ra-2ra-2 Wie wir arbeiten und wirtschaften müssenDie Idee der Selbstgenügsamkeit    
 
ANDREW CARNEGIE
Das Evangelium des Reichtums

"Es wäre besser für die Menschheit, daß die Millionen der Reichen ins Wasser geworfen würden als daß sie ausgegeben werden, die Faulen, die Trunksüchtigen, die Unwürdigen zu unterstützen. Von jedem heute zu sogenanntem Liebeswerk ausgegebenen 1000 Dollar werden wahrscheinlich 950 unklug ausgegeben, so ausgegeben fürwahr, daß sie gerade die Übel, die sie mildern oder heilen sollen, erst hervorrufen. Der ist der wahre Verbesserer, der ebenso bedacht und bestrebt ist, den Unwürdigen nicht zu helfen, wie den Würdigen zu helfen."

I.
Das Problem der Verwaltung des Reichtums

Das Problem unserer Zeit liegt in der rechten Verwaltung des Reichtums, in der harmonischen Vereinigung des Reichen und des Armen durch die Bande der Brüderlichkeit. Die Bedingungen des menschlichen Lebens haben innerhalb der letzten paar Jahrhundert nicht nur eine Veränderung, sondern eine Umwälzung erfahren. In früheren Zeiten unterschieden sich Wohnung, Kleidung, Nahrung und Umgebung des Herrn wenig von der seiner Dienstleute. Die Indianer sind heute, wo damals der Kulturmensch war. Als ich die Sioux besuchte, führte man mich zum Wigwam des Häuptlings. Es war den übrigen in der äußeren Erscheinung gleich und hob sich auch im Innern von denen seiner ärmsten Streiter kaum ab. Der Gegensatz zwischen dem Palast des Millionärs und der Hütte des Arbeiters in unserer Zeit läßt die Veränderung ermessen, die mit der Zivilisation gekommen ist. Diese Veränderung ist jedoch nicht zu beklagen, sondern als höchst nützlich zu begrüßen. Es ist gut, ja wesentlich für den Fortschritt des Menschengeschlechts und besser, daß die Häuser einzelner für alles Höchste und Beste in der Literatur und Kunst und alle Verfeinerungen der Kultur Heimstätten bieten, als wenn es solche überhaupt nicht gäbe. Viel besser diese große Ungleichheit als allgemeiner Unflat. Ohne Reichtum auch keine Mäzene. Die "guten alten Zeiten" waren keine guten alten Zeiten. Weder Herr noch Diener waren so wohl gestellt wie heute. Ein Rückfall in die alten Zustände wäre unheilvoll für beide, nicht zuletzt für den, der dient und würde die Zivilisation mit hinwegfegen. Aber wie dem auch sei: Der Wandel zum Guten oder Schlechten, er ist da, ist durch keine Macht abzuändern, und wir müssen ihn darum annehmen und das Beste daraus zu machen suchen. Das Unvermeidliche zu tadeln, wäre Zeitverschwendung.

Wie die Umwandlung gekommen ist, ist leicht ersichtlich. Ein Beispiel wird genügen, jede der einzelnen Wandlungen zu erklären. In der Erzeugung der Güter haben wir die ganze Entwicklung. Sie paßt auf alle Beziehungen menschlicher Betriebsamkeit, wie sie die Erfindungen unseres wissenschaftlichen Zeitalters mit sich gebracht und ausgedehnt haben. Früher wurden die Gegenstände im häuslichen Familienkreis oder in kleinen Werkstätten hergestellt, die einen Teil der Haushaltung bildeten. Der Meister und seine Lehrlinge arbeiteten Seite an Seite, wobei die letzteren beim Meister wohnten und daher unter denselben Bedingungen lebten. Wenn diese Lehrlinge zum Meister aufstiegen, trat in ihrer Lebensweise wenig oder kein Wechsel ein, und ihrerseits erzogen sie nun nachfolgende Lehrlinge in dem gleichen, gewohnheitsmäßigen Lauf. Es herrschte im wesentlichen gesellschaftliche Gleichheit und selbst politische Gleichheit, denn die in gewerblichen Berufen stehenden hatten damals überhaupt wenig oder gar nichts im Staate zu bedeuten.

Die notwendige Folge einer solchen Herstellungsweise waren grobe Erzeugnisse bei hohen Preisen. Heute erhält die Welt Waren von ausgezeichneter Beschaffenheit zu Preisen, die selbst das letzte uns vorangegangene Geschlecht für unmöglich gehalten hätte. Auf dem Gebiet des Handelns haben ähnliche Ursachen ähnliche Wirkungen herbeigeführt, und die Menschheit hat den Gewinn davon. Der Arme genießt, was ehedem der Reiche nicht erreichen konnte. Was Gegenstände des Luxus waren, sind Lebensbedürfnisse geworden. Der Arbeiter hat gegenwärtig mehr Annehmlichkeiten als vor einigen Menschenaltern der Pächter. Der Pächter erfreut sich eines größeren Wohllebens als ehedem der Grundeigentümer, er ist besser gekleidet und wohnt besser. Der Grundeigentümer besitzt kostbare Bücher und Bilder und eine kunstvollere Einrichtung als sie früher einem König erreichbar waren.

