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GIAMBATTISTA VICO
Grundzüge einer Neuen Wissenschaft
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"Es ist seltsam, daß es so viele Unwissende gibt, denn so wie der Rauch den Augen, der Gestank der Nase, so ist dem Geist das Nichtwissen, das Getäuschtwerden, das in Irrtum verfallen zuwider: weshalb man auf das Höchste die Fahrlässigkeit tadeln muß, daß wir nicht in allem wohlunterrichtet sind."

"Die  vierte  Rede, gehalten im Jahr 1704, ist gegen die falschen Gelehrten gerichtet, welche bloß um des Vorteils willen studieren, wodurch sie mehr sorgen, Gelehrte zu scheinen als zu sein: und wenn sie den erzielten Vorteil erreicht haben, sich erniedrigen und die elendesten Ränke anwenden, um ferner in der Meinung für Gelehrte zu gelten."

Zu eben derselbigen Zeit wurden die  philosophischen  Werke des CICERO, ARISTOTELES und PLATO, welche der Reihe nach ganz geeignet sind, den Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft zu regeln, Ursache, daß er keinen oder nur sehr wenigen Geschmack fand an der Moral sowohl der Stoiker wie auch der Epikureer; welche beiderseits eine Moral ist für Einsiedler; die der Epikureer, als in ihren Gärtlein verschlossener Müßiggänger: die der Stoiker, als auf Empfindungslosigkeit studierender Grübler. Und der Sprung, den er gleich Anfangs gemacht hatte von der Logik zur Metaphysik, bewirkte, daß VICO sich hernachmals wenig kümmerte um die Physik des ARISTOTELES, des EPIKUR und schließlich des RENATUS CARTESIUS: woher er sich aufgelegt fand, sich bei der  timäischen Physik,  welcher PLATO gefolgt ist, zu beruhigen; welche die Entstehung der Welt aus den Zahlen aufstellt; und bei Verschmähung der  stoischen Physik  zu beharren, welche die Welt aus Punkten bestehen läßt; zwischen den beiden dem Wesen nach eine nicht geringe Verschiedenheit stattfindet; wie er nachher sich zum Geschäft machte, dieselbe herzustellen in dem Buch "De Antiquissima Italorum Sapientia": und letztlich weder im Scherz noch im Ernst die  mechanischen Physiker  weder des EPIKUR noch des CARTESIUS zuzulassen, welche beide von einer falschen Position ausgehen.

Da VICO jedoch bemerkte, daß von ARISTOTELES wie von PLATO häufig mathematische Beweise angewendet werden, um die Wahrheiten darzutung, welche sie in der Philosophie begründen, sah er in diesem Stück sein Unvermögen ein, ihnen folgen zu können: woher er sich auf die Geometrie zu legen beschloß: und als er bis auf den fünften Satz des EUKLID vorgerückt war, empfand er bei der Bemerkung, daß der Hauptinhalt jener Demonstration ist, die Kongruenz der Dreiecke zu beweisen, indem einzeln nach jeder Seite und jedem Winkel des einen Dreiecks dargelegt wird, daß sich selbige in gleicher Ausdehnung mit jeder Seite und jedem Winkel des andern decken müssen, in sich selbst die Gewißheit, daß es seine leichtere Sache ist jene einzelnen Wahrheiten, gleichsam nach einem metaphysischen Gattungsbegriff jener besonderen geometrischen Quantitäten, alle auf einmal zu erkennen. Und so machte er auf eigene Hand die Erfahrung, daß der durch die Metaphysik schon zum Universalen erhobenen Geistern jenes geringfügigen Köpfen eigens zugehörige Studium nicht gelingt; und unterließ demnach es zu verfolgen, da es seinen durch reichlichen Betrieb der Metaphysik schon im Unendlichen der Gattungsbegriffe zu schweifen gewöhnten Geist in Fesseln und Beschränkungen legte; und durch  anhaltende Lesung der Redner, Geschichtsschreiber und Dichter  vergnügte er seinen Genius, in den entlegendsten Erscheinungen Schleifen aufzufinden, die sie in irgendeinem gemeinsamen Bereich zusammenknüpften (7), welches die schönen Nesteln der Beredtsamkeit sind, die den Scharfsinn angenehm erweckten.
    "So daß mit Recht die Alten die Geometrie für ein Studium zur Beschäftigung der Kinder hielten, und von ihr urteilten, sie sei eine für jenes zarte Alter geeignete Logik, da je leichter solches die Einzelheiten auffaßt, und sie genau zu ordnen versteht, desto schwerer es die Gemeinbegriffe der Dinge begreift: und ARISTOTELES selbst, wie sehr er auch aus der herkömmlichen Methode der Geometrie die Kunst der Syllogistik abstrahierte, dies doch selbst zugibt, wenn er behauptet, daß den Kindern die Sprachen, die Geschichte und Geometrie gelehrt werden müssen, als Materien, welche vornehmlich geeignet sind, derselben Gedächtnis, Phantasie und Scharfsinn zu üben. Daraus läßt sich leicht einsehen, mit welchem Nachteil, mit welchem Erfolg für die Jugend heutzutage von einigen in der Methode zu studieren zwei höchstverderbliche Verfahrensweisen angewendet werden: die eine, daß den kaum aus der Schule der Grammatik getretenen Kindern die Philosophie eröffnet wird, mit der sogenannten Logik des ARNALDUS, die da ganz mit den nachdenklichen Urteilen über esoterische Materien höherer und vom gewöhnlichen allgemeinen Menschenverstand entfernter Wissenschaften angefüllt ist: womit man in den Jünglingen jene Gaben des jugendlichen Geistes zusammenreißt, deren jede durch eine eigene Kunst geregelt und gefördert werden müßte, wie das Gedächtnis durch das Studium der Sprachen, die Phantasie durch eine Lesung der Dichter, Geschichtsschreiber und Redner, der Scharfsinn durch die Elementargeometrie, welche gewissermaßen eine Malerkunst ist, die das Gedächtnis durch die große Zahl ihrer Elemente stärkt; die Phantasie durch ihre reinen Figuren, wie durch ebensoviele in den feinsten Linien dargestellten Zeichnungen, veredelt; und den Scharfsinn durch die Notwendigkeit sie alle zu durchlaufen, und unter allen diejenigen zusammenzulesen, welche nötig sind, um die verlangte Größe zu beweisen, entwickelt: und alles das, um für die Zeit des reifen Urteils eine wohlredende, lebendige und geistreiche Erkenntnis zu erzeugen. Während aber durch jene Logiker die jungen Leute vor der Zeit zur Kritik geführt werden, was so viel heißt als geführt werden richtig zu urteilen, ehe sie es richtig gelernt haben, gegen den natürlichen Lauf der Ideen, welche zuerst lernen, hernachmals urteilen, und zuletzt philosophieren, wir die Jugend trocke und dürr im Ausdruck, und ohne jemals etwas zu leisten, will sie über alles urteilen. Wenn sie sich dagen im Alter der Geistesblüte, welches die Jünglingszeit ist, auf die Topik verlegte, was die Kunst ist zu erfinden, die da lediglich das Vorrecht ist der mit Genie begabten" (wie VICO durch CICERO aufmerksam gemacht, sich auf die des CICERO verlegte) " würden sie sich die Materie verschaffen, um hernachmals richtig zu urteilen: derweilen man nicht richtig zu urteilen vermag, wenn einem nicht das Ganze des Gegenstandes bekannt ist, und die Topik die Kunst ist, in einem jeglichen Gegenstand alles, was in demselbigen ist, aufzufinden: und so würden durch die Natur selbst die Jünglinge dazu gelangen, sich zu Philosophen und Wohlredenden zu bilden. Die zweite Verfahrensweise ist, daß den jungen Leuten die Elemente der Wissenschaft von den Größen nach der  algebraischen Methode  beigebracht werden, welche allen noch so großen Reichtum der jugendlichen Anlagen erstarren macht, ihnen die Phantasie abstumpft, das Gedächtnis raubt, den Scharfsinn schwächt, den verstand erschlafft, vier Eigenschaften, die doch so höchst notwendig sind für die Ausbildung edlerer Humanität, die erste für die Malerei, Bildhauerkunst, Baukunst, Musik, Dichtkunst und Beredtsamkeit; die zweite für die Sprachgelehrsamkeit und Geschichte; die dritte für die Erfindungen; die vierte für die Lebensklugheit. Es scheint aber diese Algebra eine arabische Erfindung, die natürlichen Zeichen der Größen auf gewisse willkürliche Ziffern zurückzubringen, wie denn die Araber die Zeichen der Zahlen, die bei den Griechen und Lateinern deren Buchstaben waren, welche beiden, zumindest die großen, regelmäßige geometrische Linien sind, auf zehn ganz individuelle Ziffern zurückführten. Und so wird mit der Algebra der Geist gedrückt, weil sie nichts sieht, als das Eine, welches ihr vor den Füßen ist: sie macht das Gedächtnis stumpf, weil sie, sobald das zweite Zeichen gefunden ist, sich nicht weiter um das erste bekümmert: sie blendet die Phantasie; weil sie auch gar nicht imaginiert: sie unterrichtet nicht den Verstand, weil sie sich zum Erraten bekennt: so daß die Jünglinge, welche viel Zeit auf sie gewendet haben, späterhin bei der Praxis des bürgerlichen Lebens zur ihrem größten Verdruß und Reue sich für das dasselbe nicht brauchbar finden. Um daher einigen Nutzen zu gewähren, und um keinen dieser so bedeutenden Nachteile herbeizuführen, sollte die Algebra auf kurze Zeit am Ende des mathematischen Kursus gelehrt werden, und man sich ihrer bedienen, wie die Römer sich ihrer Zahlen bedienten, indem sie bei unermeßlichen Summen sie durch Punkte bezeichneten; so würden wir da, wo bei der Auffindung von verlangten Größen unser menschlicher Verstand verzweifeln mußte, die Anstrengung mit der Synthetik zu bestehen, so dann zu einem Orakel der Analytik unsere Zuflucht nehmen. Denn soweit es zu einer gründlichen Spekulation mit dieser Art von Methode frommt, ist es besser, die metaphysische Analytik in Anwendung zu bringen; und bei jeder Frage suche man das Wahre auf im Unendlichen des Seienden; sodann entferne man nach den Gattungsbegriffen der Substanz stufenweise, was die Sache nicht ist durch alle Arten der Gattungsbegriff hindurch, bis man auf den letzen Unterschied kommt, welcher das Wesen der Sache verstellt, die man zu erkennen begehrt." [Diese etwas lange Abschweifung ist eine jährliche Vorlesung Vicos für die Jünglinge, daß sie Auswahl und Gebrauch von den Wissenschaften machen lernen für die Beredtsamkeit.]
Um jetzt wieder auf den Weg zu kommen: unverhüllt, wie ihm war, daß das ganze Geheimnis der geometrischen Methode darin besteht, zunächst die Ausdrücke zu erklären, mit denen man zu erörtern hat; sodann einige allgemeine Grundsätze aufzustellen, über welche derjenige, mit dem man erörtert, einverstanden sein soll; schließlich, wo es Not tut, etwas bescheiden zu fordern, was der Natur nach zugestanden werden kann, damit die Erörterungen gelingen mögen, welche ohne irgendeine Voraussetzung nicht zum Ziel kommen würden: und nach diesen Prinzipien von erwiesenen einfacheren Wahrheiten streng genau zu den zusammengesetztesten fortzuschreiten, die zusammengesetzten jedoch nicht zu behaupten, bevor nicht einzeln die Teile geprüft wurden, welche sie zusammensetzen: hielt er nur soviel für nützlich erkannt zu haben, wie die Geometer in ihren Erörterungen verfahren; damit, wenn er je einmal jener Erörterungsweise bedürfen sollte, er ihrer mächtig wäre, wie er dann späterhin ernsthaft von ihr Gebrauch gemacht hat in dem Werk "De Universi Juris uno Principio", von dem Herr JOHANN CLERICUS geurteilt hat, es sei  nach einer streng mathematischen Methode  angelegt, wie seines Ortes wird erzählt werden.

