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Über die Frage nach der Erkenntnis der Dinge-ansich [2/2]
Es ist schon einmal darauf hingewiesen worden, daß wir diese Voraussetzung gar nicht in Frage stellen und eine solche Frage gar nicht beantworten können, ohne in ganz wunderliche Tautologien zu geraten. Der objektive Wert des "Sein" besteht ja eben darin, daß es "Sein" ist und nicht bloßes Gedachtwerden. Wollten wir hiernach erst fragen, so müßte demnach die Frage lauten:
Jene Fragestellung, die ich jetzt geprüft und als unmöglich zurückgewiesen habe, begingen den Fehler, daß sie sich dieser Anerkennung entzogen zu haben wähnten, und erst nach ihr fragten. Wir sahen sogleich anfangs, daß die Frage unter der Voraussetzung geschah, unser Dasein könne möglicherweseis ein "bloßes" Denken sein, so daß also unser "dies ist so" nicht wirklich ein "dies ist so" bedeutet, sondern bloß ein "wir müssen es so denken, oder wir denken es so". In diesem Fall wäre also die Bedeutung der Kopula "ist" nicht = est, sondern = mere cogitatur, oder mit anderen Worten, es wäre das Urteil gefällt worden: "Ist ist nicht Ist." Dieses Urteil bedient sich nun aber selbst der Kopula "ist", und zwar in der Meinung, daß in derselben das Sein wirklich = Sein ist, und nicht bloß = mere cogitati. Ebenso würde das Urteil, daß der Begriff "Ding-ansich" ein bloß psychisches Produkt ohne Brauchbarkeit für das Erkennen ist, dem allgemeinen, objektiv hingestellten Gattungsbegriff des Sein eine Spezies der "bloßen psychischen Produkte" unterordnen, welcher dann weiter der Denkinhalt "Ding ansich" subsumiert würde, in der Meinung, daß diese Unterordnungen objektiv so sind, d. h. nicht dem Denken, sondern dem gedachten Inhalt als solchem eigen sind. Wollte man etwa einwenden, unsere Seinskopula sei eine bloße Sprachform, und bedeute nichts Anderes als cogitari oder etwa cogitandum esse, es seien also in der Tat unsere Gedanken eben "bloße Gedanken": so würden wir hiergegen bemerken müssen, daß dann auch der Ausdruck "bloße Gedanken" seinen Gegensatz und folglich seinen ausschließenden Sinn, also jeden Sinn verlieren würde, demnach auch so jene Fragestellungen verschwinden müßten. Nichts Anderes als eben dies, jenen Gegensatz verschwinden zu lassen und zu zeigen, daß Gedachtes und Seiendes (im Sinn der Kopula) identisch sind, so daß die ihren Unterschied voraussetzende Problemstellung gleichfalls verschwindet, war hier unsere Absicht. Recht präzise gestaltet sich die Sachlage, wenn wir, in Erwägung, daß aller Denkinhalt das Sein der Kopula nur einteilt, also diesem Sein gleich ist, jene Frage nach der Objektivität des Denken so formulieren:
Wir haben hiermit eine schon früher gestreifte Bezeichnung gewonnen für die Fähigkeit, für die tatsächlich vorhandene, unleugbar von jedem Denken und Fragen vorausgesetzte und ausgeübte Fähigkeit, auf der die Objektivität oder der Wahrheitswert des Denkens beruth. Es ist die Fähigkeit, beim Denken selbst vom psychischen Daß der Funktion zu abstrahieren, und dafür das Was des gedachten Inhalts für sich allein oder ansich ins Auge zu fassen. Heißt nun dieser gedachte Inhalt seiner allgemeinsten Gattung nach "Sein", so können wir hiernach unser Resultat endlich in die knappeste Form gießen, indem wir sagen:
Nichts ist aber wahrer, als Tautologien. Unser großes Ergebnis läßt sich in lauter Tautologien fassen. Wir können sagen: Sein ist Sein, oder: Inhalt ist Inhalt, und in der speziellen Anwendung auf unser Problem: Ding-ansich ist Ding-ansich, oder: weil wir die Dinge-ansich denken, so denken wir eben die Dinge ansich. Dieses Resultat ist geschichtlich unter dem Namen aufgetreten: Identität des Denkens und Seins, ein irreführender und inkorrekter Name, der überdies auch mit Trübungen und Übertreibungen jenes Resultats zusammenhing. Nur der gedachte Inhalt, in Abstraktion vom Daß der Denkfunktion betrachtet, ist Sein, und zwar jenes allgemeinste Sein, wie es die Kopula enthält, und unter welchem auch das Nichts, das Unmögliche usw., wie wir gesehen haben, Arten sind. Wiefern jenes "Sein" zugleich wirkliche Realität ist, davon soll bald die Rede sein. Die SCHELLING-HEGELsche Identitätsphilosophie hat diese Realität des obersten Seinsbegriffs ohne Weiteres zu voll angenommen, obwohl sich bei HEGEL gelegentlich die Einsicht Raum schafft, daß dieses oberste Sein das der Kopula ist (so z. B. in der Abhandlung "Glauben und Wissen" in den Werken I, Seite 24). Der Kritizismus dagegen macht das Denken zu einem leeren Denken, und muß sich deshalb fortwährend selbst vernichten, denn er beansprucht doch auch für sein eigenes Denken einen Inhalt, der wahr sein soll, bzw. eine kopulativen Seinsinhalt darbieten soll, was Beides dasselbe ist. Jene Identitätsphilosophie wiederum zog das Daß der psychischen Funktion mit in den Seinsgehalt hinein und objektivierte deshalb in seltsamster Weise die logischen und dialektischen Prozesse, in welchen sich der Mensch den Seinsgehalt entwickelt, zu metaphysischen und kosmischen Prozessen. Der Kritizismus dagegen machte auch das Was zu einem bloßen Daß, erklärte auch die Inhalte des Seins, wie sie in den Kategorien und in den Vernunftideen liegen, für bloße Funktionsweisen des menschlichen Denkens. Er scheute dabei auch das Äußerste nicht, die Kategorie des Seins