G. K. UphuesJ. RehmkeCondillacH. G. SulzerTh. ZieglerH. Ulrici | |||
Gefühl und Bewußtseinslage [2/2]
Abschnitt II Kritik der modernen Gefühlslehre Kapitel 1: Kriterien des Gefühls Abgesehen von den Schwierigkeiten der Gefühlsuntersuchungen und der Analyse unseres Gefühlslebens, scheint mir ein Hauptgrund für die Verwirrung auf dem Gebiet der Gefühlspsychologie und für die sich feindselig gegenüberstehenden Anschauungen in diesem Bereich die ungenaue Begriffsbestimmung zu sein. Darauf weisen ja die Erscheinungen hin, daß von einem Gefühl genannt wird, was dem andern bereits Affekt ist, daß mancher den Gefühlen Dinge zurechnet, die von anderen den Empfindungen eingereiht werden und daß schließlich wieder andere aufgrund der engen Verbindung von Empfindung und Gefühl bei der Klassifikation der Gefühle beide Gruppen nicht auseinander zu halten wissen. Ich er achte deshalb für zweckmäßig, erst die hergebrachte Auffassung vom Gefühl und seine Kriterien auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, ehe ich auf die Frage nach ihrer Qualitätszahl eingehe. als Kriterium des Gefühls Mit dem Vorsatz, das Gefühl von der rein psychologischen Seite zu betrachten, erledigt sich mir ein Eingehen auf die teleologischen und metaphysischen Bestimmungen desselben ganz von selbst. Es bleiben also nur die in psychologischen Beschreibungen gegebenen Kriterien des Gefühls für meine Untersuchung übrig. Natürlich kommt hier WUNDT als genialer Bahnbrecher auf dem Gebiet der psychologischen Forschungsmethoden und als Nestor einer weitverzweigten, wenn auch häufig sich widersprechenden Psychologenschule in erster Linie in Betracht. Er schreibt neuerdings:
Kann die Beziehung des Erlebnisses auf das Subjekt als Kriterium des Gefühls vor dem Forum der wissenschaftlichen Kritik standhalten? Diese Frage muß entschieden verneint werden, wie nachfolgende Überlegungen darlegen sollen. Alles, was wir erleben, ist Gegenstand unserer unmittelbaren Erfahrung, es wäre ja sonst nicht unser Erlebnis. Die Vorgänge und Zustände aber, die unsere Erlebnisse ausmachen, sind uns in unserem Bewußtsein gegeben, und dieses selbst ist nichts anderes als die Gesamtheit der jeweils unmittelbar gegenwärtigen Erscheinungen. Freilich versteht man unter Bewußtsein häufig etwas anderes. Doch mit den verschiedenen Bedeutungen des Wortes "Bewußtsein" wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Alles Psychische ist also nach unserer Bestimmung des Bewußtseins, wissenschaftlich genau genommen, gleich subjektiv, die Empfindungen wie die Vorstellungen, wie auch unser Gefühl. Oder gibt es Empfindungen außerhalb des Subjekts? Freilich lasen sich für viele Empfindungen, nämlich für die peripherisch erregten, Ursachen nachweisen, die jedem Individuum gleicherweise zugänglich sind, und so im Gegensatz zu den psychischen Vorgängen, die jedes Individuum ausschließlich für sich hat, als objekte Ursachen bezeichnen. Sind aber damit die Empfindungen selbst objektiv geworden? Nur die Gesetzmäßigkeit, mit welcher unsere Empfindungen kommen und gehen, geben uns nach einer da und dort vertretenen Ansicht einen Fingerzeig für die objektiv bestehende Welt. Aber auch für das Gefühl gilt Ähnliches; denn jedermann erfährt, daß gewisse Empfindungen fast ausnahmslos mit Gefühlen auftreten, z. B. die Schmerzempfindung mit Unlust und insofern ist auch das Gefühl vom Reiz abhängig. Man wird mir einwenden, daß subjektiv und subjektiv zweierlei ist, daß das Gefühl keiner Objektivierung in dem Sinne fähig ist wie die Empfindungen, deren Folge uns eine objektive Welt verrät. Das zugegeben muß ich aber erinnern, daß es auch intellektuelle Vorgänge gibt, die mit dem Gefühl die gleiche Subjektivität teilen: ich meine den Prozeß des Denkens. Man kann völlig unabhängig von der objektiven Welt mit selbstgeschaffenen Begriffen in rein subjektiver Weise operieren, ohne daß es jemandem einfallen wird, derartige psychische Vorgänge mit dem Ausdruck "Gefühl" belegen zu wollen. In dieser Unabhängigkeit des Denkens, das ihm immanenten Gesetzen folgt, besteht seine von den positivistischen Strömungen in der Philosophie verkannte oder übersehene selbständige Bedeutung. Gehen wir nun, um jeden Zweifel zu beheben, noch einen Schritt weiter. Zugegebenermaßen kann man ja auch über das Gefühl, also über unser Subjektivstes, reflektieren. Sollte dieses oder das mathematische Denken, welches unbekümmert umd die Welt des Realen seine Bahnen wandelt, nicht auch auf die dem Gefühl zugesprochene Subjektivität Anspruch machen können? Nun wird man mir entgegenhalten, daß beim Denken über das Gefühl dieses gewissermaßen objektiviert, eben zum Gegenstand des Denkens gemacht wird. Aber, frage ich, bekommt in diesem Fall das Gefühl tatsächlich eine objektive Bedeutung, d. h. wird das Denken auf Dinge der Außenwelt bezogen? Kein Mensch wird das behaupten wollen. Das Denken ist subjektiv und in unserem Beispiel ist es auch sein Gegenstand. Nach LIPPS (70) freilich ist die Sache anders. Er bestimmt das Subjekt oder die Subjektivität als Beziehung auf dieses Ich als das unmittelbar erlebte Ich, als das Ich, das bei "den Bewußtseinsinhalten, Empfindungen, Vorstellungen etc., jederzeit vorausgesetzt ist, ohne welches alle diese Worte für mich ihren Sinn verlieren." Dieses Ich soll gegeben sein im Gefühl und mir nie fehlen (Seite 13). "Ich fühle mich immer irgendwie". Gefühl aber "nennen wir eben dasjenige, worin ich unmittelbar und ursprünglich "mich" finde oder mich habe, erlebe, kurz, worin ich mich "fühle". Die Gefühle sind "Ichinhalte