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Über den affirmativen Charakter der Kultur [3/3]
III. Die Selbstzersetzung der affirmativen Kultur Das ändert sich, sobald die Aufrechterhaltung der bestehenden Gestalt des Arbeitsprozesses mit einer bloß partiellen Mobilmachung (bei der das private Leben des Individuums in Reserve bleibt) nicht mehr auskommt, wo vielmehr die "totale Mobilmachung" nötig wird, durch die das Individuum in allen Sphären seines Daseins der Disziplin des autoritären Staates unterworfen werden muß. Jetzt kommt das Bürgertum mit seiner eigenen Kultur in Konflikt. Die totale Mobilmachung der monopolkapitalistischen Epoche ist mit jenen um die Idee der Persönlichkeit zentrierten, fortschrittlichen Momenten der Kultur nicht mehr zu vereinigen. Die Selbstaufhebung der affirmativen Kultur beginnt. Der laute Kampf des autoritären Staates gegen die "liberalistischen Ideale" der Humanität, Individualität, Rationalität, gegen die idealistische Kunst und Philosophie kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um einen Vorgang von Selbstaufhebung handelt. Wie die gesellschaftliche Umorganisation von der parlamentarischen Demokratie zum autoritären Führerstaat nur eine Umorganisation innerhalb der bestehenden Ordnung ist, so vollzieht sich auch die kulturelle Umorganisation vom liberalistischen Idealismus zum "heroischen Realismus" noch innerhalb der affirmativen Kultur selbst : es handelt sich um eine neue Sicherung der alten Daseinsformen. Die Grundfunktion der Kultur bleibt dieselbe; nur die Wege, auf denen sie diese Funktion ausübt, ändern sich. Die Identität des Gehalts bei völligem Wechsel der Form zeigt sich besonders deutlich an der Idee der Verinnerlichung. Die Verinnerlichung : die Umkehrung sprengender Triebe und Kräfte des Individuums in seelische Bereiche, war einer der stärksten Hebel der Disziplinierung gewesen. (43) Die affirmative Kultur hatte die gesellschaftlichen Antagonismen in einer abstrakten inneren Allgemeinheit aufgehoben : als Personen, in ihrer seelischen Freiheit und Würde, haben alle Menschen den gleichen Wert; hoch über den faktischen Gegensätzen liegt das Reich der kulturellen Solidarität. Diese abstrakte innere Gemeinschaft (abstrakt, weil sie die wirklichen Gegensätze bestehen läßt) schlägt in der letzten Periode der affirmativen Kultur in eine ebenso abstrakte äußere Gemeinschaft um. Das Individuum wird in eine falsche Kollektivität gestellt (Rasse, Volkstum, Blut und Boden). Aber eine solche Veräußerlichung hat dieselbe Funktion wie die Verinnerlichung : Entsagung und Einordnung in das Bestehende, erträglich gemacht durch den realen Schein der Befriedigung. Daß die nun seit über vierhundert Jahren befreiten Individuen so gut in den Gemeinschaftskolonnen des autoritären Staates marschieren, dazu hat die affirmative Kultur einen guten Teil beigetragen. Die neuen Methoden der Disziplinierung sind nicht möglich, ohne die fortschrittlichen Momente abzustoßen, die in den früheren Stadien der Kultur enthalten waren. Von der letzten Entwicklung her gesehen, erscheint die Kultur jener Stadien wie eine glücklichere Vergangenheit. Aber so sehr die autoritäre Umorganisation des Daseins faktisch nur den Interessen kleinster gesellschaftlicher Gruppen zugute kommt, wieder stellt sie den Weg dar, auf dem sich das gesellschaftliche Ganze in der veränderten Situation erhält; insofern vertritt sie - in schlechter Form und unter gesteigerter Glücklosigkeit der meisten - das Interesse aller Individuen, deren Existenz an die Erhaltung dieser Ordnung gebunden ist. Es ist eben jene Ordnung, in die auch die idealistische Kultur verflochten war. In dieser doppelten Zwiespältigkeit gründet zum Teil die Schwäche, mit der die Kultur heute gegen ihre neue Gestalt protestiert. Wie sehr die idealistische Innerlichkeit