ra-2F. DahnA. V. Lundstedtvon KirchmannE. MüllerA. Reinach    
 
ADOLF REINACH
Die apriorischen Grundlagen
des bürgerlichen Rechts

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"Da ist etwas das wir als Versprechen kennen oder doch zu kennen glauben. Wird dieses Versprechen vollzogen, so tritt mit ihm etwas Neues ein in die Welt. Es erwächst ein Anspruch auf der einen, eine Verbindlichkeit auf der anderen Seite. Was sind das für merkwürdige Gebilde? Sie sind gewiß nicht nichts. Wie könnte man ein Nichts aufheben durch Verzicht oder durch Widerruf oder durch Erfüllung? Aber sie lassen sich auch unter keine der Katerogien bringen, die uns sonst geläufig sind. Sie sind nichts Physisches oder gar Physikalisches; das ist sicher."

"Bei Ansprüchen oder Verbindlichkeiten aber ist es unumgänglich, immer wieder auf ihren Grund zurückzugehen. Erst dadurch, daß ich die Existenz des Versprechens noch einmal feststelle, kann ich die Existenz dessen, was aus ihm folgt, feststellen. Einen selbständigen, existenzfeststellenden Akt, der inneren oder äußeren Wahrnehmung vergleichbar, gibt es hier nicht."

"Was ist eigentlich ein Versprechen? Die gemeinübliche Antwort darauf lautet: das Versprechen ist eine Willenserklärung; spezieller, es ist die Äußerung oder Kundgabe der Absicht, im Interesse eines anderen, dem gegenüber die Äußerung geschieht, etwas zu tun oder zu unterlassen."

"Eine Vorsatzmitteilung und ein Versprechen sind grundverschiedene Dinge, darüber darf man sich nicht dadurch hinwegtäuschen lassen, daß sich beide unter Umständen des gleichen sprachlichen Ausdrucks bedienen. Übersieht man das, so muß man sich freilich in aussichtslosen Konstruktionen erschöpfen, um Anspruch und Verbindlichkeit aus der Vorsatzäußerung abzuleiten."


1. Kapitel
Anspruch, Verbindlichkeit und
Versprechen

§ 2. Anspruch und Verbindlichkeit.Es sei zunächst ein Einzelproblem aus dem großen Gebiet der apriorischen Rechtslehre behandelt. An seiner Hand wollen wir uns den ersten Zugang zu dieser Sphäre verschaffen und dann erst einen Überblick über sie zu gewinnen suchen.

Ein Mensch erteilt einem anderen ein Versprechen. Eine eigenartige Wirkung geht von diesem Vorgang aus, eine ganz andere, als wenn etwa ein Mensch dem anderen eine Mitteilung macht oder eine Bitte ausspricht. Das Versprechen schafft eine eigentümliche Verbindung zwischen zwei Personen, kraft deren, um es zunächst ganz roh auszudrücken, die eine etwas verlangen darf und die andere verpflichtet ist, es zu leisten oder zu gewähren. Diese Verbindung erscheint gleichsam als Folge, als Produkt des Versprechens. Sie läßt ihrem Wesen nach eine beliebig lange Dauer zu, andererseits aber scheint ihr die Tendenz immanent zu sein, ein Ende und eine Auflösung zu erfahren. Wir sehen verschiedene Wege, die zu einem solchen Ende führen können. Der Versprechensinhalt wird geleistet; hiermit scheint jenes Verhältnis sein natürliches Ende zu finden. Der Versprechensempfänger verzichtet; der Versprechende widerruft. Auch hierdurch kann unter Umständenn ein Erlöschen eintreten, wenn auch in einer Weise, die uns weniger naturgemäß erscheint.

Diese ganze Sachlage kann uns selbstverständlich oder merkwürdig vorkommen, je nach der Einstellung, in der wir an sie herantreten. Sie ist "selbstverständlich", insofern es sich hier um etwas handelt, das jeder kennt, an dem man tausendmal vorübergegangen ist, und an dem man jetzt auch zum tausendundeinsten Mal vorübergehen kann. Wie es aber auch sonst vorkommt, daß uns vor einem längst bekannten Gegenstand auf einmal die Augen aufgehen, daß wir das, was wir unzählige Male schon gesehen haben, nun zum ersten Mal wirklich sehen, in seiner ganzen Eigenart und eigentümlichen Schönheit, so kann es auch hier geschehen. Da ist etwas das wir als Versprechen kennen oder doch zu kennen glauben. Wird dieses Versprechen vollzogen, so tritt mit ihm etwas Neues ein in die Welt. Es erwächst ein Anspruch auf der einen, eine Verbindlichkeit auf der anderen Seite. Was sind das für merkwürdige Gebilde? Sie sind gewiß nicht nichts. Wie könnte man ein Nichts aufheben durch Verzicht oder durch Widerruf oder durch Erfüllung? Aber sie lassen sich auch unter keine der Katerogien bringen, die uns sonst geläufig sind. Sie sind nichts Physisches oder gar Physikalisches; das ist sicher. Eher möchte man versucht sein, sie als etwas Pscychisches zu bezeichnen, als Erlebenisse dessen, welcher den Anspruch oder die Verbindlichkeit hat. Aber können ein Anspruch oder eine Verbindlichkeit nicht jahrelang unverändert dauern? Gibt es derartige Erlebnisse? Und weiter: Sind Ansprüche und Verbindlichkeiten nicht auch dann da, wenn das Subjekt keine Erlebnisse hat oder zu haben braucht, im Schlaf oder in tiefer Ohnmacht? Man hat neuerdings begonnen, neben dem Physischen und Psychischen die Eigenart ideeller Gegenstände wieder anzuerkennen. Aber das Wesentliche dieser Gegenstände, der Zahlen, Begriffe, Sätze und dgl. ist ihre Außerzeitlichkeit. Ansprüche und Verbindlichkeiten dagegen entstehen, dauern eine bestimmte Zeitlang und verschwinden dann wieder. So scheinen sie also zeitliche Gegenstände einer ganz besonderen, bisher nicht beachteten Art zu sein.

