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Linguistisch begründete Sprachkritik [ 2/2 ]
Als die Hauptvertreter dieser Form der Sprachkritik betrachte ich die Schüler von PETER von POLENZ, RAINER WIMMER und HANS-JÜRGEN HERINGER. Erste Publikationen zur Sprachkritik, ohne daß allerdings darin der Begriff der Sprachkritik erwähnt würde, sind in dem gemeinsamen Band "Einführung in die praktische Semantik" abgedruckt. Inspiriert durch die aufgekommene Pragmatik, die Ideen der Sprechakttheorie und deren Weiterentwicklung, der Handlungstheorie in Verbindung mit Reflexionen über Vorstellungen einer falsch verstandenen Sprachkritik der 70er Jahre, war die Publikation ein Versuch, eine neue Form der sprachwissenschaftlichen Arbeit zu finden. Gesellschaftliche Veränderungen - auch im universitären Bereich - hatten es auch für die Linguistik nötig gemacht, über eine reine Strukturbetrachtung (für die Linguistik der Sprache) hinauszugehen. Die Zeichenbenutzer - und zwar nicht nur der rein abstrakte Zeichenproduzent und Zeichenrezipient im Sinne MORRIS - wurden für wissenschaftliche Untersuchungen relevant. Situationen, ganze Welten wurden beschrieben, um das Phänomen der Kommunikation besser in den Griff bekommen zu können. Die letzten Geheimnisse unserer kommunikativen Handlungen blieben jedoch auch den Sprachwissenschaftlern verborgen. ![]() Sprachwissenschaft sollte bei aller Analyse objektiv bleiben, ohne jedoch rein sprachimmanente Textanalyse zu betreiben. Selbst bei der Analyse politischer Kommunikation wollten sich die Sprachwissenschaftler nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen. Jede Kritik an unserer Sprache oder deren Verwendung sollte wissenschaftlich begründet sein und nicht durch irgendwelche Kriterien (irr-)geleitet sein. ![]() Sprachkritik sollte nicht Ideologiekritik bedeuten. Sprachkritik sollte weder philosophisch noch sollte sie normierend sein. Sprachkritik sollte weder journalistisch noch sollte sie moralisierend sein; sie sollte auch nicht schulmeisterliche Stilkritik sein. Sprachkritik soll sich auf sprachwissenschaftliche Erkenntnisse berufen können. Sprachwissenschaftliche Theorien über Syntax, Semantik und Pragmatik sollen in ihrer Gewichtung je nach Analyseobjekt für die sprachkritische Analyse herangezogen werden. ![]() Diese Form der Sprachkritik wird von ihren Vertretern als "linguistisch begründete" Sprachkritik bezeichnet. Was ist nun das Neue, das Andere dieser besonderen Form der Sprachkritik? Linguisten haben sich als Sprachkritiker auf ihr linguistisches Handwerkzeug besonnen, nachdem sie feststellen mußten, daß es um eine linguistische Sprachkritik schlecht bestellt ist. ![]() "Die germanistisch-linguistische Sprachkritik ist in keinem guten Zustand, weder theoretisch noch praktisch.""Sprachkritik ist etwas für alle." ![]() ![]() ![]() Die sprachreflexive Kompetenz des einzelnen ist in seiner normalen Sprachkompetenz angelegt. Jeder kann in (seiner) Sprache über (seine) Sprache sprechen. ![]() ![]() Dieses reflektierende Betrachten des eigenen Sprachgebrauchs wäre eine "gemeine" Form der Sprachkritik, von welcher HERINGER sagt, sie sei etwas für alle. ![]() ![]() Betreiben wir linguistisch begründete Sprachkritik nur für uns alleine, ist der Wissenschaft gedient. ![]() ![]() ![]() ![]() Voraussetzung für eine linguistisch begründete Sprachkritik ist unsere normalsprachliche Kompetenz, mit Sprache über Sprache zu reden. Der