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Die Impersonalien [ 5 / 5 ]
21. Wenn nun BRENTANO weiter (Psychologie, Seite 276) von seiner Anschauung aus behauptet, in den Existentialsätzen finde überhaupt keine Aussage eines Prädikats von einem Subjekt statt, im Satz "A ist" werde nicht die Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit A anerkannt, sondern A selbst sei der Gegenstand, den wir anerkennen (wonach also das Urteil nicht zweigliedrig, sondern eingliedrig wäre), so ist teils durch den unklaren und vieldeutigen Terminus "Anerkennen", teils durch den unbestimmten Ausdruck "Gegenstand" und die noch unbestimmtere Bezeichnung "A" der Sachverhalt verdeckt und der Unterschied zwischen Begriff und Anschauung verwischt. Was bedeutet das A, der "Gegenstand", der anerkannt werden soll? Ist es, wie HERBART lehrt, ein Begriff, der "unbedingt gesetzt" wird, so ist ein Begriff im gewöhnlichen Sinne, als allgemeine Bedeutung eines Wortes, zunächst ein bloß meinem inneren reproduzierenden Vorstellen gegenwärtiger Inhalt; das Wort "rot" bedeutet diese allgemeine Vorstellung einer bestimmten Farbe, das Wort "Pferd" die allgemeine Vorstellung des bekannten Tieres. Habe ich nichts als diesen innerlich gedachten Vorstellungsinhalt, was soll es doch heißen, daß er "anerkannt oder "gesetzt" werde? Der Begriff als solcher bedarf keines Anerkennens oder Setzens; sobald er wirklich gedacht wird, ist alles geschehen, was in Beziehung auf ihn als diesen einzelnen Begriff möglich ist; es ist gar nicht abzusehen, worauf sich das Anerkennen beziehen oder wie ihm, wenn er wirklich gedacht wird, die Anerkennung sollte verweigert und in welchem Sinne er sollte verworfen werden können; nicht abzusehen, was es heißen soll, daß ich den Begriff Kreis anerkenne oder den Begriff Quadrat verwerfe. Wenn icht etwa eine widersprechende Formel vor mir hätte, wie "ein viereckiger Kreis", so kann ich diese verwerfen, aber darum, weil sie keinen Begriff ausdrückt, den ich denken könnte, sondern nur Worte aufstellt, die eine unlösbare Aufgabe enthalten; was ich verwerfe, ist nicht der Begriff eines viereckigen Kreises, den ich gar nicht denken kann, sondern die Möglichkeit, mit diesen Worten einen Begriff zu verbinden, also eine Beziehung. Habe ich aber einen denkbaren, also widerspruchslosen Begriffsinhalt, so kann Gegenstand der Anerkennung oder Verwerfung nur die Bedeutung sein, die er außerdem, daß er jetzt von mir gedacht wird, noch sonst haben kann; insbesondere der Gedanke, daß ein anderer, mir in der Anschauung gegebener Gegenstand mit dem Begriff übereinstimmt oder identisch ist; dann ist aber eben nicht der Begriff selbst, sondern diese Beziehung, in der er steht, Gegenstand der Anerkennung oder Verwerfung. Soll aber "der Gegenstand", "A", nicht einen Begriff, sondern eine einzelne Anschauung oder Wahrnehmung bezeichnen, dieses Buch, in dem ich lese, diese Hand, mit der ich schreibe, so kann wiederum in keinem denkbaren Sinn davon geredet werden, daß ich dieses Gesichtsbild rein als solches, als diesen sichtbaren Gegenstand, anerkenne oder verwerfe; es ist einfach da, Objekt meines Bewußtseins, ich mag wollen oder nicht. Erst wenn ich weiter darüber reflektiere, so kann ich etwa anerkennen, daß das meine Wahrnehmung ist - dann habe ich den Gegenstand in Beziehung zu mir gesetzt; oder ich kann mir ausdrücklich klar machen, daß es da ist, weil ich es sehe - dann habe ich sein Dasein anerkannt, indem ich die subjektive Vorstellung vom gewöhnlich damit verknüpften Gedanken der Wirklichkeit zuerst unterschied, um dann die Wirklichkeit ihm ausdrücklich beizulegen; oder ich erkenne z. B. ein Klingen im Ohr für bloß subjektiv, dann verwerfe ich die Meinung, es habe eine äußere Ursache; das Klingen selbst aber kann ich weder anerkennen, noch verwerfen, sondern nur einfach hören. (1). Es bleibt