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Identität und Apriori [Eine logisch-erkenntniskritische Untersuchung] [3/4]
5. Die begrifflichen Grundformen Auf das Engste hängt mit der vorhin genannten Einteilung die Unterscheidung der Begriffe nach Inhalt und nach Beziehung zusammen. Wir haben früher gesehen, daß bei der strengen Identität die Gleichheit der Inhalte, bei den anderen Identitäten die Gleichheit der Beziehung maßgebend ist. Genau dasselbe findet nun, in freilich umgekehrter Richtung, in Bezug auf den Begriff statt. Verhältnismäßig einfach ist die Begriffsidentität des bloßen Inhalts. Jede Gleichheit, die ich an verschiedenen Objekten bemerke, ist eben damit, daß ich sie als solche bemerke, im Geist vereinigt, und kann eventuell durch ein Wort festgehalten werden. Wenn ich sehe, daß die Nadel wie der Dorn, der Kirchturm wie der Berg darin gemeinsam sind, daß von einer breiteren Grundlage aus sich die Form verjüngt und sich endlich zusammenschließt, so habe ich Separatvorstellungen, die, von allem Sonstigen abgesehen, bloß diese eine Eigentümlichkeit auffassen; und da das Bewußtsein der Gleichartigkeit dieser Separatvorstellungen vorhanden ist, so ist auch bereits die Ineinssetzung derselben vorhanden. Ich habe nur das Wort "Spitze" hinzuzufügen, um diese Ineinssetzung verständlich und mitteilbar zu machen. Diese Ineinssetzung von Inhalten sieht also von allen Verschiedenheiten ab, mit denen eine Separatvorstellung an ihrem objektiven Beziehungsort verbunden ist. Sie richtet sich bloß auf den analytischen Separatinhalt. Sobald ich mir einen solchen bewußt mache, habe ich damit eine Abstraktion vollzogen. Einen einzelnen Separatinhalt beziehe ich freilich nach dem Beziehungsgesetz auf die Grundvorstellung zurück, und das Bewußtsein, daß ich abstrahiert hatte, wird nicht erzeugt. Ganz anders aber wird es, sobald ich dieselbe Separatvorstellung an einem anderen Ort finde, und mir dessen bewußt bin, sie schon einmal gehabt zu haben. Das letztere Bewußtsein ist die innere Ineinssetzung des Gleichen, das sich auf verschiedene Orte bezieht. Solange nun das Bewußtsein, daß dieses Gleiche sich auf diesen und jenen äußeren Ort bezieht, im Vordergrund steht, bleibt die innere Identität verborgen. Richte ich aber den Blick auf diese, und betrachte die Ineinssetzung der Separatinhalt als solche, so steht der Begriff selber objektiv vor mir. Dadurch treten die ursprünglichen Beziehungen der Separatvorstellungen auf ihre Objekte zurück, und die Beziehungen auf das neue Objekt "Begriff" werden deutlich. Die Abstraktion hat die Inhalte von ihren Separatorten getrennt und als solche innerlich objektiv vereinigt. Diese Abstraktion, die wir im Gegensatz zu der bloß analytischen Abstration mit dem schon gebräuchlichen Ausdruck "trennende Abstraktion" bezeichnen wollen, ist nun die Grundlage des sogenannten "reinen Begriffs". Welche weitere Bestimmung dazu gehört, um ihn als völlig "rein" erscheinen zu lassen, werden wir nachher sehen. Von dieser trennenden Abstraktion wesentlich verschieden ist die zweite, welche auf der Identität des Zusammenhangs und Vertretung, also auf einer objektiven Beziehungsidentität ruht. Auch hier wird ganz in voriger Weise ein Separatinhalt gesondert aufgefaßt und gleichgesetzt, und zwar ein solcher, der bestimmten Objekten gemeinsam ist. Auch hier kann ferner dieser innerlich vereinigte Separatinhaalt, bzw. dessen Ineinssetzung objektiv betrachtet werden. Allein, wenn ich z. B. an verschiedenen Tieren die Eigentümlichkeit, daß sie lebendige Junge säugen, separat vorgestellt habe, so entsteht, wenn ich die Gleichsetzung im obigen Sinn vollziehe, nur der Abstraktionsbegriff "Säugen", nicht etwa der Begriff Säuge tier. Um letzteren zu haben, muß etwas mehr in Eins gesetzt worden sein, als jene analytische Inhaltsbestimmung. LOTZE hat dies wohl erkannt, als er sagte, daß es nicht die Abstraktion von Differenzen ist, was den Gesamtbegriff konstituiert. (30) Allein seine Erklärung, daß ein Tier irgendeine Art