Anspruch der linguistisch begründeten Sprachkritik ist es, durch reflektierten Sprachgebrauch den einzelnen im aufklärerischen Sinne zur Freiheit im Umgang mit Sprache zu erziehen. ![]() ![]() Aus diesem Grunde beschäftigt sich die linguistisch begründete Sprachkritik im wesentlichen mit politischem Sprachgebrauch. Diesem Teilbereich der menschlichen Kommunikation wird wohl allgemein am häufigsten manipulativer Sprachgebrauch zugesprochen. Von der selbstdeklarierten Legitimation der linguistisch begründeten Sprachkritik war schon die Rede: Nicht intuitive Vorstellungen über Sprachrichtigkeit oder ästhetische Ideale sind die mit der Kritik verbundenen Ansprüche der linguistisch begründeten Sprachkritik; ihre Ansprüche sind edel und gut: Sie will zum reflektierten Sprachgebrauch des Individuums anleiten. ![]() Die Methodik der linguistisch begründeten Sprachkritik Zunächst sind bisher grob der Anspruch und die Ziele der linguistisch begründeten Sprachkritik dargestellt. Darüber hinaus benötigt die linguistisch begründete Sprachkritik einen Anlaß, um wirksam werden zu können. Anlaß und Ausgangspunkt der linguistisch begründeten Sprachkritik ist der Normenkonflikt, welcher zum Kommunikationskonflikt geworden ist. ![]() Was haben nun Normen mit der Sprache, bzw. dem Sprechhandeln zu tun und darüber hinaus mit Sprachkritik? Spätestens seit LYONS wissen wir, daß die Sprachwissenschaft eine beschreibende und keine vorschreibende Wissenschaft ist. ![]() Halten wir also fest: Die Wissenschaft, die Sprache erforscht, die Sprachwissenschaft, will keine vorschreibende sein, sie formuliert die existierenden Regeln unserer Sprache. In unserem täglichen Sprechen und Schreiben wenden wir die unserer Sprache zugrundeliegenden Regeln permanent an. Das heißt aber nicht, daß uns alle diese Regeln auch immer bewußt sind. Nur im Zweifelsfall, d.h. bei einer Regelunsicherheit, reflektieren wir darüber und ziehen unter Umständen ![]() Regeln und Norm Sprachliche Regeln sind alleine durch die Existenz unserer Sprache vorhanden. Sprache muß geregelt sein, damit wir eine ausreichend gemeinsame Basis für unsere Kommunikation besitzen. Regeln haben sich im Laufe der Zeit entwickelt und durch den regelrechten Gebrauch der Sprache (d.h. durch das Einhalten der Regeln) haben sie sich gefestigt. Regeln, auch Gebrauchsregeln, sind in einem hohen Maße konventionalisiert. Stete Änderungen der Regeln schlagen sich im kontinuierlichen Sprachwandel nieder. Sprachwandel entsteht nicht intentional durch die einzelnen Sprecher und nicht evolutionär, sondern durch das unbewußte, aber letztlich kollektive Mißachten von alten und durch das Aufstellen von neuen Sprachregeln. Durch Sprachwandel entsteht das nicht ungewöhnliche Phänomen, daß verschiedene Varianten einzelner Sprachformen nebeneinander existieren, ohne daß man behaupten könnte, eine Variante sei regelrecht, die andere sei es nicht. Beide Varianten unterliegen je eigenen Regeln, die sich aus unterschiedlichen Voraussetzungen herausgebildet haben. Anscheinend besteht jedoch innerhalb der Gruppe der Sprachverwender ein großes Bedürfnis nach Bewertungen unserer Sprache gemäß den Endpunkten einer richtig-falsch-Skala. ![]() ![]() Wenn man nun dem Zwang einer Einteilung in richtig/falsch unterliegt, eine von verschiedenen (freien) Varianten favorisieren will, ist man dazu prädestiniert, Verfechter von Normen zu werden. Mit dem Setzen von Normen wählt man