Der Preis, den wir für diese heilsame Veränderung zahlen, ist ohne Zweifel hoch. Wir versammeln in der Fabrik, im Bergwerk Tausende von Handarbeitern, die der Arbeitgeber nur wenig oder nicht kennen kann und denen er kaum mehr ist, als ein Held der Sage. Jeder Verkehr zwischen ihnen ist zu Ende. Strenge Kasten haben sich gebildet, und wie gewöhnlich gebiert die gegenseitige Unkenntnis gegenseitiges Mißtrauen. Jede Kaste ist ohne Mitgefühl für die andere und bereit, alles zu glauben, was jene herabsetzt. Die Gesetze des Wettbewerbs zwingen den Arbeitgeber Tausender von Menschen zu den genauesten Ersparnissen, wobei die für die Arbeit gezahlten Sätze eine hervorragende Rolle spielen, und oft kommt es zur Reibung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Reich und Arm. Die menschliche Gesellschaft verliert die Homogenität.

Der Preis, den die Gesellschaft dem Gesetz des Wettbewerbs entrichtet, ist wie der Preis, den sie für billige Behaglichkeit und Üppigkeit zahlt, hoch, aber dafür sind die Vorteile dieses Gesetzes noch größer als seine Kosten - denn diesem Gesetz verdanken wir unsere wundervolle materielle Entwicklung, die die verbesserten Lebensbedingungen im Gefolge führt. Aber, mag das Gesetz eine Wohltat sein oder nicht, es gilt von ihm dasselbe wie von der Veränderung der menschlichen Lebensbedingungen, auf die wir hingewiesen haben: Es ist da, wir können uns ihm nicht entziehen, nichts anderes an seine Stelle setzen und während es für den Einzelnen manchmal eine Härte sein mag, ist es für die Menschheit das Beste, weil es in jedem Lebenskreis die Erhaltung der Tauglichsten gewährleistet. Wir nehmen daher die große Ungleichheit der Umwelt, die Vereinigung des Geschäfts in Gewerbe und Handel in den Händen weniger und das Gesetz des Wettbewerbs zwischen diesen als etwas für den künftigen Fortschritt der Menschheit nicht nur Nützliches, sondern Wesentliches an und erblicken darin Bedingungen, denen wir uns anzupassen haben. Hieraus folgt, daß für besondere Fähigkeiten des Kaufmanns und Industriellen, der Geschäfte in großem Maßstab zu führen hat, ein weiter Spielraum vorhanden sein muß. Daß ein solches Organisations- und Verwaltungstalent unter den Menschen selten ist, erhellt sich aus der Tatsache, daß es seinem Besitzer, stets einen außerordentlich hohen Lohn sichert. Die in den Geschäften erfahrenen betrachten in erster Linie stets die Persönlichkeit, die mit ihren Diensten als Gesellschafter gewonnen werden kann, so daß die Frage des Kapitals daneben kaum mehr von Belang bleibt, denn: befähigte Männer schaffen bald Kapital; in den Händen solcher ohne die erforderliche, besondere Gabe verfliegt das Kapital dagegen bald. Solche Männer werden an Firmen und Gesellschaften, die mit Millionen arbeiten, beteiligt, und nimmt man auch nur an, das angelegte Kapital verzinse sich einfach, so ist es doch unausbleiblich, daß ihr Einkommen ihren Aufwand übersteigt, sie infolgedessen Reichtum anhäufen. Auch gibt es nicht irgendeine große gewerbliche oder Handelsunternehmung, die nicht wenigstens die Zinsen ihres Kapitals verdient, bald eingeht. Sie muß entwerder vorwärts gehen oder zurückbleiben, Stillstand ist unmöglich. Es ist eine wesentliche Bedingung für ihr erfolgreiches Wirken, daß sie soweit gewinnbringend sein, ja sogar, daß sie über die Verzinsung des Kapitals hinaus Gewinn abwerfen muß. Es ist mithin ein ebenso sicheres Gesetz, wie irgendeins der oben erwähnten, daß Männer im Besitz dieses besonderen Geschäftstalents notwendigerweise bald mehr Einkommen beziehen, als eigentlich auf sie entfallen dürfte, und dieses Gesetz ist ebenso nützlich für die Menschheit wie die andern.

