ra-3 Jürgen MittelstraßRobert Tigerstedt    
 
RUDOLF HOLZAPFEL
Wesen und Methoden
der sozialen Psychologie


"Die bisherige wissenschaftliche Psychologie war mehr eine Analyse der Empfindungen als eine der Gefühle. Wenn auch die Menschenempfindungen durch Menschenbeziehungen und Verkehr in hohem Grade mitbedingt und modifiziert werden, so entzieht sich diese  soziale Beeinflussung  sehr leicht der Beobachtung der Forscher, da sie häufiger physiologischer, als psychologischer Natur ist und auf sehr langsamer, meistens unmerklicher Übung beruth. Diesem Umstand kann man es zum großen Teil zuschreiben, daß die Psychologen das Menschenleben ohne Berücksichtigung sozialer Beziehungen untersuchten. So kam es, daß sich die Psychologen von der Analyse der kompliziertesten Gefühlskomplexe entweder vorsichtig fernhielten oder dieselben mit wissentlicher oder unwissentlicher Resignation nichtwissenschaftlichen Methoden preisgaben. Ethik, Ästhetik, Pädagogik waren die Opfer eines solchen Verhaltens."

"In seiner Abhandlung 'Zur Methodik der Sozialwissenschaft' hebt Georg Simmel die Bedeutung der Erkenntniskritik für die Sozialforschung hervor und weist auf Kant, als den erkenntnistheoretischen Erlöser aller, somit auch soziologischer Wissenschaft hin. Kant hat den Streit zwischen Empirismus und Metaphysik dadurch geschlichtet, daß er nachwies, wieviel Metaphysik in der Erfahrung selbst  unvermeidlich  enthalten ist; daß diese kein passives Hinnehmen tatsächlicher Eindrücke ist, sondern eine Bearbeitung der letzteren nach Kategorien, welche a priori in uns liegen."

Die Beziehungen zwischen einer Menschengruppe und einer anderen sind prinzipiell denjenigen zwischen Mensch und Mensch analog. Sie werden nämlich durch die physiologischen und psychologischen Eigenschaften des Menschen stets mitbedingt und mitbestimmt. Der Verkehr, die Moral, der Geschmack, das Ideal, die Hoffnung, die Sehnsucht, der Kampf einer Gruppe, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, eines Volkes sind denen eines Menschen prinzipiell gleich. Will man also die Beziehungen zwischen menschlichen Gruppen begrifflich darstellen, ihre Gesetze und Stabilitäten auffinden, so muß man mit der Untersuchung menschlichen Lebens und Verhaltens überhaupt beginnen. Die bisherigen Soziologen gingen aber vom Ende aus, ohne den Anfang zu kennen. Sie ließen sich in spezielle Untersuchungen ein, ohne daß ihnen die Gesetze menschlichen Verhaltens überhaupt irgendwie bekannt gewesen wären.

Unfähig, von einer allgemeinsten Analyse der Gruppenbeziehungen auszugehen, operierten sie mit veralteten physiologischen und psychologischen Begriffen, welche umso verhängnisvoller waren, je skeptischer und indifferenter sie sich der psychologischen Forschung gegenüber verhielten. So mußten sie also auf methodologische Irrwege geraten, welche sie meistens zu ungeheuerlichen Spekulationen führten. Von Gewohnheitsbedürfnissen gedrängt, generalisierten sie individuelle Inhalten von Gruppenbeziehungen. Was das Verhalten der Gruppe, der sie angehörten, wie ein Gesetz durch traditionelle Übung beherrschte oder wovon sie jene beherrscht zu sehen begehrten, das hoben sie als  Naturgesetz  hervor. Sie verhielten sich somit nicht theoretisch orientierend, sondern unwissentlich oder wissentlich agitatorisch.

Dazu mag nicht nur die geringe Entwicklung wissenschaftlicher Methoden, die Stagnation der Psychologie und Erkenntnistheorie, sondern vorzüglich das tiefe Mißtrauen gegen die Untersuchung des menschlichen Einzelwesens beigetragen haben.

Forscher, die gewohnt waren hauptsächlich Gruppen anzuschauen, erlebten das Individuum als weniger existierend als die Gruppe. Möchten doch manche Soziologen die Existenz menschlicher Einzelindividuen beinahe gänzlich leugnen. (Der Sozialphilosoph LUDWIG STEIN sah sich deshalb sogar genötigt, diese Existenz ausdrücklich zu betonen: "Man vergesse nicht, daß es zunächst nur Individuen gibt".) Hätten sie aber ihr eigenes Leben und Schaffen aufmerksam beobachtet, so müßten sie doch wissen, daß ihnen die psychologischen Erlebnisse unmittelbar nur aus eigenen Erlebenissen bekannt sind, daß sie ähnliche bei anderen Menschen oder Menschengruppen nur analog annehmen. Somit müßten sie, sollten sie auch eine Gruppenseele voraussetzen oder nicht, von der Psychologie des menschlichen Individuums ausgehen. Denn nehmen sie eine Seele, eine Hoffnung, Sehnsucht, Moral, einen Kampf, ein Ideal der Gruppen an, so können sie es, sofern diese Bezeichnungen irgendeine Bedeutung haben sollen, prinzipiell nur im Sinne der eigenen Erlebnisse tun. Wollten sie durch jene Wortsymbole, von den eigenen ganz heterogene Erlebnisse bezeichnen, so wäre das nur ein Mißbrauch der bekannten Worte, geknüpft an das mystische Begehren, Unvorstellbares begrifflich darzustellen.

