ra-2em class=g8>J. C. KreibigH. CohnA. Meinongvon Ehrenfels    
 
CHRISTIAN von EHRENFELS
Werttheorie und Ethik
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"Eine sorgsame Analyse der Gesetze der Preisbildung hat gezeigt, daß nicht die Wertschätzung der Majorität, sondern die Wertschätzung der kaufkräftigen Individuen maßgebend für die Preisbildung ist. Da nun die Kaufkraft eines wirtschaftlichen Individuums seinem Vermögen, d. h. der Größe seines Eigentums gleichkommt, so ergibt sich, daß die Norm der Güterproduktion im gegenwärtigen wirtschaftlichen Leben nicht durch den Gebrauchswert der Majorität, sondern durch den Gebrauchswert der Besitzenden bestimmt wird und daß diese Norm von derjenigen, wie sie der durchschnittliche Gebrauchswert verlangen würde, um so weiter abweicht, je mehr die Vermögensunterschiede zunehmen und die Ungleichheit in der Vermögensverteilung anwächst. Die Anhäufung des Eigentums in den Händen relativ Weniger ist ein bei der gegenwärtigen rechtlichen und wirtschaftlichen Ordnung unfehlbar wirkendes Machtmittel, durch welches die Mehrzahl gezwungen wird, nicht nach Maßgabe der eigenen, sondern nach Maßgabe der Wertungen jener Wenigen zu produzieren."


I.
Analyse der Wertbegriffe,
als Ausführung der Lehre vom "Grenznutzen"

[Fortsetzung]

Ich habe in einer eingehenden Behandlung des Problems (1) diese Frage zu beantworten versucht und reproduziere nun, indem ich auf meine Arbeit verweise, das bisher noch nicht bestrittene Resultat jener Untersuchungen, insoweit es für die hier bezweckte Klärung der Werttheorie in Betracht kommt:
    "Wenn wir in einem beliebigen speziellen Fall vor die Möglichkeit gestellt werden, entweder das Ziel  a  oder  b  oder  c  usw. - oder auch gar nichts zu begehren, so realisiert sich immer derjenige psychische Zustand, welcher für das nächstanschließende merkliche Zeitteilchen den relativ günstigsten Gefühlszustand (d. h. relativ am meisten Lust und am wenigsten Unlust) mit sich bringt. Auch die selbstlosesten Akte des Begehrens stehen unter jenem Gesetz. Selbst wer wissentlich seine Existenz für andere opfert, ist im Moment des Auftauchens des betreffenden Willensaktes glücklicher oder doch minder unglücklich, als er es wäre, wenn er die Handlung unterließe, d. h. wenn der betreffende Willensakt sich in ihm nicht realisierte. Das Begehren, bzw. das Nichtbegehren realisiert immer den für die nächste Zeit größtmöglichen Glückszustand, so wie etwa in einem bewegten Gefäß das Wasser immer die tiefsten Stellen aufsucht; ebensowenig wie beim Wasser geschieht dies aber auch beim Begehren mit Zielbewußtsein. Die größtmögliche Lust des nächsten Augenblicks stellt sich vermöge unseres physischen Mechanismus, als Folge des allgemeinen Gesetzes der größeren Erhaltungskraft relativ glückfördernder Vorstellungen von selbst ein, auch wo wir nicht explizit danach begehren. Und diese letzteren Fälle sind psychologisch in bedeutender Überzahl. Nicht nur bei ethisch hochstehenden, sondern bei den allergewöhnlichsten sogenannten egoistischen Akten des Begehrens, etwa beim Verlangen nach Speis' und Trank, fehlt jener Ausblick auf einen zu gewärtigenden künftigen Gefühlszustand. Demgemäß können wir nicht nur eigene Glücksförderung, sondern jedes beliebige Objekt als letztes Ziel begehren, wenn wir nur im Hinblick auf dasselbe eines günstigeren Glückszustandes teilhaftig werden, als wie er sich ohne jenen Hinblick realisieren würde."
Es ist klar, daß eine solche Auffassung, welche das Vorhandensein einer Reflexion auf eigene künftige Gefühlszustände bei zahlreichen Akten des Begehrens leugnet, die im Gesetz vom Grenznutzen präzisierte Größenrelation nur für ein ganz spezielles Wertgebiet wird gelten lassen können - für die Maßbestimmung von Wirkungswerten nämlich in denjenigen Fällen, in denen wir tätsächlich nach eigener Glücksförderung als letztes Ziel begehren; - denn daß sich dieses Begehren im Menschen nicht allein vorfindet, sondern häufig genug als das ausgebreitetste und intensivste alle übrigen Wünsche und Bestrebungen dominiert - daß somit dem Begehren nach eigener Glücksförderung eine hervorragende Bedeutung unter allen menschlichen Begehrungen stets zukomme - wird auch von den entschiedensten Gegner der streng allgemeinen Egoismustheorie anerkannt werden müssen. Besonders für das wirtschaftliche Verhalten der Menschen ist jenes egoistische Begehren in erster Linie maßgebend und es ist darum erklärlich, daß die Nationalökonomie es fiktiv als das einzig mögliche oder reale allein berücksichtigen zu können glaubte - zumal da eine vorläufige Schematisierung der Größenrelationen hier am leichtesten auszuführen war. Eine allgemeine Betrachtung des Wertproblems wird vor allem den psychologischen Tatbeständen Rechnung tragen und - als erweiternde und vervollständigende Ausführung der in der Lehre vom "Grenznutzen" aufgestellten Theorie - die Beantwortung folgender Fragen versuchen müssen:
    1. Welche Bedingungen sind maßgebend für die Bildung von Eigenwerten?

