner Berührung stehenden Körpers, abhängig ist. Wir wissen nun nicht, ob es irgendetwas, was dem einen oder anderen dieser Prozesse entspricht, im Falle eines Moleküls gibt. Man kann aber der Frage nach der Teilbarkeit der Materie folgendermaßen einen vernünftigen Sinn verleihen: Man kann nämlich fragen, ob es ein  so  kleines Stück Materie gibt, daß seine Eigenschaften als Eigenschaften von Materie wesentlich von seinem Ganzbleiben abhängig sind. Diese Frage ist vernünftig; wir können sie aber gegenwärtig nicht beantworten, obwohl es auch nicht ganz sicher ist, daß wir diesbezüglich nächstes Jahr noch ebenso unwissend sein werden. Falls es kein solches Stück Materie, keine solche Grenze der Teilung gibt, wobei die charakteristischen Eigenschaften der Materie eben noch bestehen bleiben, so wird die Erkenntnis dieser Tatsache von einer jeden unserer gegenwärtigen Erkenntnisse grundverschieden sein; wir haben aber kein Recht zu behaupten, dieselbe sei unmöglich.  Gibt  es hingegen eine Grenze, so ist es ganz gut möglich, daß wir dieselbe zur Zeit der Versammlung der British Association in Bradford bereits gemessen haben werden. - Wenn man uns sagt, daß die unendliche Ausdehnung des Raumes, zum Beispiel, Etwas ist, was wir gegenwärtig nicht begreifen können, so können wir darauf erwidern, daß dies nur ganz natürlich ist, weil uns unsere Erfahrung bisher noch niemals die Mittel zur Auffassung solcher Dinge verschafft hat. Dann können wir aber keineswegs sicher sein, daß die Erfahrungstatsachen uns nicht lehren werden, derartiges aufzufassen, wobei es in diesem Fall aufhören würde, unfaßbar zu sein. In der Tat muß die Einschränkung des menschlichen Auffassungsvermögens immer die Voraussetzung involvieren, daß unsere frühere Erfahrung in einem theoretischen Sinn des Wortes universell feststeht, eine Annahme, die aus Gründen, welche wir bereits kennen gelernt haben, aufgegeben werden muß. Nun werden  Sie  sehen, daß das Studium dieser Ansichten zur richtigen Auffassung der Behauptung führt, daß die Naturordnung "reasonable" ist. Gestatten Sie mir, als eine vernünftige Frage eine solche zu definieren, welche in Terminis von durch eine frühere Erfahrung begründeten Begriffen vorgelegt wird, ohne daß dadurch dieser *Erfahrung selbst widersprochen wird, so können wir aufgrund unserer Untersuchungen sagen, daß es auf eine jede vernünftige Frage eine verständliche Antwort gibt, die entweder uns oder unseren Nachkommen bekannt sein kann.

Wir sind also gewissermaßen zu den folgenden Schlüssen gekommen: - Unter einem wissenschaftlichen Denken verstehen wir die Anwendung vergangener Erfahrungen auf neue Umstände, und zwar mit Hilfe einer beobachteten Ordnung der Erscheinungen. Indem wir sagen, diese Ordnung der Dinge sei genau, meinen wir damit, sie sei genau genug, um das Mittel zur Korrektur unserer Experimente abzugeben, keineswegs aber wollen wir damit sagen, daß dieselbe in einem theoretischen Sinn des Wortes, oder absolut, genau ist, einfach nur deshalb, weil wir es nicht wissen. Wir fanden, daß der Prozeß des Schließens ansich schon eine Voraussetzung von Gleichförmigkeit (uniformity) ist, und - daß mit dem Zunehmen der erkannten Genauigkeit der Gleichförmigkeit die Beweiskraft der Schlüsse ebenfalls zunimmt. Indem wir sagen, die *Ordnung der Erscheinungen sei  reasonable,  meinen wir damit: weder -, daß alles einen Zweck hat, noch -, daß alles erklärt werden kann, noch auch -, daß alles eine Ursache hat; denn keiner dieser Sätze ist richtig; wir meinen damit vielmehr nur -, daß es auf eine jede vernünftige (reasonable) Frage eine verständliche Antwort gibt, welche entweder wir oder aber unsere Nachkommen,  durch die Übung im wissenschaftlichen Denken,  finden können.