Will man das Gemeinsame der Gruppenbeziehungen begrifflich hervorheben, so muß man vom Begriff der menschlichen Beziehungen überhaupt ausgehen, somit die gemeinsamen Momente aller menschlichen Beziehungen auffinden. Von rein physischen Beziehungen will ich hier absehen und nur die psychischen darstellen. Die "Beziehung" setzt immer eine Mehrzahl, wenigstens eine Zweizahl von Beziehungsgliedern voraus. Wird die Änderung eines Komplexes durch die eines andern mitbedingt, so sagt man, daß diese Komplexe Glieder einer funktionellen Beziehung sind. Es ist allem Vorkommenden gemeinsam, daß es als Glied irgendeiner funktionellen Beziehung vorkommt. Die geistigen Menschenbeziehungen unterscheiden sich von den rein physischen durch den sozialen Analogieschluß, welcher bekanntlich auf Interpretierung mitmenschlicher Körperänderungen und Aussagen im Sinne eigener Erlebnisse beruth.  Das gemeinsam Moment aller geistigen Menschenbeziehungen ist der soziale Analogieschluß.  Derselbe kann  mit oder ohne Absicht  bei Mitmenschen hervorgerufen werden. Wird er mit Absicht hervorgerufen, so entsteht der  Verkehr  bzw. das  Verkehrsgefühl.  Schließt ein Individuum sozialanalog ohne Mitteilungsabsicht von seiten des Mitteilungsmenschen oder kommt eine solche Absicht ohne erfolgreiche Ausführung vor, so entsteht zwar eine  geistige Beziehung,  jedoch kein geistiger Verkehr bzw. kein Verkehrsgefühl. Enthält ein Verkehrsgefühl hinreichende Lustmomente, so kann dessen Wiederholung bzw. Erhaltung begehrt oder ersehnt werden, es kann sich zur Verkehrsneigung, somit zu einem Gefühl "beliebten", "gewohnten", "trauten" Verkehrs, d. h. zum Gefühl der  Geselligkeit  komplizieren. Enthält dagegen ein Verkehrsgefühl hinreichende Unlustmomente, so kann dessen Aufhebung begehrt, bzw. ersehnt werden, es kann sich zur Verkehrsabneigung, zum Verkehrshaß, d. h. zum Gefühl der  Ungeseligkeit  gestalten.

Macht irgendein  "gemeinsames Ziel"  und sein Erstreben den Verkehr zum geselligen Verkehr, so bekommt der letztere den Charakter der  "Vereinigung",  des  "Bündnisses",  wenn das Moment  "gegenseitiger Hilfeleistung",  dagegen den der  "Gemeinschaft",  wenn das tautologische Moment der "Dasselbigkeit", "Gleichheit", "Ähnlichkeit, des "Zieles", vorzüglich zur Abhebung gelangt.

Die  Gemeinsamkeit des Zieles  fasse ich nicht absolut als Identität, sondern psychologisch auf. Sie beruth darauf, daß man entweder eigene Ziele, bzw. Ideale in Mitmenschen introjeziert oder die mitmenschlichen nach Analogie der eigenen, ihren Aussagen gemäß mehr oder minder deskriptiv nachkonstruiert. Das introjezierte oder sozialanalog erschlossene Ziel ist nicht mit dem selbsterlebten Ziel des Mitmenschen identisch, da es doch das Erlebnis des Introjezierenden, bzw. Sozialschließenden ist.

Wir haben also die allgemeinsten Begriffe menschlicher Beziehungen gefunden und können somit zur Darstellung menschlicher Gruppenbeziehungen schreiten. Die numerisch geringste  Gruppenbeziehung  muß aus einer Einzelbeziehung (1:1) und aus einer Beziehung zwischen der ersteren und einem Individuum - die numerisch geringste  Gruppenbeziehung  muß aus zwei Einzelbeziehungen bestehen. Die menschlichen Körper sind analogen physilalischen und mathematischen Gesetzen unterworfen, wie die andern organischen und anorganischen Körper. Demgemäß muß man annehmen, daß das Anwachsen einer Einzelbeziehung zur Gruppe-beziehung und das der letzteren zur Gruppenbeziehung physische Beziehungsänderungen hervorruft. Prinzipiell können aber diese Beziehungen nicht geändert werden. Dem heuristisch-methodologischen Prinzip des psycho-physiologischen Parallelismus gemäß kann mal also nicht mit wissenschaftlicher Berechtigung eine jenen physischen parallel laufende prinzipiell psychische Beziehungsänderung annehmen. Die Hypothese eines  "Gruppengeistes",  welche dem Gruppensystem parallel wäre, könnte in der empirischen Physiologie durchaus keine Bestätigung finden. Zum Gegenstand der  Erfahrungs-Soziologie  kann somit ein Gruppengeist nicht werden, sondern diejenigen Menschenerlebnisse, welche nur als momente einer Beziehung mehrerer, wenigstens zweier Gruppen vorstellbar sind: z. B. ein politischer Parteikampf, ein Krieg, Staatsfunktionen etc. Dem obigen gemäß müßte der Soziologie die  Sozialpsychologie  vorangehen und als ergänzender Übergang zwischen beiden Forschungsgebieten die Untersuchung der Beziehungen zwischen Gruppen und Individuum eingreifen. Da weder die Sozialpsychologie noch die Soziologie ohne diese Ergänzung auskommen können, so müssen in beide Gebiete solche Übergangsanalysen eingefügt werden. Damit man nicht die Soziologie mit der Sozialpsychologie oder Individualsoziologie verwechselt, muß auch der Gegenstand der beiden letzteren ganz genau bestimmt und abgegrenzt werden.

