StatistikC. G. HempelR. WahleE. Spranger | |||
Theorie der Typen-Einteilungen [2/4]
VI. Die Entwicklungstypen der Organismen Alle die eben besprochenen Einteilungsversuche sind bekanntlich an der Tatsache gescheitert, daß sich die mannigfaltigen Formen der lebenden wie der untergegangenen Organismen nicht in ein festes Gedanken-Fachwerk hineinzwingen lassen. Schon LAMARCK hat jenen Annahmen gegenüber nachgewiesen, wie zahlreich und mannigfaltig die Übergänge sind, die nicht nur die Spezies, sondern ebenso auch die allgemeineren Gattungen der Organismen gegeneinander abstufen, also dazu zwingen, an die Stelle scharfer Unterschiede fließende Übergänge zu setzen. Mit den gleichen Waffen kämpfte nach ihm, wie aus der Teilnahme GOETHEs für den Streit vielen geläufig ist, GEOFFROY St. HILAIRE gegen CUVIER. Aufgrund des vor allem durch die genannten beiden Naturforscher klargelegten Sachverhalts durfte DARWIN behaupten: "Was den relativen Wert der verschiedenen Artengruppen, wie Ordnungen und Unterordnungen, Familien und Unterfamilien, Gattungen usw. betrift, so scheinen sie wenigstens bis jetzt ganz willkürlich zu sein". In schärferem Ton sagt, ebenfalls vom Boden der Entwicklungstheorie aus, DARWINs hervorragender Gegner NÄGELI dasselbe: "Der bisherigen Systematik wurzelte der Begriff der Spezies auf dem Gebiet des Glaubens; er war unzugänglich der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Prüfung durch Tatsachen; er war der Spielball des individuellen Glaubens, des Taktes, der Willkür." Das Material für die Erörterung des logischen Gehalts der organischen Typen haben wir gegenwärtig den Entwicklungshypothesen zu entnehmen. Es sei gestattet, den Annahmen DARWINs, dessen Selektionshypothese wir zuerst in Betracht ziehen, die weitgehendste Fassung zu geben; nicht, weil diese die größte Wahrscheinlichkeit besäße, sondern weil sie den fließenden Zusammenhang, der hier vorliegt, in seiner größten Breite darstellt. Wir setzen demnach Folgendes voraus: Alle Organismen sind aus einzelligen Lebewesen auf dem Wege allmählicher Differenzierung von Organen und Funktionen entstanden und zwar insbesondere durch die Bedingungen der natürlichen Zuchtwahl im Kampf ums Dasein. Sie haben sich aus einer einzigen Art von Zellen einfachster Struktur, also nach dem von HAECKEL eingeführten Ausdruck monophyletisch [die Gruppe hat eine gemeinsame Stammform und umfaßt auch alle Untergruppen, sowie die Stammform selbst - wp] entwickelt. Wir schließen demnach mit HAECKEL weiter: es muß "eine endliche Anzahl von Zwischenformen alle Arten jeder Gruppe durch ebenso feine Abstufungen, als unsere jetzigen Varietäten darstellen, verkettet haben." Wir wollen sogar zugunsten des oben genannten Zwecks vorerst die Fiktion benutzen, daß uns alle gegenwärtig lebenden, sowie sämtliche ausgestorbenen Arten und Varietäten bekannt seien. Es braucht nicht bewiesen zu werden, daß auch unter diesen Voraussetzungen die Aufgabe bestehen bleiben würde, eine Klassifikation der Organismen zu finden. Wer ein solches Bedürfnis, wie einst BUFFON, von sich abweisen wollte, würde in der Praxis seines Denkens genötigt sein, sich selbst ebenso untreu zu werden wie jener, falls er nicht den naiven Muth besäße, an die Stelle des zu erstrebenden wissenschaftlichen Kosmos den Widersinn eines gedanklichen Chaos zu setzen. Zureichende Grundlagen für die Klassifikation sind jedoch in den eben vorausgesetzten Transormationsbedingungen nicht enthalten. Eine solche würde vielmehr schlechtweg willkürlich bleiben, wenn die Organismen sich innerhalb der für einen Augenblick als konstant gedachten Gattungen von Gestalt zu Gestalt ausnahmslos gleichmäßig veränderten. So steht es jedoch um die Tatsachen glücklicher Weise nicht. Vielmehr bietet uns die Erfahrung innerhalb des Gebietes einer jeden Gattung Merkmalsgruppen von verschieden großer Konstanz. Von diesen gewinnen nicht alle artbildende Kraft für die Typen der Gattung. Gerade diejenigen Merkmale, wie seit LAMARCK bekannt ist, am wenigsten, die, wie die Anpassungscharaktere DARWINscher Auffassung, von besonderer physiologischer Tragweite sind. Am meisten vielmehr diejenigen, deren "etwaige geringe Strukturabweichungen von der natürlichen Zuchtwahl, die nur auf nützliche Charaktere wirkt, nicht erhalten und angehäuft worden sind." Kurz also, um wieder in der Sprache DARWINs zu reden, nicht die Anpassungsanalogien, sondern die verschiedenen Homologien, die einzelnen und die Reihenhomologien. Nehmen wir diesen verschiedenen Wert der Konstanz hinzu, so läßt sich der Umfang der vorerst noch als konstant gedachten Gattung in Gruppen zerlegen. Denn obgleich diese nirgends vielleicht scharf voneinander getrennt sind und infolge der Ungleichmäßigkeit der Korrelationen in verschiedenem Sinne ungleichmäßig werden können, heben sie sich doch im ganzen durch die relative Gemeinsamkeit des Aufbaus