cr-4K. SchneiderA. Martyvon PfordtenM. StingelinE. Martinak    
 
CHRISTOPH SIGWART
Die Impersonalien
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"Wenn ich, in's Zimmer tretend melde: "Es brennt in der Vorstadt", so ist das schon kein ursprüngliches Wahrnehmungsurteil mehr, sondern eine vermittelte und abgeleitete Aussage, die schon, indem sie die Fortdauer des Brandes voraussetzt, über die Wahrnehmung hinausgeht und damit eine andere Färbung annimmt."

"Für meine Selbstauffassung gehen deutlich aus mir selbst nur diejenigen Tätigkeiten hervor, die das Bewußtsein eines  Wollens,  wenn auch noch so verblaßt, einschließen; ich richte mich nach irgendeinem Ziel hin und bestimme meinen Zustand; wenn ich blicke, horche, taste, wenn ich Arm und Fuß bewege, dann ist das erste das Bewußtsein meines wollenden Ich, das in ein bestimmtes Tun übergeht; auch in sehen und hören sind wir uns noch eines aktiven Aufnehmens der Eindrücke bewußt, das in blicken und horchen zum ausgesprochenen Sehen- und Hörenwollen sich steigert. Liegt es der naiven Auffassung ja am nächsten, auch die Bewegung der äußeren Dinge als aus einem Streben und Wollen hervorgehend zu denken. Jene Gefühle aber kommen über mich, ohne daß ich will, gegen meinen Willen; ich erscheine mir nicht als der Tätige, sondern als der Angegriffene und Überfallene."


10. Ist es unzweifelhaft, daß in solchen Wendungen nur das Gehörte, unter Abstraktion von dem den Laut hervorbringenden Subjekt, den Gegenstand meiner Aussage bildet, so ist damit bewiesen, daß Zustände, Vorgänge, die als solche einen sinnlichen Eindruck machen, nicht notwendig ausdrücklich auf ein Ding bezogen werden müssen, sondern für sich Gegenstand einer Aussage werden können, der dann nichts übrig bleibt, als den eben gegenwärtigen Eindruck zu  benennen;  und dies wird umso gewisser dann der Fall sein, wenn wir gar keine sichere Andeutung vom möglichen Subjekt haben, sondern auf die einfache Gehörwahrnehmung beschränkt sind - es rauscht in den Lüften, es poltert, knallt, kracht, donnert usw. Soll dem Pronomen eine Bedeutung zukommen, so müßte es verschieden von seiner sonstigen Funktion, eben diesen Eindruck als solchen meinen, wie  das  in: das ist ein Schuß, das ist meines Bruders Stimme; will man das nicht zugeben, so ist es leeres Formwort geworden, das seine Bedeutung als Bezeichnung eines Dings eingebüßt hat und nur der Analogie der Sprachformen zu lieb stehen geblieben ist, um eine leere Stelle anzuzeigen. In keinem Falle wird übrigens bewiesen werden können, daß das in der Personalendung  tonat  [der donnert - wp] steckende Demonstrativum nicht eben den gehörten Laut selbst meinen könne; die Wirklichkeit des mit  tonare  bezeichneten Schalles wird eben dadurch ausgedrückt, daß ein eben Gehörtes ein  tonare  sei. Das Substantivum Donner gilt uns ja auch als etwas Selbständiges, nicht als ein abstraktes Verbalsubstantiv, wie Bewegung: der Donner brüllt, hört ihr's, wie der Donner grollt? Was also beim Wort  tonat  wirklich unzweifelhaft gedacht, das Urteil, das sicher darin vollzogen wird, kann nichts anderes sein als die Benennung des eben Gehörten mit dem allgemeinen Begriff; darin, daß ein eben Gehörtes gemeint ist, liegt dann allerdings zugleich die Behauptung der Wirklichkeit des Vorgangs. (1)

11. Daß Erscheinungen und Vorgänge, welche ihren sprachlichen Ausdruck in Verben finden, vom Gedanken eines zugehörigen Dinges losgelöst und für sich festgehalten werden können, ist im Grunde schon durch die sprachliche Trennung der Wortformen vorbereitet. Allerdings weist die Verbalform als solche auf ein entsprechendes Substantiv hin; aber sie verdankt ja doch ihr Dasein einer Abstraktion, die sie zu einem gesondert Denkbaren macht und es muß darum nicht um jeden Preis jedesmal, wo ein Verbum erscheint, auch das zugehörige Agens bestimmt gedacht oder gar ausdrücklich genannt werden. Sonst wären die zahllosen Wendungen, in denen nur ein Infinitiv ohne das entsprechende Subjekt erscheint, völlig unerklärlich; und doch finden sie sich auch da, wo die Verbindung des Tuns mit der Vorstellung des Subjekts eine viel engere ist, als bei den Lauten: "Zu Speyer im Saale da hebt sich ein Klingen, mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen."