also dabei, daß Anerkennen und Verwerfen, Bejahen und Verneinen, Wahr und Falsch niemals einzelne Gegenstände oder Begriffe als solche, sondern nur Beziehungen von Vorstellungen betreffen können; freilich sind nicht alle Beziehungen von Vorstellungen, wie HERBART es darstellt, "Zusammensetzungen von Begriffen", sie sind ebensogut Beziehungen von Anschauungen und Begriffen. Hätten HERBART und BRENTANO Recht, daß im Existentialsatz "Sein" nicht als Prädikat betrachtet werden dürfe, so wäre es doch wunderbar, wie die Sprache überhaupt darauf gekommen sein sollte, einen so wesentlichen Unterschied wie den des eingliedrichen und zweigliedrigen Urteils eigensinnig zu verwischen und den Gedanken, daß A existiert, ganz in dieselbe Form der Aussage eines verbalen Prädikats von einem Subjekt zu kleiden, wie den Gedanken, daß A steht oder geht; und da viele von den Verben, welche jetzt nur jene "Anerkennung" ausdrücken sollen, von Hause aus einen weit reicheren Inhalt hatten und unzweifelhaft zur Klasse der eigentlichen Prädikate gehörten - existieren selbst, bestehen, stattfinden, sich finden usw., enthalten ja etymologisch viel konkretere Vorstellungen als das bloße Sein - wo ist die Grenze zu ziehen zwischen der bloßen "Anerkennung", dem Urteil, das nur einen "Begriff" betrifft und dem zweigliedrigen Urteil? Und wie sind die Sätze: A ist hier, B ist dort, zu deuten? Sind diese Sätze, da sie doch gewiß auch Existenz aussagen, eingliedrig und bloße "Anerkennungen"? wenn sie aber zweigliedrig sind, ist dann nicht doch Sein Prädikat, wenn auch mit einer räumlichen Nebenbestimmung? Und wo ist wiederum die Grenze? Und was wird aus entstehen, vergehen, aufhören, verschwinden, in deren Begriff doch auch der Begriff des Seins steckt? 22. Daß die Sprache die Sache so darstellt, als ob von einem vorgestellten Ding das Sein prädiziert werde, gerade so wie werden, bestehen, bleiben, dauern, die alle auch den Begriff des Seins enthalten, von ihm prädiziert werden, liegt klar auf der Hand; ebenso aber auch daß es einen guten Sinne hat, in einem zweigliedrigen Urteil das Sein zu prädizieren, sobald man sich klar ist, daß das Subjektswort im Existentialsatz zunächst etwas bloß Vorgestelltes meint, von dem gesagt wird, daß zu ihm in der wahrnehmbaren Welt eine korrespondierende Anschauung sich finde; wie es einen Sinn hat, "gefunden werden" zu prädizieren. Sein ist freilich kein Prädikat, das ein Merkmal angäbe, d. h. einen Bestandteil des Inhalts der Subjektsvorstellung; es ist, wie KANT vollkommen überzeugend darlegt, ein Relationsprädikat, das die bestimmte Art der Beziehung des Vorgestellten zu meinem Bewußtsein angibt. Die Sätze von HERBART und BRENTANO erklären sich zuletzt daraus, daß die hergebrachte Logik in erster Linie solche urteile, welche Subsumtionen aussprechen, weiterhin etwa noch die Eigenschafts- und Tätigkeitsurteile zu untersuchen gewöhnt war, die zahllosen Relationsprädikate aber vollkommen vernachlässigte; von ihnen allen gilt, daß sie kein Merkmal aussagen, das einen Bestandteil der Subjektsvorstellung bildete. (2) Der ganze Denkvorgang aber, der sich in der Behauptung ausspricht, daß etwas sei und damit der genauere Sinn des Existentialsatzes, gestaltet sich noch verschieden je nach der Beschaffenheit des Subjekts. Ist mein Subjektswort das Zeichen eines individuellen, mir von früher her als existierend bekannten Gegenstands, z. B. ein Eigenname, so ist das wahrhaft logische Subjekt des Existentialsatzes das durch das grammatische Subjekt bezeichnete und es wird dem Zweifler gegenüber sein wirkliches Vorhandensein, der Möglichkeit des Vernichtetseins gegenüber die Fortdauer seiner Existenz behauptet; für den, der auf eigene Wahrnehmung hin den Satz ausspricht: der Turm steht noch, das Dokument ist noch vorhanden, ist das Urteil sogar in gewissem Sinne ein analytisches, denn