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Der Wirklichkeitsgedanke [8/13]
X. Ein anderes ist es, einen Tatbestand seinem Wesen nach klarlegen, ein anderes die Bedingungen feststellen, unter denen er auftritt. Jenes haben wir im vorigen Abschnitt getan, dieses soll jetzt unsere Aufgabe sein. Die Bedingungen oder Motive oder Ursachen des Wirklichkeits-Vorganges, von denen wir jetzt sprechen wollen, teile ich in unmittelbare und mittelbare ein, erstere sind gegenwärtiges oder früheres Wahrnehmen des fraglichen Inhaltes, Mitteilungen und Schlüsse, letztere gewisse Eigentümlichkeiten des Inhaltes selbst. Zwar treten die genannten Motive fast nie in reinlicher Scheidung auf, sondern ergänzen sich gegenseitig, trotzdem sollen sie hier, soweit möglich, abgesondert voneinander behandelt werden. 1. Unmittelbare Wahrnehmung belehrt zunächst über die Wirklichkeit der Umgebung oder ist vielmehr bereits das für wirklich halten derselben. Da es nicht sowohl Motiv für wirklich halten derselben. Da es nicht sowohl Motiv für den Wirklichkeitsvorgang als vielmehr dieser selbst ist, hat es bereits früher ausführlich behandelt werden müssen und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Besprechung. Früheres Wahrnehmen ist die Ursache, einen gegenwärtig reproduzierten Inhalte als vergangene Wirklichkeit zu bewerten. Ich habe z. B. auf meinem Spaziergang den Brand eines Hauses bemerkt und halte ihn, in meiner Wohnung angelangt, für verflossene Wirklichkeit (für noch gegenwärtige Wirklichkeit dagegen kann ich ihn nur aufgrund von Schlüssen halten, die auf der Erfahrung fußen, daß ein größerer Brand nicht plötzlich verlischt), die frühere Wahrnehmung ist also Bedingung des gegenwärtigen Wirklichkeitsvorganges. Bei genauerem Zusehen findet man jedoch, daß diese Bedingung noch nicht hinreicht. Vielmehr ist außerdem nötig, daß der fragliche Inhalt zur Zeit, als er wahrgenommen wurde, mit anderen Wahrnehmungen in assoziative Beziehung gesetzt, daß er als Teil einer objektiven Situation aufgefaßt worden ist. Die bloße Wahrnehmung begründet zwar die Möglichkeit einer Reproduktion, jedoch nicht eines Wirklichkeit-Vorganges. Da letzterer, wie wir gesehen, darin besteht, daß ein Inhalt als Glied des Wirklichkeitszusammenhanges gedacht wird, so erfordert er als notwendige Vorbedingung, daß der Inhalt bereits vorher unter dem Zwang der sinnlichen Erfahrung in diesen Zusammenhang eingereiht wurde. Der Vorgang wird, wie man sieht, von einem Assoziationsgesetz beherrscht, welches lautet: Inhalte, die gleichzeitig wahrgenommen wurden, werden bei späterer Reproduktion nach der Gleichartigkeits kategorie assoziiert. Dieses Gesetz bildet die wichtige Ergänzung des Gesetzes der Gewöhnung, welches Assoziation auf frühere Kontiguität zurückführt. Dort hörten wir, wann Vorstellungen assoziiert werden, hier wird uns gesagt, wie sie assoziiert werden. Ohne die Gültigkeit dieses ergänzenden Gesetzes würden wir in betreff der Wirklichkeitsbewertung von Reproduktionen ratlos sein oder vielmehr ihre Wirklichkeitsbewertung wäre rein unmöglich. Ich will versuchen, Sinn und Bedeutung dieses fundamentalen Gesetzes an einem Beispiel darzulegen, das ihm auf den ersten Blick zu widersprechen scheint. Es soll jemand in dunkler Nacht, während er aufwacht, irgendeine sinnliche Wahrnehmung machen, etwa das Aufflammen eines Streichholzes sehen und sogleich wieder einschlafen. Beim Erwachen wird er sich vielleicht des nächtlichen Vorfalles erinneren und ihn sogar als vergangene Wahrnehmung im Gegensatz zu einem - an sich auch möglichen - vergangenen Gedanken charakterisieren können. Ich behaupte, daß dieser Erinnerungsvorgang nur möglich ist, wenn die nächtliche Wahrnehmung mit Inhalten assoziiert wurde, deren objektive Wirklichkeit jetzt anerkannt wird. Die betreffende Person muß gewußt haben, daß sie sich in ihrem Schlafzimmer befand, daß in diesem der Vorfall sich abspielte, sie muß zum mindesten Organ- oder Druckempfindungen gehabt haben, die sie wiedererlebt und sie muß den fraglichen Inhalt mit derartigen gleichzeitigen Wahrnehmungen in Beziehung gesetzt