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HANS CORNELIUS
Psychologische Prinzipienfragen
[2/2]

"Ich erlebe in einem bestimmten Augenblick einen gewissen Farbkomplex in meinem Gesichtsfeld und darin etwa ein mehr oder weniger ausgedehntes Stück Blau, das ich als die Farbe meines Heftumschlages erkenne. Erlebt ist hier weder dieser Umschlag noch die objektiv existierende Farbe des Umschlags, sondern nur das blaue Stück der Erscheinung in meinem Gesichtsfeld ist das Erlebnis, das auf jene anderen (objektiven) Tatbestände erst in weiteren, hinzutretenden (intentionalen) Erlebnissen gedeutet wird."

"Nach Brentano ist das Wahrnehmen - und so ist es von Husserl übernommen worden - ein Fürwahrnehmen, das als solches stets einen Unterschied voraussetzt zwischen dem, was uns erscheint, und dem wofür wir dieses Erscheinende nehmen oder als was wir es deuten; also so wie in der Wahrnehmung eines Dinges die gegebene Erscheinung des Dinges als das wirkliche Ding gedeutet wird und insofern für wahr d. h. als die Erscheinung eines wirklichen Dinges genommen wird."

"In der adäquaten Wahrnehmung - also z. B. dem Bemerken eines Empfindungsinhaltes als solchen - ist nicht irgendetwas gemeint und nachträglich oder gleichzeitig entsprechend dieser Meinung vorgefunden, sondern es wird nur eben etwas - nämlich der betreffende Empfindungsinhalt - vorgefunden, ohne daß dabei von der Erfüllung einer Bedeutung die Rede ist. Hier von einem Erfüllungserlebnis der adäquaten Wahrnehmung zu reden, ist also durchaus keine sachgemäße Redeweise. Von einem intentionalen Gegenstand ist ja bei jenem Bemerken nichts zu finden, sondern nur von einem realen. Erst wenn zum bloßen Bemerken noch ein identifizierendes Urteil hinzutritt, erhält jene Redeweise einen Sinn."


II. Das Material der
Phänomenologie

In meiner vorigen Abhandlung (1) habe ich die Wege bezeichnet, welche die Psychologie einschlagen muß, um zur Lösung der erkenntnistheoretischen Aufgabe zu gelangen. Im Folgenden so zunächst das Material näher untersucht werden, welches dieser psychologischen Prinzipienwissenschaft - der "Phänomenologie" nach HUSSERLs Benennung - zu Gebote steht.

Dieses Material besteht in den unmittelbar gegebenen Tatsachen, die jedem von uns als die Vorkommnisse seines psychischen Lebens bekannt sind. Daß die geforderte Prinzipienwissenschaft nur von diesen unmittelbar gegebenen Tatbeständen und nicht von irgendwelchen anderweitigen Voraussetzungen ausgehen darf, ist zwar schon mehrfach betont worden; gegenüber dem immer wieder hervortretenden Bestrebungen aber, Erkenntnistheorie mit Hilfe anderer Voraussetzungen - speziell unter der Voraussetzung des Ding- und Kausalbegriffs - zu begründen, muß auf diese Forderung nochmals ausdrücklich hingewiesen werden.

Wenn die Aufgabe der Erkenntnistheorie gelöst werden soll, d. h. wenn einerseits die Aufklärung über die Tatbestände von Wahrheit und Irrtum, andererseits - als Bedingung zur Erreichung dieses ersten Zieles - die Aufklärung über die Bedeutung aller wissenschaftlichen Grundbegriffe geleistet werden soll: so muß es Tatbestände geben, deren Erkenntnis von der geforderten Aufklärung selbst unabhängig gegeben ist. Von Tatbeständen dieser Art muß die Erkenntnistheorie ausgehen und auf sie muß sie zum Zweck jener Aufklärung überall zurückgehen. Wo immer die Frage nach der Wahrheit entschieden werden soll, muß sich diese Entscheidung auf die Erkenntnis von Tatbeständen der genannten Art gründen, wenn kein Zirkel entstehen soll. Alle komplizierteren Erkenntnisphänomene müssen, soweit sie eine endgültige Aufklärung erfahren sollen, auf eben jene Tatbestände zurückgeführt werden; d. h. wir müssen zusehen, ob und wie weit dasjenige, was jene komplizierten Phänomene bedeuten, mit Tatbeständen der genannten Art identifiziert werden kann oder sich aus ihnen zusammensetzt. Nur soweit eine solche Zurückführung gelingt, kann die erkenntnistheoretische Aufgabe endgültig gelöst werden.

Als Tatbestände der geforderten Art bieten sich uns nur eben jene unmittelbar gegebenen Tatbestände unseres Erlebens dar. Was uns so gegeben ist, wie die jetzt vorgefundene Farbenerscheinung in unserem Gesichtsfeld, wie der jetzt gehörte Ton, die jetzt erlebten Vorstellungen, das jetzt erlebte Gefühl - daran können wir einerseits nicht zweifeln, nichts in Frage stellen oder ändern, und das ist uns andererseits ohne Voraussetzung jener Begriffe gegeben, mit deren Aufklärung es die Erkenntnistheorie zu tun hat. In Tatbeständen dieser Art und nur in ihnen ist jenes Ideal der Erkenntnis gegeben, welches auf den viel mißbrauchten Namen der "Evidenz" Anspruch hat.

So einfach die gegebene Bestimmung dieses Materials der psychologischen Prinzipienwissenschaft erscheint, so wenig ist dieselbe vor Mißverständnissen gesichert. Es ist vor allem notwendig, diese Mißverständnisse abzuwehren.


A. Teilerlebnisse und das
Gesamterlebnis

Die eben gegeben Exemplifikation der unmittelbar gegebenen Tatsachen, oder, wie dafür kurz sagen will, unserer "Erlebnisse" oder "Bewußtseinsinhalte", bedarf zunächst in einer Hinsicht der Ergänzung. Die angeführten Beispiele könnten den Anschein erwecken, als ob das phänomenologische Material aus einer Mannigfaltigkeit einzelner, getrennter Erlebnisse bestünde. Von LOCKE bis auf den heutigen Tag ist - zum Teil in unmittelbarer Anlehnung an HUME - in der psychologisch-erkenntnistheoretischen Literatur fast allgemein diese Ansicht zum Ausdruck gebracht oder stillschweigend vorausgesetzt worden. Diese Ansicht aber setzt anstelle der Tatsachen Abstraktionen und zwar falsche Abstraktionen.