so wie das Subjekt desselben für sein Bewußtsein vorhanden ist, bleibt mit der Vorstellung der Gegenstands die Vorstellung seiner wahrnehmbaren Existenz verknüpft und er wird eben als ein wirklich Gesehenes, in dieser bestimmten Relation zu meinem Bewußtsein vorgestellt; ich kann gar nicht fragen, ob er existiert oder nicht. Anders, wenn das Subjektswort das Zeichen eines zunächst bloß vorgestellten Einzelnen ist. Was ich nur aus Berichten anderer kenne, dessen Vorstellung war mir nicht anschaulich gegeben, sondern ist durch Worte in meiner Phantasie erzeugt; ich kann daran zweifeln, ob es die Vorstellung eines Wirklichen ist, ob ihr ein in der wirklichen Welt wahrnehmbarer Gegenstand entspricht oder je entsprach. Berichten die Zeitungen von einem geheimen Vertrag, so kann ich fragen, ob er denn wirklich existiert; ebenso kann ich fragen, ob der Turm zu Babel existierte oder bloß ein Gebilde der Sage ist, ob TELLs Apfelschuß wirklich stattgefunden hat. Sagt mir ein glaubwürdiger Zeuge, daß er jenen Vertrag gesehen hat: so urteile ich jetzt, daß die Vorstellung, die ich gewonnen hatte, mit einem greifbaren Dokument übereinstimme; ebenso überzeuge ich mich etwa durch Schlüsse, daß meine Vorstellung vom Turm zu Babel in der wirklichen Welt ihr Korrelat hat, daß die Berichte darüber nicht auf Fiktion, sondern zuletzt auf Wahrnehmung beruhen; dann haben sie Schlüsse meiner Vorstellung die Bedeutung der Vorstellung eines Wirklichen erst gegeben; das Urteil ist ein vermitteltes, aber auch jetzt ist das vorgestellte Ding das logische Subjekt des Urteils. Ist das Subjektswort aber von allgemeiner Bedeutung, so stellt die Sprache nicht umsonst das Verbum Sein, meist mit einer Zeit- oder Ortsbezeichnung, gewöhnlich voran und läßt das Substantiv folgen: Es existieren einzellige Organismen, es war einmal ein König - und in ganz verwandtem Sinne: Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr. Zuerst wird mit dem Verb vermöge seiner Bedeutung auf ein wirklich existierendes Objekt hingewiesen, um dann dasselbe durch die Benennung bestimmt zu bezeichnen. Die Grammatik betrachtet auch hier das genannte Substantiv als Subjekt; logisch betrachtet aber ist es vielmehr Prädikat des ungenannten, bloß durch die Verbalendung oder das Pronomen zuerst angedeuteten Wirklichen und dadurch scheiden sich diese Wendungen von den Sätzen, in denen das Subjekt individuell bestimmt und damit schon als Wirkliches vorausgesetzt ist. Deutlich hat das Griechische mit seiner Voranstellung des esti [sei - wp] diesen Unterschied betont; das englische there ist, there are weist noch anschaulicher zuerst auf den Ort hin, wo das zu Nennende sich findet. (vgl. oben] Damit fallen die Existentialsätze von der Form: Es ist, es war ein A, unter denselben Gesichtspunkt, wie die Impersonalien, die ein gegebenes Wirkliches benennen; nur mit dem Unterschied, daß dieses Gegebene jetzt nicht eine in verbaler oder adjektivischer Form benennbare Erscheinung ist, die losgelöst vom Gedanken eines Dings, an dem sie haftet, zur Auffassung kommt, sondern selbst schon den Charakter einer Dingvorstellung hat. Das wirkliche Subjekt ist ein einzelner selbständiger Bestandteil der Gesamtheit des Seienden, wie das Subjekt der Impersonalien ein wirklicher Vorgang oder Zustand; der Hörer wird zuerst auf ein einzelnes Wirkliches hingewiesen, um dann zu erfahren, was es ist oder war. 22. In anderer sprachlicher Form erscheint nun dieselbe Bewegung des Denkens in der Wendung, welche die heutige deutsche Sprache zur Bezeichnung der Existenz vorzieht, im impersonalen "es gibt". Nach den Ausführungen in GRIMMs Wörterbuch (IV, 1, 1, 1702f) ist die allmähliche Entstehung dieses erst in neuerer Zeit in allgemeinen Gebrauch gekommenen Ausdrucks für die bloße Existenz zu verfolgen. Ihr Ursprung ist in Wendungen zu suchen, in welchen noch die