ra-2A. AmonnL. WalrasK. Thomas    
 
WERNER SOMBART
Objekt und Grundbegriffe der
theoretischen Nationalökonomie


"Wenn Ammon die Konkreta: Deutsche, Französische usw. Volkswirtschaft dem Abstraktum (das er nicht gelten lassen will) Volkswirtschaft gegenüberstellt, so ist doch zu bedenken, daß es sich nur um verschiedene Grade der Abstraktion handelt: Abstrakt sind alle beide. Aber ein Abstraktum ist auch der Schiffahrtsverkehr von Berlin  oder der Getreidehandel Stettins;  ein Abstraktum ist auch die Eisenerzeugung der Laurahütte oder der Baumwollhandel der Firma Schultze & Co. und aufweisen als empirische Tatsachen in der Wirklichkeit kann ich das eine so wenig wie das andere. Eine deutsche Volkswirtschaft lebt ebensogut nur in Gedanken wie das Wirtschaftsleben der Völker."


I.

Ich habe das Buch von ALFRED AMONN, dessen Titel denselben Wortlaut hat wie die Überschrift dieses Aufsatzes, erst jetzt gelesen und möchte es mit einigen Worten paraphrasieren und zum Ausgangspunkt einiger allgemeiner Bemerkungen machen. Die Tatsache, daß es schon vor länger als zwei Jahren erschienen, auch in dieser Zeitschrift (Bd. 33) schon angezeigt worden ist, enthebt mich der Aufgabe, über seinen Inhalt ausführlich zu berichten, den ich vielmehr als bekannt voraussetzen darf.

Wenn ich gerade AMONNs Buch aus der Flut ähnlicher Bücher, mit denen wir in den letzten Jahren förmlich überschwemmt worden sind, herausgreife, so deshalb, weil es mir weit mehr Beachtung zu verdienen scheint, als die meisten ürbigen methodologischen Schriften der letzten Zeit, da es eine Reihe richtiger Grundgedanke enthält und der Verfasser auf einem Boden steht, auf dem eine Diskussion mit uns Nicht-Österreichern überhaupt nicht möglich ist. Deshalb sind mir auch die schweren Irrtümer, die das Buch neben seinen guten Lehren enthält, besonders willkommen, um daran meine Gedanken zu entwickeln.

(Schade, daß das Buch durch seine unendlichen Wiederholungen leidet und daß seine Lektüre dadurch ermüdet. Warum schreiben die jungen Leute heute so breit, ich möchte sagen: so behaglich wie Greise. Hängt das mit der Organisation unseres Büchermarktes zusammen: weil sie sicher sind, daß in den Haussammlungen, die jedes bessere Seminar jetzt von strebsamen, sich überbietenden Verlegern herausgeben läßt, alles gedruckt bekommen, was sie schreiben? Oder liegt der Grund in einem größeren Reichtum, der so viel mehr Autoren befähigt, zu den Herstellungskosten beizutragen? Oder ist es psychologisch begründet? AMONNs Meister ist RICARDO. Nun: wenn RICARDO die in den  Principles  enthaltenen Gedanken auch nur annähernd mit der Breite hätte ausführen wollen, mit der AMONN die seinen auf 442 Seiten Großoktav entwickelt: die  Principles  würden zehn Foliobände stark geworden sein!)

Die verdienstlichen Leistungen von AMONNs Buch sind vornehmlich folgende:

1. Er macht Ernst mit der richtigen Unterscheidung zwischen Erfahrungsobjekt und Erkenntnisobjekt. AMONN stellt dem uns gegebenen Erfahrungsobjekt "Volkswirtschaft" richtig die Frage gegenüber: wie komme ich diesem empirischen Gebilde mit meinem Denken bei; welche "Wissenschaften" sind es, die uns seiner Erkenntnis vermitteln sollen. "Eine Wissenschaft als ein System von logisch ineinander hängenden Einzelerkenntnissen ist nicht anders möglich als in Bezug auf ein  logisch  einheitliches, d. h.  für unser Denken  durchweg gleichgeartetes Objekt" (Seite 8). "Nicht die  sachlichen  Zusammenhänge der  Dinge,  sondern die  gedanklichen  Zusammenhänge der  Probleme  liegen den Arbeitsgebieten der Wissenschaften zugrunde", hat MAX WEBER es einmal glücklich formuliert.

Es ist auch ohne weiteres ersichtlich, daß der vielgestaltete Komplex von lebendigen Vorgängen, den "die Volkswirtschaft" oder "das Wirtschaftsleben" darstellt, von sehr verschieden gearteten Wissenschaften wird angegriffen werden müssen, um uns seine Geheimnisse zu entschleiern. Ebenso wie die "Medizin", die "den Menschen" ergründen will, ein bunter Strauß heterogener Wissenschaften ist, so wird auch die Lehre vom Wirtschaftsleben sich aus vielerlei verschiedenen Wissenschaften zusammensetzen. Neben besonderen "Wirtschaftswissenschaften" werden andere Wissenschaften: Technologie, Psychologie, Jurisprudenz usw. mithelfen müssen, um das Werk der Erkenntnis zu vollbringen.