Um nach der Ordnung die Fortschritte VICOs in den Philosophien zu erkennen, ist es hier nötig, ein wenig rückwärs zu gehen, da zu der Zeit in welcher er von Neapel abgereist war, die  Philosophie  des EPIKUR nach PETER GASSENDI aufzukommen begonnen hatte und er zwei Jahre darauf die Nachricht erhielt, wie die Jugend sich deren Bearbeitung mit vollen Segeln hingegeben: woher in ihm der Gedanke erwachte, sie aus LUKREZ kennen zu lernen, bei dessen LEsung er inne wurde, daß EPIKUR, als der mit der Leugnung, daß die Seele von einer anderen Gattung der Substanz als der Körper ist, aus Mangel an einer guten Metaphysik von beschränkter Seele geblieben, zum Prinzip seiner Philosophie setzen mußte den Körper als schon geformt und geteilt in vielgestaltige Teile, die wieder zusammengesetzt sind aus anderen Teilen, welche er aus Mangel eines dazwischen befindlichen Leeren sich als unteilbare Gesetze dachte: was eine Philosophie ist, welche die engen Geister der Kinder und die schwachen der Weiblein befriedigen mag. Und obschon er von Geometrie auch gar nichts weiß, zimmert er bei all dem nach einer richtigen und geordneten Reihe von Folgerungen über einer mechanischen Physik eine ganz sinnliche Metaphysik dergleichen aufs Haar die des JOHN LOCKE sein würde und eine Moral des Vergnügens, gut für Menschen, welche in Einsamkeit leben müssen, wie der dies dann wirklich denen befahl, welche sich zu seiner Sekte bekennen würden: und um ihm sein Recht zu tun, so sah VICO mit wie vielem Ergötzen er von jenem die Formen der körperlichen Natur erklärt sah, mit eben so vielem Lächeln oder Mitleid ihn in die harte Notwendigkeit versetzt, sich tausend Albernheiten und Possen zu überlassen, um die Weisen zu entwickeln, wie die menschliche Seele ihre Wirksamkeit übt. Woher dies allein schon ihm zu einem großen Beweggrund wurde, sich mehr und mehr in den  Lehrsätzen  des PLATO zu befestigen: welcher aus der Form unserer menschlichen Seele selbst, ohne irgendeine Hypothese, als Prinzip aller Dinge die ewige Idee aufstellt, nach der Erkenntnis und dem Bewußtsein, die wir von uns selbst haben, daß in unserer Seele gewisse ewige Wahrheiten liegen, die wir nicht verkennen oder hinwegleugnen können, und die folglich nicht von uns herrühren: daß wir aber übrigens in uns eine Freiheit empfinden, all die Dinge, welche eine Abhängigkeit vom Körper haben, indem wir sie verstehen, hervorzubringen, und darum sie hervorbringen in der Zeit, d. h. wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf sie richten wollen, und sie alle hervorbringen im Erkennen, und sie alle in uns besitzen, wie die Bilder mittels der Phantasie, die Erinnerungen mittels des Gedächtnisses, mittels des Begehrungsvermögens die Leidenschaften, die Gerüche, die Geschmäcke, die Farben, die Töne, die Gefühle oder Empfindungen: und all diese Dinge in uns besitzen, aber kraft der ewigen Wahrheiten, welche nicht von uns herrühren, und in keiner Abhängigkeit von unserem Körper stehen, einsehen müssen, daß das Prinzip aller eine ewige ganz vom Körper getrennte Idee ist, welche in ihrer Erkenntnis, sobald sie will, alle Dinge in der Zeit erschafft, und in sich enthält, und sie enthaltend erhält. Von welchem philosophischen Prinzipg aus er für die Metaphysik feststellt, daß die abstrakten Substanzen mehr Realität haben, als die körperlichen: daraus leitet er eine Moral her, welche gänzlich wohl geordnet ist für das Bürgertum: woher die Schule des SOKRATES teils ansich, teils durch ihre Nachfolger die größten Lichter Griechenlands beides, sowohl in den Künsten des Friedens wie auch des Krieges geliefert hat, und ihren Beifall gibt der  timäischen Physik,  d. h. der des PYTHAGORAS, welcher die Welt aus Zahlen bestehen läßt, die in einem bestimmten Verhältnis abstrakter sind als die metaphysischen Punkte, auf welche ZENO verfiel, um nach ihnen die Natur der Dinge zu erläutern, wie sofort VICO in seiner  Metaphysik  es beweist, nach dem, was noch darüber wird gesagt werden.

