ra-2A. CartellieriCarlyleA. LiebertE. BurkeKropotkinTocqueville    
 
ALEXANDER CARTELLIERI
Die 48er Revolution
in Deutschland, Österreich und Ungarn


"Allmählich drängten aber starke Gruppen nach dem Portal hin, das zu den Gemächern des Königs führte, und ihnen war natürlich der Anblick der aus Potsdam herübergekommenen Truppen, die im Hof lagerten, durchaus widerwärtig. Mit dem Haß gegen alles Militär, der für jene Tage so kennzeichnend ist, verlangten sie ihre Entfernung, und als man ihnen nicht nachgab, schrieen sie erst recht laut. Der Lärm wurde so arg, daß der König dem kommandierenden General des Gardekorps  von Prittwitz den Befehl gab, die Zugänge und den Platz zu säubern und dem Getümmel eine Ende zu machen. Kavallerie und Infanterie gingen von verschiedenen Seiten aus langsam vor, ohne jemanden zu verletzen. Schimpfend warf sich die Masse den Dragonern entgegen und machte ihre Pferde scheu, Beschwichtigungsversuche durch Offiziere schlugen fehl. In diesem Augenblick starker Erregung fielen zwei Schüsse. Wie heute feststeht, entlud sich das eine Gewehr durch das Ungeschick seines Trägers, das andere durch den Schlag eines Arbeiters. Getroffen und verwundet wurde kein Mensch. Aber die Wirkung war schrecklich. Auf derselben Stelle, wo man eben noch Jubel und Hurra gehört hatte, erhob sich jetzt wildes Wutgeheul."

Wenn man von der 48er Revolution in Deutschland und Österreich spricht, ist immer im Auge zu behalten, daß sich die Dinge ganz anders vollzogen als in Frankreich, weil hier eine staatliche Einheit vorhanden war, die in Deutschland fehlte und in Österreich durch den Hader der Nationalitäten unwirksam wurde. Es wird demnach notwendig sein, statt von Deutschland von den einzelnen Staaten, statt von Österreich von den einzelnen Ländern und Völkern zu sprechen. Deshalb ist es auch kaum möglich, durchgehende Gedankenströmungen oder Reformbestrebungen aufzuzeigen. Viele Gebiete waren dazu überhaupt noch nicht reif und führten ein von den großen Weltbewegungen unberührtes Stilleben. Beginnen wir mit  Österreich,  so ist man gewohnt, auf die Flugschrift "Österreich und dessen Zukunft" zu verweisen, die Freiherr VIKTOR von ANDRIAN 1841 ohne Namensnennung erscheinen ließ und worin er die Zustände der Monarchie höchst ungünstig schilderte. Er sah in allen Zweigen des öffentlichen Lebens Schlendrian, Stillstand, Zersetzung, Unfruchtbarkeit, Kleinlichkeit und verglich schließlich den Kaiserstaat mit China. Den größten Teil der Schuld trug sicher METTERNICH, der aus seinen früheren Erfolgen die Überzeugung geschöpft hatte, daß er alles besser weiß und ähnlich wie GUIZOT von keinerlei Neuerungen hören wollte. Reformen waren ihm eigentlich schon die Vorfrucht der Revolution. Dabei erkannte er die Gefahr zuletzt auch, besaß aber nicht die Kraft, sein eigenes System durchgreifend zu ändern. Ob man die Finanznot oder an den Nationalitätenhader, an die Vernachlässigung des Militärs oder an den geistigen Druck denkt, immer wird die Unfähigkeit der Regierung offenbar, die der Gewohnheit sklavisch gehorchte. An zwei Stellen namentlich hatte sich seit Jahren reichlich Zündstoff angesammelt, der jeden Augenblick in Flammen gesetzt werden konnte: in Ungarn und Italien. METTERNICHs kaiserlicher Herr, FERDINAND I., war ein bedauernswerter epileptischer Kranker, der eher in eine Heilanstalt als in die Hofburg gehört hätte und nur durch eine Überspannung des dynastischen Prinzips auf dem Thron gehalten werden konnte. Österreich bot also das trübe Bild, daß ein Staatswesen, das mehr als andere, an Sprache und Rasse gleichartige, der festen Leitung bedurft hätte, sich von innen allmählich auflöste, weil die Hauptstelle vollkommen versagte. Die Bänder, die das Ganze zusammenhalten sollten, waren noch da, aber zermürbt und konnten keinen starken Druck vertragen.

