| KARL HASLBRUNNER Die Aufmerksamkeit als psychlogisches Problem
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"Auf Suggestion ruht aller geistige Wechselverkehr unter Menschen: Rede, Schrift, Kunstwerk, Symbolik aller Art stehen in ihrem Dienst. Die Suggestion ist eines der wichtigsten Hilfsmittel allen Unterrichts, aller Erziehung, aller zweckmäßigen Leitung des Menschen. Namentlich da, wo das natürliche Interesse an bestimmten Tätigkeiten oder Gedankenverbindungen schwach ist, wird eine planmäßige und energische Suggestion, d. h. immer wiederholte Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Vorstellungen und Vorstellungsgruppen unersetzlich. Sie ist aber ebenso das gefährliche Werkzeug des Verführer, des Agitators, des Verleumders und Ohrenbläsers."
"Die Vielseitigkeit des Interesses ist das untrügliche Kennzeichen der eigentlichen Bildung, das Gegenstück gegen natürliche Roheit, welche nur am Nächsten, Handgreiflichen, Sinnlichen Anteil nimmt, die beste Schutzwehr gegen das Auftreten stürmischer Affekt und gefährlicher Leidenschaften, die wahre Gemütsverfassung für die sittliche Überlegung." |
Der Monismus bezeichnet die sinnliche Aufmerksamkeit (von seiner Seite richtiger gesagt: das sinnliche Aufmerken - K. H.) auch als präsentative (auf Empfindungen gerichtete), die intellektuelle (auf Vorstellungen gerichtete) als repräsentative Aufmerksamkeit. Wie oben erwähnt, werden beide in aktive und passive unterteilt. Aber noch eine dritte Art als Zwischenstufe scheint ihm anzunehmen zweckmäßig; offenbar deshalb, weil die Heterosuggestion sich als "Akt der Spontaneität" nicht erklären läßt.
"Als eine Zwischenstufe zwischen dem, was hier als passives und aktives Moment der repräsentativen Aufmerksamkeit unterschieden wird, kann man den Fall ansehen, wo in die Leitung des Reproduziervorgangs und die Fixierung der Aufmerksamkeit nicht der eigene Wille des Subjekts, sondern ein fremder Wille eingreift, um mit jenem bestimmte Zwecke oder bestimmte Bewußtseinsphänomene hervorzurufen. Dies mag in größter Allgemeinheit als Suggestion bezeichnet werden. Das willkürliche Einführen bestimmter Vorstellungen in ein anderes Bewußtsein - durch Rede, Zeichen, Symbol oder Gebärde - Vorstellungen, welche geeignet sind, Aufmerksamkeit zu erwecken, das Bewußtsein zu beschäftigen und den Gang der Reproduktion zu bestimmen, also mit einem Wort, sich in einen Willen des betreffenden Subjekts zu verwandeln. Hier geschieht durch eine Einwirkung von außen, was bei der willkürlichen Reproduktion durch repräsentative Aufmerksamkeit aus dem Willen des Subjekts heraus erfolgt. Und man könnte demgemäß die Autosuggestion von der Heterosuggestion unterscheiden, wenn die erstere überhaupt den Namen Suggestion verdient. Auf Suggestion ruht aller geistige Wechselverkehr unter Menschen: Rede, Schrift, Kunstwerk, Symbolik aller Art stehen in ihrem Dienst. Die Suggestion ist eines der wichtigsten Hilfsmittel allen Unterrichts, aller Erziehung, aller zweckmäßigen Leitung des Menschen. Namentlich da, wo das natürliche Interesse an bestimmten Tätigkeiten oder Gedankenverbindungen schwach ist, wird eine planmäßige und energische Suggestion, d. h. immer wiederholte Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Vorstellungen und Vorstellungsgruppen unersetzlich. Sie ist aber ebenso das gefährliche Werkzeug des Verführer, des Agitators, des Verleumders und Ohrenbläsers. Oft ersetzt hier die Menge assoziabler Elemente, welche die suggerierte Vorstellung findet, die Planmäßigkeit oder das methodische Geschick der Einwirkung. Oft ersetzt die Stärke des suggerierenden Willens die Schwäche des empfangenden, ja es ist dies sogar eine der Bedingungen, um das Phänomen in voller Reinheit hervortreten zu lassen. Dies ist keine rätselhafte Telepathie. Die Macht des Menschen über den anderen ist stets in gemachten Erfahrungen über die Willenskräftigkeit und das Können desselben oder in sehr starken Ausdrucksmitteln, die jenen zu Gebote stehen, begründet." (12)