aus verschiedenen (Sprach-)Handlungsmöglichkeiten aus und legt fest, welche der Handlungsalternativen die künftig richtige sein soll. Dabei wird deutlich, ![]() In Regelformulierungen werden Regeln beschrieben, welche wiederum Handlungen regeln. Für verschiedene Handlungsmöglichkeiten muß es folglich verschiedene Regeln und auch deren Formulierungen geben. Regeln beschreiben das, was sein kann, Normen sind die Auswahl je einer alternativen Regel und sagen, was sein soll. Normen sind ![]() Wenn wir nun den Bogen zur linguistisch begründeten Sprachkritik schlagen wollen und uns erinnern, daß diese einen Beitrag zur Verbesserung der Freiheit des einzelnen leisten möchte und gleichzeitig mit von POLENZ argumentieren wollen, daß Sprachnormen ein "Mittel der Herrschaft von Menschen über Menschen" bedeuten, dann dürfte klarer werden, warum Sprachnormenkonflikte Anlaß für eine linguistisch begründete Sprachkritik sein können. ![]() Normen und Normenkonflikte Auch wenn Sprachnormen existieren, besteht noch keine Notwendigkeit dafür, daß auch Sprachnormenkonflikte existieren. In unserer Gesellschaft bestehen neben verschiedenerlei Regeln (nicht nur auf sprachlicher Ebene) unterschiedliche Normen, die sich auf unterschiedliche Regeln berufen, ohne daß es dadurch auch zu Normenkonflikten kommt. Eine Diskussion darüber, ob innerhalb unserer Gesellschaft für reibungslose Handlungsabläufe Normen und weitere Normierungen notwendig sind oder nicht, möchte ich an dieser Stelle nicht führen. Gehen wir davon aus, daß bestimmte (Sprach-)Handlungsabläufe Normen unterworfen sind. Hierbei können wir feststellen, daß uns bei einem Teil der Normen nicht bewußt ist, wer derjenige war, welcher die Norm gesetzt hat, daß wir diesen Normen oft ähnlich wie bestimmten Regeln, nämlich "blind" folgen. "Nebensätze dürfen nicht mit trotzdem , sie müssen mit obwohl eingeleitet werden."Über diese Art von Normen werden in den seltensten Fällen Normenkonflikt entstehen. Und wenn sie entstehen, wird derjenige, welcher sich gegen die Normierung zur Wehr setzt, kaum eine Chance besitzen, Gehör zu finden. Eine solche Situation kann man sich in der Schule zwischen Lehrern und Schülern vorstellen. Diesem eher seltenen Fall eines Normenkonflikts gilt auch nicht das vordergründige Interesse der linguistisch begründeten Sprachkritik. Interessanter für die linguistisch begründete Sprachkritik sind Normenkonflikte, die aus unterschiedlichen Gebrauchsregeln / Verwendungsregeln einzelner Wörter und Wortverbindungen resultieren. ![]() Gebrauchsregeln einzelner Wörter sind konventionell festgelegt. Sie sind teilweise in Wörterbüchern der Gegenwartssprache durch Gebrauchsbeispiele kodifiziert. Sie werden für die verschiedenen Sprachbeispiele festgelegt und regeln die jeweiligen Sprachspiele. Da die einzelnen Sprachspiele an je verschiedene Lebensformen gebunden sind, können, - bedingt durch unterschiedliche Lebensformen - die Gebrauchsweisen einzelner Wörter variieren. Sprich: Die Gebrauchsweisen einzelner Wörter unterscheiden sich, da die Lebensformen der einzelnen Sprachverwender mit annähernd gleicher Lebensform dazu veranlassen, zu versuchen, ihre Gebrauchsweise gegenüber anderen Sprechern durchzusetzen. ![]() Damit ist der Grundstein für Normierungshandlungen gelegt. Von Normierungshandlungen im eben erwähnten zweiten Sinne kann also gesprochen werden, wenn verschiedene Gebrauchsregeln eines Wortes konkurrierend existieren. Man