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OSWALD KÜLPE
Erkenntnistheorie und
Naturwissenschaft

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"Es ist in neuester Zeit viel vom Pragmatismus die Rede. Alle Wahrheit steht nach dieser den Utilitätsstandpunkt von der Moral auf die Wissenschaft übertragenden Lehre unter dem Zeichen des Vorteils. An ihren Früchten soll sie erkannt werden. Brauchbarkeit für das Leben, für die Ökonomie der Wissenschaft ist das Kriterium wahrer Behauptungen."

"Es gibt kaum etwas Unerquicklicheres als die verklausulierte Darstellung derjenigen Naturforscher, die im Sinne dieser Erkenntnistheorie fortwährend versichern, daß sie mit der Wahl realistischer Ausdrücke selbstverständlich keine realistischen Ansichten verbinden wollen. Sie tragen eine ihrem Gebiet fremde Auffassung in die Darstellung desselben hinein und vergessen, daß Vorsicht nicht nur die Mutter der Weisheit, sondern auch der Untätigkeit ist. Nur wer an die Bestimmbarkeit einer realen Natur glaubt, wird seine Kräfte an deren Erkenntnis setzen. Es ist das Wahrzeichen eines verstiegenen Idealisten, daß er den Weg zur Wirklichkeit nicht findet und daß sein Reden und Tun entzweit ist."

Von hier aus eröffnet sich für uns das Verständnis für den Wirklichkeitsstandpunkt, der bei den Empfindungen und ihren Beziehungen stehen bleibt, ohne den von uns unabhängigen Formen derselben reale Gegenstände zugrunde zu legen. Er lehnt eben die Frage nach dem ab, was den Wahrnehmungsinhalten diese Beziehungen aufgenötigt hat. Ebenso begreifen wir den naiven Realismus als den Standpunkt, der die Sinneseindrücke vergegenständlicht und die objektiven Träger der genannten Beziehungen von ihnen qualitativ nicht unterscheidet. Der kritische Realismus der Naturwissenschaft dagegen sondert die von uns abhängigen, den Empfindungen primär zukommenden und die von uns unabhängigen, den Empfindungen aufgenötigten Beziehungen und versucht die Gedankendinge, denen die letzteren ursprünglich zuzusprechen sind, als Körper, als materielle Objekte, näher zu bestimmen. Er setzt, mit anderen Worten, primäre Beziehungsglieder an die Stelle der sekundären, die uns in Tönen oder Farben, Drucken oder Gestalten gegeben sind. Dazu wird er vor allem durch die Tatsache genötigt, daß die von uns unabhängigen Beziehungen weder an bestimmte, gleichartige Sinnesinhalte, noch an bestimmte Personen gebunden sind, an oder in denen sie auftreten, daß sie also auch dann vorkommen, wenn die Bewußtseinszusammenhänge und die Empfindungen wechseln, an denen sie erlebt werden. Dann müssen sie offenbar bestehen können, auch ohne daß Sinnesinhalte ihre scheinbaren Träger bilden, d. h. sie müssen von diesen verschiedene Beziehungsglieder haben.

Das ist der Weg, der von der Bewußtseinswirklichkeit aus zur realen Natur, zur Setzung der Außenwelt führt. Die Schwierigkeiten, mit denen hier schon der allgemeine Realismus zu kämpfen hat, liegen in der Feststellung der von uns unabhängigen Beziehungen der Sinnesinhalte zueinander, in der Herauslösung dieser abstrakten Tatbestände aus dem konkreten Zusammenhang unseres Bewußtseins und seinen mannigfachen subjektiven Einschlüssen. Ein Heer von Beobachtungsfehlern droht hier irre zu führen. Jede Entdeckung einer neuen Gesetzmäßigkeit wird dem Mechanismus der Subjektivität förmlich abgerungen. Die Entwicklung der Forschungsmethoden ist der Fortschritt in der Beherrschung unserer Wahrnehmungsleistungen und in der Verfeinerung und Erweiterung unserer Verwertung derselben. Da von der Erkenntnis der Naturgesetze auch die ihrer Träger abhängt, muß jene so genau und sicher und vollständig wie möglich werden, demit sich die Grundlage für unsere Bestimmung der Naturobjekte zuverlässig und umfassend gestaltet.