Es ist nun

2. Das Verdienst von AMONNs Buch, daß es scharf die Artverschiedenheiten derjenigen Wissenschaften unterscheidet, die vornehmlich zur Erforschung des "Wirtschaftslebens" in Betracht kommen: das heißt: eine "theoretische" und eine "historische" Wirtschaftswissenschaft. (AMONN will den Oberbegriff  Wirtschaftswissenschaft  oder  Volkswirtschaftslehre  nur in sehr beschränktem Sinn gelten lassen; meines Erachtens sind seine Bedenken hinfällig, wie ich noch zu zeigen versuchen werde.)

AMONN faßt den Gegensatz in dem Sinne, den ihm meines Wissens zuerst CARL MENGER in seinen "Untersuchungen" (1883) untergelegt hat, wenn er zwischen "theoretischer" und "empirisch-realistischer" Nationalökonomie unterschied. Diese Unterscheidung ist dann, wie bekannt, von den Logikern (WINDELBAND, RICKERT) aufgenommen und ausgebreitet worden und darf heute im Großen und Ganzen als gesicherter Besitz unseres Wissens vom Wissen gelten.

Bewußt sollen wir uns nur bleiben, daß der Gegensatz zwar ein prinzipieller in der Tendenz und im Gesichtspunkt ist, daß er sich aber bei der Anwendung stark abschwächt, so daß er in Wirklichkeit oft genug verschwindet. Wenn AMONN z. B. des öfteren die "Konkreta" "Deutsche", "Französische" usw. "Volkswirtschaft" dem Abstraktum (das er nicht gelten lassen will) "Volkswirtschaft" gegenüberstellt, so ist doch zu bedenken, daß es sich nur um verschiedene Grade der Abstraktion handelt: Abstrakt sind alle beide. Aber ein Abstraktum ist auch "der Schiffahrtsverkehr von Berlin" oder "der Getreidehandel Stettins"; ein Abstraktum ist auch "die Eisenerzeugung der Laurahütte" oder "der Baumwollhandel der Firma Schultze & Co." und "aufweisen" als "empirische Tatsachen" in der Wirklichkeit kann ich das eine so wenig wie das andere. Eine "deutsche Volkswirtschaft" lebt ebensogut nur in Gedanken wie "das Wirtschaftsleben der Völker".

3. Richtig hat AMONN erkannt, daß für eine "theoretische" Wissenschaft - im Sinne einer "Gesetzeswissenschaft", also für die "naturwissenschaftliche" Erkenntnis RICKERTs, für die "nomothetische" Denkweise WINDELBANDs - im Bereich der Wirtschaftswissenschaften nur an einer einzigen Stelle Raum ist: dort, wo es sich um die Tauschakte eines auf freiem Austausch begründeten Verkehrs handelt. AMONN umschreibt den Kreis der Probleme, mit denen sich diese "theoretische" Wissenschaft zu beschäftigen hat, indem er auf die  Principles  RICARDOs verweist. Dagegen ist nichts einzwenden. Ebenso ist es richtig, wenn er das "Preisproblem" als das zentrale Problem dieser theoretischen Wissenschaft bezeichnet, um das sich alle andern herumlagern. Man wird auch seinem Vorschlag zustimmen können, diese "theoretische" Wissenschaft von den "Marktvorgängen" (sagten wir früher), diese "Gütermechanik", als "theoretische Nationalökonomie" zu bezeichnen.

Daß AMONN von ihrer Aufgabe und ihrer Stellung im System der "Wirtschaftswissenschaften" keine völlig klare Vorstellung hat, werde ich noch ausführen dort, wo ich meine Widersprüche gegen AMONNs Ansichten anmelde. Einstweilen habe ich erfreulicherweise noch einige verdienstliche Leistungen AMONNs zu verzeichnen.

4. AMONN führt richtig aus, daß das "Objekt der theoretischen Nationalökonomie" in dem von ihm umschriebenen Sinn erst geschaffen wird durch das Zusammentreffen einiger historisch bedingter Umstände, nämlich durch eine eigenartige Gestaltung der sozialen Organisation. Das heißt also: es gibt alle die Probleme, die in den  Principles  RICARDOs erörtert werden, nur auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der menschlichen Kultur. Wir werden sehen, daß AMONN die Umschreibung dieser Bedingungen einer "theoretischen Nationalökonomie" im einzelnen wiederum nicht immer glücklich vorgenommen hat. Aber der Grundgedanke ist richtig und von überragender Bedeutung bei allen Erörterungen methodologischer Art, die sich mit der Feststellung der Erkenntnisobjekte im Bereich des Wirtschaftslebens beschäftigen.