oder Ichqualitäten (Seite 14). Mit mehreren dieser Ichqualitäten werden wir bekannt gemacht, so mit dem Gefühl des Bedingens, mit dem der Herrschaft oder Macht über die Bewußtseinsinhalte, mit dem Gefühl des "Mein" (Seite 13), mit dem Gefühl des Strebens, der Gewißheit (Seite 15) usw. Die Gefühle selbst werden definiert als "Bewußtseinsinhalte, die sich unmittelbar als Qualitäten des Ichgefühls darstellen." In jedem Gefühl als solchem steckt das Ich, ... und erlebe ich gleichzeitig unterscheidbare Gefühle, so machen diese eben das jetzt erlebte Ich aus" (Seite 15). Alle diese Auslassungen beweisen, daß das Ich in den Gefühlen zur Erscheinung kommt. Über das eigentliche Wesen des Ich oder des Subjekts aber erfahren wir dadurch nichts. Offenbar ist es dasselbe Ich, das im vorhin erwähnten Beispiel vom Denken zur Geltung kommt und zwar auch unmittelbar zur Geltung kommt, - man sagt doch auch, ich denke - und doch wird jedermann Bedenken haben, das Denken als Gefühl zu bezeichnen. Die Gefühlsbestimmung von LIPPS ist viel zu weit, und aufgrund derselben kann man die allerverschiedensten psychischen Phänomene als Gefühle ansprechen (71). Er stützt sich in seinen Darlegungen vielfach auf den Sprachgebrauch (vgl. Seite 22!), übersieht aber im vorliegenden Fall ebenso wie WUNDT, daß der Sprachgebrauch bei der Verwendung des Wortes Gefühl sich weniger von der subjektiven Eigenart des damit bezeichneten Tatsachenbestandes als vielmehr von dessen Charakter des Dunklen, Ungewissen, Unklaren leiten ließ. Wenn LIPPS das Gefühl als unmittelbar erlebtes Ich bezeichnet, so drängt sich uns die Frage auf, was eigentlich mit diesem Begriff des unmittelbar erlebten Ich gemeint ist. Ist dieses Ich wechselnd von Moment zu Moment mit dem Gefühl, das zu seinem Ausdruck dienen soll, ist es also immer nur ein jeweiliges Ich? Das scheint die Meinung von LIPPS zu sein, zumindest weisen seine Ausführungen über das "reale Ich" (Seite 39f) darauf hin. Dann ist das Ich als Ganzes oder das Ich schlechthin kein unmittelbar erlebtes, sondern nur ein erschlossenes, nur ein vorausgesetztes Ich, also ein Ich, das nur durch die Reflexion festgestellt werden kann. Freilich ist man dann, wie ich weiter unten zeigen werde, immer noch nicht gezwungen, dieses reale Ich als Psyche (Seite 39) zu bezeichnen. Daß man auch das sogenannte Gefühls-Ich nicht immer hat, daß es nicht jederzeit neben den sonstigen psychischen Akten einherläuft, weiß jeder, der sich schon einmal mit voller Aufmerksamkeit einem Gegenstand oder einem Problem zugewandt hat. Schon der Sprachgebrauch, der, wie LIPPS treffend bemerkt, immer lehrreich ist, weist auf diese Tatsache hin, kann man ja in einer Beschäftigung "ganz aufgehen". Versteht man dagegen unter dem unmittelbar erlebten Ich allgemein die verschiedenen Arten und Weisen, wie ich mich fühle oder erlebe, und die Beispiele von LIPPS weisen auch darauf hin, so ist nicht einzusehen, warum unter einem "Ich" nicht auch der Körper mitgemeint sein sollte, wie es im Beispiel "Ich gehe spazieren" zum Ausdruck kommt. Auf das Ich beziehen wir, und das muß ich besonders bemerken, nicht bloß das Fühlen, sondern auch das Wahrnehmen, das Denken, das Wollen, kurz alle Bewußtseinszustände. Nun dünkt mich die Frage von Wichtigkeit, ob das Ich für die anderen Zustände ein anderes ist als für das Gefühl. Wenn dem so wäre, so hätten wir ja ein doppeltes Ich, und das wäre eine Tatsache, welcher die Einheit unseres Bewußtseins widerspricht. Zudem sagt uns unser unmittelbares Bewußtsein nichts für diese Anschauung, sie wäre also auch nur erschlossen, nicht unmittelbar. Ist aber das Ich für alle Bewußtseinserscheinungen dasselbe, so ist nicht einzusehen, inwiefern das Gefühl eine engere Beziehung zum Ich darstellen sollte. Es hat dann in dieser Hinsicht keinerlei Vorzug oder Sonderstellung gegenüber dem Ich. Schließlich muß ich noch darauf hinweisen, daß sich bei LIPPS Widersprüche in der Bestimmung des Ich und des Gefühls finden. Einmal nennt er das Gefühl Ichqualitäten (Seite 15), in denen das Ich zum Ausdruck kommt. Das andere Mal bestimmt er sie als "Bewußtseinssymptome von der Weise, wie sich die Psyche, die Persönlichkeit, das psychische Individuum zu dem, was es erlebt, was ihm zuteil wird, was in ihm vorgeht, verhält." (Seite 24) (72) Der Widerspruch scheint mir darin zu liegen, daß im letzten Fall die Gefühle Beziehungen der Bewußtseinsinhalte auf das Ich bedeuten, da zuerst einmal aber gar keine Rede von Beziehungen sein kann, sind die Gefühle ja selbst das Ich in jedem Augenblick. Freilich sucht LIPPS diesen Widerspruch zu heben durch eine spätere Konstatierung des realen Ich, als welches die Psyche erscheint. Abgesehen davon, daß diese Konstatierung in das von LIPPS in der Psychologie stets bekämpfte metaphysische Gebiet übergreift, ist das Ich dann ja nur ein erschlossenes. Nach dieser Richtung weisen auch folgende Überlegungen: Das Ich scheint mir nichts anderes zu bedeuten, als die Beziehung aller psychischen Erscheinungen auf ein und dieselbe Person. Von einer solchen Beziehung kann jedoch nur die Rede sein, wenn das ganze Bewußtsein dem sogenannten monarchischen Prinzip gehorcht, d. h. gewisse Bewußtseinsphänomene vor anderen gewissermaßen die Vorhand haben. Die jeweils herrschende oberste der monarchisch gegliederten Gedankenreihen, ist uns das Selbstbewußtsein oder das Ich. Diese Gliederung setzt natürlich einen durchgängigen Zusammenhang zwischen den einzelnen Vorstellungen, Gedanken, Stimmungen und Handlungen voraus. Das Ich ist also nach KÜLPE erst