Tatsächlich sind uns nirgends getrennte, isolierte Erlebnisse gegeben, sondern jedes unserer Erlebnisse ist uns nur als Teil eines einheitlichen Zusammenhangs gegeben, den wir als unseren gesamten Bewußtseinsverlauf kennen. Die Tatsachen, die uns in jedem Augenblick von diesem Zusammenhang Kunde geben, sind uns ebenso unmittelbar gegeben, wie die Tatsachen, die uns als Eigenschaften jener Teile - der scheinbar isolierbaren Bewußtseinsinhalte - bekannt sind. Wie ich anderwärts gezeigt habe, ist unsere Kenntnis eben dieser Eigenschaften der einzelnen Inhalte überall durch jene ersteren Tatsachen mitbedingt. (2)

Zu den Tatsachen, welche jenen Zusammenhang in jedem Augenblick herstellen und von ihm Kunde geben, gehören außer der in der vorigen Abhandlung bereits erwähnten symbolischen Funktion des Gedächtnisses in erster Linie jene Eigenschaften der Mehrheiten von Bewußtseinsinhalten, die von EHRENFELS als "Gestaltqualitäten" bezeichnet worden sind. Ich habe die Bedeutung dieser Tatsachen für die Erkenntnis des Zusammenhangs der Bewußtseinsinhalte und für die - durch diesen Zusammenhang bedingte - Beurteilung dieser Inhalte an anderer Stelle (3) ausführlich dargelegt. Hierauf zurückzukommen wird sich im Folgenden mehrfach Anlaß ergeben; für den Augenblick genügt es mir, zur Vermeidung naheliegender Mißdeutungen auf den Punkt hingewiesen zu haben, in welchem sich meine Auffassung des unmittelbar Gegebenen als Ausgangspunkt und Grundlage aller erkenntnistheoretischen Untersuchung von herkömmlichen Auffassungen prinzipiell unterscheidet.

In jenem einheitlichen Zusammenhang der Erlebnisse ist zugleich der Tatbestand gegeben, den wir im vulgären Sprachgebrauch mit der "Einheit der Persönlichkeit" oder mit unserem "Ich" meinen - soweit mit diesen Worten überhaupt Tatsachen und nicht kausale Theorien zum Ausdruck gebracht werden ("phänomenologisches Ich" nach HUSSERL). Die Feststellung, daß die Zugehörigkeit der Inhalte zu diesem Ich und somit dieses Ich selbst unmittelbar erlebt wird, ist zwar richtig, aber durchaus keine erschöpfende oder erkenntnistheoretisch brauchbare Beschreibung. Eine solche Beschreibung muß vielmehr die Tatsachen aufzeigen, in welchen uns in jedem Augenblick die Kenntnis dieses Ich gegeben ist. Erst die Analyse dieser Tatsachen kann das Ich-Bewußtsein aufklären, d. h. anstelle der Unklarheit, die dem Begriff Ich im vulgären Sprachgebrauch anhaftet, wissenschaftliche Klarheit setzen (4).


B. Die unmittelbar gegebenen Teilinhalte
im Gegensatz zum mittelbar Gegebenen

Wenn wir von den einzelnen Teilerlebnissen sprechen, so sehen wir scheinbar ab von den im Vorigen bezeichneten Tatsachen, die den Zusammenhang des Bewußtseinsganzen überall vermitteln und eben dadurch jedes einzelne Teilerlebnis beeinflussen oder genauer gesagt, mit jedem solchen Teilerlebnis und von ihm untrennbar miterlebt werden. Daß dieses Absehen - eben wegen der genannten untrennbaren Verbindung - stets nur ein scheinbares ist, wird später noch deutlicher hervortreten.

Der Begriff des einzelnen Erlebnisses oder Bewußtseinsinhaltes - genauer gesprochen des Teilerlebnisses oder Teilinhaltes - scheint in diesem Zusammenhang im allgemeinen identisch mit dem, was auch HUSSERL im Anschluß an die übliche Redeweise der modernen Psychologie unter diesem Namen versteht. (5) Ehe ich den Punkt bezeichne, an welchem dennoch eine Differenz besteht, habe ich einige andere Unklarheiten abzuwehren.

1. Mit Rücksicht auf die in der vorigen Abhandlung beschriebenen Tatsachen sind zum Material der psychologischen Prinzipienwissenschaft nicht nur die jeweils gegenwärtigen Inhalte, sondern auch die früheren Erlebnisse zu rechnen, deren wir uns erinnern (6). Sind sie auch nicht unmittelbar, sondern eben durch die symbolische Funktion des Gedächtnisses mittelbar gegeben, so waren sie doch einst unmittelbar gegeben; sie sind uns als Tatbestände derselben Art bekannt, wie die gegenwärtigen Erlebnisse, und wir haben über ihr einstiges Dasein und ihre Beschaffenheit eine ebenso sichere Kenntnis, wie wir sie von den gegenwärtigen Erlebnissen besitzen. Obwohl also diese Inhalte gegenwärtig nur noch zum mittelbar Gegebenen gehören, haben sie doch für die erkenntnistheoretische Untersuchung dieselbe Bedeutung, wie das gegenwärtig unmittelbar Gegebene. Ich befasse sie im Folgenden mit unter den Begriff des unmittelbar Gegebenen, indem ich diesen nicht auf die jeweilige Gegenwart einschränkt. Aber auch nur eben das, was einst unmittelbares Erlebnis gewesen ist, und nichts, was anderweitig mittelbar gegeben ist (bzw. war), gehört zum Material unserer Untersuchung.

2. Vor allem also ist im Spezialfall der Empfindungserlebnisse zwar der Erlebnisinhalt, aber nicht der physische Gegenstand erlebt oder unmittelbar gegeben, auf welchen wir diese Empfindung zu deuten pflegen. Ich erlebe in einem bestimmten Augenblick einen gewissen Farbkomplex in meinem Gesichtsfeld und darin etwa ein mehr oder weniger ausgedehntes Stück Blau, das ich als die Farbe meines Heftumschlages erkenne. Erlebt ist hier weder dieser Umschlag noch die "objektiv existierende" Farbe des Umschlags, sondern nur das blaue Stück der Erscheinung in meinem Gesichtsfeld ist das Erlebnis, das auf jene anderen (objektiven) Tatbestände erst in weiteren, hinzutretenden (intentionalen) Erlebnissen gedeutet wird.

Wiederum übereinstimmend mit HUSSERL trete ich hiermit - wie früher - jener Auffassung entgegen, welche die Farbempfindung und die Farbe des Gegenstandes vermengt und so redet, als ob beides dasselbe, nur aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet wäre: "Psychologisch oder subjektiv betrachtet, heißt es Empfindung, physisch oder objektiv betrachtet Beschaffenheit des äußeren Dings." (7) Ich habe den Unterschied zuerst in meiner "Psychologie" (8), zum zweiten Mal(und wie ich hoffe klarer) in meiner "Einleitung in die Philosophie" (9) dargestellt. Die Meinung HUSSERLs, daß der Unterschied eventuell "in Grenzfällen auszugleichen" wäre (10), meine ich durch die dort gegebenen Ausführungen widerlegt zu haben: zwischen dem Einzelerlebnis und einem gesetzmäßigen Zusammenhang unbeschränkt vieler Erlebnisse gibt es keine fließenden Grenzen - so wenig wie zwischen dem Realen und dem Idealen.

3. Ebensowenig wie der jeweilige Gegenstand selbst ist der Begriff des Gegenstandes seinem Sinn nach etwas unmittelbar Gegebenes. Daß wir einen Gegenstand wahrzunehmen meinen - die intentionale Beziehung auf den Gegenstand - und daß wir eventuell von diesem Gegenstand bestimtmte Eigenschaften auszusagen wissen, gehört allerdings zum deskriptiven Bestand des Erlebnisses, welches wir als die "Wahrnehmung des Gegenstandes" bezeichnen. Aber keineswegs gehört zu diesem deskriptiven Bestand dasa, was wir in diesem Fall wissen oder zu wissen meinen. Auf diesen Punkt und das darin hervortretende Problem werde ich an einer späteren Stelle ausführlich zurückkommen. (11)

4. Zum unmittelbar Gegebenen gehören ferner auch nicht die - wirklichen oder vermeintlichen - psychischen Tatbestände, die aus den Erlebnissen erst erschlossen, bzw. den Erlebnissen erst nachträglich substituiert werden und von denen man alsdann so zu reden pflegt, als ob sie etwas tatsächlich Gegebenes wären.