    2. Welche Bedingungen bestimmen die Größe der Wirkungswerte dort, wo nicht eigene Glücksförderung, sondern andere Eigenwerte als letzte Ziele begehrt werden?
Die erste Frage ist aus unseren psychologischen Voraussetzungen leicht zu beantworten. Vor allem verdient festgehalten zu werden, daß bei der Bildung von Eigenwerten nicht so wie bei der von Wirkungswerten die Reflexion oder überhaupt irgendeine Verstandestätigkeit vermittelt, sondern daß die Bewertung direkt als Folgeerscheinung der gefühlsdispositionellen Beschaffenheit des Individuums eintritt. Jedes Objekt, (im weitesten Sinne des Wortes, welcher den Zustand und das Geschehnis mit einschließt,) dessen in der Phantasie vorgeführte Verwirklichung eine relative Förderung des Glückszustandes mit sich bringt, wird begehrt und stellt daher für das betreffende Individuum einen Eigenwert dar. Man kann daher hier konsequent nicht von einer  Wertschätzung  (im Sinne einer Abwägung des Wertes), noch weniger von einem  Werturteil,  sondern allein von einer  Werthaltung  oder  Wertung  schlechthin sprechen. Auch läßt sich in keiner Weise das Gebiet derjenigen Objekte sachlich abgrenzen, welche durch ihre Beziehung zu menschlichem Fühlen für den Menschen die Bedeutung von Eigenwerten gewinnen können. Wenn auch hierin im großen Ganzen eine gewisse Übereinstimmung herrscht, so scheinen doch der individuellen Eigenart keinerlei Schranken gezogen zu sein. Alles was vorstellbar ist, kann möglicherweise einem Individuum zum Eigenwert werden; sogar - im Gegensatz freilich zur normalen Verhaltensweise - eigener Schmerz. Maßgebend aber für die  Größe des Eigenwertes  ist allein die  Intensität des entsprechenden Begehrens;  und diese wird wieder durch die  Größe der relativen Glücksförderung  bestimmt, welcher wir begehrend teilhaftig werden. (2) Ist somit auch unser aktueller Gefühlszustand stets bestimmend für Richtung und Größe unseres Begehrens, so ist doch der Fall keineswegs ausgeschlossen, daß wir eigenes künftiges Glück im Vergleich zu anderen Objekten gering achten, das heißt schwächer begehren oder niedriger werten. Voraussetzung hierfür ist bloß eine solche dispositionelle Beschaffenheit, daß wir durch die Erwartung eigenen künftigen Glückes in unserem gegenwärtigen Gefühlszustand weniger affiziert werden, als durch andere Erwartungen. - Hiermit dürfte die Entstehung von Eigenwerten psychologisch präzisiert sein.

Was nun die Bestimmung der Wirkungswerte anlangt, so liegt der Versuch nahe, sie durch eine entsprechende Erweiterung oder Generalisierung des Gesetzes vom Grenznutzen zu gewinnen. - Hierbei mag als oberster - durch die Erfahrung leicht zu verifizierender - Grundsatz gelten, daß - im Gegensatz zu den Eigenwerten - Wirkungswerte stets nur unter der Vermittlung der Reflexion oder irgendeiner Verstandestätigkeit gebildet werden, daß also hier die  Wertung  speziell als eine  Wertschätzung  oder als  Werturteil  auftritt und  daß wir die Objekte stets in dem Maße als Wirkungswerte schätzen, in welchem wir Eigenwert von ihrer Existenz abhängig glauben.  Die Lehre vom Grenznutzen, welche allein Glücksförderung des bewertenden Individuums als Eigenwert gelten läßt, gibt dieser Tatsache Ausdruck, indem sie die Größe der Wirkungswerte zur Größe der von ihnen als abhängig erachteten Glücksförderung - eben ihres Grenznutzens - in Proportion setzt. Sie führt hierbei den Begriff des Nutzens als der durch ein Objekt bewirkten Glücksförderung ein. Wir bedürfen daher zu einer entsprechenden Erweiterung des Gesetzes vor allem eines analogen weiteren Begriffes, welcher in Beziehung auf sämtliche Eigenwerte eine gleiche Stellung einnimmt, wie der Begriff des Nutzens in Beziehung auf den speziellen Eigenwert der Glücksförderung. Wenn wir nun hiermit diesen Begriff schaffen, so handelt es sich vor allem um einen Terminus; und da der Sprachgebrauch uns keinen entsprechenden bietet, so bleiben zwei Wege offen: die Umdeutung eines schon vorhandenen Terminus oder die Bildung eines neuen. Unter den schon vorhandenen und benannten Begriffen steht dem fraglichen keiner näher als der Begriff des Nutzens, welchen wir daher zu unserem Zweck erweitern müßten. Da indessen der Begriff, wie er gegenwärtig normiert ist, ebenfalls festgehalten zu werden verdient, so müßte man von Nutzen in doppeltem - engerem und weiterem - Sinne sprechen, was zu manchem Mißverständnis Anlaß geben würde. So erscheint die Bildung eines neuen Terminus als zweckmäßiger, zumal uns der Sprachgebrauch in einer sprichwörtlichen Wendung gleichsam den Ansatz hierzu bietet. - "Es gereicht mir zu Nutz und Frommen" - in dieser Zusammenstellung hat man wohl kaum das Bewußtsein, vollkommen synonyme Bezeichnungen einander folgen zu lassen. Und wenn sich das Sprachgefühl sehr entschieden dagegen sträubt, den gehofften Erfolg etwa einer wohltätigen Stiftung als "Nutzen ihres Gründers zu bezeichnen, so wird es sich mit der Ausdrucksweise, daß jene Stiftung ihrem Gründer zum Wohl anderer "fromme", eher zurechtfinden. Wir ziehen daher diesen Ausdruck zur Schaffung unseres Terminus heran und nennen das  "Frommen"  der Objekte ihre Mitwirkung bei der Hervorbringung von  Eigenwerten im Allgemeinen,  ebenso wie der  "Nutzen"  der Gegenstände uns ihre Mitwirkung bei der Hervorbringung  speziell der Glücksförderung  bedeutet. Auch das Maß des "Frommens", welche wir den Objekten zuschreiben, richtet sich analog nach der Größe der Eigenwerte, an deren Verwirklichung sie beteiligt sind, ebenso wie die Größe des "Nutzens" - eines Spezialfalls des Frommens - durch die Größe der Glücksförderung bestimmt wird, welche die betreffenden Objekte hervorrufen. - Analog sollte man dann auch der Nützlichkeit eine "Frommlichkeit" oder "Frömmigkeit" als die Fähigkeit zur Hervorbringung von Eigenwerten entgegensetzen. Da jedoch dieses Wort - obgleich etymologisch unzweifelhaft eines ähnlichen Ursprungs - gegenwärtig eine viel geringere Bedeutung besitzt, wird dessen Gebrauch besser umgangen werden.