der Respiration [Atmung - wp], Fortpflanzung etc. haben muß, und daß darum anstelle der weggelassenen spezifischen Differenzen p p' q q' _ die allgemeinen Merkmale P. A. treten, ist unzureichend. Diese allgemeinen Merkmale sind nirgends anzutreffen. Wir sehen nur bestimmte Respiration, bestimmte Fortpflanzung, und setzen diese, sofern sie in den Separatbestimmungen der Einnahme von Luft, der Hervorbringung neuer Individuen gleich sind, zu den Abstraktionsbegriffen "Respiration", "Fortpflanzung" in Beziehung. Allein das Säugetier besteht ebensowenig aus einer Synthesis der Begriffe des Säugens, der Respiration, der Fortpflanzung etc., wie aus dem Begriff des Säugens allein. Auf kein einziges Tier haben diese Begriffe als solche einen Bezug. Nur die in ihnen ineinsgesetzten Separatvorstellungen beziehen sich darauf, ohne damit den Gesamtinhalt, sowie die bestimmte Art des Säugens, der Fortpflanzung etc. zu erschöpfen. LOTZE steht hier noch ganz in der alten Begriffstheorie, welche Allgemeinheiten in der Tat nur Ineinssetzungen speziellster Separatvorstellungen sind. Um dieses Speziellste zum Allgemeinen zu machen, um zu sehen, wie wir vom speziellen Allgemeinbegriff des Säugens zum Allgemeinbegriff Säugetier gelangen, bedürfen wir einer anderen Gedankenbeziehung. Diese wird uns durch die objektive Vertretungsidentität ungesucht dargeboten. Bei derselben ist ein bestimmter, als charakteristisch angesehener Inhalt der Vertreter des Gesamtortes in all seinen bekannten und unbekannten Einzelheiten. Die Separatvorstellung des Säugens hat ihre Beziehung auf das ganze Tier, und vertritt nur dadurch die Gesamtvorstellung desselben. Wenn nun das gleiche Säugen ein zweites, drittes, tausendstes Mal bei anderen Tieren ins Bewußtsein tritt, so haben wir einerseits das Bewußtsein eines gleichen Merkmals, welches den Abstraktionsbegriff "säugen" ergibt, andererseits aber eine mit diesen Merkmalen in jedem Fall verbundene Beziehung auf ein bestimmtes lebendiges Wesen. Dieses gleiche Merkmal ist hierbei nicht für sich, sondern samt seiner Beziehung auf die betreffenden Gesamtorte in Eins gesetzt; und somit ergibt sich keine begriffliche Einheit des engeren Inhalts als solchen, sondern eine Einheit des Inhalts als des Vertreters von Verschiedenem. Die Wahl eines solchen Separatortes, der zur Vertretung benutzt wird, unterliegt selbstverständlich wieder bis zu einem gewissen Grad der Willkür, und es entstehen ganz verschiedene Begriffseinteilungen, je nachdem die eine oder andere Separatbestimmung dem Begriff zugrunde liegt. Eine Begriffsbestimmung der Menschen, welcher die gemeinsame Hautfarbe zugrunde liegt, hat ganz andere Beziehungen auf die verschiedenen Einzelwesen, als eine Bestimmung, welche die gemeinsame Sprache oder Religion oder Bildung zur Grundlage des Vertretungsbegriffes macht. Die besonderen Zwecke, die man im Auge hat, entscheiden darüber, welcher Abstraktionsbegriff zur Vertretung benutzt wird. In der Theorie wären sie ja freilich insgesamt dazu geeignet, man könnte sämtliche Dinge in grüne und andersfarbige einteilen. In Praxi wird man den Abstraktionsbegriff grün freilich nur zur Vertretung bei der Einteilung von Tuchstoffen, Farbwaren und dgl. benutzen. Von diesen Vertretungsbegriffen, welche durch die Beziehung des in den Abstraktionsbegriffen Gleichgesetzten auf die verschiedenen Objekten gebildet sind, sind aber die Klassifikatioinsbegriffe, welche innerhalb der Abstraktionsbegriffe auftreten, genau zu unterscheiden. Es ist zu beachten, daß die Abstraktionsbegriffe selber nicht bloß in der Weise zu Klassifikationsbegriffen werden können, daß sie, wie die Begriffe "Säugen", "Lebendigkeit", durch die Hinzunahme von Vertretungsbeziehungen zu den Klassifikationsbegriffen "Säugetier", "lebendiges Wesen" werden können, sondern auch dadurch, daß sich auf dem Boden der Abstraktion selbst neue Verschiedenheiten zeigen, die zu Unterbegriffen Anlaß geben. So bilden sich auf dem Boden der Gleichsetzung "Blau" nach der genaueren Unterscheidung