Der staatsrechtliche Zusammenhang zwischen dem Kaiserstaat und Deutschland lag im Bundestag in Frankfurt am Main. Es ist schwer, diesen gerecht zu beurteilen, denn wenn man vom Regensburger Reichstag absieht, hat kaum je eine deutsche Zentralbehörde eine so einmütige, vom Parteistandpunkt unabhängige Verurteilung und Verachtung erfahren. Der Bundestag hat vielleicht nur dazu gedient, vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, daß es überhaupt kein Deutschland, sondern viele souveräne Staaten deutscher Nationalität gab, eine Tatsache, die jeden Vaterlandsfreund mit dem größten Schmerz erfüllen mußte. Eine organische Fortbildung des Bundes war ausgeschlossen, weil für alle Verfassungsänderungen Einstimmigkeit vorgeschrieben war. Die Freiheit und Gleichheit aller Bundesglieder machten jede Reform und Einheitsbewegung unmöglich. Wenn man sich die einzelnen Sünden des Bundestages vergegenwärtigt, so ist mit an erster Stelle zu nennen die Unterlassung einer ausreichenden Wehrverfassung und die mangelnde Unterstützung von Handel und Verkehr. Unter den Maßnahmen, die die geistige und politische Tätigkeit schwer beeinträchtigten, sind zu nennen die Knebelung der Lehrfreiheit an den Universitäten, die kleinliche Handhabung der Zensur, die strenge Überwachung von Versammlungen und schließlich die Behinderung aller einzelstaatlichen Verfassungen. Liefen Klagen über Rechtsverletzungen durch die Regierungen ein, so wollte der Bundestag nie darauf eingehen. Seine Voraussetzung war der "beschränkte Untertanenstand". Von einem anderen Gesichtspunkt aus wird man die Dinge durch das  eine  Stichwort der Demagogenverfolgung kennzeichnen können, wenn man nicht vergißt, daß zu diesen Demagogen um die Befreiungskriege hochverdiente Männer wie ARNDT und JAHN gehörten. Das einzige Große, was Preußen in dieser Zeit schuf, der deutsche Zollverein, konnte erst allmählich der künftigen Einheit nutzbar werden.