Die gänzliche Willenlosigkeit und die strenge Konzentration der Aufmerksamkeit auf selbstgewählte Vorstellungen müssen als die beiden Pole bezeichnet werden. Der letzte Satz gehört noch zum Zitat. In demselben habe ich einen Schaltsatz nach dem Wort Willenlosigkeit ausgelassen, in welchem es heißt:
Mir scheint nämlich - der geschätzte Herr Autor möge das entschuldigen - das im Nebensatz Enthaltene nicht als ein genauer Gesagtes; sondern der Passus: "gänzliche Auslieferung" machte mir den Eindruck, als sollte durch ihn lediglich die im Angesicht der Tatsachen unhaltbare Lehre von der Spontaneität á tout prix [um jeden Preis - wp] gerettet werden. Genauer, d. h. richtiger scheint mir der Ausdruck "ausgeliefert", "passives Hingegebensein" oder wie der Autor ohne berichtigenden Nebensatz treffend sagt: "Die gänzliche Willenlosigkeit". Allerdings bedeutet dies für den Monismus einen Widerspruch. Solche Widersprüche gibt es aber zahlreiche in der physiologischen Psychologie, sobald sie das Geschäft des Tatsachensammelns unterbricht und sich auf die eigentliche Aufgabe der Psychologie besinnt, auf das Erklären der Tatsachen.
"In der Psychologie sucht man das Mannigfaltige der inneren Erfahrung auseinanderzusetzen, zu ordnen, auf bestimmte Begriffe zu bringen und zu erklären." (13) -
Wenn man sich gegenüber einem Monisten auf HERBART beruft, so hat man wohl zu gegenwärtigen, daß man die Behauptung entgegengeschleudert erhält, die Psychologie HERBARTs sei veraltet. Wer dieser Meinung ist, der möge SCHWERTFEGERs Abhandlung über "Ziehen über Herbarts Psychologie" (14) lesen, welcher unter anderem sagt:
"Wer eine wirkliche, das Seelenleben begreiflich machende Psychologie haben und mit seinem Denken zu den letzten Gründen des geistigen Seins und Geschehens dringen will, der wird zwar die Ergebnisse der physiologisch-experimentellen Erforschung als Hilfen dankbar hinnehmen, aber Metaphysik und Spekulation nicht entbehren können und wollen. Den wird dann HERBARTs Anleitung zur Spekulation sicherer und erfolgreicher führen, als alle Experimente, Messungen und Wägungen der neuen Psychologie dies können."
Und LINDNER erklärt (15): "Es gibt keine andere, die nur entfernt an sie heranreichen würde." Wenn die Suggestion im allgemeinen und die Heterosuggestion im besonderen so große Wichtigkeit hat, wie Prof. JODL schildert, dann ist es wunderlich, warum ihr beim Einreihen unter das Problem der Aufmerksamkeit eine zweifelhafte Mittelstellung zwischen aktiver und passiver Aufmerksamkeit angewiesen, ja nicht einmal ein unterscheidendes Attribut zugedacht worden ist und warum diesem wichtigen Problem von 767 Buchseiten nur eine gewidmet worden ist, da doch weniger wichtigen Dingen, wie der aktiven und passiven Aufmerksamkeit, die neben der, sagen wir, medialen Aufmerksamkeit von höchst untergeordneter Bedeutung sind, so viele Buchseiten gewidmet sind. Die Annahme einer "medialen" Aufmerksamkeit macht die aktive und passive ziemlich überflüssig, drückt zumindet ihren Wert bedeutend herab, weil alle Jugend- und Volkserziehung, Rechtspflege, Politik, insofern sie mit dem Problem der Aufmerksamkeit zusammenhängen, dann als Suggestion erscheinen, die ein von fremdem Willen geleitetes, selbst willenloses Subjekt voraussetzt, wogegen alle Akte der Spontaneität illusorisch werden. Was hier als mediale Aufmerksamkeit bezeichnet wird, ist nichts anderes als eine durch physische oder psychische Einflußnahme fremden Willens veranlaßte unwillkürliche, primitive, ursprüngliche Aufmerksamkeit.