aus ihren homologen Charakteren deutlich voneinander ab. Sehen wir von der genetischen Bedeutung der Homologien vorläufig ab, so würden sich diese typischen Arten der fließenden Zusammenhänge ähnlich verhalten, wie unter bestimmten Voraussetzungen die bunten Muster eines Flächenstückes. Dann nämlich, wenn die Farben und Formen dieser Must sich von diesen oder jenen, nicht notwendig gleich großen, gleich geformten und gleich orientierten Zentren größter Sättigung nach verschiedenen Richtungen nach Farbe und Form ungleich abstufen und so, im allgemeinen in verschiedenen Intervallen, ineinander übergehen. Legen wir den Homologien überdies genetische Bedeutung im Sinne der DARWINschen Hypothesen bei, so wird das Bild eines sich verästelnden Zweiges, allgemein also eines Stammbaums, das DARWIN bereits benutzt hat, das begrifflich entsprechendste. Ohne Bild, oder vielmehr, da wir eine bilderlose Sprache nicht besitzen, bei möglichster Beschränkung der Bilder für das begrifflich Wesentliche: der morphologische Typus CUVIERs bleibt, vorerst auf die Gattung im technischen Sinne beschränkt, erhalten; für die typischen Arten wird er durch die Voraussetzung des fließenden Zusammenhangs sowie durch die Annahme einer genealogischen Reihenform jener Arten umgebildet. Ein offenbarer Irrtum aber wäre es, mit NÄGELI zu urteilen, daß diese Gliederungen nunmehr den Anspruch auf Allgemeingültigkeit befriedigen könnten. Die Anordnung der genealogischen Typen, wie wir sie weiterhin nennen dürfen, wird vielmehr, infolge der Verwicklung der Korrelationen, dem individuellen Ermessen immer einigen Spielraum lassen. Sie bleibt notwendigerweise stets, eben weil sie Typen gliedert, nicht sowohl eine Schöpfung exakter Begrenzung, als vielmehr des wissenschaftlichen Taktes, d. h. hier eines durch die Kenntnis der Sache geleiteten Gefühls für Symmetrie. Der logisch fruchtbare Begriff des wissenschaftlichen Taktes bedarf in jedem Fall speziellerer Bestimmung, weil er in ähnlicher Weise typische Arten besitzt, wie die psychologischen Vorgänge, durch die sich die verschiedenen logischen Operationen in uns realisieren. Nunmehr dürfen wir weitergehen, indem wir die bisher festgehaltene Konstanz der organischen Gattungen fallen lassen. Es ist ohne weiteres klar, daß für die Entwicklungstheorie genealogischen Typen nicht nur die Arten einer Gattung, sondern ebenso auch, etwa nach dem Sprachgebraucht von AGASSIZ, die Gattungen der Familien, die Familien der Ordnungen, die Ordnungen der Klassen, sowie die Klassen der Zweige (branches, d. h. embranchements, CUVIER) oder der Typen des BLAINVILLEschen Sprachgebrauchs bestimmen. Und selbstverständlich beherrschen sie nicht weniger die Gliederungen der Arten in Unterarten, der Unterarten in Varietäten. Diese Begriffsbestimmung der genealogischen Typen hatte lediglich die Aufgabe, die in bestimmter Richtung verallgemeinerten Annahmen DARWINs und der Transformisten seiner Schule, sowie die diesen analogen Annahmen der Entwicklungstheoretiker vor DARWIN logisch zu präzisieren. Es ist erfreulich, anerkennen zu dürfen, daß ein nicht geringer Teil dieser Arbeit schon vor DARWIN selbst nebenbei geleistet ist. DARWIN hat erklärt: "Wenn alle Organismen, die auf dieser Erde gelebt haben, plötzlich wieder erscheinen könnten, so würde es zwar ganz unmöglich sein, die Gruppen durch Definitionen voneinander zu scheiden" - d. h. für uns hier: ihrem Umfang nach scharf zu begrenzen -; "demungeachtet würde eine natürliche Klassifikation oder", wie DARWIN zugunsten der logischen Überlieferung in unnötiger Einschränkung hinzufügt, "wenigstens ein natürlich Anordnung möglich sein ... Wir könnten Typen oder solche Formen hervorheben, welche die meisten Charaktere jeder Gruppe, groß oder klein, in sich vereinigten und so eine allgemeine Vorstellung vom Wert der Verschiedenheiten zwischen denselben geben". Die logische Analyse des Typusbegriffs in der Morphologie der Organismen ist jedoch noch nicht vollständig. Fürs erste haben wir den Typusbegriff auf die abstrakten, schematischen, morphologisch-genealogischen Charaktere in der aufsteigenden Ordnungsreihe der logischen Gattungen der Organismen beschränkt. Die Beständigkeit jener Charakteres ist jedoch, wie wir sahen, verschieden groß. Ebenso wechselnd fanden wir die Gleichmäßigkeit der Korrelationen, durch welche die Artunterschiede ihre Wirkung auf die übrigen Unterschiede der typischen Arten im logischen Sinne erstrecken. Der abstrakte Typus einer logischen Gattung ist daher nicht in allen ihren logischen Arten in gleicher Weise vorhanden. Es werden sich deshalb im allgemeinen unter den Gruppen einer typischen Gattung von jeder beliebigen Höhe solche finden, die den übrigen klassifikatorisch voranstehen, weil sie den abstrakteren Bauplan der Gattung am deutlichsten aufweisen. Diese typischen Arten werden dadurch zu Typen ihrer Gattungen in