Solche Wendungen bieten sich besonders dann, wenn das zugehörige Subjekt zwar seiner Gattung nach selbstverständlich ist, aber in seiner Einzelheit gleichgültig oder unbekannt und am leichtesten löst sich die Tätigkeit vom Subjekt los und wird für sich Gegenstand der Auffassung, wenn sie sich an einer ungezählten Menge von Subjekten wiederholt und der  Kollektiverfolg  in die Augen oder sonst in die Wahrnehmung fällt - es entstand ein Laufen und Durcheinanderrennen, allgemeines Begrüßen und Händeschütteln usw. Was sich so zunächst im Infinitiv zeigt, führt nun auch zu Wendungen von impersonaler Form, bei denen zwar das Subjekt ganz unzweifelhaft mit vorgestellt, aber in der Sprache nicht bezeichnet, nicht einmal angedeutet ist. Denn wenn ich sage: Da strömt's nach der Kirche, es wimmelt auf dem Platz, so sind mir ja die Menschen in der Anschauung mitgegeben, aber das Pronomen soll nun nicht diese Menge andeuten, die strömt oder wimmelt; vielmehr beschreibt der Satz nur die vielfache verworrene Bewegung und wenn die Subjekte derselben bezeichnet werden sollen, sage ich: es wimmelt von Menschen. Wenn dann das Subjekt nicht so von selbst klar und greifbar, wenn es nicht bestimmte einzelne Gestalten sind, so wird umso deutlicher, daß eben nur die sinnfällige Erscheinung, die unser Auge und Ohr erregt, ihren Ausdruck findet. Es wallet und siedet und brauset und zischt - natürlich das Meer; aber ist mit "es" wirklich das Meer gemeint? wenn's von allen Zweigen schallt, die Sänger? Seht hin, wie's brandet, wie es wogt und Wirbel zieht - so hat's noch nie gerast in diesem Schlund - hat freilich Wasser und Wind schließlich zum Hintergrund, aber auch hier will der Ausdruck gewiß nicht dieses leicht hinzuzudenkende Subjekt fordern, sondern nur die stürmische Bewegung, die Unruhe der Elemente zeichnen. In einem Sinne können also solche Sätze allerdings als subjektlos gelten; es ist das materielle und invididuelle Ding-Subjekt, an dem die Erscheinung stattfindet oder das sie hervorbringt, in der Sprache nicht ausgedrückt, im Denken selbst nicht ausdrücklich beachtet; in einer anderen Richtung ist aber unzweifelhaft Subjekt und Prädikat im logischen Sinne vorhanden. Das Subjekt ist die konkrete sinnenfällige Anschauung und das Prädikatswort benennt diese und weist durch seine Endung auf den gegenwärtigen und damit wirklichen Vorgang hin. MIKLOSICH (Seite 26) hebt mit vollem Recht hervor, daß diese Fähigkeit, das Prädikat vom Ding-Subjekt loszulösen, als ein Vorzug der Sprache erscheine, dem Ausdruck sinnlihe plastische Kraft verleihe. (2)

12. Daß in den Fällen, wo das Subjekt wenigstens seiner Gattung nach bekannt, aber sprachlich nicht bezeichnet ist, das Pronomen "es" keine inhaltlich bedeutsame Funktion zu erfüllen hat, zeigt sich am besten daran, daß es in einer verwandten Gruppe von Sätzen je nach der Wortstellung stehen oder fehlen kann, nämlich in denjenigen, welche durch  Passiva  gebildet werden.