Die bisherige wissenschaftliche Psychologie war mehr eine Analyse der Empfindungen als eine der Gefühle. Wenn auch die Menschenempfindungen durch Menschenbeziehungen und Verkehr in hohem Grade mitbedingt und modifiziert werden, so entzieht sich diese  soziale Beeinflussung  sehr leicht der Beobachtung der Forscher, da sie häufiger physiologischer, als psychologischer Natur ist und auf sehr langsamer, meistens unmerklicher Übung beruth. Diesem Umstand kann man es zum großen Teil zuschreiben, daß die Psychologen das Menschenleben ohne Berücksichtigung sozialer Beziehungen untersuchten. So kam es, daß sich die Psychologen von der Analyse der kompliziertesten Gefühlskomplexe entweder vorsichtig fernhielten oder dieselben mit wissentlicher oder unwissentlicher Resignation nichtwissenschaftlichen Methoden preisgaben. Ethik, Ästhetik, Pädagogik waren die Opfer eines solchen Verhaltens. Es ist also nur selbstverständlich, daß sich die Seelenforschung zur  Individualpsychologie  im metaphysisch abstrakten Sinne gestaltete. Streng genommen sollte man nur von einer Sozialpsychologie sprechen, weil ja sämtliche Menschenerlebnisse irgendwie sozial bedingt und bestimmt werden. Man kann aber eine Sozialpsychologie im engeren Sinne von einer in jenem umfassendsten Sinne heuristisch [erkennungsmethodisch - wp] abgrenzen.  Gegenstand dieser Sozialpsychologie sind sämtliche psychischen Menschenerlebnisse, welche nur als Glieder einer wenigstens zweigliedrigen Menschenbeziehung vorgestellt werden können - somit außerhalb derselben ganz unvorstellbar sind.  So kann man sich die Wahrnehmung des Mondes, der Sonne, der Nachtfinsternis oder eine Farbenempfindung, mögen sich noch so sehr durch Mitmenschen mitbedingt worden sein, auch außerhalb der Mitmenschenbeziehung sehr gut und klar vorstellen, aber der Kampf, die moralische Beurteilung sind  ohne Beziehungsglied unvorstellbar.  Damit man imstande ist, sich einen Kampf, eine moralische Beurteilung vorzustellen, muß man isch nicht nur den  Angreifenden,  den  Beurteilenden,  sondern auch den  Angegriffenen,  den  Beurteilten  mitvorstellen. In Bezug hierauf könnte man die Sozialpsychologie in diesem engeren Sinne eine  soziale  Koordinationspsychologie benennen.

Es gibt sehr komplizierte Erlebnisse, welche scheinbar außerhalb der menschlichen Beziehungen vorstellbar sind, in Wirklichkeit aber stets nur als soziale Beziehungsglieder vorgestellt werden. Das kommt daher, daß der Mensch zu sich selbst ganz analog in Beziehung treten kann, wie zu anderen Menschen. Obwohl diese Beziehung formell und inhaltlich durch die eingeübten extrasozialen sehr beeinflußt werden, so kann es nur iner wissenschaftlich geschärften Analyse gelingen, die Analogie genau hervorzuheben. Hierher gehören z. b. das Gewissen, das ästhetische Verhalten etc. Man kann demgemäß die Sozialpsychologie in 1.  intrasoziale  und 2.  extrasoziale Koordinationspsychologie  einteilen.

Der Mensch verkehrt nicht nur mit wahrgenommenen Menschen, sondern auch mit Vorstellungen, welche entweder die Wirklichkeit kopieren oder fingiert, in beiden Fällen anthropomorph sein können. Somit sind auch die Beziehungen des Menschen zu mehr oder minder deskriptiven Vorstellungen oder zu Anthropomorphismen und Fiktionen Gegenstand der sozialen Koordinationspsychologie. Dieses Teilgebiet könnte man als  vorstellungssoziale  Koordinationspsychologie
    a)  Kopie-soziale, 
    b)  Fiktions-soziale, 
    c) anthropomorph-soziale
bezeichnen.

Die Beziehungen eines Menschen zu zwei anderen in Beziehung stehenden Individuen können mit Hilfe vorhergehender rein koordinationspsychologischer Untersuchungen, dagegen die zwischen einem Individuum und einer Gruppenbeziehung nur mit Hilfe soziologischer Analysen erforscht werden. Daher ist die Untersuchung der ersteren mehr der Sozialpsychologie, die der letzteren der Soziologie verwandt. Beide könnte man als Teilgebiete einer Individualsoziologie betrachten.  Gegenstand der Individualsoziologie wären somit sämtliche Menschenerlebnisse, welche nur als Glieder einer Beziehung zwischen "einem" Individuum und einer oder mehreren Gruppen "vorstellbar" sind. 