mit der heroischen Äußerlichkeit verwandt ist, zeigt beider gemeinsame Frontstellung gegen den Geist. Neben der Hochschätzung des Geistes, welche in einigen Bereichen und Trägern der affirmativen Kultur charakteristisch war, ging immer schon eine tiefe Verachtung des Geistes in der bürgerlichen Praxis einher, die in der Unbekümmertheit der Philosophie um die wirklichen Probleme der Menschen ihre Rechtfertigung finden konnte. Aber noch aus anderen Gründen war die affirmative Kultur wesentlich eine Kultur der Seele, nicht des Geistes. Auch wo er noch nicht verfallen war, war der Geist immer schon etwas verdächtig : er ist greifbarer, fordernder, wirklichkeitsnäher als die Seele; seine kritische Helle und Rationalität, sein Widerspruch zu einer vernunftlosen Faktizität ist schwer zu verbergen und zum Schweigen zu bringen. HEGEL paßt schlecht in den autoritären Staat. Er war für den Geist; die Neueren sind für die Seele und das Gefühl. Der Geist kann sich der Wirklichkeit nicht entziehen, ohne sich selbst aufzugeben; die Seele kann und soll es. Und gerade weil sie jenseits der Ökonomie lebt, kann die Ökonomie so leicht mit ihr fertig werden. Eben in ihrer Eigenschaft, nicht unter dem Wertgesetz zu leiden, erhält die Seele nun ihren Wert. Das seelenvolle Individuum fügt sich leichter, beugt sich demütiger unter das Schicksal, gehorcht besser der Autorität. Es behält ja den ganzen Reichtum seiner Seele doch für sich und kann sich tragisch und heroisch verklären. Was seit LUTHER ins Werk gesetzt wurde : die intensive Erziehung zur inneren Freiheit, trägt jetzt seine schönsten Früchte, wo die innere Freiheit sich selbst zur äußeren Unfreiheit aufhebt. Während der Geist dem Haß und der Verachtung anheimfällt, bleibt die Seele teuer. Man wirft sogar dem Liberalismus vor, daß ihm "Seele und ethischer Gehalt" nichts mehr galten; man preist als das "tiefste geistige Merkmal der klassischen Kunst" die "Seelengröße und charaktervolle Persönlichkeit", "die Weitung der Seele ins Unendliche." (44) Die Feste und Feiern des autoritären Staates, seine Aufzüge und seine Physiognomik, die Reden seiner Führer sprechen weiter zur Seele. Sie gehen zum Herzen, auch wenn sie die Macht meinen. Das Bild der heroischen Gestalt der affirmativen Kultur ist am schärfsten während der ideologischen Vorbereitung des autoritären Staates gezeichnet worden. Man wendet sich gegen den "musealen Betrieb" und gegen die "grotesken Erbauungsformen", die er angenommen hat. (45) Dieser Kulturbetrieb wird von den Anforderungen der totalen Mobilmachung her beurteilt und verworfen. Er "stellt nichts anderes dar als eine der letzten Oasen der bürgerlichen Sicherheit. Er liefert die scheinbar plausibelste Ausflucht, mit der man sich der politischen Entscheidung entziehen kann." Die Kulturpropaganda ist "eine Art Opium, durch das die Gefahr verschleiert und das trügerische Bewußtsein einer Ordnung hervorgerufen wird. Dies aber ist ein unerträglicher Luxus in einem Zustand, in dem es nicht von Tradition zu reden, sondern Tradition zu schaffen gilt. Wir leben in einem Geschichtsabschnitt, in dem alles abhängt von einer ungeheuren Mobilmachung und Konzentration der Kräfte, die zur Verfügung stehen." (46) Mobilmachung und Konzentration wozu? Was ERNST JÜNGER noch als die Rettung der "Totalität unseres Lebens", als Schaffung einer heroischen Arbeitswelt und dergleichen bezeichnet, enthüllt sich im Verlauf immer deutlicher als die Umformung des gesamten Daseins im Dienst der stärksten ökonomischen Interessen. Von ihnen her sind auch die Forderungen nach einer neuen Kultur bestimmt. Die notwendige Intensivierung und Expandierung der Arbeitsdisziplin läßt die Beschäftigung mit den "Idealen einer objektiven Wissenschaft und einer Kunst, die um ihrer selbst willen besteht", als Zeitverschwendung erscheinen; sie