Nach Verfluß einiger anderer Zeit erfuhr er, daß die Experimentalphysik, derentwegen überall ROBERT BOYLE gefeiert wurde, den Preis erstiegen hat: wie sehr er aber dieselbe für die Arzneikunde und Experimentierkunst ersprießlich hielt, so sehr wollte er sie fern von sich, teils weil sie nichts beitrug zur Philosophie des Menschen, teils weil sie sich in barbarischen Manieren ausdrücken mußte: und er vornehmlich sein Augenmerk auf das Studium der römischen Gesetze richtete, deren Hauptgrundlage die Philosophie der menschlichen Sitten, so wie die Wissenschaft der römischen Sprache und Verfassung sind, welche einzig aus den lateinischen Schriftstellern gelernt werden kann.

Gegen das Ende seiner Einsiedlerschaft, welche wohl neun Jahre dauerte, erhielt er die Kunde, daß die Physik des RENATUS CARTESIUS den Ruhm aller früheren verdunkelt habe, so daß er entflammt wurde, ihre Bekanntschaft zu machen: wie er denn durch eine anmutige Täuschung die Ansichten derselben schon längst gehabt hatte: denn er hatte aus dem Buchladen seines Vaters unter seinen anderen Büchern auch die "Natürliche Philosophie" des HEINRICH REGIUS mitgenommen, unter dessen Maske CARTESIUS sie Anfangs zu Utrecht ans Licht stellte: als er sodann nach LUKREZ sein Studium auf REGIUS gewandt, einen Philosophen, der seiner Kunst nach Arzt war, und bewies, daß er keine andere Gelehrsamkeit besitzt als mathematische, hielt er ihn für einen Mann von nicht geringerer Unkunde in der Metaphysik, als EPIKUR gewesen war, der doch von Mathematik nie etwas wissen wollte: denn derselbe nimmt in der Natur ein Prinzip von nicht minder falscher Voraussetzung an, den schon geformten Körper, was bloß insofern von dem des EPIKUR abweicht, daß jener die Teilbarkeit des Körpers in den Atomen abschließt, dieser seine drei Elemente ins Unendliche teilbar macht: jener die Bewegung in das Leere setzt, dieser in das Erfüllte: jener anhebt seine unendlichen Welten zu bilden von einer zufälligen Abweichung der Atome von der nach unten zugehenden Bewegung ihres eigenen Gewichts und ihrer Schwerkraft: dieser bei der Bildung seiner unendlichen Wirbel ausgeht von einem Anstoß, der an ein Stück der untätigen und daher noch nicht getrennten Materie gebracht wurde, welche er mit der an sie gebrachten Bewegung in Teile scheidet (8), und da sie durch ihre eigene Masse getrennt ist, in die Notwendigkeit setzt, sich zur Bewegung in gerader Richtung zu zwingen; und da sie dies nicht durch ihren vollen Raum kann, sofort sich nach ihren Teilen sondert, um das Zentrum eines jeden dieser ihrer Pfeile zu bewegen. Wie daher von wegen der zufälligen Abweichung seiner Atome EPIKUR die Welt der Willkür des Zufalls überläßt, so schien es VICO von wegen der Notwendigkeit, daß die Urkörperchen des RENATUS sich zur geraden Richtung zwingen sollen, dieses System möge bequem sein für diejenigen, die die Welt dem Schicksal unterwerfen; und bei diesem seinem Urteil belustigte es ihn dann hernach, als er wieder nach Neapel kam und erfuhr, daß die Physik des REGIUS von RENATUS ist, und jetzt ebendesselben metaphysischen Spekulationen anfingen in Ruf zu kommen. Denn wie der nach Ruhm äußerst geizende RENATUS mit seiner Physik, die er nach einem der des EPIKUR ähnlichen Plan aufgebaut, und das erstemal auf den Lehrstühlen einer der berühmtesten Universitäten von Europa, dergleichen die von Utrecht ist, durch einen ärztlichen Physiker erscheinen lassen, sich unter den Professoren der Arzneikunde berühmt zu machen gestrebt hatte; so zeichnete er hernach einige  erste Linien  der  Metaphysik  in der  Manier  des PLATO, wo er sich Mühe gibt, zwei Gattungen der Substanzen aufzustellen, die eine ausgedehnt, die andere intelligent, um ein Agens über die Materie nachzuweisen, welches nicht Materie ist: wie es der Gott des PLATO ist; um eines Tages das Königtum auch in den Klöstern zu haben: denn obgleich die daselbst seit dem elften Jahrhundert eingeführte Metaphysik des ARISTOTELES mit dem, was dieser Philosoph von dem Seinigen dazugetan hat, vorher den gottlosen Averroisten gedient: so hatte doch gleichwohl, da ihre Basis die des PLATO ist, die christliche Religion sie leicht nach den frommen Ansichten ihres Meisters gebogen, und ist daher, wie sie Anfangs mit der platonischen bestand bis zum elften Jahrhundert, von da an hernach mit der aristotelischen Metaphysik bestanden. Und wirklich hörte dies VICO, als er gerade in dem Augenblick da die cartesianische Physik mit dem wärmsten Eifer angepriesen wurde, nach Neapel zurückgekehrt oftmals von Herrn GREGORIO CALOPRESO, einem großen Cartesianer, dem VICO sehr teuer war (9).

Bei aller Einheit ihrer Teile fügt sich jedoch die Philosophie des RENATUS keineswegs zu einem System zusammen; denn zu seiner Physik würde eine Metaphysik gehören, welche eine einzige Gattung körperlicher, wie gesagt ist, nach Notwendigkeit wirkender Substanz aufstellte; wie zu der des EPIKUR eine einzige Gattung körperlicher, nach Zufall wirkender Substanz: so wie darin RENATUS mit EPIKUR wohl übereinkommt, daß alle die unendlichen mannigfachen Formen der Körper Modifikationen sind der körperlichen Substanz, die dem Wesen nach Nichts sind. Auch zeitigte seine Metaphysik auch im geringsten keine Moral, welche zur christlichen Religion stimmen würde: denn nicht nur bilden dieselbe die wenigen Erörterungen nicht, die er zerstreut darüber geschrieben hatte; und die Abhandlung über die Leidenschaften gehört eher in die Arzneikunde, als in die Moral: sondern auch der Pater MALEBRANCHE wußte nach ihr kein System der christlichen Moral auszuarbeiten; und die Gedanken von PASCAL sind gleichfalls einzelne Lichter. Ebensowenig geht aus seiner Metaphysik eine eigentümliche Logik hervor; den ARNALDUS begründet die seine auf der Basis der aristotelischen. Und schließlich dient sie selbst nicht der Arzneikunde: denn der Mensch des RENATUS wird von den Zergliederern in der Natur nicht gefunden. So daß gegen die des RENATUS gehalten eher die Philosophie des EPIKUR sich zu einem System schließt, obgleich letzterer nichts von Mathematik verstand. Aus allen diesen Gründen, auf welche VICO allmählich aufmerksam wurde, freute er sich im Stillen nicht wenig, daß wie er bei der Lesund des LUKREZ mehr auf die Seite der platonischen Metaphysik getreten war, er bei der des REGIUS sich mehr in derselben befestigt.