Als Erläuterung dieser methodologischen Ausführungen diene die folgende Anwendung auf die allgemeinste soziologische Analyse:

Haben wir die koordinationspsychologischen Begriffe der "geistigen Beziehungen", des "Verkehrs", der "Geselligkeit", der "Vereinigung" und "Gemeinschaft" gefunden, so können wir sehr leicht die analogen soziologischen der Gruppen-beziehung, des Gruppen-verkehrs, der Gruppen-gesellschaft, der Gruppen-vereingung und Gruppen-gemeinschaft erschließen.

Als Übergang diene eine individualsoziologische Untersuchung.

Erschließt ein Individuum die Erlebnisse eine Mitmenschen, so steht es  in geistiger Beziehung  zu demselben. Diese geistige Beziehung ist  gegenseitig,  wenn auch der Mitmensch die Erlebnisse jenes Individuums erschließt. Kommt zu dieser geistigen einseitigen oder gegenseitigen Beziehung  die eines dritten Individuums  hinzu, so daß dieses die Erlebnisse des ersten, zweiten oder beider erschließt - oder daß seine eigenen Erlebnisse vom ersten, zweiten oder beiden erschlossen werden - oder aber daß sie alle drei gegenseitig sozialanalog erschließen -  so entsteht die geistige Beziehung eines Individuums zur Gruppe, bzw. die der Gruppe zum Individuum. 

Steht ein Individuum in geistiger Beziehung zu zwei anderen, die selbst untereinander beziehungslos sind, so entsteht zwar eine dreigliedrige Gruppe, aber keine Gruppe-beziehung. Die unumgängliche Voraussetzung einer Gruppe-beziheung ist das soziale Analogieschließen mehrerer Individuen. Wenigstens zwei Individuen einer dreigliedrigen Gruppe müssen sozialanalog schließen, damit eine gegenseitge Beziehung zwischen einem Individuum und einer Gruppe (Gruppe-beziehung) entstehe. Das dritte Individuum kann aber zu einem oder zu beiden Gliedern der Gruppe in geistige Beziehung treten.

Das Eintreten in eine geistige Beziehung zu zwei Mitmenschen spielt in der Entwicklung eines jeden Individuums eine prinzipiell hervorragende Rolle. Das gilt auch, wenn diese Mitmenschen unmittelbar untereinander beziehungslos sind. Nur das Eintreten in eine geistige Beziehung zu wenigstens zwei Mitmenschen ermöglicht ursprünglich und entwickelt nachher analoges Erschließen fremder Erlebnisse aus erinnerten Sozialschlüssen in Bezug auf andere Mitmenschen, während die geistige Beziehung zu  einem  Mitmenschen lediglich das Sozialschließen aus eigenen gegenwärtigen, vergangenen, bzw. erinnerten oder aus antizipierten Selbsterlebnissen bedingt.

Wird der soziale Analogieschluß in einem oder in allen Mitgliedern einer Gruppe durch ein Individuum mit Absicht hervorgerufen, so entsteht ein Verkehr zwischen diesem und der Gruppe  Gruppe-verkehr. 

Insofern dieser Verkehr Befriedigungsvorteile gewährt, kann dessen Erhaltung begehrt, bzw. ersehnt, er kann zum gewohnten trauten, beliebten Verkehr werden, d. h. zum  geselligen Verkehr des Individuums mit der Gruppe: Geselliger Gruppe-verkehr.  Insofern dieser Verkehr ein Unbefriedigtsein bzw. Entbehrungsnachteile bietet, kann dessen Aufhebung begehrt, bzw. ersehnt, er kann zum unbeliebten, verhaßten Verkehr werden, d. h. zum ungeselligen Verkehr des Individuums mit der Gruppe  ungeselliger Gruppe-verkehr. 

Wird der Besitz eines gemeinsamen Zieles und gemeinsames Streben zum Befriedigungsvorteil eines geselligen Gruppe-verkehrs, so bekommt der letztere den Charakter einer  Gruppe-vereinigung  eines Gruppe-bündnisses, wenn das Moment gegenseitiger Hilfeleistung, dagegen den der  Gruppe-gemeinschaft,  wenn das tautologische Moment der Dasselbigkeit, Ähnlichkeit, Gleichheit, des Zieles vorzüglich zur Abhebung gelangt.

Eine Gruppen-beziehung muß wenigstens aus vier Einzelmitgliedern bestehen. Treten ein, mehrere oder alle Einzelmitglieder einer Gruppe, zu einem, mehreren oder allen Mitgliedern einer anderen Gruppe in eine geistige Beziehung, so entsteht eine  geistige Gruppenbeziehung.  Die geistige Gruppenbeziehung wird zum  geistigen Gruppen-verkehr  - wenn wenigstens ein Mitglied der einen Gruppe in wenigstens einem der anderen Gruppe Sozialanalogieschlüsse mit Absicht hervorruft.