selbst für eine subjektive zu erklären, und zwar nicht die des "Daseins", sondern auch die der bloßen assertorischen [behaupteten - wp] Modalität, ebenso die der "Möglichkeit" und "Notwendigkeit": so daß also, wenn KANT einen Beweis mit den Worten schloß "dies muß so sein", diese Apodiktizität [Bestimmtheit - wp] gar keine objektive Wahrheit beanspruchen durfte, folglich die ganze kantische Lehre sich selbst diese Wahrheit absprach. So vernichtete auch hierdurch diese Lehre sich selbst: wie sie ja nach Obigem überhaupt gar keinen Inhalt zu haben beanspruchen durfte, sondern als bloßen Denkfunktionen bestehen wollte, deren Inhalt gar nicht als Inhalt in Betracht zu ziehen, sondern als psychisches Phänomen dahingestellt zu lassen war. Aber sagen wir und sagte KANT nicht auch vom leeren psychischen Phänomen, daß es ist, was es ist? Deduktionen, wie wir sie bis hierher und namentlich zuletzt ausgesponnen haben, machen leicht den Eindruck bloßer Wortgefechte. Der Gegner glaubt sich zu sehr am Buchstaben angefaßt; er wirft zornig entgegen, so meine er es gar nicht, man solle besser auf seinen Sinn eingehen, die Sache prüfen, nicht die bloßen Formeln usw. Wohlan, besinnen wir uns von Neuem auf die "Sache". Die Sache war die, daß es fragwürdig schien, ob unser Erkenntnisvermögen und Erkenntnis darüber zu liefern imstande ist, ob sogenannte "Dinge-ansich" existieren oder nicht, wie beschaffen sie sind, ob sie überhaupt möglich sind, kurz: es erschien fragwürdig, ob wir von Dingen-ansich Etwas auszusagen vermögen, was denselben wirklich, in Wahrheit, zukommt, oder: was sie sind oder nicht sind. Dieser letzte Ausdruck zeigt uns, daß unser Denken auch in diesem Fall, wie immer, seinen Inhalt durch den Seinsbegriff ausdrückt. Alles Wissenwollen heißt Fragen, was Etwas ist. So fragen wir, was "Dinge ansich" sind, und fragen auch, ob sie erkennbar sind. Offenbar ordnen wir sie schon hierdurch der Gattung "Sein" unter; die Frage bleibt sonach nur die, welcher Spezies dieser Gattung sie angehören. Die Erkennbarkeitsprüfung würde also, unseren Erörterungen gemäß korrigiert, jetzt lauten müssen:
Es ist freilich etwas sonderbar, zu denken, daß wir von einem Begriff, dessen Inhalt wir selbst denkend hervorbringen, nicht wissen sollten, welcher Spezies des obersten Denkbegriffs er angehört, mit anderen Worten, welchen Inhalt er hat. Sollte uns Das, was wir selbst gedacht haben - so fragen wir abermals -, gänzlich unbekannt sein? Allein, lassen wir das. Wir haben uns nur die Aufgabe gestellt, auf Antizipationen in der Problemstellung zu fahnden. Diese Aufgabe auch hier verfolgend, müssen wir der neuen Fragestellung Folgendes entgegenhalten. Einer Spezies des allgemeinen "Sein" ist ja doch der Begriffsinhalt "Ding-ansich" bereits zugeteilt, nämlich der Spezies der Begriffsinhalte oder der Denkprodukte, hiermit der allgemeineren Spezies der psychischen Phänomene, der Bewußtseinsinhalte. Hiervon geht die Frage ausdrücklich aus; denn sie möchte erkannt sehen, ob wir an diesem Bewußtseinsinhalt noch etwas Mehreres besitzen, als einen bloßen Bewußtseinsinhalt, einen "bloßen Gedanken". Es wäre interessant, genauer zu erfahren, was dieses Mehrere sein soll. Zuvor aber wollen wir uns einer wichtigen Frucht unserer letzten Bemerkung versichern. Bis jetzt wagten wir nicht, das Sein der Kopula mit dem gewöhnlichen, populären Begriff des Seins, Daseins, der Realität, Wirklichkeit, gleichzusetzen. Stand ja doch auch das Nichts, das Unmögliche, Nichtseiende unter der Gattung jenes kopulativen Seins! Jetzt aber erkennen wir, daß nichtsdestoweniger dieses "Sein" überall wirkliche Realität bedeutet, also die sehr mißliche Unterscheidung zwischen Sein und Sein uns erspart bleibt, und der hierbei früher gefürchtete Widerspruch verschwindet. Ein Urteil nämlich, welches aussagen wollte, dies oder das ist nicht wirklich, enthielte dieses Nichtwirkliche doch als einen Gedankeninhalt, folglich als eine Gedankenrealität, als eine psychische Tatsache. Auch in dem Urteil "der viereckige Kreis ist unmöglich" ist das Subjekt "viereckiger Kreis" eine psychische reale Gedankenzusammenstellung, also eine Wirklichkeit von der Art der "bloß psychischen". So natürlich in allen Urteilen. Auch der Irrtum, der Wahn, ist. Die "Identität des Denkens und Seins" oder der Satz "Denkinhalt = Sein" tritt uns hiernach in ein neues Licht, und verliert gänzlich den Anschein einer bloßen logisch-formalen Subtilität. Jener allgemeinste Seinsbegriff der Kopula ist wirklich der Begriff der Realität. Das Denken hat stets Seinsarten, Wirklichkeiten, zum Inhalt; denn auch das sogenannte "bloß Gedachte" ist eine Seinsart, eine Wirklichkeit; sogar der Begriff des Nichts ist eine psychische Realität. Kehren wir zu unserer Frage zurück, so bedeutet dieselbe also jetzt näher ein uns entstandenes Bedenken, ob wir wissen können, welcher realen Seinsart der Begriffsinhalt "Ding ansich" angehört, nämlich ob lediglich der psychischen Seinsart des "bloß Gedachten", oder zugleich - irgendeiner anderen. Haben wir denn bei diesem Aufstellen "anderer" Seinsarten ein bestimmtes Schema verschiedener Seinsarten im Hintergrund, deren eine die des "bloß psychischen" Seins wäre? Was setzen wir denn etwa diesem "bloß Psychischen" entgegen? Eine erste Betrachtung zeigt, daß wir nicht ein nur zweigeteiltes Schema von Gegensätzen hierbei mitbringen, nach den Seinsarten des "bloß" Psychischen und des nicht bloß Psychischen gespalten, sondern in Bezug auf Gedankeninhalte eine längere Skala kennen, von dem schlechterdings "bloß" Gedachten, was nur als gänzlich nichtiges Bewußtseinsphänomen Realität hat und haben kann, bis zu dem zugleich auch außerhalb unseres Bewußtseins Realisierten. Wir wollen dieser Skala nachgehen. 