Bedeutung von geben im Sinne von ergeben, hervorbringen, zur Folge haben, erkennbar ist; das Subjekt dazu ist ein bestimmtes, aber nicht immer bestimmt bezeichnetes. An den Himmel blickend sage ich: das gibt Regen, das gibt ein Gewitter - nämlich die vorhandene Bewölkung; regnet es anhaltend fort: das gibt eine Überschwemmung; einer aufgeregten Gesellschaft gegenüber befürchte ich: das wird Händel, eine Prügelei geben. Vom Acker, von der Wiese, von den Bäumen sagen wir ganz verständlich, daß sie Korn, Gras, Obst geben; sagen wir aber: es gibt Korn, Obst, Wein, so ist die Vorstlelung des die Nahrung darbietenden Feldes mehr und mehr verblaßt, wir denken mehr an's Nehmen dessen, was da ist, als an's Geben und dem Gebenden; nur das Resultat des Gebens, das Vorhandensein, Gefundenwerden ist als Bedeutung übrig geblieben, wenn auch eine räumliche Begrenzung des Gebietes, das etwas darbietet, meist noch im Hintergrund mitgedacht wird. Und indem die räumliche Begrenzung sich mehr und mehr erweitert und verschwimmt, dehnt sich die Bedeutung von "es gibt" auf alles aus, was in der weiten Welt sich irgendwo findet; wollte man ein bestimmtes Subjekt in "es" noch festhalten wollen, so könnte es nur die Gesamtheit des Seienden überhaupt sein, welche Gegenstände von bestimmter Gattung darbietet; aber im heutigen Gebrauch ist jeder Schatten der ursprünglichen Bedeutung von Geben geschwunden und nur der ganz allgemeine Begriff des Seins übrig geblieben; "es gibt" kündigt nur wirkliche Objekte an, die unter den allgemeinen Begriff des folgenden Wortes fallen; dieses fungiert als benennendes Prädikat des Gegebenen. (3) Es ist dabei beachtenswert, daß die Existenz eines durch ein Nomen proprium [Eigenname - wp] bezeichneten Gegenstandes nicht in dieser Weise ausgedrückt werden kann; wir sagen nicht "es gibt Gott", sondern "einen Gott"; womit die Berechtigung der obigen Unterscheidung der Existentialurteile in solche, deren Nominativ logisches Subjekt und in solche, deren Nominativ logisches Prädikat ist, auf's neue einleuchtet. Ganz ähnlich ist die - im Deutschen mehr in der Volkssprache übliche - Verwendung von "Haben", entsprechend dem französischen il y a [er hat dort - wp]. 23. Unsere Auffassung des diesen Wendungen zugrunde liegenden Denkvorgangs bestätigt sich an den Aussagen, welche die Existenz verneinen. Es gibt keine Gespenster, es gibt keinen Zufall, setzt die subjektive Vorstellung von Gespenstern, den Begriff eines Ereignisses, das nicht notwendig bestimmt wäre, voraus; mit dieser Vorstellung treten wir an die wirkliche Welt heran, vermögen aber in ihrem Bereich das ihr Entsprechende nicht zu finden. Noch deutlicher, wo es sich um ein bestimmt abgegrenzetes Gebiet handelt: in der ganzen Ebene gab es keinen Baum, kein Wasser; ich suche etwas, was ein Baum, was Wasser wäre, aber alles, was ich sehe, fällt weder unter den Begriff Baum, nocht unter den des Wassers. Nirgends ist ein Baum, nirgends Wasser - läßt ebenso erkennen, daß streng genommen das Sichtbare das Subjekt ist, von dem verneint wird, daß es Baum oder Wasser sei. Denn wollte ich "ein Baum" als eigentliches Subjekt betrachten, - was doch heißen soll "ein Baum ist nirgends"? Ich meine nicht von irgendeinem Baum etwas auszusagen, wie im Satz: ein Baum steht vor meinem Haus, sondern ich sage, daß keines der vorhandenen Objekte ein Baum war. (4) Nur von einem bekannten, etwa verlorenen Ding kann ich als wirklichem Subjekt aussagen: der Schlüssel war nirgends. Nun hat die Sprache für das Nichtvorhandensein wiederum impersonale Ausdrücke, die dem "es gibt", "es hat" gegenüberstehen, nämlich: es fehlt, es mangelt, es gebricht. Die Vergleichung der Fälle, in denen "fehlen" mit ganz bestimmte Subjekt gebraucht wird, muß hier Auskunft geben. Mustere ich meine Bibliothek, so sage ich: der zweite Band dieses Werkes fehlt; ich