5. Ebenso richtig ist es und wichtig, daß AMONN mit aller Schärfe den sozialwissenschaftlichen Charakter der theoretischen Nationalökonomie betont und sonach die Forderung aufstellt, daß die spezifisch nationalökonomischen Grundbegriffe sozialwissenschaftliches Gepräge tragen. Mit Recht wendet er sich gegen die Ungeheuerlichkeit, beispielsweise "Kapital" mit "Produktionsmitteln" gleichzusetzen, d. h. also einen rein technischen Begriff (zur Gütererzeugung bestimmte Sachgüter) als einen Grundbegriff der Nationalökonomie auszugeben.
    "Wir wir die Probleme der Nationalökonomie in ihrer gleichartigen sozialen Bedingtheit als soziale Probleme erkannt und demgemäß auch das Erkenntnisobjekt als ein sozialwissenschaftliches bestimmt haben, so müssen notwendig auch die Grundbegriffe sozialwissenschaftliche Begriffe sein, d. h. sie müssen irgendetwas in sozialer Beziehung Verflochtenes ausdrücken. Begriffe, welche keine irgendwie geartete Beziehung zu einem Sozialen ausdrücken, welche kein soziales Element enthalten, wie z. B. der Sachgutsbegriff, können überhaupt nicht als nationalökonomische Begriffe im methologischen Sinn anerkannt werden." (Seite 204)
In der Formulierung dieses Gedankens und in der begrifflichen Erfassung des spezifisch Sozialen ist AMONN besonders glücklich gewesen.


II.

Hier möchte ich einen Augenblick haltmachen und rückschauend an das, was bisher gesagt wurde, einige allgemeine "Betrachtungen" knüpfen.

Ich kann mir denken, daß mancher Leser dieser Zeilen und AMONNs Buch zu dem Eindruck kommt: das, was hier als die verdienstlichen Leistungen des jungen Autors aufgezählt wurde, sind ja im Grunde Gemeinplätze. Insbesondere sind die unter  3  bis  5  vermerkten Einsichten und Erkenntnisse ebenso zweifellos richtig wie zweifellos alt und längst bekannt. Wäre ein solches Urteil berechtigt? Die Antwort auf diese Frage muß lauten:  ja  - innerhalb bestimmter Kreise nationalökonomischer Forscher;  nein  - innerhalb der Kreise, in denen AMONN offenbar aufgewachsen ist und seine Ausbildung erfahren hat. Mit dieser Feststellung berühre ich einen wunden Punkt von AMONNs Buch, der aber gar kein besonderes Kennzeichen dieses Werkes ist, sondern den meisten anderen ähnlichen Charakters gleichermaßen eigen ist. Was ich hier ausspreche, bedeutet dieses: daß namentlich die Vertreter der "österreichischen" Schule und alle, die in Wien das Licht der nationalökonomischen Welt erblicken, mit einer durchaus beschränkten Literaturkenntnis ihre Arbeiten vollbringen.

Hätte sich AMONN die Mühe gemacht, in meinen Werken auch nur zu blättern, so hätte er alsbald wahrgenommen, daß sie durchaus sin seinem Sinn orientiert sind. Aber das kann man von einem österreichischen Nationalökonomen nicht verlangen. Ich erachte es vielmehr als ganz in Ordnung, daß man mich in Wien nicht liest. Anders steht es nun aber mit den Werken der Männer, auf deren Schultern wie Heterodoxen stehen, mit den Werken von KARL RODBERTUS und namentlich KARL MARX. Wenn ein junger Autor, der über Grundprobleme der Nationalökonomie schreibt, auch diese Männer ignoriert, so bedeutet das schon einen argen Fehler in der Gesamtorganisation des Wissenschaftsbetriebes. Was für Mühe hätte AMONN sich (und uns welche Quälerei bei der Lektüre seines Buches) ersparen können, wenn er auf MARX weitergebaut hätte! Denn daß seine richtigen Grundgedanken sich (wenn auch nicht in methodologischer Schärfe, sie wäre eben hinzuzutun, aber im allein wichtigen Kern) nicht nur gelegentlich bei MARX finden, sondern daß sie diejenigen Gedanken sind, nach denen das ganze MARX'sche System orientiert ist, weiß jeder, der MARX kennt.  Und der Name Marx kommt in Ammons Buch überhaupt nicht vor;  ebensowenig übrigens wie der Name RODBERTUS. Bei der Erörterung des Begriffs  Ware,  des Kapitalbegriffs: kein Wort von MARX. Und doch trägt wiederum die Grundidee AMONNs bei der Feststellung gerade des Kapitalbegriffs (soweit sie richtig ist) durchaus ein MARX'sches Gepräge. Es ist die: daß der Kapitalbegriff ein sozialwissenschaftlicher ist und daß das Wesen des Kapitals darin beruth, daß es ein soziales Machtverhältnis begründet. Dieses ist, wie man weiß, wenn man nicht der österreichischen Schule entstammt, die tragende Idee von MARX' Lehrgebäude (und von MARX richtig, von AMONN falsch begründet). Angesichts dieser Tatsachen nimmt sich eine Anmerkung wie diese, die sich auf Seite 410 von AMONNs Buch findet - man kann es nicht anders bezeichnen als - grotesk aus:
    "Der Gedanke, daß das Wesen des Kapitals in einem sozialen Machtverhältnis liegt, findet sich schon - man höre und staune! - bei KOMORZYNSKI, Die nationalökonomische Lehre vom Kredit, Innsbruck 1903." (!)
Da AMONN MARX nicht kennt, so ist es nur selbstverständlich, daß er uns in ermüdender Breite Dinge erzählt, die unser tägliches wissenschaftliches Brot sind; daß er Seiten und Seiten füllt, um offene Türen einzustoßen. All diese Ausführungen sind ja gewiß nötig (und werden noch nicht einmal ausreichen), um die Bombenirrtümer BÖHM-BAWERKs und all der anderen, die nach ihm und ihm nach schreiben, zu widerlegen. Aber ist es denn am Platz, diese sozusagen inner-österreichische Angelegenheit vor der gesamten wissenschaftlichen Welt auszutragen? Hat es überhaupt für einen jungen, talentvollen Menschen einen Sinn, einen Karren, den seine Lehrer aus dem Sumpf gezogen haben, nun mit einem unendlichen Aufwand von Nachdenken und Fleiß herauszuholen, während er unterdessen auf der von andern längst gebahnten, richtigen Straße munter davon ziehen könnte? Ich meine: warum gibt man in Wien solchen jungen Leuten nicht MARX in die Hand? Mir kommt das so vor, als ob man einem Adepten der Philosophie sagen würde, daß sich die Kategorientafel KANTs mühsam zusammenstammeln läßt und ihm verschweigt, daß KANT eine "Kritik" geschrieben hat. Man munkelt, daß die theoretische Gegnerschaft der "Österreicher" gegen MARX letzten Endes in politischen Erwägungen ihren Grund hat. Das ist mir nicht recht verständlich. Denn man kann mit MARX'scher Wissenschaft im Leib ebensogut kapitalistisch wie sozialistisch wie keins von beiden gesinnt sein. Jedenfalls dürfte doch diese Angst vor den praktischen Konsequenzen der MARX'schen Anschauungen nicht so weit gehen, daß man die jungen Leute in den Seminaren ihre besten Jahre verlieren läßt damit, daß sie den längst entdeckten Nordpol noch einmal entdecken, weil sie die wichtigsten Systeme nicht kennen.