denkbar unter der Voraussetzung dieses Zusammenhangs und des darauf sich erhebenden monarchischen Prinzips oder dieser Rangordnung. Dafür bietet uns die kindliche Entwicklung einen Belege. Erst allmählich lernt das Kind sich von der Außenwelt zu unterscheiden und als Ich kennen, obwohl es schon in der allerfrühesten Kindheit Gefühle, und zwar sehr intensive, hat. Erst allmählich bildet sich im kindlichen Vorstellungskreis die zu einem Ichbewußtsein führende Rangordnung. Für diese kommen in Betracht (73): der Unterschied zwischen Aufmerksamkeit und Unaufmerksamkeit, der einheitliche Charakter der Gemütsvorgänge, die Häufigkeit und Konstanz gewisser Vorstellungen, wodurch ihnen der Vorrang vor anderen, seltener erscheinenden gesichert ist (z. B. die Vorstellung unseres eigenen Körpers), und schließlich die Einheit des Wollens und des Charakters. Eine wertvolle Stütze findet diese Anschauung über das Wesen des Ich in der Tatsache, daß auch die Einheit der lebenden Organismen auf den angegebenen Verhältnissen, nämlich auf einem durchgängigen Zusammenhang und auf einer Rangordnung beruth. Selbst die Einheit eines Kunstwerkes steht und fällt mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein dieser beiden Faktoren. Mit der Bestimmung des Ich oder des Subjekts in der vorstehend vollzogenen Weise wird von selbst die Bevorzugung des Gefühls als subjektives Bewußtseinsphänomen aufgehoben und meinen Ausführungen über die Subjektivität des Denkens Recht gegeben. Alle psychischen Vorgänge sind gleich subjektiv, und deshalb ist ja auch die Psychologie zu definieren als die Lehre vom Subjektiven. Auf Einiges glaube ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen zu müssen. Die Empfindungsinhalte der meisten Sinnesgebiete legen wir den Dingen der Außenwelt als Eigenschaften bei; sie haben Farben, tönen, riechen etc. Dagegen versäumt man das bei den Gefühlen und Organempfindungen und es muß sich uns die Frage aufdrängen, warum man von den Organempfindungen nicht als von Eigenschaften oder Gegenständen spricht. Den Grund dafür sehe ich zunächst in der Lage der Reizursachen für letztere im eigenen Körper. Alle übrigen peripherisch-erregten Empfindungen werden uns durch Reizung der an der Körperperipherie liegenden Sinnesorgane vermittelt und die Reizquellen der anderen Sinnesgebiete sind zumeist dem Gesicht zugängig. Dazu kommt noch, daß uns die Beziehung zwischen den Empfindungen und den sichtbaren Gegenständen außerhalb meines Körpers gegeben ist in Form einer großen Konstanz, einer festen Assoziation. Für die Organempfindungen kommen diese Umstände in Wegfall. Sie haben ihre Reizursachen im Körperinnern, das in eine enge Beziehung zum Bewußtseinsleben gebracht werden muß. Gegeben ist uns nur die Beziehung dieser Empfindungen zu Teilen des Körpers selbst. Ein weiterer Grund besteht darin, daß sie im Gegensatz zu den anderen Empfindungen eine äußerst enge Verbindung mit den Gefühlen haben und zumeist unserer Willkür entrückt sind.
Die Bedeutung des Subjektiven als Gefühlskriterium untergräbt WUNDT übrigens selbst, wenn er die ästhetischen Gefühle "mehr objektive Gefühle" genannt hat ("Physiologische Psychologie", erste Auflage, 1874, Bd. 1, Seite 458). Diese Auffassung finden wir sogar noch im "Grundriß", vierte Auflage, 1901, Seite 196:
Also mit der Subjektivität als Kriterium des Gefühls ist es nichts, und es ist uns nicht möglich, aufgrund dieses Kennzeichens einen psychischen Vorgang als Gefühl zu reklamieren. Dieser Einsicht hat man sich im allgemeinen auch nicht verschlossen. So sagt LEHMANN, eine gewisse Einschränkung daran knüpfend:
als sein Kriterium Alle Psychologen sind darin einig, daß das Gefühlsleben sich in Gegensätzen bewegt. Während die Empfindungen eines Systems größte Unterschiede zeigen, weisen die Gefühle maximale Gegensätze auf, von der höchsten Lust durch eine Indifferenzzone bis zur unerträglichen Unlust, "himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt!" Kann nun dieser Antagonismus als untrügliches Kennzeichen des Gefühls gelten? Auch hier muß die Antwort "nein" lauten. Die Erfahrung lehrt, daß auch Nichtgefühle diesen Gegensatz aufweisen und ebenso durch einen Indifferenzpunkt laufen. Die Empfindungen des Temperatursinnes bewegen sich in derselben Gegensätzlichkeit. Die maximale Wärmeempfindung läßt sich abstufen bis zum physiologischen Null- oder Indifferenzpunkt. Wird Wärme weiter verringert, so entsteht die Kälteempfindung, die sich wieder ins Maximale steigern läßt. Ähnliche Gegensätze bilden weiter die komplexen Organempfindungen Hunger und Sättigung und diese körperlichen Zustände der Ermüdung und Frische. Diese Dinge sind so bekannt, daß ihre Auffassung als Gefühlskriterium nur einen bedeutenden Vertreter hat, nämlich WUNDT. Nachstehende Stellen aus seinen Schriften sollen das beweisen:
"... Doch sind innerhalb dieser Mannigfaltigkeit verschiedene Hauptrichtungen zu unterscheiden, die sich zwischen Gefühlsgegensätzen von dominierendem Charakter erstrecken. Solche Hauptrichtungen können daher immer durch je zwei Bezeichnungen ausgedrückt werden, die jene Gegensätze andeuten." (79) "... Gefühlston der Empfindung oder das sinnliche Gefühl, ausgezeichnet durch die subjektive Bedeutung, sowie durch die Eigenschaft, daß es sich zwischen entgegengesetzten Zuständen bewegt." (80) "Mit dieser Beziehung zum Wollen steht zugleich die den Gefühlen und allen verwandten Zuständen gemeinsame Eigenschaft, daß sie sich zwischen Gegensätzen bewegen, in unmittelbarstem Zusammenhang." (81)