Hierher gehört in erster Linie die falsche Objektivation von Bewußtseinsinhalten - der "psychologische Objektivismus", wie ihn KRUEGER (12) in seiner Polemik gegen LIPPS und STUMPF genannt hat. So eine falsche Objektivation liegt überall vor, wo ein Bewußtseinsinhalt als etwas Selbständiges, substantielle Beharrendes gedacht wird - oder wo zumindest so von ihm geredet wird, als ob er ein derartiges selbständiges und beharrendes Gebilde und doch zugleich ein subjektives Erlebnis wäre (13). Solche objektiven psychischen Gebilde und alle Eigenschaften, die ihnen beigelegt werden, sind nicht Erlebnisse und gehören daher nicht zum Material der phänomenologischen Untersuchung. Diese hat vielmehr zu zeigen, auf welche phänomenologischen Tatsachen sich die Bildung jener Begriffe gründet und in welchem Sinn demnach die Rede von ihnen gerechtfertigt ist. (14)

Aber zu jenen nur erschlossenen und nicht unmittelbar erlebten Tatbeständen gehört auch noch einiges Weitere, was von den meisten Psychologen skrupellos zu den Erlebnissen gerechnet wird: gewisse Bestimmungen nämlich, die wir erst aufgrund einer nachträglichen Überlegung unseren Erlebnissen zusprechen, ohne sie im Moment des Erlebens wirklich vorgefunden zu haben. Wenn HUSSERL Bd. II, Seite 326 konstatiert:
    "Mit diesen Erlebnissen ... sind auch die sie komponierenden Teile und abstrakten Momente erlebt ... natürlich kommt es nicht darauf an, ob die betreffenden Teil für sich irgendwie gegliedert ... sind ... oder nicht" -
so scheint mir auch er dieser Meinung zu verfallen. Denn wenn ich den Sinn dieses Satzes richtig deute, so ist damit u. a. behauptet, daß beim Verlauf irgendeines Erlebnisses oder Erlebniskomplexes von endlicher Zeitdauer alle die unbegrenzt vielen sukzessiven Teile als Erlebnisse zu gelten haben, in welche man jenen Verlauf nachträglich zerlegt denken kann. Eine solche Bestimmung des Erlebnisbegriffs aber ist phänomenologisch sicherlich unrichtig.

Ich bezeichne damit den Punkt, an welchem mein Begriff des unmittelbar Gegebenen von HUSSERLs Erlebnisbegriff fundamental abweicht. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, in welchem Zusammenhang dieser Differenzpunkt mit einer Reihe weiterer Meinungsverschiedenheiten zwischen HUSSERL und mir sich befindet.


C. Erleben und Wissen vom Erlebnis

Um Wiederholungen von früher Gesagtem zu vermeiden, nehme ich im Folgenden auf meine Abhandlung zur Theorie der Abstraktion (15) Bezug. Ich habe daselbst (16) unterschieden zwischen dem Gegebensein eines Inhaltes und der - in mehr oder weniger engen Grenzen vollzogenen - Beurteilung dieses Inhaltes ("identifizierende" Beurteilung nach HUSSERL). Wie ich dort gezeigt habe, ist das Gegebensein eines Teilinhaltes überall identisch mit der primären Unterscheidung ("Abhebung) desselben von anderen Inhalten, indem mit diesen Worten nichts anderes bezeichnet ist, als der Tatbestand, aufgrund dessen überhaupt von einem bestimmten Erlebnis im Gegensatz zu anderen Erlebnissen geredet werden kann: das Dasein eines Erlebnisses in der Mehrheit unserer Erlebnisse schließt diesen Gegensatz zu anderen Erlebnissen in sich, fällt also insofern mit jener Abhebung oder primären Unterscheidung zusammen (17). Die Teilinhalte, die in dieser Weise von anderen Inhalten unterschieden erlebt werden, sind uns unmittelbar gegeben; und nur von den Teilinhalten, die uns in dieser Weise gegeben sind, haben wir ein unmittelbares Wissen. Alles dagegen, was nicht in dieser Weise von anderem unterschieden erlebt wird - wie z. B. die vorhin erwähnten, im Zeitverlauf nachträglich gemachten Einteilungen -, ist nicht unmittelbar gegeben, sondern erst erschlossen, gehört also nicht zu dem Material, von welchem die phänomenologische Untersuchung Gebrauch machen darf.

Von solchen erschlossenen Teilen als unbemerkten zu reden, hat phänomenologisch keinen Sinn: Unbemerktes kann phänomenologisch nicht gegeben, kann vielmehr stets nur erschlossen sein. Jede Aussage über Unbemerktes ist daher erkenntnistheoretisch erst dann zulässig, wenn diese Schlußweise phänomenologisch aufgeklärt ist, d. h. wenn die phänomenologischen Tatsachen, bzw. die Zusammenhänge solcher Tatsachen aufgezeigt sind, die mit dem Begriff des unbemerkten Daseins bezeichnet sein sollen. Nur die tatsächlich unterschiedenen Teilinhalte sind phänomenologisch überhaupt vorhanden; als solche sind sie stets auch "bemerkt" - eben weil "Unbemerktes" nicht phänomenologisch gegeben sein kann. Das Wort "bemerken" hat gemäß den beschriebenen Tatsachen hier nur den Sinn eines anderen Ausdrucks für das unterschieden Erleben, was wiederum - gemäß der letzten Fußnote Nr. 17 - nur ein anderer Ausdruck für das Dasein der als unterschieden erlebten Teilinhalte ist. Weil wir nur von den so unterschiedenen Teilinhalten ein unmittelbares Wissen haben, darf nur dieses Unterschiedene, nicht aber ein daraus erschlossenes Ununterschiedenes zu diesem Material gerechnet werden, welches der psychologischen Prinzipienwissenschaft als Grundlage aller weiteren Aufklärung zur Verfügung steht.

Diese "Unterscheidung" ist, wie ich a. a. O. näher ausgeführt habe, noch nicht mit irgendeiner näheren Beurteilung des betreffenden Teilinhaltes - und vor allem nicht mit einer Beurteilung seines Unterschieds von anderen, also von einem Unterscheidungsurteil - identisch. Wenn sie aber auch noch kein identifizierendes Urteil darstellt, so ist doch in ihr diejenige Kenntnis, dasjenige Wissen vom betreffenden Teilinhalt gegeben, auf welches sich allein jede weitere Beurteilung gründen kann (18).

Dieses Wissen vom unmittelbar Gegebenen besteht aber nun etwa noch in einem vom gegebenen Inhalt selbst phänomenologisch zu unterscheidenden Akt, in welchem und durch welchen wir dieses Wissen erhielten. Wenn HUSSERL im allgemeinen das Wissen als ein "intentionales" Erlebnis ansieht und im besonderen konstatiert, daß das bloße Dasein eines Erlebnisses noch kein Bemerken oder Wahrnehmen desselben ist (LU II, Seite 164 und 544), so muß er entweder mit jenem Wissen und mit diesem Bemerken oder "Absehen" bereits ein identifizierendes Urteil meinen, oder aber es schwebt ihm eben jener oben zurückgewiesene, phänomenologisch unklare und illegitime Erlebnisbegriff vor, der auch Unbemerktes, d. h. Ununterschiedenes als Erlebnis bezeichnet.