Diese Physiken waren für VICO gleichsam Zerstreuungen von den tiefsinnigen Spekulationen über die platonische Metaphysik, und dienten ihm, um an ihnen die Phantasie ausruhen zu lassen bei seinen poetischen Studien, worin er sich öfters mit der Ausarbeitung von Canzonen [Liedern - wp] übte, während er noch nach seiner ersten Angewöhnung in italienischer Zunge, jedoch unter dem Augenmerk dichtete, in dieselbe nach dem Voranschreiten der besten toskanischen Dichter lichtvolle lateinische Ideen überzuleiten: wie er nach dem PANEGYRICUS, der von CICERO für POMPEJUS dem Großen in der  Rede über das manilische Gesetz  eingewebt ist, einer Rede, dergleichen in dieser Gattung es keine gediegenere in der ganzen lateinischen Sprache gibt, zur Nachahmung der drei Schwestern des PETRARCA einen  Panegyricus in drei Canzonen  unternahm zu Ehren des Kurfürsten MAXIMILIAN von Bayern, welch in der  Auswahl italienischer Dichter  von Herrn LIPPI, gedruck zu Lucca im Jahre 1728 vorkommen; so wie in der des Herrn ACAMPORA von  Neapolitanischen Dichtern;  gedruckt zu Neapel im Jahr 1701 eine andere Canzone vorkommt auf die Vermählung der Frau Donna HIPPOLITA CANTELNI di DUCHI die VOPOLI mit Don VINCENZO CARASA, Herzog von Bruzzano und jetzt Fürst von Rocella: welche er nach dem höchst anmutigen Gedicht des CATULLUS  Vesper adest  dichtete: von dem er hernach las, daß es vor ihm TORQUATO TASSO ebenfalls in einer Canzone über einen ähnlichen Vorwurf nachgeahmt: und VICO freute sich, davon früher keine Kenntnis gehabt zu habe; teils aus Verehrung für einen solchen und so großen Dichter; und weil er, wenn er bereits davon unterrichtet gewesen wäre, weder gewagt, noch sich ergötzt haben würde, sie auszuarbeiten. Außer diesen komponierte VICO über die  Idee des größten Jahres bei Plato,  über welches sich VIRGILIUS in seiner äußerst gelehrten Ekloge [Auswahl - wp]  sicolides Musae  verbreitet, eine andere Canzone bei der Vermählung des Herzogs von Bayern mit der Prinzession THERESE von Polen, welche im ersten Teil der  Auswahl neapolitanischer Dichter  von Herrn ALBANO, gedruckt zu Neapel im Jahre 1723 befindlich ist.

Mit dieser Gelehrsamkeit und mit dieser Bildung begab sich VICO nach Neapel zurück, wie ein Reisender in sein Vaterland, und fand daselbst bei den gelehrten Männern von Gewicht die Physik des RENATUS oben in der höchsten Würdigung: die des ARISTOTELES war teils durch sich selbst, vielmehr aber noch durch die ausschweifenden Umgestaltungen der Scholastiker bereits zum Ammenmärchen geworden: die Metaphysik, die seit 1500 zum erhabensten Rang in der Literatur des MARSILIUS FICINUS, die PICO de MIRANDOLA, die beiden AUGUSTIN, sowohl NIPHUS als auch STEUCHISU, die JAKOB MAZZONI, die ALEXANDER PICCOLOMINI, die MATTEO AQUAVIVA, die FRANZ PATRICIUS erhoben und soviel beigetragen hatte zur Poesie, zur Geschichte, zur Beredtsamkeit, daß ganz Griechenland von der Zeit, da es am gebildetsten und beredtesten war, in Italien wieder auferstanden zu sein schien, hielt man würdig, in der Gefangenschaft der Klöster zu leben; und von PLATO wurde nur hin und wieder eine Stelle zum Zweck der Poesie angeführt, oder um mit der Gedächtnisweisheit zu prangen: die scholastische Logig wurde verurteilt, und an ihre Stelle die Elemente des EUKLID zu setzen für gut befunden: die Arzneikunde war durch die häufigen Veränderungen in den Systemen der Physik in den Skeptizismus versunken: und die Ärzte hatten begonnen stehen zu bleiben bei der Akatalepsie [Unmöglichkeit das Wesen der Dinge zu begreifen - wp] oder Unbegreiflichkeit des Wahren in Hinsicht der Natur der Krankheiten, und sich zurückzuziehen auf die Epoche oder Zurückhaltung der Zustimmung bei der Erteilung der Urteile und Anwendung wirksamer Heilmittel: und die Galenik [Lehre von der Herstellung der Heilmittel - wp], welche vorher, ausgebildet durch die griechische Philosophie und die griechische Sprache, so viele unvergleichliche Ärzte geliefert hatte, war wegen der großen Unwissenheit ihrer Anhänger während dieser Zeiten in die größte Verachtung geraten: die alten Ausleger des bürgerlichen Rechts waren von ihrer hohen Achtung der Akademien zugefallen, und moderne Gelehrte zu derselben emporgestiegen mit großem Nachteil des Forum: denn wie sehr diese notwendig sind für die Kritik der römischen Gesetze, ebenso sehr bedarf man jener für die gesetzliche Topik in Sachen von zweifelhafter Billigkeit. Der hochgelehrte Herr Don CARLO BURAGNA hatte die löbliche Weise einer guten Dichtung wieder eingeführt; aber er hatte sie in zu enge Schranken gezwängt innerhalb der Nachahmung des GIOVANNI della CASA; nichts weder im Zarten noch im Starken herleitend aus den griechischen oder lateinischen Quellen, oder den lauteren Bächen der Rinne des PETRARCA, noch auch den gewaltigen Bergströmen der Canzonen des DANTE: der belesene Herr LEONARDO da CAPOVA hatte die echte toskanische Prosa wieder aufgeweckt und mit aller Anmut und Geschmeidigkeit umkleidet: aber trotz dieser Tugenden vernahm man keine Rede beseelt von griechischer Weisheit in Behandlung der Sitten, oder gekräftigt durch römische Großheit in Erregung der Leidenschaften: und schließlich der lateinisch unvergleichliche Herr THOMAS CORNELIO hatte mit seinen äußerst reinen Progymnasmen die Geister der Jünglinge vielmehr verschüchtert, als tüchtig gemacht die lateinische Sprache späterhin zu vervollkommnen. So daß aller dieser Dinge wegen VICO es segnete, keinen Meister gehabt zu haben, auf dessen Worte er hätte schwören mögen, und dankbar jene Wälder pries, innerhalb deren er, von seinem guten Genius geleitet, den Hauptkurs seiner Studien gemacht hatte, ohne eine Neigung für eine Sekte und nicht in der Stadt, wo wie eine Kleidermode alle zwei oder drei Jahre der Geschmack in den Wissenschaften wechselte. Durch die herrschende Verwahrlosung der guten lateinischen Prosa aber wurde er bestimmt, sie nur desto sorgfältiger auszubilden: und da er in Erfahrung gebracht hatte, daß CORNELIO in der griechischen Sprache nicht stark ist, noch die toskanische gepflegt hat und sich gar nicht, oder äußerst wenig mit der Kritik abgegeben hat: vielleicht, weil er bemerkt hatte, daß die  Polyglotten  wegen der Vielfältigkeit der Sprachen, die sie verstehen, niemals einer derselben vollkommen mächtig sind; und die  Kritiker  die Vorzüge der Sprachen nicht erfassen, weil sie sich immerdar mit der Aufzeichnung der Fehler an den Schriftstellern beschäftigen; beschloß VICO die griechische, in welcher er sich mit den  Rudimenten  des GRESSERUS, die er in der zweiten Klasse der Jesuiten erlernt, fortgeholfen hatte, und die toskanische Sprache zu verlassen (aus welchem Grund er auch nie die französische lernen wollte), und sich ganz in der lateinischen zu befestigen: da er nicht minder bemerkt, daß mit der Erscheinung der  Lexica  und  Commentare  die lateinische Sprache in Verfall geraten war; beschloß er, derart Bücher niemals in die Hände zu nehmen, mit der einzigen Ausnahme des  Nomenclator  von JUNIUS für das Verständnis der Kunstausdrücke; die lateinischen Schriftsteller aber ohne alle Anmerkungen, mit philosophischer Kritik in ihren Geist eindringend, zu lesen; so wie es die lateinischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts getan hatten; unter denen er JOVIUS bewunderte wegen der Beredtheit und NAUGER wegen der Feinheit des Wenigen, was er darin hinterlassen und das wegen dessen sehr zierlichen Geschmacks uns den großen Verlust, den wir an seiner Geschichte erlitten haben, beseufzen läßt.