1. Lediglich als Bewußtseinsphänomen, und zwar als gänzlich nichtiges, d. h. auf keinerlei außersubjektive Realität beziehbares Bewußtseinsphänomen, existiert und muß existieren Dasjenige, von welchem zu urteilen sein würde, daß es absolut unmöglich ist wegen seiner eigenen, inneren Unmöglichkeit. Ob wir mit diesem Urteil immer richtig liegen, ja überhaupt das Rechte zu treffen vermögen, ist jetzt gleichgültig. Wir konstatieren nur, daß wir faktisch diese Rubrik bereithalten. Wir füllen sie aus mit solchen Gedankenverbindungen, welche auch in ihrer psychischen Realisierung eigentlich nicht als Verbindungen, sondern nur als äußerliche Nebeneinanderstellungen realisiert sind. Weil diese Verbindungen hiernach sogar psychischen nicht eigentlich realisierbar sind, pflegt man sie ungenau "Undenkbarkeiten" zu nennen, obwohl sie doch in der Tat "gedacht" waren, freilich nur als bloße Begriffskonlogmerate, eben als "bloß" gedachte Verbindungen, nicht vollzogene Verbindungen. Hierher gehört der "viereckige Kreis", aber auch begriffliche Widersprüche, welche nicht schon durch eine sinnliche Unvollziehbarkeit ihre Zugehörigkeit zu dieser Klasse erweisen, z. B. "ein tugendhaftes Laster" und dgl. 2. "Bloß gedacht" nennen wir auch solche Bewußtseinsinhalte, welche uns eine innere Unmöglichkeit, d. h. Unvollziehbarkeit der darin intendierten Gedankenverbindungen als solcher, nicht zeigen, dagegen aber wegen Mangels äußerer Bedingungen für immer verurteilt sind, bloße Gedankeninhalte zu bleiben. Hierhin rechnen wir den Inhalt vieler idealer Wünsch. 3. Eine eigentümlich Zwischenklasse denken wir uns von solchen Inhalten eingenommen, welche zwar im Denken, aber nicht im sinnlichen Vorstellen realisierbare Verbindungen darbieten, sowie überhaupt nicht in einzelner Ausführung. Wir werden diesen Inhalten deshalb nicht völlig die außersubjektive Realisierbarkeit absprechen, aber wir meinen, daß die Realisierung eine fortwährend ungenügende, unvollständige sein und bleiben muß. Dies gilt vor allem Unendlichen, so namentlich von der Unendlichkeit der Zahlenreihe, der Zeit, auch des Raums. 4. Nicht "bloß gedachte" nennen wir schon diejenigen Inhalte ohne Bedenken, von welchem wir zu wissen glauben, daß sie sich der vollen Bedingungen außerpsychischer Existenz erfreuen, obwohl sie nicht in Wirklichkeit eine solche Existenz bereits besitzen, oder sie vielleicht nicht mehr besitzen. 5. Endlich am entschiedensten nicht bloß gedacht würde sein, was die Wirklichkeit außerhalb des Bewußtseins bereits vollständig hat. Natürlich gilt dieselbe Gradation, welche hier zunächst auf die Realität ganzer Wesen oder Dinge bezogen wurde, ebenso von der Realität einzelner Eigenschaften, Zustände, Tätigkeiten. Möglich übrigens, daß die Skala noch mehrere feine Übergänge verträgt; wir begnügen uns mit dem Aufgestellten. Ein derartiges Schema also ist es, welches der Frage vorschwebt, ob wir wissen können welcher Seinsklasse der Begriffsinhalt "Ding ansich" angehört. Zuvörderst ist dabei demnach als zweifelhaft hingestellt, ob wir wissen können, ob "Dinge ansich" eine innerlich verbindbare Gedankenverbindung oder eine innerlich Unverbindbares ("Sinnloses, Undenkbares, absolut Unmögliches") aussagende, bloß äußerliche Gedankenzusammenstellung ist; sodann, ob wir wissen können, ob und in wieweit "Dinge ansich" eine außersubjektive Existenz haben können; endlich, ob uns bekannt zu werden vermag,, daß diese Dinge wirklich außersubjektiv realisiert sind, oder nicht sind, und wie sie nach Eigenschaften, Zuständen, Tätigkeiten in solcher Realität beschaffen sein würden. Deutlich gibt sich in dieser Skala der Begriff einer "außersubjektiven Realisierbarkeit und Wirklichkeit" als dasjenige Ingrediens zu erkennen, welches durch seine gradweise Zumischung die Entfernung vom niedrigsten Punkt der Skala, die Annäherungsgrade an den höchsten Punkt, bedingt und bestimmt. Dieser Begriff ist gleichsam hier Exponent der Reihe. Unsere neue Fragestellung setzt also allenthalben voraus, daß die Realität einteilbar ist in subjektiv-psychische Gedankenrealität und - andere, die wir vorläufig außersubjektive und außerpsychische nannten, sowie, daß die Realisierbarkeit einteilbar ist auf gleiche Weise. Wir machen hier die merkwürdige Entdeckung, daß der Begriff "Ding-ansich" in der neuen Fragestellung zweimal vorkommt. Indem nämlich unzweifelhaft sein dürfte, daß "außerpsychische" oder "außersubjektive" Existenz eben dasselbe ist, wie Existen von "Dingen ansich" mit ihren Eigenschaften, Zuständen und Tätigkeiten, so geht jene Fragestellung aus von der Einteilung des Seienden in
b) außerpsychisches = Dinge ansich Die Fragestellung stellt eine Einteilung von realen Seinsmöglichkeiten auf, nämlich
2) solche, die nicht bloß als solche Objekte, sondern auch für sich selbst zu existieren vermögen, d. h. "Dinge-ansich" sein können.