III.

Nunmehr sollen einige grundsätzliche Irrtümer aufgewiesen werden, die sich in den Ausführungen AMONNs finden. Am seltsamsten mutet seine Ansicht an: daß die "theoretische Nationalökonomie", wie er sie umschrieben hat, in keinerlei logischem Zusammenhang steht mit der "Wirtschaft", dem "Wirtschaftlichen", der "Volkswirtschaft" oder dergleichen, deren Begriff er überhaupt nicht für "eindeutig bestimmbar" hält. Diese Ansicht ist so sonderbar, daß ich den Autor mit seinen eigenen Worten sie äußern lassen will:
    "Die Beziehung der Sachgüter zur theoretischen Nationalökonomie ist als eine rein zufällige, nicht logisch notwendige oder wesentliche zu betrachten, das Kriterium der Sachlichkeit kann alos nicht als das für die Bestimmung des Objekts wesentliche angesehen werden." (Seite 85)

    "Die als theoretische Nationalökonomie, Sozialökonomik, Volkswirtschaftslehre oder wie immer bezeichnete Wissenschaft ist  nicht  eine Lehre, d. h. eine wissenschaftliche Darstellung und Erklärung von den ökonomischen oder wirtschaftlichen Erscheinungen ... Objekt der Nationalökonomie sind nicht die als  wirtschaftlich  bezeichneten Erscheinungen, sondern unter bestimmten Bedingungen entstehende soziale Beziehungen, die wohl oft im Zusammenhang mit gewissen wirtschaftlichen Erscheinungen auftreten, aber nicht notwendig an sie gebunden sind, sondern auch unabhängig von den als wirtschaftlich bezeichneten Erscheinungen existent werden können." (Seite 104.

    "Es ist nicht das  Wirtschaftliche  an den Tatsachen im gewöhnlichen Sinn, was die Nationalökonomie als ihr eigentliches Objekt interessiert, sondern eine ganz bestimmte Form sozialer Erscheinungen, die wohl hauptsächlich an wirtschaftlichen Tatsachen sichtbar sind, aber nicht an allen wirtschaftlichen Tatsachen notwendig als ihrem Wesen inhärent auftritt, noch lediglich an wirtschaftlichen Tatsachen (wenn sie z. B. im Sinne der auf Sachgüterversorgung gerichteten Tätigkeit aufgefaßt werden) ... Das spezifisch Nationalökonomische ist nicht notwendig mit dem Wirtschaftlichen verknüpft und nicht nur mit dem Wirtschaftlichen im gemeinsprachlichen Sinn. Beide Begriffe sind völlig disparat." (Seite 144)
Und so fast mit denselben Worten wird der Gedanken auf vielen anderen Seiten noch öfter wiederholt.