Aus diesen Gründen lebte VICO nicht nur wie ein Fremder in seinem Vaterland, sondern selbst ganz unbekannt. Jedoch hinderten diese Ansichten und einsamen Beschäftigungen nicht, daß er von weiten gleichsam als Gottheiten der Weisheit die in Kenntnis der Wissenschaft, in altem Ansehen stehenden Männer verehrte und mit wohlanständigem Kummer anderen Jünglingen das Glück ihres Umgangs neidete. In dieser Stimmung nun, welche notwendig ist für die Jugend, wenn sie weiterschreiten, und nicht auf das Wort hämischer oder unwissender Meister hin für das ganze Leben mit einem WIssen nach Laune und Maßstab eines anderen befriedigt bleiben will, wurde zuerst zwei hochgeachteten Männern bekannt; der erste war der Theatinerpater Don CAJETAN di ANDREA, welche nachdem als hochwüdigster Bischof, Bruder der Herren FRANZ und JANUARIUS starb, beide von unsterblichem Namen; welcher in einer Unterhaltung, die in einer Bibliothek, VICO mit ihm hatte über die Geschichte der  kanonischen Sammlungen,  ihn fragte, ob er verheiratet sei? Und als VICO mit Nein antwortete, hinzufügte, ob er Theatiner werden wolle? Worauf, als dieser antwortete, er sei nicht von adeliger Geburt, jener erwiderte, dies mache nichts aus, er selbst werde ihm darüber Dispensationen von Rom erwirken: als sich hier VICO durch so viel Ehre von Seiten des Pater verpflichte sah, entdeckte er ihm, daß er arme und alte, jeder anderen Hoffnung beraubte Eltern habe: und als auch da der Pater entgegnete, die Gelehrten seien ihren Familien eher zur Last als zum Vorteil, beschloß VICO, vielleicht könne es mit ihm das Gegenteil sein; der Pater aber endete mit den Worten: dies ist nicht Euer Beruf (10)! - Der andere war Herr Don JOSEPH LUCINA, ein Mann von unermeßlicher griechischer, lateinischer, toskanischer Gelehrsamkeit in allen Fächern des menschlichen und göttlichen Wissens; welcher nach der Anstellung eines Versuches, was an dem Jüngling sein soll, auf eine edle Weise bedauerte, daß man von ihm keinen zweckmäßigen Gebrauch in der Stadt mache: als sich ihm eine solche Gelegenheit darbot, ihn zu befördern, da Herr Don NICCOLO CARAVITA, durch Scharfsinn des Geistes, durch Strenge des Urteils, und durch Reinigkeit des toskanischen Stils der erste Sachwalter bei den Gerichtshöfen und großer Gönner der Gelehrten eine  Sammlung von Dichtungen  zum Lob des Herrn Grafen von San Stephano, Vizekönig von Neapel bei dessen Abreis zu veranstalten wünschte: welches die erste war, die in Neapel zu unserer Zeit hervortrat; und innerhalb der beschränkten Zeit von wenigen Tagen schon gedruckt sein sollte. Hier schlug LUCINA, der bei allen im höchsten Ansehen stand, ihm VICO für die Rede vor, welche den andern Inhaltsstücken vorausgehen sollte: und als er von jenem hierzu den Auftrag erhalten hatte, überbrachte er ihm selbst einen solchen, wobei er ihm die Gunst des Anlasses darstellte, auf eine vorteilhafte Weise zur Bekanntschaft eines Beschützers der Wissenschaften zu gelangen, wie er jenen selbst als seinen größsten erprobt hatte: wonach der Jüngling von selbst das höchste Verlangen trug: und so arbeitete er, weil er auf das toskanische verzichtet hatte, für jene  Sammlung  eine lateinische Rede aus, in JOSEPH ROSELLIs ausdrücklichem Verlag im Jahre 1696- Von da an begann er in den Ruf eines Gelehrten zu kommen: und unter anderen pflegte ihn der oben von uns mit Ehren erwähnte Herr GREGOR CALOPRESO, wie von EPIKUR gesagt wurde, den  Autodidascalos  oder "Lehrmeister seiner selbst" zu nennen. Beim Leichenbegängnis der Donna CATHARINA von ARAGON, Mutter des Herrn Herzogs von MEDINACELI (11), Vizekönigs von Neapel darauf, wo der sehr gelehrte Herr CARLO ROSSI die griechische, Don EMANUEL CICATELLI, berühmter Kanzelredner, die italienische, schrieb VICO die lateinische Rede, die mit den übrigen Gelegenheitsschriften in  einem  Folioband gedruckt ist.

Als kurz darauf der Lehrstuhl der Rhetorik durch den Tod des Professors (12) erledigt worden war, von Einkünften freilich nicht höher als jährlich hundert Scudi mit dem Zuschuß einer anderen geringeren unbestimmten Summe, welche aus den Gebühren für die Zeugnisse einläuft, mit denen dieser Professor die Studenten für das Rechtsstudium einführt, und ihm von Herrn CARARITA geraten wurde, er solle  illico  [sofort - wp] darum als Mitbewerber auftreten, er es aber ablehnte, weil ein anderes Gesuch, das er wenige Monate vorher getan hatte, als Stadtschreiber, ihm fehlgeschlagen war; sagte ihm Herr Don NICCOLO, nachdem er ihn scherzhaft als einen Menschen von wenig Geist getadelt hatte (wie er dies in der Tat ist in Dingen, welche Vorteile hinauslaufen), er solle sich nur dazu entschließen, die fällige Vorlesung zu halten: so bewarb sich VICO darum mit einer einstündigen Lektion über die ersten Zeilen des FABIUS QUINTILIANUS in dem sehr langen Kapitel  de statibus caussarum,  wobei er sich auf die Etymologie und die Unterschiede des Wortes  Status  mit griechischer und lateinischer Belesenheit und Kritik, beschränkte; wodurch er sich dann der Übertragung mit einer bedeutenden Stimmenmehrzahl errang.