habe das Erinnerungsbild dieses zweiten Bandes, aber seine Stelle ist leer, meinem Erinnerungsbild entspricht keine wirkliche Wahrnehmung. Ebenso fhelt der einzelne Schüler in der Schule, der bestellte Arbeiter bei der Arbeit, der Soldat beim Appell. Anders schon sind die Fälle, wo kein schon bekanntes Einzelnes, sondern ein Einzelnes einer bestimmten Gattung fehlt - dieser Statue fehlt der Kopf, dem Haus das Dach, dem Buch das Inhaltsverzeichnis - die Vergleichung mit anderen Objekten läßt mich sofort die leere Stelle erkennen; die Wahrnehmung des Mangels ist das erste und ich ergänze nur in unbestmmter Vorstellung das einzelne, was fehlt. Noch entschiedener tritt das Bewußtsein des Mangels in den Vordergrund, wo zunächst das Gefühl eines Bedürfnisses empfunden wird, dem durch beliebige Objekte einer bestimmten Gattung abgeholfen werden könnte, die nicht vorhanden sind und dieses Gefühl des Mangels, dieses Bewußtsein des Entblößtseins findet zunächst seinen Ausdruck in einem impersonalen "es fehlt", dem die Bezeichnung der gewünschten Mittel der Abhilfe nachfolgt - es fehlt an Nahrungsmitteln, Geld, Kleidern, Arbeitskräften. (5) 24. Und nun führen einfache psychologische Zusammenhänge vom bloßen Gedanken des Fehlens zu all den Ausdrücken hinüber, denen das praktische Denken und die damit verbundene Vorstellungsbewegung und Gemütsverfassung des Wollenden und Handelnden zugrunde liegt; ein Übergang, für den das französische il faut [es ist notwendig - wp] typisch ist, das aus der Bedeutung des Fehlens zu der des Müssens gelangt. Irgendein Zustand der Unlust erweckt nicht bloß die Vorstellung der Mittel, die derselben abhelfen könnten, um ihr Fehlen zu Bewußtsein zu bringen; er ist zugleich eine Quelle des Begehrens und die Erreichung dieser Mittel wird jetzt ein Zweck, den ich mir für mein Wollen setze und der seine Verwirklichung fordert. Daran schließt sich, bei der Unsicherheit der Zukunft, das Bewußtsein einer Gefahr, die im Gefühl sich in Furcht und Hoffnung äußert und zugleich die Aufmerksamkeit spannt, die Kräfte anstrengen heißt. Nicht umsonst leiten sich nötig und notwendig von der Not ab, dei vom Fehlen, chre ist mit chrestai verwandt, wie das deutsche "es braucht" mit brauchen und gebrauchen; das empfundene Bedürfnis und die darin liegende, psychologisch zwingende Aufforderung zur Tätigkeit findet Ausdruck in einer impersonalen Form, welche Not, Zweck, die durch den Zweck bestimmten Mittel und die Forderung ihrer Anwendung als etwas Gegebenes, von meinem Wollen unabhängiges darstellt. Die gegebene Notwendigkeit eines Zwecks und der darauf gerichteten Handlung erscheint jetzt ebenso objektiv mir gegenüberzustehen, wie eine äußere Tatsache. So begreift sich das lateinische Gerundium, das vollkommen den Charakter eines Impersonale hat. Die verwandten deutschen Ausdrücke: es ist mir um etwas zu tun, enthalten eine subjektivere Färbung durch die Bezeichnung der Sorge und Unruhe; ebenso ohne tun: euch ist's umd die Sach' - es ist mir um mich selbst nicht so, wie um die Altekläre; ein zu erreichendes Zeile mit den Nebengedanken einer zweifelhaften Lage, eines zweifelhaften Erfolgs, drücken aus: bedenkt, worauf es ankommt - heut gilt es, wer den andern niedertrinkt - es geht um's Leben - es handelt sich um die Ehre; und in dieselbe Kategorie fällt auch: es ist Zeit zu handeln - nicht Zeit ist's mehr, zu brüten und zu sinnen. Es bedarf keines Nachweises, wie viel komplizierter die psychologischen Voraussetzungen sind, welche in diesen Wendungen zum Ausdruck komen, gegenüber denjenigen, welche den einfachen Wahrnehmungsurteilen als Grundlage dienen; als Ausgangspunkt bleibt doch ein konkreter Zustand, in dem ich mich gegenüber den gegebenen Verhältnissen, ihrer Wirkung auf mein Gefühl und ihren Anforderungen an meinen Willen befinde oder den ich, in die Lage eines anderen