haben. Ist derselbe nämlich, während er vorüberzog, völlig isoliert geblieben, so ist nicht abzusehen, wie man es anfangen sollte, sich seiner zu erinnern, d. h. ihn für ein objektives Ereignis der vergangenen Nacht und nicht etwa für ein in der kommenden Nacht erwartetes oder sonst etwas zu halten. Ein intuitives Erfassen der Vergangenheit gibt es nicht, es ist nicht so, daß sie vor dem geistigen Auge ausgebreitet liegt, wie die Landschaft vor dem leiblichen. Daraus folgt, daß die frühere Wahrnehmung für sich allein den Wirklichkeitsvorgang noch nicht hervorrufen kann, daß ein weiteres hinzugekommen sein muß und dieses kann in nichts anderem als einer Assoziation bestanden haben. - Daß simultane Assoziationen aufgrund der Wahrnehmung von räumlich nebeneinander befindlichen Objekten entstehen und dann bei Reproduktionen die Vorstellung der räumlichen Beziehungen wieder aufleben lassen, sukzessive Assoziationen dieselbe Rolle für das zeitliche Nacheinander spielen, ist nach unseren früheren Ausführungen selbstverständlich. In der letzteren Behauptung liegt auch die Antwort auf die neuerdings von POCH gestellte Frage, (1), wie wir es fertig bringen, von zwei gleichzeitig reproduzierten Objekten das eine für zeitlich früher als das andere zu halten. POCH selbst gibt drei Antworten: erstens sollen wir die späteren Objekte im allgemeinen genauer reproduzieren als die früheren, zweitens das Spätere öfter als Wirkung der Früheren erkennen, drittens sol, da man sich bei der Wahrnehmung des späteren Objektes des früheren erinnerte, nun auch die Reproduktion des späteren mit der Erinnerung des früheren verknüpft sein. Daß die beiden ersten Antworten nur als Aushilfen in Betracht kommen, gibt POCH selbst zu. Oft genug erinner man sich des längst Verflossenen weit genauer als der jüngsten Vergangenheit und einen ursächlichen Zusammenhang erkennt man weder immer noch auch nur in der Mehrzahl der Fälle zwischen zwei im Verhältnis der zeitlichen Sukzession stehenden Objekten, abgesehen davon, daß wir zur Feststellung kausaler Beziehungen gar nicht gelangen könnten, wenn wir nicht bereits die Fähigkeit hätten, das Frühere vom Späteren zu unterscheiden. Aber auch mit der dritten Antwort ist nicht viel gewonnen. Zunächst vermissen wir an ihr eine genauere Bestimmung, woran ich denn erkenne, welche von zwei Vorstellungen, die gegenwärtig beide Reproduktionscharakter tragen, schon ursprünglich mit der Reproduktion der anderen verbunden, welche ursprünglich ohne die andere vorhanden war. Auch würde ein Kennzeichen, wie das hier angegebene, in vielen Fällen irreführen. Es ist möglich, daß, während ich ein objektives Geschehen erlebe, ich bereits an das ihm nachfolgene Geschehen denke. Die Wahrnehmung eines emporgeschleuderten Balles kann in mir die Vorstellun der demnächst erfolgenden Abwärtsbewegungen reproduzieren. Hier ist also von den beiden Objekten das wahrgenommene das Frühere, das gleichzeitig mit der Wahrnehmung gedankenhaft vorgestellte das Spätere, gerade umgekehrt, wie es dem von POCH vorausgegetztem Schema entsprechen würde. Ferner widerspricht der POCHschen Erklärung die Tatsache, daß man gelegentlich der Wahrnehmung des späteren Objektes keineswegs an alle früheren Wahrnehmungen denkt, zu denen man die spätere Wahrnehmung gelegentlich ihrer Reproduktion in das richtige zeitliche Verhältnis zu setzen vermag. Hier wäre man zu der weiteren Hypothese genötigt, daß jener neu auftretende Bewußtseinsinhalt mit allen Inhalten, die einmal vorhanden gewesen, jetzt aber unbewußt sind, in assoziative Beziehung treten kannn, mit welcher Hypothese man sich von dem empirisch Nachweisbaren doch weit entfernen würde. (2) Höchst ungezwungen erklärt sich dagegen alles nach unserer Annahme, daß die Feststellung der zeitlichen Beziehung zwischen zwei Objekten A und B dadurch ermöglicht wird, daß zwischen ihnen ein assoziativer, im allgemeinen mittelbarer Zusammenhang hergestellt ist, bei welchem die Übergangsrichtung A-B die bevorzugte ist. Da der Übergang, so nehmen wir an, unter dem Zwang der Wahrnehmung einmal in bestimmtem Sinne erfolgte, geht