Ist somit der Terminus des "Frommens" mit einer präzisen Bedeutung eineführt, so ergibt sich nun die Maßbestimmung der Wirkungswerte von selbst durch analoge Übertragung aller jener Reflexionen, welche bei der Aufstellung des Gesetzes vom Grenznutzen bestimmend waren. - Wie dort aus dem Nutzen, so sehen wir hier den Wert der Objekte aus ihrem Frommen sich herleiten. Wie gleichwohl manche der nützlichsten Objekte dennoch als wertlos erachtet werden, wenn sie im Überfluß vorhanden sind - so auch bei Objekten des größten Frommens. Denken wir uns etwa (um das Verhältnis an einem Beispiel zu veranschaulichen) einen Menschen, der - in ähnlicher Weise wie andere nach größtmöglichem Glück - seinerseits nach größtmöglicher Muskelkraft strebt (3), so wird der Wirkungswert, welchen er den verschiedenen Objekten zumißt, zweifellos durch das Maß ihres Mitwirkens bei der Hervorbringung von Muskelkraft bestimmt werden. Dieses Maß erlangt etwa bei der atmosphärischen Luft sein Maximum, da sie zum Leben, also auch zur Muskelkraft, unentbehrlich ist. Gereicht sie somit dem nach Muskelkraft Verlangenden auch zu größtem Frommen, so gilt sie ihm doch als wertlos, da sie im Überfluß vorhanden ist. Dagegen wird er vielleicht einer bestimmten Sorte von besonders nahrhaftem Fleisch einen hohen Wert beilegen, obgleich dieses zur Erlangung von Muskelkraft keineswegs nötig ist und durch andere Nahrungsmittel, wenn auch nicht vollkommen, ersetzt werden könnte. Daß hier das Verhältnis von Vorrat und Bedarf maßgebend wird, ist einleuchtend. In derselben Weise lassen sich alle bei der Bestimmung des Grenznutzengesetzes konkurrierenden Überlegungen auch auf das Frommen der Dinge übertragen. Es wäre überflüssig, die Ableitung zu wiederholen. Es ist klar, daß, wo analoge Verhältnisse obwalten, ebenso wie von einem Grenznutzen auch von einem  "Grenzfrommen"  gesprochen werden kann und daß dort, wo der Wirkungswert der Objekte nicht aus einem Nutzen stammt und daher der Begriff des Grenznutzens nicht anwendbar ist, doch gewiß das Grenzfrommen der Objekte ihren Wert bestimmt. Hierbei soll nur auf einen Umstand hingewiesen werden, welcher die Bemessung beim Frommen gegenüber dem Nutzen erschwert. Dort ist nämlich das als Eigenwert begehrte Objekt - die Glücksförderung - selbst einer Maßbestimmung fähig, welche auch für die Wertung bedingend wird; je größer die Glücksförderung, desto intensiver das auf sie gerichtete Begehren und desto größer ihr Eigenwert. Man braucht daher, um die Nutzgrößen zweier Gegenstände zu vergleichen, nicht erst auf Intensitäten des Begehrens zu rekurrieren, sondern kann sofort die Größen der von ihnen abhängigen, um ihrer selbst willen begehrten Objekte - der Glücksförderungen - in Vergleich ziehen. Ein analoges Vorgehen ist bei Wertungen anderer Kategorie meist unstatthaft. Wenn ich für einen beliebigen  A  das Grenzfrommen zweier Gegenstände zu vergleichen habe, von denen der eine geeignet ist, seine Erkenntnis, der andere die Gesundheit seines Freundes - Beides für ihn Eigenwerte - zu fördern, so gewinne ich keinerlei Maßbestimmung aus der Vergleichung von Gesundheit und Erkenntnis, sondern ich muß die Intensitäten seines Begehrens nach diesen beiden Objekten untersuchen, um das Maßverhältnis ihrer Werte und danach des fraglichen Grenzfrommens der beiden Gegenstände, zu gewinnen. Diese Überlegung ist, falls sie für andere vollzogen werden soll, mühevoll und oft von zweifelhaftem Erfolg; bei eigenen Wertungen ist sie überflüssig, da das Begehren sich dann im Konfliktsfall von selbst auf die größeren Werte richtet. Was die Überlegung hier bei der Schätzung von Objekten als Wirkungswerten beizutragen hat, ist lediglich die Angabe der von ihrer Existenz abhängigen speziellen Eigenwerte, d. h. eben ihres konkreten Grenzfrommens. Den Vergleich vollzieht nicht die Überlegung, sondern das Begehren.