Nun war die zuletzt entdeckte Antizipation die, daß Dinge-ansich bereits als reale Seinsmöglichkeit figurierten. Man beabsichtigt, auch dies noch als möglicherweise unerkennbar dahingestellt zu lassen, und erst nach der Erkennbarkeit auch hiervon zu fragen. Wie soll dies geschehen? "Dinge ansich" war der Name für die "außerpsychische" Seinsklasse. Soll die Aufstellbarkeit einer solchen Klasse überhaupt als zweifelhaft hingestellt werden, so müssen wir fragen:
Und kann denn dies irgendwie bezweifelt werden, daß wir zu wissen imstande sind, was eine reale Seinsmöglichkeit ist, da wir doch diesen Begriff selbst denken, da wir ihn denken mußten, um nach ihr zu fragen? Wie soll uns unerkennbar sein, was wir selbst denken? Hierzu kommt noch, daß wir sogar reales Sein, Wirklichkeit, nicht nur Seinsmöglichkeit, gedacht haben, als wir den Begriffsinhalt "Ding ansich" in jedem Fall unter die psychischen Realitäten subsumieren mußten. Wie kann uns also gänzlich unerkennbar sein, was zur Realität gehört, wenn wir Gelegenheit haben, wenigstens eine Art solcher Realiät verwirklicht zu sehen und als verwirklicht zu erkennen? Also die reale Seinsmöglichkeit oder Unmöglichkeit von "Dingen ansich" ist keinesfalls gänzlich unerkennbar. Auch dies konnten wir noch aus den Voraussetzungen der Fragestellung selbst ableiten. Aber auch die etwaige Wirklichkeit solcher Dinge? Nach einer Seite hin folgt die Entscheidung über die Wirklichkeit schon aus der über die Möglichkeit. Denn wird die Möglichkeit als nicht vorhanden erkannt, also Unmöglichkeit erwiesen, so ist die Wirklichkeit eo ipso [schlechtin - wp] geleugnet, also über sie entschieden. Ein Nachweis, daß "Ding-ansich" ein sinnloser Begriff, ein Begriff ist von der oben aufgestellten Klasse 1, also es schlechterdings keine Dinge-ansich geben kann, so gut wie es keine viereckigen Kreise geben, - auch sein solcher Nachweis wäre eine vollständige Erkenntnis der "Dinge-ansich". Sie wären dann vollständig als "Unmöglichkeiten" (d. h. genauer, als psychische Realitäten der Klasse 1 unserer obigen Reihe) erkannt. Ebenso, wenn der Nachweis gelänge, daß sie der Klasse 2, dem innerlich Möglichen, nur durch äußeren Mangel Verhinderten, angehören. In diesen beiden Fällen würden die Klassen 4-5, bzw. 3-5, überhaupt gar nicht aufgestellt werden dürfen, es würde vielmehr der Satz gefunden sein, daß alle Realität auf das bloß psychische beschränkt sein und bleiben muß. Ob dieser Satz nicht wiederum in sich selbst zerfällt, wollen wir jetzt nicht untersuchen. Auch in dieser Beziehung ist in allen unseren Fragestellungen eine unberechtigte Antizipation geschehen. Man fragte nach der Erkennbarkeit von "Dingen-ansich", als ob von vornherein feststehen würde, daß diese Worte überhaupt einen Sinn haben, als ob man bereits erkannt hätte, daß "Ding-ansich" keine bloße Zusammenstellung von Begriffsinhalten ist, deren wirkliche Verbindung nicht einmal im Denken vollziehbar ist. Würde man wohl ebenso naiv nach der Erkennbarkeit von viereckigen Kreisen fragen? Oder hielt man ernsthaft für möglich, daß etwa auch dann, wenn bereits feststeht, daß ein Begriff so widersprechend ist wie "hölzernes Eisen" und dgl., immer noch in Frage kommen kann, ob der Inhalt eines solchen Begriffs nicht doch vielleicht außerhalb des Denkens real möglich, ja wirklich ist? Und glaubte man, dies noch annehmen zu dürfen, selbst wenn man zuvor gefunden hätte, daß der Begriff der "äußeren Seinsmöglichkeit" selbst - das ist ja der Begriff "Ding ansich" - ein Unsinn ist? Ein nicht uninteressanter, schikanöser Einwand könnte uns hier in der Tat noch ein Bein stellen wollen. Man könnte fragen: wissen wir denn auch gewiß, daß die innere Seinsmöglichkeit einer Gedankenverbindung, also die sogenannte "Denkbarkeit", die Bedingung der äußeren ist? - wissen wir denn gewiß, daß, was Unsinn für unser Denken, zugleich eine Unmöglichkeit ist für das Sein außerhalb des Denkens? - wissen wir denn gewiß, ob es viereckige Kreise nicht doch vielleicht draußen geben kann, obwohl wir sie in unserem Innern nicht zu zeichnen vermögen? So könnte vielleicht jener absolut anti-rationalistische Überglaube sprechen, der das credo quia impossibile, quia ineptum, quia absurdum [Ich glaube, weil es unmöglich, dumm und absurd ist. - wp] des TERTULLIAN verteidigt. Der Fehler liegt hier darin, daß sich der Einwand bereits des Begriffs "äußere Seinsmöglichkeit" bedient, als sei bereits entschieden, daß sich der Denkende dieses Begriffs bedienen darf. Auch TERTULLIAN wollte, daß seine Worte einen Sinn haben, d. h. nicht bloßen Gedankekonglomerate sind. Auch er wollte, daß seine Kopula "ist" eine wirklich in Gedanken vollzogene Verbindung ausdrückt, daß sie nicht mit dem gleichen Recht und gleicher Wahrheit vertauscht werden kann mit "ist nicht". Auch er wollte, daß, wenn er credo sagte, dies mit non credo nicht identisch ist. Er mußte sich also ebenso, wie wir, zuvörderst alle solche Gedanken verbieten, und