Im ersteren Fall würde unsere Differenz nur eine terminologische sein, da ich auch schon das bloße Vorfinden oder Unterscheiden ohne identifizierendes Urteil ein "Wissen" meine nennen zu müssen. Ich muß aber nach dem ganzen Zusammenhang von HUSSERLs Darlegungen vermuten, daß HUSSERL jedes Wissen, also auch bereits jenes primitive Bemerken als intentionales Erlebnis betrachtet wissen will, daß ich also mit der zweiten Vermutung seine Meinung treffe, d. h. daß nach ihm jenes Bemerken oder Wahrnehmen einen besonderen "Akt" erfordert, der sich des Erlebnisses "bemächtigt".

Betrachten wir vorerst die Konsequenzen dieser Theorie etwas näher. Nach ihr würde für jedes Erlebnis, damit wir überhaupt ein Wissen von ihm hätten, damit es uns also gegeben wäre, ein zugehöriges intentionales Erlebnis gefordert werden müssen, in welchem wir jenes Wissen hätten. Dieses intentionale Erlebnis wäre dann seinerseits wiederum nicht unmittelbar gegeben, sondern es wäre im Augenblick seines Daseins überhaupt nicht gegeben, falls nicht gleichzeitig ein zweites intentionales Erlebnis aufträte, in welchem das erstere von uns wahrgenommen würde; von diesem zweiten intentionalen Erlebnis aber würde dann abermals ein gleiches gelten usw.

Man würde also z. B. von einer Empfindung a ein Wissen nur dadurch erhalten, daß ein intentionales Erlebnis A sich dieser Empfindung "bemächtigt"; eben dieses Erlebnis A müßte, damit wir etwas von ihm wissen, abermals Gegenstand eines weiteren intentionalen Erlebnisses B sein usw.

Diese Theorie braucht keineswegs zu einem unendlichen Regreß zu führen. Zwar würde sie erkenntnistheoretisch unzulässig sein, wenn sie die Erlebnisse A, B usw. nicht als gegeben in der psychischen Erfahrung aufzuzeigen vermöchte und dies könnte sicherlich dann nicht gelingen, wenn die genannten Erlebnise stets als gleichzeitig mit den von ihnen intendierten Erlebnissen - also A, B usw. sämtlich gleichzeitig mit a - vorausgesetzt sein müßten. In diesem Fall wäre, wie man sofort sieht, der unendliche Regreß nicht zu vermeiden. Aber die Theorie könnte nicht aus demselben Grund abgewiesen werden, wenn sie nur eben behaupten wollte, daß die Erlebnisse A, B usw. jeweils in zeitlicher Folge auftreten: daß wir also von a erst im folgenden Augenblick durch A, von diesem abermals erst im nächsten Augenblick durch B Kenntnis erhielten usw.

Beispiele, die eine solche Theorie für sich anführen könnten, stehen in jedem Augenblick zu Gebote. Jene nähere Beurteilung eines gegebenen Inhaltes bedarf einer endlichen Zeit, ist also erst durch die Erlebnisse der folgenden Momente zu gewinnen. Die Beurteilung kann also tatsächlich nur mit Bezug auf das in der Erinnerung repräsentierte, also intentional gegebene Erlebnis stattfinden.

Allein wenn die fragliche Theorie hiernach anscheinend für die Beurteilung unserer Erlebnisse - also für die Identifikatioin der Merkmale dieser Erlebnisse - Geltung beanspruchen darf, so ist sie darum doch noch nicht für das Wissen vom Dasein unserer Erlebnisse erwiesen. Daß sie hierfür nicht gelten kann, zeigt eine Tatsache deutlich: wenn wir von jedem Erlebnis erst im folgenden Augenblick in Form eines intentionalen Erlebnisses Kenntnis erhielten, so würden uns auch unsere Empfindungserlebnisse nur in Form einer Erinnerung gegeben werden können: wir würden also niemals die gegenwärtige Empfindung, sondern stets nur ihr Gedächtnisbild kennen lernen, d. h. wir würden den Unterschied zwischen Impression und Idee und allgemein den Unterschied zwischen Realem und Intentionalem niemals erleben können. Tatsächlich aber erleben wir diesen Unterschied fortwährend. Unsere Empfindungen zeigen uns in jedem Augenblick unzweideutig die Charakteristik, durch die sie sich von bloßen Erinnerungen unterscheiden. Dabei zeigt mir zumindest die Erinnerung nichts von einem intentionalen Erlebnis, welches auf die Empfindung und deren Charakterstik gerichtet gewesen wäre und mir so die Kenntnis derselben erst vermittelt hätte. Das nachträgliche Wissen freilich ist nur im intentionalen Erlebnis der Erinnerung gegeben; für das Gegebenseins im Augenblick aber, für das unmittelbare Wissen von der gegenwärtigen Empfindung ist ein solches intentionales Erlebnis nicht zu finden. (19)

Nach all dem muß behauptet werden: es gibt ein Wissen von unseren Erlebnissen nicht bloß in Form intentionaler Erlebnisse, sondern das reale Dasein der Erlebnisse - im einzigen phänomenologisch möglichen Sinn dieses Wortes - ist bereits ein Wissen von ihnen. Die entgegengesetzte Theorie HUSSERLs macht dasjenige, was erkenntnistheoretisch das Erste sein muß, nämlich das, wovon wir unmittelbar wissen, zum zweiten; das Erste sind für sie zwei bloße Annahmen, von deren Realität wir unmittelbar nichts wissen: einerseits die an und für sich unbemerkten Erlebnisse (20) und andererseits das intentionale Erlebnis des Wissen, das sich auf jene zunächst unbemerkten Erlebnisse richtet und sie so zu bemerkten Erlebnissen macht.

Die Behauptung HUSSERLs von der Intentionalität allen Bemerkens und Wissens scheint mir auf einem Mangel an Klarheit in der Bestimmung des Begriffs intentionaler Erlebnisse zu beruhen. Ich suche im Folgenden diesen Mangel und einige damit zusammenhängende Unklarheiten zu bezeichnen und zu heben.


D. Akt und intentionales Erlebnis

1. Der Begriff des Aktes

Ich habe den Begriff des Aktes aus meiner Darstellung der Psychologie ausgeschlossen, weil mir die Anwendung dieses Begriffes, wie sie BRENTANO eingeführt hatte, in sich widerspruchsvoll scheint. Jeder hat freilich von vornherein das Recht, die Erlebnisse zu benennen wie es ihm beliebt. Nur dürfen einerseits nicht in den Benennungen Unterschiede zum Ausdruck kommen, die sich im Gegebenen tatsächlich nicht finden; andererseits müssen die einmal eingeführten Bezeichnungen konsequent festgehalten werden, d. h. es darf ihnen durch neue Bezeichnungen nicht widersprochen werden. hat man einmal alle Erlebnisse als Bewußtseinsinhalte bezeichnet, so sind, wie ich früher hervorgehoben habe (21), notwendig auch alle Unterschiede der Erlebnisse als Unterschiede von Inhalten zu bezeichnen und es kann dann weder die Rede davon sein, daß ein- und derselbe Inhalt in verschiedener Weise erlebt wird, noch auch davon, daß neben den Inhalten auch Akte des Bewußtseins erlebt würden. Die Einteilung der Erlebnisse in Inhalte, die erlebt werden, und in Akte, in welchen diese Inhalte erlebt werden, ist widersinnig. Dieser freilich trivialen, aber gegenüber herkömmlichen Unklarheiten unentbehrlichen Argumentation stimmt auch HUSSERL ausdrücklich zu (22).