Wer aus einer Gesellschaft heimkehrend erzählt: Erst wurde gespielt, dann gespeist, dann getanzt, für den ist, was er wahrgenommen hat, eine nach allen Seiten vollständige Anschauung; er weiß, wer gespielt und getanzt hat und auch für den Hörenden ist soviel gewiß, daß es die Eingeladenen waren, wenn er sie auch nicht einzeln kennt. Daß sie sich mit irgendetwas die Zeit vertrieben haben, versteht sich von selbst; den Hörenden interessiert: womit? Damit gewinnt die gemeinsame Tätigkeit als solche selbständiges Interesse: es handelt sich wieder um einen Kollektiverfolg, bei dem der Anteil jedes Einzelnen gar nicht unterschieden werden kann und so erscheint die Aussage in der passiven Form, die als solche nach der Analogie auf die Handelnden hinweist, aber ihre Stelle leer läßt, da nur die ausgeübte Tätigkeit als solche bezeichnet werden soll. Auch hier kann man nicht fragen, was mit dem von der Verbalendung sonst angedeuteten Subjekt des Passivums gemeint sei; die intransitive Bedeutung vieler so gebrauchter Verba schließt ja den Gedanken an ein Objekt der Tätigkeit, also ein Subjekt des Passivums aus; wollte man ergänzen: Tänze wurden getanzt, so wäre das eine ganz überflüssige Tautologie und wer fragte: was wurde getanzt, der würde nicht eine Interpretation von "es", sondern eine Spezifizierung (Walzer, Menuett) verlangen; wenn mir im Gasthof gesagt wird: eben wir gespeist - soll gemeint sein, daß Speisen gespeist werden oder daß das Speisen gespeist wird? Der Kern der Aussage ist also auch hier eine  Benennung  der wirklich vor sich gehenden Tätigkeit, deren einzelne Subjekte nicht genannt zu werden brauchen, oder, da sie unbestimmt Viele sind, gar nicht bezeichnet werden können. Das logische und grammatische, durch die Verbalendung angedeutete Subjekt ist nur der konkrete, eine bestimmte Zeit erfüllende Vorgang, der durch das allgemeine Wort charakterisiert wird. Darum sind diese passiven Impersonalien ganz besonders zu imperativischer Verwendung geeignet; die Hausordnung sagt: Um 7 wird aufgestanden, um 8 gefrühstückt usw., umd die verlangte Tätigkeit für sich hervorzuheben. (3)

13. Eine besondere Gruppe bilden die Sätze, in denen körperliche und geistige Gefühlszustände ihren impersonalen Ausdruck finden. Mich friert, fröstelt, mich hungert, dürstet, schaudert, mir schwindelt, mir ist eng, bang, heiß, es drückt mich, würgt mich, sticht mich, brennt mich - könnte man eine Statistik der Sätze anlegen, in denen die Patienten ihre Klagen formulieren, so würde sich ein stattlicher Prozentsatz von Impersonalien ergeben. Und nicht weniger zahlreich und mannigfaltig sind die ähnlichen Ausdrücke für geistige Zustände des Gefühls und des Begehrens - mir graut's, mich gelüstet, mir wird von alledem so dumm - mich drängt's, den Grundtext aufzuschlagen - mir ist seltsam zumute - wie wird mir auf einmal, wie ist mir geschehen?

Was für unser Bewußtsein als Ausgangspunkt der Aussage vorhanden ist, kann keinem Zweifel unterliegen; es sind die vielfältigen Wechsel unserer Gefühlszustände, deren wir uns bewußt sind und die unwillkürlichen Regungen der Neigung und Abneigung, des Verlanges und des Abscheus, in denen wir uns zu diesem Gegenstand hingezogen, von jenem abgestoßen fühlen. Diese Erscheinungen unseres Lebens sind uns zum größeren Teil aus früheren Erfahrungen schon bekannt und wir wissen sie durch ein treffende Wort zu bezeichnen, zuweilen aber neu, mit nichts Früherem zu vergleichen: ich weiß nicht, wie mir wird, wie mir geschieht. Das Bewußtsein dieser Vorgänge und Zustände in meinem Innern ist das Faktum, das ausgedrückt werden soll. Da ich all das jedenfalls als  meine  Zustände empfinde, so scheint der nächste Weg, sie in Sätzen auszusprechen, in denen "ich" als Subjekt auftritt: ich friere, ich bin hungrig, habe Durst, fühle Schmerz, Angst usw. Aber es tritt hier ein ähnlicher Gegensatz ein, wie bei den äußeren Wahrnehmungen, bei denen das eine Mal das Subjekt, aus dem Tätigkeiten hervorgehen, für die Auffassung das erste ist, das andere Mal die Tätigkeit oder Eigenschaft, die auf das Subjekt erst bezogen wird. Für meine Selbstauffassung gehen deutlich aus mir selbst nur diejenigen Tätigkeiten hervor, die das Bewußtsein eines  Wollens,  wenn auch noch so verblaßt, einschließen; ich richte mich nach irgendeinem Ziel hin und bestimme meinen Zustand; wenn ich blicke, horche, taste, wenn ich Arm und Fuß bewege, dann ist das erste das Bewußtsein meines wollenden Ich, das in ein bestimmtes Tun übergeht; auch in sehen und hören sind wir uns noch eines aktiven Aufnehmens der Eindrücke