Die Empfindungen vertreten nach der hier angedeuteten Begründung des Realismus die Stelle von primären Beziehungsgliedern, von Körpern. In diesem Sinne war es berechtigt, wenn HELMHOLTZ sie als die Zeichen ansah, die auf Reales hinweisen (7). Jedenfalls liegt in einer solchen Auffassung ein besseres Verständnis für das Prinzip des naturwissenschaftlichen Realismus, als in der SCHOPENHAUER mehrfach bevorzugten Lehre, daß die Außenwelt Ursache unserer Empfindungen ist. Dadurch wird meines Erachtens das eigentliche Motiv des naturwissenschaftlichen Realismus verkannt und der Anschein erweckt, als wenn sich aus den subjektiven Wirkungen auf die Beschaffenheit der objektiven Ursachen schließen ließe. Gibt es einen Zugang zur Naturrealität, so kann er nur von den fremdgesetzlichen Beziehungen der Wahrnehmungsinhalte aus gefunden werden. Nur bei dieser Auffassung kann man es auch ungezwungen begreifen und zulassen, daß in der Naturwissenschaft die Empfindungen unbedenklich in die Träger jener Beziehungen aufgenommen werden, wo sie zu einer bequemeren und vollständigeren Charakteristik der realen Objekte dienen können. So werden Geschmacks- und Geruchsqualitäten neben den Farben- und Schalleindrücken zur Schilderung der Mineralien, der chemischen Stoffe, der Pflanzen- und Tierarten benutzt, ein Verfahren, welches der anerkannten Gewohnheit entspricht, die zugänglichen Zeichen für das weniger bekannte und weniger leicht feststellbare Bezeichnete zu substituieren, dagegen beim Verhältnis von Ursache und Wirkung schwerlich zu rechtfertigen wäre. (8)

Der Nachweis der fremdgesetzlichen Beziehungen unserer Empfindungen ist an eine gewisse Erkenntnis der subjektiven Bedingungen ihrer Erscheinungsweise im Bewußtsein gebunden. Bekanntlich ist es z. B. für eine optische Beobachtung nicht gleichgültig, in welcher Entfernung sich der Beobachter von einem Objekt befindet, ob dieses sich zentral oder peripherisch auf der Netzhat abbildet, ob monokular oder binokular gesehen wird, ob die Aufmerksamkeit und Einstellung diese oder jene Richtung haben, ob wissentlich oder unwissentlich verfahren wird und dgl. mehr. Soll man daher verschiedene Tatbestände unter gleichen subjektiven Bedingungen und gleiche Tatbestände unter verschiedenen subjektiven Bedingungen feststellen und damit die Voraussetzungen für die Realisierung innerhalb der Bewußtseinserscheinungen selbst erfüllen können, so muß man bereits ein Wissen um die mannigfachen subjektiven Bedingungen mitbringen. Um zu entscheiden, welche von ihnen für einen bestimmten Zweck relevant oder irrelevant sind, muß man mit ihren Einflüssen vertraut sein. Dasselbe gilt für die Anwendung von Instrumenten, die zur Verfeinerung der Beobachtung angewandt werden. So entsteht eine rege Wechselwirkung realistischer Bestimmungen. Physik, Physiologie und Psychologie unterstützen sich, wie besonders HELMHOLTZ und MACH hervorgehoben haben, bei der Naturerkenntnis. Jede einzelne Realisierung bringt viele andere ins Spiel und nur in der Gemeinsamkeit der Arbeit wird ein wesentlicher Fortschritt und eine wachsende Sicherheit der Bestimmung möglich.

Dieser Zusammenhang der Realisierungen, über den nur die entwickelte Realwissenschaft verfügt, bildet auch die Grundlage für zahlreiche Schlüsse, die unsere Lösung neuer Probleme erleichtern. Bei einer experimentellen Untersuchung besteht vielfach die beste Arbeit in der sorgfältigen Antizipation [Vorwegnahme - wp] der Möglichkeiten und in der genauen Begrenzung des zu erreichenden Ziels, und diese Präliminarien [Einleitungen - wp] gründen sich auf Schlüsse aus den bisher erworbenen Kenntnissen. Ferner wird von der Analogie und der Induktion ein häufiger und bekannter Gebrauch gemacht, um mit Hilfe bereits gewonnener Einsicht auch in neuen Fällen die Realisierung durchzuführen. Darum gehört die Theorie solcher Schlüsse und die Angabe der Bedingungen, unter denen sie stehen, zur erkenntnistheoretischen Grundlegung der Realwissenschaften. Auch die häufig vorkommende Beziehung von Empfindungen auf ihnen entsprechende reale Objekte ist nicht etwa ein unmittelbarer Schluß von der Wirkung auf die Ursache, der uns zu keiner bestimmten Ansicht über das Wesen der Objekte führen könnte, sondern vielmehr ein auf schon bestehendes Wissen um solche Zusammenhänge und Gegenstände sich stützendes Schlußverfahren. Je größer unser Besitz an realwissenschaftlichen Kenntnissen ist, umso größer ist die Rolle, die derartige Schlüsse bei der Forschung spielen. Aber da sie bereits vollzogene Realisierungen voraussetzen, so wollen wir uns bei ihnen nicht aufhalten (9).