In diesen Feststellungen findet sich immer ein grundsätzlich richtiger Gedanke mit einem ebenso grundsätzlich falschen zusammengekoppelt. Richtig ist, wie ich das schon bestätigt habe, die Ansicht, daß nicht alle "wirtschaftlichen" Erscheinungen Objekte der theoretischen Nationalökonomie sind, weil diese eben nun die in einem bestimmten historischen Zusammenhang existent werdenden Probleme zum Gegenstand hat. Nicht in  jeder  Wirtschaft gibt es Preise, Unternehmungen, Kapital usw. Falsch dagegen ist die andere Meinung: daß nun die nationalökonomischen Probleme nicht immer wirtschaftlicher Natur sind, sondern sich auch auf nicht-wirtschaftliche Erscheinungen beziehen könnten. Sie sind vielmehr immer wirtschaftlicher Natur und verlieren allen Sinn, wenn man ihnen ihre Beziehung zum Wirtschaftlichen nehmen wollte. Bildlich kann man die in Frage stehenden drei Ansichten sich so verdeutlichen: falsch ist die von AMONN mit Recht bekämpfte Auffassung, wonach wirtschaftliche und nationalökonomische Probleme zwei sich deckenden Kreisen gleichen; falsch ist aber AMONNs Meinung, wonach sie zwei sich schneidende Kreise sind; richtig ist vielmehr, daß sie im Verhältnis zweier konzentrischer verschieden großer Kreise zueinander stehen: nicht alle wirtschaftlichen Probleme sind nationalökonomisch, wohl aber sind alle nationalökonomischen Probleme auch wirtschaftliche.

Seine Ansicht begründet AMONN wie folgt: Objekte der theoretischen Nationalökonomie sind Verkehrsvorgänge; Verkehrsvorgänge (= Tauschakte) beziehen sich offenbar auch auf nicht materielle Dinge; zum Beispiel werden Preise ebensogut für ideelle wie materielle Dinge bezahlt.
    "Nicht was etwa eine Produktionsunternehmung von einer Dienstvermittlungsunternehmung oder eine Warentransportunternehmung von einer Personentransportunternehmung unterscheidet, ist das wesentliche für die Nationalökonomie, sondern was alle Arten von Unternehmungen gemeinsam als  Unternehmung  aufweisen, ihre allgemeine soziale Erscheinungsform überhaupt." (Seite 158)
Der Irrtum, dem AMONN hier verfallen ist, liegt ziemlich deutlich zutage: er verwechselt in den angeführten Beispielen den Zweck der Unternehmung (Erzielung von Gewinn) oder die Grundlage der Unternehmung (Kapital) mit dem zufälligen Inhalt der Unternehmertätigkeit. Diese braucht natürlich keine auf Sachgüterbeschaffung gerichtete zu sein, braucht nicht "wirtschaftlicher" Natur zu sein, wenn es nur jene (Zweck und Grundlage) sind. Sind diese auch nicht "wirtschaftlicher" Natur, dann ist die "Unternehmung" auch kein Gegenstand nationalökonomischer Betrachtung: etwa ein Kriegszug oder eine Nordpolexpedition oder ein Theaterunternehmen. Diese erwecken unser Interesse als Nationalökonomen nur insofern sie mit der Sachgüterbeschaffung in Verbindung stehen, d. h. als "Erwerbs"- oder "kapitalistische" Unternehmung. Nur der Gewinn, den ein Theaterunternehmen erzielt, nur die Gagen der Schauspieler, nur der Fundus gehen uns etwas an, aber nicht das Repertoire und nicht die Rollenbesetzung und nicht die Regierführung, die doch alle offenbar allerwichtigste Bestandteile des Theaterunternehmens sind.

Ähnliche Versehen liegen den anderen Versuchen einer Beweisführung bei AMONN zugrunde. So wenn er folgendes sagt:
    "Nicht etwa das spezifisch Eigentümliche der Preise von Sachgütern, sondern das allgemeine Wesen der Preise überhaupt, wo immer sie auftreten, ist das Hauptsächliche für die Nationalökonomie. Und die Stellung eines Privatlehrers gegenüber seinen Kunden unterscheidet sich von der Stellung eines Warenhändlers gegenüber seinen Kunden für die nationalökonomische Betrachtung in gar keinem wesentlichen Punkt, so daß diese in die Wissenschaft hinein, jener aber nicht hinein gehört." (Seite 158)
Gewiß nicht. Aber was Privatlehrer und Warenhändler für uns allein interessant macht, ist, daß sie beide für ihre Leistungen  bezahlt  werden, d. h. daß ihre Leistungen einen Tauschwert haben, der sich letzten Endes auf ein Materielles beziehen muß. Nicht ob das,  was  einen Preis hat, der Sphäre des Wirtschaftlichen angehört, ist das wichtige, sondern,  daß  etwas, mag es selbst so ideell sein wie es will, einen Preis hat. Und der Privatlehrer geht uns nur etwas an, insofern er (mit letzthin materiellen Gütern) honoriert wird, aber nicht insofern er seine Lehrtätigkeit ausübt. An einer anderen Stelle will AMONN die Indifferenz des Tauschakte gegenüber dem Wirtschaftlichen erweisen, indem er sagt, daß ja auch z. B. Wahlstimmen gekauft würden. Ja, aber auch nur, wenn sie mit Geld (d. h. mit Sachgütern letzten Endes gekauft werden, interessiert uns der Vorgang; keineswegs ist es der Tauschakt als solcher, der uns beschäftigt. Wenn zwei politische Parteien ihre Stimmen austauschen; wenn zwei Theater ihre Sänger austauschen; wenn zwei Kontrahenten ihre Karten, zwei Staaten Noten austauschen, so past auf alle diese Vorgänge die formale Definition, die AMONN vom Tauschakt gibt, und doch enthält keine von ihnen ein nationalökonomisches Probleme, weil das Materiale fehlt.