könnte sich als Sprachwissenschaftler, welcher mit diesem Problem konfrontiert wird, auf den Standpunkt zurückziehen, dies sei ein rein semantisches Problem, welches dadurch gelöst werden kann, daß man die Wörterbuchschreibung verbessert. Dieses Vorgehen sei dann relevant, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellen, daß Bedeutungsalternativen zu einem Wort auftreten. Die lexikographische Dokumentation verschiedener Gebrauchsweisen als das alltägliche Geschäft des Lexikographen ist durchaus im Sinne einer linguistisch begründeten Sprachkritik. Dies aber erst dann, wenn die kritische Arbeit geleistet ist. Linguistisch begründete Sprachkritik setzt mit ihrer Analysearbeit schon früher an. ![]() Linguistisch begründete Sprachkritik setzt dann an, wenn sich neue Gebrauchsregeln zu etablieren beginnen. ![]() ![]() Die linguistisch begründete Sprachkritik versteht sich als Sprachnormenkritik und will konfliktlösend in Normenkonflikte eingreifen. Und zwar will sie dies insofern, als sie die Normenkonflikte sichtbar machen will. Sprachnormen einer Gruppe sollen innerhalb einer jeweils zu beschreibenden Kommunikation nicht zum Nachteil einer anderen Gruppe durchsetzbar sein. ![]() Normenkonflikt und Kommunikationskonflikt Sobald der Normenkonflikt den einzelnen Sprechern bewußt wird, wird er normalerweise zu keinem Kommunikationskonflikt führen. Normenkonflikte führen dann zu Kommunikationskonflikten, wenn unterschiedliche Gebrauchsregeln von Ausdrücken aufeinander stoßen und die einzelnen Konfliktparteien ihren Alleinvertretungsanspruch auf die Gebrauchsregeln nicht aufgeben wollen. Dies wäre ein Fall für die beabsichtigte Vertretung einer Regel mit dem Versuch, die eigene Regel durchzusetzen und zur Norm zu erheben. Der Kommunikationskonflikt wird hierbei billigend in Kauf genommen. ![]() Unabsichtlich kann es zu Kommunikationskonflikten kommen, wenn den einzelnen Parteien der unterschiedliche Gebrauch von Ausdrücken nicht bewußt wird. ![]() Die Vertreter der linguistisch begründeten Sprachkritik differenzieren für die sprach- kritische Analyse in der Auswahl der Kommunikationskonflikte nicht. Das bedeutet nicht, daß die Auswahl beliebig sein sollte, "relevante Situationen" ![]() ![]() ![]() ![]() Durch Normenkonflikte hervorgerufene Kommunikationskonflikte sind eher ein kleineres Phänomen innerhalb unserer alltäglichen Kommunikation. Kommunikationskonflikte entstehen, ohne daß es zuvor zu Normenkonflikten gekommen sein muß. ![]() ![]() Kurzum: Die linguistisch begründete Sprachkritik will nur bei der kleinsten Teilmenge der Kommunikationskonflikte aktiv werden, nämlich dann, wenn ein Sprachnormenkonflikt zu einem Kommunikationskonflikt geworden ist. ![]() Der öffentliche, durch Medien vermittelte Sprachgebrauch der Politik ist derjenige, bei welchem am häufigsten in "relevanten Situationen" (die öffentliche Politik ist immer relevant) ![]() ![]() Es ist für die einzelnen politischen Parteien überlebenswichtig, Zustimmung für ihre parteispezifische Verwendungsform von brisanten Ausdrücken zu erhalten. Ob sich die Gebrauchsregeln für z.B. das Wort "Asylant" der CDU, der SPD oder der GRÜNEN in der Alltagskommunikation der Bevölkerung durchsetzt, ist zu einer machtpolitischen Frage geworden. ![]() Vorgehensweise der linguistisch begründeten Sprachkritik Methodisch schlägt WIMMER folgende Vorgehensweise vor:
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