Wir sehen, daß von ihnen bestimmte unmittelbar einsichtige Gesetze gelten: Ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung erlischt in dem Augenblick, da die Leistung geschehen ist. Das ist kein Satz, den wir aus vielen oder allen bisher beobachteten Erfahrungsfällen gewonnen haben könnten, sondern es ist ein Gesetz, welches allgemein und notwendig im Wesen des Anspruchs als solchem gründet. Es ist ein apriorischer Satz im Sinne KANTs und zugleich ein synthetischer. Denn "im Begriff" des Anspruchs ist davon, daß er unter bestimmten Umständen erlischt, in keinem möglichen Sinn etwas "enthalten". Das Gegenteil unseres Satzes wäre zwar gewiß falsch, aber einen logischen Widerspruch würde es nicht implizieren. Noch viele andere synthetische Sätze a priori gelten von Anspruch und Verbindlichkeit, in einer Sphäre also, in der man sie gewiß nicht vermutet hätte. Aber ich denke, dieser vorläufige Überschlag genügt, um unserem Ausgangspunkt jeden Anschein von Selbstverständlichkeit zu nehmen. Daß die Philosophie mit dem Staunen vor dem anscheinend Selbstverständlichen beginnt, pflegt ja bereitwillig zugestanden zu werden. Und es ist ganz und gar nicht einzusehen, weshalb man dieses Staunen auf das beschränken sollte, was die Geschichte der Philosophie als staunenswert empfiehlt.

So wichtig auch die Einstellung ist, in der man Altbekanntes zum ersten Mal in seiner Eigenart erschaut, so ist damit doch noch nichts Erledigendes geschehen. Es gilt, das Eigenartige klarzustellen, es von anderem zu unterscheiden und in seinen wesentlichen Zügen festzulegen. In unserem Fall gilt es, Klarheit darüber zu schaffen, was ein Versprechen ist - gestehen wir offen, daß wir das durchaus noch nicht wissen; ferner darüber, wann und wie dieses Versprechen Anspruch und Verbindlichkeit erzeugt, was Anspruch und Verbindlichkeit, näher betrachtet, eigentlich sind und welche Schicksale sie erleiden können. Die Betrachtung wird dann weiter zu gehen haben. Das Versprechen ist nicht die einzig mögliche Quelle von Anspruch und Verbindlichkeit. Auch aus gewissen Handlungen können sie unter bestimmten Voraussetzungen entspringen. So erwächst aus der Wegnahme einer Sache, welche einem anderen gehört, wesensgesetzlich die Verbindlichkeit und der Anspruch auf die Rückgabe der Sache. Man sieht, wie die Betrachtung dieses Falles sofort auf neue Probleme führt. Wir sprechen von der Sache, welche einem anderen "gehört"; wir können stattdessen auch sagen: welche im Eigentum eines anderen steht. Wir haben auch hier ein eigenartiges Verhältnis, freilich nicht von Person zu Person, sondern von der Person zur Sache. Auch dieses Verhältnis muß seine Quelle haben, auch hier walten apriorische Gesetzmäßigkeiten. So ist es a priori ausgeschlossen, daß das Gehören so wie Anspruch und Verbindlichkeit seine Quelle in einem Versprechen haben kann. (1) Hier sind andere Quellen vorausgesetzt, z. B. die Akte, die wir später unter dem Namen der Übertragung näher betrachten werden. Vorläufig jedoch wollen wir lediglich "Anspruch" und "Verbindlichkeit" untersuchen, und auch das nur insofern, als sie aus Versprechungen entspringen.