Insofern dieser Verkehr Befriedigungsvorteile gewährt, kann dessen Erhaltung von einem, mehreren, oder allen Mitgliedern der Verkehrsgruppen begehrt, respektive ersehnt, er kann zum gewohnten, trauten, beliebten Verkehr werden, d. h. zum geselligen Verkehr der Gruppen:  Geselliger Gruppen-verkehr.  Bietet dieser Verkehr hinreichend große Nachteile, so kann dessen Aufhebung von einem, mehreren oder sämtlichen Mitgliedern der Verkehrsgruppen begehrt, bzw. ersehnt, er kann zum unbeliebten, verhaßten Verkehr werden, d. h. zum ungeselligen Verkehr der Gruppen:  Ungeselliger Gruppen-verkehr.  Der als Vorteil erlebte Besitz eines gemeinsamen Zieles und Strebens verleiht einem geselligen Gruppenverkehr den Charakter einer  Gruppen-vereinigung,  eines Gruppen-bündnisse oder einer  Gruppen-gemeinschaft. 

Die rein psychologische Analyse sozialer Komplexe kann zum Teil durch eine physiologische und psychophysiologische ergänzt werden. Beim jetzigen Entwicklungszustand der physiologischen Forschung ist es sehr ratsam, sich meistens nur der formellsten Allgemeinheiten und am allerwenigsten der vergleichenden Analogie-Analysen zu bedienen. So kann man den psychologischen und psycho-soziologischen Begriffen der geistigen Beziehung, des Verkehrs, der Geselligkeit, Vereinigung, Gemeinschaft, - die psycho-physiologischen und psycho-soziologischen der  sozialen Gruppe, der Verkehrsgruppe,  der Gesellschaft, Gemeinschaft etc. analog zuordnen:
    1.  Die soziale Gruppe  ist ein Komplex von Menschenindividuen, die zueinander in funktionellen physischen und psychischen Beziehungen stehen.

    2.  Verkehrsgruppe  ist ein Komplex von Menschenindividuen, die miteinander verkehren.

    3.  Gesellschaft  ist ein Komplex von Menschenindividuen, die miteinander gesellig verkehren.

    4.  Gemeinschaft  ist ein Komplex von Menschenindividuen, die miteinander gesellig nach ähnlichen respektive gleichen Zielen willentlich streben.
Hier muß noch hervorgehoben werden, daß die Menschenbeziehungen nie in der absoluten Reinheit der Analyse, sondern vielmehr in mannigfaltigsten Verschlingungen vorkommen. Auch sind sie nicht stets  kinetisch  [bewegungstechnisch - wp]  verwirklicht  - sondern existieren meistens  potentiell.  So z. B. hört der Mensch während des Schlafens nicht auf, potentiell Mitglied seiner Familie zu sein, denn mit dem Erwachen kann er wieder in kinetische Beziehungen treten. Wäre es anders, so könnte man von einem Verein nur dort und zu einer Zeit sprechen, wo ein kinetischer Verkehr stattfände. Man spricht aber auch dann von der Existenz eines Vereines, wenn gerade kein Mitglied desselben zu den anderen in eine kinetische Beziehung tritt.

Die Auseinandersetzung mit einigen neueren Soziologen möge die bisherigen Ausführungen bekräftigen und beleuchten. In der Abhandlung "Zur Methodik der Sozialwissenschaft" hebt GEORG SIMMEL die Bedeutung der Erkenntniskritik für die Sozialforschung hervor und weist auf KANT, als den erkenntnistheoretischen Erlöser aller, somit auch soziologischer Wissenschaft hin: "Nun hat KANT den Streit zwischen Empirismus und Metaphysik dadurch geschlichtet, daß er nachwies, wieviel Metaphysik in der Erfahrung selbst  unvermeidlich  enthalten ist; daß diese kein passives Hinnehmen tatsächlicher Eindrücke ist, sondern eine Bearbeitung der letzteren nach Kategorien, welche a priori in uns liegen". Wird man auch die große historische Bedeutung KANTs zugeben, so muß es doch wundernehmen, daß Forscher einer der jüngsten Wissenschaften nach methodologischen Mitteln greifen, welche in die historische Rumpelkammer gehören. Man hätte doch erwartet, daß wenigstens diejenigen an der Vervollkommnung erkenntnistheoretischer und methodologischer Probleme sich selbständig beteiligen werden, die eine neue Wissenschaft begründen möchten. Die Seligkeit des Glaubens, "daß in geistigen Dingen eine Lockerheit des Fundaments nicht die Festigkeit des Oberbaus zu gefährden braucht" (SIMMEL: Zur Methodik der Sozialwissenschaft, Seite 230) kann nur zur Unproduktivität führen.