Selbst wenn man die Gegensätzlichkeit derart versteht, daß schon in der zeitlichen Dauer des Gefühls die Tendenz liegt zum Unschlagen in sein Gegenteil, so hat man damit immer noch nichts dem Gefühl Spezifisches festgestellt. Es läßt sich nämlich für manche Organempfindungen dasselbe behaupten. Von absolut zuverlässiger Seite wurde mir versichert, daß eine Dame bei einer ihr ausgesprochenen Kondolation [Beileidsbekundung - wp] zu ihrer größten Verlegenheit zu lachen begann, lediglich weil die schon lange andauernden Empfindungen, die mit Weinen und traurigen Gesichtszügen verbunden sind, die immermehr sich steigernde Tendenz zum Umschlagen in ihr Gegenteil hatten. der Gefühle als ihr Kriterium Von anderer Seite ist als untrügliches Kennzeichen des Gefühls seine Nichtlokalisierbarkeit empfohlen worden. LIPPS vertritt mit aller Energie diesen Standpunkt. Er führt an einer Stelle aus:
Nun ist es aber wohl eine unbestreitbare Tatsache, daß es in jedem Augenblick eine Menge zentralerregter Reizungen in unserem Körper gibt, von denen jede für sich genommen, zu schwach ist, um als Organempfindung bewußt zu werden. Wenn die Reize aber zusammen wirken und sich dadurch gegenseitig verstärken, so können sie als Gesamteindruck bewußt werden. Dieser ist nun natürlich nicht an gewisse und bestimmte Organe gebunden, als von ihnen direkt abhängig. Der Gesamteindruck solcher Organempfindungen kann demnach auch nicht lokalisiert werden, besitzt mithin denselben Vorzug, der nach LIPPS nur den Gefühlen eigen sein soll. Damit fällt also auch die vermeintliche Nichtlokalisierbarkeit der Gefühle als spezifisches Kriterium derselben. Ich sage absichtlich "vermeintliche Lokalisierbarkeit"; denn in gewissem Sinne sind auch die Gefühle zu lokalisieren, ähnlich manchen Empfindungen. Gefühle treten kaum rein auf, sondern wohl immer im Zusammenhang mit peripher- oder zentralerregten Empfindungen. So fern nun diese zu lokalisieren sind, sind es auch die damit verbundenen Gefühle. Dafür spricht schon die Theorie von JAMES und LANGE über die Theorie der Gefühle. Wenn das Gefühl diesen Forschern nicht im Körper zu lokalisieren gewesen wäre, so hätten sie dasselbe nicht als eine Summe von Organempfindungen auffassen können. Hierzu stimmt auch eine Äußerung WUNDTs:
Ganz auf dem Standpunkt von LIPPS steht in dieser Frage OSKAR VOGT (85). Deshalb gelten die obigen Einwände auch ihm. des Begriffs "Gefühl". Meine vorstehenden Erörterungen haben zu zeigen versucht, daß die bislang da und dort aufgestellten Kriterien des Gefühls nicht einwandfrei sid und sich nicht eignen, einen psychischen Tatbestand aufgrund ihres Vorhandenseins mit Fug und Recht als Gefühl zu bestimmen. Die Tatsache, daß alle zur Zeit angegebenen Kennzeichen, für sich allein und auch zusammengenommen, zur Abgrenzung der Gefühlssphäre versagen, erscheint mir von allergrößter Wichtigkeit für die Beurteilung der Versuche, die althergebrachte Gefühlslehre, die sich in den Qualitäten Lust-Unlust erschöpft, zu überwinden und dem Gefühl noch mehr Qualitäten zuzusprechen. Es gibt also zur Zeit kein stichhaltiges Kriterium der Gefühle; deshalb verstehe ich nach wie vor unter dem Begriff Gefühl nichts anderes als Lust-Unlust. Diese einander entgegengesetzten psychischen Vorgänge sind jedem Menschen in seiner unmittelbaren Erfahrung gegeben, und darum ist jedem das Eigenartige gerade in seiner Eigenheit bekannt, sodaß ein Mißverständnis über den Begriff "Gefühl" ausgeschlossen erscheint. Daß man eine Definition des Gefühls überhaupt nicht gegeben kann, ist auch WUNDTs Ansicht; denn er schreibt: "Gefühl ist das einfache, nicht weiter aufzulösende, eben darum aber auch nicht zu definierende Element aller Gemütszustände" (86) und da nur Komplexes definiert werden kann, so sind ihm die Gefühle weder zu definieren noch zu deduzieren (87). Ähnlich ist LEHMANNs Bestimmung:
Und BRAHN erklärt:
Diese Abgrenzung des Begriffs "Gefühl" scheint mir unzweckmäßig und in ihr glaube ich eine der stärksten Wurzeln zu sehen für den Streit, ob Lust- Unlust Individual- oder Kollektivbegriffe sind, für die Bestimmung der Affekte gegenüber den Gefühlen und für das Verhältnis von Empfindung und Gefühl. Doch davon sollen ein paar weitere Abschnitte handeln. Zunächst aber bleibt mir nur noch, meine Auffassung über Lust und Unlust etwas näher zu präzisieren. Dieselben muß ich als elementare Qualitäten unseres Seelenlebens betrachten, die im psychischen Geschehen blitzartig aufzucken und rasch wieder verschwinden können. Natürlich treten sie im Zusammenhang des psychischen Verlaufes auf und damit in diesen ein. Ihr längeres, relativ konstantes Weilen in Verbindung mit Empfindungs- und Vorstellungselementen oder einem anderen seelischen Inhalt, der weiter unten seine Erörterung finden soll, nenne ich Stimmung. Einen rasch wechselnden Gemütszustand bezeichne ich, wie üblich, im allgemeinen als Affekt. Meine Untersuchungen werden jedoch zeigen, daß es auch Affekte ohne Gefühle als konstitutive Elemente gibt. Stimmung und Affekt unterscheiden sich dem Gefühl gegenüber dadurch, daß es sich bei ihnen immer um ein einheitliches Ergriffenseins der ganzen Persönlichkeit, nicht nur um Empfindungen und Gefühle handelt, die sich um bestimmte Anlässe gruppieren. (93) Ein subjektives Kriterium des Gefühls zu geben, ist mir ebenso unmöglich wie zur Zeit den Psychologen vom Fach. Nach der objektiven Seite jedoch läßt sich vielleicht sagen, daß die Gefühle von keinem bestimmten, ausschließlich ihnen dienenden zentralen oder peripheren Organ abhängig sind, sondern von jedem einzelnen