Über die intellektuelle Aufmerksamkeit äußert sich VOLKMANN:
"Die dem Sinken nahe Vorstellung (Vorstellungsmasse) begegnet der freisteigenden Apperzeptionsmasse, wird von dieser ergriffen und festgehalten und vor das Ich wie ein zu besichtigendes Objekt hingestellt. Man kann in dieser Beziehung als Grundsatz aufstellen: Alles, was in uns die apperzipierende Masse erregt und zur Entfaltung bringt, findet seine, eben durch diese Massen bestimmte Aufmerksamkeit. Da man die Beziehung einer Vorstellung zu den herrschenden Vorstellungsmassen des Ich auch als das Interesse zu bezeichnen pflegt, welches das Objekt dieser Vorstellung entgegenbringt (mich interessiert alles, wozu ich sage: ich bin dabei), so kann man diesem Satz auch die tautologische Formulierung geben: wir sind auf alles aufmerksam, was uns interessiert. Aus einer Reihe von Vorstellungen, die gleichzeitig an uns vorübergehen, tritt sogleiche jene entschieden hervor, die in uns eine Apperzeption anklingen läßt. Das Kind merkt auf, wenn es in einer unverständlichen Rede ein bekanntes Wort vernimmt, die Unruhe der Schüler verstummt, sobald der Lehrer eine Anekdote zu erzählen beginnt usw. Inhalt und Umfang dessen, worauf jemand unwillkürlich aufmerkt und der Grad seines Aufmerkens geben den besten Aufschluß über die Ausbildung seines Vorstellungsleben, was dessen Eigentümlichkeit, Reichtum und Kausalität betrifft. Manche apperzipierende Masse, die sich unbemerkt gesammelt und festgesetzt hat, verrät sich erst durch die Aufmerksamkeit, die sich in einer bestimmten Richtung oft ganz unvermutet einstellt. Die Biographien vieler großer Männer enthalten Beispiele eines solchen unerwarteten Erwachens aus einer früheren Stumpfheit oder unbestimmten Unruhe. Weniger auffällig geht diese Neubildung und Verrückung der Aufmerksamkeit unaufhörlich im Leben jedes Einzelnen vor sich. Jede Altersstufe erzeugt mit neuen Interessen neue Regionen der Aufmerksamkeit und zerstört oder verschiebe die übernommenen. Wo das Interesse fehlt, da fehlt auch die intellektuelle Aufmerksamkeit, wo jenes schlummert, schlummert auch diese, das absolut Neue fesselt nicht; was die Apperzeption lähmt, beeinträchtigt auch die intellektuelle Aufmerksamkeit. Bekant ist die Schwierigkeit, den Anfängen des Unterrichts die rechte Aufmerksamkeit zu gewinnen, die sich bei der Fortsetzung desselben schon von selbst einstellt. Selbst das unwillkürliche Aufmerken muß sich anfangs an oft sehr entfernte Vorstellungsmassen wenden, muß an den Ehrgeiz, Eigennutz usw. appellieren, um von ihnen die Fixierung jener Elemente zu erlangen, die später zusammengeschlossen, zu weiteren Fixierungen nicht mehr des Wollens bedürfen. Der Unterricht nimmt in dieser Beziehung bereits vorhandene Interessen für sich in Ansprucht, gründet und hinterläßt aber sein eigenes Interesse."
Um keinerlei Mißverständnis aufkommen zu lassen, sei bemerkt, daß der Psychologe VOLKMANN allerdings richtig die Notwendigkeit der Inanspruchnahme des Ehrgeizes, des Eigennutzes als eine Tatsache anführt, der nicht ganz ausgewichen werden kann. Sie ereignet sich aber nur dort, wo im vorschulpflichtigen Alter ungeschickte Hände das Geschäft der Erziehung besorgt haben. Kinder aus den sogenannten "Gertrud"-Familien, und solche gibt es trotz unseres krass egoistischen Zeitalters glücklicherweise noch immer, bedürfen nicht erst der Erregung von Ehrgeiz und Eigennutz; wohl aber unsere blasierten Modekinder. Damit wäre nun eine Frage angerührt, die uns dem letzten Absatz dieses Kapitals zuführt. Das Interesse bildet eine der Bedingungen der Aufmerksamkeit. Die Erläuterung derselben vermittel einen passenden Abschluß für den psychologischen und die vorbereitende Überleitung zum pädagogischen Teil der gestellten Aufgabe. Nach Besprechung der übrigen, soll dem Interesse als Bedingung der Aufmerksamkeit eine etwas ausführlichere Behandlung zuteil werden.