durfte sie nicht weiter anwenden, von welchen sich zeigte, daß sie bloße unverbundene Konglomerate, eine bloße Zusammenstellung von "ist" und "nicht ist", von Ja und Nein, liefern, wie z. B. der Gedanke eines viereckigen Kreises. Unter dasselbe Gesetz nun würde auch der Gedanke "äußere Seinsmöglichkeit" gestellt sein. Passiert dieser Gedanke die Zollgrenze der Vernunft, so geschieht dies nur, weil er die Marke der inneren Möglichkeit erhalten konnte. Wollte man daher aus den Mantelfalten dieses Begriffs versteckte innere Unmöglichkeiten, z. B. viereckige Kreise, hervorziehen, so würden diese eben für Konterbande [Schmuggelware - wp] zu gelten haben. Die "äußere Seinsmöglichkeit" ist nur als Begriff zuzulassen, wenn ihr die "innere Seinsmöglichkeit", oder, wie man gewöhnlich sagt, die "Denkbarkeit" zuerkannt ist. Sie bildet dann ein Glied innerhalb des Denkbaren oder innerlich Möglichen. Folglich darf etwas innerlich Unmögliches nicht in sie aufgenommen werden. Mit anderen Worten: das innerlich Unmögliche, Undenkbare, ist auch äußerlich unmöglich, existenzunfähig. Wir entscheiden also in dieser Richtung mit der Denkmöglichkeit zugleich auch über die Wirklichkeit insofern, als wir mit der Undenkbarkeit in jedem Fall die Unwirklichkeit entscheiden. Die "innere" Seinsmöglichkeit ist eben nur die erste Grundlage der äußeren, ein Teil der äußeren. Es schwindet jede fundamentale Unterscheidung; wir enden auch hier mit einer Tautologie: "was möglich ist, kann soweit sein, als es möglich ist." Unser Denken besitzt den Begriff der Seinsmöglichkeit, es besitzt sonach auch das Vermögen, über die Grade dieser Seinsmöglichkeit zu urteilen. Ja, selbst die sogenannte absolute Unmöglichkeit oder Sinnlosigkeit ist nur der niederste Grad von Realisierbarkeit eines Gedankens. Welcher Grad kommt dem Begriffsinhalt "Ding ansich" zu? Etwa nur der Grad eines unverschmolzenen Gedankenkonglomerats, d. h. eines "unsinnigen" Begriffs? Oder haben die Worte "Ding-ansich" einen Sinn? Stellen sie eine innerlich mögliche Gedankenverbindung dar? Dies ist uns erkennbar. Lautet die Antwort auf die letzte Frage verneinend, so sind die Dinge-ansich vollständig erkennbar gewesen: sie sind erkannt als - Wind. Lautet die Antwort bejahend, so bedeutet "Ding ansich" den berechtigten Begriff der vollen außersubjektiven Seinsmöglichkeit, die uns dann auch erkennbar sein muß, weil wir eben ihren Begriff - als einen berechtigten - besitzen. Es bliebe sonach nur die Frage gestattet, ob wir auch die Verwirklichung der Dinge-ansich, falls sie nicht als unmöglich von vornherein abzuweisen war, zu erkennen vermögen. Jetzt endlich ist es Zeit, mit einer längst in petto [fähig zu sein - wp] gehaltenen Wahrnehmung vorzurücken, die wir schon in den ersten Anfängen unserer Untersuchung hätten aussprechen können, wenn wir es nicht vorgezogen hätten, sie bis hierher zu versparen. Just die stärkste Antizipation, die sich denken läßt, pflegt der Frager nach der Erkennbarkeit der Dinge-ansich am leichtesten zu übersehen, und es ist eine Antizipation, die sich durch keine Korrektur hinwegbringen läßt, da sie allen Problemstellungen ohne Ausnahme einwohnt, ebenso, wie wir dies von der Antizipation des objektiven Wahrheitswerts unseres Denkens aussagen mußten. In der Frage: "sind Dinge-ansich erkennbar?" oder: "können wir Etwas von Dingen-ansich wissen?" - haben wir bis jetzt das "Wir" gänzlich übersehen, oder auch das "Man", welches in der hier zuerst gewählten Form der Frage versteckt liegt, da ihr Sinn notwendig derselbe ist, wie wenn gesagt wäre: "kann man Dinge ansich erkennen?" Diese Wörtlein "man" oder "wir" sind der Herd oder Ausdruck der allerwichtigsten und für unseren Zweck durchschlagendsten Antizipation von allen, die wir entdeckten. "Erkennbar" ist ein abkürzender Ausdruck, der den dahinter liegenden Gedanken nur unvollständig verlautbart. In Wahrheit denkt Jeder, der nach Erkennbarkeit von Etwas frägt, entweder an sich selbst, oder an die Menschen überhaupt, oder endlich an die allgemeine Gattung erkenntnisfähiger Subjekte, und fragt, ob ihm selbst, oder ob den Menschen überhaupt, oder ob im Allgemeinen den Subjekten, welche im Übrigen Erkenntnisse zu haben vermögen, auch wohl die Erkenntnis des fraglichen Gegenstands, also z. B. der Dinge-ansich, gelingen wird und kann. Eine Frage, ob den Steinen die Dinge-ansich erkennbar sind, würde man solange abweisen, als nicht zuvor festgestellt wäre, daß die Steine im Übrigen erkenntnismäßige Subjekte sind. Also das "Man", welches in der Frage steck, bedeutet zumindest ein hypothetisch als vorhanden vorausgesetztes "erkenntnisfähiges Subjekt". Aber das genügt nicht. Nicht bloß, ob erkenntnisfähige Subjekte, falls es solche geben würde, die Dinge-ansich zu erkennen vermöchten, wird in jener Frage gefragt. Es ist vielmehr das Fragen in jener Form auch noch in einer anderen Beziehung ein abgekürzter Ausdruck. Auch das Fragezeichen will noch in Begriffe