Von einem positiven Recht wissen wir noch nichts. Wir wählen unsere Beispiele mit Absicht aus einer Sphäre, die ihm nicht untersteht; es liegt alles daran, unsere Sphäre in ihrer vollen Reinheit zu erfassen. Es verspricht A dem B, mit ihm spazieren zu gehen, und B nimmt das Versprechen an. Es entsteht eine entsprechende Verbindlichkeit des A und ein Anspruch des B. Vielleicht wird das an dieser Stelle noch bestritten. Dann setzt ein solches Bestreiten doch voraus, daß man unter Anspruch und Verbindlichkeit etwas Bestimmtes versteht, und das kann uns vorläufig genügen. Wir wollen ja nur dem, was jene Worte bedeuten, näher kommen. Daß es sich hier um zeitliche Gegenstände einer eigenen, außerphysischen und außerpsychischen Art handelt, haben wir bereits gesehen. Es ist besonders wichtig, sie von den Erlebnissen abzutrennen, in denen sie uns gegenwärtig sind und mit denen sie verwechselt werden können. Es gibt ein Bewußtsein von Anspruch und Verbindlichkeit, ähnlich wie es ein Bewußtsein von Zahlen oder Sätzen gibt. Wir können von einem schlichten Wissen um sie reden; dieses Wissen bleibt rein als Bewußtseinsweise genommen durchaus unverändert, ob es sich auc eigene oder fremde Ansprüche und Verbindlichkeiten bezieht. Es ist ferner durchaus unabhängig davon, ob seine gegenständlichen Korrelate existieren oder nicht, ebenso wie auch umgekehrt Ansprüche und Verbindlichkeiten existieren können, ohne Gegenstand eines solchen Wissens zu sein.

Von diesem kalten Wissen ist ein anderes hierhergehöriges Erlebnis sehr wohl zu unterscheiden: das Sich-berechtigt- oder Sich-verbindlich-fühlen, welches im Gegensatz zum Wissen nur bei eigenen Ansprüchen und Verbindlichkeiten möglich ist. Die Eigenart dieser Bewußtseinsweise ist wohl zu beachten. Von einem Fühlen kann man auch bei den Erlebnissen reden, in welchen Werte zur Gegebenheit kommen. Während hierbei aber eine scharfe Abhebung stattfindet zwischen dem Wert, auf welchen sich das Fühlen richtet, und diesem Fühlen selbst, welches von ihm Kenntnis nimmt, läßt ein Sich-berechtigt-fühlen eine solche Ablehnung nicht zu. Der Anspruch ist hier nicht Gegenstand eines mehr oder weniger klaren, eventuell sogar evidenten intentionalen Fühlens; wir haben vielmehr ein phänomenal durchaus einheitliches Erlebnis, welches, ohne selbst ein klares Erfassen des Anspruchs zu sein, vielmehr ein solches Erfassen zur Voraussetzung hat, wenn seine Gültigkeit ausgewiesen werden soll.

Die Eigenart dieser Erlebnisse ist noch zu untersuchen. Hier interessiert uns vor allem ihre absolute Unabhängigkeit von den in ihnen in bestimmter Weise sich auswirkenden Ansprüchen und Verbindlichkeiten. Nichts ist ja sicherer, als daß ich mich sehr wohl verbindlich fühlen kann, ohne daß wirklich eine Verbindlichkeit besteht, und daß ich andererseits sehr wohl einen Anspruch haben kann, ohne mich in jedem Augenblick, in dem ich ihn habe, berechtigt zu fühlen. Hier ist es nun vollkommen klar geworden, wie haltlos jede Theorie ist, welche versucht, Anspruch und Verbindlichkeit als etwas Psychisches zu betrachten. Da wir fast immer Ansprüche oder Verbindlichkeiten irgendeiner Art zu haben pflegen, müßten wir fast immer entsprechende Erlebnisse haben. Solche Erlebnisse aber vermögen wir nicht aufzufinden. Es läßt sich auch von vornherein sagen, daß es sie nicht geben kann. Denn, um es nochmals hervorzuheben: Anspruch und Verbindlichkeit können jahrelang unverändert dauern, Erlebnisse dieser Art aber gibt es nicht.

Anspruch und Verbindlichkeit setzen allgemein und notwendig einen Träger voraus, eine Person, deren Ansprüche und Verbindlichkeiten sie sind. Und ebenso ist ihnen ein bestimmter Inhalt wesentlich, auf den sie sich beziehen und dessen Verschiedenheit verschiedenartige Ansprüche und Verbindlichkeiten voneinander unterscheidet. Beides ist unmittelbar einsichtig, bedarf aber noch einer näheren Betrachtung. Die Fundiertheit in einem tragenden Subjekt ist unseren Gebilden gemeinsam mit Erlebnissen jeglicher Art, die ja ebenfalls stets ein Subjekt voraussetzen, dessen Erlebnisse sie sind. Aber der Kreis möglicher Träger ist hier sehr viel weiter gezogen. Auch Tiere können ja Erlebnisträger sein, aber sie können niemals Träger von Ansprüchen oder Verbindlichkeiten sein. Hier sind wesensgesetzlich Personen als Träger vorausgesetzt; selbstverständlich ist aber nicht jedes Subjekt oder Ich eine Person.