die Vorstellungen hellerer und dunklerer Färbung, die dann zu den Gleichsetzungen Hellblau und Dunkelblau Anlaß geben. Und diese letzteren stehen dann tatsächlich nicht als Einzelvorstellungen, sondern als Begriffe in Beziehung zu "Blau". Sie bilden engere Identitätsorte, die von den weiteren umfaßt werden. Ebenso werden die Unterarten des Abstraktionsbegriffs Dreieck tatsächlich vom ersteren umfaßt. Spitzwinklige, stumpfwinklige und rechtwinklige Dreiecke enthalten tatsächlich gar nichts, was außerhalb des Gesamtbegriffs fallen würde und auf das dieser bloß eine Vertretungsbeziehung hätte. Sie bilden nur besondere Modifikationen derjenigen Bestandteile, die auch im Gesamtbegriff gleichgesetzt werden. Denn der Gesamtbegriff besteht nur aus der Separatvorstellung von drei, in drei Winkeln zusammenlaufenden Linien, und sieht ganz davon ab, ob diese Linien durch Pfähle, oder durch Striche, oder gar durch Reproduktion und Phantasie gebildet sind. Die Separatvorstellungen "spitzwinklig" etc. ruhen ebenfalls nicht auf jenen Gegenständen, sondern sind in der bereits abstrahierten Vorstellung gewisser Dreiecke aufgefunden worden. Wo sind dagegen beim Beziehungsbegriff "Säugetier" die Vorstellungen etwa von Nagezähnen, Raubtierzähnen usw. zu finden? Weder im Säugen, noch in deren Beziehung zum Gegenstand. Nur diese Beziehung des Säugens zu den Tieren, nicht die Tiere selbst sind im Begriff gleichgesetzt. Der Klassifikationsbegriff der Abstraktion unterscheidet sich somit vom Vertretungsbegriff ganz wesentlich. Ersterer findet seine Besonderheiten auf dem Boden der abstrahierten Vorstellung, letztere nur auf dem Boden ihres Gesamtbeziehungsortes, aber außerhalb des engeren Ortes der Vertretungsvorstellung. Der Unterbegriff der Abstraktion wird vom Gesamtbegriff eingeschlossen, der der Vertretung steht im Grunde ganz außerhalb des Gesamtbegriffes. Die Unterordnung jenes Begriffs wird durch die begriffliche Gleichsetzung selbst, die des letzteren nur durch die Gegenstände bedingt, auf die sich der Gesamtbegriff bezieht. Bei jenem herrscht also eine Allgemeinheit in Bezug auf die Besonderheiten in den Separatvorstellungen, bei diesem nur eine Allgemeinheit der Beziehung auf die Gegenstände der Separatvorstellungen. Die abstrakten Unterbegriffe stehen darum in einer weit engeren und innerlicheren Beziehung zum Hauptbegriff, wie die Beziehungsbegriffe. Die Unterklassen der letzteren werden nur durch eine rein äußerliche Rücksichtnahme auf den Hauptbegriff diesem untergeordnet. In einer Hinsicht freilich sind beide Arten gleich. Sie ermöglichen mit ihren besonderen Gleichsetzungen in Unterarten eine Systematik, welche die zahllosen Mannigfaltigkeiten des Einzelnen in einer dem Bewußtsein übersichtlichen Weise ordnen läßt, und besonders dann, wenn Worte und Zeichen als stets verfügbare Wegweiser vorhanden sind, eine rasche Orientierung ermöglicht. Die begriffliche Allgemeinheit ist also in dreifacher Weise zu unterscheiden. Der Abstrationsbegriff als solcher ist nur allgemein für diejenigen Separatvorstellungen, die in ihm zusammengefaßt werden, und hat gar keine Allgemeinheit in Bezug auf deren objektive Beziehungsorte. Die Vertretungsbegriffe haben indirekte Allgemeinheit, nicht durch ihre Inhalte, sondern ihre Beziehungen zu den Gegenständen. Umfassende Allgemeinheit, die sich durch Kreise symbolisieren ließe, haben die Abstraktionsbegriffe nur in Bezug auf ihre im Begriff selbst liegenden Unterklassen. Von hier aus wird also wohl die Vorstellung, daß der Begriff im Gegensatz zu den Gegenständen das Allgemeine enthält, ausgegangen sein, vielleicht im Verein mit der falschen Auffassung der Vertretungsbegriffe, welche ja auch für den ersten Blick den Gegenständen gegenüber etwas Allgemeines zu enthalten scheinen. Unsere Untersuchung dagegen zeigt, daß eine Allgemeinheit über den Gegenständen nirgends zu finden ist. Allenthalben sind es nur die Separatvorstellungen, welche auf Gegenstände gehen. Diese beziehen sich nach zwei Seiten, einerseits