Wir gewinnen somit als Beantwortung der zweiten der früher aufgeworfenen Fragen den allgemeinen Satz,  daß die Größe des Wirkungswertes der Objekte proportional ist dem ihnen zugeschriebenen Grenzfrommen.  Wo die Voraussetzungen zur Unterscheidung zwischen Grenzfrommen und Frommen schlechthin fehlen, ist selbstverständlich der Wirkungswert dem Frommen schlechthin proportional - ohne daß darum der obige Satz eine Ausnahme zu statuieren brauchte. Das Grenzfrommen, d. h. das von der Existenz des betreffenden Gegenstandes als abhängig erachtete Frommen oder das geringste bei vernünftiger Verhaltensweise des wertenden Subjekts aus einem Gegenstand der betreffenden Kategorie zu erwartende Frommen, deckt sich eben mit dem Frommen schlechthin, wo von der betreffenden Kategorie nur ein Gegenstand vorhanden oder ein wechselweises Eintreten der Gegenstände einer Kategorie für verschiedenwertige Leistungen aus anderen Gründen unstatthaft ist. Höchstens also könnte dem allgemeinen Satz "Wirkungswert proportional dem Grenzfrommen" für gewisse Fälle ein Pleonasmus [doppelt gemoppelt - wp], in keiner Weise aber eine Inkorrektheit der Bestimmung zum Vorwurf gemacht werden.

Ist somit die Wertbeziehung ihrem Inhalt und ihrer Intensität nach durchweg präzisiert, so erübrigt nur noch die Betrachtung einiger im Sprachgebrauch wie in der Wissenschaft üblichen  Modifikationen des Wertbegriffs. 

Man spricht häufig von  wahren  oder  wirklichen  im Gegensatz zu bloß  eingebildeten  oder  vermeintlichen  Werten und die Versuchung liegt hier besonders nahe, objektive, den Dingen als solchen anhaftende Wertbestimmungen anzunehmen. Dennoch ist auch hier der Wert bloß die Substantivierung der Beziehung eines Dinges zu einem begehrenden Subjekt und der Unterschied, auf den es bei jener Gegenüberstellung ankommt, lediglich der, ob das begehrende und wertende Subjekt seine Wertung aufgrund eines  wahren  oder eines  falschen Urteils  vollzieht oder als vollziehend gedacht wird.  Vermeintlicher  Wert kommt jenen Objekten zu, elchen man aufgrund eines irrigen Urteils ein Frommen zuschreibt, welches sie tatsächlich nicht besitzen;  wahrer  oder  wirklicher  Wert denjenigen, welche man entweder in richtiger Erkenntnis des tatsächlichen Kausalzusammenhangs wertschätzt oder welche man wertschätzen würde, falls man in den tatsächlichen Kausalzusammenhang genügenden Einblick gewänne. - Die Distinktion ist in dieser Fassung unzweideutig. Ebenso klar ist es, daß sie sich nur auf  Wirkungswerte  beziehen kann, da hier allein eine Wertschätzung im eigentlichen Sinne, d. h. eine Wertung durch Vermittlung des Urteils stattfindet. Nichtsdestoweniger überträgt man häufig genug jene Unterscheidung zwischen vermeintlichen und wahren Werten auf das Gebiet der Eigenwerte, verlangt von der Vernunft, sie solle uns die "wahren letzten Ziele" des Lebens weisen und dgl. mehr - Bemühungen, welche vermöge einer falschen Fragestellung von vornherein zur Unfruchtbarkeit verurteilt sind.

Dennoch aber kann es - in ganz anderer Bedeutung - einen guten Sinn haben, auch von  vermeintlichen  und  wirklichen Eigenwerten  zu sprechen. Es ergeignet sich nämlich - so paradox es erscheinen mag - häufig genug, daß man sich über die wirklichen Objekte oder letzten Ziele seines eigenen Begehrens einer Täuschung hingibt und demzufolge etwas als Eigenwert betrachtet, was es tatsächlich nicht ist. Drei typische Fälle sind in dieser Hinsicht zu beobachten.
    1. Das eigentlich begehrte Objekt ist Teil eines Ganzen, von welchem man irrtümlich einen anderen Teil zu begehren glaubt. Zum Beispiel liebt und begehrt den Aufenthalt in einer Stadt, wie man glaubt, wegen ihres architektonischen Gepräges und des allgemeinen Charakters ihrer Bewohner - tatsächlich aber wegen der Jugenderinnerungen, welche sich an ihren Anblick assoziieren.

    2. Man glaubt etwas ums seiner selbst zu begehren, was man tatsächlich nur als Mittel zum Zweck begehrt. Zum Beispiel erweist einem anderen eine Wohltat, wie man meint, um ihrer selbst willen, tatsächlich aber wegen des Dankes, welchen man sich erwartet.