Die Art und das Resultat der SIMMELschen Bestimmung des Gegenstandes soziologischer Forschung sind uns ein hinreichender Beweis, daß KANT die methodologische Produktivkraft SIMMELs nicht gesteigert hat. Durch die "Wirrnis" soziologischer Probleme beunruhigt, findet er die Ursache derselben in dem Umstand, daß die Soziologen allerlei "Inhalte des gesellschaftlichen Lebens" anstatt der Formen soziologisch behandeln. "Soll also die Soziologie einen eigenen, für sich bestehenden Sinn haben, so können nicht die Inhalte des gesellschaftlichen Lebens, sondern nur die Form desselben ihr Problem bilden, - die Form, welche es bewirkt, daß alle jene in besonderen Wissenschaften behandelten Inhalte eben "gesellschaftliche sind." Dieses Programm beweist nur, daß SIMMEL ohne koordinationspsychologische Vorbereitung sofort in medias res [mitten in die Dinge - wp] greifen wollte. Er hätte doch sonst wissen müssen, daß der allen gesellschaftlichen Lebensinhalten gemeinsame Charakter, als ein psychischer Komplex, zunächst von der Psychologie behandelt werden sollte und namentlich nicht als Ausgangspunkt, sondern als Fortsetzung sozialpsychologischer Untersuchungen, wie ich es in den vorhergehenden Analysen nachgewiesen zu haben glaube. Aber auch abgesehen davon, könnte sich doch keine Wissenschaft mit der Auffindung ihres allgemeinsten Begriffes begnügen, weil sie ja sonst mit einer einzigen Definition entbehrlich gemacht würde. Wir sehen also, daß SIMMEL in seiner Feststellung des Gegenstandes der Soziologie nur einen minimalen Bestandteil der Aufgaben einer anderen Wissenschaft, (der sozialen Koordinationspsychologie) mit sämtlichen Aufgaben des soziologischen Gebietes identifizierte.

Als Ergänzug der oben zitierten Bestimmung fügt SIMMEL hinzu: "Das Objekt der Soziologie sind also die Formen oder Arten des Neben-. Für- und Miteinanderseins der Menschen." SIMMEL betrachtet also alles Neben-, Für- und Miteinandersein der Menschen als gesellschaftliches Leben. Dies kann nichts anderes bedeuten, als daß alles Menschenleben konstant gesellschaftlich ist.

Konsequenterweise müßte SIMMEL annehmen, daß das Wortsymbol "Soziologie" sämtliche Wissenschaften, welche das Menschenleben darstellen, bezeichnet, inwiefern sie das Neben-, Für- und Miteinandersein der Menschen berücksichtigen: somit Physiologie, Anatomie, Chirurgie, Embryologie etc. etc. Dieses Resultat widersprüche aber allen Absichten SIMMELs.

In den weiteren Ausführungen begeht dieser Forscher eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], indem er ohne vorhergehende sachliche Untersuchung und Definierung der "Gesellschaft" nicht nur über die Möglichkeit einer erschöpfenden Definition derselben ein negatives Urteil fällt, sondern über ihr Wesen so spezielle Aussagen äußert, als ob er dennoch im Besitz einer erschöpfenden Gesellschaftsdefinition wäre. "Denn sicher ist sie kein einheitliches, mit einer Definition zu erschöpfendes Gebilde; sondern sie besteht aus der Summe aller jener einzelnen Verbindungskräfte und -arten, die zwischen ihren Elementen stattfinden." Hier verwechselte SIMMEL das rein psychologische Problem es Gesellschaftscharakters mit dem psycho-physiologischen der "Gesellschaft". Es kann zwar keine "Gesellschaft" ohne Gesellschaftsgefühle respektive positive oder negative Geselligkeitsgefühle vorkommen, sie ist aber mit den letzteren nicht identisch. Wie unsere koordinationspsychologische Analyse gezeigt hat, können gesellige Verkehrsbeziehungen schon zwischen zwei Beziehungsgliedern bestehen. Also kann man die "Gesellschaft" logischerweise nicht als eine Summe der "Verbindungsarten", sondern als bloße Modifikatioin von Verkehrsbeziehungen betrachten.

Noch weniger als GEORG SIMMEL scheint FERDINAND TÖNNIES durch KANT bzw. SCHOPENHAUER methodologisch und psychologisch gefördert worden zu sein:

"Dies ist mithin nur eine Auslegung, teils im spinozistischen und schopenhauerischen Sinne, teils mit den Mitteln der diese Philosopheme erläuternden, wie auch durch dieselben verdeutlichten biologischen Deszendenz-Theorie [Abstammungstheorie - wp], eine Auslegung des Gedankens, mit welchem KANT die HUMEsche Darstellung wirklich überwunden hat. Weil aber dieselbe richtig ist, so ergibt sich nicht allein die Tatsache, sondern auch die Ursache, warum wir ein Seiendes nicht anders, denn als bewirkt denken können; das sind ehemalige, ja ewige Funktionen, welch in die Struktur unseres Verstandes hineingewachsen sind und das Nicht-anders-können ist eine Notwendigkeit, auf welche darum unsere Gewißheit sich bezieht, weil tätig sein und gemäß seiner Natur tätig sein einerlei ist nach formal identischem Satz."

Schon aus diesem Bekenntnis kann man ersehen, wir fruchtlos hier eine Diskussion über den Kausalitätsbegriff wäre, wo ein historisch überwundenes metaphysisches Verhalten als ewig unvermeidliche Verstandesfunktion empfunden wird.