Eine ganz andere Methode der Realisierung ergibt sich, wenn von den realen Beziehungen aus die primären Glieder bestimmt werden sollen, die durch Empfindungen in unserem Bewußtsein vertreten werden. Dieser, logisch betrachtet, nicht zu umgehende Versuch, die erzwungenen Relationen der Sinnesinhalte auf die erzwingenden Faktoren zurückzuführen, hat bei den Konszientalisten und Phänomenalisten den meisten Anstoß erregt. Die letzteren geben zwar zu, daß man solche Faktoren annehmen muß oder darf, aber bestreiten jede Bestimmbarkeit ihres Wesens. Ihre Existenz kann behauptet, über ihre Essenz aber nichts ausgesagt werden. Die Naturwissenschaften haben sich dadurch nicht beirren lassen, sondern bilden nach wie vor ein System des realen Geschehens aus, in dem die Träger dieses Geschehens als materielle Substanzen irgendwelcher Art eine bedeutende Rolle spielen. Das dabei maßgebende Prinzip dürfte so zu formulieren sein: Die Naturobjekte sind als Träger der realen Beziehungen diesen adäquat zu denken, d. h. sie müssen fähig und geeignet sein, alle diejenigen Prozesse auszuführen oder zu erleiden, als deren Substrate sie zu gelten haben. Darum ist der Körper als das Bewegliche bezeichnet, darum sind ihm anziehende und abstoßende Kräfte, Valenzen, Widerstände, Energien, Potentiale usw. beigelegt worden. Alle diese Eigenschaften sind nur Fähigkeiten zur Leistung des realen Geschehens, und die Natursubstanzen sind die Inbegriffe der Vermögen, die an sie geknüpften realen Beziehungen, Zustände und Veränderungen stattfinden zu lassen. Das in unserer Erfahrung allein unmittelbar zugängliche Geschehen ist demnach ein unselbständiges Reales und bedarf der Beziehung auf ein selbständiges. Die Naturobjekte können darum auch als die Existenzbedingungen für die realisierten Beziehungen, die aufgenötigten Veränderungen in der Bewußtseinswirklichkeit, angesehen werden. Das ist es, was wir meinen, wenn wir sie als deren Träger bezeichnen.

Nun bleibt freilich ein Spielraum für die Bestimmung dieser Träger, wenn und sofern wir sie lediglich aufgrund der von ihnen zu tragenden Vorgänge charakterisieren. Damit der Körper befähigt ist, Bewegungen auszuführen, braucht er nur räumlich-zeitliche Merkmale zu haben. Man kann sich unschwer vergegenwärtigen, was alles dieser Bedingung zu genügen vermag. Dieser Spielraum kann zweifellos durch die Hinzuziehung anderer Vorgänge, die auf den gleichen Träger zurückzuführen sind, verengt werden. Die Geschichte der Wissenschaft lehrt, daß der Kreis der Möglichkeiten nicht derselbe bleibt oder gar größer wird, sondern daß er sich zusehends verkleinert. Auch hat man durch Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen ein wertvolles Hilfsmittel gefunden, um innerhalb der gegebenen Spielräume noch eine Entscheidung treffen zu können. Freilich wäre eine volle Erkenntnis naturgemäß nur dann zu erwarten, wenn alle Fähigkeiten der Objekte angebbar, wenn somit alle realen Veränderungen bekannt und mit zugehörigen Existenzbedingungen in Verbindung gebracht wären. Es versteht sich hiernach von selbst, daß das Ziel der Realisierung in der Unendlichkeit liegt und daß eine eindeutige Bestimmtheit unseren Konzeptionen von körperlichen Substanzen noch fehlt. Hieraus vornehmlich leitet die Metaphysik das Recht ab, eine einheitliche und geschlossene Anschauung durch eine Ergänzung des naturwissenschaftlichen Weltbildes auszubauen. Die Forderung einer vollkommenen Verträglichkeit der hinzugefügten mit den sichergestellten Merkmalen, eine Forderung, die an solche metaphysische Spekulationen gestellt werden muß, wenn sie nicht bloß Phantasien bleiben sollen, ist bekanntlich nicht immer erfüllt worden.