    3. Man glaubt etwas als Mittel zum Zweck zu begehren, was man tatsächlich um seiner selbst willen begehrt. Zum Beispiel ein Bergsteiger glaubt die aufregenden Gefahren des Anstieges bloß um der erwarteten schönen Aussicht willen zu bestehen, während sie ihm tatsächlich ansich viel reizvoller sind, als ihr Erfolg.
Alle diese Täuschungen erklären sich daraus, daß man das vermeintlich und das tatsächliche Objekt des Begehrens zugleich vorstellt und sich darüber im Unklaren bleibt, welcher Teil des gesamten Vorstellungskomplexes für die das Begehren konstituierende "relative Glücksförderung" bedingend ist. - Wir unterscheiden somit  wahre  und  vermeintliche Eigenwerte  nicht in dem Sinne, ob sie des Begehrtwerdens würdig seien, sondern in dem, ob sie  tatsächlich begehrt werden oder nicht. 

Eine weitere, speziell auf nationalökonomischem Gebiet übliche und wichtige Unterscheidung ist die zwischen  Tauschwert  und  Gebrauchswert.  Zu ihrem Verständnis ist es nötig, den wirtschaftlichen  Akt des Tausches  als solchen einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Der Tausch setzt die rechtliche Institution des Eigentums und Besitzes, sowie eine spezielle, wechselseitig ungleiche Wertung des Besitzes zweier Gegenstände durch zwei wirtschaftliche Individuen voraus, welche durch folgende Annahmen schematisch präzisiert werden kann:  A  sei Besitzer des Gegenstandes  a, B  des Gegenstandes  b. A  werte den Besitz des Gegenstandes  b  höher als den von  b.  Offenbar  gewinnen  dann beide, wenn sie ihr Besitzverhältnis zu den Gegenständen  a  und  b  wechselweise ändern, d. h.  tauschen.  Nur unter diesen Bedingungen ist - illoyale Mittel, wie Pression, ausgeschlossen - der Tausch wirtschaftlich möglich. - Es ist klar, daß die Möglichkeit des Tausches und das Bewußtsein von derselben die Wertung wirtschaftlicher Güter wesentlich beeinflußt. Denkt man sich die Tauschmöglichkeit ausgeschlossen, so wird der Hungernde stets ein Pfund Brot höher werten als ein Pfund Gold, während eine solche Wertung in normalen, die Tauschmöglichkeit gewährenden Verhältnissen nicht vorkommt. Dennoch ist die Bestimmung, wie hoch von wirtschaftenden Individuen gewisse Güter mit fiktiver Ausschließung der Tauschmöglichkeit gewertet werden, in vielen Fällen praktisch und wissenschaftlich von hoher Bedeutung. Sie wird im Begriff des Gebrauchswertes festgehalten.  Gebrauchswert  ist derjenige Wert, welchen ein Individuum dem Besitz eines Gegenstandes mit fiktiver Ausschließung der Tauschmöglichkeit zuschreibt oder zuschreiben würde. Dagegen ist der  Tauschwert  derjenige Wert, welchen ein Individuum dem Besitz eines Gegenstandes unter alleiniger Berücksichtigung seiner Verwendung oder Verwertung im Tauschhandel beimißt oder beimessen würde. Jedes wirtschaftende Individuum wird vernünftigerweise die Veräußerung, bzw. den Eintausch eines Gutes gegen ein anderes, erst dann vornehmen, wenn der Tauschwert den Gebrauchswert übersteigt.

Die in diesem Satz ausgedrückte Beziehung ist in letzter Linie maßgebend für die  Preisbildung  der wirtschaftlichen Güter. Der Preis der Güter, d. h. die in der allgemeinen Tauschware, dem Geld, ausgedrückte Relation ihrer Tauschwerte für ein gewisses wirtschaftliches Gebiet, wird zunächst ganz allgemein durch die Wertungen der verkauf- und kauflustigen Individuen bestimmt, gleichgültig ob diese das betreffende Gut im Hinblick auf seinen Gebrauchs- oder Tauschwert zu gewinnen trachten. Sollte nun auch das Letztere der Fall sein, so daß die Käufer lediglich als Unterhändler auftreten, und sollten diese das Gut wieder an Unterhändler abgeben usw. - so kann der Prozeß sich doch nicht ins Unendliche wiederholen; schließlich wird das Gut doch seiner wirtschaftlichen Bestimmung zugeführt werden; und sollte dies selbst in Einzelfällen ausbleiben, so wird doch die Überlegung, wie hoch der eigentliche Konsument, d. h. derjenige, der das Gut seines Gebrauchswertes wegen erwirbt, dieses wohl schätzen werde, maßgeblich sein für die Wertung des Gutes von Seiten der Unterhändler. Bringt man die vermöge irriger Erwartung sich einstellenden Spekulationsfehler in Abzug, so bleiben somit für die Preisbildung als grundlegende Faktoren nur die Schätzungen der Güter durch Produzenten und Konsumenten zurück. Jedenfalls wird der durch den Preis normierte Tauschwert der Güter den Gebrauchswert, welchen sie für die Konsumenten besitzen, nicht dauernd überschreiten können. - Diese Überlegung, sowie die Erwägung, daß sich die Preisbildung unter Mitwirkung der weitesten wirtschaftlichen Kreise des Volkes vollzieht, bringen den Gedanken nahe, daß in der durch den  Marktpreis  fixierten Wertrelation der Güter sich ihr  mittlerer Gebrauchswert  für die Majorität der wirtschaftenden Individuen abspiegle. Da nur weiters die wirtschaftliche Produktion der Güter die größtmöglichen Preise anzustreben gezwungen ist - oder mit anderen Worten die Preisrelation der Güten den Maßstab abgibt, nach welchem sie tatsächlich produziert werden, so involviert die eben erwähnte Auffassung der Preisrelation als der Relation der durchschnittlichen Gebrauchswerte einen weitgehenden wirtschaftlichen Optimismus - den Glauben nämlich, daß durch die gegenwärtige Eigentumsordnung, die Grundlage der Tauschmöglichkeit und Preisbildung, die Gesamtheit ohne weitere Überlegungen dazu vorhalten werde, nach Maßgabe der Bedürfnisse der Mehrzahl zu produzieren.