er bei späterer Reproduktion in diesem Sinne bequemer vor sich als im entgegengesetzten und diese Tatsache kommt zu unmittelbarem Bewußtsein. Ein Beispiel mag das näher erläutern. Ich nehme an, ich hätte während einer Gesellschaft mit einem Bekannten ein ziemlich gleichgültiges Gespräch, später mit einem zweiten ein besonders interessantes Gespräch geführt. Am nächsten Tag bin ich dann im allgemeinen imstande anzugeben, welches von beiden Gesprächen früher und welches später war. Soll dieses etwa darauf beruhen, daß ich mich während des zweiten Gespräches des ersten erinnerte? Jeder Unbefangene wird zugeben, daß diese Erklärung den Tatsachen Gewalt antut. Auch dann, wenn das zweite Gespräch mich in so hohem Grad fesselte, daß es mir nicht einfiel, unterdessen an das erste, vielleicht höchst gleichgültige, zu denken, ist die nachträgliche richtige zeitliche Gruppierung sehr wohl möglich. Die einzig mögliche und wie ich glaube auch durch Selbstbeachtung zu bestätigende Erklärung ist vielmehr die, daß beide Gespräche in einen assoziativen Zusammenhang gebracht wurden, indem man sie als Teile gewisser Situationen auffaßte und außerdem gewisse die Situationen verbindende objektive Zwischenglieder kennen lernte. Später werden alle diese Inhalte reproduziert und assoziiert, wobei man die eine Übergangsrichtung als die bequemere empfindet. Man erinnert sich z. B., daß man das erste Gespräch führte, während man im Begriff war, zu Tisch zu gehen, das zweite, während man sich, ein angenehmes Sättigungsgefühl verspürend, im Rauchzimmer befand und reproduziert außerdem in summarischer Weise die dazwischenliegenden Ereignisse, immer mit der Neigung den Übergang von Vorstellung zu Vorstellung in bestimmtem Sinne zu vollführen. Das frühere zeitliche Verhältnis kommt dadurch in unveränderter Weise zum nochmaligen Ausdruck und hierin besteht die Feststellung des ursprünglichen Verhältnisses. Der einzige Einwand, den man gegen unsere Auffassung mit einer gewissen Berechtigung erheben könnte, ist der, daß die einmalige unter dem Zwang der Wahrnehmung in bestimmter Richtung erfolgte Assoziation es kaum bewirken könnte, daß diese Übergangsrichtung vor der entgegengesetzten bereits so sehr bevorzugt wäre, daß sie als merklich bequemer empfunden werden könnte. Hier treten nun allerdings andere, früher gemachte Erfahrungen unterstützend ein. Daß ich mich in Gesellschaft später im Rauch- als im Eßzimmer befinde, oder gar, daß ich das Sättigungsgefühl später als das Niedersetzen an der Tafel erlebe, habe ich so oft erfahren, daß der Zug der Vorstellungen auch in unserem Beispiel in die entsprechende Richtung gedrängt wird. Wären diese vorbereitenden Erfahrungen nicht da, so würde ich in der Tat in unserem Fall über das zeitliche Verhältnis der Gespräche wahrscheinlich in ziemlicher Ungewißheit sein. Mit dieser Behauptung geben wir jedoch vom Prinzip unserer Erklärung nicht das geringste Preis. Denn jene vorbereitenden Erfahrungen würden als solche gar nicht ins Gewicht fallen, wenn sie nicht in der von uns angenommenen Art einen assoziativen Zusammenhang mit bevorzugter Übergangsrichtung begründet hätten. Nicht ein neues Moment haben wir in ihnen zu erblicken, sondern nur die Verstärkung des alten, dessen Berechtigung wir erweisen wollten. Freilich beruth diese Verstärkung zum Teil auch schon auf Gesetzen, die erst im folgenden zur Besprechung kommen. 2. Wir halten Inhalte für wirklich aufgrund von Schlüssen. Hierhin rechne ich jede Wirklichkeitsbewertung, die sich nicht ausschließlich auf die gegenwärtige oder frühere Wahrnehmung des Inhaltes stützt, sondern die Verwertung anderer Erfahrungen voraussetzt. Ein Schluß ist es, wenn ich die Rückseite eines vor mir liegenden Steines, seine Härte (ohne ihn zu berühren), die bevorstehende Abwärtsbewegung eines emporgeworfenen Körpers, die Straße vor meinem Haus (falls ich daran denke, daß, seit ich sie zuletzt gesehen habe, Zeit verflossen ist), für wirklich halte. Das Schema, nach dem diese Vorgänge erfolgen, ist bis zu einem gewissen Grad bei ihnen allen dasselbe. Zunächst muß man aufgrund