Es ist mir nämlich besonders daran gelegen, daß Sie nicht mit der Überzeugung weggehen, daß das *wissenschaftliche Denken auf diejenigen Gegenstände, welchen ich heute Abend hauptsächlich die Beispiele entnommen habe, eigentlich beschränkt ist. Als die römischen Juristen ihre Erfahrung von den römischen Bürgern auf den Verkehr zwischen Bürgern und Ausländern anwandten und durch die Verschiedenheit ihres Verfahrens (in diesen beiden Fällen) zeigten, daß sie die diesbezüglichen Umstände als wesentlich voneinander verschiedene auffaßten, haben sie damit die Fundamente für jenes große Gebäude gelegt, welches für den sozialen Fortschritt Europas maßgebend war. Diese Prozedur war ein Beispiel strikt wissenschaftlichen Denkens. Wenn ein Poet sieht, daß er eine fremde und neue Welt zu bewegen hat, welche seine Vorgänger noch nicht bewegt haben, und wenn er nichtsdestoweniger Feuer aus ihren Blitzen auffängt, sich ihrer Waffen bedient und sich von ihren Fußspuren unterstützen läßt, so ist die Prozedur, mittels der er eine alte Erfahrung auf neue Umstände anwendet, nichts mehr und nichts weniger, als wissenschaftliches Denken. Wenn der Moralist die Bedingungen der Gesellschaft und die Begriffe des Guten und Bösen studiert, welche uns aus einer Zeit überliefert wurden, wo der Krieg den normalen Zustand bildete und der Erfolg im Krieg die einzige Chance zur weiteren Existenz gab, und wenn er dann daraus die Bedingungen und Begriffe ableitet, die für die Zeit des Friedens maßgebend sind - wo die Kameradschaft der Gleichen die Bedingungg des nationalen Erfolgs bildet - so ist der Prozeß, mit Hilfe dessen er zu seinen Resultaten gelangt, nichts anderes als wissenschaftliches Denken. Erinnern Sie sich daran, daß das wissenschaftliche Denken der Führer für unsere Handlungen ist, daß die *Wahrheit, welche dadurch ermittelt wird, nicht jene Wahrheit, auf Grund welcher wir ohne Angst handeln können; erinnern Sie sich dessen, und Sie werden nicht umhin können, zu bemerken, daß wissenschaftliches Denken nicht der Begleiter oder die Bedingung des menschlichen Fortschritts ist, sondern vielmehr den menschlichen Fortschritt selbst ausmacht. Deshalb aber ist die Frage nach dem Wesen des wissenschaftlichen Denkens, wovon ich Ihnen in so ungenügender Weise einen leisen Begriff zu geben versuchte, die für die Menschheit allerwichtigste Frage.
LITERATUR: William Kingdon Clifford, Über die Ziele und Werkzeuge des wissenschaftlichen Denkens (Deutsche autorisierte Ausgabe von GEORG SCHMIDT und LUDWIG SILBERSTEIN), München 1896
    Anmerkungen
    1) Diese Vorlesung wurde am 19. August 1872 vor den Mitgliedern der  British Association in Brighton gehalten.
    2) On braced Arches and Suspension Bridges, Edinburgh 1870.
    3) Lobatschewsky, Geometrische Untersuchungen zur Theorie der Parallellinien, Berlin 1840
    4) Brief an Schumacher vom 28. Novebmer 1846
    5) Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen, Abhandlungen 1866-67, Göttingen.
    6) The Axiom of Geometry, Bd. 1, Seite 128 (eine populäre Exposition). Siehe auch seinen Artikekl im  Mind, Nr. III
    7) Unter der Voraussetzung, daß die Parallax-Beobachtungen beweisen, daß die Abweichung bei einem Dreieck, dessen Spitz sich an einem Stern befindet und dessen Basis ein Durchmesser der Bahn der Erde ist, weniger als eine Sekunde beträgt.
    8) (Diese Aufstellung des Gesetzes hat seitdem ihre Geltung verloren: siehe "The Unseen Universe", in meinen "Lectures and Essays", zweite Auflage, Seite 161)
    9) "Illogical Geology", in Essays, Vol. I. Ursprünglich 1859 veröffentlicht.
    10) Diese Ansicht unterscheidet sich von den Ansichten JOHN STUART MILLs und HERBERT SPENCERs, indem sie verlangt, daß eine jede Erklärung einen Beitrag zu unserer Kenntnis des erklärten Dings liefert. Jene beiden Autoren fassen die Subsumption unter ein allgemeines Gesetz als eine Gattung von  Erklärung  auf. Siehe auch Ferriers  Remains, Vol. II, Seite 436.
    11) PLATO, Vol. II (Phaedo).
    12) *Inductive Logic*, Kapitel IV.
    13) Diese Form rührt von Herbert Spencer, "First Principles", her. Ich glaube, daß Kant selbst zugeben würde, daß die Antinomien für den Empiriker nicht existieren. (noch viel weniger behauptet er, daß ein jeder der beiden Teile eines Antinomienpaares richtig sein muß. Der wirkliche kantische Standpunkt ist, daß beide Behauptungen illegitim sind).
    14) Die sehr wichtige Unterscheidung zwischen  Unbegrenztheit und  unendlicher Ausdehnung  machte Riemann (ebd).