Ohne vorhergehende koordinationspsychologische Untersuchung allgemeinster Beziehungsbegriffe schreitet TÖNNIES sofort zur Begriffs-bestimmung der "Verbindung", "Gemeinschaft" und "Gesellschaft". - "Verbindung" ist nach ihm eine "Gruppe", durch "gegenseitige Wirkung" menschlicher Willen entstanden, welche zu "gegenseitiger Bejahung", d. h. Erhaltung tendieren und deren solches positives Verhältnis aus "Förderungen", "Erleichterungen", "Leistungen" besteht, die "hinüber und herüber gehen". - Gemeinschaft und Gesellschaft betrachtet TÖNNIES als gegensätzliche Abarten der "Verbindung". Abgesehen davon, daß die Identifizierung der Erhaltungstendenz mit der Erhaltungsverwirklichung aller deskriptiven Erfahrung widerspricht, da doch Erhaltungstendenz oft Vernichtung, Vernichtungstendenz dagegen Erhaltung zur Folge haben, - ist die Definition der "Verbindung" etymologisch und begrifflich falsch.

Niemand wird eine Gruppe, deren Mitglieder z. B. in gar keinen "Verkehrsbeziehungen", wenn auch in "geistigen Beziehungen" stehen, eine "Verbindung nennen. Es können aber manchmal Mitglieder einer sozialen Gruppe die gegenseitige Erhaltung beabsichtigen, ja sie verwirklichen, ohne daß sie in geistige Verkehrsbeziehungen treten, was aus meiner Analyse der geistigen Beziehungen ersichtlich ist. Aus derselben Analyse ersieht man auch, daß die "Gesellschaft" und "Gemeinschaft" nicht gegensätzliche Abarten der "Verbindung", sondern vielmehr die "Verbindung" und "Gemeinschaft" nur Modifikationen der "Gesellschaft" sind. Man sieht, daß eine jede "Gemeinschaft" oder "Verbindung" nur aus einer "Gesellschaft" entstehen kann, wenn auch nicht eine jede "Gesellschaft" den Charakter einer "Gemeinschaft" und "Vereinigung" haben muß.

TÖNNIES faßt aber den Begriff "Gesellschaft" nicht in einem umfassenden koordinationspsychologischen Sinn, sondern im historischen konventioneller, bzw. städtisch konventioneller Gesellschaft. Einen solchen engen Gesellschaftsbegriff bringt er dann in Gegensatz zu einem willkürlich erweiterten der "Gemeinschaft", der vielmehr den "innigen Verkehr" zu betreffen scheint. "Alles vertraute, heimlich, ausschließliche Zusammenleben (so finden wir) wird als Leben in Gemeinschaft verstanden. Gesellschaft ist die Öffentlichkeit, ist die Welt ... Aber die menschliche Gesellschaft wird als ein bloßes Nebeneinander voneinander unabhängiger Personen verstanden ... Und dem ist es gemäß, daß die Gemeinschaft selber als ein lebendiger Organismus, Gesellschaft als ein mechanisches Aggregat und Artefakt verstanden werden soll."

Auch diese Ausführungen widersprechen vollkommen der Wirklichkeit. Die konventionelle "Gesellschaft" ist auch eine "Gesellschaft" und als solche der TÖNNIESschen "Gemeinschaft", d. h. der innig verkehrenden Gesellschaft prinzipiell gleich. Der ganze Unterschied beruth nur auf mehr oder minder gesteigerten Mitgefühlen und entsprechend geänderten Absichten. Keinesfalls aber könnte man logischerweise irgendeine Gesellschaft als ein "mechanisches Aggregat", als ein "bloßes Nebeneinander" von Personen betrachten, da ohne funktionelle Beziehung keine geistige, ohne diese keine Verkehrsbeziehung zustande kommen könnte. TÖNNIES mußte das zum Teil selbst empfunden haben, als er in seiner ausführlichen "Theorie der Gesellschaft" eine andere Gesellschaftsdefinition aufstellte, welche jedoch sehr paradox und widerspruchsvoll ist.

"Gesellschaft also, durch Konvention und Naturrecht einiges Aggregat, wird begriffen als eine Menge von natürlichen und künstlichen Individuen, deren Willen und Gebiete in zahlreichen Beziehungen zueinander und in zahlreichen Verbindungen miteinander stehen und doch voneinander unabhängig und ohne gegenseitige innere Einwirkungen bleiben."

Konventionell gesellschaftliches Aggregat ist aber ein Widerspruch; noch widerspruchsvoller ist ein Aggregat von Individuen, welche in zahlreichen Beziehungen zueinander stehen und ganz undenkbar sind solche zahlreiche, wenn auch konventionelle Verbindungen ohne mannigfaltigste "innere Einwirkungen", ohne psychische Wechselbeziehungen. FRANZ EULENBURG hebt als Gegenstand der Sozialpsychologie alle geistigen Vorgänge hervor, welche nur in einer sozialen Gruppe durch Wechselwirkung der Individuen entstehen können: "Die Sozialpsychologie umfaßt diejenigen geistigen Vorgänge, die durch das Vorhandensein einer sozialen Gruppe, d. h. einer Mehrheit in Wechselwirkung befindlicher Individuen bedingt sind." Diese Bestimmung des Gegenstandes der Sozialpsychologie gilt aber auch für die Individualpsychologie, da es doch keine Menschenerlebnisse gibt, die nicht irgendwie sozial mitbedingt und mitbestimmt worden wären. Deshalb betrifft die EULENBURGsche Definition nur die Sozialpsychologie im umfassendsten Sinne, d. h. alle Psychologie und enthält somit keine bestimmten methodologischen Winke, die für die Psychologie und Soziologie fruchtbar werden könnten. Aber auch so aufgefaßt ist diese Definition nicht ganz widerspruchslos: das Vorhandensein einer sozialen Gruppe bedingt nicht die geistigen Vorgäönge, sondern wird vielmehr durch dieselben bedingt. Die psychischen, bzw. sozialpsychischen Vorgänge sind ja nur  Glieder  sozialer Beziehungen und werden nicht erst von diesen hervorgebracht.