Auch der Inhalt von Anspruch und Verbindlichkeit läßt eine nähere Umgrenzung zu. Jede Verbindlichkeit geht auf ein künftiges Verhalten ihres Trägers, gleichgültig ob dieses Verhalten in einem Tun, einem Unterlassen oder einem Dulden besteht. Wohl kann ich die Verbindlichkeit tragen dafür, daß etwas in der Welt geschieht; aber nur dann hat diese Verbindlichkeit einen Sinn, wenn sie die nähere Präzisierung zuläßt, daß etwas durch mich und mein Verhalten geschieht. Wohl kann ich verbindlich sein dafür, daß etwas durch einen anderen geschieht. Aber auch hier muß mein Verhalten es sein, welches dazu bestimmt ist, zum Verhalten des anderen zu führen. Überall ist also das eigene Verhalten der unmittelbare Inhalt unserer Verbindlichkeiten. Nicht immer aber ist es ihr einziger und letzlicher Inhalt. Wir unterscheiden die Verbindlichkeiten, welche lediglich auf ein Verhalten tendieren und in ihm ihre endgültige Erfüllung finden, und solche, welche durch ein Verhalten hindurch die Realisierung eines Erfolges bezwecken. Nur im ersten Fall handelt es sich notwendig um bestimmte Verhaltensweisen; im zweiten pflegt es nur der Erfolg zu sein, der bestimmt ist, und dessen Realisierungsweise dem Belieben des verbindlichen Subjekts überlassen werden kann.

Das Verhalten, welches den Inhalt der Verbindlichkeit bildet, kann den Träger des entsprechenden Anspruches zum Zielpunkt haben, notwendig ist das aber keineswegs. Ich kann dazu verbindlich sein, B, welcher den entsprechenden Anspruch hat, hundert Mark zu zahlen. Diese Zahlung kann aber auch an einen beliebigen Dritten gehen, ohne daß B daraum aufhören müßte, der Anspruchsträger zu sein. Die Verbindlichkeit, jemandem gegenüber etwas zu leisten, ist etwas anderes, als die Verbindlichkeit jemandem gegenüber, etwas zu leisten. Wir unterscheiden also zwischen dem Inhaltsadressaten der Verbindlichkeit und dem Verbindlichkeitsadressaten selbst. Jede Verbindlichkeit, derart wie wir sie jetzt betrachten, hat als solche einen Gegner, insofern sie jemand voraussetzt, demgegenüber sie besteht. Der Verbindlichkeitsgegner ist zugleich der Träger eines inhaltsidentischen Anspruchs; auch dieser Anspruch hat notwendig seinen Gegner, der zugleich der Träger der Verbindlichkeit ist. So besteht eine eigenartige Korrelativität zwischen Anspruch und Verbindlichkeit, eine Identität des Inhalts und ein wechselseitiges streng gesetzliches Verflochtensein von Trägerschaft und Gegnerschaft. Der Inhalt aber kann eine beliebige Adressierung haben, ja sogar einer Adressierung völlig ermangeln.

Einen Träger und einen Inhalt fordern Anspruch und Verbindlichkeit mit Notwendigkeit. Die Richtung gegen eine andere Person ist dagegen nicht notwendig mit ihnen verknüpft. Zwar gilt das Gesetz, daß ganz allein jede Verbindlichkeit, die einem anderen gegenüber besteht, einen entsprechenden Anspruch dieses anderen fordert, und umgekehrt jeder relative Anspruch eine relative Verbindlichkeit. Aber die Relativität von Anspruch und Verbindlichkeit selbst ist nichts Notwendiges, es gibt absolute Verbindlichkeiten und absolute Ansprüche, oder, wie wir lieber sagen wollen, absolute Rechte. Ebenso wie A dem B versprechen kann, etwas zu tun, und damit eine Verbindlichkeit in seiner Person und einen Anspruch in der Person eines anderen schafft, kann auch B dem A eine Verbindlichkeit auferlegen, und A kann sie auf sich nehmen, ohne daß diese Verbindlichkeit dem B oder irgendeiner anderen Person gegenüber bestünde und ohne daß, was damit zugleich gesagt ist, auf Seiten des B oder einer anderen Person ein Anspruch den A gegenüber bestünde. Es ist nicht ganz leicht, Realisierungen solcher absoluter Verbindlichkeiten im praktischen Leben zu finden. Wir erinnern vorläufig an gewisse öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten. Der Staat ist zu bestimmten Verhaltensweisen verbindlich, ohne daß doch diese Verbindlichkeit irgendwelchen Personen gegenüber besteht. Man kann darüber streiten, ob im einzelnen Fall absolute Verbindlichkeiten gegeben sind. Daß sie wesensgesetzlich möglich sind, ist zweifellos. Neben sie stellen wir die absoluten Rechte, welche ebenfalls nur eine Person als Träger voraussetzen, aber keine zweite, der gegenüber sie bestehen. Dagegen unterscheiden sich Verbindlichkeiten und Rechte in einem wesentlichen Punkt: Während Verbindlichkeiten ihrem Wesen nach nur auf ein eigenes Verhalten gehen können, gleichgültig ob sie absolut oder relativ bestehen, haben wir bei den Rechten zwei Fälle zu unterscheiden. Relative Rechte können sich nur auf fremdes Verhalten beziehen, absolute Rechte dagegen nur auf das eigene. Rechte auf eigenes Tun, die nur einer bestimmten Person gegenüber bestehen, scheinen uns ebensowenig möglich zu sein (2), wie Rechte auf ein fremdes Verhalten, die nicht der fremden Person gegenüber bestehen.