Einwendungen gegen die Grundlage, auf denen die Gesellschaft beruth, sind nicht am Platz, weil die Lebensbedingungen der Menschheit mit dieser Grundlage besser sind, als mit irgendwelchen anderen, die man zu schaffen versucht hat. Der Wirkung neuer vorgeschlagener Ersatzmittel können wir nicht sicher sein. Der Sozialist oder Anarchist, der die gegenwärtigen Verhältnisse umzustürzen versucht, ist als jemand anzusehen, der die Grundlage der Kultur selbst angreift, denn die Kultur ging von dem Tag aus, an dem der fähige, fleißige Arbeiter zu seinem untauglichen und trägen Genossen sagte: "Wenn du nicht säest, sollst du nicht ernten," und auf diese Weise endete der anfängliche Kommunismus durch die Trennung der Drohnen von den Bienen. Wer darüber nachdenkt, wird sich bald vor die Schlußfolgerung gestellt sehen, daß die Kultur selbst von der Anerkennung des Eigentums abhängt - das Recht des Arbeiters auf seine hundert Dollar in der Sparkasse in gleicher Weise wie das gesetzliche Recht des Millionärs auf seinen Millionen. Es muß jedermann gestattet sein "unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum zu sitzen, ohne jemanden fürchten zu müssen," wenn die menschliche Gesellschaft fortschreiten oder auch nur den erreichten Stand behaupten soll. Für diejenigen, die diesen starken Individualismus durch den Kommunismus ersetzen wollen, lautet die Antwort: Die Menschheit hat das versucht. Alle Fortschritte aus jenen barbarischen Zeiten bis zur Gegenwart haben sich aus dessen Verdrängung ergeben. Nichts Böses, sondern Gutes ist der Menschheit aus der Anhäufung des Reichtums durch diejenigen erwachsen, die die Fähigkeit und Tatkraft besessen haben, ihn hervorzubringen. Aber selbst wenn wir auch nur einen Augenblick zugeben, daß es für die Menschheit besser sein könnte, ihre jetzige Grundlage, den Individualismus zu verwerfen, - daß es ferner ein edleres Ideal für den Menschen sei, nicht für sich selbst allein, sondern innerhalb und zum Nutzen einer Brüderschaft von Genossen zu arbeiten, mit ihnen alles gemeinschaftlich zu teilen und so SWEDENBORGs Idee vom Himmel zu verwirklichen, wo die Glückseligkeit der Engel, wie dieser sagt, nicht von der Arbeit für sich, sondern füreinander herstammt - selbst all dies zugegeben, so bleibt doch immer die Antwort: Dies ist nicht Evolution, sondern Revolutioni. Es wäre eine Änderung der menschlichen Natur selbst erforderlich - eine Äonenarbeit, selbst wenn die Änderung gut wäre, was man nicht wissen kann.

In unseren Tagen oder unserem ist sie nicht durchführbar. Selbst wenn sie theoretisch wünschenswert ist, gehört sie einer anderen, erst später folgenden soziologischen Ablagerung an. Unsere Pflicht verweist und auf das, was jetzt und mit den nächsten innerhalb unserer Zeit und Generation möglichen Schritten zu erzielen ist. Es ist sträflich, unsere Kräfte in dem Bemühen zu verschwenden, den ganzen Baum der Menschheit aus den Wurzeln zu reißen, wenn alles, was wir mit Nutzen erreichen können, darin besteht, ihn ein wenig nach der Richtung zu biegen, die der Erzeugung guter Früchte unter den vorhandenen Umständen am günstigsten ist. Ebensogut wie die Ausrottung des Individualismus, des Privateigentums, der Gesetze der Kapitalanhäufung und des freien Wettbewerbs könnten wir die Ausrottung der höchsten auf der Erde vorkommenden Menschengattung betreiben, weil sie unser Ideal zu erreichen verfehlte; denn diese Einrichtungen und Gesetze sind der höchste Erfolg menschlicher Erfahrung, der Boden, auf dem die Gesellschaft bisher die besten Früchte hervorgebracht hat. So ungleich oder ungerecht, wie sie vielleicht zuweilen wirken und so unvollkommen, wie sie dem Idealisten erscheinen mögen, sind sie nichtsdestoweniger, gleich der höchsten Menschengattung, das beste und wertvollste von allem, was die Menschheit bis jetzt zur Entfaltung gebracht hat.