einem repräsentativen Sinn. Der Begriff des Typus gewinnt demnach einen Doppelsinn. Es tritt zum abstrakt genealogischen Typus die Bedeutung hinzu, die wir in den ersten, vom Entwicklungsgedanken unabhängigen Typen bereits vorfanden, nämlich die Bedeutung konkreter Repräsentation. Eben diejenige also, deren Grundzüge schon in den Ausführungen von WHEWELL logische Würdigung erfahren haben. Es ist klar, daß die Logik diesen Doppelsinn, der uns in den Schriften der Morphologen nicht selten begegnet, nicht, wie geschehen ist, zu schelten, sondern lediglich anzuerkennen hat. Auch der Widerspruch, den diese verbreitete Gedankenverknüpfung durch NÄGELI erfahren hat, wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn die besondere Bedeutung, die der Begriff des Typus erhalten kann, klassifikatorisch notwendig wäre. Ehe wir jedoch auf diese besonderen Bedingungen eingehen, haben wir zweitens die fiktive Voraussetzung fallen zu lassen, daß unsere Kenntnis der organischen Arten eine vollständige sei. Das Schicksal der ausgestorbenen Arten verschiedenster Abstufung und mannigfacher Höhe wirft in die klassifikatorischen Bestrebungen der geschichtlichen Naturwissenschaften Licht und Schatten. Einerseits erleichtert es durch die Lücken unseres Wissens, die es unvermeidlich macht, die Abgrenzung der Typen. Andererseits erschwert es unseres Einsicht in die genealogische Verkettung der Organismen. Es hilft somit dafür zu sorgen, daß dem wissenschaftlichen Takt, von dem wir oben sprachen, sein Einluß auch auf diesen Bestand unseres Wissens verbleibt. Sodann aber haben wir in den Umfang der organischen Typen ausdrücklich auch die elementarsten Organismen einzuschließen, aus denen sich alles organische Leben, wo immer es sich verwickelter gestaltet, aufbaut, d. i. die Zellen. Die glänzende Zusammenfassung, die der Morphologie und Physiologie der Zellen neuerdings zuteil geworden ist, zeigt in eindringender Weise, wie fließend die Unterschiede sind, welche die Struktur der pflanzlichen und tierischen Zellen, der selbständig sowie der als integrierende Bestandteile zusammengesetzter Organismen lebenden, voneinander trennen. Die Aufgabe, diese in äußerstem Maße flüssigen Typen nicht nur repräsentativ, sondern auch genealogisch zu sondern, steht in den ersten Anfängen ihrer Lösung; ein Umstand, der nicht wenig dazu beitragen muß, die überstürzten Hoffnungen, die an die neueren Entwicklungshypothesen geknüpft worden sind, zu jener bescheidenen Resignation zurückzustimmen, welche die Gemütslage der besonnenen Forschung ausmacht. Andererseits aber ist festzuhalten, daß auch die zahllosen Übergänge, die zwischen diesen niedersten und doch schon unübersehbar verwickelt sich aufbauenden und funktionierenden Lebenwesen vorhanden sind, nicht zu dem gelegentlich, auch von NÄGELI geäußerten Kleinmut berechtigen, daß eine Gliederung in - selbstverständlich typische - Arten hier gar nicht möglich sei. Unter speziellen Bedingungen endlich besitzt der Begriff des organischen Typus noch eines dritte, allerdings selbst fließend in die des repräsentativen und des genealogischen Typus übergehende Bedeutung. Ein sprechendes Zeugnis dafür liefern etwa die "Typen" der Blüten, aus denen in den botanisch-morphologischen Untersuchungen, "namentlich mit Zuhilfenahme von Abort, Vervielfachung (Verdoppelung, Spaltung) und Verschiebung das abweichende Verhalten verwandter Pflanzen abgeleitet" zu werden pflegt. Diese Typen sind, wie gegen NÄGELI erinnert werden darf, nicht lediglich repräsentative Abstrakta oder, wenn man so will, Baupläne. Sie sind ferner nur ihrem letztne Ziel nach genealogische Typen. Sie können auch benutzt werden, wo nicht der Zusammenhang der Verwandtschaft, sondern lediglich derjenige der Formen in Frage steht. Dann werden sie zu Typen für die formale Konstruktion, zu konstruktiven Typen, wie wir sie nennen wollen. Diese Typen können zugleich konkrete Bedeutung erhalten, aber es ist, wo das Interesse einfachster formaler Ableitung allein entscheidet, nicht notwendig, daß sie in aller Strenge hier oder da verwirklicht sind. Keine Variation des Typusbegriffs wird dagegen, wie es scheint, die jüngste der Entwicklungswissenschaften herbeiführen, der WILHELM ROUX vor allen eine Basis gegeben hat. Sie wird gleichfalls für jede absehbare Zeit typische Gliederungen der mechanischen Ursachen der organischen Vorgänge nicht entbehren können. Denn die Plasmavariationen, mit denen sie operiert, lassen nur typische Gliederungen zu. Ebenso die Korrelationen, die nur durch einen ungenauen Ausdruck als im allgemeinen "per continuitatem [kontinuierlich - wp] et contiguitatem [übergreifend - wp] vermittelte" bezeichnet werden. Die "kleinen Veränderungen", in denen sich ihre Entwicklung, abgesehen von den immerhin möglichen größeren "Sprüngen" vollzieht, sind nirgends im strengen Sinne stetige, sondern fließende im