verwandelt sein, wenn jede Abkürzung verschwinden soll. Das Fragezeichen aber, ebenso die Wortstellung, bedeutet soviel als: "ich, der Fragende, will wissen." Ich, der Fragende, setze mich also in jeder Frage als ein wissensfähiges, erkenntnisfähiges, und in dieser Eigenschaft existierendes Subjekt voraus, und zwar nicht bloß hypothetisch, sondern in der unbezweifelten Meinung des Wissens, daß ich ein solches Subjekt bin. Frage ich nun nach einer Erkennbarkeit, so frage ich mit "wir" oder mit "man", sofern ich die Wirklichkeit oder Möglichkeit noch anderer solcher Subjekte hinzudenke. Aber offenbar hängt hieran nicht Sein und Nichtsein meiner Frage. Verbietet man mir, oder richtiger, verbiete ich mir selbst das "Wir" oder das "Man", so bleibt meine Frage in ihrer wesentlichen Tendenz bestehen, indem ich sie dann in der Form wiederholen darf, ob mir das fragliche Objekt erkennbar ist. Davon aber, mich als existierendes, erkenntnisfähiges Subjekt zu wissen, kann ich in der Frage gar nicht absehen, und kann es aus der Frage nicht wegschaffen, weil eben Fragen soviel heißt als Wissenwollen, die Tatsache, daß "ich frage", also gar nicht vorhanden sein würde, wenn nicht zugleich das als solches festgehaltene Wissen vorhanden wäre, daß ich ein wissenwollendes, folglich sich als erkenntnisfähig voraussetzendes Subjekt bin. Denn unbewußtes Fragen gibt es nicht. Die Erkenntnisfähigkeit ist auch nicht bloß indirekt als Bedingung des Wissens angenommen, sondern schon dadurch sichergestellt, daß auch das Wissen, daß ich frage, eine Erkenntnis ist. Das aufgestellte Problem, ob Dinge-ansich erkennbar sind, setzt also jedenfalls die dem Fragenden selbst bewußte Erkenntnis seiner eigenen Existenz als eines fragenden und erkenntnisfähigen Subjekts voraus, welches Interesse an der Frage nimmt und welches die Antwort vernehmen wird. Die Existenz dieses Subjekts und folglich die Erkenntnis dieses Subjekts und seiner Existenz anzweifeln oder leugnen, würde wieder in die Selbstaufhebungen des Skeptizismus führen, die uns schon mehrfach entgegengetreten ist. Die Erkennbarkeit der Existenz des fragenden Subjekts in Frage stellen, würde heißen, die Existenz dessen, der frägt, in der Frage selbst, die er stellt, in Frage stellen, seine Existenz dabei eben nicht in Frage stellt, sondern bejaht, ausspricht, betätigt. Ich, der Fragende, erkenne, daß ich bin, daß ich frage, daß ich erkenntnisfähig bin. All das sind Aussagen, welche mit der Kopula "Sein" einem Subjekt angeheftet werden als ihm, diesem Subjekt, objektiv, in Wahrheit, real zugehörig, - also als ihm, diesem Subjekt, ansich zugehörig. Sollte dieses Subjekt, das wir "Ich" nennen, mit Recht ein "Ding zu nennen sein? Und sollte die Existenz, die wir ihm zuerkennen, nicht eine jener außersubjektiven Seinsmöglichkeiten verwirklichen, die wir "Dinge ansich" nannten? Die "subjektive" oder "psychische" Existenz war uns diejenige, welche die Objekte unseres Bewußtseins haben, sofern sie solche Objekte sind, das Gedachte als Gedachtes. Dagegen nennen wir "Ding ansich" ein Existierendes, sofern es nicht bloß als Objekt eines Bewußtseins, sondern - außerhalb des Bewußtseins existiert. Endlich haben wir die Mittel gewonnen, positiv zu benennen, was wir bis jetzt nur mit ausschließenden Bezeichnungen benannt haben. Das "außerhalb" des Bewußtseins, nicht bloß als Objekt desselben Existierende, ist positiv all das, was als Subjekt existiert, und sofern es als Subjekt existiert. Nicht notwendig als Subjekt eines Bewußtseins, sondern überhaupt als Subjekt, welches selbst Träger ist von Eigenschaften, Zuständen, Tätigkeiten, die dann von ihm, als logischem Subjekt, urteilsweise auszusagen sein würden. Bloßes Objekt des Bewußtseins, bloß Gedachtes, sind jene psychischen Phänomene unseres Innern eben darum, weil sie nicht selbst Träger sind eines von ihnen Ausgesagten, sondern weil sie bloß Ausgesagtes, Eigenschaften, Zustände von einem Anderen sind, welches Andere dann seinerseits ein "Ding ansich" sein würde, welches durch diese Aussagen "erkannt" wird. Mit einem Wort: der Begriff "Ding ansich" ist der philosophische Begriff von Substanz (= dem aristotelischen "hypokeimonon" [Substanz und Subjekt = Träger des Prädikats - wp] (Aristoteles, Metaphysik VII, 3). Wir sehen hieraus, daß selbst die Lehre von der Unerkennbarkeit der Dinge-ansich, wie z. B. die Lehre KANTs, indem sie sagt, daß unsere Gedanken sämtlich nur den Wert von Erscheinungen, also von Bewußtseinsobjekten haben, die Erkenntnis von Dingen-ansich auch insofern voraussetzt, als sie voraussetzt, daß Subjekte ansich existieren, welchen die Erscheinungen erscheinen. Bei KANT wiederholt und steigert sich dieser innere Widerstreit im Besonderen noch in seiner berühmten Kritik der Psychologie ("von den Paralogismen der reinen Vernunft"). Das Wort "Erscheinung" ist eben auch nur eine abgekürzte Redeweise. Man denkt dabei in Wahrheit an ein gewußtes, bekanntes existierendes Subjekt, welchem