macht eine "Gepäckerleichterung" auf diesem Gebiet wünschenswert. "Unsere ganze sogenannte Kultur" vermag "selbst den kleinsten Grenzstaat nicht an einer Gebietsverletzung zu verhindern"; gerade darauf aber kommt es an. Die Welt muß wissen, daß die Regierung keinen Augenblick zögern würde, "alle Kunstschätze der Museen an den Meistbietenden zu versteigern, wenn die Verteidigung es erfordert." (47) Dementsprechend soll auch die neue Kultur aussehen, die an die Stelle der alten zu treten hat. Sie wird durch eine junge rücksichtslose Führerschaft repräsentiert sein. "Je weniger Bildung im üblichen Sinne diese Schicht besitzt, umso besser wird es sein." (48) Die zynischen Andeutungen, die JÜNGER gibt, sind vage und beschränken sich vor allem auf die Kunst. "Ebenso wie der Sieger die Geschichte schreibt, das heißt sich seinen Mythos schafft, bestimmt er, was als Kunst zu gelten hat." (49) Auch die Kunst hat in den Dienst der Landesverteidigung, der arbeitstechnischen und militärischen Disziplinierung zu treten (JÜNGER erwähnt die Städtebaukunst : die Auflösung der großen Wohlblocks zur Zerstreuung der Massen im Kriegs- und Revolutionsfall; die militärische Gestaltung der Landschaft usw.). Sofern eine solche Kultur auf die Bereicherung, Verschönerung und Sicherung des autoritären Staates abzielen soll, trägt sie auch die Zeichen seiner gesellschaftlichen Funktion, das gesellschaftliche Ganze im Interesse weniger ökonomisch mächtigster Gruppen und ihres Anhangs zu organisieren : Demut, Opferbereitschaft, Armut und Pflichterfüllung einerseits, höchster Machtwille, Expansionsdrang, technische und militärische Vollkommenheit andererseits. "Die Aufgabe der totalen Mobilmachung ist die Verwandlung des Lebens in Energie, wie sie sich in Wirtschaft, Technik und Verkehr im Schwirren der Räder, oder auf dem Schlachtfeld als Feuer und Bewegung offenbart." (50) Wie der idealistische Kult der Innerlichkeit, so dient der heroische Kult des Staates einer in ihren Grundlagen identischen Ordnung des gesellschaftlichen Daseins. Das Individuum wird ihr jetzt völlig geopfert. Sollte früher die kulturelle Erhebung dem persönlichen Wunsch nach Glück eine Befriedigung verschaffen, so soll jetzt in der Größe des Volkes das Glück des einzelnen verschwinden. Hatte die Kultur früher den Glücksanspruch im realen Schein zur Ruhe gebracht, so soll sie jetzt das Individuum lehren, daß es eine Glücksforderung für sich überhaupt nicht stellen darf: "Der gegeben Maßstab liegt in der Lebensführung des Arbeiters vor. Es kommt nicht darauf an, diese Lebensführung zu verbessern, sondern darauf, ihr einen höchsten, entscheidenden Sinn zu verleihen." (51) Auch hier soll die "Erhebung" die Veränderung ersetzen. So ist dieser Abbau der Kultur ein Ausdruck der höchsten Verschärfung von Tendenzen, welche der affirmativen Kultur schon seit langem zugrunde lagen. Ihre wirkliche Überwindung wird nicht zu einem Abbau der Kultur überhaupt führen, sondern zu einer Aufhebung ihres affirmativen Charakters. Die affirmative Kultur war das Gegenbild einer Ordnung, in der die materielle Reproduktion des Lebens keinen Raum und keine Zeit ließ für jene Daseinsbereiche, welche die Alten als das "Schöne" bezeichnet hatten. Man hat sich daran gewöhnt, die ganze Sphäre der materiellen Reproduktion als wesensmäßig mit dem Makel des Elends, der Härte und Ungerechtigkeit behaftet zu sehen, auf jeden dagegen protestierenden Anspruch zu verzichten oder ihn zu unterdrücken. Schon der Ansatz der ganzen traditionellen Kulturphilosophie : die Abhebung der Kultur von der Zivilisation und vom materiellen Lebensprozeß, beruth auf der verewigenden Anerkennung jenes geschichtlichen Verhältnisses. Es wird metaphysisch entschuldigt durch jene Kulturtheorie, daß man das Leben "bis zu einem gewissen Grad ertöten" muß, um zu "Gütern