Wir gehen also von einem Stand der Dinge aus, der den besten Interessen der Menschheit förderlich ist, der Reichtumg aber unvermeidlich nur Wenigen beschert. Insoweit kann mann dann die Lage, wenn man die Verhältnisse nimmt, wie sie sind, über sehen und als gut bezeichnen. Es erhebt sich nun die Frage - und wenn das Vorhergehende richtigt ist, ist es die einzige Frage, mit der wir uns zu befassen haben: Welches ist die richtige Art und Weise, den Reichtum zu verwalten, den die Gesetze, auf welchen die Kultur begründet ist, den Wenigen in die Hände gelegt haben? Und für diese große Frage glaube ich, die richtige, wahre Lösung angeben zu können. Ich schicke voraus, daß im folgenden nur von großen Vermögen die Rede ist, nicht von bescheidenen, in vielen Jahren mühevoll ersparten Summen, deren Erträge zur behaglichen Unterhaltung und zur Erziehung von Familien gebraucht werden. Denn das ist nicht Reichtum, sondern nur hinlängliches Auskommen, und ein solches zu erwerben, sollte im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft das Ziel aller sein.

Es gibt nur drei Formen, über überschüssigen Reichtum zu verfügen. Er kann den Familien der Verstorbenen hinterlassen werden, oder er kann für öffentliche Zwecke vermacht werden, oder endlich, er kann von seinen Besitzern während ihrer Lebzeiten verwaltet werden. In der ersten und zweiten Form ist der meiste Reichtum der Welt, der den Wenigen zugekommen ist, seither verwendet worden. Betrachten wir nacheinander jede dieser Formen. Die erste ist die unvollständigste. In monarchischen Ländern werden der Landbesitz und der größte Teil des Vermögens dem ersten Sohn hinterlassen, damit die Eitelkeit des Vaters durch den Gedanken befriedigt wird, daß sein Name und Titel unvermindert auf die nachfolgenden Generationen übergehen werden. Der heutige Zustand dieser Klasse in Europa lehrt, daß solche Hoffnungen oder solcher Ehrgeiz trügen. Die Nachfolger sind oft durch ihre Torheiten oder durch das Fallen des Bodenwertes verarmt. Selbst in Großbrittannien hat man das strenge Gesetz eines unveräußerlichen Erblehens nicht für geeigent befunden, eine erbende Klasse dadurch weiter zu erhalten. Sein Grund und Boden befindet sich im raschen Übergang in die Hände Fremder. Unter republikanischen Einrichtungen ist die Verteilung des Eigentums an die Kinder ja viel gerechter, aber die Frage, die sich in allen Ländern dem Denkenden aufdrängt, ist die: Warum sollen die Menschen ihren Kindern große Vermögen hinterlassen? Wenn es aus Liebe geschieht, ist es dann nicht eine falsch geleitete Liebe? Die Wahrnehmung lehrt, daß es für die Kinder, allgemein gesprochen, nicht gut ist, wenn man sie mit einer solchen Bürde belastet. Ebensowenig gut ist es für den Staat. Mehr vorzusehen als bescheidene Einkommensquellen für die Frau und die Töchter und sehr bescheidene Beträge, wenn überhaupt welche, für die Söhne, möge man wohl Bedenken tragen, denn es steht außer Frage, daß große hinterlassene Summen oft mehr zum Schaden als zum Nutzen der Empfänger wirken. Weise Leute werden bald den Schluß ziehen, daß solche Vermächtnisse im Hinblick auf das wahre Interesse ihrer Familienglieder wie des Staates einen unrichtigen Gebrauch ihrer Mittel darstellen.

Es ist dies nicht so zu verstehen, daß diejenigen, die es unterlassen haben, ihre Söhne zum Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu erziehen, sie aufs geradewohl der Armut preisgeben zu sollen. Wenn es jemand passend gefunden hat, seine Söhne in der Absicht großzuziehen, daß sie ein träges Leben führen sollen, oder ihnen, was sehr lobenswert wäre, das Gefühl eingeflößt hat, daß sie ohne Rücksicht auf den Geldpunkt für öffentliche Zwecke wirken können, so ist es dann natürlich seine Vaterpflicht, zuzusehen, daß in maßvoller Weise für sie gesorgt ist. Es gibt Beispiele von Millionärssöhnen, die, reich aber durch den Reichtum unverdorben, dem Volk noch große Dienste leisten. Sie sind das wahre Salz der Erde und ebenso wertvoll wie sie leider selten sind. Man muß indessen nicht die Ausnahme, sondern die Regel ins Auge fassen, und ein denkender Mensch, der die gewöhnliche Folge der Übertragung ungeheurer Summen auf Erben betrachtet, muß sich einfach sagen: "Ich möchte meinem Sohn lieber einen Fluch als den allmächtigen Dollar hinterlassen," und sich selbst eingestehen, daß nicht das Wohl der Kinder, sondern der Familienstolz diese Vermächtnisse eingibt.