Es ist von größter Wichtigkeit, die absoluten und relativen Verbindlichkeiten, wie die absoluten und relativen Rechte (wobei wir letztere stets als Ansprüche bezeichnen werden) von den sittlichen Verpflichtungen und sittlichen Berechtigungen zu unterscheiden. Auch diese besitzen zwar notwendig Träger und Inhalt, auch sie lassen die Einteilung in absolute und relative zu, im Übrigen aber sind sie grundverschieden, nicht nur in Rücksicht auf den spezifisch sittlichen Charakter, den sie tragen, sondern auch bezüglich der Gesetzmäßigkeiten, welche von ihnen gelten. Während jene anderen Gebild aus freien Akten von Personen entspringen können, relative Verbindlichkeiten und Ansprüche z. B. aus erteilten oder empfangenen Versprechen, absolute Rechte aus einem Akt der Übertragung, absolute Verbindlichkeiten aus einem Akt der Übernahme, ist dies bei den entsprechenden sittlichen Gebilden ausgeschlossen. Eine absolute sittliche Berechtigung, das Recht auf Entfaltung der eigenen Persönlichkeit z. B., kann seinen Ursprung in der Person als solcher haben, eine relative sittliche Berechtigung, etwa der Anspruch auf die Hilfe eines Freundes, kann aus dem Verhältnis entspringen, in dem die berechtigte Person zur anderen steht. Aber in willkürlichen Akten als solchen können sie niemals ihren Grund haben. Während ferner jene früher behandelten absoluten Rechte und Ansprüche ihrer Natur nach sehr wohl auf andere Personen übertragen werden können, ist es ausgeschlossen, daß eine Person ihre sittliche Berechtigung auf die freie Entfaltung oder ihren sittlichen Anspruch aus einem Freundschaftsverhältnis auf eine fremde Person überträgt. Schließlich kann der Inhaber absoluter Rechte und relativer Ansprüche durch einen eigenen Akt wirksam auf seine Rechte verzichten. Der Inhaber der sittlichen Berechtigungen dagegen vermag wohl ihre Ausübung zu unterlassen, er kann aber das, was im Wesen einer Person oder in ihrem Verhältnis zu anderen Personen gründet, nicht durch einen willkürlichen Akt aus der Welt schaffen. Nur was aus freien Akten entspringt, vermag durch freie Akte wieder aufgehoben zu werden.

Ähnlich liegt die Sache bei sittlichen Verpflichtungen. Auch sie können niemals aus Akten als solchen entspringen. Jede sittliche Verpflichtung hat zur notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Bedingung die sittliche Rechtheit von Sachverhalten, sie setzt speziell voraus, daß die Existenst des Verhaltens einer bestimmten Person, welches den Inhalt ihrer Verpflichtung bildet, ansich oder infolge der Rechtheit anderer, damit verknüpfter, Sachverhalte sittlich recht ist (3). Das gilt sowohl für die absoluten Verpflichtungen, welche man gewöhnlich schlechthin als Pflichten bezeichnet, wie auch für die relativen sittlichen Berechtigungen entsprechenden relativen sittlichen Verpflichtungen, welche von der Ethik bisher nicht beachtet worden zu sein scheinen. Jene anderen Verbindlichkeiten dagegen erwachsen, ohne Ansehung ihres Inhaltes, aus freien Akten von Personen, aus einer Übernahme etwa, oder aus einem Versprechen. Sowenig sittliche Berechtigungen übertragen, sowenig können sittliche Verpflichtungen von anderen Personen übernommen weren. Auch dies kann nur mit den außersittlichen Verbindlichkeiten geschehen. Und während schließlich jede relative Verbindlichkeit durch einen Verzicht des Gegners erlöschen kann, kann der Gegner einer sittlichen Verpflichtung zwar die Geltendmachtung seines sittlichen Rechts unterlassen, aber er vermag niemals durch einen freien Akt eine sittliche Verpflichtung zu annullieren. Möglicherweise läßt ein solcher Akt das vorher gebotene Verhalten nun als nicht mehr geboten erscheinen, so daß keine sittliche Verpflichtung mehr besteht. Stets aber muß der gesamte Tatbestand auf seine sittliche Bedeutsamkeit hin geprüft werden. Sowenig freie Akte als solche sittliche Verpflichtungen erzeugen können, sowenig können sie sie vernichten. Man wird einwenden, daß doch auch bei einem Versprechen oder bei der Übernahme einer Verbindlichkeit eine sittliche Verpflichtung zur Realisierung ihres Inhalts besteht. Das ist sicher richtigf, und ist zugleich besonders geeignet, die Verschiedenheit, die wir hier betonen, ins Licht zu rücken. Weil aus jenen Akten Verbindlichkeiten entspringen, besteht eine sittliche Verpflichtung, ihren Inhalt auszuführen. Es gilt als Wesensgesetz, daß die Erfüllung absoluter und relativer Verbindlichkeiten eine sittliche Pflicht ist. Man sieht, wie hier Verbindlichkeit und sittliche Verpflichtung nebeneinander bestehen, die zweite aber dabei das Bestehen der ersteren voraussetzt. In anderen Fällen besteht sie unabhängig von jedem Akt und von jeder darin gründenden Verbindlichkeit. Niemals aber darf beides miteinander verwechselt werden.