auf ihre verschiedenen objektiven Orte, von denen sie abgenommen sind, andererseits auf den Begriff, der, als solcher betrachtet, dem Geist dadurch ebenfalls als ein - freilich inneres - Objekt erscheinen muß. Dadurch, daß Letzteres geschieht, daß frühere eigene Vorstellungen und Seiten derselben durch neue Vorstellungen objektiv angeschaut, und dadurch, daß diese verschiedenen gleichen Inhalte objektiv verbunden werden, entsteht der Schein, als sei der Begriff ein selbständiges Objekt. Die Begriffe gebärden sich dann leicht wie Fürsten, welche vergessen, daß sie ihre Herrlichkeit nur ihren Landeskindern verdanken und diese als Geschöpfe ihrer Willkür ansehen. Dieser Schein der begrifflichen Selbständigkeit kann nur dadurch aufgelöst werden, daß wir die Konstituierung des Begriffes aus seinen Elementen, und den wahren Beziehungsort des Begriffs im Ich zeigen, nicht aber dadurch, daß wir vom persönlichen Ich etwa abstrahieren, und eine objektive Bewußtseinseinheit voraussetzen, die überall und nirgends vorhanden ist. Die Frage, wie es kommt, daß verschiedene Menschen gleichartige Begriffe haben, und daß darum eine ihnen gemeinsame Wissenschaft möglich ist, gehört ganz woanders hin. Sie setz die andere Frage voraus, wie wir dazu kommen, überhaupt Dinge und lebendige Wesen außerhalb des eigenen Bewußtseins für wirklich zu halten, gehört also in die reale Erkenntniskritik. Für unsere gegenwärtige Untersuchung ist der Begriff nur mein individueller Begriff, und die Tatsache, daß auch Andere dieselben Gedankenbahnen haben und mich vielleicht verstehen, wird vorausgesetzt. Für das individuelle Bewußtsein sind Begriffe weiter gar nichts als innerliche Synthesen gleichartiger Fakta des eigenen Bewußtseins, die wir innerlich objektiv vorstellen. Ohne nun die herkömmlichen Einteilungen der Begriffe weiter zu verfolgen, gehen wir zu einem zweiten wesentlichen Unterschied, welcher besonders die Abstraktionsbegriffe angeht, über, dem Unterschied zwischen den selbst begrifflich gemachten Konstituentien eines Begriffes und diesem selbst. Bei einem Vertretungsbegriff können wir, da wir hier die Beziehung auf die Gegenstände mit in den Begriff aufzunehmen haben, von Konstituentien im eigentlichen Sinn nicht reden. Der Begriff "Säugetier" ist nicht durch das Säugen allein, sondern durch dessen Beziehung zu den wirklichen Tieren konstituiert. Also gibt er gar nicht alle Eigentümlichkeiten an, welche vertreten werden. Die Einzeleigenschaften des Tieres konstituieren den Begriff nicht in einem strengen Sinn. Anders ist es bei einem Begriff, wie "blau". Hier gehört zur begrifflichen Beziehung nichts als die bestimmte Sinnesempfindung als Konstituens, unangesehen des Gegenstandes, zu dem sie gehören mag. Dieses Konstituens ist einfach. Es sind in ihm keine Mannigfaltigkeiten zu bemerken, die zum Begriff zusammengehörten. Denn die Mannigfaltigkeit, die darin besteht, daß es helleres und dunkleres Blau gibt, ist keine Mannigfaltigkeit der Konstituentien des Begriffs, sondern eine Verschiedenheit der ansich einfachen Konstituentien, die zu den obengenannten Klassifikationen Anlaß gibt. Eine Mannigfaltigkeit der Konstituentien wäre nur dann vorhanden, wenn wir verschiedene Separatvorstellungen ablösen könnten, die in einer bestimmten Verbindung die Vorstellung "blau" ergeben würden. So etwas ist dagegen bei der Vorstellung eines Dreiecks der Fall. Hier lösen wir von irgendeinem Ort die Vorstellung dreier Linien, die eine Figur bilden, los. Diese drei Linien mit den drei Winkeln machen also die Konstituentien des Dreiecks aus. Wenn irgendeines dieser Konstituentien fehlt, etwa eine Linie, oder wenn zwei Linien nicht zusammenstießen, so würden wir das betreffende Gebilde nicht auf den Begrifff Dreieck beziehen. Es handelt sich nun wesentlich darum, wie die Konstituentien sich zum Begriff verhalten, ob sie bestimmt oder fließend und unbestimmt sind. Der Begriff "blau" ist unbestimmt, denn es läßt sich keine Grenze angeben, wo das Blau aufhört, blau zu sein, und wo