Was die zweite Form anlangt: den Reichtum beim Tod zu öffentlicher Benutzung zu hinterlassen, so darf man sagen, daß das ein bloßes Mittel der Verfügung über Reichtum ist, wenn sich jemand begnügt zu warten, bis er tot ist, um in der Welt noch zu etwas gut zu sein. Die Kenntnis der Wirkungen solcher Legate ist nicht dazu angetan, die glänzendsten Hoffnungen zu erwecken, daß durch sie nach dem Tod viel Gutes gestiftet wird. Der Fälle sind nicht wenige, wo der wirkliche, vom Erblasser verfolgte Zweck nicht erreicht wird, auch kommt es nicht selten vor, daß seine wirklichen Wünsche völlig durchkreuzt werden. In vielen Fällen werden die Vermächtnisse so benutzt, daß sie nur zu Denkmälern seiner Torheit werden. Es ist deshalb gut, daran zu erinnern, daß es kein geringeres Geschick erfordert, um Reichtum in einer der Gesamtheit wahrhaft nützlichen Weise zu verwenden, als Reichtum zu erwerben. Außerdem kann man wohl sagen, daß niemand für das zu loben ist, was er schließlich tun muß, auch schuldet ihm das Gemeinwesen, dem er nur beim Tod Reichtum hinterläßt, keinen Dank. Von Leuten, die auf diese Weise unermeßliche Summen hinterlassen, darf man ohne weiteres annehmen, daß sie überhaupt nichts hinterlassen haben würden, wenn sie es hätten mitnehmen können. Ihr Gedächtnis kann nicht in dankbarer Erinnerung bewahrt werden, denn aus ihren Gaben spricht kein Wohlwollen. Man braucht sich nicht zu wundern, daß solchen Vermächtnissen so allgemein der Segen zu fehlen scheint.

Die zunehmende Neigung, großen, beim Tod hinterlassenen Besitz immer höher zu besteuern, ist ein tröstliches Anzeichen dafür, daß sich in der öffentlichen Meinung ein heilsamer Wechsel vollzieht. Der Staat Pennsylvanien nimmt jetzt - mit einigen Ausnahmen - ein Zehntel des von seinen Bürgern hinterlassenen Eigentums. das dem britischen Parlament kürzlich vorgelegte Budget enthielt den Vorschlag, die Erbschaftssteuern zu erhöhen, und zwar soll die neue Steuer bezeichnenderweise eine abgestufte sein. Von allen Formen der Besteuerung scheint dies die weiseste. Denjenigen, die ihr ganzes Leben lang fortgesetzt große Summen aufhäufen, deren richtige Verwendung zu öfffentlichen Zwecken der Gesamtheit, aus der sie hauptsächlich flossen, Nutzen bringen würde, sollte zum Bewußtsein gebracht werden, daß die den Staat bildende Gesamtheit nicht in dieser Weise ihres eigenen Anteils beraubt werden darf. Durch die hohe Besteuerung des Besitzes beim Todesfall bekundet der Staat seine Verurteilung des unwürdigen Lebens selbstsüchtiger Millionäre.

Es wäre wünschenswert, daß die Staaten in dieser Richtung viel weiter gingen. Allerdings ist es schwer, denjenigen Teil des Vermögens eines reichen Mannes zu bestimmen, der bei dessen Tode durch die Vermittlung des Staates dem Gemeinwohl zukommen soll, und auf jeden Fall müßten solche Steuern derart abgestuft werden, daß bescheidene Summen für Dienende befreit bleiben und mit den anschwellenden Beträgen dann eine recht rasche Steigerung eintritt, bis von des Millionärs Schätzen, wie denen SHYLOCKs wenigstens die andere Hälfte in den geheimen Schrein des Staates fließt. Diese Politik würde dazu beitragen, den Reichen zu bestimmen, der Verwaltung des Reichtums zu Lebzeiten zu obliegen, ein Ziel, welches die Gesellschaft, als das bei weitem Ersprießlichste für das Volk, stets im Auge behalten sollte. Es braucht auch nicht befürchtet zu werden, daß diese Politik den Unternehmungsgeist in seinen Wurzeln untergraben und die Menschen weniger bestrebt zum Geldanhäufen machen würde, denn der Klasse, deren Ehrgeiz es ist, große Vermögen zu hinterlassen um nach dem Tod besprochen zu werden, wird es nur noch mehr Beachtung und eine etwas edlere Genugtung verschaffen, ungeheure Summen aus ihrem Vermögen dem Staat gezahlt zu haben.