Aber auch wenn wir sämtliche in unserer Erfahrung möglichen realen Beziehungen mit adäquaten Trägern verknüpft hätten, auch dann noch müßte ein gewisser Spielraum für deren Bestimmung zugestanden werden. Denn es kann unleugbar ein unselbständiges Reales geben, für das unsere sinnlichen Aufnahmebedingungen nicht eingerichtet sind, und von dem wir daher nichts erfahren. das ist keine leere Vermutung, wenn man bedenkt, daß es extensiv und intensiv Grenzen gibt, innerhalb deren unsere Sinne, auch die bewaffneten, usn über die Naturvorgänge unterrichten können. Außerdem bleibt auch abgesehen von dieser Möglichkeit, daß die Welt reicher ist als unsere Erfahrung, ein Spielraum für die Bestimmung der Naturobjekte bestehen. Der Inbegriff der Existenzbedingungen ist durch die Gesamtheit empirischer Fähigkeiten niemals hinreichend charakterisiert. Wir brauchen nur auf die atomistisch-mechanistische, die energetische und andere naturwissenschaftliche und metaphysische Theorien hinzuweisen, um die historische Richtigkeit dieser Behauptung darzulegen. Die Existenzbedingungen für unselbständiges Reales sind keine ausreichenden Wesensbedingungen und so kann die Frage nach der eigentlichen Natur der Träger auch bei erschöpfender Kenntnis des an sie gebundenen Geschehens niemals wissenschaftlich eindeutig beantwortet werden. Es ist somit auch bei unserem Standpunkt des kritischen Realismus dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Doch braucht man deshalb den Realismus gewiß nicht überhaupt aufzugeben. Denn der übrigbleibende Spielraum ist ja nicht so groß, daß alles mögliche, ohne Unterschied der Leistungsfähigkeit genügen könnte, den Träger für eine Gruppe von realisierten Tatbeständen abzugeben. Wenn wir z. B. vom Gold sagen, daß es geeignet sein muß, in einer Anzahl von regulären Formen zu kristallisieren, keine merkliche Spaltbarkeit zu besitzen, eine bestimmte Härte und ein bestimmtes Atomgewicht zu haben, mit Kupfer, Eisen, Silber verbunden vorzukommen, äußerst dehnbar und geschmeidig zu sein usw., so wird es durch die Gesamtheit dieser Angaben immerhin sehr eingeschränkt. Und der Streit zwischen den Theorien der Naturerscheinungen, der die Geschichte der Wissenschaft durchzieht, ist nicht ewog, nicht hoffnungslos. Die Undulationstheorie des Lichts hat die Emissionstheorie überwunden, das kopernikanische Weltsystem hat sich gegenüber dem ptolemäischen durchgesetzt, die Möglichkeit einer Urzeugung hat PASTEUER abweisen können, die Theorie der Nervenerregung von DUBOIS-REYMOND gilt als widerlegt. Nur eine prinzipiell unlösbare Antinomie wäre eine Gefahr oder nutzlose Spielerei, aber solche Antinomien sind in der Naturwissenschaft immer mehr zurückgedrängt worden, je weiter sie sich entwickelt und je mehr sie sich befestigt hat. Ein tatsächlicher Fortschritt ist gerade in der Bestimmung auch der realen Gegenstände zweifellos ersichtlich, nicht nur im Sinn einer wachsenden Mannigfaltigkeit der Erkenntnis, sondern auch in der Richtung auf Vollständigkeit und Eindeutigkeit, auf Richtigkeit und Genauigkeit. Die Atomistik des DEMOKRIT war nicht viel mehr als ein glücklicher Einfall, die heutige Atomistik ist ein kompliziertes und wohlgefügtes System von Gedankendingen. Das alte Prinzip von der Erhaltung des Stoffes war ein Grundsatz a priori ungefähr des Inhaltes: aus nichts wird nichts. Das moderne Prinzip dieses Namens ist ein Grundgesetz der Naturwissenschaft von der größten Tragweite. Die Beziehungen zwischen Leib und Seele wurden noch von HERBART sehr obenhin und dürftig erörtert, und heute haben wir eine ganze Wissenschaft von ihnen, die Psychophysik. So ist unsere Einsicht in das Wesen der realen Objekte extensiv und intensiv auf allen Gebieten gewachsen.

Auch durch das Prinzip der Subjektivität der Sinnesqualitäten ist, wie die Geschichte lehrt, der naturwissenschaftliche Realismus keineswegs unmöglich geworden. Physik und Chemie, Anatomie und Physiologie, Entwicklungsgeschichte und Geologie lassen sich durch jenes Prinzip nicht daran hindern, im Geist eines solchen Realismus ihre Forschungen zu betreiben und zu deuten. Gewiß besteht für diese Anschauung die schwierige Aufgabe, nur das zur Bestimmung der Naturgegenstände zu verwenden, was vom erfahrenden Subjekt unabhängig bestehend gedacht werden kann. Aber die Atomistik, die Energetik, die geologischen und astronomischen Angaben über den Bau der Erde und der Gestirne, die biologischen Forschungen über die Entwicklung der Lebewesen, die morphologischen Untersuchungen über das Gefüge der Pflanzen, Tiere und Menschen usw. zeigen, daß trotz des Verzichts auf die Sinnesqualitäten ein stattlicher Realismus durchführbar bleibt.

Eine anschauliche Vorstellung der Außenwelt im Sinne einer treuen Abbildung der Realität ist freilich für den kritischen Naturforscher unmöglich geworden. Aber Logik und Mathematik haben uns längst darüber aufgeklärt, daß die Gegenstände der wissenschaftlichen Untersuchung nicht in der Vorstellung gegeben zu sein brauchen, daß wir von anschaulichen Beigaben zu abstrahieren vermögen und trotzdem in den für die Realisierung unverwendbaren sinnlichen Hilfsmitteln einen brauchbaren Hinweis auf die allein gemeinten Begriffe oder Objekte zur Verfügung haben. Durchweg haben wir es bei den Bestimmungen über Art und Verhalten der Gedankendinge mit unanschaulichen, von den Zufälligkeiten unserer Wahrnehmung und Vorstellung befreiten Merkmalen zu tun.