also die Befugnis, es in den Begriff aufzunehmen, endet, und was das Wesentliche ist, es wird stets das vorliegende Blau, auch wenn es getrübt ist, mitsamt der Trübung aufgenommen. Die Trübung kann nicht etwa im Geist entfernt und das reine Blau ohne Beimischung in den Begriff aufgenommen werden. Unsere Abstraktionskraft ist in Bezug auf die Sinneswahrnehmungen gemeinhin nicht groß genug, um reine Separatvorstellungen ohne fremde Beimischung zu bilden. Dagegen ist der Begriff der geraden Linie auf der Ebene völlig rein zu bestimmen. Freilich kann man sagen, es gäbe auch hier in Wirklichkeit keine Gerade, und wenn man eine vermeintliche Gerade durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, so zeigten sich, ganz abgesehen davon, daß sie stets eine kleine Fläche ist, gar mancherlei Zacken und Ungleichmäßigkeiten. Hier müssen wir an das erinnern, was wir früher sagten. Es kommt nicht darauf an, daß die Linie wirklich gerade ist, sondern daß sie dem Bewußtsein als gerade erscheint. Wenn uns freilich niemals eine Line als gerade erschienen wäre, so könnten wir auch die Vorstellung einer geraden Linie nicht haben. Da dies aber der Fall ist, so können wir sogar an einer zackigen und gewundenen Linie die gerade Grundrichtung separat vorstellen und auf den Begriff beziehen. Wir machen es dann im Geiste, wie es der Schreiner in Wirklichkeit macht. Dieser hobelt die Kante eines Brettes ab, bis sie ihm als gerade erscheint. Wir sehen im Geiste von den Ungleichheiten ab, und beziehen dann die Richtung, abgesehen von jenen, auf den Begriff. Es ist also der wesentliche Unterschied zwischen diesem und dem vorigen Fall, daß wir dort, auch wenn wir uns einer Trübung bewußt sind, von derselben nicht abzusehen vermögen, daß dagegen hier das Bewußtsein scharf genug geworden ist, um die Abstraktion von Beimengungen vornehmen und nur das Ergebnis der Abstraktion in den Begriff aufnehmen zu können. Jene unbestimmten Begriffe beruher daher auf Ähnlichkeit, das ist auf dem Bewußtsein einer Gleichheit, die wir nicht von den Beimengungen unterscheiden, diese dagegen auf reiner Gleichheit, d. h. stets einer solchen, in der das Bewußtsein keine Unterschiede mehr bemerkt, die es aus dem Begriff auszuscheiden hätte. Sie sind also in Wahrheit "reine" Begriffe. Freilich ist dieser Unterschied zwischen bestimmten und unbestimmten Begriffen fließend, und nur die polaren Gegensätze sind scharf zu scheiden. In den mittleren Formen finden mannigfaltige Abstufungen statt. Mit der Schärfung der Sinne und der Beobachtungsfähigkeit, sowie der Vermehrung der technischen Hilfsmittel werden vorher unbestimmte Begriffe immer bestimmter. So ist dem Kind und naturwissenschaftlich Ungebildeten der Begriff "Wurm" sehr unbestimmt, wogegen er dem Naturforscher weit bestimmter wird. Der Begriff "Wasser" ist schon sehr bestimmt, da man darunter nur die chemische Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff versteht und alle Beimengungen, die man findet, vom Begriff ausschließt. Es wäre aber hier freilich möglich, daß wir noch ein feineres, bis jetzt unbekanntes Element entdeckten, welches zur Konstituierung des Wassers unerläßlich wäre. Darum ist der Begriff für die Praxis zwar völlig bestimmt, erkenntniskritisch können wir ihn aber noch nicht durchaus bestimmt nennen. Völlig bestimmt im erkenntniskritischen Sinne sind nur diejenigen Begriffe, bei denen wir die Konstituentien ein für allemal festgestellt und bei welchen wir durch Übereinkunft bestimmt haben, daß alles außer ihnen (oder was aus ihnen selbst folgt) ohne Weiteres aus dem Begriff ausgeschlossen bleibt. Insofern kann man den bestimmten Begriff ein Apriori nennen. Denn der Geist hat wirklich festgestellt, daß alles a priori ausgeschlossen bleibt, was nicht seine gesamten Konstituentien in ihrer bestimmten Verbindung enthält, oder was an den Gegenständen noch zudem hinzukommen mag. Er schließt das Holz, den Stein, den Kreidestrich a priori vom Begrifff Dreieck aus, und behält nur die reine Abstraktion der