Es verbleibt also nur ein Modus, große Vermögen zu benutzen, aber in ihm besitzen wir das wahre Heilmittel gegen die zeitweilig ungleiche Verteilung des Reichtums, die Aussöhnung der Reichen und Armen - ein Reich der Harmonie, ein neues Ideal, das freilich von dem der Kommunisten abweicht, indem es nur die Weiterentwicklung bestehender Verhältnisse, nicht den gänzlichen Umsturz unserer Kultur verlangt. Es stützt sich auf den gegenwärtigen höchsten Individualismus und die Menschheit ist vorbereitet, es schrittweise praktisch anzuwenden, so oft es Anklang findet. Unter seinen Schwingen werden wir einen idealen Staat haben, in dem der überschüssige Reichtum der Wenigen für das gemeinschaftliche Wohl verwaltet und daher im besten Sinne das Eigentum der vielen andern wird, und dieser Reichtum, der durch die Hände der Wenigen geht, kann ein viel wirksamere Kraft zur Hebung der Menschheit werden, als wenn er in kleinen Summen an das Volk verteilt würde. Selbst die Ärmsten werden sich davon überzeugen lassen und zugeben, daß große Summen, die von einigen ihrer Mitbürger angesammelt und für öffentliche Zwecke ausgegeben worden sind, um der großen Menge zum Vorteil zu gereichen, wertvoller für sie sind, als wenn sie unter ihnen nur in geringfügigen Beträgen im Laufe vieler Jahre verstreut worden wären.

Betrachtet man die Wohltaten, die sich zum Beispiel aus dem COOPER-Institut auf den besten Teil der mittellosen Bevölkerung New Yorks ergießen und vergleicht man sie mit den Vorteilen, die der großen Masse aus einer gleichen, von Mr. COOPER zu seinen Lebzeiten in der Form von Löhnen verteilten Summe entstanden wären - und dies würde, da für getane Arbeit und nicht aus Mildtätigkeit geschehen, die höchste Form der Verteilung gewesen sein - so kann man sich von den Möglichkeiten zur Hebung der Menschheit, die das jetzige Gesetz der Anhäufung von Reichtum birgt, einen Begriff machen. Viel von dieser Summe wäre bei einer Verteilung in kleinen Mengen unter das Volk zu übermäßiger Befriedigung der Eßlust verschwendet worden, und man darf bezweifeln, ob selbst der am besten, nämlich zur Erhöhung der häuslichen Behaglichkeit angewandte Teil für die Menschheit als solche Erfolge gezeitigt hätte, die denen, welche dem COOPER-Institut entspringen und von Generation zu Generation noch entspringen sollen, überhaupt vergleichbar sind. Die Verfechter eines gewaltsamen Wechsels von Grund auf mögen diesen Gedanken wohl erwägen.

Man könnte sogar so weit gehen, ein anderes Beispiel zu nehmen, dasjenige Mr. TILDENs Vermächtnisses von fünf Millionen Dollar für eine freie Bibliothek in der Stadt New York; aber mit Bezug darauf muß man sich unwillkürlich sagen: Wie viel besser wäre es gewesen, hätte Mr. TILDEN die letzten Jahre seines eigenen Lebens der richtigen Verwaltung dieser unermeßlichen Summe gewidmet, da dann weder Rechtsstreitigkeiten noch sonstige Verzögerungsgründe die Verwirklichung seiner Ziele hätten stören können. Nehmen wir indessen an, daß Mr. TILDENs Millionen schließlich noch dazu dienen werden, unserer Stadt eine prächtige öffentliche Bibliothek zu geben, wo die in Büchern enthaltenen Schätze der Welt jedermann unentgeltlich und kostenlos immerdar offenstehen sollen. Erwägt man das Wohl jenes Teils der Bevölkerung, der sich in und um Manhattan Island befindet, so ensteht die Frage: Wäre sein dauernder Vorteil besser gefördert worden, wenn man diese Millionen in kleinen Summen durch die Hände der großen Masse hätte laufen lassen? Selbst der eifrigste Verteidiger des Kommunismus muß dies bezweifeln. Die meisten derjenigen, die nachdenken, werden nicht den geringsten Zweifel hegen.

Unser Wirken in diesem Leben ist armselig und beschränkt, unser Gesichtskreis eng und unsere beste Arbeit höchst unvollkommen, aber die Reichen sollten für eine unschätzbare Gnade dankbar sein. Es steht in ihrer Macht, sich während ihres Lebens mit Eifer der Schaffung von Wohltaten zu weihn, aus der die große Masse ihrer Mitmenschen dauernd einen Vorteil ziehen wird, und auf diese Weise ihr eigenes Leben mit Würde umkleiden. Das höchste Lebensideal ist wohl nicht durch eine solche Nachahmung des Lebens CHRISTI zu erreichen, wie sie uns Graf TOLSTOI zeigt, sondern dadurch, daß wir, von CHRISTI Geist beseelt, die veränderten Bedingungen unseres Zeitalters gleichwohl anerkennen und diesen Geist in neuen, unseren heutigen Verhältnissen angepaßten Formen Ausdruck finden lassen, um unausgesetzt, wie dies das Wesen seines Lebens und seiner Lehre ausmachte, zum Besten unserer Mitmenschen zu wirken, sei es auch in einer anderen Art und Weise.