mit Eigenwerten zu kommen." (52) Die Zurücknahme der Kultur in den materiellen Lebensprozeß gilt als die Sünde wider den Geist und wider die Seele. Zwar geschähe damit nur ausdrücklich, was sich blind schon lange durchgesetzt hat, indem nicht nur die Produktion, sondern auch die Rezeption der kulturellen Güter unter der Herrschaft des Wertgesetzes steht. Und doch liegt an diesem Vorwuft das Berechtigte, daß eine solche Zurücknahme bisher nur in der Gestalt des Utilitarismus erfolgt ist. Der Utilitarismus ist nur eine Kehrseite der affirmativen Kultur. Wie hier der "Nutzen" verstanden wird, ist er allerdings nur der Nutzen des Geschäftsmannes, der das Glück als unvermeidbare Spesen in die Rechnung einsetzt : als notwendige Diät und Erholung. Das Glück wird im vorhinein auf seinen Nutzen berechnet, ganz wie die Chance des Geschäftsgewinns im Verhältnis zum Risiko und zu den Kosten, und auf solche Weise bruchlos mit dem ökonomischen Prinzip dieser Gesellschaft verbunden. Das Interesse des Individuums bleibt im Utilitarismus mit dem Grundinteresse der bestehenden Ordnung vereinigt. Sein Glück ist harmlos. Und diese Harmlosigkeit hält sich durch bis in die Freizeitgestaltung des autoritären Staates. Jetzt wird die erlaubte Freude organisiert. Die idyllische Landschaft, der Ort des Sonntagsglücks, verwandelt sich ins Übungsgelände, die kleinbürgerliche Landpartie in Geländesport. Die Harmlosigkeit erzeugt ihre eigene Negation. Vom Interesse der bestehenden Ordnung her gesehen muß eine wirkliche Aufhebung der affirmativen Kultur als utopisch erscheinen : sie liegt jenseits des gesellschaftlichen Ganzen, mit dem die Kultur bisher verbunden war. Sofern Kultur nur als affirmative Kultur in das abendländische Denken eingegangen ist, wird die Aufhebung ihres affirmativen Charakters wie eine Aufhebung der Kultur als solcher wirken. Insofern die Kultur die erfüllbaren, aber faktisch unerfüllten Sehnsüchte und Triebe der Menschen gestaltet hat, wird sie ihren Gegenstand verlieren. Die Behauptung, daß die Kultur heute unnötig geworden ist, enthält ein weitertreibendes Element. Nur daß die Gegenstandslosigkeit der Kultur im autoritären Staat nicht aus der Erfüllung hervorgeht, sondern aus dem Bewußtsein, daß schon das Wachhalten der Sehnsucht nach Erfüllung in der gegenwärtigen Situation gefährlich ist. - Wenn die Kultur einmal die Erfüllung selbst wachzuhalten hat und nicht mehr bloß die Sehnsucht, wird sie es nicht mehr in den Inhalten tun können, die als solche schon affirmativen Charakter tragen. "Dankbarkeit" wird dann vielleicht wirklich ihr Wesen sein, wie NIETZSCHE es von aller schönen und großen Kunst behauptet hat (53). Die Schönheit wird eine andere Verkörperung finden, wenn sie nicht mehr als realer Schein dargestellt werden, sondern die Realität und die Freude an ihr ausdrücken soll. Nur aus der anspruchslosen Schaustellung mancher griechischer Statuen, aus der Musik MOZARTs und des letzten BEETHOVEN, aus der Darbietung des Körpers in der Artistik läßt sich eine Vorahnung solcher Möglichkeiten gewinnen. Vielleicht wird aber auch die Schönheit und ihr Genuß überhaupt nicht mehr der Kunst anheimfallen. Vielleicht wird die Kunst als solche gegenstandslos werden. Seit mindestens einem Jahrhundert hat ihre Existenz für den Bürger nur noch in der musealen Form bestanden. Das Museum war die geeignetste Stätte, um die Entfernung von der Faktizität, die trostreich Erhebung in eine würdigere Welt zugleich mit der zeitlichen Beschränkung auf das Feiertägliche im Individuum zu reproduzieren. Museal war auch die weihevolle Behandlung der "Klassiker" : hier brachte die Würde allein schon eine Stillstellung aller sprengenden Motive mit sich. Was ein Klassiker gesagt und getan hatte, brauchte man nie so ganz ernst zu nehmen : es gehörte eben einer anderen Welt an und