bewußt, das in blicken und horchen zum ausgesprochenen Sehen- und Hörenwollen sich steigert. Liegt es der naiven Auffassung ja am nächsten, auch die Bewegung der äußeren Dinge als aus einem Streben und Wollen hervorgehend zu denken. Jene Gefühle aber kommen über mich, ohne daß ich will, gegen meinen Willen; ich erscheine mir nicht als der Tätige, sondern als der Angegriffene und Überfallene. Diesem Gedanken wird zunächst so Ausdruck gegeben, daß der Zustand, der über mich kommt, selbst personifiziert, als eine mich bewältigende Macht dargestellt wird: der Hunger befällt, der Frost schüttelt, das Entsetzen packt, das Weh ergreift, die Sehnsucht zieht, die Reue nagt, der Kummer drückt nieder. Alle diese Substantiva bedeuten schlechterdings nichts anderes, als die innerlich erlebten Gefühle selbst; statt sie aber als bloße Akzidentien an mir, als bloße Zustände meiner selbst zu fassen, werden sie wie selbständige Wesen betrachtet, die ihre Macht an mir ausüben. Derselbe Gedanke liegt aber zugrunde, wenn sie sich in Verba kleiden, deren Objekt ich selbst bin; das Eintreten und Fortdauern des Gefühls wird gedacht als eine auf mich gerichtete und mich ergreifende Tätigkeit, als ein über mich kommender Zustand. Aber ein Subjekt zu diesen verbalen Ausdrücken hungern, wohlsein usw. ist schlechterdings unvorstellbar, man kann es gar nicht suchen wollen; die Erscheinung geht in dem einfachen Gefühl auf, das nicht in ein Wirken und ein wirkendes Subjekt zerlegt werden kann; die Frage: was hungert, was dürstet micht, was ist mir bang, ist vollkommen sinnlos. Der sonstigen Analogie, wonach das Verbum einen substantivischen Begriff voraussetzt, können gerade diese Begriffe am wenigsten sich fügen; in ihnen am deutlichsten tritt der Widerspruch zwischen den herrschenden Formen der Sprache und dem Tatbestand, der in ihnen ausgedrückt werden soll, zutage, denn im unmittelbaren Innewerden eines Gefühls liegt ohne weitere Reflexion keine Andeutung eines dasselbe bewirkenden Agens. (4)

Die Sprache macht dabei übrigens einen bemerkenswerten Unterschied zwischen denjenigen Verben, die ausschließlich psychologische Bedeutung haben und denjenigen, welche zugleich Tätigkeiten der äußeren Welt bezeichnen. Während dort ebenso gut gesagt werden kann: mir graut oder mir graut's (HEINRICH, mir graut vor dir, wird gewöhnlich zitiert, obgleich GOETHE graut's geschrieben hat), kann man nicht ebenso sagen: micht sticht, mich brennt, mich würgt. Die sonstige Analogie scheint hier wenigstens den formellen Repräsentanten des wirkenden Subjekts zu fordern; daß mehr im Pronomen "es" liege, wird nicht behauptet werden können. Wenn ich einen Stich in der Seite empfinde und andeuten will, daß ich an eine Ursache denke, eine verborgene Nadel, ein Insekt oder dgl., so würde ich sagen: was sticht mich? es sticht mich etwas; sage ich einfach: es sticht mich, so will ich nur die spezifische Natur des Schmerzes bezeichnen, indem ich ihn dem durch eine Nadel hervorgebrachten vergleiche, der Gedanke einer Ursache aber will sich nicht fassen lassen; ich könnte als Subjekt eben nur den Schmerz selbst nennen, wie ich auch nicht passiv sage: ich werde gestochen, sondern ich habe oder fühle Stiche.

In einzelnen Fällen allerdings, wo in denselben Formen Bewegungen und Zustände erscheinen, die durch ihre Natur und den gewählten Ausdruck auf eine äußere Macht hinweisen, muß in "es" noch der Gedanke dieser Macht, wenn auch noch so verblaßt, anerkannt werden. Es riß mich hinunter blitzesschnell - wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen trieb mich's um - hat zu seiner Grundlage allerdings zunächst nur die Empfindung des raschen Fallens, der drehenden Bewegung; aber indem diese als eine nicht bloß unwillkürliche, sondern von  äußerer  Gewalt erzwungene gedacht und danach der Ausdruck gewählt wird, kann nicht geleugnet werden, daß die Andeutung dieser äußeren Macht, die allerdings nur in ihrer Wirkung erkennbar ist, noch im Pronomen enthalten sei, wie ja auch dem zweiten der angeführten Sätze unmittelbar vorangeht: "mich packt des Doppelstroms wütende Macht". Man wird also kaum mit MIKLOSICH (Seite 49) sagen können, daß es sich um eine Ursache handle,  deren man sich nicht bewußt ist;  das Bewußtsein einer Ursache ist da, nur wird sie eben insoweit gedacht, als sie die Wirkung ausübt, in ihrer weiteren Beschaffenheit bleibt sie für den Gedanken, wie für den sprachlichen Ausdruck unbestimmt. Wir haben es also in diesen und ähnlichen Wendungen mit einem eben verschwindenden wirklichen Subjekt, nicht mit einem reinen Impersonale zu tun.