Unterdessen hatte der Herr Vizekönig, Herzog von MEDINACELI, in Neapel einen seit den Zeiten ALPHONS von Aragonien nicht mehr gesehenen Glanz der schönen Wissenschaften hergestellt durch eine  Akademie  für deren Emporbringung, aus der Blüte der Gelehrten, die ihm von Don FEDERICO PAPPACODA, einem neapolitanischen Edelmann von gutem Geschmack in den Wissenschaften und großem Schätzer der Gelehrten, und von Don NICCOLO CARAVITA vorgeschlagen war: woher VICO, weil bei diesem Adelstand die elegantere Literatur in die höchste Aufnahme zu kommen begonnen hatte, umso mehr von der Ehre gespornt, unter diese Akademiker gezählt worden zu sein, sich ganz und gar zum Studium der Humanoiren wendete.

Es kommt aus Folgendem, daß das Glück ein Freund der Jünglinge genannt wird: weil sie nämlich das Los ihres Lebens nach den Künsten oder Hantierungen erwählen, welche während ihrer Jugend blühen: da aber die Welt ihrer Natur nach von Jahr zu Jahr ihren Geschmack ändert, findet sich hernach, daß sie als Greise stark sind in demjenigen Wissen, welches nicht mehr gefällt, und folglich nichts mehr hilft. So begibt sich mit einem Mal eine große Umwälzung des wissenschaftlichen Zustandes in Neapel; denn während man glaubte, es müßten daselbst auf lange Zeit alle edleren Wissenschaften des 16. Jahrhunderts wieder heimisch werden, trat mit der Abreise des Herzogs Vizekönig daselbst eine andere Ordnung der Dinge ein, um sie in kürzester Zeit der Vernichtung zu überliefern, da gegen alle Erwartung jene trefflichen Gelehrten, welche zwei oder drei Jahre zuvor behauptet, die Metaphysik müßte in den Klöstern verschlossen bleiben, selbst mit vollen Segeln sich ihrem Studium hingaben: nicht zwar nach den Platonen und Plotinen, mit dem MARSILIUS, wodurch dieselbe seit 1500 so große Gelehrte erweckt hatte, sondern nach den "Meditationen" des RENATUS CARTESIUS: welche sein Buch  Über die Methode  begleitet: in dem er die Studien der Sprachen, der Redner, der Historiker und der Dichter verwirft: und einzig und allein seine Metaphysik, Physik und Mathematik emporhebend die Literatur zurückführt auf das Wissen der Araber, die in allen diesen drei Fächern sehr gelehrte Männer hatten, wie den AVERROES in der Metaphysik, und so viele berühmte Sternkundige und Ärzte, welche in beiden Wissenschaften selbst die Wörter geschaffen haben, die da nötig sind, sich in ihnen auszudrücken. Es mußten daher den Gelehrten, wenn sie auch große Köpfe waren, weil sie sich zuvor sämtlich und lange Zeit mit korpuskularen Physiken, mit Versuchen und Maschinen beschäftigt haben, die Meditionen des RENATUS höchst abstrus vorkommen, weil sie die Geister von den Sinnen zurückziehen sollten, um über denselben nachzudenken: woher der Lobspruch eines großen Philosophen war:  der versteht die Meditatinen des Renatus.  Da nun während dieser Zeiten VICO und Herr Don PAOLO DORIA oftmals bei Herrn CARAVITA, dessen Haus ein Sammelplatz der Gelehrten war, verkehrten, war dieser gleich treffliche Edelmann und Philosoph der erste, mit welchem VICO anfangen konnte, über Metaphysik zu reden: von dem aber, was DORIA als erhaben, groß und neu in RENATUS bewunderte, bemerkte VICO, daß es alt und gemein bei den Platonikern war. Aus den Erörterungen des DORIA jedoch gewährte er einen Geist, welcher häufig glänzende Lichter platonischer Göttlichkeit aufblitzte: woher von jener Zeit an sie in einer treuen und adeligen Freundschaft verbunden blieben.

Bis auf diese Zeiten bewunderte VICO zwei allein als einzig vor allen übrigen Geistern, nämlich PLATO und TACITUS; denn mit einem unvergleichlich metaphysischen Takt betrachtet TACITUS den Menschen, wie er ist, PLATO, wie er sein soll: und wie PLATO nach jener universalen Wissenschaft sich über alle Teile der Sittlichkeit verbreitet, welche den Weisen der Idee vollenden; so steigt TACITUS zu allen Anschlägen des Vorteils hernieder, damit der Weise des Lebens zwischen den unendlichen regellosen Resultaten der Bosheit und des Glücks sicher geleitet werde. Und aus diesem Gesichtspunkt war die Bewunderung dieser zwei großen Schriftsteller in VICO ein Vorbild jenes Planes, vermöge dessen er später eine  ewige ideale Geschichte  begründete, nach welcher die allgemeine Geschichte aller Zeiten abläuft, indem gewisser ewiger Eigentümlichkeiten der bürgerlichen Dinge zufolge die Erhebung, die Zustände und der Verfall aller Nationen herbeigeführt würden: womit dann der Weise in geheimer Weisheit ausgeprägt würde, wie es der des PLATO ist, wie in gemeiner Weisheit, der des TACITUS ist. Als ihm schließlich FRANCIS BACON von Verulam bekannt wurde, ein Mann von ebenso unvergleichlicher Kunde in vulgärer wie in geheimer Weisheit, wie er dann zugleich einen universalen Geist abgibt in der Wissenschaft und im Leben, als seltener Philosoph wie als großer Staatsminister von England: faßte er selbigen, mit Beiseitelassung dessen übriger Bücher, in denen er vielleicht gleiche und bessere Stoffe gefunden haben würde, in denen  de Augmentis Scientiarium  auf in folgendem Licht, daß wie PLATO der Erste ist im Wissen der Griechen; einen TACITUS die Griechen nicht haben; so ein BACON den Lateinern wie den Griechen fehlt: wie denn selbiger als ein einzelner Mann einsah, was in der wissenschaftlichen Welt mangelt, das da erfunden und gefördert werden muß; indem aber, was sie hat, von wievielen und welchen Unvollkommenheiten gereinigt werden muß und welcher ohne Vorliebe weder für eine persönliche Ansicht, noch für eine eigentümliche Sekte, mit Ausnahme des Wenigen, was gegen die katholische Religion anstößt, allen Fächern Gerechtigkeit widerfahren läßt, und allen in der Absicht, daß jede ihrerseits beiträgt zum Ganzen, das ist, was die allgemeine Republik der Wissenschaften ausmacht.  Und indem er sich diese drei besonderen Schriftsteller beständig vor Augen zu haben beim Nachdenken und Schreiben vornahm,  feilte er unablässig an seinen Geistesentwürfen, welche dann zuletzt sein Werk "De Universi juris uno Principio" hervorbrachten.

Denn in seinen bei der Eröffnung der Studien in der königlichen Universität gehaltenen Reden schlug er immer den Weg ein,  allgemeine Gegenstände,  die von der Metaphysik aus in die Erfahrung des bürgerlichen Daseins einschlagen, vorzunehmen: und nach diesem Gesichtpsunkt handelte er entweder von den  Zwecken  der Studien, wie in den ersten sechs, doer von der  Methoden  der Studien, wie in der zweiten Abteilung der sechsten und in der ganzen siebten: die drei ersten handeln insbesondere von den der menschlichlichen Natur angemessenen Zwecken, die zwei folgenden insbesondere von den politischen Zwecke, die sechste vom christlichen Zweck.