von Wahrnehmungen zwei Komplexe, deren jeder einer bestimmten Ähnlichkeitsgruppe angehört, hinreichend oft in bestimmter Weise assoziiert und sich so einen Wirklichkeitstypus zum geistigen Besitz gemacht haben. Diese Typen unterscheiden sich von den oben behandelten Formen, in denen wir die Wirklichkeit auffassen, dadurch, daß sie dieselben nicht in ihrer vollen Allgemeinheit darstellen, sondern sie mit bestimmten Inhalten erfüllen, die jedoch im Sinne gewisser Ähnlichkeiten variabel sind. Wird nun ein Komplex aus einer dieser Ähnlichkeitsgruppen gegeben, so reproduziert man einen solchen aus der zugehörigen Gruppe, assoziiert beide in der gewohnten Weise und vollzieht so einen W-Vorgang. Das Gesagte bedarf einer näheren Ausführung und zwar hauptsächlich an den beiden fruchtbarsten Wirklichkeitstypen, dem der Beharrlichkeit und dem der Kausalität. Die Erörterung über den ersteren und wichtigeren behalte ich mir für eine spätere Gelegenheit vor, da sie an dieser Stelle zu viel Raum beanspruchen würde, über die Kausalität, die gleichfalls ein wichtiges Motiv für W-Vorgänge liefert, seien einige Bemerkungen gestattet. Der erste, der über das Kausalitätsproblem klare Gedanken gehabt hat, ist bekanntlich DAVID HUME. Er lehrte, daß die "Vorstellung der Ursache und Wirkung aus der der Erfahrung stammt; sofern diese uns lehrt, daß bestimmte Gegenstände in allen früheren Fällen beständig miteinander verbunden gewesen sind. (3) Finden wir nun später den einen dieser Gegenstände wieder vor, so stellen wir uns vermöge der Einbildungskraft auch den zweiten als wirklich vor, mag er auch unserer Wahrnehmung entzogen sein." Es ist klar, daß unsere bisherigen Erörterungen dazu drängen, uns im wesentlichen auf den Standpunkt HUMEs zu stellen. Gleich HUME nehmen wir an, daß der Kausalitätsgedanke unter dem Einfluß der Wahrnehmungen, deren Inhalte nach Assoziationsgesetzen verknüpft werden, heranreift. Der Kausalitätsbegriff ist weder in bewußter noch unbewußter Form von vornherein vorhanden, sondern er wird allmählich gewonnen, nachdem vorher in einer Unzahl von einfacheren Einzelfällen kausale Verhältnisse festgestellt sind. Das kleine Kind bemerkt z. B., wie auf gewisse von ihm ausgeführte Bewegungen - Schwingen der Klapper, Aufstoßen der Faust auf den Tisch u. a. - bestimmte Geräusche folgen und es muß, nachdem die zugehörige Assoziation - sukzessive Gleichartigkeitsassoziation - hinreichend eingeübt ist, sobald der erstere Vorgang wahrgenommen wird, die Vorstellung des letzteren reproduzieren und als unmittelbar bevorstehende objektive Wirklichkeit bewerten. Indem derartige Erfahrungen auf immer neuen Gebieten angestellt und miteinander verglichen werden, kann schließlich der allgemeine Kausalitätsgedanke zur Entstehung kommen. Die ihm zugrunde liegende Vorstellungsform ist einfach die unmittelbare sukzessive Gleichartigkeitsassoziation von zwei Vorgängen. Dadurch, daß diese Formen auf bestimmte zueinander gehörige Ähnlichkeitsgruppen bezogen werden, entwickelt sich der Wirklichkeitstypus der Kausalität, der nun seinerseits Veranlassung gibt, Inhalte für wirklich zu halten, die nicht wahrgenommen werden. Fragt man, wie oft denn zwei Inhalte A und B unmittelbar nacheinander erlebt sein müssen, damit der zweite erwartet wird, wenn der erste eintritt, so ist darauf zu antworten, daß das vom Temperament (der wissenschaftlichen Besonnenheit) des Beobachters abhängt, außerdem aber davon, ob zwischen ähnlichen Inhalten ( A' - B', A'' - B'' , usw.) bereits kausale Beziehungen vorhanden sind. Der Physiker, der in einem Falle bemerkt, daß eine Magnetnadel ihre Lage verläßt, während ein elektrischer Strom an ihr vorbeigeführt wird, kann daraufhin noch nicht beide Erscheinungen in kausale Beziehungen setzen; wiederholt er genau denselben Versuch hundertmal mit Erfolg, so ist diese Beziehung nahezu gesichert. Weit rascher kommt er jedoch zum Ziel, wenn er untersucht, ob zwischen ähnlichen Vorgängen das gleiche Verhältnis der Sukzession besteht, mit anderen Worten, wenn er die Bedingungen des Versuches variiert. Er muß die Lage des Drahtes