Als Pflicht des reichen Mannes ist es demnach zu erachten, daß er unter Vermeidung von Pomp und Übertreibung ein Beispiel bescheidenen, prunklosen Lebens gibt, maßvoll für die berechtigten Bedürfnisse der von ihm abhängigen sorgt und dementsprechend alle ihm zufallenden, überschießenden Einkünfte bloß als anvertraute Fonds betrachtet, welche er zu verwalten berufen und pflichtgemäß so zu verwalten gebunden ist, wie es ihm für das Wohl der Gesamtheit am geeignetsten erscheint. Der Mann mit Reichtum wird dadurch der bloße Bevollmächtigte und Vertreter seiner ärmeren Brüder, indem er seine höhere Einsicht und Erfahrung und sein Verwaltungstalent in ihren Dienst stellt und für sie besseres vollbringt, als sie für sich selber vollbringen würden und könnten.

Wir stoßen hier auf die Schwierigkeit zu bestimmen, was den Familienmitgliedern zu hinterlassende Summen sind, was bescheidenes, prunkloses Leben ist, was das Merkmal der Verschwendung bildet. Die Antwort lautet, daß es ebenso unmöglich ist, dafür bestimmte Beträge oder Handlungen zu bezeichnen, wie es unmöglich wäre, den Begriff des guten Tones, des guten Geschmacks oder die Regeln der Schicklichkeit zu bestimmen; nichtsdestoweniger sind dies zwar unbestimmte, aber wohlbekannte Normen, deren Übertretung die öffentliche Meinung rasch erkennt und empfindet. Ebenso im Falle des Reichtums. Die Regel hinsichtlich des guten Geschmacks in der Männer- oder Frauenkleidung findet hier Anwendung. Was jemanden nur hervorragen lassen soll, verletzt den Kanon. Wenn eine Familie hauptsächlich wegen ihres Aufwandes, wegen ihrer Verschwendung für Wohnung, Tafel oder Kleidung, wegen großer zu sonstigen Zwecken prahlerisch ausgegebener Summen bekannt ist und dies ihre Hauptvorzüge sind, fällt es nicht schwer, ihre Art und ihren Bildungsstand zu beurteilen. Ebenso steht es auch hinsichtlich des Gebrauchs oder Mißbrauchs ihres überschüssigen Reichtums, hinsichtlich der großmütigen, freigiebigen Mitwirkung für öffentliche Zwecke, hinsichtlich der unablässigen Bemühungen, bis zuletzt Geld anzuhäufen und Schätze zu sammeln und hinsichtlich deren Verwaltung oder Hinterlassenschaft. Das Urteil bleibt dem besten Empfinden und der aufgeklärtesten Meinung der Öffentlichkeit überlassen. Die Gesamtheit wird sicherlich ihr Urteil fällen, und ihre Urteile werden nicht oft falsch sein.

Die besten Anwendungen, die überschüssiger Reichtum finden kann, sind schon angedeutet worden. Diejenigen, welche solchen weise verwalten wollen, müssen allerdings selbst weise sein, denn eines der ernsthaftesten Hindernisse für die Hebung der Menschheit ist unterschiedslose Mildtätigkeit. Es wäre besser für die Menschheit, daß die Millionen der Reichen ins Wasser geworfen würden als daß sie ausgegeben werden, die Faulen, die Trunksüchtigen, die Unwürdigen zu unterstützen. Von jedem heute zu sogenanntem Liebeswerk ausgegebenen 1000 Dollar werden wahrscheinlich 950 unklug ausgegeben, so ausgegeben fürwahr, daß sie gerade die Übel, die sie mildern oder heilen sollen, erst hervorrufen. Ein bekannter philosophischer Schriftsteller gestand neulich, daß er einen Vierteldollar einem Mann gegeben hatte, der sich ihm näherte, als er das Haus eines Freundes betreten wollte. Er wußte nichts von der Lebensweise dieses Bettlers, kannte nicht den Gebrauch, den jener von seinem Geld machen würde, obgleich er allen Grund hatte, zu befürchten, daß es in ungeeigneter Weise ausgegeben würde. Dieser Mann bekannte sich als Schüler HERBERT SPENCERs, der jenen Abend hingegebene Vierteldollar dürfte aber mehr Unheil anrichten, als all das Geld Gutes wirken wird, welches sein gedankenloser Geber jemals in wahrer Nächstenliebe wird hergeben können. Er befriedigte lediglich seine eigenen Gefühle, ersparte sich Verdruß - und das war jedenfalls eine der selbstsüchtigsten und schlechtesten Handlungen seines Lebens, denn in allen Beziehungen ist er sonst höchst schätzenswert.