LITERATUR - Christoph Sigwart, Die Impersonalien - eine logische Untersuchung, Freiburg/i. B. 1889
    Anmerkungen
    1) Im Vorbeigehen bin ich genötigt, mich mit der Kritik auseinanderzusetzen, welche MARTY in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, VIII. Jahrgang, 1. Heft 1884, Seite 56f gegen die in § 11 meiner Logik entwickelte Ansicht gerichtet hat, daß ein Teil der Impersonalien als bloße Benennung eines sinnlichen Eindrucks gefaßt werden könne. MARTY sagt, nachdem er andere Auffassungen angeführt, Seite 81: "Die Meinung, daß bei den Impersonalien ein individuelles Subjekt vorliege, gehört SIGWART an. Er glaubt nämlich, daß darin bloße Benennungsurteile über individuelle Eindrücke ausgesprochen seien."
    "Das ist in dieser Allgemeinheit falsch. Zunächst redet der zitierte § 11 nur von Impersonalien, die als  Wahrnehmungsurteile  auftreten, wie es blitzt, es kracht, deren Ausgangspunkt eine sinnliche Empfindung ist; der erste, an die sinnliche Empfindung sich knüpfende Akt sei die Benennung derselben. Aber die Verbalform, welche die Sprache zunächst dafür biete, fordere ein Ding, dessen Bezeichnung grammatisches Subjekt werden könne; die Stelle desselben werden nun zwar angedeutete, aber durch kein bestimmt angebbares Ding mehr ausfüllt. Wo aber die Andeutung des Subjekts, die in der Verbalendung sonst liege, zur leeren gewohnheitsmäßigen Form geworden sei und wir an die Frage:  was blitzt?  gar nicht denken, können die Impersonalien als bloße Benennungsurteile gelten, in denen das Objekt der sinnlichen Empfindung das Subjekt, die damit sich deckende allgemeine Vorstellung das Prädikat ist."
    "ein Subjekt zu diesen verbalen Ausdrücken hungern, wohlsein usw. ist schlechterdings unvorstellbar, man kann es gar nicht suchen wollen; die Erscheinung geht in dem einfachen Gefühl auf, das nicht in ein Wirken und ein wirkendes Subjekt zerlegt werden kann; die Frage: was hungert, was dürstet micht, was ist mir bang, ist vollkommen sinnlos."
    MARTY dehnt also, was ich nur von einem Teil derjenigen Impersonalien sage, die Ausdruck unmittelbarer Wahrnehmung sind, auf alle Impersonalien ohne Unterschied aus.
    Er fährt dann fort: "Was unter Benennungsurteil gemeint ist, sagt SIGWART nicht mit wünschenswerter Klarheit und Konsequenz. Seite 62 bezeichnet er nämlich als Benennungsurteil ein solches, dessen Inhalt eine Benennung ausmacht und das ist die nächstliegende Erklärung, auf die wohl jeder verfällt. Die Behauptung, daß ein größerer oder geringerer Kreis von Menschen einen gewissen Gegenstand so oder so benenne, ist gewiß im eigentlichsten Sinne als Benennungsurteil zu bezeichnen."
    Herr MARTY hat nicht nur mich gründlich mißverstanden, sondern befindet sich auch in bedenklichem Irrtum über den deutschen Sprachgebrauch. Ist denn ein Verdammungsurteil die Behauptung, daß "ein größerer oder geringerer Kreis von Menschen" einen Missetäter verdamme und nicht vielmehr das Urteil des Richters: er ist schuldig, das Urteil,  dessen Inhalt eben in der Verdammung besteht?  So ist ein Benennungsurteil ein solches, das eine Benennung vollzieht, dessen Inhalt eine Benennung ausmacht, nicht aber, wie MARTY meint deuten zu können, ein solches, das die Tatsache einer sonst üblichen Benennung konstatiert.