Daß EULENBURG die sozialpsychischen Vorgänge als  Erzeugnisse  der Sozialgruppen mehr oder minder bewußt ansieht, kann man schon aus der folgenden Aussage klar ersehen: "Nicht also das Volk allein ist der  Träger  eines solchen Vorgangs, sondern überhaupt jeder Komplex von Personen, die sich in Wechselwirkung befinden,  bringt etwas derartiges  zustande, das ganz spezifisch seelischer Art ist: jeder Verein, jede Versammlung." Als ob man sich einen Verein, eine Versammlung, ein Volk ohne diese Seelenvorgänge nur denken könnte! Diese sind es ja, welche den Gruppen den Charakter eines "Vereines", einer "Versammlung", eines "Volkes" verleihen. Ganz konsequent hebt EULENBURG drei "Momente" als "drei Hauptteile" der Sozialpsychologie hervor: "einmal die Beschaffenheit der Strukturelemente, unter denen sich die sozialpsychischen Vorgänge abspielen, also das, was wir vorhin die "sozialen Gruppen" nannten;  zweitens  die Art der sozialpsychischen Prozesse  selbst  in ihren Hauptrichtungen und  endlich  die Prinzipien, nach denen diese Prozesse zusammenhängen und wirken." Da er die sozialen Gruppen als hervorbringend, die sozialpsychischen Vorgänge als hervorgebracht betrachtet, so hebt er deren Unternehmung als voneinander getrennte Teilgebiete einer Sozialwissenschaft hervor. Wie daraus zu ersehen ist, hat EULENBURG weder den Gegenstand der Soziologie, noch den der Koordinationspsychologie bestimmt und abgegrenzt.

Wie eine jede entwickeltere Wissenschaft von ihren allgemeinsten zu immer konkreteren Begriffen und endlich bis zu den konkreten Einzelfällen schreitet, so werden auch die soziale Koordinationspsychologie und die Soziologie bei ihren allgemeinsten Begriffen nicht stehen bleiben. Nicht nur die mannigfaltigsten praktischen Orientierungsbedürfnisse, sondern bedeutende wissenschaftliche und ästhetische Schaffensbedürfnisse werden die Sozialpsychologen und Soziologen zu möglichst mannigfaltigen und komplizierten Konkretisierungen drängen.

Aber nur diejenigen Philosophen, welche selbst viel und Bedeutendes erlebt haben, werden von der Hervorhebung gemeinsamer Momente der einem größeren Sozialgebiet angehörenden Komplexe, zur Hervorhebung gemeinsamer Momente der einem stets kleineren Sozialgebiet angehörenden Komplexe, somit von den allgemeinsten zu immer spezielleren und individuelleren Abstraktionen schreiten können; ist doch die Soziologie und die Koordinationspsychologie ursprünglich und unmittelbar auf  Selbstbeobachtung  angewiesen. Dieses Konkretisieren ist eine Mitbedingung der Annäherung der Sozialwissenschaft an das ästhetische und theoretische Vollendungsmaximum abstrakter Kunst. Nur durch so ein Konkretisieren kann die Sozialwissenschaft ins volle Menschenleben bestimmend und lenkend eingreifen. Der allgemeinste Begriff der Sozialwissenschaft kann umso reiner die allen Komplexen des Sozialgebietes gemeinsamen Momente abstrakt kopieren, je größer die Anzahl konkreter Vorstellungen ist, aus denen er abstrahiert worden ist und je reiner diese Vorstellungen die vorkommenden sozialen Naturbestandteile des zu erforschenden Gebietes kopiert hatte. Diese Vorstellungen müssen auf möglichst voller Inkludierung [Beinhaltung - wp] typischer und individueller Naturmomente und auf möglichst großer zentralmotorischer Hemmung der Komplementierung beruhen, denn die geringste Ausschaltung typischer Momente oder die geringste anorganistische Komplementierung müßten zur analogen Naturausschaltung typischer Momente und zur anorganischen Komplementierung im so gewonnenen allgemeinsten Begriff führen.

Die konkrete Vorstellungsinduktion eines Sozialphilosophen, welche zum rein kopierenden, allgemeinsten Begriff der Sozialwissenschaft führt, kann also kompliziertere ästhetische und künstlerische Schaffensbedürfnisse wohl kaum befriedigen, da sie zum Teil auf der Hemmung dieser Komplementierung beruth.
LITERATUR: Rudolf Holzapfel, Wesen und Methoden der sozialen Psychologie, Archiv für systematische Philosophie, Bd. IX, Neue Folge, Berlin 1903