Läßt sich demnach jener Sprachgebrauch BRENTANOs nicht aufrecht erhalten, so kann doch der Name Akt sehr wohl Verwendung finden, wenn er nur eben in einer anderen, den Tatsachen nicht widersprechenden Weise definiert wird. Ich sehe hierfür drei Möglichkeiten, die alle dem ursprünglich von BRENTANO vorausgesetzten Unterschied zwischen Erleben und Erlebtem in gewisser Weise Rechnung tragen, ohne der eben bezeichneten Inkonsequenz anheimzufallen. Von diesen drei Möglichkeiten kommen jedoch phänomenologisch nur zwei in Betracht, weil die noch übrig bleibende dritte Möglichkeit der kausalen Psychologie angehört.

Diese letzte, phänomenologisch unbrauchbare Definition der Akte ist diejenige, welche nicht Erlebnisse, sondern irgendwelche hypothetischen, unbewußten, den Erlebnissen "zugrunde liegenden" Vorgänge als Akte bezeichnet. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß der Psychologe durch die Annahme solcher unbewußten Vorgänge als Grundlagen oder Ursachen der Bewußtseinserscheinungen Vorteile erwachsen werden; prinzipiell aber will ich hier nicht gegen solche Hypothesen kämpfen. Nur aus der Phänomenologie und aus jeder auf erkenntnistheoretische Zwecke gerichteten Untersuchung müssen sie gemäß den Betrachtungen meiner vorigen Abhandlung ausgeschlossen bleiben. Von dieser ersten Möglichkeit braucht daher hier nicht weiter die Rede zu sein.

Eine zweite Möglichkeit ist diejenige, von welcher HUSSERL Gebrauch macht, indem er eine besondere Klasse von Erlebnissen, also Bewußtseinsinhalten, als Akte bezeichnet: diejenigen nämliche, welche auch "intentionale" Erlebnisse genannt werden. Will man das, worauf diese Erlebnisse sich intentional beziehen, als die "Inhalte" jener Akte bezeichnen, so hat man damit allerdings eine Korrelation von Akt und Inhalt geschaffen, welche mit der von BRENTANO beabsichtigten in vielen Punkten übereinstimmt; nur hat man freilich den vorher angenommenen Sinn des Wortes Inhalt (Inhalt als identisch mit Erlebnis) aufgegeben, denn Inhalte in diesem früheren Sinn sind auch die Akte. Von den Akten im Sinne intentionaler Erlebnisse wird sogleich weiter zu reden sein.

Eine dritte Möglichkeit für die Anwendung des Wortes Akt und zwar in einem Sinn, welcher der ursprünglichen Meinung BRENTANOs vielleicht am nächsten kommt, ohne den phänomenologischen Tatsachen zu widersprechen, will ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen. Wenn ich einen Ton höre, eine Farbe sehe, so sind die Empfindungsinhalte Ton, Farbe, stets nur Teilinhalte meiner Bewußtseinseinheit. Daß sie sich als Teile dieser Einheit abheben, löst sie nicht aus dieser Einheit los: vielmehr sind sie eben durch ihre Zugehörigkeit zu dieser Einheit als meine Inhalte charakterisiert. Aber eben weil sie nur Teilinhalte sind, ist mein Gesamterlebnis in ihnen nicht vollendet, sondern zu diesem Gesamterlebnis gehört außer den übrigen gegenwärtigen Teilinhalten auch die Beziehung, in welcher jene ersteren Inhalte zu all meinen übrigen Erlebnissen stehen und vermöge deren sie eben zu meinem Ich gehören. Wenn man im Gegensatz zu jenen augenblicklich abgehobenen Teilinhalten (Ton, Farbe) diese Beziehung zu den übrigen Inhalten als den Akt bezeichnet, in welchem die ersteren erlebt werden, so würde, so viel ich sehe, gegen eines olche Bezeichnung nichts einzuwenden sein und sie würde der sprachlichen Unterscheidung von Ton und Hören, Farbe und Sehen phänomenologisch wohl so genau wie möglich entsprechen.


2. Der Begriff des
intentionalen Erlebnisses

Für die gegenwärtige Auseinandersetzung kommt nur der zweite Begriff des Aktes - Akt als identisch mit dem intentionalen Erlebnis - in Betracht. Es ist zunächst zu fragen, ob die von HUSSERL gegebene Bestimmung dieser Art von Erlebnissen genügt. Soviel ich sehe, kann diese Frage nicht bejaht werden. Die Stellen bei HUSSERL, an welchen sich die deutlichsten Angaben über den Begriff des intentionalen Erlebnisses finden, geben nur Exemplifikationen ohne eine bestimmte Umgrenzung. Im Anschluß an BRENTANO wird konstatiert (23), daß in der Wahrnehmung etwas wahrgenommen, in der Bildvorstellung etwas bildlich vorgestellt, in der Aussage etwas ausgesagt wird usw. Die hier überall hervortretende "Beziehung auf einen Gegenstand" (nach BRENTANO "die Beziehung des Bewußtseins auf einen Inhalt") wird als intentionale Beziehung und die Tatsache einer solchen Beziehung - die Intention oder der Aktcharakter - als das Wesentliche des intentionalen Erlebnisses festgehalten (24). Diese Phänomene, welche "intentional einen Gegenstand in sich enthalten", werden hier als eine besondere Klasse definiert. Später wird diese Eigenheit der Intention nochmals als "das sich in der Weise der Meinung oder in irgendeiner analogen Weise auf ein Gegenständliches Beziehen" bestimmt (25); zu diesen Bestimmungen kann als Ergänzung noch an die Stelle (26) zugezogen werden, nach welcher die intentionalen Erlebnisse diejenigen sind, die sich auf eine Gegenständlichkeit intentional beziehen, "in den bekannten und nur durch Beispiele zu verdeutlichenden Bewußtseinsweisen".

Nach dieser Berufung auf die Exemplifikationen müßte doch wohl geschlossen werden, daß wir in allen Fällen, die den obigen Beispielen BRENTANOs analog sind - in welchen wir uns also sprachlich in analoger Weise auszudrücken veranlaßt finden - auch von intentionalen Erlebnissen geredet werden müßte. Allein HUSSERL selbst folgt dieser Regel keineswegs in allen Fällen: Für die Empfindung - etwa eines Tones - wird kein Akt des Empfindens zugelassen (27), obwohl doch auch hier der Sprachgebrauch durchaus analog den obigen Beispielen ein Hören dem gehörten Ton (im Sinne des Inhaltes, nicht eines wahrgenommenen "Gegentstandes") entgegenstellt. Ebenso wird allgemein dem Erlebnis kein Akt des Erlebens entgegengestellt: "Zwischen dem erlebten Inhalt und dem Erlebnis selbst ist kein Unterschied."