aus erregt werden können (94). Außerdem kann noch immer die schon von KANT hervorgehobene Tatsache, daß unsere Erkenntnis keine direkte Bereicherung durch das Gefühl erfährt, als Gefühlskriterium betrachtet werden. Freilich nähern sich in dieser Beziehung auch die Organempfindungen dem Gefühl, und deshalb ist das eben gegebene Kriterium auch nur von untergeordneter Bedeutung. Daß für das Auftreten einer Gefühlsqualität auch die gesamte psychische Konstellationi von ganz hervorragender Bedeutung ist, muß ohne weiteres zugegeben werden. Doch scheint mir diese Tatsache ebenso wenig zum Kriterium des Gefühls geeignet wie die vorhin geprüften Merkmale. Wenn sich nämlich aufgrund der psychischen Konstellation das Gefühl ändert, so geschieht das eben nur, weil an die Stelle der diese Konstellation bedingenden und konstituierenden Empfindungen andere getreten sind, weil also die Konstellationi selbst sich geändert hat. Im Übrigen besteht auch eine Abhängigkeit der neu auftretenden Empfindungen vom jeweiligen psychischen Gesamtzustand, sodaß das Gefühl vor jenen durchaus nichts voraus hat. Es bedarf auch nicht der Annahme eines besonderen, das Gefühl erzeugenden Nervenapparates, sondern die nervösen Organe haben eine doppelte Funktion, eine empfindungs- und gefühlserzeugende, nur dürften die Reizschwellen für beide verschieden hoch liegen. Empfindungs- und Gefühlsqualität Das Verhältnis von Empfindung und Gefühl hat bis in die jüngste Zeit einen Streitpunkt in der Gefühlslehre gebildet. Deshalb wollen wir dasselbe zunächst ins Auge fassen. Empfindung und Gefühl In seinen früheren psychologischen Schriften hat WUNDT das Gefühl nur als eine Seite der ein Ganzes bildenden Empfindung angesehen. So schreibt er: "Hunger, Durst, körperlicher Schmerz, vollends Tasteindrücke sind physische Nervenprozesse, also Empfindungen", können aber als Gefühle bezeichnet werden, wenn sie auf das Subjekt bezogen werden.
"Neben Intensität und Qualität begegnet uns mehr oder weniger ausgeprägt in jeder Empfindung ein drittes Element, welches teils durch die subjektive Bedeutung, die ihm das entwickelte Bewußtsein unmittelbar beimißt, teils durch die Eigenschaft ausgezeichnet ist, daß es sich zwischen entgegengesetzten Zuständen bewegt. Wir nennen diesen dritten Bestandteil der Empfindung den Gefühlston oder das sinnliche Gefühl." (98)
Gegen diese Auffassung des Gefühls als Empfindungseigenschaft kämpft LIPPS, allerdings von einem anderen Standpunkt aus als die folgenden, schon in seinen "Grundtatsachen des Seelenlebens", wo er die Ansicht abweist, daß Lustempfindungen und Wollungen mit Vorstellungsverhältnissen unmittelbar identisch sind (Seite 19f). "Die Lust, die wir fühlen, ist ein ganz eigenartiges Einfaches, mit nichts sonst in der Welt Vergleichbares." (Seite 20) Weiter verlangt er, daß genau unterschieden wird zwischen dem, was zur objektiven Empfindung gehört, und dem reinen Unlust- oder Lustgefühl (100). Gegen den "Gefühlston", nach welchem Ausdruck das Gefühl als Akzidenz [Merkmal - wp] der Empfindung erscheint, wendet er sich an verschiedenen Stellen (101). Daß das Gefühl nicht als Eigenschaft der Empfindungen aufzufassen ist, wird bewiesen durch die Tatsache, daß die Gefühle dauern können, nachdem die Empfindungen, an die sie sich hefteten, vorüber sind, und daß bei andauernden Empfindungen das Gefühl aufgehoben oder in sein Gegenteil verkehrt werden kann (102). In ähnlicher Weise tritt KÜLPE schon 1887 der Auffassung WUNDTs mit drei Gründen entgegen (103). Noch eingehender aber behandelt er denselben Gegenstand in seiner Psychologie (104). In meisterhafter Weise werden dort die verschiedenen Möglichkeiten des Verhältnisses zwischen Empfindung und Gefühl erörtert und schließlich als Resultat gewonnen, daß das Gefühl als selbständiger Bewußtseinsvorgang aufzufassen ist. Da diesen Ausführungen im Wesentlichen nichts Neues zuzufügen ist, so beschränke ich mich darauf, auf sie hinzuweisen mit der Modifikation, daß meine Erfahrung mir nichts von "empfindungsfreien" Gefühlen sagt. Meine Überzeugung geht vielmehr dahin, daß das Gefühl immer und stets "intellektuelle Momente" irgendeiner Art zur Voraussetzung hat oder, besser gesagt, mit ihnen verknüpft ist (105). Diese Auffassung paßt auch ganz gut zu der weiter oben ausgedrückten Vermutung, daß Empfindung und Gefühl Funktionen ein und desselben nervösen Organs sind; nur daß für das Gefühl die Reizschwelle höher liegt als für die Empfindungen. Einigermaßen stimmt damit die Ansicht von EBBINGHAUS überein. Er bezeichnet die Gefühle erst als "Folgeerscheinungen der Empfindungen und Vorstellungen", meint aber fortfahrend:
Seine innere Entwicklung hat allmählich auch WUNDT zur Anerkennung der Selbständigkeit des Gefühls geführt. Während noch in der zweiten Auflage der "Vorlesungen etc." (1892) steht:
"Die Gefühle sind also ebensogut psychische Vorgänge, die ihr physische Seite haben, wie die Empfindungen."
Individual- oder Kollektivbegriffe. Von der einen Seite wird behauptet, Lust-Unlust seien einfache Qualitäten, von der anderen dagegen, sie seien nur Kollektivbegriffe für eine unabsehbare, unter sie fallende Mannigfaltigkeit von Einzelqualitäten, und die Vertreter beider Anschauungen berufen sich auf die Selbstbeobachtung. Wer hat nun Recht? Vor allem ist WUNDT der Ansicht, daß die Mannigfaltigkeit unserer Gefühle eine unvergleichlich größere sei als die unserer Empfindungen, obwohl wir ungefähr 13000 Einzelqualitäten bei den Empfindungen unterscheiden können ohne die Menge von Verbindungen und Kombinationen.