die Erscheinung Objekt ist. Indem man nun ferner von diesem Subjekt aussagt, daß es diese bestimmten Erscheinungen hat, erkennt man dieses Subjekt in wahrhaft an ihm vorhandenen Zuständen, besitzt also an ihm ein wenigstens teilweise erkanntes Ding-ansich. Dieser positive Begriff vom Ding-ansich, Subjekt oder, was hier ganz dasselbe ist, Substanz zu sein im Vergleich zu bloßen Objekten als bloßen Prädizierungen, Akzidentien (wenn auch wesentlich, nicht bloß zufälligen) einer Substanz, ist lediglich entlehnt dem Selbstbewußtsein des Fragenden. Woher könnten wir auch unsere positiven Begriffe haben, als aus uns selbst? Die Sachlage ist also einfach die, daß das Subjekt des Fragenden sich selbst bereits als existierendes Subjekt, als ansich seienden Träger von Zuständen und Objekten, erkannt hat. Aus dieser Erkenntnis entnimmt es erst den Gegensatz von "Ding-ansich" und "Erscheinung" oder von "Ansichseiendem" und "bloß Gedachtem". Frägt man nun dennoch nach der Erkennbarkeit der "Dinge ansich", - was kann diese Frage dann eigentlich fragen wollen? - was darf sie allein fragen wollen? Zweierlei, nämlich
2) wieweit dieses Ich und die etwaigen anderen Wesen erkannt werden können. Es wird schwerlich gelingen, auch in den letzten Problemstellungen noch eine Antizipation der Beantwortung aufzuspüren. Denn daraus, daß ich andere existierende Dinge-ansich als seinsmögliche annehmen und erkennen kann, folgt noch nicht unbedingt die Erkennbarkeit ihres Verwirklichtseins, und daraus, daß ich den allgemeinen Begriff eines existierenden Wesens habe, folgt noch nicht, daß ich diesen Begriff in alle Einzelheiten seines Inhalts und seiner Beziehungen hinein zu mir zu ergänzen oder aufzuschließen vermag. In einem Fall jedoch - und dies wollen wir nicht unerwähnt lassen - wäre es allerdings möglich, aus der Erkenntnis der Seinsmöglichkeit auf die wirkliche Existenz zu kommen: in dem Fall nämlich, daß sich uns die Seinsmöglichkeit eines Begriffsinhalts soweit erschließt, um über die Notwendigkeit der Existenz derselben ein Urteil zu gewinnen, und uns dann diese Notwendigkeit sich in der Tat erweisen würde. Der Begriff der Notwendigkeit schlägt die Brücke von der Möglichkeit zur Wirklichkeit. Denn das Urteil über die Notwendigkeit der Verwirklichung oder des Verwirklichtseins eines Möglichen ist selbst nur ein Urteil über eine Art von Möglichkeit, nämlich eine Aussage von Unmöglichkeit des Nichtseins. Die Begriffe der Notwendigkeit und Wirklichkeit bringen demnach keinen neuen positiven Inhalt zum Begriff der bloßen Möglichkeit hinzu, sie entstehen vielmehr durch Negationen, welche innerhalb des Bereichs des Möglichen als solchen vorgefunden werden. Sie sind nur das Ergebnis einer Einteilung dieses Bereichs, indem innerhalb desselben eine Klasse des Möglichen sich vorfindet, in welcher die Möglichkeit nur des Seins, nicht des Nichtseins liegt, die Klasse des nicht-sein Könnenden, ebenso wie das Unmögliche, das in irgendeinem Sinn der Realsierung Unfähige, die Klasse desjenigen Möglichen besetzt, dessen Möglichkeit auf die Unrealität im jedesmaligen Sinn beschränkt ist, wobei man teils nur die äußere Unmöglichkeit, teils auch die innere, die Unmöglichkeit einer Vollziehung in Gedanken, im Auge hat. Der volle, durch keine Negation beschränkte, in diesen Beziehungen also neutrale Allgemeinbegriff des Möglichen würde dagegen sowohl das Sein als auch das Nichtsein noch als möglich setzen. Wir haben jedoch nicht nötig, bei dieser abstrakten Betrachtung uns zu begnügen. Sie hat bereits ihre konkrete und legitimierte Anwendung gefunden in jenem Fall der Erkenntnis einer Ansich-Existenz, welcher sich als gänzlich unabweisbar aufdrängte, im Fall der Erkenntnis des eigenen Ichwesens des Fragenden. Wie komme ich zu der Erkenntnis, daß Ich bin? Nicht durch Erfahrung. Denn jeder Erfahrungsakt setzt mein Ich bereits als den von mir selbst als daseiend anerkannten Träger der Erfahrung. Erfahrungsmäßig ergreifen wir in der Tat niemals unser Ichwesen selbst, sondern nur den einzelnen, im Moment psychische vorhandenen Ichgedanken, der, mit dem sprachlichen Wörtlein "ich" wie mit einem Kleid angetan, in unserem Innern kommt, geht, wiederkommt, im tiefen Schlaf fehlt usw., sich mit einem Wort völlig auf dieselbe Linie stellt mit allen anderen Einzelphänomenen unseres Innenlebens. Jenes Wesen aber, jenes Ich, dessen Zustände, Produkte, Erscheinungen alle diese psychischen Einzelheiten sind, finden wir empirisch nicht vor, und können es nicht vorfinden, weil jede Vorfindung nur ihm ein Objekt liefern, also nicht das Subjekt liefern würde, welches vorfindet und welchem geliefert wird. Dieses Ichwesen ist also ein hinzugedachtes "Ding ansich". Mit welchem Recht wird es hinzugedacht? Mit keinem Recht, wenn nicht die Denknotwendigkeit erwiesen werden kann, die Notwendigkeit durch Denkgesetze. Wir werden nicht irren, wenn wir diese Notwendigkeit im Kausalgesetz begründet finden, das seinerseits