Der Tatsache, daß mit dem "Preis", den ein Tauschobjekt hat, das spezifisch Wirtschaftliche, weil Materielle dem Tauschakt aufgeprägt wird, kann AMONN ihre Richtigkeit auch nicht mit der Behauptung absprechen, daß "der Preis wohl eine Quantität, aber nicht eine Quantität realer Güter, sondern eine Quantität, oder besser eine Zahl abstrakter, gedanklicher, aber gesellschaftlich fixierter Rechnungseinheiten" ist. (Seite 342). Er gibt selbst zu, daß "diese Einheiten ... einen sichtbaren, anschaulichen Ausdruck in einem realen oder empirischen Objekt erlangen, sich gleichsam in einem realen Gut verkörpern" (können), "und dies ist auch" - fährt er fort - "aus technischen Gründen in einem bestimmten historischen Entwicklungsstadium des gesellschaftlichen Verkehrs regelmäßig der Fall. Jene gesellschaftlich fixierte und allgemein als Preisausdrucksmittel anerkannte Einheit erscheint da im Geld realisiert" usw. (Seite 342) Er behauptet dann aber, dieser "Niederschlag" in einem Sachgut sei nicht notwendig, nur zufällig. Diese "nominalistische" Auffassung vom Geld ist es also, die ihn verführt hat, die letztlich materialistische Fundierung des Preises zu leugnen. Ich kann hier nicht ausführen, weshalb ich diese Ansicht für verfehlt halte. Ich will nur darauf verweisen, indem ich mich auf die zahlreichen Kritiken der KNAPP'schen Theorie beziehe, die offenbar für AMONN zum Verhängnis geworden ist, daß die "Idealität der als Preisausdrucksmittel dienenden sozial anerkannten Einheit" so lange eine unerwiesene Behauptung ist,  als der zwischenstaatliche Verkehr  - die Goldzahlung als einzige anerkennt.

Aber auch aus anderen und zwar methodologischen Gründen würde ich die Wegeskamotierung des materiellen Substrates aus dem Preisverhältnis für höchst bedenklich halten, weil wir damit den festen Halt für die Bestimmung nationalökonomischer Probleme geradezu verlieren, der feste Boden uns unter den Füßen weggezogen würde. Wir müßten nach einem solchen Kriterium für die Abgrenzung unseres Arbeitsgebietes  suchen,  weil wir ohne seine nützlichen Dienste ins Uferlose geraten würden. Dabei kann alles bestehen bleiben, was AMONN in zum Teil sehr feinsinniger Weise über die Idealität des Preisphänomens selber sagt.

Es muß also beim alten Aufbau bleiben: Gegenstand des Marktverkehrs sind Waren, d. h. Sachgüter, die aber als Tauschobjekte nicht als solche, sondern als Tauschwerte für uns allein in Betracht kommen. Eine dieser Waren ist das Geld. Tauschwerte (also Warencharakter) können dann später auch ideelle Dinge bekommen, indem sie einem Geldbetrag gleichgesetzt werden.

Werden wir doch vor lauter Gelehrsamkeit nicht blind, so daß wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Was uns an den Tauschproblemen interessiert, ist doch eben,  daß  materielle Dinge in ein bestimmtes Austauschverhältnis zueinander treten und  daß  schließlich auch immaterielle Dinge materialisiert werden, indem sie Tauschwert erhalten.' Immer ist es "der Erdenrest, zu tragen peinlich", der uns auch uns der Mühe zu unterziehen veranlaßt, Nationalökonomie zu treiben.

Nun wäre wohl aber AMONN gar nicht zu einer so extremen Auffassung gelangt, die so unzweckmäßig wie möglich ist, wenn er sich nicht in das Netzwerk eines andern scheinbar unlösbaren Problems verstrickt gefühlt hätte, aus dem er nicht anders herauszufinden gewußt hat, als indem er es zerhaut. Dieses für ihn unlösbare Problem war eine "eindeutige" Bestimmung des Begriffs "Wirtschaft". Nun ist dieses Problem in Wirklichkeit aber keineswegs unlösbar. Und AMONN selbst operiert des öfteren mit einem ziemlich eindeutigen Begriff des "Wirtschaftlichen" freilich in dem weiteren, ursprünglichen Verstand, den ich als "Unterhaltsfürsorge" bezeichnet habe, der aber für die Abgrenzung der Probleme der theoretischen Nationalökonomie ausreicht. Hier genügt in der Tat die Beziehung auf die Sachgüterbeschaffung, auf das Materielle, wie wir sagen. Im übrigen verweise ich den Leser auf meine Abhandlung "Die Elemente des Wirtschaftslebens" in diesem Archiv, Band 37. Ich sollte also meinen, daß eine nochmalige Durchdenkung der Probleme AMONN von der Möglichkeit, aber auch von der Notwendigkeit überzeugen müßte, die theoretische Nationalökonomie als eine Wissenschaft aufzufassen, die nicht nur zufällig (historisch), sondern logisch einen  Teil der Wirtschaftswissenschaft  bildet.