konnte mit der gegenwärtigen nicht in Konflikt kommen. - Die Polemik des autoritären Staates gegen den "musealen Betrieb" enthält eine richtige Erkenntnis; aber wenn er gegen die "grotesken Formen der Erbauung" kämpft, will er nur zeitgemäßere Methoden der Affirmation an die Stelle veralteter setzen. Jeder Versuch, das Gegenbild der affirmativen Kultur zu zeichnen, stößt auf das unausrottbare Klischee vom "Schlaraffenland". Es ist aber immer noch besser, dieses Klischee zu akzeptieren, als jenes von der Umwandlung der Erde in eine riesige Volksbildungsanstalt, wie es manchen Kulturtheorien zugrundezuliegen scheint. Man spricht vom "Allgemeinwerden der kulturellen Werte", vom "Recht aller Volksgenossen an den Kulturgütern", von der "Hebung der leiblichen, geistigen und sittlichen Volksbildung." (54) Das hieße aber nur, die Ideologie einer bekämpften Gesellschaft zur bewußten Lebensform einer anderen zu erheben, aus ihrer Not eine neue Tugend zu machen. Wenn KAUTSKY vom "kommenden Glück" spricht, denkt er zunächst an die "beglückenden Wirkungen wissenschaftlicher Arbeit", an das "verständnisvolle Genießen auf den Gebieten der Wissenschaft und Kunst, in der Natur, in Sport und Spiel." (55) Den "Massen" soll "alles, was bisher an Kultur geschaffen worden ist, ... zur Verfügung gestellt werden. Die gesamte Kultur für sich zu erobern", ist ihre Aufgabe. (56) - Das kann aber nichts anderes bedeuten, als die Massen wieder einmal für jene gesellschaftliche Ordnung zu erobern, welche von der "gesamten Kultur" bejaht wird. Solche Ansichten verfehlen das Entscheidende : die Aufhebung dieser Kultur. Nicht das primitiv-materialistische Element an der Idee vom Schlaraffenland ist falsch, sondern seine Verewigung. Solange die Vergänglichkeit ist, wird genug Kampf, Trauer und Leid sein, um das idyllische Bild zu zerstören; solange ein Reich der Notwendigkeit ist, wird genug Not sein. Auch eine nicht-affirmative Kultur wird mit der Vergänglichkeit und mit der Notwendigkeit belastet sein : ein Tanz auf dem Vulkan, ein Lachen unter Trauer, ein Spiel mit dem Tod. Solange wird auch die Reproduktion des Lebens noch eine Reproduktion der Kultur sein : Gestaltung unerfüllter Sehnsüchte, Reinigung unerfüllter Triebe. In der affirmativen Kultur ist die Entsagung mit der äußeren Verkümmerung des Individuums verbunden, mit seiner Disziplinierung zum Sich-Fügen in eine schlechte Ordnung. Der Kampf gegen die Vergänglichkeit befreit hier nicht die Sinnlichkeit, sondern entwertet sie : er ist nur auf dem Grund ihrer Entwertung möglich. Diese Glücklosigkeit ist keine metaphysische; sie ist das Werk einer vernunftlosen gesellschaftlichen Organisation. Ihre Aufhebung wird mit der Beseitigung der affirmativen Kultur die Individualität nicht beseitigen, sondern verwirklichen. Und "sind wir einmal irgendwie im Glück, so können wir gar nicht anders als die Kultur fördern." (57) ![]()
43) Vgl. diese Zeitschrift, Jahrgang V, 1936, Seite 219f 44) WALTER STANG, Grundlagen nationalsozialistischer Kulturpflege, Berlin 1935, Seite 13 und 43. 45) ERNST JÜNGER, Der Arbeiter, Herrschaft und Gestalt, zweite Auflage, Hamburg 1932, Seite 198. 46) JÜNGER, Arbeiter, a. a. O., Seite 199 47) JÜNGER, Arbeiter, a. a. O., Seite 200 48) JÜNGER, Arbeiter, a. a. O., Seite 203 49) JÜNGER, Arbeiter, a. a. O., Seite 204 50) JÜNGER, Arbeiter, a. a. O., Seite 210 51) JÜNGER, Arbeiter, a. a. O., Seite 201 52) HEINRICH RICKERT, Lebenswerte und Kulturwerte, in "Logos", Bd. II, 1911/12, Seite 154 53) NIETZSCHE, Werke VIII, a.a . O., Seite 50 54) Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1921 und der Sächsischen Volkspartei von 1866. 55) KARL KAUTSKY, Die materialistische Geschichtsauffassung, Berlin 1927, Bd. II, Seite 819 und 837. 56) KAUTSKY, a. a. O., Seite 824 57) NIETZSCHE, Werke XI, a. a. O., Seite 241 |