So gewiß man diesen beiden Positionen HUSSERLs und der darin enthaltenen Ablehnung herkömmlicher Irrtümer zustimmen muß, weil sich phänomenologisch in den beiden genannten Fällen eben kein Akt vom erlebten Inhalt unterscheiden läßt, so gewiß ist eben hiermit die gegebene Begriffsbestimmung des intentionalen Erlebnisses als unzulänglich erwiesen.

Ist aber, wie diese Fälle zeigen, der Begriff des intentionalen Erlebnisses nicht scharf genug bestimmt, so kann auch in anderen Fällen nicht ohne weiteres entschieden werden, ob intentionale Erlebnisse vorliegen, wo sie nach dem Anschein des sprachlichen Ausdrucks zu vermuten wären. Insbesondere kann - und das ist der Punkt auf den er mir hier ankommt - für das Bemerken oder Wahrnehmen eines gegenwärtigen Bewußtseinsinhaltes kein Akt statuiert werden, ehe die wesentliche Charakteristik dieses Begriffes bestimmt ist, die für die Entscheidung über diese Frage in Betracht kommt.

Soviel ich sehe, kann die vermißte Abgrenzung der in Rede stehenden Klasse von Erlebnissen nur auf eine Tatsache gegründet werden: auf das bloß intentionale Gegebensein des Gegenstandes in den intentionalen Erlebnissen. Wenn irgendeine Klasse von Erlebnissen statuiert werden soll, so kann sich ihre Abgrenzung nur eben auf ein gemeinsames phänomenologisches Merkmal gründen, durch das sich die Erlebnisse dieser Klasse von allen anderen Erlebnissen unterscheiden. Eben jenes bloß intentionale Dasein des Gegenstandes in einer Reihe von Erlebnissen ist nun zuerst einmal ohne Zweifel ein höchst bedeutsames Merkmal, durch welches diese Erlebnisse sich vor allen anderen auszeichnen. Andererseits sind die Beispiele BRENTANOs, auf welche HUSSERL sich bezieht, durchweg Beispiele so eines bloß intentionalen Gegebenseins. Sowohl die Wahrnehmung in BRENTANOs Sinn des Wortes, als auch die bildliche Vorstellung, die Aussage, die Liebe, der Haß, das Begehren, beziehen sich auf Gegenstände, die nicht als reale Bewußtseinsinhalte gegeben, sondern nur intentional gegeben sind, - nur "symbolisch repräsentiert" sind, wie die Ausdrucksweise meiner Psychologie lauten würde. Auch nach manchen Auseinandersetzungen HUSSERLs (insbesondere denjenigen am Schluß von Kapitel 5, § 11) möchte man schließen, daß ihm das genannte Charakteristikum das Wesentliche der intentionalen Erlebnisse zu sein scheint.

Wenn aber eben dieses als das Charakteristische der intentionalen erlebnisse festgehalten werden soll - und ich meine, daß wir in der vorliegenden Frage aufgrund der phänomenologischen Tatsachen kein Recht haben, eine andere Art der Klassenabgrenzung als diese zu vollziehen - so dürfen keine "Grenzfälle" statuiert werden, in welchen das intentionale Erlebnis sich auf etwas bezieht, was tatsächlich nicht mehr intentional, sondern real gegeben ist. Nicht als ob ein Gegensstand von der Art, wie er in einem gegenwärtigen intentionalen Erlebnis gemeint ist, nicht auch gleichzeitig als realer Inhalt gegeben sein könnte; aber eben dieses letztere Gegebensein und alles, was sich auf diesen Inhalt und nicht auf jeden Gegenstand bezieht, ist dann aber kein intentionales Erlebnis mehr. Oder, in HUSSERLs Terminologie: mag neben dem Bemerken eines Inhaltes sich allerlei weiteres vorfinden, was einen Inhalt eben dieser Art bloß intentional enthält, so ist doch jenes Bemerken des realen Inhaltes selbst kein intentionales Erlebnis mehr, sondern das "Bemerken" ist nur ein anderer sprachlicher Ausdruck für die einfache Tatsache des realen Daseins dieses Inhaltes als eines von anderen verschiedenen.

In diesem Bemerken besteht das, was HUSSERL als das "Erfüllungserlebnis" des adäquaten Wahrnehmungsurteils bezeichnet. Diese "Erfüllung" dürfen wir hiernach nicht, wie es HUSSERL tut, als einen Akt auffassen, sondern sie ist nichts anderes als das Erleben des betreffenden Inhaltes; sie ist eben damit das primäre Datum, von welchem die phänomenologische Untersuchung überall auszugehen hat.

HUSSERL nähert sich dieser Auffassung gelegentlich ohne sie doch klar auszusprechen. Wenn (Seite 496/97) die Wahrnehmung eines Tintenfasses beschrieben wird als das "Haben" eines gewissen "Belaufes" von Empfindungen ... "durchgeistigt von einem gewissen, ihnen objektiven Sinn verleihenden Aktcharakter der Auffassung", so scheint er jenes "Haben" der Empfindungen selbst nicht als Akt zu bezeichnen, sondern den Aktcharakter erst der objektivierenden Auffassung zuzuerkennen. Dann wäre entsprechend meinen obigen Ausführungen bei der "adäquaten Wahrnehmung" des Empfindungserlebnisses selbst, bei welchem sich ja jene objektivierende Auffassung nicht findet, von einem Akt nicht die Rede. Aber die meisten der Äußerungen HUSSERLs entsprechen dieser Auffassung nicht, sondern fordern für das Bemerken jedes Erlebnisses und für das darauf gegründete Wissen von diesem Erlebnis einen Akt - entgegen den obigen Auseinandersetzungen.


3. Der Begriff der Wahrnehmung

Die Quelle der Unklarheiten, auf die ich im Vorigen hinzuweisen versucht habe, scheint mir in der Anwendung des Wortes "Wahrnehmung" zu liegen, welche HUSSERL von BRENTANO übernommen hat. Nach BRENTANO ist das Wahrnehmen ein "Fürwahrnehmen" und setzt als solches stets einen Unterschied voraus zwischen dem, was uns erscheint, und dem wofür wir dieses Erscheinende nehmen oder als was wir es deuten; so wie in der Wahrnehmung eines Dinges die gegebene Erscheinung des Dinges als das wirkliche Ding gedeutet wird und insofern "für wahr" d. h. als die Erscheinung eines wirklichen Dinges "genommen" wird. Wahrnehmung in diesem Sinne ist also stets ein intentionales Erlebnis oder involviert zumindest ein solches Erlebnis (28). Daß dieser Sprachgebrauch etymologisch falsch ist - "wahrnehmen" wird irrtümlicherweise mit h geschrieben: es hat mit dem Stamm "wahr" in "Wahrheit" nichts zu schaffen, sondern kommt von dem Stamm "war" in "Warnung", "Warte" - mag nur nebenbei bemerkt sein. Aber er ist auch unzweckmäßig und vor allem von der phänomenologischen Grundlegung der Erkenntnistheorie nach dem Prinzip der Voraussetzungslosigkeit grundsätzlich auszuschließen, weil er eine Voraussetzung involviert, die phänomenologisch nicht zu realisieren ist: was phänomenologisch realisiert werden kann, sind stets nur die Erscheinungen der Dinge und niemals die Dinge selbst, deren vermeintliche Erkenntnis jene Redeweise im Anschluß an vulgäre, erkenntnistheoretisch nicht geklärte Vorstellungen als gegeben hinnimmt, während sie tatsächlich der erkenntnistheoretischen Aufklärung dringend bedürftig ist.