Eine wirkliche Schwierigkeit würde die Subjektivität der Sinnesqualitäten für den Realisten nur dann bilden, wenn sie einen wesentlichen Ausfall bei der realistischen Erkenntnis bedeuten würde. FECHNER hat die Verwandlung der Welt in eine klang-, duft- und lichtlose Masse von beweglichen Atomen als die Nachtansicht gekennzeichnet und ihr die Tagesansicht glanzvoll gegenübergestellt, nach der ähnlich wie bei BERKELEY alle Schwingungen der Luft und des Äthers im Bewußtsein des Allgeistes leuchten, duften und klingen. Von einer solchen spiritualistischen Metaphysik, die nur als eine Ergänzung des naturwissenschaftlichen Realismus zulässig sein kann, wollen wir hier absehen. Sie ist zumindest keine notwendige Vervollständigung der Welterkenntnis. Die psychologische und ästhetische Wirklichkeit der Sinnesqualitäten bleibt ja auch durch das naturwissenschaftliche Prinzip ihrer Subjektivität ganz unangetastet. Aber schon für den populären Standpunkt des naiven Realisten sind sie keine konstituierenden Bedingungen realer Gegenstände. Denn er nimmt keinen Anstoß an der Veränderlichkeit der Farben und Töne, der Düfte und Drucke. Die Realität der Objekte bleibt ihm dieselbe, mögen sie bei heller Beleuchtung in bunten Farben erglänzen oder in der Dämmerung zu bloßen Unterschieden der Schattierung verblassen. So kann der prinzipielle Verzicht auf sie bei der Bestimmung der Naturrealität kein grundlegendes Bedenken gegen die Möglichkeit eines Realismus sein.

Man darf endlich auch nicht übersehen, daß mit den subjektiven Sinnesqualitäten nicht zugleich einfach dasjenige fortfällt, was sie zur Erkenntnis realer Gegenstände beizutragen schienen. Wir reden z. B. von Reflexion und Absorption des Lichts und stellen unseren Farbempfindungen Flächen mit solchen Fähigkeiten gegenüber. Wir füllen also die Lücken, die mit dem Verschwinden der Sinneseindrücke aus der Natur einzutreten drohten, durch gedankliche Bestimmungen aus. Und diese können uns sogar mehr bieten, als die Sinne jemals zu gewähren vermöchten. Die spektralanalytisch gewonnene Einsicht in die Stoffe, welche auf den Himmelskörpern vorkommen, oder die Ergebnisse der modernen Chemie über die Konstitution organischer Verbindungen oder die Forschungen über den Zellkern und seine verschiedenartigen Bestandteile sind doch ungleich wichtigere Feststellungen über das Wesen der Naturobjekte, als die Tingierung [Färbung - wp] und Schattierung, die sie für unsere Wahrnehmung besitzen, und schließen mehr als die bloß durch deren Beseitigung entstandenen Lücken.

Es ist im letzten Grund das Vorurteil einer in der Fülle der Anschauung schwelgenden Zeit, wenn die Gedankendinge der Realwissenschaften ein ärmliches Schema oder gar ein bloßes X zu sein scheinen. Wie wir uns in der Psychologie gegenwärtig vom Sensualismus befreien, der die Welt unserer Gedanken in bloße Empfindungen und Vorstellungen aufzulösen versucht und alle unanschaulichen Bewußtseinsinhalte einfach für nicht vorhanden oder für erfunden erklärte, so sollte auch in der Erkenntnistheorie mit dem Dogma gebrochen werden, daß bloße Gedankendinge ein Nichts oder eine unüberschreitbare Grenze der Erkenntnis bedeuten. Wir brauchen dazu nur as Verfahren und die Ergebnisse der Realwissenschaften ins Auge zu fassen und unbefangen zu würdigen. Dann dürfte sich zeigen, daß sich ein echter Realismus in ihnen allenthalben entfaltet, und daß hier eine große Mannigfaltigkeit von Realisierungen ausgeübt wird, die die phänomenalistischen Schranken rücksichtslos durchbrechen.

Es ist in neuester Zeit viel vom Pragmatismus die Rede. Alle Wahrheit steht nach dieser den Utilitätsstandpunkt von der Moral auf die Wissenschaft übertragenden Lehre unter dem Zeichen des Vorteils. An ihren Früchten soll sie erkannt werden. Brauchbarkeit für das Leben, für die Ökonomie der Wissenschaft ist das Kriterium wahrer Behauptungen. Auch an diesem, gewiß nicht ausreichenden Maßstab gemessen, verdient der Realismus alle Anerkennung. Denn er ist zweifellos eine treibende Kraft, ein Anstoß zur Weiterführung von empirischen und theoretischen Untersuchungen gewesen. Es hat sich weit fruchtbarer in der Geschichte der Wissenschaft gezeigt und bewährt, als konszientalistische und phänomenalistische Formulierungen. Wenn es nur auf eine mathematisch-deduktive Fassung, auf den ökonomischen Ausdruck, auf eine aprioristische Systematik in den Erfahrungswissenschaften ankäme, so würden wir mit dem jeweils erreichten Wissen uns ohne Frage viel leichter zufrieden geben. Darum konnte die klassische Mechanik eines NEWTON so lange unangefochten bleiben, darum der stolze Bau von HEGELs Dialektik ihm und seinen Anhängern als das Ende aller eigentlichen Wissenschaft erscheinen. Ist man aber davon durchdrungen, daß wir nicht unsere Empfindungen und Begriffe zu ordnen, keine bloß interne Arbeit zu verrichten, sondern Reales zu erkennen, in eine uns fremde Welt einzudringen haben, dann wird die Forschung unvollendbar, ihr Ziel in die Unendlichkeit gerückt und alle wissenschaftliche Arbeit zu einer Annäherung an dieses Ziel erhoben. Im Grunde hatte ja auch HEGEL mit seiner Gleichung zwischen Denken und Sein, Begriff und Wesen, Vernunft und Wirklichkeit das Programm der Realwissenschaften in prägnanter Form ausgesprochen. Wenn HERTZ in seiner Mechanik erklärt, wir müßten danach streben, daß nicht nur unsere Voraussetzungen, sondern auch die Konsequenzen aus ihnen mit der Erfahrung, d. h. natürlich mit den realisierten Tatbeständen, übereinstimmen, oder wenn andere finden, daß die erfolgreiche Voraussage eines realen Geschehens erst die Probe auf das wissenschaftliche Exempel bedeutet, so haben sie nur der großen Idee HEGELs eine bestimmtere Anwendung gegeben (10). Verhängnisvoll für HEGELs System ist nur die Methode gewesen, auf die es gebaut ist. Mit einem dialektischen Schema läßt sich zwar im reinen Reich der Gedanken mancherlei gestalten, aber die fremdgesetzlichen Beziehungen in unserer Erfahrung sind durch solche einfache Formeln niemals erschöpfend einzufangen.