Wir sind durch die letzten Überlegungen schon gezwungen gewesen, einen Blick auf den Ursprung von Rechten und Verbindlichkeiten zu werfen. Wir müssen nun in eine genauere Analyse eintreten, und beschränkten uns dabei, unserem Plan gemäß, zunächst auf "Anspruch" und "relative Verbindlichkeit". Wir stellen zuerst ein allgemeines, in sich selbst einsichtiges Gesetz auf: Kein Anspruch und keine Verbindlichkeit beginnt ohne "Grund" zu existieren, oder erlischt ohne einen solchen Grund. Es ist ja ohne weiteres klar: Soll ein Anspruch erwachsen oder erlöschen, so muß in dem Augenblick, in dem er erwächst oder erlischt, irgendetwas eingetreten sein, aus dem und durch das er erwächst. Und wir können sogleich hinzufügen: Immer wenn genau dasselbe Geschehen wieder eintritt, muß auch der entsprechende Anspruch wieder erwachsen (erlöschen). Er ist durch das Geschehen notwendig und hinreichend determiniert.

Dieser Satz von der eindeutigen Determination zeitlicher Existenzen ist uns gewiß vertraut. Bemerkenswert ist nur, daß wir hier eine neue und eigenartige Sphäre seiner Geltung gefunden haben. Wir müssen uns freilich davor hüten, alles was wir von der notwendigen Determination auf anderen Gebieten, etwa bei einem äußeren Naturgeschehen wissen oder zu wissen glauben, ohne weiteres, mit blinden Augen, auf unsere Sphäre zu übertragen. Ein durchgeführter Vergleich würde uns dazu zwingen, allzuweit auf die Betrachtung der kausalen Verhältnisse in der Natur einzugehen. Wir beschränken uns daher darauf, auf einige wesentliche Punkte aufmerksam zu machen.

Als allgemein zugestanden darf es gelten, daß es sich bei den kausalen Beziehungen des äußeren Geschehens nicht um unmittelbar einsichtige und notwendige Wesenszusammenhänge handelt. Mögen wir, um mit HUME zu reden, wie auch immer zu dem Satz gekommen sein, daß das Feuer Rauch erzeugt, so liegt es doch gewiß nicht im Wesen des Feuers einsichtig begründet, daß es so ist, so etwa, wie es im Wesen der Zahl 3 liegt, größer zu sein als die Zahl 2. Daß die kausale Relation keine notwendige "Ideenrelation" ist, steht außer Zweifel (4). Es wäre aber verfehlt, diesen Satz auf jede Zusammenhangsbeziehung zwischen zeitlich Existierendem auszudehnen. Der Fall, welcher uns hier beschäftigt, ist der beste Beweis dafür. Ein "Grund", der Anspruch und Verbindlichkeit erzeugen kann, ist das Versprechen. Aus ihm gehen - wie wir noch näher zeigen werden - Anspruch und Verbindlichkeit hervor; wir können uns das zur Einsicht bringen, indem wir uns in aller Klarheit vergegenwärtigen, was ein Versprechen ist, und nun erschauen, daß es im Wesen eines derartigen Aktes gründetf, unter bestimmten Umständen Anspruch und Verbindlichkeit zu erzeugen. So ist es also keineswegs die Erfahrung, welche uns über die Existenzialverknüpfung dieser Gebilde belehrt, oder auch nur eine mitwirkende Rolle hätte; es handelt sich vielmehr um einen unmittelbar einsichtigen und notwendigen Wesenszusammenhang.