ändern, indem er etwa mit ihm der sich entfernenden Nadel folgt, andere magnetische Nadeln benutzen, durch Drehung der Kurbel am Rheostaten [Widerstand für hohe Lasten - wp] die Stromstärke durch alle möglichen Intensitäten hindurchführen usw. Bleibt dann der Erfolg der Ablenkung der Nadel derselbe, wie es in der Tat der Fall ist, so ist das kausale Verhältnis gesichert. Nehmen wir dagegen an, ein Physiker experimentiere zunächst nur mit einem Strom von 10 Ampere und habe aufgrund von hinreichend zahlreichen Beobachtungen, in denen die Bedingungen außer der Stromintensität variiert wurden festgestellt, daß dieser Strom Ursache der Ablenkung der Magnetnadel ist, so kann er jetzt die Frage, ob ein Strom von 11 Ampere dieselbe Wirkung ausübt, bereits aufgrund von 1 bis 2 Versuchen entscheiden. Der Umstand, daß die Assoziation zwischen ähnlichen objektiven Vorgängen bereits vollzogen ist, erleichtert sehr wesentlich die Assoziation zwischen den neuen Objekten. Im letzten Grund wird also die Vorherbestimmung der Wirklichkeit nach kausalen Beziehungen durch das Gesetz bestimmt, daß die Assoziation von zwei Inhalten A und B nicht nur davon abhängt, daß gerade diese Inhalte öfters unter dem Zwang der Wahrnehmung in bestimmter Art assoziiert wurden - das wäre eine zu äußerliche Auffassung der Kausalität - sondern auch davon, daß dieses mit ähnlichen Inhalten öfters geschehen ist; der einzelne Fall erlangt größeres Gewicht, wenn ihm verwandte Fälle zur Seite stehen. - Fragt man, woher es kommt, daß man geneigt ist, in der kausalen Beziehung etwas zu erblicken, was über den Bereich der Assoziation hinausgeht, so ist erstens darauf hinzuweisen, daß man den Begriff der Assoziation meistens allzu eng und roh auffaßt und so die feineren Nuancen, die in ihm enthalten sind, übersieht, zweitens aber ist die Tatsache nicht zu verkennen, daß das Bewußtsein des kausalen Verhältnisses von einem besonderen Gefühl begleitet ist, das beim Bemerken der bloß zeitlichen Sukzession nicht vorhanden ist. Aber eine eigentliche Schwierigkeit liegt in diesem letzteren Umstand nicht. Es ist sehr wohl möglich, daß da, wo eine psychische Tätigkeit aufgrund sehr eingehender Übung sich mit besonderer Sicherheit und Selbstverständlichkeit vollzieht, derart, daß wir gar nicht daran denken, daß sie auch anders erfolgen könnte, ein Gefühl entsteht, das sonst nicht auftritt. In keinem Fall dürfen wir in ihm den Beweis erblicken, daß wir es mit einem Vorgang zu tun haben, der den Assoziationen gegenüber etwas völlig Neues enthält; vielmehr liegt hier ein Spezialfall des wichtigen psychologischen Gesetzes vor, daß Gefühle auch dann qualitativ verschieden sein können, wenn die inneren Vorgänge, die sie veranlassen, nur graduelle Verschiedenheit zeigen. (Man denke z. B. an die Gefühle der Lust bzw. Unlust, die sich an Empfindungen von gleicher Qualität, jedoch verschiedener Intensität knüpfen können.) Diese Andeutungen mögen genügen.
1) Wir kennen kausale Beziehungen, lange bevor wir an die quantitative Gleichheit der Vorgänge denken. Wenn ich einen Gegenstand hin und her schwinge, so ist allerdings die lebendige Kraft der Schallbewegung im wesentlichen gleich der von mir geleisteten Arbeit (genauer gleich dieser Arbeit vermindert um die erzeugte Wärmemenge), allein ich bin über die kausale Beziehung völlig sicher, auch ohne von der Gleichheit der Energieformen das geringste zu wissen. 2) Die Feststellung der quantitativen Gleichheit wird in vielen Fällen erst unter der Voraussetzung der Gültigkeit einer kausalen Beziehung der qualitativ verschiedenen Prozesse möglich, die letztere kann also nicht durch die erstere erkannt sein. Daß eine gewisse Wärmemenge (Q) ebensoviel Energie ist, wie eine gewisse mechanische Arbeit (A), kann nicht durch bloße Vergleichung von Q und A erkannt werden, sondern wird erst aufgrund der Anerkennung eines kausalen Verhältnisses zwischen Q und A angenommen. Selbst die Proportionalität zwischen Q und A kann in aller Strenge erst nach Feststellung der Kausalität nachgewiesen werden. Die Wärmemenge eines Körpers wird gemessen durch die