Die  erste,  gesprochen am 18. Oktober des Jahres 1699 fordert auf, daß wir die Kraft unseres göttlichen Geistes in allen ihren Richtungen auszubilden haben und beweist
    "daß der menschliche Geist, nach einem gehörigen Verhältnis betrachtet, der Gottes des Menschen, wie Gott die Seele des Alls ist;" sie legt dar "wie die wundervollen Gaben der Seele einzeln, sei es als Sinne, oder als Phantasie oder Gedächtnis oder Scharfsinn oder Schlußvermögen mit göttlichen Kräften an Behendigkeit, Leichtigkeit, und Nachdruck und zu ein und derselben Zeit die verschiedensten und vielfältigsten Erfolge bewirken: daß man findet, wie die Kinder als frei von verkehrten Neigungen und Lastern, bei drei oder vier Jahren spielend schon die vollständigen Wörterbücher ihrer Muttersprachen gelernt haben: daß SOKRATES nicht so sehr die moralische Philosophie vom Himmel rief, als er selbst unseren Geist hinaufhob: und die, welche durch Erfindungen in den Himmel unter die Götter emporgehoben wurden, der Geist eines jeden von uns sind: daß es seltsam ist, daß es so viele Unwissende gibt, denn so wie der Rauch den Augen, der Gestank der Nase, so ist dem Geist das Nichtwissen, das Getäuschtwerden, das in Irrtum verfallen zuwider: weshalb man auf das Höchste die Fahrlässigkeit tadeln muß, daß wir nicht in allem wohlunterrichtet sind, bloß deswegen, weil wir es nicht sein wollen; da wir durch bloßen wirksamen Willen, wie von Begeisterung hingerissen Dinge auszuführen vermögen, welche wir nach der Tat selbst bewundern, als nicht durch uns, sondern durch einen Gott geschehen." Und darum schließt sie "daß, wenn in wenigen Jahren ein Jüngling nicht den ganzen Kreis der Wissenschaften durchlaufen hat, dies geschehen ist, entweder weil er nicht gewollt, oder, wenn er gewollt, es aus Mangelhaftigkeit der Lehre gekommen ist oder einer guten Ordnung im Studieren, oder weil das Ziel der Studien anderswo gesetzt wurde, als eine Art der Göttlichkeit unserer Seele auszubilden."
Die  zweite,  im Jahr 1700 vorgetragene Rede enthält, daß wir die Seele in den Tugenden unterweisen sollen, zufolge der Wahrheiten des Geistes. Selbige stellt dieses Universum dar als eine große Gemeine, in welcher nach einem ewigen Gesetz Gott die Ungebildeten verurteilt, einen Krieg gegen sich selbst zu führen und hier beschreibt sie tragisch diesen Krieg. Aus diesen Stellen ist offenbar zu ersehen, daß er von dieser Zeit an den Gedanken in der Seele bewegte, den er nachher ausführte: vom allgemeinen Recht.

Die  dritte  Rede, gehalten im Jahr 1701, ist gleichsam ein praktischer Anhang der zwei vorigen und sie zeigt, daß in der Gelehrtenrepublik man leben muß mit Gerechtigkeit und die willkürlichen Kritiker, welche mit Unbilligkeit die Steuern dieses Schatzes eintreiben, werden verurteilt; die Starrköpfe der Sekten, welche verhindern, daß dieser Schatz anwächst; die Betrüger, welche dem Schatz der Wissenschaften ihre Beiträge unterschlagen.

Die  vierte  Rede, gehalten im Jahr 1704, ist gegen die falschen Gelehrten gerichtet, welche bloß um des Vorteils willen studieren, wodurch sie mehr sorgen, Gelehrte zu scheinen als zu sein: und wenn sie den erzielten Vorteil erreicht haben, sich erniedrigen und die elendesten Ränke anwenden, um ferner in der Meinung für Gelehrte zu gelten. VICO hatte schon die Hälfte dieses Vortrags gesprochen, als Herr Don FELIX CANEZINA UKLOA, Präsident des geistlichen Rates, der CATO der spanischen Minister, eintrat: zu dessen Ehre er mit vieler Geistesgegenwart dem schon gesagten eine andere und kürzere Wendung gab, und es an das anknüpfte, was noch zu sagen war; eine Geistesgegenwart, dergleichen einer in italienischer Zunge sich CLEMENS XI., als er Abt in der Akademie der Humoristen war, zu Ehren des Kardinals d'ETRÈES, seines Beschützer bedient hatte und dadurch bei INNOZENZ III. sein Glück zu machen begann, das ihn bis zur Papstwürde emportrug.