Eine qualitative Verschiedenheit der Lust- und der Unlustgefühle nimmt auch LIPPS an. Der ästhetischen Lust
Da die von mir vertretene Auffassung die einfachere, dabei allen Verhältnissen Rechnung tragende und deshalb vorzuziehen ist, muß sie solange zu Recht bestehen, bis die Vertreter der entgegengesetzten Meinung unwiderlegliche Beweise für dieselbe beigebracht haben. Das wird jedoch, fürchte ich, gute Wege haben. Für die einfachere Auffassung sind ganz entschieden HÖFFDING (114), KÜLPE (115), JODL (116), EBBINGHAUS (117), LEHMANN (118) und REHMKE (119)in die Bahn getreten. Letzterer sieht in seiner interessanten Untersuchung die von vielen behauptete qualitativ verschiedene Färbung von Lust und Unlust in den immer damit verbundenen "Körperempfindungen", worunter er das Gegenständlich des Bewußtseins versteht, "welches uns irgendwie als "in unserem Körper" Gegebenes ein "Gegenstädliches des Bewußtseins ist." Er führt aus:
Erst in der letzten Zeit hat OSKAR VOGT (120), der sonst WUNDTs Mehrdimensionalität zuneigt, sich auf unseren Boden gestellt. Er hat Gefühlsuntersuchungen an Hypnotisierten, also im Zustand eines eingeengten Bewußtseins befindlichen Personen vorgenommen und hat als Ergebnis Lust und Unlust als Einzelqualitäten gefunden. Freilich kommen bei diesen Versuchen auch WUNDTs Gefühlsrichtungen zu ihrem Recht, womit sich ein späterer Abschnitt befassen wird; doch zunächst interessiert uns folgende Auslassung:
Richtung der Gefühle bei Lipps und Wundt Nach meinen vorigen Ausführungen über LIPPS und WUNDT ist es ganz selbstverständlich, daß diesen Lust und Unlust nur als Gefühlsrichtungen erscheinen, innerhalb welcher die größte qualitative Mannigfaltigkeit besteht. Es erübrigt mir nun noch, Stellung zu nehmen zu deren Auffassung, daß Lust und Unlust nicht die einzigen Gefühlsrichtungen sind, sondern sich ihnen nach LIPPS noch die Strebungs- und Widerstrebungsgefühle und die Gefühle des Ernstes und der Heiterkeit, nach WUNDT aber die Erregungs- und Beruhigungs-, sowie schließlich die Spannungs- und Lösungsgefühle zugesellten. Was führt LIPPS zur Konstatierung der Willensgefühle, wie er die Strebungsgefühle auch nennt? Zur Beantwortung dieser Frage halte ich es für nötig, die Ansichten von LIPPS, die sich da und dort mehr oder weniger eingehend formuliert finden, darzustellen.
"Das aufgezeigte Verhältnis der Strebungsgefühle und der Lust- und Unlustgefühle, die Art wie beide, obgleich unterscheidbar, doch in ihrem Zusammenhang nur verschiedene Seiten ein und desselben Gefühls ausmachen, wie sie andererseits stetig ineinander übergehen, diese nötigt uns auch, den Strebungsgefühlen dieselbe Stellung in unserem Gesamtbewußtsein anzuweisen, die wir den Lust- und Unlustgefühlen zuweisen müssen, d. h. sie als etwas von den objektiven Empfindungen, aus denen sich, sei es die Außenwelt, sei es der Körper, aufbaut, verschiedenes zu betrachten und dem letzten Subjektiven zuzurechnen, dem Subjekt oder Selbst, das der Außenwelt wie dem Körper als etwas völlig anderes gegenübersteht. In beiden Gefühlsinhalten zuammen haben wir uns, d. h. den letzten, absolut einheitlichen und unteilbaren, obgleich qualitativ veränderlichen Kern des Ich, den Punkt, an dem schließlich alles hängt, was sonst Ich, Mein oder irgendwie auf mich bezogen heißen mag." (124) - "Im Strebungsgefühl, das sich befriedigt, besteht unser Aktivitäts- und Freiheitsgefühl, im Strebungsgefühl, das bleibt oder zum Gefühl des unbefriedigten Gegensatzes sich verschärft, unser Passivitäts- oder Zwangsgefühl." (125) Zunächst zeigt uns der zuletzt zitierte Satz, daß LIPPs unter seinem Strebungsgefühl auch verschiedene Gefühlsqualitäten zusammenfaßt. Dazu wird er schon durch die qualitative Mannigfaltigkeit von Lust und Unlust gedrängt. Zur Sache selbst ist zu bemerken, daß das Streben gewiß ein häufig zu erlebender Vorgang ist. Nach unserer Überzeugung und Terminologie fällt er aber nichts ins Gebiet des Gefühls, da dieses sich in Lust und Unlust erschöpft. Da die von LIPPS hervorgehobene subjektive Beschaffenheit kein entscheidendes Kriterium des Gefühls ist, so ist auch der aus jener gezogene Schluß auf die Natur des Strebens nicht berechtigt. Da sonst von LIPPS vertretene Kriterium der Nichtlokalisierbarkeit wird hier gar nicht als stützend ins Feld geführt. Dann frage ich, wie soll man sich die Bewegung zwischen den beiden Polen Lust und Unlust denken? Die Lust kann sich von einem höheren Grad intensiv abstufen bis zur Unbemerkbarkeit. Mein Seelenleben ist dann gefühlsfrei. Daran kann sich ganz leise Unlust anschließen, die sich ihrerseits wieder steiget. Wo bietet sich zwischen Lust und Unlust, die vielleicht mein Wollen begleiten, meiner Selbstbeobachtung das sogenannte Willensgefühl? Weiter müßte das Strebungsgefühl der Anlaß oder die Ursache von Lust oder Unlust sein. Das aber widerspricht dem psychologischen Verhalten der Gefühle; denn Lust als solche ist doch auch nie die Ursache von Unlust und umgekehrt. Wenn alles Gefühl nur eines ist mit den jeweils hervortretenden Seiten von Lust, Streben oder Unlust, so wäre rätselhaft, daß auch nicht die genaueste Selbstbeobachtung uns diese Trinität kennen lehrt. Wo bliebe denn das Strebungsgefühl, wenn ein gefühlserzeugender Reiz in mir Lust erweckt, ohne daß ich ihn begehre, oder wenn der den Reiz veranlassende Gegenstand mir dauernd gegeben ist, so daß ein Streben nach ihm durchaus überflüssig ist? Man denke doch an angenehme Geschmacks-, Geruchs- oder ästhetisch wirkende Gesichtsempfindungen! Gewiß erscheint uns Lust erstrebenswert. Um sie wirklich zu bekommen, muß ich den lusterregenden Gegenstand kennen und meine Überlegungen und Tätigkeiten darauf richten. Dabei habe ich vielleicht Lust und Unlust, je nachdem Aussicht auf die Erreichung meines Zwecks besteht oder nicht, aber gewiß kein Willensgefühl. Sicher ist das Streben eine "Wirksamkeit psychischer Faktoren", aber auch physischer; gewiß gibt das Streben dem Willensbegriff erst seinen Sinn und Inhalt; aber der Wille ist weder etwas Ursprüngliches, Letztes, noch das Streben ein Gefühl. Dieses erscheint mir vielmehr, wie KÜLPE ausführt,
Neuerdings hat LIPPS auch noch die Gefühle der Heiterkeit des Ernstes als dritte Gefühlsdimension aufgestellt (129), dabei die Frage offen lassend, ob nicht noch mehr zu entdecken sind (130). Daß er mit letzteren Namen eine ganze Mannigfaltigkeit von Gefühlsqualitäten zusammenfaßt, zeigt folgende Stelle über das Gefühl der Komik, welches ihm mit den Gefühlen des Ernstes und der Heiterkeit identisch ist:
Über die Gefühle der Heiterkeit und des Ernstes erhalten wir an der vorhin angeführten Stellen näheren Aufschluß.