Temperaturerhöhung, die er der Gewichtseinheit gerade geschmolzenen Eises mitteilen kann, die Temperatur aber setzte man anfänglich proportional der Ausdehnung des Quecksilbers oder eines der sogenannten permanenten Gase. Diese Annahmen waren jedoch nicht nur ganz willkürlich, sondern sogar unzutreffend, wie der Vergleich zwischen den nach dieser Methode bestimmten Temperaturen und den entsprechenden Arbeitsmengen zeigt. Eine einwandfreie Messung von Wärmemengen ist also nur möglich durch experimentelle Bestimmung der ihnen äquivalenten Arbeitsmengen. Die Gleichung Q = A konnte also nicht so gewonnen sein, daß man Wärme- und Arbeitsmengen unabhängig voneinander maß und die Resultate miteinander verglich, - das hatte geradezu die Ungleichheit beider Größen ergeben - sie konnte vielmehr erst aufgestellt werden, als man schon davon überzeugt war, daß hier kausale Beziehungen obwalten. Zu dieser Überzeugung muß man also auf irgendeinem anderen Weg gelangt sein als durch Erkenntnis einer quantitativen Gleichheit. Das wäre aber ganz unmöglich, wenn Kausalität nichts anderes bedeutete als quantitative Gleichheit. 3) Wir vermissen bei MAYER eine Erklärung darüber, was man unter quantitativer Gleichheit zweier qualitativ verschiedener Vorgänge verstehen sollen. Gleichheit kann mit Erlaub bei verschiedenartigen Dingen nur das bedeuten, daß sie, soweit es sich um die Erzielung gewisser Wirkungen handelt, miteinander vertauschbar sind. So haben z. B. eine Eisen- und Korkkugel das gleiche Gewicht, wenn sie eine Spiralfeder um dieselbe Strecke zusammendrücken. Der Begriff der quantitativen Gleichheit bei qualitativ Ungleichartigem setzt also bereits den Kausalbegriff der Wirkung voraus und kann daher nicht zu seiner Erklärung herangezogen werden. - Trotz dieser Einwände halte ich es für möglich, daß HUMEs Begriff der Kausalität für die Physik fruchtbar sein kann, nur muß er als Endergebnis einer langen wissenschaftlichen Entwicklung angesehen werden, während er keinesfalls mit den Kausalvorstellungen, die im psychischen Leben des Laien wirksam sind, identifiziert werden darf. Nicht auf dem Gebiet der Psychologie, vielleicht aber auf dem der Naturphilosophie hat dieser Kausalitätsbegriff seine Berechtigung. 4) Wir halten Tatbestände für wirklich, wenn sie uns von vertrauenswürdiger Seite mitgeteilt werden. Einem Freund, der mir sein Erlebnis erzählt, glaube ich ohne weitere Beweise, wenn nicht sehr schwerwiegende Gründe mich davon abhalten. Es ist klar, daß hier ganz andere Motive wirksam sind als in den beiden vorher betrachteten Fällen. Weder wird hier eine Assoziationsfähigkeit, der früher wahrgenommene Inhalte unterworfen waren, an den entsprechenden reproduzierten Inhalten einfach wiederholt, noch eine solche ausgeübt, zu der wir durch die Macht der Gewohnheit gezwungen sind. In jenen Fällen war die Assoziation bedingt durch Inhalt und gegenseitige Beziehungen der zu verbindenden Elemente, hier hängt sie weder vom einen noch dem andern ab; würde ich doch, falls mir mein Freund ein anderes Erlebnis berichtet hätte als er tatsächlich tat, dieses ebenso gut für wirklich halten, als das tatsächlich mitgeteilte. Nur in besonderen Ausnahmefällen spielen auch hier die mitgeteilten Inhalte und ihre Beziehungen eine Rolle, falls mir nämlich zugemutet wird, etwas zu glauben, was den Stempel der Unwahrheit trägt. Aber auch die Eigenschaften dessen, dem eine Überzeugung beigebracht werden soll, kommen in Betracht, genauer gesagt: seine Gefühls- und Willensdispositionen. Der eine ist von vornherein vertrauensseliger als der andere, dieser sieht in jeden Menschen einen Betrüger und Schurken, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, jener eine ehrliche Haut; der eine läßt sich durch sicheres Auftreten imponieren, der andere gibt keinen Pfifferling dafür usw. Alle diese Dispositionen sind keineswegs allein aoder auch nur überwiegend das Ergebnis der bisherigen Lebenserfahrungen, zum größeren Teil sind sie vielmehr geboren. Eine weitere Verfolgung dieser Gesichtspunkte würde uns zu weit von unserem eigentlichen Thema entfernen und muß