Bedingungen der Aufmerksamkeit gibt es äußere und innere. Äußere: Menge, Stärke und Dauer der vom fixierten Objekt ausgehenden Reize. Unterstützend wirkt dabei Neuheit, Seltenheit der Gegenstände oder begleitende Umstände, z. B. eine besondere Behandlung alltäglicher Vorkommnisse (Schönsprechtechnische Behandlung eines sachlich bekannten Gegenstandes auf der Besinnungsstufe). Die letzteren schließen alles dasjenige ein, was die subjektive Empfänglichkeit schafft, erhält oder vermehrt, möge es von außen oder von innen kommen. Inwiefern motorische Vorgänge die Aufmerksamkeit fördern, läßt sich nicht genau feststellen. Man meint, daß ihnen bei der Bereitstellung der Sinnesorgane (aktiv) oder aber im Interesse der Konzentration durch eine ihnen zuteil werdende Hemmung (passiv) eine Rolle zufällt. Offenbar ist ihr Einfluß auf die Aufmerksamkeit nur ein indirekter, da, wie schon oben erwähnt, sowohl die genannte Hemmung wie die Bereithaltung nur den Akt des Aufmerkens treffen. Zu den begleitenden Umständen, welche den äußeren Bedingungen der Aufmerksamkeit Unterstützung gewähren, gehört auch die besondere (natürliche oder erworbene) Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane, sowie das volle Inanspruchgenommensein eines Sinnesorgans durch gewisse Reize. Innere Bedingungen: Verhältnis des Gegenstandes zum Gefühl (Gefühlswert, Lust und Unlust). Die Unlust kommt dort zur Geltung, wo Schmerzen, Peinlichkeiten, Beleidigungen als Zwangsvorstellungen wirksam sind. Lustgefühle hingegen kommen dort in Betracht, wo Interesse erweckt werden soll, hauptsächlich in der pädagogischen Praxis. REIN sagt in seiner "Enzyklopädie der Pädagogik": Entscheiden für das Zustandekommen der Aufmerksamkeit erweist sich der Zustand des gesamten Bewußtseins, und zwar nach drei Richtungen:
1. Eindrücke, welche auf ähnliche, gleichartige überhaupt vorhandene Vorstellungen treffen, fesseln vor anderen die Aufmerksamkeit, weil die Menge ausgelöster Assoziationen unterstützend wirkt.
2. Eindrücke, welche dazu dienen, alte Errungenschaften wieder lebendig zu machen und früher erworbene Dispositionen in Funktion zu setzen. Diese beiden Tatsachen bilden die Grundlage für das so reichliche Material einer didaktischen Technik und die Apperzeptionstheorie der Herbartschen Schule stützt sich wesentlich auf dieselben.
3. Die Erfahrung lehrt ferner, daß ein Mangel an Beschäftigung, Langeweile, eine gewisse Bewußtseinsleere ein brauchbarer Boden der Aufmerksamkeit sein, sofern jeder Reiz willkommen ist und die Notwendigkeit, unter mehreren sich zu behaupten, wegfällt.
Da jede Aufmerksamkeit eine Kraftleistung ist, so gibt es für dieselbe eine Grenze, über welche nicht hinausgegangen werden kann. Darin liegt eine wichtige Warnung für die Unterrichtspraxis.
Der unwillkürlichen Aufmerksamkeit mischt sich im Stadium des Merkens ein Gefühl bei. Für die monistische Auffassung bildet das einen Anlaß zu Verlegenheiten, denn
"Gefühl und Wille als solche enthalten nur wenig Erkenntniselemente. In ihnen spiegelt sich ja nicht die objektive Welt in dem unermeßliche Reichtum ihrer Erscheinungen und Zusammenhänge, sondern nur das Wertverhältnis für das Wohl und Wehe des Subjekts." (16)
Dieses "nur", welches geeignet ist, die Spiegelung des Wertverhältnisses im Gefühl in ihrer Bedeutsamkeit herabzudrücken, streichen wir vom pädagogischen Standpunkt aus mit einem kräftigen Strich heraus, weil Spiegelung und Beurteilung von Wertverhältnissen zuerst für das Wohl und Wehe des Subjekts, in der Folge aber für das Wohl und Wehe der Gesellschaft bei uns große Wichtigkeit haben. Wenn unter anderem das Gefühl als solches, wenig Erkenntniselemente enthält, so mag das von einem empirischen Standpunkt ganz richtig sein, auf pädagogischem Gebiet ist die reine Empirie unzureichend.