aus drei Linien bestehenden Figur bei. Allein eine andere Frage ist es, ob die Elemente zu diesem Begriff auf einem Apriori ruhen, ob also ein wesentlicher Unterschied zwischen derjenigen Abstraktion ist, die an einem Blatt die vorher nicht bemerkte Behaarung separat zum Bewußtsein bringt, oder einen inneren Vorgang im Geiste, der vorher verborgen war, ausfindig macht, und derjenigen, welcher an einem Gegenstand eine bloße Form, abgesehen von allem besonderen Inhalt, ins Auge zu fassen vermag. Bis jetzt ist uns kein Anlaß gegeben, einen solchen festzustellen. Es ist ferner fraglich, ob die wissenschaftliche Synthese solcher Formen und Begriffsverhältnisse in unserem Geist, die wir äußerlich noch nie wahrgenommen und innerich noch nie vollzogen hatten, wie in der Mathematik, auf wesentlich anderen Prinzipien ruht, als etwa die Verbindung von Vogelflügeln mit einem Pferd. Auch hier können wir keinen wesentlichen Unterschied entdecken, wenn man nicht den nachher zu besprechenden Unterschied meint, daß manche Synthesen von Begriffen sich auf Gegenstände der Erfahrungen beziehen lassen, manche, wie die ebengenannte, nicht. In jedem Fall müssen die Elemente der Begriffe irgendeiner inneren oder äußeren Wahrnehmung entstammen, und deren Synthesen innerlich oder äußerlich vorgestellt werden können. Hier kommt es aber vor allem auf den schon mehrfach betonten Punkt an, daß der Beziehungsort, in Bezug auf welchen Etwas gedacht oder vorgestellt werden soll, festgehalten wird. Gegen diese Forderung wird so oft und von so hervorragenden Denkern gesündigt, daß ich es am Platz erachte, diesem Punkt hier einige Aufmerksamkeit zu schenken, und an einigen Beispielen zu zeigen, wie durch die Nichtbeachtung dieser Forderung eine ungemeine Verwirrung entstehen kann. Wir haben schon auf die Verwirrung hingewiesen, die KANTs transzendentaler Gegenstand in seiner zweifachen Bedeutung anrichtet. Diese beruth auf nichts als auf einem Mangel im Festhalten des Beziehungsortes. Wenn ich die Vorstellung "viereckig" auf jenes Haus beziehe, so ist der Gegenstand außerhalb meines Bewußtseins, außerhalb aller Vorstellungen, die jenes Haus in mir erweckt, gedacht. Ich beziehe die gesamte innere Synthesis aller auf das Haus bezüglichen Vorstellungen auf ein Objekt, welches ganz unabhängig von meiner Vorstellung existieren soll. Ob das Bewußtsein hierin Recht hat, ist hier gleichgültig. In jedem Fall ist der Beziehungsort außerhalb des Bewußtseins gedacht. Im Bewußtsein ist dagegen der Objekt gedanke, der die Vorstellungen auf jenes Haus bezieht. Betrachte ich nun diesen objektiv, so bleibt er ein Objekt im Bewußtsein, und sofern ich viele dergleichen Gedanken habe, und diese in Eins setze, erhalte ich den Begriff "Objektgedanken". Das Objekt selbst, auf das derselbe sich bezieht, soll aber außerhalb dieses Gedankens liegen, ist also nicht Objektgedanke, sondern "unbekanntes Etwas", "Ding-ansich", unbekannte Ursache der Erscheinungen und dgl. Indem nun beide ganz verschiedenen Gegenstände, der Objektgedanke, der seinen Ort nur in meinem Bewußtsein hat, und das eigentliche Objekt, das sich außerhalb desselben befinden soll, zusammengeworfen werden, wird der Beziehungsort nicht festgehalten und eine so heillose Verwirrung in das System gebracht, daß der eine so heillose Verwirrung in das System gebracht hat, daß der Eine bei KANT wirklich außerhalb des Bewußtseins existierende Dinge-ansich findet, der Andere dagegen den Inbegriff der Gesetze, bezogen auf den Inbegriff der Erscheinungen, zum Ding-ansich machen kann; beide mit Berufung auf authentische Stellen bei KANT. Ein ähnliches Beispiel der Nichtbeachtung des Beziehungsortes bei demselben KANT ist die Auffassung der Existentialurteile, wonach das Sein kein reales Prädikat ist, d. h. kein Begriff von Etwas, das zum Begriff eines Dings noch hinzukommen könnte. Insofern freilich ist dieses Prädikat nicht real, als es den Vorstellungsinhalt selbst weder vermindert noch bereichert. Allein die Realität ruht doch nicht sowohl