engeren Sinne. Die "Leistungen", die ROUX den Organismen zuschreibt, die Selbstassimilation, die Selbstbewegung, die Selbstausscheidung, die Selbstteilung, die Selbstregulation führen zu einer nicht reinlichen Reihe aus der oben besprochenen ersten Gruppe von Typen. Die "Selbstgestaltungen", die eben derselbe Forscher für diejenigen Organismen annimmt, die nicht auf der tiefsten Lebensstufe stehen, nennt er selbst "Typen" und zwar im morphologischen Sinn. Die mechanischen Energien endlich - denn das sind sie doch -, die ROUX behufs mechanischer Erklärung des biogenetischen Grundgesetzes mit Recht als kausale Prinzipen fordert, sind gleichfalls logisch als Typen zu deuten. Und zwar werden wir, wenn ich recht sehe, anzunehmen haben, daß diese Kombinationen von organisch gestaltenden Kräften sich, wenn sie einmal näher bekannt sein werden, in die Reihen der früher besprochenen repräsentativen Typen einfügen werden. Es wird keiner Ausführung bedürfen, daß der logische Gestalt der naturhistorischen Typen keine Änderung erfährt, wenn innerhalb des Rahmens der Selektionstheorie vorausgesetzt wird, daß die Organismen aus den niedersten Formen nicht mono-, sondern polyphyletisch entwickelt seien. Anders dagegen steht es um den logischen Einfluß dieser Hypothese, wenn wir sie in einem Zusammenhang betrachten, in dem sie die Entwicklungsfragen tiefer beeinflußt. Solchen Einfluß besitt sie in der polyphyletischen Vervollkommnungstheorie, die von NÄGELI in seinem großen Werk über die mechanisch-physioolgische Theorie der Abstammungslehre dargestellt hat. NÄGELI nimmt mit DARWIN an, daß die zusammengesetzten Organismen sich aus den einfachsten auf mechanischem Weg gebildet haben. Er ist sogar logisch unbedenklich, dieses Postulat der Entwicklungshypothesen als eine "Gewißheit" in Anspruch zu nehmen. Er schließt sich ferner der verbreiteten, aber sehr viel weniger sicheren Verallgemeinerung jenes Postulats an, der zufolge die einfachsten Organismen durch Urzeugung aus den anorganischen Körpern entstanden seien. Er hat endlich mit überraschender Zähigkeit die Meinung festgehalten, daß "Urzeugung, wie im Anfang, so auch späterhin jederzeit stattgefunden habe und auch jetzt noch stattfinde"; eine Meinung, der die auf diese Fragen gerichteten Untersuchungen keine Stütze gegeben haben, die auch mit jenem verallgemeinerten Postulat ohne Zweifel nicht so notwendig gesetzt ist, wie NÄGELI findet. Im Spezielleren scheiden sich die Wege NÄGELIs von denen DARWINs und seiner Anhänger, um nur das hier Unerläßliche zu berühren, in folgender Weise. Jedem Organismus wohnt ein (trotz allen Ausführungen seines Urhebers mechanisch dunkles) Vervollkommnungsprinzip inne. Diesem entsprechend erbt das Individuum oder der Stamm "als mechanische Notwendigkeit" die Eigenschaften der Eltern mi Einschluß der "Veränderung in der Richtung nach oben". Im Verlauf dieser Annahmen sind Organisation und Anpassung an die Außenwelt streng zu trennen; ebenso die "Rassen" als kurzlebende Kreuzungs- und Krankheitsprodukte einerseits von den langlebigen "Varietäten", die durch Vervollkommnung und Anpassungsänderungen des Idioplasmas hervorgerufen werden und andererseits von den "Modifikation", deren spezifische Merkmale, trotz ihrer möglichen Konstanz bei den gleichen äußeren Bedingungen, nicht erblich sind, weil sie nur aus dem Ernährungs-, nicht aus dem Idioplasma hervorgehen. Nicht minder endlich ist die räumliche Beständigkeit oder Permanenz von der zeitlichen Konstanz zu scheiden. Aus diesen Annahmen haben wir in der Tat zu schließen, daß "die mechanischen Momente für die Bildung des Formenreichtumgs in der Vervollkommnung und Anpassung liegen, in der Konkurrenz mit Verdrängung oder im eigentlichen Darwinismus nur das mechanische Moment für die Bildung der Lücken in den organischen Reichen". Fassen wir ferner den genetischen Zusammenhang ins Auge, der aus der Durchdringung der oben genannten allgemeinere Annahmen NÄGELIs mit diesen besonderen folgt, so ergibt sich, daß der polyphyletische Ursprung hier allerdings eine andere Bedeutung gewinnt, als er ursprünglich für HAECKEL besessen hatte. Denn von hier aus erscheint "das Pflanzenreich in seiner historischen Totalität nicht" als "ein einziger stark verzweigter phylogenetischer Stamm, noch auch als mehrere Stämme, die gleichzeitig von identischen Anfängen ausgegangen wären und somit gleichsam als Äste desselben Stamms angesehen werden könnten". Wir würden vielmehr sagen müssen:
Allerdings nicht deswegen, weil sich vom Standpunkt NÄGELIs aus einige schärfere Kriterien für die Trennung der logischen Gattungen, d. h. derjenigen "Sippen" seiner Bezeichnung ergeben, deren Umfang ein geringer ist, also für die oben genannten Rassen, Varietäten und Modifikationen. Gerade sie bleiben vielmehr morphologisch-genealogischer Natur. Ebensowenig wird der fließende Zusammenhang der Sippen aufgehoben. Auch NÄGELI erkennt in einem wunderlich in den alten Speziesbegriff zurückfallenden Ausdruck an, daß sich die Varietäten auch auf seinem Weg "erfahrungsgemäß nicht von den wirklichen Arten unterscheiden" lassen. Er gesteht sogar allgemein zu:
Mit Absicht ist in den vorstehenden Erörterungen über die typischen Arten in den geschichtlichen Naturwissenschaften die Frage nach der "Idealität" oder "Realität" dieser Arten unberührt geblieben. Denn sie führt aus dem Gebiet der Logik in das der Metaphysik, oder, um den, wenn auch ungerechtfertigter Weise, schreckerregend gewordenen Namen zu vermeiden, in das der Erkenntnistheorie über. In den Antworten auf diese Frage finden sich ungefähr alle Nuancen der metaphysischen Hypothesen vom extremsten Realismus bis zum äußersten Nominalismus vertreten. Einerseits ist, z. B. von BURMEISTER, behauptet worden, daß die Arten im technischen Sinne "wirklich als reale Wesen vorhanden" seien, daß sie "gesehen, gegriffen, gesammelt und in Sammlungen aufgestellt werden können. Man hat sogar, weniger äußerlich grob und in richtiger, schon bei LINNÉ angelegter Konsequenz aus der überlieferten, unbesehen festgehaltenden aristotelischen Begriffsmetaphysik, die gleiche Realität allen naturhistorischen Gattungen zugeschrieben. So noch A. BRAUN in seinen feinsinnigen Betrachtungen über die Erscheinung der Verjüngung in der Natur. Ihm zufolge ist die "Anerkennung des Naturorganismus und seiner Gliederungen als objektiver, von der Natur selbst ausgesprochener Tatsachen für die höhere, einheitliche Gestaltung der Naturgeschichte ein wesentliches Bedürfnis." Er behauptet sogar: "die Anerkennung des Individuums als real existierenden, bei Leugnung der natürlichen Wirklichkeit der umfassenderen Gliederungen des Naturorganismus, ist eine Inkonsequenz". Die Realität lasse sich nirgends, auch nicht im kleinsten Kreis, unmittelbar in der abgerissenen Erscheinung erfassen, sondern überall nur mittelbar, in der Anerkennung des die Erscheinung in ihrem Zusammenhang wirkenden Wesens. Wie das Individuum sich durch eine zeitliche Sukzession von Bildungen und räumliche Teilung in untergeordnete Glieder realisiere, so realisiere sich die Spezies in einer durch die Individuen dargestellten Gliederung höherer Ordnung, vermöge der sie ebenso wie das Individuum, in zeitlicher Folge und räumlicher Ausbreitung, ihren Formkreis durchlaufe. Ebenso realisiere sich die Gattung durch den Kreis der Arten, die Familie durch die Gattungen usw." Verbreiter sind die nominalistischen Auffassungen, denen wir bereits oben, in den Ausführungen von AGASSIZ begegnet sind. Es wird deshalb genügen, hier nur darauf zu verweisen, daß HAECKEL schon in seinem großen morphologischen Werk alle natürlichen Gattungen mit Ausnahme der höchsten, der auch von ihm nach dem durch BLAINVILLE verbreiteten Sprachgebrauch so genannten Typen, für "willkürliche und subjektive Abstraktionen" erklärte und daß er später, aufgrund seiner Wendung zur monophyletischen Hypothese, auf einen Standpunkt gelangt ist, der auch diese Ausnahme aufhebt. Zur Entscheidung über diese Frage soll eine kurze psychologische Erörterung den Weg bahnen. Zu den Gattungen der Organismen führen uns noch vor jeder wissenschaftlichen Erkenntnis zwei Wege. Einmal die Abstraktion der gemeinsamen Merkmale der Organismen, die in den Kreis unserer zufälligen persönlichen Erfahrung gelangen. Der Mechanismus unseres Vorstellens läßt diese, sofern sie in verschiedenen ähnlichen Gegenständen auftreten, durch die wiederholte Reproduktion in der Wahrnehmung unwillkürlich und unvermeidlich eine immer fester werdende Assoziation eingehen. Je fester sie wird, desto mehr lockert sich der assoziative Zusammenhang, in dem ihre Merkmale mit den nicht-gemeinsamen der einzelnen, verschiedenen Wahrnehmungsgegegenständ stehen. Aber er löst sich nie. Wir stellen uns das abstrakt Allgemeine stets im Hintergrund des Besonderen vor, aus dem es erwachsen ist. Dieses Vorstellen teilen wir mit den Tieren, insoweit der Mechanismus ihres Gedächtnisses und ihrer Reproduktion dem unseren gleicht. Ein zweiter, verschlungenerer Weg zu eben diesen Gattungen, die sich mit dem ersten vielfach kreuzt, ist uns vorzugsweise eigen. Er führt durch die Sprache. Zahlreiche Namen von Organismen, die das praktische und theoretische Denken geschaffen hat, sind zu sprachlichem Gemeingut geworden, das wir früh verwerten lernen. Sie assoziieren sich mit den auf dem ersten Weg gebildeten Gattungsvorstellungen, soweit sie uns mündlich oder schriftlich entgegengebracht werden und helfen sie verdichten. Sie machen es weiterhin möglich, daß unsere Vorstellungsreihen der Gattungen sich erweitern. Durch die Hilfe von Beschreibungen schaffen wir uns, mit und ohne Unterstützung von Symbolen aller Art, von mehr oder weniger schematischen Abbildungen usw., neue Gattungen. Wir schaffen sie