"Die Analyse des menschlichen Inneren stößt zuvörderst auf zwei Klassen von unverkennbar verschiedenen Erscheinungen, auf die theoretischen und praktischen Funktionen der Seele, als deren Quellen und Grundkräfte wir den Geist und das Gemüt bezeichnen können. Dieser allgemeinste Gegensatz wiederholt sich in einer großen Anzahl von psychologischen und sonstigen Bestimmungen, Begriffspaaren, welche dasselbe Verhältnis, nur sozusagen mit verschiedenen Exponenten, ausdrücken; derart sind: Verstand und Gefühl, Kopf und Herz, Intelligenz und Sittlichkeit, Kenntnisse und Gesinnung, Weisheit und Tugend, betrachtendes und tätiges Leben, Erkennen und Handeln, Wissen und Wollen, das Wahre und das Gute, Lehre und Zucht, Bildung und Erziehung, Kultur und Zivilisation und dgl. Sucht man nach einer Bezeichnung, welche die Ergebnisse der beiden Grundkräfte zusammenfaßt, ausdrückt und aufweist, zu welchen Gebilden die von ihnen ausgehenden Wirkungen sich kristallisieren, so dürften sich die Begriffe Gedankenkreis und Interessenkreis als die geeignetsten darbieten. Die Bildung gehört zu den theoretischen Funktionen, sie bewegt sich im Geistigen, ihre Stätte ist der Gedankenkreis. Allein die letzten Zweck der Bildung sind sittliche und darum muß sie ihre Einwirkung auf das Gemüt und den Interessenkreis ausdehnen; sie faßt den Menschen von der intellektuellen Seite, aber sie soll sich von da aus des ganzen Menschen bemächtigen. Daher ist ihr an den Beziehungen zwischen beiden Grundkräften besonders gelegen." (17)
Die Schüler, je kleiner sie sind, desto energischer lehnen sie das empirische Wissensmaterial samt dem unterrichtenden Empiriker ab. Sie achten weder auf Nutzen noch Schaden, der ihnen aus dem Lerngeschäft erfließt, selbst Strafmittel bleiben auf die Dauer wirkungslos, wie die besten Zuckerbrote. Mit geradezu geheimnisvoller Macht wirkt auf sie aber das innere Interesse, welches der Lehrer bei der Behandlung des Unterrichtsstoffe dem letzteren entgegenbringt. Grund genug für die wissenschaftliche Pädagogik, sich mit der Erklärung des Problems gelegentlich zu befassen; Grund genug für die pädagogische Praxis, sich der Wirkungen des inneren Interesses auf Seiten der Schüler zu versichern.
"Man muß Interesse stiften, wo man auf Aufmerksamkeit rechnen will", sagt Volkmann. "Darum schickt man Beschreibungen, Lobpreisungen, historische Berichte, Vorreden und Reklamen dem voraus, was Aufmerksamkeit erregen und fesseln soll. Erwartungen machen aufmerksam, aber die Aufmerksamkeit der Erwartung ist einseitig und kann auch kritisch werden."
Wird die Erwartung dem Aufmerkenden als solche bewußt, so lenkt sie die Aufmerksamkeit vom Gegenstand ab und sucht Nebeninteressen auf: Lücken, Unvollständigkeiten, Unklarheiten und dgl. (Langweilige Lehrer wissen darüber ein Klagelied zu singen.) Selbst das sonst Interesseloseste fesselt in einer solchen Lage das Interesse. Länger andauernde Vorstellungen oder eine öftere Wiederholung stumpfen das Interesse ab und machen die Aufmerksamkeit schwinden.