in diesem Inhalt als solchem, als im Objekt, das durch denselben bezeichnet werden soll, und insofern ist es ein ganz anderer Beziehungsort, wenn ich z. B. dem Bild des Gespenstes eine Wirklichkeit in der Außenwelt, und wenn ich ihm eine Wirklichkeit bloß im Geiste zuerkenne. Es ist dagegen keine andere Art der Prädizierung, ob ich sage, das Gespenst hat Hörner, oder ob ich behaupte: Das Gespenst hat Wirklichkeit in der Außenwelt. In ersterem Fall ist die Gespenstvorstellung der Beziehungsort, auf den ich die Hörner beziehe, im letzten ist die Außenwelt der Beziehungsort der Gespenstvorstelung selbst. Das Bezogene ist hier das ganze Gespenst. Die Sprache spielt uns hier wieder Streiche, indem sie die Urteilsbeziehung im zweiten Fall umkehrt und das Bezogene zum Satzgegenstand macht. Noch mehr verdeckt der Ausdruck: "Das Gespenst ist", den wahren Sachverhalt. BRENTANO (31), der KANT wegen seiner Bestimmung des Existentialsatzes lobt, macht hier die Bemerkung, es sei in obigem Satz nicht die Verbindung eines Merkmals Existenz mit A gedacht, sondern A selbst sei der Gegenstand. Das heißt dann doch die Sache gründlich umgekehrt. Freilich ist die Existenz, wie wir oben sagten, kein Merkmal, das von der Vorstellung des Gespenstes ausgesagt oder geleugnet würde. Allein das Gespenst ist nicht der Gegenstand; es ist vielmehr selbst das Merkmal, der Vorstellungsinhalt, der erst auf seinen Gegenstand bezogen werden soll. Die Gespenstvorstellung sucht den Gegenstand, auf den sie richtigerweise als Prädikat bezogen werden darf und da fragt es sich, ob dieser Gegenstand bloß Bewußtsein heißt, und das Urteil bloß lauten darf: Das Bewußtsein hat eine Gespenstvorstellung, oder ob dieser inneren Synthese auch ein äußerer Ort entspricht, ob also neben obigem das Urteil gerechtfertigt ist: Die Außenwelt enthält das Gespenst. Wenn wir sagen "A ist" so ist dies nur ein abgekürzter Ausdruck. Weil es dem Bewußtsein ganz selbstverständlich ist, daß jede Vorstellung in ihm ist, fragt es gar nicht nach diesem inneren Ort, in welchem jede Vorstellung Realität besitzt, sondern nur nach dem äußeren, und versteht unter Existenz nur die Existenz im Raum. Ja, in den weitaus meisten Fällen stellt es nicht einmal diese Frage, sondern setzt auch die Existenz in der Außenwelt voraus. Der Satz: "Der Löwe hat eine Mähne" setzt das Bewußtsein: "Die Außenwelt enthält Löwen" einfach voraus. Der Beziehungsort des Löwen ist schon vorher festgestellt, und es wird nur mitgeteit, daß auf den Beziehungsort Löwe sich die Bestimmung einer Mähne zu beziehen hat. Die Verkennung dieses Sachverhalts, sicherlich durch den sprachlichen Ausdruck hervorgerufen, der das Bezogene in den Existentialsätzen zum Satzgegenstand macht, hat also bei KANT wie bei BRENTANO und manchem Anderen den wahren Beziehungsort gänzlich verkennen lassen. Eine umgekehrte Verkennung des Beziehungsortes ist es, wenn man Vorstellungen, bzw. Begriffe, deren Elemente von vornherein nur geistige Verfahrensweisen sind, auf die Außenwelt beziehen und in ihr suchen will. So wäre es eine Torheit, einen äußeren Beziehungsort für √-1 und dgl. suchen zu wollen. Dies sind nur geistige Synthesen, die sich nicht auf Außendinge als solche, sondern auf Abstraktionen von solchen beziehen. √-1, das Jemand einen unmöglichen Begriff genannt hat, ist dies keineswegs. Es liegt ein ganz bestimmtes geistiges Verfahren zugrunde, das in diesem Zeichen festgehalten wird, und innerhalb dieses Verfahrens hat es einen ebenso realen Beziehungsort, wie die Mähne am Löwen. Man muß nur nicht glauben, nur die Außenwelt ist wirklich, die bloßen Bewußtseinsfakta nicht. √4 hat ansich genau ebensowenig Beziehung zur Außenwelt, wie √-1. Es läßt sich kein äußerer Grund angeben, von dem jene Vorstellungsverbindung zu abstrahieren wäre. Daß erstere Wurzelextraction ein Ergebnis gibt, welches auf Außendinge zu beziehen ist, und diese zählen oder messen läßt, √-1 aber nicht, gehört in ein anderes Kapitel. Wenn man danach von einer Erfahrungsbedingung, wie