Schmerzen sind Empfindungen, denen immer Unlust anhaftet. Darin müssen wir ja auch den Grund sehen, daß man sie bis in die jüngste Zeit dem Unlustgefühl zuzählte. Fehlt dieses beim Schmerz aber tatsächlich einmal, so spielt die psychische Konstellation eine Rolle. Die Aufmerksamkeit ist auf etwas Anderes gerichtet, so daß die Schmerzempfindungen mit noch geringerer Intensität auftreten als dies hierbei ohnehin schon der Fall ist. Die Bedingungen der Unlust werden dabei durch die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehenden lustauslösenden Momente an ihrem Wirksamwerden verhindert. Richtet sich aber die Aufmerksamkeit auf die Schmerzempfindung, so haben wir mit einem Schlag Unlust. Heitere Schmerzen aber sind ein Unding; denn wo wären beim Schmerz die dem "psychischen Geschehen in uns günstigen, also unterstützenden, fördernden, erleichternden Bedingungen seines Vollzuges"? (Seite 131). Nach Seite 130 hat das Gefühl der Komik "zunächst eine Lustfärbung, oder was dasselbe besagt, es ist zunächst eine Färbung des Lustgefühls". Einmal ist hier die Lust nur das Begleitende eines anderen Gefühls, das andere Mal aber Grundlage, zu welcher noch eine gewisse Färbung hinzukommt. Und doch soll in beiden Fällen dasselbe Gefühl bestehen. Wenn LIPPS Recht hätte (Seite 137), daß mich nichts innerlich ganz in Anspruch nehmen kann, "ohne mein Wesen in Eines zusammenzufassen, und daß eine solche innere Vereinheitlichung ansich betrachtet wiederum ein lusterzeugendes Moment ist", dann wäre an den im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehenden (konzentrierten) Schmerz nur Lust geknüpft, eine Folgerung, die den Tatsachen widerspricht. Aus dem Zusammenwirken von Bedingungen der Lust und Unlust soll ein Neues entstehen, nämlich das Gefühl des Heiteren (Seite 138). Es ist aber nicht einzusehen, inwiefern das nicht ein gemischtes Gefühl sein sollte, oder, was näher liegt, Lust oder Unlust, die jeweils hinter ihren Bedingungen zurückbleiben oder gar kein Gefühl infolge einer völligen Neutralisierung gewissermaßen zwischen Lust und Unlust stehendes und sich nur durch eine Beziehung auf diese zu charakterisierendes Gefühl ergeben? - Aus all den langen Ausführungen von LIPPS kann nicht ersehen werden, was eigentlich das Gefühl der Heiterkeit im Gegensatz zur Lust sein soll, und deshalb besteht kein Grund, die Heiterkeit als ein qualitativ eigenartiges Gefühl, geschweige gar mit dem Ernst zusammen als eine besondere Gefühlsdimension zu betrachten.