Es gehört mit zu den bedeutendsten Errungenschaften der neueren Werttheorie, die Irrigkeit dieser Ansicht klar und bestimmt dargelegt zu haben. Eine sorgsame Analyse der Gesetze der Preisbildung (4) hat gezeigt, daß nicht die Wertschätzung der Majorität, sondern die Wertschätzung der kaufkräftigen Individuen maßgebend für die Preisbildung ist. Da nun die Kaufkraft eines wirtschaftlichen Individuums seinem Vermögen, d. h. der Größe seines Eigentums gleichkommt, so ergibt sich, daß die Norm der Güterproduktion im gegenwärtigen wirtschaftlichen Leben nicht durch den Gebrauchswert der Majorität, sondern durch den Gebrauchswert der Besitzenden bestimmt wird und daß diese Norm von derjenigen, wie sie der durchschnittliche Gebrauchswert verlangen würde, um so weiter abweicht, je mehr die Vermögensunterschiede zunehmen und die Ungleichheit in der Vermögensverteilung anwächst. Die Anhäufung des Eigentums in den Händen relativ Weniger ist ein bei der gegenwärtigen rechtlichen und wirtschaftlichen Ordnung unfehlbar wirkendes Machtmittel, durch welches die Mehrzahl gezwungen wird, nicht nach Maßgabe der eigenen, sondern nach Maßgabe der Wertungen jener Wenigen zu produzieren.

Diesen speziell wirtschaftlichen Zusammenhang glaubten wir hier hervorheben zu müssen, da wir im Folgenden analoge Erscheinungen auch auf anderen Wertgebieten nachzuweisen haben werden.

Um einen vollkommenen Überblick über die Wertphänomene zu gewinnen, ist es nötig, auch das bisher noch wenig beachtete Gebiet der  Unwerte  oder  negativen Werte  und des  Schadens  in Betracht zu ziehen. Wer den Wert als ein Derivatphänomen des Begehrens erkannt hat, wird von vornherein anzunehmen geneigt sein, daß analoge Beziehungen der Objekte wie zu unserem  positiven  sich auch zu unserem  negativen Begehren  werden nachweisen lassen. Tatsächlich verhält es sich auch so.  Unwert oder negativen Wert sprechen wir allen Objekten zu  (gleichgültig ob Dingen, Zuständen oder Ereignissen),  deren Nichtexistenz  (bzw. Vernichtung)  wir begehren;  auch die Intensität des negativen Begehrens oder Verabscheuens gibt dem Unwert seine Größe, sowie die Intensität des positiven Begehrens dem Wert. Darum sind Werte und Unwerte ihrer Größe nach direkt vergleichbar. Auch daß die Nichtexistenz (bzw. Vernichtung) eines Objektes von Unwert für uns einen jenem Wert genau gleichen Unwert besitzt - sind nach dem Gesagten einleuchtende Sätze. So können zwei Akte des Begehrens, der eine auf die Verwirklichung eines Wertes, der andere auf die Vernichtung eines Unwertes gerichtet, direkt in Konflikt geraten - ja diese Gegenüberstellung gibt sogar das Schema für einen erheblichen Teil sämtlicher Begehrenskonflikte ab. Auch eine der Unterscheidung von Eigenwerten und Wirkungswerten vollkommen analoge Zweiteilung ist auf dem Gebiet der Unwerte zu vollziehen. Wie die Eigenwerte, so werden auch die  Eigentumswerte  ihrem Inhalt und ihrer Größe nach direkt durch die gefühlsdispositionellen Anlagen der Individuen bestimmt. Und so wie jeder Wirkungswert seine Eigenschaft als solcher von einem Eigenwert erhält, und nur vermöge präsumitver [mumaßlicher - wp] Tauglichkeit zur Hervorbringung eines Eigenwertes überhaupt gebildet wird, so auch jeder  Wirkungsunwert. 