IV.

Ich habe schon angedeutet, daß ich der Meinung bin, AMONN habe die Aufgabe, die der vo nihm richtig abgegrenzten "theoretischen Nationalökonomie" im System der Wissenschaft vom Wirtschaftsleben zufallen soll, nicht völlig klar bezeichnet. Jedenfalls bedürfen seine Bemerkungen recht sehr der deutlichen Erklärung und wohl auch berichtigenden Ergänzung. Wir müssen uns zum Bewußtsein bringen, unter welchen Bedingungen es im Umkreis der Menschheitskultur, zu der wir das Wirtschaftsleben rechnen müssen, überhaupt von einer "theoretischen" Wissenschaft wie sie AMONN richtig faßt, also einer "Gesetzeswissenschaft" die Rede sein kann. Nur dann nämlich, wenn wir die Abstraktion bis zur Höhe einer völligen Isolierung einseitig gedachter Vorgänge steigern.  Das heißt: wenn wir  sämtliche  Bedingungen eines Geschehens bestimmt und eindeutig setzen und dann auf logischem Weg die Folgerungen aus den angenommenen Prämissen ziehen. Ein ökonomisches "Gesetz", das auf diesem Weg gefunden wird, ist also nichts anderes als ein in Gedanken konstruiertes Schema eines unter der Voraussetzung bestimmter Bedingungen "notwendig", d. h. logisch notwendig in einem bestimmten Sinn sich vollziehenden Ablaufs der Ereignisse. Diesem Schema entspricht keinerlei Wirklichkeit; es dient lediglich dazu sich in der chaotischen Fülle der empiristischen Gestaltungen zurechtzufinden. Ebensowenig wie ein Maß über wirkliche Größenverhältnisse etwas aussagt, ebensowenig ein "Preisgesetz" über wirkliche Preise.

Damit ich nun aber derartige logische Schemata herstellen kann, ist die gedanklich eindeutige Festlegung  sämtlicher  einen bestimmten Komplex von Erscheinungen bestimmenden und bedingenden Faktoren notwendig.  Und das hat Ammon übersehen.  In der Aufstellung der Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit "theoretische Nationalökonomie" möglich ist, fehlen einige der Grundbedingungen. AMONN zählt nämlich als solche Bedingungen nur bestimmte Formen der sozialen Organisation auf und nicht auch, was unerläßlich ist,  bestimmte seelische Einstellungen der handelnden Wirtschaftssubjekte.  Ja, er scheint sogar diese ganz mit Bewußtsein außer Betracht gelassen zu haben. Zumindest heißt es anmerkungsweise an einer Stelle (Seite 213):
    "Man denke an eine Stiftung, die Häuser baut und vermietet, zu diesem Zweck Baumaterialien kauft, Darlehen nimmt, Arbeitsverträge schließt usw., wobei der schließliche Ertrag einem wohltätigen Zweck zuzufließen bestimmt ist! Zugleich ein Beispiel, wie bedeutungslos die Motivation: Egoismus oder Altruismus, für die Bestimmung des Objekts der Nationalökonomie ist."
Und an einer anderen Stelle (Seite 411) kommt ein ähnlicher Gedanke zum Ausdruck: "Wir fassen die Unternehmung ... ohne spezielle Berücksichtigung ... einer bestimmten Absicht (Gewinnerzielung)."

Damit ist also jede Möglichkeit, "Gesetze" des Markges aufzustellen, ausgeschlossen. Die Marktlehre hört damit auf, Gegenstand einer "theoretischen" Wissenschaft zu sein und wird der "empiristisch-realistischen", "historischen" Betrachtungsweise überliefert. Denn in dem Augenblick, in dem ich bei der Preisbildung nicht eine bestimmte seelische Verfassung der Wirtschaftssubjekte gedanklich fixiere, muß ich die bunte, grundsätzlich unendlich mannigfaltige Einzelmotivierung als Triebkraft der Marktvorgänge annehmen und verrammle mir also den Weg zu jeder Behauptung einer Regelmäßigkeit. Die "Preislehre", die dann herauskommt, findet sich in klassischer Prägung in der geistvollen Abhandlung NEUMANNs über die Gestaltung der Preise in SCHÖNBERGs 'Handbuch. Sie ist das Muster einer "historischen", "realistischen" Behandlung des Preisproblems, der jeder "theoretische" Charakter fehlt. Dieser kann nur dadurch gewahrt werden, daß man eine einzige Motivation bei den handelnden Personen annimmt: den Wunsch, so billig wie möglich zu kaufen, so teuer wie möglich zu verkaufen, und indem man eine Reihe anderer Annahmen macht, die ebenfalls eine ganz bestimmte Geistesverfassung der Wirtschaftssubjekte hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp]: völlige Beherrschung der Warenkunde, Allwissenheit in Bezug auf die Marktlage.