"Was darauf rechnen kann, daß ihm unsere Wünsche, Pläne, Begehrungen usw. entgegeneilen, das darf der schnellsten und gespanntesten Aufmerksamkeit gewiß sein. Aus diesem Grund ruht die Aufmerksamkeit der mittleren und niederen Stände auf dem Benehmen der höheren, der Schüler auf dem des Lehrers, das sie nachzuahmen bestrebt sind. Die stärkste Aufmerksamkeit ist zu erwarten, wo alle Fixierungsmittel und Motive konzentrisch auf die Festhaltung derselben Vorstellungsmassen hinwirken." (Volkmann)
Nach der Stellung inmitten der psychologischen Probleme ist das Interesse Ergebnis der unwillkürlichen Aufmerksamkeit und Bedingung des willkürlichen Aufmerkens. Primitive Aufmerksamkeit, richtig gepflegt, erzeugt Interesse, welchem die apperzipierende Aufmerksamkeit als Frucht entsprießt. Das Interesse ist geistige Aktivität aufgrund der natürlichen Regsamkeit, welche Aktivität äußerlich solange müßig bleibt, bis sich das Interesse in Begierde oder Wille umgewandelt hat. Das Interesse ist auf den Gegenstand und auf Gegenwärtiges gerichtet, die Begierde auf das durch Vermittlung des Gegenstandes erreichbare, aus dem Gegenwärtigen erfolgende Zukünftige. Das Interesse findet im Gegenwärtigen, dem Vorhandensein, dem Betrachten desselben ansich schon seine Befriedigung. Die Begierde strebt nach einer über das bloße Vorhandensein des Gegenstandes hinausgehenden Befriedigung. Unter Umständen wird das Interesse mit intellektueller Aufmerksamkeit als gleichbedeutend genommen. Es ist aber nicht vollkommen gleichbedeutend. Die Aufmerksamkeit ist ein spezifisch geistiger Zustand, während dem Interesse wesentliche Gefühlselemente beigemengt sind. Wohl dieses Gemenge und das Haften am Gegenstand anzudeuten, hat LINDNER die vielleicht allzu figürlich gehaltene Definition aufgestellt:
"Das Interesse ist eine Vorstellungsmasse, welche den Knotenpunkt eines mit innerer Regsamkeit ausgestatteten Reihengewebes bildet." (18)
Das Interesse findet seine Befriediung in der Betätigung der natürlichen Regsamkeit. Diese strebt nach einem Gegenstand, auf den es sich richten kann, durch dessen Beschauen, Betrachten, Behorchen, Versuchen es das geistige Korrelat der äußeren Sinneswerkzeuge in Bewegung setzen kann. Gelingt dies bei dem einen oder anderen Gegenwärtigen nicht, so tritt für dieses die Interesselosigkeit ein, falls auch die Erwartung der Möglichkeit des Anheftens unvollziehbar ist. Das Interesse wendet sich anderem zu; ähnlich, wie das spielende Kind sich sogleich dem anderen Spielgenossen zuwendet, wenn der eine dem Spiel Hindernisse in den Weg setzt oder den Spielplatz verläßt. Oder das Interesse geht in Begierde über. Interesse ist eine Betätigung und in dieser Betätigung Befriedigung suchende innere Regsamkeit ohne auf Zukünftige gerichtete Forderung. Das Gegenwärtige muß nicht immer ein realer Gegenstand, es kann auch eine Veränderung, ein Geschehen sein, dem sich das Interesse zuwendet, dessen befriedigenden Ablauf es erwartet und abwartet. Es geht in Begierde über, sobald es über das erkennende und beobachtende Beschauen hinausgeht zur erwünschten oder faktisch teilnehmenden Inanspruchnahme dessen, was sich für das Subjekt oder eine Mehrheit von Subjekten daraus ergibt. In WILLMANNs Ausgabe der pädagogischen Schriften HERBARTs findet sich das zusammengestellt.
Die erste Kausalität, welche eine Vorstellung, die vor anderen hervorragt, über sie ausübt, ist, daß sie (unwillkürlich) dieselben zurückdrängt und verdunkelt. Indem sie nun ihre Kraft anwendet, um das zu bereiten, was wir oben Vertiefung nannten, können wir den Zustand des so beschäftigten Gemüts durch das Wort Merken bezeichnen. Der leichteste und gewöhnlichste Fortschritt derselben Kausalität, der es selten zu einer ruhenden Vertiefung kommen läßt, besteht darin, daß das Gemerkte eine andere, verwandte Vorstellung anregt. Ist der Geist bloß innerlich beschäftigt, und läßt sich dieses Aufregen vollziehen, so entsteht höchstens eine neues Merken. Aber oft kann die angeregte, neue Vorstellung nicht gleich hervortreten; und dies ist (um nicht von den dunklen Strebungen der Forschung und Ahnung zu reden) immer da der Fall, wo das Interesse vom Merken auf ein Äußeres, Wirkliches ausging, und wo sich hieran eine neue Vorstellung knüpft, als ob das Wirkliche so oder so fortschreitet, sich so oder so verwandelt.