Diese durchgängige Analogie legt den Gedanken nahe, daß auch die Maßbestimmung der Wirkungswerte in ähnlicher Weise erfolge, wie die der Wirkungswerte. Dies würde vor allem ein Analogon des Frommens auf dem Gebiet der Unwerte verlangen; und tatsächlich besitzen wir einen Begriff, welcher nur wenig umgedeutet werden muß, um jene Stelle einzunehmen. Der Sprachgebrauch setzt zwar den Begriff des  Schadens  demjenigen des Nutzens geradezu entgegen. Danach könnten wir den Schaden der Dinge nur zum speziellen Eigenwert der Glücksminderung in Beziehung setzen, wie den Nutzen zum Eigenwert der Glücksförderung und müßten für den Gegenbegriff des Frommens einen neuen Namen bilden. Da uns jedoch die Sprache hierzu keinen Ansatz bietet und das Sprachgefühl gegen einen erweiterten Gebrauch des Wortes Schaden nicht so bestimmt zu reagieren scheint wie beim Nutzen, so sei diese Erweiterung hiermit zunächst für unsere Zwecke vollzogen. Wir unterscheiden somit zwischen Schaden im weiteren und im engeren Sinne und setzen jenen zum Frommen, diesen zum Nutzen in Analogie. Wo im folgenden der Terminus Schaden schlechthin ohne nähere Bestimmung gebraucht wird, soll immer der Schaden im weiteren Sinne verstanden sein. - Als Frommen (rechte "Frommlichkeit") der Gegenstände bezeichneten wir ihre Fähigkeit, Eigenwerte hervorzubringen, d. h. also bei der Entstehung von Eigenwerten sich wirksam zu beteiligen. Nach rein analoger Umkehrung bezeichnete dann Schädlichkeit die Fähigkeit der Gegenstände, Eigenunwerte hervorzubringen. Leicht kann jedoch eingesehen werden, daß diese Definition zu weit gezogen wäre. Die Fähigkeit, bei der Erzeugung von Eigenunwerten mitzuwirken, besitzen zahllose Dinge, welchen darum niemand Schaden zuschreiben wird. Es gibt wenig Gegenstände, welche man nicht in schädlicher Weise verwenden könnte, wenn man das beabsichtigte. Damit wir ein Ding als schädlich bezeichnen, ist es nötig, daß es mehr als die  Fähigkeit,  nämlich die  Tendenz  zur Hervorbringung von Eigenunwerten besitze. Nur wenn wir von einem Ding voraussetzen, daß es  ohne unser Zutun  Eigenunwerte zu bewirken geeignet sei, nennen wir es schädlich. Demzufolge verstehen wir unter  Schädlichkeit eines Dinges seine Tendenz zur Hervorbringung von Eigenunwerten  und unter dem  Schaden eines Dinges das Maß der Eigenunwerte, die es tatsächlich hervorbringt. 