    Ich hatte also bei einem des Deutschen kundigen Leser kein Mißverständnis zu befürchten, umsoweniger als ich ausdrücklich erklärt hatte was ich meinte, wenn ich Seite 57 sagte: Das einfachste  Urteilen  ist das  Benennen  der einzelnen Gegenstände der Anschauung; der Gegenstand wird mit einer bekannten, mit einem Wort verbundenen Vorstellung Eins gesetzt; das Bewußtsein dieser Einheit spricht sich in der Benennung mit dem Wort aus. Vorher hatte ich oben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich von solchen Urteilen rede, welche die Wörter als Zeichen  bekannter  Vorstellungen verwenden, bei denen also in der Benennung ausgesprochen ist, daß das gegenwärtige Objekt mit einer  bekannten  Vorstellung übereinstimme. Wenn also MARTY mich belehren will, der Satz: diese Blume  ist  eine Rose, besage nicht dasselbe wie diese Blume  heißt  eine Rose, dieser  ist  SOKRATES etwas anderes als dieser  heißt  SOKRATES, so ist die Verwirrung, der er steuern möchte, nur von ihm selbst angerichtet. Wenn ich sage: Dieser  heißt  SOKRATES, so setze ich voraus, daß der Hörende mit dem Namen SOKRATES noch nicht die Vorstellung dieser bestimmten Person verbunden habe, sondern den Namen SOKRATES sich diesen hier zu denken; das Wort SOKRATES fungiert nur als Lautkomplex, der seine Bedeutung erst erhält. Sage ich aber: Dieser  ist  SOKRATES, so setze ich voraus, daß der Hörende den Mann gekannt oder von ihm gehört hat, also mit dem Namen schon die Vorstellung einer bestimmten Person verbindet, ich sage: die von ihm unter dem Namen SOKRATES vorgestellte Person ist mit der gegenwärtigen identisch.
    Darum hatte ich oben vorsichtig die Fälle, in denen als Subjekt oder Prädikat die Wörter als solche gemeint sind, als bloße Lautkomplexe,  die ihre Bedeutung erst erhalten sollen  (diesen Beisatz läßt MARTY aus), von den anderen Fällen unterschieden, in welchen vorausgesetzt wird,  daß sowohl der Sprechende als der Hörende ihre Bedeutung kennt.  Für jene Klasse von Sätzen hatte ich als Beispiele angeführt. ALEXANDROS ist PARIS, Jagsthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jagst. Das Subjektswort ist für den Hörenden zunächst leerer Name; die Sätze sagen, es sei der Name dessen, den er sonst unter dem Namen PARIS kennt, der Name eines Dorfes und Schlosses an der Jagst. MARTY bringt es fertig, auch das nicht zu verstehen; er sagt: Wer wird zugeben, daß ALEXANDROS und PARIS als  bloße Lautkomplexe  einanander gleichzusetzen seien?
    Ein - ich will nicht sagen gewissenhafter, aber wenigstens halbwegs vorsichtiger Kritiker sollte sich doch besinnen, ob der Autor nicht vielleicht etwas Verständliches sagt, ehe er ihm einen baren Unsinn zuschreibt; sonst fällt der Vorwurf der Gedankenlosigkeit, der in seiner Frage enthalten ist, nur auf ihn selbst zurück.
    Mit den gegebenen Unterscheidungen erledigt sich auch eine Bemerkung Seite 83. Was ich als Benennen bezeichne, dafür möchte MARTY lieber Klassifikation durch Wiedererkennen sagen. Allerdings, meint er dann, gehen Klassifizieren und Benennen häufig Hand in Hand. Aber es gebe Benennungen, die kein Wiedererkennen involvieren, wie bei Neubildung von Namen, wo eine Unterscheidung des Neuen vom bisher Gekannten zugrunde liege. Ganz einverstanden; aber die Belehrung ist überflüssig, denn ich habe diesen Unterschied Seite 328 selbst bestimmt hervorgehoben, in dem Zusammenhang aber, den MARTY kritisiert, ausdrücklich nicht von neuen, sondern von gewohnten Bezeichnungen gesprochen.
    Seite 85 wendet sich MARTY gegen meine Annahme, daß in jedem Urteil, sofern es gesprochen wird und verstanden sein will, implizit die nominale Richtigkeit der Aussage, d. h. die Übereinstimmung meines Gebrauchs der Wörter mit dem allgemeinen Sprachgebrauch mitbehauptet sei; sage ich, dies ist rot, so setze ich voraus, daß ich rot nenne, was alle Welt rot nennt; umd diese nominale Richtigkeit drehe sich aller bloße  Wortstreit.  MARTY gibt zu, der Glaube, daß alle Welt dasjenige Schnee nennt, was ich so nenne, sei die  Voraussetzung,  daß ich in redlicher Absicht den Satz äußere: dies ist Schnee. Aber man könne nicht sagen, daß dieses sprachliche Urteil implizit mitbehauptet sei. Ist denn aber das nicht eben auch nur Wortstreit? Welcher große Unterschied ist denn hier zwischen "vorausgesetzt" und "implizit mitbehauptet"? Sieht es nicht aus, als wollte MARTY um jeden Preis etwas finden, woran er nörgeln könnte?