Während nun das Wirkliche zaudert, diesen Fortschritt den Sinnen darzustellen, schwebt das Interesse in Erwartung. Das Erwartete ist natürlich nicht einerlei mit dem, was Erwartung erregte. Jenes, was erst noch vielleicht erscheinen könnte, ist künftig; dieses, an oder von dem das Neue sich ereignen oder sich herschreiben könnte, ist das Gegenwärtige, an welchem eigentlich beim Interesse die Aufmerksamkeit haftet. Verändert sich aber der Gemütszustand so, daß sich der Geist mehr in das Künftige als in das Gegenwärtige verliert, und reißt die Geduld, welche im Erwarten liegt, so würde aus Interesse Begehrung und diese würde sich durch das Fordern ihres Gegenstandes ankündigen. Das Fordern aber, wenn ihm die Organe dienstbar sind, tritt als Handlung auf. Es ist unrühmlich, sich in Begehrungen zu vertiefen, vollends in vielerlei Begehrungen; und, wollte man auch die Vielseitigkeit des Begehrens dadurch verbessern, daß man die Vertiefungen in Besinnung auflöst, so erhält man höchstens ein System des Begehrens, einen Plan des Egoismus, aber nichts, was mit Mäßigung und Sittlichkeit zu vereinen wäre. Das geduldige Interesse dagegen kann nie zu reich werden; und das reichste Interesse wird am ehesten geduldig bleiben. In ihm besitzt der Charakter eine Leichtigkeit, seine Entschließungen zu vollziehen, die ihn auf allen Wegen begleiten, ohne durch Ansprüche seine Pläne zu durchkreuzen. Wie wohl nun das Handeln ganz eigentlich das Vorrecht des Charakters ist, so gibt es doch auch eine Art von Tätigkeit, die den noch nicht charakterfesten Kindern vorzüglich wohl ansteht - das Versuchen. Dieses kommt nicht sowohl aus Begierde, als aus Erwartung hervor; sein Resultat ist ihm, wie es auch aussieht, gleich merkwürdig, immer hilft es der Phantasie vorwärts und bereichert das Interesse. Das Interesse der Erkenntnis wird auf Merken und Erwarten beschränkt, das der Teilnahme durch alle vier Stufen geführt und zugleich mit den Lebensaltern verglichen. Für den Unterricht ergeben sich die vier Imperative: er soll anschaulich, kontinuierlich, erhebend, in die Wirklichkeit eingreifend sein. Alles Vorwärtsschreiten des in Entwicklung begriffenen, intellektuellen und sittlichen Menschen zum Wollen und Handeln führt durch die Sphäere des Interesses hindurch, nimmt, genauer gesagt, in dessen Bereich seinen Anfang. Interesse muß wertktätiges Handeln herbeiführen. Interesse wecken heißt, an die Stelle gleichgültiger Ruhe eine lebendige Regsamkeit setzen, die zu einem vielfachen Wollen hinführt. Vollkommenheit und Vielseitigkeit können nur durch ein lebendiges Interesse an den Gegenständen mannigfachen Wissens und vielfältiger Tüchtigkeit erreicht werden. Vielseitigkeit des Interesses ist das untrügliche Kennzeichen der eigentlichen Bildung, das Gegenstück gegen natürliche Roheit, welche nur am Nächsten, Handgreiflichen, Sinnlichen Anteil nimmt, die beste Schutzwehr gegen das Auftreten stürmischer Affekt und gefährlicher Leidenschaften, die wahre Gemütsverfassung für die sittliche Überlegung. (19)
Das formale Interesse der Erkenntnis, sowie dasjenige der Teilnahme werden in je drei, zusammen also in sechs Klassen geteilt. Die erste Klasse umfaßt dasjenige Interesse, welches sich der Erfahrung, Anschauung, Mitteilung zukehrt. Es ist das empirische Interesse. Die zweite Klasse äußert sich als Forschungslust nach dem Zusammenhang der Dinge; es erhebt sich zu Begriffen und heißt spekulatives Interesse. Die dritte Klasse fügt Werturteile zu den Anschauungen, Begriffen, Erfahrungen; es drückt sich als ästhetisches Interesse aus. Die vierte Klasse zeigt sich als Teilnahme an den Menschen, ihren Gemütszuständen und Geschicken, als Mitleid, Mitfreude; es führt den Namen sympathetisches Interesse. Die fünfte Klasse widmet sich den gesellschaftlichen Gruppen, Ständen, Klassen, Genossenschaften, Parteien, gesellschaftlichen Einrichtungen und heißt soziales Interesse. In der sechsten Klasse endlich wendet sich das Interesse dem Verhältnis des Einzelnen zum Weltganzen, Urheber, Gott, in der Form der Religion zu und heißt religiöses Interesse.