Durch die Anwendung jenes Sprachgebrauchs auf die Fälle der "adäquaten Wahrnehmung" aber wird in die Erlebnisse etwas hineingedeutet, was phänomenologisch überhaupt nicht besteht. Die adäquate Wahrnehmung - also z. B. das Bemerken eines Empfindungsinhaltes als solchen - enthält nichts von jenem Gegensatz: hier ist nicht irgendetwas "gemeint" und nachträglich oder gleichzeitig entsprechend dieser Meinung vorgefunden, sondern es wird nur eben etwas - nämlich der betreffende Empfindungsinhalt - vorgefunden, ohne daß von Erfüllung einer Bedeutung dabei die Rede ist. Hier von einem "Erfüllungserlebnis" der adäquaten Wahrnehmung zu reden, ist also eine durchaus nicht sachgemäße Redeweise. Von einem intentionalen Gegenstand ist ja bei jenem Bemerken nichts zu finden, sondern nur von einem realen. Erst wenn zum bloßen Bemerken noch ein identifizierendes Urteil hinzutritt, erhält jene Redeweise einen Sinn. Aber nicht von einem solchen Urteil, sondern nur vom Bemerken des realen Inhaltes als solchem war im Vorigen die Rede. (29)

Daß auch sonst jener BRENTANO-HUSSERLsche Sprachgebrauch nicht eben sachgemäß ist, zeigen noch andere Beispiele. Wer gewohnt ist, nicht bloß auf die Gegenstände, sondern vor allem auf die Erscheinungen und deren Unterschiede zu achten - wie es auf dem Gebiet des Gesichtssinnes jeder tut, der nach der Natur zeichnet oder malt - wird sich durch die Redeweise HUSSERLs seltsam berührt finden, die bei der Wahrnehmung stets nur den Gegenstand und nie die Erscheinung "wahrgenommen" sein läßt. Wer insbesondere in der Erscheinung der gesehenene Gegenstände überall auf die Schattierungsunterschiede zu achten pflegt und sich bewußt ist, daß das "Sehenlernen" in einem künstlerischen Sinn gerade auf das Beachten der Eigenschaften der Erscheinung als solcher - im Gegensatz zum Gegenstand - abzielt, dem muß es direkt widersinnig erscheinen, wenn er statt von der Farbe der Erscheinung vielmehr von derjenigen des Gegenstandes als der "gesehenen" Farbe, oder gar von einem "objektiv als gleichmäßig gesehenen" Rot der roten Kugel (30) reden hört.


E. Der Begriff des Bewußtseins

Wenn nach den durchgeführten Betrachtungen das unmittelbar Gegebene mit dem "adäquat Wahrgenommenen" im Sinne HUSSERLs zusammenfällt, so ergibt sich daraus, daß nur der zweite von HUSSERL angeführten Begriffe des Bewußtseins (31), nicht aber der erste derselben phänomenologisch haltbar ist. Denn in diesem ersten, dem "Bewußtsein als dem gesamten phänomenologischen Bestand des geistigen Ich", setzt HUSSERL eben jenen Begriff des Erlebnisses voraus, der nicht phänomenologisch gegeben, sondern nur erschlossen ist. (32)

Deutlich zeigt sich dies in HUSSERLs eigenen Ausführungen an der Stelle, an welcher er den Übergang vom zweiten - als dem ursprünglicheren - zum ersten Bewußtseinsbegriffe beschreibt.

Als Erlebnis im Sinne des zweiten Bewußtseinsbegriffs ist zunächst nur das adäquat Wahrgenommene gegeben (33); hierzu tritt - genau entsprechend dem oben unter B 1 Gesagten - alles, was als früher erlebt in der Erinnerung gegeben ist. Diese beiden Arten von Bestandteilen sind diejenigen, die nach den obigen Auseinandersetzungen das phänomenologische Material bilden, wenn man die Mißdeutung vermeidet, welche sich oben unter A näher bezeichnet findet. HUSSERL aber fügt, um von hier aus den Übergang zu dem von ihm adoptierten "ersten" Bewußtseinsbegriff zu bewerkstelligen, den genannten Bestandteilen noch dasjenige hinzu, was wir auf empirische Gründe hin als koexistierend mit dem adäquat Wahrgenommenen jedes Augenblicks annehmen dürfen. (34)

Daß man auf diese Weise den von HUSSERL vorausgesetzten Begriff des Erlebnisses gewinnen kann, der auch "unbemerkte" Erlebnisse einschließt, ist freilich richtig; aber ebenso sicher ist, daß der so gewonnene Erlebnisbegriff phänomenologisch unzulässig ist. Denn was nur auf empirische Gründe hin angenommen ist, ist eben nicht phänomenologisch gegeben: auf empirische Gründe hin Angenommenes hat nicht in der Begründung der Erkenntnistheorie, sondern erst in der "erklärenden" Psychologie seine Stelle. Aber auch in der erklärenden Psychologie darf der so erweiterte Begriff des Erlebnisses erst dann Verwendung finden, wenn die empirische Begründung jener Annahme der unbemerkten Erlebnisse erkenntnistheoretisch geklärt, d. h. wenn die Legitimation für jenen Begriff erbracht ist.