Damit ist zugleich auf eine Gefahr hingewiesen, vor der man sich als Realist zu hüten hat. Darf die Erkenntnis nicht mit der Realität, unsere Gedankendinge nicht mit den Naturobjekten selbst verwechseln. Aber man braucht nicht Phänomenalist zu werden, um dieser Gefahr auszuweichen. Solche Fehler sind mit dem Realismus nicht notwendig verbunden. Sie haben den vorsichtigen Naturforscher nach dem Vorgang von HERTZ dazu geführt, von Modellen oder Bildern zu reden, um die gedachten Realitäten von den unabhängig von unserem Denken bestehenden zu unterscheiden (11). Aber schon in diesem Ausdruck liegt der Hinweis auf eine Ähnlichkeit und eine Vervollkommnungsfähigkeit. Diese Bilder sind keine Kunstwerke, die ihren Wert unveränderlich in sich selbst tragen, sondern sie dürfen und sollen nach Maßgabe der fortschreitenden Untersuchung retuschiert werden. Mögen daher unsere Bemühungen um eine Erkenntnis des Realen nur Schritte, oft recht kleine, langsame, zuweilen auf irregehende Schritte sein, wir kommen dem Ziel doch näher und können das bisher erreichte Wissen als verheißungsvolle und ermutigende Leistung betrachten. Wenn man aus dem Stück einer Kurve auf ihren ganzen Verlauf schließen darf, so haben wir gerade in unserer an Entdeckungen und prinzipiellen Erweiterungen des Weltbildes so erstaunlich reichen Zeit allen Grund, von einem Fortschritt in der Bestimmung der Naturrealitäten zu reden (12).

Nichts ist heute bequemer und zugleich unfruchtbarer, als das große Wort von der Welt als unserer Vorstellung gelassen auszusprechen. Ursprünglich aus wirklicher Einsicht in die Abhängigkeit aller Erkenntnis vom erkennenden Subjekt geboren, ein neuer Blick in das Gefüge der Wissenschaft, eine Warnung vor dogmatischen Vorurteilen und metaphysischen Voreiligkeiten, ist es allmählich selbst zu einer dogmatischen Phrase geworden, zu einer Gefahr für den forschenden Geist, für die Naivität der wissenschaftlichen Arbeit. KOPERNIKUS und GALILEI, KEPLER und NEWTON hatten wahrlich nicht mit Vorstellungen zu rechnen geglaubt, als sie die Grundzüge der Mechanik des Himmels und der Erde entwarfen. SCHLEIDEN und SCHWANN waren ebensowenig der Meinung gewesen, ein kleines Stück Vorstellung bestimmt zu haben, als sie die Zelle für das Element aller Organismen erklärten. Und RÖNTGEN war sicherlich von der Ansicht weit entfernt, daß er neue Vorstellungen entdeckt hat, als er die nach ihm benannten Strahlen auffand. Aber was brauchte man sich als Naturphilosoph, als Erkenntnistheoretiker um die Auffassung solcher Empiriker zu kümmern? Dazu war ja die Philosophie da, um alles umzudenken und den tieferen Sinn solcher wissenschaftlicher Ergebnisse bloßzulegen. Und so wurde der Konszientalismus und allenfalls noch der Phänomenalismus zur einzig standesgemäßen Erkenntnistheorie der Naturforschung. Empfindungen als elementare Bewußtseinsinhalte, Begriffe, die sich ihnen nach dem Prinzip der Ökonomie des Denkens anzupassen hatten, und dazu vielleicht ein unerforschliches und darum für die Wissenschaft ganz indifferentes Ding-ansich - damit glaubten gewisse Erkenntnistheoretiker den Realwissenschaften gerecht werden zu können. Es gibt kaum etwas Unerquicklicheres als die verklausulierte Darstellung derjenigen Naturforscher, die im Sinne dieser Erkenntnistheorie fortwährend versichern, daß sie mit der Wahl realistischer Ausdrücke selbstverständlich keine realistischen Ansichten verbinden wollen. Sie tragen eine ihrem Gebiet fremde Auffassung in die Darstellung desselben hinein und vergessen, daß Vorsicht nicht nur die Mutter der Weisheit, sondern auch der Untätigkeit ist. Nur wer an die Bestimmbarkeit einer realen Natur glaubt, wird seine Kräfte an deren Erkenntnis setzen. Es ist das Wahrzeichen eines verstiegenen Idealisten, daß er den Weg zur Wirklichkeit nicht findet und daß sein Reden und Tun entzweit ist. So betonen jene Erkenntnistheoretiker beständig, daß sie sich nur an das Bewußtsein halten, und können doch keine Naturgesetze in den Terminis ihrer Lehre formulieren. Sie lösen die ganze Natur in Eindrücke der Sinne, in Zahlen und Begriffe auf und finden sich bei jedem Schritt in eine von Sinneswahrnehmung und Verstandestätigkeit unabhängig bestehende Welt hineingestellt. So wandeln sie in unaufhörlichem Selbstwiderspruch dahin und hemmen durch vornehme erkenntnistheoretisch Floskeln die gesunden und starken Triebe realistischer Setzung und Bestimmung. Die vielgeschmähten Metaphysiker konnten jedenfalls nicht hochmütiger auf die im Erdenstaub wühlenden Empiriker herabsehen, als diese gestrengen Herren unter den Naturforschern auf das erkenntnistheoretisch unbelehrte Geschlecht ihrer Zunftgenossen blicken.