mich versetzend, nach seiner Bedeutung für seine Zweck beurteile; soviele Gedankenelemente sich in einem es handelt sich- es gilt - zusammendrängen mögen, immer ist ein gegebener Gesamtzustand gemeint, der das Bewußtsein einer Lage enthält, die zu meinen Zwecken und Interessen in bestimmter Beziehung steht; der allgemeine Begriff der eine bestimmte Handlungsweise fordernden Gefahr, des die Anspannung meiner Kräfte im Kampfe fordernden Zweckes wird auf die gegenwärtige Lage angewendet und durch die Angabe dessen, um was es sich handelt, näher bestimmt; die logische Struktur dieser Sätze ist schließlich keine andere als die der Sätze, welche gegebene Gefühlszustände impersonal ausdrücken. Psychologisch ist nur die enge Verbindung bezeichnend, in welche die Zweckgedanken, die sich an eine gegebene Situation knüpfen, mit dieser selbst treten, so daß sie, obgleich dem Gebiet des vorgreifenden Denkens angehörend, wie ein objektiver Bestandteil derselben erscheinen; nur dadurch kann ja, was bloß zweckmäßig ist, als ein objektiv Notwendiges und diese Notwendigkeit als ein wirklicher Zustand hingestellt werden. Eine bekannte Anekdote erzählt, daß NAPOLEON einem Bittsteller auf die Worte: Mais, Sire, il faut donc que je vive, [Aber Majestät, es ist doch notwendig, daß ich lebe. - wp] geantwortet habe: Je n'en vois pas la nécessité; [Ich sehe dafür keine Notwendigkeit. - wp] sie stellt epigrammatisch den Gegensatz der subjektiv-psychologischen Notwendigkeit heraus; jene ist es, die im impersonalen "il faut" [es ist notwendig - wp] ihren Ausdruck findet. Der Reichtum der heutigen deutschen Sprache an impersonalen Wendungen ist durch die besprochenen Beispiele noch lange nicht erschöpft; eine vollständige Übersicht derselben müßte insbesondere auch den vielfachen Übertragungen nachgehen, in denen Impersonalien von ursprünglich sinnlich-konkreter Bedeutung zum bildlichen Ausdruck anderer Vorgänge und Verhältnisse verwendet werden; für unseren Zweck wird aber die gegebene Übersicht genügen. Denn sie gestattet jedenfalls die Mannigfaltigkeit der den unpersönlichen Sätzen zugrunde liegenden Gedanken zu übersehen, und es werden wohl, wie ich hoffe, alle Hauptklassen derselben in ihr vertreten sein. Versuchen wir nachträglich die unterscheidbaren Gruppen impersonaler Ausdrücke nach ihrer psychologischen Grundlage zu ordnen, so zeigen sie eine aufsteigende Reihe; die denkbar einfachste Voraussetzung an Vorstellungen, die zum Ausdruck kommen sollen, zeigen diejenigen, denen eine einfache momentane Sinnesaffektion zugrunde liegt; die verwickeltste Struktur der Bewußtseinsvorgänge diejenigen, welche den Zweckgedanken enthalten, der aus einer zusammengesetzten Situation entspringt. Vielleicht lassen sie sich in folgende Übersicht bringen. Was sie ausdrücken ist:
II. Zustände des sinnlichen oder geistigen Gefühls und Regungen des Begehrens - mir ist wohl, mir graut, mich verlangt. (13.) III. Zustände und Erregungen, die als Wirkung einer ungenannten Ursache erscheinen - es schüttelt mich, es riß mich hinunter (13.) IV. Sinnlich wahrnehmbare Vorgänge, Bewegungen usf., die losgelöst von der Vorstellung der Dinge zum Ausdruck kommen, besonders übereinstimmende Vorgänge an einer Mehrheit von Subjekten V. Anschauung von einer Menge oder Masse bewegter Dinge, die aber in ihrer Bewegung aufgefaßt und zum Ausdruck gebracht werden - es regnet, hagelt, es raucht, qualmt. (15.) VI. Wahrnehmbare Gesamtzustände der uns umgebenden Welt - es ist Tag, Nacht, Sommer, Winter (16.) VII. Zeitpunkte und Zeitabschnitte - es ist Mittag, Mitternacht, Ostern. (16.) VIII. Gesamtzustände der uns umgebende Welt und ihrer Teile und verläufe ihrer Veränderungen, die vom Verstand erfaßt und beurteilt werden - es geht gut, schlecht usf. (17.) IX. Gedanke der Existenz oder Nichtexistenz eines Vorgestellten (18. - 23.) es ist, es gibt, es fehlt. X. Zweckbeziehungen die aus einer gegebenen Lage entspringen - es tut Not, es gilt etc. (24.) Die allgemeinen Resultate aber, zu denen unsere logische Untersuchung geführt hat, mögen in folgende Sätze zusammengefaßt werden:
Es gibt logisch betrachtet keine subjektlosen Urteile, auch das Existentialurteil verknüpft zwei Vorstellungen. 2. Die Einheit, welche zwischen Subjekt und Prädikat in einem positiven Urteil gedacht wird, ist
b) oder es ist die Einheit eines Dings mit seiner Eigenschaft oder Tätigkeit; c) oder es ist die Einheit einer bestimmten Beziehung, welche ein Objekt mit einem andern Objekt verbindet - A = B. Die benennenden Urteile sind unentbehrlich, um Einzelwahrnehmungen durch die Sprache auszudrücken und sind auch in den Eigenschafts- und Tätigkeitsurteilen über Einzelnes durch die Benennung des Subjekts und Prädikats enthalten. 3. Das Wort Subjekt wird in engerem und weiterem Sinne gebraucht. In engerem Sinne bezeichnet das Wort das Ding, das eine Eigenschaft hat oder eine Tätigkeit ausübt; in weiterem Sinne jeden Gegenstand einer Aussage. Grammatisch bedeutet Subjekt eines Satzes dasjenige Wort oder denjenigen Redeteil, der das logische Subjekt des im Satz ausgesprochenen Urteils bezeichnet. Es gibt Urteile, die ohne Subjektswort ausgesprochen werden, d. h. Aussagen, welche Urteile ausdrücken, ohne das Subjekt des Urteils irgendwie sprachlich zu bezeichnen, wie schön - vortrefflich - genug - usf.; - ob die Grammatik diese Aussagen als Sätze bezeichnen will oder nicht, hängt davon ab, ob sie für den Satz einen sprachlichen Ausdruck des Subjekts verlangt; logisch sind sie jedenfalls wirklichen Sätzen äquivalent. Die durch pluit, pudet usw. ausgedrückten Urteile aber können auch grammatisch nicht als subjektlos bezeichnet werden, denn sie tragen in der Flexionssendung das Zeichen, daß der allgemeine Begriff des Verbums auf einen einzelnen Fall angewedet, also mindestens ein Benennungsurteil vollzogen worden ist. Es fehlt ihnen nicht der Ausdruck eines Subjekts überhaupt, sondern höchstens der Ausdruck eines Subjekts im engeren Sinne, eines Dingsubjekts. 4. Viele der gewöhnlich als impersonal angesehenen Sätze meinen mit der Verbalendung, respektive dem Pronomen "es" sogar ein Dingsubjekt, das bestimmt zu bezeichnen nur überflüssig oder wegen seiner Unbestimmtheit schwierig ist; sie können nicht als Impersonalien im strengen Sinne betrachtet werden. Andere weisen zwar nicht auf ein Dingsubjekt hin, um so gewisser aber auf die einzelne konkrete Erscheinung, welche dem allgemeinen Verbalbegriff entspricht. Ob der eine oder der andere Fall vorhanden ist, ist in vielen Fällen aus dem sprachlichen Ausdruck für sich nicht zu entscheiden; in der lebendigen Sprache gehen beide Klassen ganz allmählich ineinander über und geschichtlich betrachtet sind wohl manche der jetzt rein impersonalen Wendungen ursprünglich mit dem Gedanken eines bestimmten Subjekts verknüpft gewesen. 5. Ist die Hinweisung auf ein Dingsubjekt ausgeschlossen, der Satz also ein streng unpersönlicher, so ist der logische Kern des Satzes ein Benennungsurteil; dadurch, daß das Benannte ein einzelnes, gegenwärtig wirkliches ist, erhält das Benennungsurteil die Kraft eine Wirklichkeit auszusagen, die dem Begriff des Prädikats entspricht und ist insofern einem Existentialurteil verwandt; der Gang des Denkens ist aber in dem Satz, der einem bestimmten benannten Subjekt das Sein zuspricht, entgegengesetzt dem Gang, der ein Wirkliches unter einen bestimmten Begriff stellt. 