Eben diese Legitimation beizubringen war eine der prinzipiellen Aufgaben, die sich meine Psychologie stellte. Solange diese Aufgabe nicht gelöst ist, erscheint der Begriff der unbemerkten Erlebnisse in der Psychologie als eines jener dogmatischen Elemente, deren Eliminierung ich mir zum Ziel gesetzt hatte.
LITERATUR - Hans Cornelius, Psychologische Prinzipienfragen, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 43, Leipzig 1906
    Anmerkungen
    1) Diese Zeitschrift, Bd. 42
    2) siehe meine "Einleitung in die Philosophie", Seite 205f.
    3) "Psychologie als Erfahrungswissenschaft", Seite 202; "Einleitung in die Philosophie", Seite 242f. Auch LIPPS, der früher (diese Zeitschrift, Bd. 22, Seite 385) die Gestaltqualitäten als "Weisen der psychischen Beziehung zwischen psychischen Vorgängen" bezeichnet hatte, die als solche im Bewußtsein nicht gegeben sind", hat sich nunmehr (Psychologische Untersuchungen I, Seite 11) zu meiner Anwendung des Wortes bekehrt. Gegenüber der früheren Polemik von LIPPS gegen meine Anwendung dieses Begriffs - er hatte in dieser Anwendung eine "Verhüllung der Tatsachen und Probleme" gesehen - ist mir diese Sinnesänderung doppelt erfreulich. Daß die Gestaltqualitäten, wie LIPPS a. a. O. ausführt, durch den Zusammenhang des Ich bedingt sind, habe ich bereits in meiner "Psychologie" Seite 119 konstatiert.
    4) Wenn LIPPS (a. a. O., Seite 8) von einer "nicht näher beschreibbaren Zugehörigkeit des Inhaltes zu mir" spricht, so scheint mir dieser Ausdruck den Verzicht auf eine nähere Analyse und Beschreibung gerade derjenigen Tatsachen anzudeuten, welche für die Erkenntnis des Bewußtseinszusammenhangs in jedem Augenblick maßgebend sind und in welchen alles begrifflich allgemeine Erkennen seine Wurzel hat. Tatsächlich ist die "Zugehörigkeit eines Inhaltes zu mir" sehr wohl näher beschreibbar.
    5) Logische Untersuchungen II, Seite 326.
    6) Übereinstimmend mit HUSSERL, a. a. O., Bd. II, Seite 335: "Zu diesem Bereich ... tritt ... das, was die Erinnerung als früher uns evident gegenwärtig Gewesenes ... darstellt."
    7) Logische Untersuchungen II, Seite 327
    8) Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Seite 91f und 236f
    9) Einleitung in die Philosophie, Seite 257
    10) Logische Untersuchungen II, Seite 327
    11) Entsprechend den Ausführungen meiner vorigen Abhandlung befinde ich mich an diesem Punkt in einem ausdrücklichen Gegensatz zu HUSSERL, der (Bd. II, Seite 19/20) behauptet, daß die Bedeutung jedes intentionalen Erlebnisses aus diesem gegenwärtigen (Teil-)Erlebnis selbst vollkommen bestimmt werden kann.
    12) FELIX KRUEGER, Die Theorie der Konsonanz, in WUNDTs "Psychologische Studien", Bd. 1, 1906, Seite 316f. Vgl. auch dort Seite 317 in der Fußnote zitierten Stellen.
    13) Ich bekenne den Fehler einer solchen Objektivation früher - so namentlich in meiner Abhandlung "Über Verschmelzung und Analyse", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 16 und 17) - mehrfach begangen zu haben. Ausdrücklich muß ich aber bemerken, daß der Begriff der unbemerkten Teilinhalte nach der in meiner "Psychologie" (Seite 135 und 151) gegebenen Definition nicht zu dieser Art falscher Objektivation gerechnet werden darf, da die "unbemerkten Teilinhalte" eben nicht als Bewußtseinsinhalte, sondern als gesetzmäßige Zusammenhänge solcher Inhalte definiert sind. (Der Ausdruck erscheint mir heute allerdings nicht mehr zweckmäßig.)
    14) Auch HUSSERL, der in den meisten Fällen den Fehler der genannten Objektivation vermeidet, verfällt ihm doch gelegentlich. So, wenn er (Logische Untersuchungen II, Seite 341) von der "Hinwendung des Merkens" auf einen Inhalt redet, oder wenn (ebd. Seite 360) davon spricht, daß der Inhalt für mich "in anderer Weise da ist, je nachdem ich ihne nur ... nebenbei bemerke oder ... es besonders auf ihn abgesehen habe". Woher weiß HUSSERL hier von "demselben" Inhalt? Tatsächlich sind die verschiedenen angeführten Fälle eben verschiedene Erlebnisse und "derselbe Inhalt" kommt nur durch jene falsche Objektivation in dieselben hinein. Ähnliches scheint mir Seite 370 vorzuliegen, wo ein intentionaler Charakter sich "einer Empfindung bemächtigen" soll; ebenso vielleicht auch Seite 510: "wo immer wir einen Inhalt einmal für sich und das andere Mal in einer Verknüpfung mit anderen betrachten" - und mehrfach.
    15) "Zur Theorie der Abstraktion", diese Zeitschrift, Bd. 24, Seite 117f
    16) Theorie der Abstraktion, a. a. O., Seite 135-141.
    17) Manche Autoren pflegen sich so auszudrücken, als ob die Inhalte etwas wären, was, auch ohne in einem Bewußtseinszusammenhang vorhanden und unterschieden zu sein, doch für sich bestünde. Ich kann mit einer derartigen Voraussetzung keinerlei Sinn verbinden. Die unmittelbar gegebenen Tatsachen sind uns nur eben als gegeben, d. h. als Teile eines Bewußtseinsverlaufs bekannt. Demgemäß können aber auch die Kategorien der Einheit oder Mehrheiten gegeben, oder, was nur ein anderes Wort für dieselbe Sache ist, soweit sie unterschieden gegeben oder "abgehoben" sind.
    18) Daß die Unterscheidung im entwickelten Leben eine Beurteilung innerhalb weiterer Grenzen stets in sich schließt, wird sich im späteren Verlauf dieser Betrachtungen ergeben.
    19) Die Tatsache, daß auch HUSSERL den Empfindungsinhalten keinen Akt des Empfindens und allgemein den erlebten Inhalten keinen Akt des Erlebens gegenüberstellt, steht nur scheinbar im Einklang mit den Ausführungen des Textes. Denn diese Lehre HUSSERLs kann nach dem Zusammenhang mit den übrigen oben bezeichneten Stellen nur auf das unbemerkte Dasein der erlebten Inhalte, bzw. Empfindungsinhalte, niacht aber auf das Bemerken derselben gedeutet werden. Um dieses letztere aber handelt es sich im Text.
    20) Vgl. z. B. HUSSERL, LU II, Seite 343: "... so vieles ... das bewußt, aber nicht bemerkt ist."
    21) Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Seite 15
    22) LU II, Seite 362.
    23) LU II, Seite 347
    24) Wie weit HUSSERL dabei mit der Behauptung im Recht bleibt, daß die Einheit der deskriptiven Gattung Intention spezifische Verschiedenheiten aufweist, so daß es wesentlich verschiedene Arten der Intention gibt, wird an einer späteren Stelle untersucht werden.
    25) LU II, Seite 357
    26) LU II, Seite 424
    27) LU II, Seite 371, Fußnote
    28) Eben hierdurch wird "Wahrnehmung" zur "Interpretation", die HUSSERL als das Wesen der Wahrnehmung erklärt (LU II, Seite 704/05. Durch den weiteren Zusatz: "zur Wahrnehmung gehört, daß etwas in ihr erscheint; aber die Interpretation macht aus, was wir erscheinen nennen" wird ihm der Sprachgebrauch zu einer "Verirrung", der "Erscheinung" identisch mit real gegebenem Inhalt setzt. Gemäß den Ausführungen des Textes muß ich meinerseits diesen Sprachgebrauch für den einzig erkenntnistheoretisch brauchbaren halten. Daß man im Zusammenhang mit diesem Sprachgebrauch noch keineswegs die Dinge für "Komplexionen von Empfindungen" ansehen muß, dürften meine früheren Publikationen gezeigt haben (vgl. die unter B 2. angemerkten Stellen).
    29) Wie der Gegensatz von Intention und Erfüllung, so fällt auch derjenige von Vorstellung und Anerkennung (Urteil) im Sinne BRENTANOs beim Bemerken eines Erlebnisses weg. Ein Erlebnis im phänomenologischen Sinn kann also solches nur da sein und daher, was nach dem Obigen für die phänomenologische Betrachtung dasselbe heißt, bemerkt werden - oder eben überhaupt nicht da sein. Ist das Erlebnis eine Vorstellung, so ist eben diese Vorstellung da, und es hat keinen Sinn noch von einem besonderen Anerkennen, geschweige von einem Verwerfen derselben zu reden.
    30) LU II, Seite 327
    31) LU II, Seite 325
    32) Ich selbst habe früher - so noch in meiner Habilitationsschrift "Versuch einer Theorie der Existentialurteile" 1894 - den Fehler begangen, welchen ich in HUSSERLs Buch wiederfinde. Das Schlußwort der Vorrede von HUSSERLs Buch darf ich demgemäß auch als Motto für die Ausführungen des Textes in Anspruch nehmen.
    33) LU, Seite 335
    34) LU, Seite 335