Es dürfte an der Zeit sein, sich auf die eigentliche Aufgabe der Erkenntnistheorie zu besinnen. Der Konszientalismus und Phänomenalismus haben ihre Mission mehr als erfüllt. Sie mahnen und warnen nicht mehr, sondern haben den Charakter eines lästigen Schlagbaums angenommen. Sie dienen nicht mehr einer im allgemeinen nützlichen Vorsicht und Besonnenheit, sondern sind zu dogmatischen Fesseln umgeschmiedet worden. Sie werden nicht mehr aufgerufen, um die Anmaßung einer übereilten und phantastischen Realisierung zu dämpfen, sondern sie drohen selbst dem Fortschritt der Erkenntnis zum Hemmschuh zu werden. Angesichts der gewaltigen Errungenschaften, die uns die Naturwissenschaft auf dem Boden eines wagemutigen Realismus gebracht hat, darf die Erkenntnistheorie nicht das Schauspiel einer in sich abgeschlossenen, formalistische Gedanken drehenden und wendenden Disziplin darbieten. Sie ist berufen, die Wissenschaft zu begleiten, nicht aber hinter ihr zurückzubleiben. Sie soll uns den Realismus der Wissenschaft verständlich machen, seine Voraussetzungen und Methoden aufweisen und systematisieren und ihm damit zugleich gewisse Grenzen ziehen, aber sie soll ihn nicht in trivial gewordenen konszientalistischen und phänomenalistischen Grämlichkeiten ersticken. So allein wird sie das große werk des Königsberger Weisen fortführen und in seinem Geist eine Wissenschaftstheorie werden (13).