uns, indem wir durch die Einbildung aus den Symbolen und den Worten der Beschreibung und wo die ersteren fehlen, allein aus den letzteren, die Gattungen nie direkt wahrgenommener Exemplare herstellen. So wenig ausgearbeitet und fest diese sprachlich vermittelten Gattungen infolge des schwankenden Grundes der Einbildung auch sein mögen, so helfen sie uns doch wiederum, unsere Wahrnehmungen von Organismen und die aus ihnen gewonnenen Gattungsvorstellungen zu klären und zu bereichern. Denn sie liefern uns Merkmale, die wir vielfach unbeachtet gelassen hatten. Trifft die Beschreibung Gegenstände früherer Wahrnehmungen oder erfolgt sie gar, während wir wahrnehmen, so leistet sie analoge Dienste mit verstärkter Kraft. Auch die auf dem Wahrnehmungsweg gebildeten Gattungen setzen sich früh, oft schon bei ihrem Entstehen, in Urteile um, durch die wir ihren ganzen, von uns gewonnenen Inhalt oder einzelne ihrer Merkmale, sowie mannigfache Beziehungen zwischen ihnen in der Weise des Denkens darstellen. Diese Urteile komplizieren sich endlich tausendfach mit denen der Beschreibungen. Setzen wir voraus, was allerdings gegenwärtig auch in den abgelegensten Kulturen der sogenannten kulturlosen Völker kaum noch möglich wird, daß jene sprachliche Abstraktion von aller wissenschaftlichen Erkenntnis unberührt ist, so wird deutlich, daß diese sich bei jedem Einzelnen wie bei jedem Volke auf der Grundlage jenes praktischen Vorstellens und Denkens aufbaut. Die wesentlichen logischen Unterschiede reduzieren sich auf zwei. Die theoretische Auffassung der naturhistorischen Gattungen gewinnt fürs erste die gemeinsamen Merkmale durch wissenschaftliche Beobachtung, d. i. hier durch eine begriffliche, urteilsmäßige, objektiv gültige Bestimmung des sinnlich Wahrgenommenen, deren Technik weit über die Hilfsmittel des praktischen Denkens hinausgeht. Von ihr wird deshalb manches abgestoßen, was dort wesentlich war und nicht weniges hinzugenommen, was dort verborgen blieb. Die wissenschaftliche Auffassung bestimmt sodann Inhalt und Umfang der Gattungen ausnahmslos in objektiv gültigen Urteilen. Sie denkt ihren Inhalt durch Definitionen oder, häufiger, selbst da, wo Definitionen möglich wären, durch definitorische Urteile, die charakteristische Merkmale aus dem Ganzen herausheben. Sie legt sich ebenso den Umfang der Gattungen durch eine Klassifikation zurecht, deren einzelne Glieder, d. h. die klassifikatorischen Urteile, den einzelnen Gattungen ihren logischen Ort, d. h. ihre Stellung in der Reihe der Organismen, ebenfalls mit dem Anspruch auf objektive Geltung bestimmen. Die naturhistorischen Typen sind demnach Urteile und zwar, wenn wir die Definitionen, die Inhaltsbestimmungen vollständiger und ausschließlicher Gleichheit, als Grenzfälle der definitorischen Bestimmungen ausschließlicher Gleichheit, in die letzteren hineinnehmen, definitorische Urteile. Die logischen Subjekte der morphologischen Typen sind einerseits die Inbegriffe der Charakteres, die den Inhalt der Gattung ausmachen, andererseits die Inbegriffe der Arten und weiterhin der Exemplare, die jenem Inhalt entsprechen. In den logischen Subjekten der genealogisch gedeuteten Typen treten zu jenen Charakteren die hypothetischen Verwandtschaftsbeziehungen hinzu. Das logische Subjekt des repräsentativen Typus endlich ist die Art einer Gattung, welche die Gattungscharaktere am deutlichsten enthält. Die logischen Prädikate der definitorischen Urteile, in denen wir den Inhalt der Gattungen vollziehen, sind einzelne oder alle Merkmale, die den Inhalt konstituieren; die der klassifikatorischen Urteile sind, für sich betrachtet, d. h. losgelöst von der prädikativen Beziehung, in der ihr Inhalt gedacht wird, die logischen Gattungen, unter die wir subsumieren. Daß wir diese Urteile gemeinhin wiederum vorstellungsmäßig, gegenständlich, in der Form von Begriffen im eigentlichen Sinn des Wortes zusammenfassen, ändert weder etwas an ihrem logischen noch an ihrem psychologischen Urteilsbestand. Das logische Fundament jener Prädikate besteht in jedem Fall aus den morphologischen Charakteren. Diese sind schon in den sogenannten künstlichen Qualifikationen mannigfaltigere, als sich aus dem üblichen Hinweis auf das LINNÉsche Sexualsystem der Pflanzen erhellt. In den zoologischen Klassifikationen sind es z. B. nach K. MÖBIUS zusammenfassenden Bemerkungen in einer seiner Abhandlungen über die Gruppenbegriffe unseres Tiersystems "hornige, chitinöse oder kalkige Hautbildungen", die Arten, die Anzahl und die Stellung der Zähne, die Arten, die Verteilung und die Lage der Knochen; sodann aber auch: "die Form der Muskeln, der Ursprung und Verlauf der Nerven, der Bau der Sinnesorgane, der Verdauungs-, Atem- und Begattungsorgane, die Form und Größe der Blutkörperchen, der Eier und Spermatozoen ..., die embryponalen und postembryonalen Entwicklungsformen". Und dazu unter