sie die Ebene im Parallelensatz, oder der Raum in seinen drei Dimensionen bietet, absieht, und logisch richtige Schlußfolgerungen in einer Geometrie ohne Parallelensatz, pseudosphärischen und vierdimensionalen Räumen zieht, so kann man freilich nicht erwarten, daß deren Ergebnisse, außer etwa in zufälligen Einzelheiten auf unseren Raum passen, und hier ihren Beziehungsort haben. Noch weniger aber darf man, wie es HELMHOLTZ mit seinen zweidimensionalen Wesen tut, abstrakte und äußerlich reale Bedingungen durcheinanderwerfen. HELMHOLTZ behauptet zwar, es lasse sich Manches denken, das sich nicht vorstellen läßt. Das ist aber wieder eine Vermengung zwischen dem Vorstellen innerer Vorgänge und dem Vorstellen äußerer, oder den äußeren nachgebildeter Wahrnehmungen. Was sich denken läßt, muß sich innerlich oder äußerlich auch vorstellen lassen. Ein zweidimensionales Wesen aber läßt sich weder äußerlich vorstellen, noch innerlich denken. Nur die Worte lassen sich zusammenstellen. Die Vorstellung eines Wesens, die etwas äußerlich Reales bezeichnet, läßt sich ebensowenig mit der Vorstellung einer Fläche, welche die Separatvorstellung der Körpergrenze ist, zusammenbringen, wie: grasgründe Algebra. Wesen, die sich bewegen, messen etc. kann man in einem Ort, der nur Realität als Abstraktionsvorstellung hat, gar nicht denken. Man muß die Fläche mindestens als ein dünnes Brett vorstellen, und auf dieser Voraussetzung bewegt sich die Beweisführung von HELMHOLTZ, ohne es zu wollen, in der Tat. Das Festhalten des Beziehungsortes fällt uns darum eben so schwer, weil einerseits, wie wir sahen, die Begriffe selbst objektiv erscheinen, nämlich als Bewußtseinssynthesen abstrahierter Vorstellungen, und andererseits deshalb, weil die Elemente vieler inneren Synthesen zugleich äußere Orte haben. Sodann wird dieses Festhalten dadurch erschwert, daß uns gemeinhin nur der nächste Beziehungsort im Bewußtsein bleibt, die weiteren aber leicht verschwinden. Der nächste Beziehungsort, den die erstmalige Vorstellung eines Dreiecks hat, die vorliegende Figur, steht vor dem Bewußtsein klar da. Die zweite Vorstellung wird außer ihrem äußerlich objektiven Beziehungsort auch noch die frühere gleiche Vorstellung selbst reproduzieren. Die tausendste Vorstellung dagegen wird sich nur auf die innere Gleichsetzung der verschiedenen Dreiecksvorstellungen wie auf ein festes Objekt beziehen und gar nicht mehr an die einzelnen Beziehungen der gleichartigen Vorstellungen aufeinander denen. Wie ein Mensch, der etwa Münzen sortiert, anfangs stets vergleichen muß, ob die gerade in seiner Hand befindliche zu den am betreffenden Platz liegenden stimmt, nachher aber, des Ortes gewohnt, die Stücke ohne einen solchen Einzelvergleich in die betreffenden Fächer einwirft: so vergleichen wir, wie jeder bei sich beobachten kann, bei der Neubildung eines Begriffes anfangs mit den früheren Einzelvorstellungen, um nach erworbener Gewohnheit gleiche Vorstellungen sofort auf die betreffenden Synthesen zu beziehen. Dadurch kann leicht der Anschein erweckt werden, als ob diese Synthesen selbständige Gebilde, Schemata, oder etwas derart wären; und so mögen die Begriffshypostasierungen [einem Begriff gegenständliche Realität zu unterschieben - wp] sich erklären, wie sie die Vulgärreligionen in gröberer Form und in einer Verschmelzung mit äußerlich objektiven Beziehungen darbieten, und wie sie sich in geläuterter Form im Platonismus vorfinden. Klarheit hierüber ist nur durch eine sorgfältige Analyse der subjektiven Geistesbeziehungen zu erhalten, welche uns allein den Weg zeigt, wie wir uns vor der Vermengung bloß innerlich objektiver und äußerlich objektiver Beziehungen durch ein Festhalten der Identitätsorte schützen können. Von hier aus sind wir nun gerüstet, den entscheidenden Schlußbeweis gegen den Apriorismus zu führen und zu zeigen, wie die so wunderbar erscheinenden Schlußfolgerungen aus Begriffen dazu kommen, a priori eine Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung zu ermöglichen. |