daher an dieser Stelle unterbleiben. Dagegen soll hier noch, gewissermaßen als Nachlese, ein viertes Motiv für W-Vorgänge angeführt werden, das in einer gewissen Verwandtschaft zum eben besprochenen steht, wenn es auch nicht das Fürwahrhalten fremder Mitteilungen betrifft. W-Vorgänge werden nämlich auch vom eigenen Willen, ohne daß dieser unter fremder Herrschaft steht, nachhaltig beeinflußt. Von unseren Interessen und Neigungen hängt es in vielen Fällen ab, was wir für wirklich halten und was nicht. Quod volumus, libenter credimus [Was wir wollen, das glauben wir gern. - wp], sagt man, aber wir glauben es nicht nur gern, das ist ja selbstverständlich, sondern auch leicht. Ich sehe in dieser Tatsache einen Beweis dafür, daß der Wille die Assoziationstätigkeit direkt beeinflußt. Der starke Glaube, die "gewisse Zuversicht des, das man nicht sieht", findet sich demgemäß allein bei willensstarken Personen. Alle Männer des starken Willens und der starken Tat haben sich durch solch einen Glauben ausgezeichnet, mochte es der Glaube an himmlische oder irdische Dinge, an eine göttlich oder weltliche Mission (PAULUS bzw. NAPOLEON) sein. Den Gegensatz dazu bildet der Geistreiche, der seinen Verstand unabhängig von persönlichen Bedürfnissen, die nur schwach bei ihm vertreten sind, sprechen läßt und leicht der Skepsis, d. i. der Suspension der W-Vorgänge, anheimfällt. Ich gehe jetzt zu einer Besprechung der indirekten Motive über. Ich verstehe darunter Besonderheiten des fraglichen Komplexes, die zwar an sich nichts mit Assoziationsvorgängen zu tun haben, die aber dennoch, weil sie häufig an Inhalten vorgefunden werden, die man aufgrund direkter Motive für wirklich hält, nun selbst einen Antrieb zur Auslösung des W-Vorganges da bilden, wo direkte Motive nicht oder wenigstens nicht hinreichend vorhanden sind. Deutlicher gesprochen: Inhalte, die eine Reproduktion von äußeren Erlebnissen sind, zeigen häufig Eigentümlichkeiten, die sich bei bloßen Phantasiegebilden nicht finden und die einen Anhaltspunkt gewähren, diese von jenen zu unterscheiden. Ich führe folgendes an: 1) Die Gefühle, die mit Reproduktionen von Erlebnissen verbunden sind, sind anderer Art als die an Phantasiegebilde sich knüpfenden und zwar aus dem einfachen Grund, daß das Erlebnis selbst Gefühle erweckt, die ihm als solchem charakteristisch sind und die mit dem Vorstellungsinhalt zugleich reproduziert werden. Man könnte zunächst versucht sein, an die unmittelbar an die Einzelempfindung geknüpften sinnlichen Gefühle zu denken. Allein es ist, wie man leicht einsieht, unmöglich, in ihnen ein Unterscheidungsmerkmal zwischen reproduziertem Erlebnis und Phantasiegebilde zu erblicken. Bestehen doch auch Phantasiegebilde aus Elementen, die ursprünglich so gut Gegenstand der Wahrnehmung waren, als die Elemente anderer Reproduktionen. Wir müssen also hier solche Gefühle in Betracht ziehen, die sich an den Komplex als Ganzes knüpfen. Derartige Gefühle sind leicht nachzuweisen. Erlebnisse sind in vielen Fällen mit Gefühlen der Angst oder Hoffnung verbunden, die darauf beruhen, daß man vom Erlebten weiter gehende Folgen erwartet, als von Phantasiegebilden, in anderen Fällen mi Gefühlen des erreichten oder mißlungenen Strebens, die gleichfalls beim Phantasiegebilde im allgemeinen fehlen, da unser Streben meistens auf objektive Verwirklichung gewisser Dinge, seltener auf die Erzeugung von Phantasmen gerichtet ist. - Ganz anders sind die Gefühle, die durch Phantasievorstellungen erzeugt werden, sie sind mehr harmonischer, ästhetischer Natur, was davon herrührt, daß hier nicht nur das Gefühl durch den Vorstellungsinhalt, sondern auch dieser durch jenes bedingt wird. Die Phantasie schafft ihre Erzeugnisse aus der Stimmung heraus, sie läßt sich leiten durch die Bedürfnisse des Gefühls. Meistens bewegt sie sich in der Richtung des Angenehmen, aber auch das Unangenehme weiß sie häufig so darzustellen, daß wir auch ihm eine gute Seite abgewinnen. 