    Soviel hatte MARTY dagegen einzuwenden, daß ich die Sätze: das ist SOKRATES, das ist ein Hund, das ist Schnee als Benennungsurteile bezeichne.
    Aber nun führt er Seite 87 den Hauptschlag.  Vollkommen entscheidend  gegen meine Auffassung, daß in Sätzen wie: es blitzt, es brennt, nur die Benennung eines gegenwärtigen Eindruckes gefunden werden könne, sei das, daß diese Sätzchen nur dann den Sinn von "das ist ein Blitz" usw. haben könnten, wenn ein sinnlicher Eindruck vorliegt, auf den der  Sprecher  und die  Hörenden  bereits aufmerksam geworden sind und der nun bloß beschrieben werden soll. "Wo aber bleibt diese Zweigliedrigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden Vorstellung, wenn ich zu einem in seine Arbeit vertieften Freund ins Zimmer tretend sage: es regnet, es brennt in der Vorstadt? Nach SIGWART könnte dieser den Satz nicht verstehen, ehe er, durch's Fenster sehend, das Subjekt zu diesem (vermeintlichen) Prädikat erblickt. Und wohin soll er blicken, wenn ich sage: Es spukt wieder einmal in der Türkei, unserem Freund in London geht es besser, es fehlt dem Staat an Geld?"
    Herr MARTY ist in seine eigene Arbeit so vertieft und darum so zerstreut, daß er völlig übersehen hat, von was der bekämpfte Paragraph redet, nämlich nur von Impersonalien, die ursprünglich als  Wahrnehmungsurteile  auftreten. Die Sätze: Es spukt wieder einmal in der Türkei, es fehlt dem Staat an Geld, wird Herr MARTY, so Erstaunliches er in unüberlegten Mißverständnissen leistet, mir doch nicht unter das schieben wollen, was ich als Wahrnehmungsurteile bezeichne. Aber auch das andere Beispiel trifft nicht ganz zu. Wenn ich, in's Zimmer tretend melde: "Es brennt in der Vorstadt", so ist das schon kein ursprüngliches Wahrnehmungsurteil, sondern eine vermittelte und abgeleitete Aussage, die schon, indem sie die Fortdauer des Brandes voraussetzt, über die Wahrnehmung hinausgeht und damit eine andere Färbung annimmt.
    Bleiben wir also beim wirklichen Wahrnehmungsurteil: "Es blitzt." Wäre es ein Benennungsurteil, sagt MARTY, so könnte es nur verstanden werden, wenn ein sinnlicher Eindruck vorläge, auf den der Sprecher  und die Hörenden  bereits aufmerksam geworden sind; der Hörende müßte also, um es zu verstehen, durch's Fenster geblickt haben. Benennungsurteil, die sich an einen zweiten wenden, setzen allerdings häufig voraus, daß der sinnliche Eindruck auch dem Hörenden zugänglich ist; aber das ist unumgänglich notwendig und sind sie im anderen Fall unverständlich? Und wie bewiese das, was der Hörende tut oder nicht tut, für das, was im Sprechenden vorgeht? Ich gehe von demjenigen aus, der zunächst für sich das Urteil ausspricht: "es blitzt". Wie dieses Urteil anders zustande kommen soll, als so, daß er das Leuchten am Himmel sieht, als Blitz erkennt und mit dem Wort Blitzen benennt, ist mir unerfindlich; diese Benennung und damit die "Zweigliedrigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden Vorstellung" ist  jedenfalls  in dem Urteil enthalten und jeder, der es hört, setzt voraus, daß der Redende das Leuchten gesehen und als Blitzen erkannt haben muß.
    Die Frage ist nur, ob für den Sprechenden  mehr  darin enthalten ist, als diese Benennung der momentan gesehenen Erscheinung; und MARTY sagt: wäre es ein bloßes Benennungsurteil, so würde der Hörende es nicht verstehen können, wenn er den Blitz nicht selbst gesehen und also das Subjekt zum vermeintlichen Prädikat erblickt hätte.