Voraussetzung für die transzendentale Methode der Erkenntnistheorie ist ja nicht, was irgendein Vertreter seiner Wissenschaft dafür hält, zumal wenn er dabei von einem dieser nicht sowohl entnommenen als vielmehr an sie herangebrachten philosophischen Standpunkt beherrscht ist, sondern was sich in dieser Wissenschaft selbst als grundlegend erweist (14). Darum erleichtert es die Arbeit des Erkenntnistheoretikers nicht, wenn er die Reflexionen eines Forschers in seine Untersuchungen hineingetragen findet. Naivität des wissenschaftlichen Betriebes, die reine Hingegebenheit an den Gegenstand, der Versuch, so unmittelbar und zweckmäßig wie möglich seiner Art und seinem Inhalt Ausdruck zu geben - das dürften die günstigsten Bedingungen für eine erfolgreiche Anwendnung der transzendentalen Methode sein. Wissenschaft von der Natur und Theorie dieser Wissenschaft ist zweierlei, wie ja auch die künstlerische Produktion und die ästhetische Theorie des Schaffens und Genießens zweierlei ist. KANT hat das Genie als das Talent bezeichnet, welches der Kunst die Regel gibt, und die Ästhetik vor die Aufgabe gestellt, diese Regel aus den Leistungen des Genies zu abstrahieren. Nicht durch Gedanken über seine Kunst, sondern durch seine Werke bereichert und befruchtet das Genie die Ästhetik. Ganz ähnlich dürfte es sich bei der Beziehung zwischen der Naturwissenschaft und der Erkenntnistheorie verhalten. Dem genialen Naturforscher, der uns in das Geheimnis der realen Welt einzuführen weiß, hat der Erkenntnistheoretiker nachzudenken. Wer am Wunderbau der Naturwissenschaften tätigen Anteil nimmt, wird darum gut tun, die Darstellung seiner Forschungen von der Anlehnung an eine erkenntnistheoretische Richtung ganz unabhängig zu gestalten. Er darf es der wesentlich verschiedenen philosophischen Arbeit überlassen, seine Leistung zu verstehen und erkenntnistheoretisch zu würdigen. In diesem Sinne ist eine friedliche und zweckmäßige Verteilung der Aufgaben und Arbeiten möglich. Dort ist die Natur der Gegenstand, hier die Wissenschaft von ihr; Erkenntnis wird dort geschaffen, hier bloß begriffen.
LITERATUR - Oswald Külpe, Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft,Leipzig 1910
    Anmerkungen
    7) Hermann von Helmholtz, Die Tatsachen in der Wahrnehmung, 1879, Seite 12f.
    8) Vgl. dazu meine Besprechung eines Buches von Freytag in den "Göttinger gelehrte Anzeigen", 1904, Seite 102f.
    9) Ebenso schalten wir hier die Realisierung durch eine Kombination realistischer Bestimmungen zu einer neuen und die Realisierung durch Deutung aus. Jene, weil sie bereits primäre Realisierungen voraussetzt, diese, weil sie in der Naturwissenschaft zurücktritt und nur in den Geisteswissenschaften eine größere Rolle spielt. Im Ganzen sind in den Realwissenschaften fünf allgemeine Formen der Realisierung in Anwendung.
    10) Vgl. darüber meine Abhandlung über Fechner "Zu Gustav Theodor Fechners Gedächtnis" in der "Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie", Bd. 25, Seite 191f.
    11) Nach Paul Volkmann, "Erkenntnistheoretische Grundzüge der Naturwissenschaften", zweite Auflage 1910, Seite 27) hat Heinrich Hertz zuerst in diesem Sinn von einer Abbildung gesprochen, was man mit Machs Nachbildung von Tatsachen in Gedanken nicht verwechseln darf.
    12) Es ist erfreulich zu sehen, der Realismus auf philosophischer Seite ebenso wie in naturwissenschaftlichen Kreisen wieder an Boden gewinnt. Besonderen Eindruck machte mir der unverkennbar realistische Einschlag in Windelbands Vortrag über den Begriff des Gesetzes auf dem Heidelberger internationalen Philosophenkongreß, 1908. Außerdem sei auf das anregende und sachkundige Buch von Erich Becher, "Philosophische Voraussetzungen der exakten Naturwissenschaften", 1907 und die vornehmlich an der Chemie orientierten "Vorfragen der Naturphilosophie" von Otto von der Pfordten, 1907, verwiesen.
    13) Auf spezielle Probleme, wie das gegenwärtig im Vordergrund des Interesses der Physiker stehende Relativitätsprinzip von Einstein, über das sich Natorp, "Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften", 1910, Seite 392f, wie mir scheint, in einem wesentlichen Punkt treffend ausgesprochen hat, oder die Versuche, die Mechanik auf Elektrodynamik oder beide auf eine allgemeine Dynamik zu gründen (vgl. z. B. Hans Witte, "Nachträge zur Ätherfrage" im "Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik, Bd. VII, Seite 259f), oder den Streit zwischen Mechanismus und Vitalismus usw. einzugehen, war im Rahmen dieses Vortrags nicht möglich. Er sollte nur eine grundlegende erkenntnistheoretische Voraussetzung der Naturwissenschaft erörtern. Doch möchte ich ausdrücklich noch darauf hinweisen, daß die erkenntnistheoretischen Betrachtungen eine allgemeine Ergänzung der Naturwissenschaft darstellen und nicht ihre Methode beeinflussen sollen. Gerade in diesem Sinn ist der Anschluß an eine bestimmte Erkenntnistheorie von der Forschung möglichst fernzuhalten. Der Naturforscher wird am Besten seinen Aufgaben dienen, wenn er sich nicht mit philosophischen Grübeleien über deren Bedeutung und Tragweite belastet. Unsere Ausführungen wollten zeigen, daß er im dunklen Drang sich des rechten Weges wohl bewußt ist. Die transzendentale Methode hat diesen seinen rechten Weg aufzuweisen, aber nicht vorzuschreiben.
    14) Wenn Walter Frost, "Naturphilosophie", Bd. 1, 1910, Seite 282 behauptet, der Ausdruck "philosophische Voraussetzungen der Naturwissenschaft" involviert einen Irrtum, einen Mißgriff, die Naturwissenschaft bedürfe einer philosophischen Vorarbeit nicht, so zeigt der letzte Satz, daß es sich um ein Mißverständnis handelt. Gewiß bedarf die Naturwissenschaft einer philosophischen Vorarbeit nicht zu ihrer Forschung. Gerade das ist auch unsere Meinung. Aber sie hat doch ihre Voraussetzungen, und deren Theorie kann als eine besondere wissenschaftliche, als eine philosophische Aufgabe gelten. Und mir scheint, daß Frost selbst dieser Aufgabe in seiner Weise nachgekommen ist.