Das Erwachsen eines Anspruchs oder einer Verbindlichkeit bedarf wie das Eintreten einer Veränderung in der äußeren Natur eines zureichenden Grundes. Wir haben bisher gesehen, daß nur im ersten Fall eine unmittelbar einsichtige und notwendige Wesensbeziehung zwischen "Grund" und "Folge" besteht. Wir werden jetzt auf einen weiteren Unterschied aufmerksam, der wohl noch eigentümlicher erscheinen mag. Ist die Folge in der äußeren Natur einmal da, so kann sie uns - idealiter gesprochen - jederzeit zur selbständigen Gegebenheit kommen. Die durch den Stoß mit der Stange verursachte Bewegung der Kugel kann ich für sich wahrnehmen, ohne daß ich noch einmal in der Wahrnehmung oder in Gedanken auf den Stoß zurückzugehen brauche. Wenn wir beachten, daß jedem Gegenständlichen ein bestimmt gearteter Akt zugeordnet ist, in dem es zur Selbstgegebenheit zu kommen vermag, so können wir sagen: Der Akt, in welcher die Wirkung zur Gegebenheit kommt, bedarf keiner Fundierung durch einen die Ursache erfassenden Akt. Dagegen ist es nicht möglich, einen Anspruch oder eine Verbindlichkeit selbständig in ihrer Existenz zu erfassen. Will ich mich von der Existenz der Bewegung überzeugen, so brauche ich nur die Augen aufzumachen. Bei Ansprüchen oder Verbindlichkeiten aber ist es unumgänglich, immer wieder auf ihren "Grund" zurückzugehen. Erst dadurch, daß ich die Existenz des Versprechens noch einmal feststelle, kann ich die Existenz dessen, was aus ihm folgt, feststellen. Einen selbständigen, existenzfeststellenden Akt, der inneren oder äußeren Wahrnehmung vergleichbar, gibt es hier nicht. Das ist sicherlich eine merkwürdige Tatsache, aber es ist eben eine Tatsache. Eine Analogie für sie können wir auf einem sonst wenig verwandten Gebiet finden. Der Sachverhalt, den ein mathematischer Satz ausspricht, besteht, und dieses Bestehen hat seinen Grund in einer Anzahl anderer Sachverhalte, aus denen er folgt. Auch hier liegt eine eindeutige Determination vor; freilich sind es nicht existierende Gegenstände, sondern bestehende Sachverhalte, welche in der Determination stehen, und die Beziehung des Begründetseins dieser Sachverhalte ist eine ganz andere, als die des Erzeugtwerdens von Anspruch und Verbindlichkeit durch das Versprechen (5). Uns kommt es aber auf die Analogie an, die hier ungeachtet aller Verschiedenheiten vorhanden ist. Ein durch andere Sachverhalte begründeter Sachverhalt besteht aufgrund dieser Sachverhalte, entsprechend wie ein Anspruch, der aus einem Versprechen erwächst, eben dadurch existiert. Wenn ich aber den Bestand des Sachverhaltes neu erfassen will, so steht mir kein frei- und selbsterfassender Akt zur Verfügung. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die begründenden Sachverhalte zurückzugehen und ihn aus diesen nochmals abzuleiten, genau so, wie ich auf das zugrundeliegende Versprechen zurückgehen muß, um die Existenz des Anspruchs abermals festzustellen.

Man hat - ob mit Recht oder Unrecht sei dahingestellt - oft den Satz ausgesprochen, daß, wie gleiche Ursachen gleiche Wirkungen, so auch gleiche Wirkungen stets gleiche Ursachen haben. Der Satz ist bestritten. Für die Sphäre der Begründungszusammenhänge von Sachverhalten wird die Ungültigkeit eines analogen Satzes jedenfalls allgemein anerkannt werden. Ein Sachverhalt kann aus sehr verschiedenartigen Sachverhaltsgruppen folgen und gefolgert werden. Auch in diesem Punkt weist das Gebiet, welches uns hier speziell beschäftigt, die größere Verwandtschaft mit der Sachverhaltssphäre auf. Der gleiche Anspruch und die gleiche Verbindlichkeit können aus sehr verschiedenen Quellen entspringen. So kann ich meinen Anspruch auf die Rückgabe einer mir gehörigen Sache einmal ableiten aus dem Versprechen der Rückgabe, welches der gegenwärtige Inhaber der Sache mir gemacht hat. Oder ich kann ihn ableiten aus dem eigenartigen Verhältnis, in dem ich zu einer Sache stehe, daraus, daß die Sache mir gehört.

Wir haben uns vorgenommen, hier nur von einer einzigen Anspruchs- und Verbindlichkeitsquelle zu reden: vom Versprechen. Untersuchen wir diese Quelle und ihre Beziehung zu dem, was aus ihr erwächst, so stellen sich Schwierigkeiten heraus, von denen man nichts ahnt, solange man zu der "Selbstverständlichkeit", daß ein Versprechen Anspruch und Verbindlichkeit erzeugt, in der Fernstellung des gewöhnlichen Lebens steht. Was ist eigentlich ein Versprechen? Die gemeinübliche Antwort darauf lautet: das Versprechen ist eine Willenserklärung; spezieller, es ist die Äußerung oder Kundgabe der Absicht, im Interesse eines anderen, dem gegenüber die Äußerung geschieht, etwas zu tun oder zu unterlassen. Inwiefern diese Äußerung verbindlich machen und berechtigen soll, leuchtet dabei freilich wenig ein. Es ist ja sicher, daß die bloße Absicht, etwas zu tun, noch keine derartige Wirkung hat. Gewiß, eine eigenartige psychologische Bindung, eine innere Tendenz, vorsatzmäßig zu handeln, pflegt sich aus jedem Entschluß, den ich fasse, zu ergeben. Aber diese innere psychische Tendenz ist gewiß keine objektive Verbindlichkeit, und noch weniger hat sie etwas zu tun mit dem objektiven Anspruch eines anderen. Aber wenn es so ist, was kann dann an diesem Tatbestand dadurch geändert werden, daß ich meinen Entschluß kundgebe, daß ich es einem anderen gegenüber zum Ausdruck bringe, daß ich dieses oder jenes für ihn tun will? Es ist doch auch sonst nicht so, daß mir aus der Äußerung eines Willensvorsatzes ohne Weiteres eine entsprechende Verbindlichkeit erwächst. Warum soll es nun gerade in diesem einen Fall so sein, wo der Inhalt meines Wollens einen Vorteil für einen anderen bedeutet?