Bei der Ausübung von Mildtätigkeit sollte die hauptsächlichste Erwägung sein: denen zu helfen, die sich selbst helfen wollen; einen Teil der Mittel zu beschaffen, durch die diejenigen, die sich zu vervollkommnen wünschen, dies können; denen, die aufzusteigen wünschen, den Beistand zu leisten, durch den sie sich zu erheben vermögen: aber selten oder niemals, alles zu tun. Weder der einzelne noch die Menschheit wird durch Almosengeben verbessert. Von den der Unterstützung würdigen wird, außer in ungewöhnlichen Fällen, selten Unterstützung gefordert. Die wirklich nützlichen Glieder der menschlichen Gesellschaft werden es nie tun, außer im Falle des Unglücks oder eines plötzlichen Wechsels der Verhältnisse. Jedermann hat natürlich Fälle einzelner selbst erfahren, wo vorübergehende Unterstützung in Wirklichkeit gut sein kann, und an solchen Fällen wird man nicht vorbeigehen. Aber der Betrag, der von den einzelnen für einzelne vernünftigerweise ausgegeben werden darf, ist durch die mangelnde Kenntnis der Umstände, die sich an jede Person knüpfen, notwendigerweise begrenzt. Der ist der wahre Verbesserer, der ebenso bedacht und bestrebt ist, den Unwürdigen nicht zu helfen, wie den Würdigen zu helfen, das erstere vielleicht noch mehr, denn im Almosengeben wird wahrscheinlich durch die Belohnung des Lasters mehr Unrecht als durch eine Erleichterung der Tugend Gutes getan.

Der Reiche ist sonach fast darauf beschränkt, dem Beispiel der PETER COOPER, ENOCH PRATT in Baltimore, Mr. PRATT in Brooklyn, Senator STANFORD und anderer zu folgen, die es als bestes Mittel der Förderung der Allgemeinheit erachten, eine Leiter bereit zu stellen, auf der die Aufstrebenden emporsteigen können: freie Bibliotheken, öffentliche Anlagen und Erholungsstätten, durch dem Menschen körperlich und geistig geholfen wird; Kunstwerke, die eine gewisse Freude gewähren und den allgemeinen Geschmack veredeln; öffentliche Einrichtungen mannigfacher Art, die die allgemeine Lage des Volkes verbessern, damit so ihr überflüssiger Reichtum an die Masse ihrer Mitmenschen in geeigneten Formen zurückkehre, um dauernd Segen zu spenden.

So ist das Problem des "Reich und Arm" zu lösen. Den Gesetzen der Anhäufung muß Raum gelassen werden, ebenso den Gesetzen der Verteilung. Der Individualismus wird fortbestehen, der Millionär wird jedoch nur noch ein Bevollmächtigter für die Armen sein, dem ein großer Teil des angewachsenen Reichtums der Gesamtheit auf eine Zeitlang anvertraut ist, der diesen aber für die Gesamtheit weit besser verwaltet, als sie es selber gekonnt oder gewollt hätte. Die Entwicklung der Menschheit und der menschlichen Gedanken und Ansichten wird eine Stufe erreichen, auf der keine Form der Vergütung über überflüssigen Reichtum für denkende und ernste Männer, in deren Hände er fließt, mehr als ehrenvoll gelten wird außer der, ihn Jahr für jahr für das allgemeine Wohl zu verwenden. Dieser Tag dämmert schon. Es kann jemand, ohne sich dem Mitleid seiner Mitmenschen auszusetzen, als Teilhaber großer geschäftlicher Unternehmungen sterben und zu öffentlichen Zwecken Kapitalien hinterlassen, die jenen Unternehmungen vorher nicht entzogen werden konnten oder nicht entzogen worden sin; dagegen ist der Tag nicht mehr fern, wo derjenige, der mit einer Hinterlassenschaft von Millionen verfügbaren Reichtums stirbt, welche ihm zu Lebzeiten zu freier Verwaltung zu Gebote standen, "unbeweint, ungeehrt und unbesungen" hinscheiden wird, gleichviel zu welchem Gebrauch er die Schlacke, die er nicht mit sich nehmen kann, hinterläßt. Über solche Leute wird dann das Urteil lauten: "Wer so reich stirbt, stirbt entehrt."

Dies ist meiner Meinung nach das wahre Evangelium in bezug auf den Reichtum. Der ihm schuldige Gehorsam ist bestimmt, dereinst das Problem der Reichen und Armen zu lösen und "Friede auf Erden, den Menschen Wohlgefallen" zu bringen.
LITERATUR - Andrew Carnegie, Das Evangelium des Reichtums und andere Zeit- und Streitfragen, Leipzig 1905