6. Auch was gewöhnlich als Existentialurteil betrachtet wird, d. h. als Aussage des Existierens von einem substantivischen Subjekt, fällt häufig vielmehr unter die letztere, den Impersonalien zugehörige Klasse, indem ein ungenanntes anschauliches Subjekt mit einem bestimmten Substantiv benannt wird (Nox erat heißt nicht: die Nacht oder eine Nacht existierte, sondern es war Nacht, der gegebene Zustand war Nacht). Aus der vorangehenden Analyse geht endlich auch hervor, daß die verschiedenen früheren Auffassungen für je einen Teil der Impersonalien berechtigt sind und nur darin fehlen, daß sie alles unter denselben Begriff bringen wollen. Daß die unbestimmt gedachte Totalität des Wirklichen ursprünglich zugrunde liegt, kann z. B. in der Wendung "es gibt" kaum abgewiesen, für andere Fälle aber ebensowenig zugestanden werden. Daß ein Dingsubjekt zwar gedacht, aber eben nur angedeutet, nicht bestimmt vorgestellt und genannt werde, trifft für alle die Fälle zu, die auf der Grenze zwischen einem nachweisbaren Subjekt und den reinen Impersonalien liegen. Daß die impersonalen Sätze Existentialurteile ausdrücken, ist insofern wahr, als sie die Behauptung der Existenz einer Erscheinung einschließen, insofern aber falsch, als sie nicht direkt ihrem Sinn nach auf diese Behauptung als das, was eigentlich gesagt werden soll, gerichtet sind. Daß, wie TRENDELENBURG lehrt, die Impersonalien eine Stufe darstellen, die dem Begriff und der Entwicklung des Urteils gemeinsam zugrunde liege, daß sie Rudimente des Urteils darstellen, indem sie Urteile der bloßen Tätigkeit seien, ist psychologisch in gewissem Sinne richtig, sofern viele Impersonalien eben nur die wahrgenommene Tätigkeit auffassen und benennen und die durch die Kategorie des Dings geforderte Ergänzung unterlassen; aber ihr sprachlicher Ausdruck setzt doch die Wortform des Verbs im Unterschied vom Substantiv voraus und darum können sie nicht geschichtlich als eine dem vollständigen Satz vorangehende Form gelten. Die Arbeit des Denkens, welche Dinge und Tätigkeiten scheidet, ist nach LOTZEs richtiger Bemerkung überall durch ihre Form im Allgemeinen vorausgesetzt; aber im einzelnen Fall kann oder will sich diese Tätigkeit nicht vollenden und es darf nicht aus jener Form geschlossen werden, daß alles, was Inhalt einer Wahrnehmung sein will, nur als Prädikat an einem bekannten oder unbekannten Subjekt zu denken sei. Die Gewohnheiten der Sprache, die sich für die überwiegende Zahl der Fälle sich gebildet haben, schreiben allerdings diese Form der Aussage vor; aber der Sinn, den sie gewöhnlich hat, ist in den echten Impersonalien nicht zu finden und insofern ist (siehe 10.) die Form entweder doppelsinnig oder dem Gedanken inkongruent. ![]()
1) Es ist unrichtig, wenn BRENTANO Seite 277 sagt, jede Wahrnehmung zähle zu den Urteilen, darum sei nicht jedes Urteil eine Prädikation. Eine Wahrnehmung, rein als das gegenwärtige Sehen, Tasten, Hören von etwas genommen, ist kein Urteil; ein Urteil entsteht erst, wenn ich ihr Objekt oder den Akt der Wahrnehmung zu anderem in Beziehung setze. Nur insofern, als das meist unausgesprochen und auch ohne reflektiertes Bewußtsein geschieht, kann man sagen, jede Wahrnehmung zähle zu den Urteilen; dann aber verknüpft sich mit ihr eine Beziehung des Wahrnehmungsinhalts zu mir oder zu anderem und diese wird prädiziert. 2) Vgl. § 12 meiner Logik. 3) Vgl. in der wissenschaftlichen Sprache: Gegeben ist ein Kreis usf. 4) Zu der Vieldeutigkeit, die den negativen Sätzen eigentümlich ist [vgl. §§ 20-22 meiner Logik), liefert des Sängers Fluch ein instruktives Beispiel: Kein Baum verstreut Schatten, kein Quell durchdringt den Sand. NIcht das Schattenverstreuen und Sanddurchdringen wird von vorhandenen Bäumen und Quellen negiert - was in derselben sprachlichen Form möglich wäre - sondern das Vorhandensein von schattenverstreuenden Bäumen und sanddurchdringenden Quellen wird geleugnet. 5) Der Sprachgeschichte obliegt es, die Präposition "an" zu deuten; sie weist wohl ursprünglich auf ein Ganzes hin, an dem ein Teil fehlt und ist dann auf das Fehlende selbst übertragen worden; vgl. GRIMMs Wörterbuch unter "Gebrechen" IV, 1, 1. Seite 1852. |