Nebenumständen, die hier keine Berücksichtigung forderten, nicht morphologische, sondern biologische Charaktere, wie "Trächtigkeitsdauer, Nahrund und Lebensweise". Die naturhistorischen Typen können demnach, da ihre Begriffe nach ihrem logischen Gehalt wir nach ihrem psychologischen Bestand Urteile sind, in eben dieser ihrer wissenschaftlichen Realität nicht zugleich transzendente, von unserem Denken unabhängige Realität haben. Wir müßten dann nämlich zu der metaphysischen Hypothese unsere Zuflucht nehmen wollen, daß die mechanischen Vorgänge und ihre materiellen Produkte, beide als absolut real vorausgesetzt, auf einem Weg gebildet werden und in einer Weise in den organischen Individuen bestehen, die sie in dieser ihrer Wirklichkeit zu gleichsam objektiven Gedanken, d. h. mechanisch-materiellen Urteilen machte. Und selbst unter Voraussetzung dieses Widersinns könnte nur behauptet werden, daß die Typen in ihrer wissenschaftlichen Realität, soweit sie in vollendeter Allgemeingültigkeit bestimmt sind, Gedankenbilder dieser von uns unabhängig wirklichen mechanisch-materiellen Gedanken wären. Unser Denken würde ja die Typen nicht schaffen, sondern nachbilden. Von dieser in Wahrheit gedankenlosen Konstruktion einer gleichsam materiell erstarrten, in den Außendingen sich selbst realisierenden Gedankenwelt dürfen wir absehen. Behalten wir dagegen die metaphysische Voraussetzung einer von uns unabhängigen Wirklichkeit der mechanisch-materiellen Außenwelt bei, so würden die Typen zu urteilsmäßigen, gedanklichen Nachschöpfungen von Inbegriffen werden, deren Merkmale neben anderen, besonderen Merkmalen der organischen Individuen in diesen bestehen. Auch dieser Gedanke läßt sich indessen selbst von den metaphysischen Voraussetzungen aus, mit denen unsere Naturforschung hauszuhalten pflegt, nicht zu Ende denken. Denn der mechanisch-entwicklungsgeschichtliche Atomismus meint ja mit Fug, wie schon der Atomismus DEMOKRITs und der metaphysische Mechanismus der Philosophie des siebzehnten Jahrhunderts, die absolute, von uns unabhängige Wirklichkeit der sinnlichen Qualitäten unserer Empfindungen bestreiten zu dürfen - obgleich er sie, wie hier nur anzudeuten ist, nicht loszuwerden vermag. Es würde demnach, wenn wir uns auf diesen Standpunkt stellen, die objektive Realität der Typen auch durch ihren qualitativen Gehalt ausgeschlossen sein. Denn die Empfindungen, aus denen dieser Gehalt durch unser Vorstellen und Denken aufgebaut wird, können demnach nicht als Merkmale der Außendinge selbst angenommen werden. Die unvermeidliche Grundlage der Sinneswahrnehmung hebt bei der Annahme einer solchen Außenwelt die absolute Realität der morphologischen Charaktere auf. Ihrem sinnlich-qualitativen Gehalt entsprechen in den Dingen mechanisch-materielle Korrelate. Allerdings ist in dem allen stillschweigend auch die Annahme festgehalten worden, daß unsere geistigen Vorgänge nicht lediglich mechanische sind. Aber es ist klar, daß das unbedenklich ist, so lange auch nur zugestanden wird, daß unser Wahrnehmen und Denken, wie unser Fühlen eine Art Schein sei, den wir als vorstellende und fühlende Wesen über die mechanisch-materielle Welt verbreiten. Denn eben dieser Schein würde dann doch die unaufhebbare Grundlage auch unseres wissenschaftlichen Denkens bleiben. Und auf den Materialismus einzugehen, der selbst die Realität dieses Scheins leugnen würde, der vor dem Ungedanken nicht zurückschreckte, daß unser Vorstellen und Fühlen durch Analyse seines Bestandes als Bewegung materieller Teilchen aufgedeckt werde, hieße Zeit vergeuden. Noch von einer anderen Seite aus bietet der metaphysische Haushalt unserer Naturwissenschaft Argumente für die Idealität der organischen Typen. Die Naturwissenschaft hat, in der Mechanik und Physik seit Anfang des siebzehnten, seitden vierziger Jahren unseres Jahrhunderts in allen Gebieten, an die Stelle der formalen Begriffsenergien der aristotelischen Metaphysik mechanische Energien gesetzt. Diese sucht sie in der Entwicklungsmechanik, wie wir sahen, als die gestaltenden Kräfte zu bestimmen. Ihnen allein, nicht den typischen Gattungen, schreibt sie absolute Realität zu. Die letzteren sind lediglich urteilsmäßige Zusammenfassungen von Charakteren, die durch jene mechanischen Energien in uns gewirkt werden und dadurch einen Wahrnehmungsinhalt gewinnen, der als solcher subjektiv ist. Ihr geistiger Bestand trennt die Gattungscharaktere deshalb so wenig, wie ihre mechanisch-materiellen Korrelate in den Organismen selbst, von den Merkmalen, die für die Zwecke der Klassifikation unwesentliche werden. Was sie für diese Zwecke geeignet macht, ist nicht eine besondere Art ihrer Wirklichkeit, sondern die Art ihrer logischen Funktionen als gemeinsame Merkmale. Eine letzte Entscheidung haben wir allerdings auf diesem Wege nicht erreicht, zu erreichen sogar nicht unternehmen können. Denn wir sind