Dasselbe gilt für die "theoretische" Behandlung aller "kapitalistischen" Probleme, die steht und fällt mit der Annahme oder Ablehnung eines allein herrschenden "Gewinnstrebens".

Nehme ich diesen Stein aus dem Gemäuer meiner Gedanken heraus, so schnurrt das ganze Gebäude zusammen wir der  Campanile  in Venedig. Ich kann keine, aber auch nicht eine, allgemeine Aussage über den Verlauf der kapitalistischen Wirtschaft machen, wenn ich die Motivation des kapitalistischen Unternehmers "empirisch-realistisch" fasse. Eine andere Frage ist es, die ich an mehreren Stellen früher erörtert habe: wie weit das als wirkende Ursache kapitalistischer Vorgänge  gedachte  (Verwertungsstreben des Kapitals" durch eine eigentümliche Verkettung von Umständen in der Wirklichkeit eine verhältnismäßig große Verbreitung findet, die an Allgemeinheit grenzt. ("Objektivierung des Gewinnstrebens"!) Dieses Problem ist bedeutsam, um die größere oder geringere Übereinstimmung der empirischen Gestaltung der Wirtschaftsvorgänge mit dem konstruierten Schema zu konstatieren. "Theoretisch" wird darum diese Feststellung einer empirischen Fast-Allgemeinheit einer treibenden Kraft keineswegs; "theoretisch" ein Problem behandeln, heißt logische, das heißt  absolute  Allgemeinheit und ausschließliche Gültigkeit feststellen, und diese logische Allgemeinheit ist  nur  zu erzielen durch eine gedankliche Fixierung eines einzigen, nur in einem bestimmten Sinn wirkenden Motivs, hier also des "Verwertungsstrebens des Kapitals".


V.

Indem so die "theoretische Nationalökonomie" als einzige Disziplin unter den Wirtschaftswissenschaften zur Würde einer "Gesetzeswissenschaft" emporsteigt, wird sie gleichzeitig zu einer reinen Hilfswissenschaft erniedrigt, die nichts anderes zu tun hat, als Schemata zu fabrizieren, mittels deren die tatsächlichen Zusammenhänge des Wirtschaftslebens besser erforscht werden können. Ich habe sie schon früher als "Propädeutik" der Volkswirtschaftslehre bezeichnet und glaube, daß dieser Ausdruck sie in die richtige Stellung zu den übrigen sozialen Wissenschaften stellt. Sie ist heute umso langweiliger als die Schemata im wesentlichen fertig sind, schon bei RICARDO im Grunde fertig waren und heute nur noch Korrekturen angebracht und Zusätze gemacht werden können. Leute von Geist werden sich so wenig wie möglich mit ihr beschäftigen. Hat man der "theoretischen Nationalökonomie" diese subalterne, dienende Rolle zugewiesen, dann braucht man sich auch nicht mehr über sie zu ärgern. Sicher ist sie "eine Art von englischem Sackleinen, um lauter  Güter  und  Waren  gewickelt" (GOTTL), verglichen mit der "Gottheit lebendigem Kleid", dessen Gewebe uns die Tatsachenforschung aufweisen soll. Aber sie will ja auch nur ein nützlicher Gebrauchsgegenstand sein. Ungerecht ist dann auch das Urteil desselben eben zitierten Autors, wenn er meint ("Herrschaft des Worts", Seite 174):
    "das gleichzeitige Walten der generalisierenden und isolierenden Abstraktion vereinfacht nicht schlechthin, es verzerrt; statt eines Gedankenbildes vom Flechtwerk ergibt sich gleich ein Jammerbild."
Das würde nur gelten, wenn die Schemata, die die "theoretische Nationalökonomie" anfertigt, für Wirklichkeit stehen wollten. Aber das wollen sie nicht. Sie verhalten sich zur Wirklichkeit nicht viel anders als ein Grundriß zu einem Gebäude oder auch ein Metermaß zu einem Gewebe. Man wird sich auch nicht entrüsten, daß ein hölzernes Metermaß ein trockener Bursche ist und nichts von den Schönheiten des Brokatstoffes aufweist, der mit seiner Hilfe gemessen ist.

AMONN selbst behandelt das Problem des Gesamtsystems der "Wirtschaftswissenschaften" nur im Vorbeigehen. Soviel ich sehe, sind seine Grundauffassungen richtig,  wenn  er die "theoretische Nationalökonomie" in dem eben bezeichneten Sinn faßt. Dann stehen ihr eine "historische" ("realistisch-empirische") Wirtschaftslehre und eine "praktische" Volkswirtschaftslehre gleichermaßen gegenüber. Doch will ich ebenfalls die Erörterung dieses besonderen Problems hier nicht weiter verfolgen, sondern für eine spätere Gelegenheit aufsparen.
LITERATUR Werner Sombart, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 38, Tübingen 1914