wieder auf die all unser Denken beherrschende, tragende und nährende Idee des Möglichen zurückgeht, dessen Grundverhältnis zu aller Wirklichkeit es ausspricht ("Alles Wirkliche setzt seine Ermöglichung voraus" - ist die eigentliche Kernformel des Kausalsatzes). Konnte aber in diesem einem Fall unser Denken durch seine allgemeinen Gesetze unweigerlich auf ein Dasein-ansich geführt werden, warum nicht auch in anderen Fällen? Ein prinzipielles Hindernis gibt es nicht, da wir des Besitzes der Seinsmöglichkeit gewiß geworden sind. Das Dasein anderer Wesen kann uns also günstigenfalls ebenso gewiß werden, wie unser eigenes. Eine stärkere Gewißheit aber können wir dafür nicht einmal suchen, also auch nicht vermissen. Selbst der sie Suchende würde dabei sein eigenes Dasein als gewiß voraussetzen, da er ja sagen müßte: "ich suche Gewißheit", und wüßte demnach unter "Gewißheit" sich nichts Anderes zu denken, als Etwas, was Er (als Seiender) hat, also nur eine nähere Bestimmung seiner Selbstgewißheit, folglich nichts Gewisseres, als diese selbst ist. Findet man gegen diese letzten Ergebnisse, und zwar in Einem gegen die Denkbarkeit, Seinsmöglichkeit und Wirklichkeit von Dingen-ansich, etwa noch immer eine Instanz im Begriff "Ding-ansich" selbst, welcher einen Widerspruch einschließt, da das "Ansich" soviel bedeutet wie "nicht für mich" oder "nicht gedacht": so würde darin nur die Aufforderung gegeben sein, den Begriff des "Ansich" nicht in dieser ausschließenden Weise zu definieren. Hierin liegt zwar ein Problem, aber ein Problem, welches durch ein unleugbar Gewisses, nicht Wegzubringendes gestellt ist, also keine Undenkbarkeit einschließen kann. Auf ein verwandtes Problem führt die zweite der zuletzt gestellten Fragen. Wieweit eine Erkenntnis der "Dinge ansich" gelingen kann, mit den menschlichen Erkenntnismitteln, - dies ist eigentlich das Problem, um dessentwillen es eine Erkenntnistheorie gibt. Alles andere kam auf Verständigung hinaus darüber, was man fragen darf und kann, und über Das, was Jeder irgendwie schon denkt. Aber jenes "Wieweit" betrifft die in Wahrheit sachlich diputablen Punkte, hauptsächlich aber den folgenden:
Wir werden einräumen müssen, daß wir die Dinge-ansich, d. h. die Substanzen, die Wesenseinheiten, gar nicht anders näher zu bestimmen imstande sind als durch die Heranziehung der Erscheinungsbegriffe an den einfachen, allgemeinen Kern des Begriffs einer substantiellen Ursache, eines Kraftzentrums, ein potentiellen Einheit, oder wie immer wir dies nennen mögen. Was wir an dem vollen und ganzen Dasein das "Wesen" nennen, ist in der Tat ansich nur durch die allgemeinen Kategorien ausdrückbar. Aber ist dies notwendig als ein mangelhaftes Erkennen aufzufassen? Vielleicht ist das "Wesen" wirklich überall von jener allgemeinen Natur, wogegen alles Besondere in der "Erscheinung", in der "Wirkung" liegen würde? Oder mit anderen Worten: vielleicht ist "Wesen" nur eine von unserem Denken isoliert aufgefaßte Seite des Daseienden, und zwar eben jene allgemeine Seite? Dann wäre unser Denken gleichwohl ein wahres Erkennen; denn jene Seite existiert ja wirklich. Auch die andere Seite, die der Erscheinung, einschließlich der inneren Erscheinung des Wesens für sich selbst (Empfindung, Vorstellung), oder die der Wirkung, einschließlich der inneren Wirkung des Wesens auf sich selbst, existiert wirklich und ist wahrhaft erkennbar. Es fehlte sonach nur "leider das verknüpfende Band". Und hierin allein liegt vielleicht das Mangelhafte unserer Erkenntnis. Auf jeden Fall muß bedacht werden, daß wir im Denken nach dem Kausalgesetz um der Wirkung willen, welche vorlag, das Wesen suchten, welches sie hervorbrachte, und andererseits das Wesen, an welchem sie erscheint. Der Begriff eines solchen Wesens ist der Begriff des "Ding ansich". Ist dieses hiernach gedacht im Unterschied von Wirkung und Erscheinung, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn es entleert erscheint vom Inhalt dieser beiden. Aber es ist zugleich gedacht als Quell für Wirkung und Erscheinung, also der Unterschied zugleich wieder aufgehoben, die Identität festgehalten. Auch hier ist also ein scheinbarer Widerspruch gesetzt, wie oben der zwischen "Ansich" und "Für uns". Wir werden zu erwägen haben, ob nicht unsere Denktätigkeit die Nötigung in sich trägt, in dergleichen Antinomien sich aussprechen zu müssen, und ob nicht gerade in der Vereinigung des für die trennende Abstraktion sich Widersprechenden die vollste Objektivität unseres Denkens zu finden sein würde. Dies wäre hiernach das überall in der Tiefe lauernde, eigentliche Problem der sogenannten Frage nach der Erkennbarkeit der Dinge-ansich und der Erkenntnistheorie überhaupt:
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1) Im Grunde ist dies doch auch, trotz aller gegenteiligen Behauptungen, die wahre Meinung in Schellings Identitätsphilosophie. Man lese z. B. "Philosophie und Religion" (WW, Bd. 1, 6) Seite 21-26. |