von metaphysischen Annahmen abhängig geblieben, die trotz der weiten Verbreitung, deren sie sich in den Kreisen der Naturforscher erfreuen, die metaphysische Kritik herausfordern. Es wird jedoch nicht notwendig sein, hier in diese Kritik einzutreten. Denn so wesentlich auch jene Annahmen umzugestalten wären: das Ergebnis ihrer Prüfung würde die Behauptung nur zu bestätigen haben, daß den naturhistorischen Typen irgendeine selbständige Realität in den Dingen nicht zukomme. Es ist nur noch Folgendes zu beachten. Beschränken wir die naturwissenschaftliche Erkenntnis durch ihren Gegenstand, die Welt der mechanisch-materiellen Erscheinungen, die wir auf der Grundlage unserer Sinneswahrnehmungen aufbauen, so ist das Postulat, daß sie alle Lebensvorgänge in den Organismen aus mechanisch wirkenden Ursachen, aus mechanischen Energien zu erklären hat, eine strenge Konsequenz aus dem Begriff dieser Erkenntnis. Selbstverständlich allerdings ein gültiges nur insoweit, als jene Aufgabebestimmung induktiv verifiziert wird. Es folgt aus ihr dann weiter, daß die psychischen Lebensvorgänge nirgends direkt in ihren Bereich gelangen können. Diese bauen sich vielmehr in ihrem geistigen Bestand schlechterdings nicht auf den Daten der Sinneswahrnehmung, sondern, zuletzt sogar ausschließlich auf denen der Selbstwahrnehmung, der Selbstbeobachtung auf. Der Naturforscher vermag daher auf seinem Weg lediglich zu den mechanischen Korrelaten der geistigen Vorgänge zu gelangen. Diese hat er, allerdings aufgrund einer Forderung, die weniger gesichert ist, als jene allgemeinen Postulate, für alle geistigen Vorgänge anzunehmen. Daß er durch die Untersuchung dieser Korrelate schon gegenwärtig der trügerischen Selbstbeobachtung reiliche Hilfe und den psychologischen Konsequenzen aus ihr vielfach indirekte Korrektur und wertvolle Bestätigung angedeihen lassen kann, ändert an der Notwendigkeit jener Trennung nichts. Das Geistige erscheint ihm unvermeidlich in der Weise seines mechanisch-materiellen Korrelats als Gegenstand möglicher, wenn auch schwerlich jemals realisierter Sinneswahrnehmung. Ist dies zutreffend, so folgt weiter, daß für den Naturforscher teleologisch wirkende Ursachen sowohl in den Organismen als auch für ihren Ursprung niemals in Frage kommen. Stellt er sich diese Fragen, so hat er sich bewußt zu werden, daß er nicht Naturwissenschaft, sondern Geisteswissenschaft und - wenn er die allgemeinen materialen Voraussetzungen unserer Erkenntnis mitbestimmt, Metaphysik treibt. Für die geisteswissenschaftliche Erkenntnis, mit Einschluß der psychologischen und der psychophysiologischen nach ihrer einen Wurzel, ist die Anerkennung und Untersuchung teleologisch wirkender Ursachen unvermeidlich, soweit sie einem Vorstellen und Fühlen und demgemäß einem Wollen begegnet, das von Zwecken aus wirkt. Die Metaphysik hat eben dieselben in ihre Kritik der Grundbegriffe unseres Welterkennens einzustellen, wo immer diese zur Hypothese eines zweckmäßig verknüpften Weltganzen führt. Die teleologischen Gedanken, die AGASSIZ mit seiner Lehre von der "Idealität" der naturhistorischen Gattungen offen verknüpft, haben daher genausowenig wie diejenigen, die in der BRAUNschen Begründung ihrer Realität versteckt enthalten sind, die Bedeutung naturwissenschaftlicher Hypothesen. Es sind in beiden Fällen sogar Annahmen, die einer unbesehenen metaphysischen Überlieferung entlehnt sind. Wir durften uns demnach oben auf diejenigen metaphysischen Voraussetzungen beschränken, welche die mechanische Energetik der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ungeprüft, aber auch ohne Verpflichtung sie zu prüfen, aus der praktischen Weltanschauung aufgenommen hat. Nicht ihre Idealität also, sondern ihr Charakter als typische Gattungen macht die naturhistorischen Arten jeder Höhe zu Gebilden verschwimmender Begrenzung. Nirgends aber beruth diese Begrenzung auf "Willkür". Die Entscheidungen des wissenschaftlichen Taktes, dem sie, wie wir sahen, entspringen, sind schon deshalb keine willkürlichen, weil unser Willen, wenn sie anders wissenschaftlich aus der Sache heraus fundiert sind, an ihnen so wenig beteiligt ist, wie an unseren wissenschaftlichen Urteilen überhaupt. Wäre andererseits unser Wille, wie in alten und neuen Urtreilstheorien irrigerweise behauptet worden ist, ein integrierender Bestandteil unserer Urteile, so wäre er es in denen, durch die wir die typischen Gattungen begrenzen, nicht in stärkerem Grade, als in allen anderen. Würde die Stärke des Willens in unseren Urteilen, wie dann wohl unvermeidlich wäre, an der Sicherheit der Behauptung gemessen, so würde er in den Urteilen über typische Gattungen sogar in geringerem Grad tätig sein. Wir kommen somit gegenüber HAECKEL zu einer Bestimmung des naturgeschichtlichen Typus, wie sie in diesem Punkt, der Frage nach seiner Realität, schon von AGASSIZ vertreten worden ist. |