    Er muß sehr trägen Geistes sein, jener in seine Arbeit vertiefte Freund, wenn er den Ruf "Feuer oder "der Storch" auf der Straße, im Nebenzimmer den Ruf "der Vater" nicht versteht; wenn er, an einer Menageriebude außen vorbeigehend, ratlos vor dem Rätsel steht, was bedeuten soll: dieses ist ein Kamel, das ist der große Königstiger, wobei doch sicher ein Benennen oder, wie MARTY will, ein "Klassifizieren durch Wiedererkennen" stattfindet. Einem nicht vertieften Menschen wenigstens trauen wir zu, daß er sich das Nötige dazu denkt, daß, wenn einer neben ihm stehend sagt: das ist eine Sternschnuppe, das ist ein Schuss - er genau ebenso viel versteht, als wenn er sagt: es blitzt, es donnert; er denkt sich, daß der Redende das wirklich gesehen oder gehört hat, was er mit den Worten bezeichnet und schließt daraus, daß die entsprechende Erscheinung stattgefunden hat, auch wenn er sie nicht selbst sah oder hörte; und nach dem gehörten Wort macht er sich ein flüchtiges Bild derselben, das Allgemeine in's Einzelne zurückübersetzend; er tut dasselbe was er  jeder  Beschreibung gegenüber tun muß.
    MARTY selbst setzt (a. a. O. VIII 3, Seite 300f) ganz richtig auseinander, daß jede Aussage in erster Linie eine Kundgebung dessen sei, was der Redende vorstellt und dadurch gerade erst ein Mittel, in dem Hörenden dieselbe Vorstellung zu erwecken; dieser ist aufgefordert, aus den Worten auf den inneren Vorgang zu schließen, der im Redenden die Aussage hervorgebracht hat. Das trifft auch hier vollständig zu. Wenn wir alles aussprechen wollten, was zum Verständnis unserer Rede notwendig mit gehört, würden wir gar nie zu Ende kommen können, wir müssen uns darauf verlassen, daß der Hörende verständig genug ist, das Nichtausgesprochene zu ergänzen; gerade wie, wer ein Buch schreibt, gar nicht verhindern kann, daß, wer es unaufmerksam liest, seine Sätze mißversteht und die "wünschenswerte Klarheit" vermißt.
    Nach den gegebenen Proben kann ich dem Leser und mir ersparen, MARTYs noch lange, noch durch ein weiteres Heft fortgehender Kritik zu folgen. Die Theorie BRENTANOs, der er sich mit MIKLOSICH im Wesentlichen anschließt, wird später besprochen werden.
    2) In einzelnen Fällen hat der Sprachgebrauch solchen Wendungen bestimmtere Bedeutung gegeben als der Wortlaut mit sich bringt; "es brennt" könnte schließlich von jedem Feuer gesagt werden und es wird wohl in einem Sinne gesagt, wo "es" eigentliches Pronomen ist, ein bestimmtes Feuer oder den brennbaren Gegenstand selbst meint; wo es impersonal gebraucht wird, meint es ein Schadenfeuer. Daß irgend etwas brennt, ein Haus, eine Scheune, ein Wald, versteht sich von selbst und ist gar nicht zweifelhaft: aber dieses im Einzelnen zunächst unbekannte Subjekt ist nicht gemeint - dann würde gesagt etwas brennt -, sondern nur die Tatsache, daß da oder dort, in einer bestimmten Richtung ein Brand ausgebrochen ist; die Röte am Himmel, die Feuerglocke zeigt mir zunächst nur die Erscheinung des Feuers an; ich frage zunächst: wo brennt's? und dann erst: was brennt?
    3) Der Sprachgeschichte muß ich überlassen, die Entstehung der ganz irrationalen Anwendung reflexiver Formen - hier sitzt sich's bequem, hier läßt sich's leicht gehen, von eurer Fahrt kehrt sich's nicht immer wieder - nachzuweisen; unzweifelhaft aber scheint mir zu sein, daß auch hier der Zustand oder die Tätigkeit für sich, ohne Beziehung auf ein explizit hinzugedachtes Subjekt ausgedrückt ist. Meist erscheinen diese Reflexiva mit einem qualitativ bestimmenden adverbialen Beisatz und dieser enthält, was eigentlich ausgesagt werden soll: das Sitzen ist bequem, das Gehen ist leicht; denselben Sinn hat auch: hier ist bequem sitzen.
    4) MIKLOSICH übertreibt einen Gedanken, der für die Genesis der impersonalen Ausdrucksweise überhaupt berechtigt ist, wenn er ihn durch die einzelnen Fälle durchführend meint, "mich friert" können derjenige nicht sagen, der sich freiwillig der Kälte aussetze. Wer im Winter in die Kirche oder auf die Jagd geht, wird der immer so genue unterscheiden, daß ihm kein "mich friert" entschlüpft?