66) WUNDT, Grundriß der Psychologie, vierte Auflage, 1901, Seite 35f 67) WUNDT, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, 1863, Bd. 2, Seite 2f. 68) WUNDT, Vorlesungen etc., dritte Auflage, 1897, Seite 222f. Hier finden wir auch noch die schon in der ersten Auflage niedergelegte falsche Auffassung, daß den von der Sprache als Gefühl bezeichneten Tatsachen die Beziehung auf das Subjekt gemein ist, während nach meinen Darlegungen (siehe oben) das tertium comparationis [das für einen Vergleich erforderliche Dritte - wp] im Unklaren, Dunklen jener psychischen Erscheinungen zu suchen ist. 69) WUNDT, Grundzüge der Physiologischen Psychologie, erste Auflage 1874, Seite 274; zweite Auflage 1880, Bd. 1, Seite 465; dritte Auflage, 1887, Bd. 1, Seite 508. Hier fehlt bereits der Satz der zweiten Auflage: "Die ersteren - Empfindungen, deren Gefühlston sehr schwach ist" - pflegt man im engeren Sinne Empfindungen ... zu nennen." (vierte Auflage 1893, Bd. 1, Seite 555) 70) THEODOR LIPPS, Das Selbstbewußtsein - Empfindung und Gefühl, Wiesbaden 1901. 71) Erst nach Vollendung vorstehender Arbeit lernte ich LIPPS' Schrift "Vom Fühlen, Denken und Wollen", 1902, kennen. Darin tritt uns eine überreiche Mannigfaltigkeit von Gefühlen entgegen. Mit den dort niedergelegten Anschauungen werde ich mich andernorts beschäftigen. 72) vgl. auch LIPPS: Vom Fühlen, Denken und Wollen, Seite 5. 73) Nach einer Vorlesung von Professor KÜLPE zu Würzburg im Wintersemester 1901/02. 74) LIPPS, Selbstbewußtsein etc., Seite 22 75) WUNDT, Grundriß der Psychologie, vierte Auflage, 1901, Seite 215. 76) WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, vierte Auflage, 1893, Bd. 1, Seite 434 77) ALFRED LEHMANN, Die Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens, 1892, Seite 14. 78) WUNDT, Grundriß der Psychologie, vierte Auflage, 1901, Seite 41. 79) WUNDT, Grundriß, Seite 100f. 80) WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, vierte Auflage, 1893, Bd. 1, Seite 155 (vgl. auch dritte Auflage, Bd. 1, Seite 508 und zweite Auflage, Bd. 1, Seite 465, sowie erste Auflage, Seite 426. 81) WUNDT, Grundzüge etc. Seite 589 82) WUNDT, Vorlesungen etc., dritte Auflage, Seite 240. 83) THEODOR LIPPS, Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 13, Seite 162f. - Ähnliche Auslassungen finden sich in seinem "Das Selbstbewußtsein", Wiesbaden 1901, Seite 16. 84) WUNDT, Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Philosophische Studien, Bd. 15, Seite 181. 85) OSKAR VOGT, Zur Kenntnis des Wesens und der psychologischen Bedeutung des Hypnotismus, Zeitschrift für Hypnotismus etc., Jahrgang IV, Seite 124. 86) WUNDT, Zur Lehre von den Gemütsbewegungen, Philosophische Studien VI, 1891, Seite 359. 87) WUNDT, a. a. O., Seite 344 88) ALFRED LEHMANN, a. a. O., Seite 12. 89) WUNDT, Grundriß der Psychologie, vierte Auflage, 1901, Seite 36. 90) EBBINGHAUS, Grundzüge der Psychologie, zweiter Halbband, 1902, Seite 540. 91) MAX BRAHN, Theorie der Gefühle, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 5, 1897, Seite 56 Anm. 92) OSKAR VOGT, a. a. O., Seite 125. 93) Nach einer Vorlesung von KÜLPE zu Würzburg im Wintersemester 1901/1902. 94) Nach derselben Vorlesung. (vgl. auch KÜLPE, Grundriß der Psychologie, 1893, Seite 21. 95) WUNDT, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, erste Auflage 1863, Bd. 2, Seite 3f. 96) WUNDT, a. a. O., Seite 6f. 97) WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, vierte Auflage, Bd. 1, Seite 282. 98) WUNDT, a. a. O., Bd. 1, Seite 555. Weitere Belege: vierte Auflage, Bd. 1, Seite 576, 580 etc. 99) WUNDT, a. a. O., Seite 580. 100) THEODOR LIPPS, Grundtatsachen des Seelenlebens, 1883, Seite 203 101) LIPPS, Göttingische Gelehrte Anzeigen, 1894, wo er im zweiten Heft LEHMANNs "Hauptgesetze etc." bespricht. Seite 90. Ferner: Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 13, Seite 161. 102) LIPPS, Bemerkungen etc. Seite 165 103) KÜLPE, Zur Theorie der sinnlichen Gefühle, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 11, drittes Heft, als Leipziger Dissertation 1887 erschienen, Seite 23f 104) KÜLPE, Grundriß der Psychologie, 1883, Seite 233f. 105) Diese Anschauung finde ich nachträglich bestätigt von OSKAR VOGT, Normalpsychologische Einleitung in die Psychopathologie der Hysterie, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 8, 1899, Seite 217. 106) EBBINGHAUS, a. a. O., Seite 542. 107) Inzwischen ist bereits eine fünfte Auflage erschienen. 108) WUNDT, Grundriß der Psychologie, vierte Auflage, Seite 93. 109) WUNDT, a. a. O., Seite 92 110) WUNDT, a. a. O., Seite 95 111) WUNDT, a. a. O., Seite 43 112) THEODOR LIPPS, Ästhetische Einfühlung, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 22, Seite 433f. Ferner "Göttingische gelehrte Anzeigen", 1894, Heft 2, Seite 97. "In Wahrheit sind nach dem Gesagten unsere Gefühle nicht bloß an Stärke verschieden. Sehnende Lust, freudiges Streben, das ist nicht einfach ein bestimmter Lustgrad; es ist keine reine Befriedigung von bestimmter Stärke, auch keine Befriedigung an einem als zukünftig vorgestellten Objekt. Es ist ebensowenig Lust mit einem Tropen Unlust etc." 113) HERMANN SCHWARZ, Glück und Sittlichkeit, 1902, Seite 21f. 114) HARALD HÖFFDING, Psychologie in Umrissen, 1893, Seite 305. 115) OSWALD KÜLPE, Grundriß etc. Seite 246f. 116) FRIEDRICH JODL, Lehrbuch der Psychologie, 1896, Seite 378f. 117) EBBINGHAUS, a. a. O., Seite 553. 118) ALFRED LEHMANN, a. a. O., Seite 32f 119) JOHANNES REHMKE, Zur Lehre vom Gemüt, 1898, Seite 47f. 120) Oskar Vogt, Zur Kenntnis des Wesens und der psychologischen Bedeutung des Hypnotismus, Zeitschrift für Hypnotismus etc., Jahrgang IV, Seite 122-167 und Seite 229-244. 121) OSKAR VOGT, a. a. O., Seite 127. 122) THEODOR LIPPS, Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 13, 1899, Seite 180. 123) LIPPS, a. a. O., Seite 183f. Ähnlich: Göttingische gelehrte Anzeigen, 1894, Heft 2, Seite 96f. 124) LIPPS, a. a. O., Seite 186 (Bemerkungen etc.) 125) LIPPS, a. a. O., Seite 188 126) vgl. Göttingische gelehrte Anzeigen, 1894, Heft 2, Seite 96f. 127) KÜLPE, a. a. O., Seite 275. 128) LIPPS, Komik und Humor, 1898, Seite 114f. 129) vgl. LIPPS, a. a. O., Seite 116f. 130) Wie ich aus seiner Schrift "Vom Fühlen, Denken und Wollen", 1902, ersehe, hat er dort Heiterkeit und Ernst als Gefühlsdimension fallen lassen und eine viel eingehendere Einteilung der Gefühle gegeben. 131) LIPPS, Komik und Humor, 1898, Seite 116. |