Die Schädlichkeit, bzw. der präsumtive Schaden eines Dinges spielt nun bei der Maßbestimmung seines Wirkungsunwertes eine analoge Rolle wie das Frommen bei der Maßbestimmung der Wirkungswerte. - Der  Wirkungsunwert  eines Objektes wird dem  von seiner Existenz als abhängig erachteten Schaden  proportional geschätzt. Dieser Satz leuchtet aus einer Betrachtung des Verhältnisses von Zweck und Mittel beim Begehren ebenso von selbst ein, wie der analoge betreffs der Wirkungswerte. Fraglich ist nur, ob der "von der Existenz eines Objektes als abhängig erachtete Schaden" und seine Schädlichkeit überhaupt oder sein präsumtiver tatsächlicher Schaden sich mitunter in ähnlicher Weise unterscheiden, wie die analogen Größen auf dem Gebiet des Frommens und speziell des Nutzens, deren Divergenz zur Bildung des Begriffs des Grenznutzens Anlass geboten hat. - Tatsächlich lassen sich solche Fälle nachweisen. - Man denke sich z. B. ein Kulturland von quantitativ meßbaren schädlichen Einwirkungen, etwa von einem anwachsen Zug von Heuschrecken bedroht. Die Eigentümer des Landes werden, sobald sie für dessen Ertrag zu fürchten beginnen, vielleicht einen Preis auf die Vernichtung der Tiere aussetzen und den Scheffel gesammelter Heuschrecken mit einem gewissen Geldäquivalent bezahlen. Dieser Verfügung liegt eine Maßbestimmung des mit den Heuschrecken gegebenen Wirkungswertes zugrunde, sowie eine beiläufige Erwägung des Schadens, welcher durch die den Scheffel ausfüllenden Heuschrecken im lebenden Zustand verursacht werden könnte. Denkt man sich nun den Zug der Heuschrecken stets anwachsend, so daß schließlich alle Hoffnung schwindet, durch künstliche Tötung eines Teiles derselben irgendetwas vom Ertrag des Landes zu retten, so werden die Eigentümer jetzt keinen Preis mehr für den Scheffel Heuschrecken bezahlen, obgleich sie ihre Schädlichkeit oder ihren Schaden nun gewiß nicht geringer achten, als früher. Ja selbst wenn man dem Besitzer des kostbarsten Weingartens etwa die Versicherung zu geben vermöchte, ihm aus dem herannahenden Zug der Heuschrecken alle diejenigen herauszusuchen und zu überliefern, welche, wenn sie am Leben blieben, gerade seine Weinreben zernagen würden - so würde dieser doch vernünftigerweise selbst der Vernichtung jener bestimmten Menge von allergrößtem präsumtiven Schaden keinen Wert beilegen dürfen, da er sich sagen müßte, daß bei der Übermenge der herannahenden Heuschrecken, wenn jene bestimmten auch vernichtet würden, jedenfalls andere an ihre Stelle träten und sein Weingarten dennoch verloren wäre. Hier ist also die Schädlichkeit sowie der präsumtive tatsächliche Schaden sehr groß, der "von der Existenz des Objektes (der bestimmten Menge von Heuschrecken) als abhängig erachtete Schaden" aber - die Größe, nach der Wirkungsunwert bestimmt wird - gleich Null. Es realisiert sich bezüglich des Schadens ein analoges Verhältnis wie bezüglich des Nutzens etwa bei der atmosphärischen Luft und beim Trinkwasser und der Erfolg für die Wertung ist ebenfalls ein analoger. Auch Zwischenfälle, in denen die für die Wertung maßgebende Schadengröße dem präsumtiven tatsächlichen Schaden gegenüber herabgesetzt, aber nicht gänzlich aufgehoben wird, sind denkbar. So braucht man nur anzunehmen, daß die Heuschrecken sich mit besonderer Vorliebe auf die Weinreben würfen, und nur, wenn diese aufgezehrt sind, auch andere Pflanzungen angriffen. Würde nun die Gegend von einem minder zahlreichen Heuschreckenzug heimgesucht, so könnten durch die Vernichtung gerade jenes Teiles, welcher sonst die Weingärten zerstört hätte, zwar nicht diese (die nun von den überbleibenden aufgesucht werden), wohl aber andere minder wertvolle Pflanzungen, etwa ein Kornfeld, gerettet werden, daß die verminderten, an den Weinreben gesättigten Heuschrecken nun unberührt lassen. Der präsumtive tatsächliche Schaden jener bestimmten Menge Heuschrecken entspräche dann dem Wert der Weinreben, der "von der Existenz jener Menge abhängige Schaden" - das Maß für die Bewertung - dem Wert des Getreides. Dieser wäre niedriger als jener - ähnlich etwa, wie wir ein Stück Brot niedriger werten als den effektiven Nutzen, den es uns bei der Stillung unseres Heißhungers bietet. Auch hier herrscht also Analogie; und so könnte man sich wohl zur Bildung eines Grenzschadenbegriffs analog dem Grenznutzen und Grenzfrommen versucht fühlen, wenn nicht in anderen Fällen wesentlich verschiedene Beziehungen nachweisbar wären. Man verändere das letzterwähnte Beispiel nur dahin, daß man annimmt, die Heuschrecken nährten sich mit Vorliebe von unbrauchbaren Pflanzen, welche dem Landwirt als Unkraut gelten und wählten erst in Ermangelung dieser zunächst das Getreide, schließlich die Weinreben. Dann würde durch die Vernichtung jenes Teils der Heuschrecken, welcher sonst das Unkraut verzehrt, also gar keinen Schaden angerichtet hätte, eventuell der Weingarten gerettet werden. Der "von der Existenz jenes Teiles der Heuschrecken abhängige Schaden" ist also hier sehr groß; dementsprechend müßte auch ihr Wirkungsunwert, bzw. der Wirkungswert ihrer Vernichtung geschätzt werden, obgleich der präsumtive tatsächliche Schaden gleich Null wäre. (5) Wir sehen also, daß der Wirkungsunwert den präsumtiven tatsächlichen Schaden übersteigen kann - ein Verhältnis, dessen Analogon uns auf dem Gebiet des Frommens nicht begegnete. Der Grund ist leicht anzugeben. - Fast alle Gegenstände, die uns in irgendeiner Weise frommen, tun dies nur unter unserer Mitwirkung oder können doch durch unsere Tätigkeit zu den verschiedenen Arten des Frommens veranlaßt werden, deren sie überhaupt fähig sind. Da wir nun hierbei aus den Dingen immer das größtmögliche Maß des Frommens zu gewinnen trachten, so entsteht jene bereits erörterte Beziehung, vermöge welcher bei Zuwachs oder Verlust eines Gegenstandes immer nur das  geringste  Frommen zuwächst, bzw. verloren geht, zu welchem jener Gegenstand oder ein ihm gleichartiger hätte herangezogen werden können. - Die schädlichsten Gegenstände aber schaden ohne unser Zutun und schaden im Allgemeinen nicht mit dem Zweck, uns möglichst viel oder überhaupt zu schädigen. Es fehlt hier ein Analogon des wirtschaftlichen Gebahrens. Und wenn der für die Wertung maßgebende "von der Existenz des Objektes als abhängig erachtete" und der "präsumtive tatsächliche" Schaden sowie dessen Schädlichkeit im Allgemeinen mitunter auch ebenso weit voneinander abweichen, wie die analogen Größen auf dem Gebiet des Frommens und speziell Nutzens, so läßt sich doch keine allgemeine Regel für ihr Verhältnis angeben, welches lediglich durch die Verhaltensweise der schädlichen Objekte begründet wird. Darum wäre auch die Bildung eines Grenzschadenbegriffes mißverständlich und ungerechtfertigt. Die  Wirkungsunwerte sind dem von der Existenz des betreffenden Objektes als abhängig erachteten Schaden proportional,  und dieser Schaden ist scharf vom präsumtiven tatsächlichen Schaden des Objekts zu unterscheiden. Bis hierher reicht die Analogie; genauere Bestimmungen lassen sich allgemein nicht festsetzen.

Soviel über die negativen Wertbegriffe, welche in der Nationalökonomie noch wenig Beachtung fanden, für das Gebiet der Ethik jedoch die höchste Bedeutung besitzen. - Die Definitionen der  wirklichen  und  vermeintlichen  Eigen- und Wirkungsunwerte ergeben sich von selbst aus den analogen positiven Wertbegriffen.
LITERATUR - Christian von Ehrenfels, Werttheorie und Ethik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Leizpzig 1893, Bd. 17
    Anmerkungen
    1) von EHRENFELS, Über Fühlen und Wollen, Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Bd. 114, Heft 2, Wien 1887
    2) von EHRENFELS, Über Fühlen und Wollen, § 18
    3) Dem Einwand, daß in derartigen Fällen doch nur ein Streben nach größtmöglichem Glück vorliege, begegnet meine Untersuchung "Über Fühlen und Wollen" § 7.
    4) von BÖHM-BAWERK, Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts, in den Jahrbüchen für Nationalökonomie und Statistik, Neue Folge Band XIII
    5) Um die Begriffe des "von einem Objekt tatsächlich bewirkten" und des "von seiner Existenz abhängigen" Frommens und Schadens zu unterscheiden, ist es notwendig, den Unterschied zwischen  wirkender Ursache  und  Bedingung  festzuhalten. Mit der Identifizierung beider würden auch jene Begriffe zusammenfallen.