In der  fünften  Rede, vorgetragen im Jahr 1705, wird aufgestellt und nachdrücklich mit triftigen Gründen bewiesen und sodann durch folgende und zusammenhängende Reihe von Beispielen bestätigt:
    "In Assyrien standen die Chaldäer auf als die ersten Gelehrten der Welt und es begründet sich dort die erste Monarchie: als Griechenland mehr als in allen Zeiten zuvor durch Wissenschaft prangte, fiel die Monarchie Persiens unter ALEXANDER: Rom gründete die Herrschaft der Welt auf den Ruinen von Karthago unter SCIPIO, welcher so vertraut war mit Philosophie, Beredtsamkeit und Poesie, als es die unnachahmlichen Lustspiele des TERENTIUS dartun, welche er zugleich mit seinem Freund LAELIUS ausarbeitete, und da er sie für unwürdig erachtete, unter seinem großen Namen zu erscheinen, bekannt werden ließ unter dem Namen, unter dem sie umgehen, der dann etwas von dem seinigen hinzuzutun mochte: unststreitig basierte: die romische Monarchie sich unter AUGUSTUS; zu dessen Zeit in Rom die ganze Weisheit Griechenlands im Glanz der römischen Sprache widerstrahlte: das erlauchteste Königreich in Italien strahlte unter THEODERICH durch den Rat der CASSIODORE: mit KARL dem Großen stand das römische Reich in Deutschland auf; weil die an den Königshöfen des Abendlandes bereits erstorbenen Wissenschaften an dem seinigen wieder aufzuleben begannen in den  Alucinen.  HOMER bildete ALEXANDER, der ganz entbrannt war, sich in der Tapferkeit nach dem Beispiel des ACHILLES zu benehmen; und JULIUS CÄSAR wurde zu großen Taten geweckt durch das Beispiel wiederum ALEXANDERs: so daß diese zwei großen Feldherren, zwischen denen niemand über den Vorrang zu entscheiden gewagt hat, Scholaren eines Helden HOMERs sind. Zwei Kardinäle, beide die größten Philosophen und Theologen, und einer außerdem ein große Kanzelredner, JIMENEZ und RICHELIEU, zeichneten die Grundlage jener spanischen, dieser der Französischen Monarchie. Der Türke hat ein großes Reich gegründet auf der Barbarei, aber durch den Beistand eines gewissen SERGIUS, gelehrten und ruchlosen christlichen Mönchs, welcher dem dummen MOHAMMED das Gesetz gab, auf welchem er es gründete: und während die Griechen, von Asien zuerst, und nachdem überall, in die Barbarei versunken waren, trieben die Araber die Metaphysik, die Mathematik, die Stern- und Arzneikunde, und durch dieses Gelehrtenwissen, wenn schon nicht von der gebildetsten Humanität, erweckten sie zu einerm höchsten Eroberungsruhm die ganz barbarischen und rohen ALMANSORs; und dienten dem Türken ein Reich zu stiften, in welchem alle Wissenschaften verboten wurden: und hätte es nicht an den treulosen Christen, zuerst griechischen, hernach lateinischen gelegen, die ihnen gleichwohl von Zeit zu Zeit Künste und Ratschläge des Krieges an die Hand gaben, so würde ihr ungeheures Reich durch sich selber gestürzt worden sein."
In der  sechsten,  im Jahr 1707, gehaltenen Rede behandelt er folgenden vom Zweck der Studien und der Ordnung im Studieren. Hier läßt er die Zuhörer in eine Betrachtung über sich selbst eingehen,
    "daß der Mensch zur Strafe der Sünde vom Menschen geschieden ist durch die Sprache, durch den Geist, und durch das Herz: durch die Sprache, welche oft im Stich läßt und oft verrät die Ideen, durch die der Mensch mit den Menschen sich vereinigen möchte und nicht kann; durch den Geist, wegen der Abweichung der Meinungen, die aus der Verschiedenheit der sinnlichen Geschmacksrichtungen entspringen, in denen der Mensch mit dem anderen Menschen nicht übereinstimmt; und schließlich durch das Herz, wegen dessen Verderbnis nicht einmal die Übereinstimmung der Laster den Menschen mit dem Menschen vereint." Woher er beweist, "daß die Strafe unserer Verderbnis gebessert werden muß durch die Tugend, durch die Wissenschaft, durch die Beredtsamkeit, durch welche drei Dinge allein der eine Mensch dasselbe empfindet, was der andere empfindet."
Und aus diesem Gesichtspunkt nun wendet er sich zum Zweck der Studien: aus jenem betrachtet er die Ordnung im Studieren und beweist,
    "Daß wie die Sprachen das mächtigste Mittel gewesen sind, um die menschliche Geselligkeit zu begründen; so müssen von den Sprachen die Studien anheben; weil jene sämtlich sich an das Gedächtnis halten, in welchem ganz besonders stark die Kindheit ist: das Kindesalter, schwach an Schlußvermögen, durch nichts anderes geregelt wird, als durch die Beispiele, welche, um zu ergreifen, aufgefaßt werden müssen mit der Lebendigkeit der Phantasie; in der die Kindheit außerordentlich ist: daher die Kinder beschäftigt werden müssen mit Lesung sowohl der mythischen als auch der wahren Geschichte: das Alter der Kinder ist zum Nachdenken aufgelegt, aber es hat keinen Stoff zum Nachdenken: man schule sie für die Kunst eines richtigen Schlußvermögens durch die Wissenschaften der Maße, welche Gedächtnis und Phantasie in Anspruch nehmen und zugleich das körperliche Wachstum ihrer Einbildungskraft im Zaum halten, die in ihrer Stärke die Mutter aller unserer Verirrungen und Leiden ist. In der ersten Jugend herrschen die Sinne vor, und reißen den reinen Geist mit sich: man benutze sie für die physischen Studien, welche zur Betrachtung des Alls der Körper führen, und der mathematischen bedürfen zur Kenntnis des Weltsystems: dann von den ungeheueren körperlich physischen Ideen und von den zarten der Linien und Zahlen aus bringe man sie dazu; das abstrakte metaphysisch Unendliche zu begreifen in der Wissenschaft vom Seienden und dem Einen, in welcher die Jünglinge ihre Geist erkennen lernend, dahin gebracht werden mögen, ihre Gemüt ins Auge zu fassen; und zufolge ewiger Wahrheiten es verderbt sehen müssen, auf daß sie sich entschließen lernen, es auf natürliche Weise durch die Moral zu verbessern in einem Alter, wo sie schon einige Erfahrung gemacht haben, wie sehr die Leidenschaften schaden, welche in der Kindheit am heftigsten sind: und wo sie erkennen mögen, daß natürlich die heidnische Moral nicht ausreicht, um die Philantie oder die Selbstliebe zu besänftigen und zu bezähmen, und wenn sie in der Metaphysik erprobt, daß sie bestimmter das Unendlich fassen, als das Endliche, den Geist, als den Körper, Gott, als den Menschen, welcher nicht kennt die Weisen, wie er sich bewegt, wie er fühlt, wie er erkennt; durch die Demütigung des Verstandes willig gemacht werden, die offenbarte Theologie anzunehmen; zufolge deren sie zur christlichen Moral herabkommen und sich so gereinigt schließlich zur christlichen Rechtsgelehrtheit begeben können."
Von der Zeit der ersten Rede an, die erwähnt ist, sieht man teils aus jener, teils aus allen anderen folgenden, und mehr als aus allen aus dieser letzten, daß VICO einen so neuen wie bedeutenden Gedanken in der Seele bewegte, nämlich  alles menschliche und göttliches Wissen auf ein Prinzip zurückzuführen:  und nicht alle bisher von ihm behandelte waren davon gar entfernt. Daher (13) freute er sich, diese Reden nicht ans Licht gegeben zu haben, weil er erachtete, die Republik der Wissenschaften müsse nicht mit noch mehr Büchern beschwert werden, da sie ansich schon vor der gewaltigen Masse derselben krankt, und müßten allein Bücher über bedeutende Entdeckungen und besonders nützliche Erfindungen in ihr auf den Plan gebracht werden. Als dagegen im Jahr 1708 die königliche Universität beschlossen hatte, eine öffentliche feierliche Eröffnung der Studien zu veranstalten und dem König zu widmen, mit einer Rede, die in Gegenwart des Kardinal GRIMANI, Vizekönig von Neapel gesprochen wurde, und deswegen in den Druck gegeben werden sollte; bot sich VICO eine glückliche Gelegenheit dar, um einen Vorwurf zu ersinnen, welcher eine neue und der Welt der Wissenschaften nützliche Entdeckung zutage fördert, die da ein Verlangen gewesen sein würde, wert von BACON in seiner neuen Welt der Wissenschaften unter den übrigen aufgeführt zu werden.
    "Er dreht sich um die Vor- und Nachteile unserer Weise zu studieren in Vergleichung mit der der Alten hinsichtlich aller Zweige des Wissens: ferner, welche Nachteile der unsrigen, und durch welche Mittel sie beseitigt werden könnten; und mit welchen Vorteilen der Alten, diejenigen, welche nicht können beseitigt werden, sich ausgleichen lassen; so daß eine vollständige Universität von heutzutage zum Beispiel ein einziger PLATO wäre, trotz all dem, was wir von den Alten uns freuen voraus zu haben; damit alles menschliche und göttliche Wissen, überall auf  einem  Geist ruht, und in allen seinen Teilen bestünde, so daß die Wissenschaften sich eine nach der anderen die Hand reichen und keine der anderen zu einem Hindernis würde."
Die Abhandlung kam noch dasselbe Jahr in Duodez [pro Bogen 12 Blätter - wp] daraus in der Druckerei von FELIX MOSCA.
LITERATUR: Giambattista Vico, Grundzüge einer Neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche Natur der Völker, Leipzig 1822
    Anmerkungen
    7) "Einheitspunkte für die Erklärung verschiedenartiger Erscheinungen aufzusuchen, wie die Metaphysik das Individuale unter der Generale summiert."
    8) Cartesii Opera, p. III, pag. 97. ed. Amst. 1656.
    9) Was er behaupten hörte? Ich denke, daß die Philosophie des CARTESIUS die aristotelische aus den Klöstern verdrängen wird. Dies scheint mir der dunkle und verwirrte Text sagen zu sollen.
    10) Nämlich eine arme Familie durch Brotstudien ernähren zu sollen.
    11) So schreibt VICO neuerdings für die Zeitung Medina Celi.
    12) ANTONIO ORLANDINO (Napoli Signorelli).
    13) Das heißt weil er diesen Gedanken in einem besonderen Werk ausführen wollte, daß also die 6 rednerischen Vorläufer, wenn er sie herausgegeben hätte, würde überflüssig gemacht haben.