2) Bekanntlich ist die Wirklichkeit reicher an Einfällen als die kühnste Phantasie. Die Natur, sagt HELMHOLTZ einmal, enthüllt sich dem strengen Forscher in viel größerer Mannigfaltigkeit, als der Mythos aussinnen kann. Zudem pflegt die Phantasie der meisten Menschen sich in bestimmten Bahnen zu bewegen, so daß ihre Geschöpfe eine gewisse Familienähnlichkeit zeigen. Aus diesen Gründen sind Erinnerungen an Erlebnisse meist reicher an mannigfaltigen Details als Phantasiegebilde. Nicht alle Einzelheiten, die uns die Wirklichkeit bei bestimmter Gelegenheit darbietet, nehmen wir so in uns auf, daß wir sie später reproduzieren können, aber doch genug, um der Reproduktion im allgemeinen eine größere individuelle Bestimmtheit zu verleihen als dem Phantasiegebilde. Damit hängt es zusammen, daß, wenn man über die frühere Wirklichkeit eines Inhaltes im Zweifel ist, man sich der Details zu erinnern sucht und von der gelingenden oder nicht gelingenden Reproduktion die Entscheidung abhängig macht, ferner daß man - z. B. bei Gericht - Aussagen für umso glaubhafter hält, je reicher detailliert sie sind, indem man der Phantasie nicht zutraut, über ein gewisses Maß der Erfindung hinauszukommen. Natürlich sind die hier bemühten Verhältnisse individuell sehr verschieden, ja bei Menschen mit geringem Wirklichkeitssinn und starker Phantasie können sie sich ins Gegenteil verkehren. Für diese ist dann das Kriterium der Wirklichkeit nicht anwendbar. 3) Die beiden ersten Punkte beziehen sich auf den fertigen Inhalt des fraglichen Komplexes, ebenso kann aber auch seine Entstehung charakteristische Eigenheiten zeigen. Die Wahrnehmung bietet ganz besonders günstige Bedingungen für Begründung eines festen assoziativen Zusammenhangs der gegebenen Elemente, insofern dieselben während längerer Zeit in völlig unveränderten Beziehungen zueinander zu stehen pflegen, was bei Phantasiegebilden nicht annähernd in gleichem Maße der Fall ist. Demgemäß reihen sich bei Reproduktionen wahrgenommener Komplexe die Elemente meistens mit relativ großer Sicherheit aneinander, während sie bei Phantasiegebilden in mehr lockerem, veränderlichem Zusammenhang erscheinen. Das Phantasiegebilde trägt mehr den Charakter des Willkürlichen, das reproduzierte Erlebnis den des Notwendigen. In zweifelhaften Fällen suchen wir daher oft durch Selbstbeobachtung den Grad der Sicherheit festzustellen, mt dem sich innerhalb des Komplexes Vorstellung an Vorstellung fügt, um dann die Entscheidung zu fällen. Übrigens fallen auch hier individuelle Verschiedenheiten ins Gewicht. Alles dieses bedingt einen besonderen Charakter der Reproduktionen von Erlebnissen gegenüber den Phantasievorstellungen. Wir müssen nun annehmen, daß wir diesen Charakter sehr oft an Komplexen bemerkt haben, deren objektive Wirklichkeit festzustellen wir in der Lage waren und daß wir infolgedessen geneigt sind, auch umgekehrt einen Komplex für wirklich zu halten, wenn dieser Charakter an ihm auftritt. Wenn wir es oben abgelehnt haben, den W-Vorgang in irgendwelchen Eigenschaften des Inhaltes zu erblicken, so zeigt sich uns hier, welchen berechtigten Kern diese Ansicht dennoch birgt. Das Vorhandensein gewisser Eigenschaften ist noch nicht der W-Vorgang selbst, denn der kann auch ohne sie stattfinden, wohl aber bilden sie eine Anregung zur Auslösung desselben. Freilich werden wir auf diese Weise oft genug zum Irrtum verführt, insofern später auftretende direkte Motive uns zu einem abweichenden Urteil über die Wirklichkeit veranlassen können. Weder die Art der gefühlsmäßigen Betonung, noch der Reichtum an Details, noch die Sicherheit des Vorgangs sind untrügliche Kennzeichen der objektiven Wirklichkeit des Vorgestellten; auch da, wo die genannten Momente auftreten, braucht kein W-Vorgang vorzuliegen.
1) POCH, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 29, 1906, seite 303 - 311. 2) Eine ähnliche Hypothese finde ich tatsächlich in der Abhandlung von CORNELIUS im 17. Band der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Seite 69. Sie scheint mir aber höchst bedenklich zu sein. 3) DAVID HUME, Traktat über die menschliche Natur, Ausgabe von LIPPS, Seite 120 4) JOSEPH HICKSON, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1901, Bd. 25 |