Man hat zahlreiche Versuche gemacht, diese problematische Bindung durch Versprechungen zu "erklären". Man hat etwa geleugnet, daß eine solche Bindung natürlicherweise überhaupt besteht, und sie auf künstliche Veranstaltungen, welche der Staat oder die Gesellschaft aus Zweckmäßigkeitsgründen getroffen hat, zurückgeführt. Oder man hat am psychologischen Bindungserlebnis, welches jeder Entschluß erzeugt, angesetzt und zu zeigen gesucht, wie dieses Erlebnis durch die Kenntnisnahme des anderen eine Modifizierung und Objektivierung erfährt. Oder man hat aus den Konsequenzen argumentiert. Weil derjenige, welcher Kenntnis von einem Entschluß erhält, im Vertrauen darauf, allerlei tun wird, und weil er dann durch die Nichtausführung des Entschlusses Schaden erleiden könnte, ist jeder, der sein Vorhaben anderen kundgibt, an diesen Entschluß gebunden (6).

Wir werden später Gelegenheit haben, die Haltlosigkeit all dieser Theorien aufzuweisen. Vorläufig sei nur bemerkt, daß schon die Grundlage, von denen sie und andere Theorien ausgehen, verfehlt ist. Keineswegs ist das Versprechen nichts weiter, als die schlichte Kundgabe eines Willensentschlusses. Halten wir uns streng an den Fall, wo ich den Vorsatz fasse, für einen anderen etwas zu tun, und wo ich ferner diesem anderen mitteile, daß ich diesen Vorsatz gefaßt habe, so ist damit durchaus kein Versprechen erteilt. Eine Vorsatzmitteilung und ein Versprechen sind grundverschiedene Dinge, darüber darf man sich nicht dadurch hinwegtäuschen lassen, daß sich beide unter Umständen des gleichen sprachlichen Ausdrucks bedienen. Übersieht man das, so muß man sich freilich in aussichtslosen Konstruktionen erschöpfen, um Anspruch und Verbindlichkeit aus der Vorsatzäußerung abzuleiten. Unsere erste Aufgabe ist es demgemäß, klarzustellen, was ein Versprechen eigentlich ist. Hierzu müssen wir etwas weiter ausholen. Es ist notwendig, einen fundamental neuen Begriff einzuführen.
LITERATUR Adolf Reinach, Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, erschienen im "Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung", Bd. 1, 1913
    Anmerkungen
    1) Welchen Inhalt sollte ein solches Versprechen auch haben? A kann dem B versprechen, eine Sache, die ihm gehört, ihm zu übertragen. Dann erwächst dem B daraus kein Gehören, sondern ein Anspruch auf Übertragung. Oder A verspricht dem B, ihn wie einen Eigentümer verfahren zu lassen. Auch dadurch konstituiert sich lediglich ein entsprechender Anspruch des B gegen A, keinesfalls jenes Gehörensverhältnis zwischen B und der Sache. Man sieht hier deutlich, daß es sich um wesensgesetzliche Zusammenhänge handelt, und nicht um Bestimmungen eines zufälligen positiven Rechts. Jene, dem Juristen selbstverständlichen Sätze erhalten damit eine ganz neue philosophische Bedeutung.
    2) Daß absolute Rechte von einer bestimmten Person abgeleitet, etwa übertragen sein können, ist eine davon wohl zu unterscheidende Tatsache.
    3) Vom sittlichen Wert von Personen, Handlungen, Akten usw. unterscheiden wir auf das Strengste die sittliche Rechtheit, welche Sachverhalten und nur Sachverhalten zukommen kann. Zwei Sphären der Ethik werden dadurch abgegrenzt, welche untereinander durch unmittelbar einsichtige Wesenszusammenhänge verknüpft sind. So ist es sittlich recht, daß ein sittlich wertvoller Gegenstand existiert, der kontradiktorische Sachverhalt ist sittlich unrecht usw. Ferner ist die Realisierung eines ethisch-rechten Sachverhalts sittlich wertvoll, seine Unterlassung sittlich unwert usw.
    4) Inwieweit andersartige Wesensbeziehungen hier eine Rolle spielen, bleibt dahingestellt.
    5) vgl. dazu meine Abhandlung "Zur Theorie des negativen Urteils".
    6) Über andere Vertragstheorien vgl. STAMMLER im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften", dritte Auflage, Bd. 8, Seite 334f.