Wir haben den Begriff bisher lediglich in seiner psychologischen Bedeutung genommen, ohne Rücksicht auf den anderweitigen begrifflichen Inhalt. Das Wort Interesse (inter esse = dazwischen sein) hatte im Lateinischen ursprünglich eine räumliche Bedeutung, gewann aber später den Sinn einer Wertschätzung (mea interest = mir liegt daran). Im Deutschen hat es zunächst juristische Bedeutung (Schaden oder Nutzen, der durch die Handlung eines anderen entsteht und entgeht). Im gemeinen Sprachgebrauch bedeutet es: Zins, Nutzen, Vorteil, Eigennutz, Anteil, den man an einer Sache nimmt, Wert, den man ihr beimißt. Im philosophischen Sinn bezeichnet KANT das Interesse als das, wodurch Vernunft praktisch, d. h. eine den Willen bestimmende Ursache wird und unterscheidet mittelbares und unmittelbares Interesse (20). Das letztere allein ist rein. Das mittelbare ist nur ein empirisches, kein Vernunftinteresse. HERBART hat den Begriff des Interesses vom psychologischen wie vom pädagogischen Standpunkt bearbeitet. Interesse steht gemeinsam mit dem Begehren, Wollen und Geschmacksurteil, der Gleichgültigkeit entgegen, disponiert aber nicht über seinen Gegenstand, sondern hängt an ihm. Wir sind zwar innerlich aktiv, indem wir uns interessieren, aber äußerlich so lange müßig, bis das Interesse in Begierde oder Wille übergeht. Es steht in der Mitte zwischen dem bloßen Schauen und dem Zugreifen. Nur dadurch erhebt sich das Interesse über die bloße Wahrnehmung, daß bei ihm das Wahrgenommene (Vorgestellte) den Geist vorzugsweise einnimmt und sich unter den übrigen Vorstellungen durch eine gewisse Kausalität geltend macht. ZILLER bringt den innigen Zusammenhang des Interesses mit dem Gefühl zur Geltung und räumt dem Gefühl einen motivierenden Einfluß auf den Willen ein. Die positivistische Psychologie identifiziert das Interesse mit dem Gefühl, welches ihr das eigentliche Organ der Wertbestimmung ist. Die beiden Begriffe decken sich jedoch nicht. - Wir haben bei der Anführung der sechs Interessenklassen nur das formale Interesse, keineswegs die sachlichen Interessenkreise im Auge gehabt, welche sich in so viele Gruppen teilen, wie es Berufsklassen, Stände, Charaktertypen gibt, von denen alle und jeder kleine Bruchteil seine speziellen sachlichen Interessen hat und verfolgt. Des letzteren Interesses Behandlung gehört jedoch nicht in den Bereich der Pädagogik, sondern in den der Volkswirtschaft.
Nach der voranstehenden Erörterung über die philosophische Seite der Aufmerksamkeit wird nun die pädagogische Seite derselben erwogen werden müssen. Das will sagen, es werden die Mittel anzugeben sein, durch deren Anwendung eine rationelle Pflege der Aufmerksamkeit bewerkstelligt werden kann, bzw. der Weg wird zu weisen sein, auf welchem der Unterrichtende wandern muß, um die wünschenswerte Aufmerksamkeit beim Unterricht zu erzielen und damit günstige Unterrichtserfolge zu sichern. Die Aufmerksamkeit ist die Bedingung der Entwicklung aller geistigen Fähigkeiten. Wir treffen sie bei allen Geistesoperationen tätig und wirksam an, jedes größten Ausmaßes ihrer Kraft versichernd. Sie ist vor allem ein pädagogischer Besitztitel, d. h. eine Vorbedingung (ein Werkzeug) der Erziehung.
Die Aufmerksamkeit ist Voraussetzung für Anfang und Vollendung geistigen Lebens und regiert ebenso in den Maßnahmen grober Arbeit, wie bei den feinen Funktionen wissenschaftlicher Forschung.
LITERATUR Karl Haslbrunner, Die Lehre von der Aufmerksamkeit, Wien 1901
Anmerkungen
12)
JODL, Psychologie, Seite 437
13)
FECHNER, Psychophysik II, Seite 490
14)
DITTES, Psychologie, Seite 88 und folgende
15)
FLÜGEL, Über voluntaristische und intellektualistische Psychologie, Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, Bd. 31, Seite 83f.
16)
JODL, Psychologie, Seite 60
17)
SCHWERTFEGER, Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, Bd. 33, Seite 192.
18)
LOTZE, Medizinische Psychologie, Seite 306
19)
JODL, Psychologie, Seite 444
20)
JODL, Psychologie, Seite 513.
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