Die reaktionäre Strömung, die von Wien kam, machte Preußen dank der geringen Selbständigkeit seines Königs nur allzu eifrig mit. FRIEDRICH WILHELM III. verstand es in keiner Weise, hervorragende Köpfe an seine Seite zu ziehen oder ihnen freie Hand zu lassen. Den Angelpunkt der inneren Politik bildete das Versprechen des Königs vom 22. Mai 1815, worin eine Repräsentativ-Verfassung zugesagt wurde. In der Verordnung über die Staatsschulden vom 17. Januar 1820 wurde es noch einmal feierlich wiederholt, und doch geschah nichts, weil die Angst vor einer neuen Revolution größer war als die Einsicht in die Zeitverhältnisse. Preußen hatte demnach nur Provinziallandtage, und diese suchte FRIEDRICH WILHELM IV. weiter zu entwickeln. Man kennt seine ungewöhnlich reiche und vielseitige Begabung und seine überquellende Beredtsamkeit, aber auch seine Entschlußlosigkeit und unklare Romantik. In dem Augenblick, wo es darauf ankam, alle vorwärtsdrängenden Kräfte Deutschlands um Preußen zu sammeln, spielte sein König mit den Einrichtungen und Äußerlichkeiten längst vergangener Zeiten und glaubte damit die steigende Unruhe des Volkes zu beschwichtigen. An seinem guten und aufrichtigen Willen wird niemand zweifeln, aber der Weg, den er einschlug, führte nicht an der Revolution vorbei, sondern gerade hinein. Im Februar 1847 gab er eine neue, höchst künstliche Verfassung, in der der  Vereinigte Landtag  als neues Zugeständnis, die Vereinigten Ausschüsse der Provinziallandtage und drittens die ständige Deputation für das Staatsschuldenwesen nebeneinander standen. Es war die feste Absicht des Königs, etwas ganz anderes zu schaffen, als die sonstigen, ihm in tiefster Seele verhaßten Volksvertretungen. Vor allem fehlten die Periodizität des Landtages und die deutliche Abgrenzung der Befugnisse der drei Körperschaften. FRIEDRICH WILHELM IV. wollte gerade das nicht, was die Abgeordneten wollten, das "beschriebene Blatt Papier", die Charte mit ihren Paragraphen, und so dienten die Verhandlungen des Vereinigten Landtages vom April 1847 an hauptsächlich dazu, die Kluft zwischen Regierung und Regierten zu erweitern und allgemein kenntlich zu machen. Das politische Leben in Preußen, das damals erwachte, bekam gleich am Anfang eine oppositionelle Richtung, und diese wirkte lange nach.

Ob die Revolution in Preußen auch ohne das Pariser Beispiel ausgebrochen wäre, kann füglich bezweifelt werden. Dasselbe trifft erst recht auf die anderen deutschen Staaten zu. Nur in  einem  hatte ein Staatsstreich stattgefunden, der allerdings weit über seine Grenzen hinaus helle Empörung hervorrief, in Hannover. Hier hatte ERNST AUGUST den Thron bestiegen, dessen unheilstiftende Art in Despotenmanieren Befriedigung suchte. Als er die ihm widerwärtige Verfassung, das Staatsgrundgesetz von 1833, aufhob (1. November 1837) gaben  sieben Göttingische  Professoren, darunter die Brüder GRIMM und DAHLMANN, ein leuchtendes Beispiel an Freimut, indem sie in würdiger und fester Sprache dagegen Protest erhoben. Zwar wurden sie kurzer Hand entlassen und ausgewiesen, auch erklärte sich der Bundestag, der doch für die Verfassung hätte eintreten müssen, nach langem Zaudern für unzuständig, aber der Eindruck des Ereignisses verstärkte das Mißtrauen gegen die Regierungen und die Neigung zu grundlegenden Veränderungen.

In den auswärtigen Angelegenheiten versagte der Bund kaum weniger als in den inneren. Das zeigte sich besonders deutlich in Schleswig-Holstein, und die Empörung darüber, daß dort den Danisierungsbestrebungen nicht entgegengetreten wurde, war eines der wenigen gemeindeutschen Gefühle der Zeit.

Versucht man trotz aller Verschiedenheiten in den Einzelheiten die Gesamtstimmung in Deutschland im Jahre 1847 zu schildern, so dürfte man sagen, daß sich eine herbe Enttäuschung gerade der Besten bemächtigt hatte. Der Gegensatz zwischen den schönen Hoffnungen von 1813 und ihrem kläglichen Zusammenbruch in den folgenden Jahrzehnten war zu groß. Dabei möchte man nicht behaupten, daß im allgemeinen schlecht regiert wurde. Durchaus nicht, die Ehrlichkeit und Tüchtigkeit der Beamten hielten wohl der Kritik stand, aber der mangelnde Geist konnte für die gute Technik nicht entschädigen. Der Zustand Deutschlands wäre einem behaglich, wenn auch etwas altväterlich eingerichteten Zimmer zu vergleichen, in das nie ein frischer Luftzug käme. Da würde der Bewohner, um endlich frei atmen zu können, das versperrte Fenster gewaltsam aufstoßen, unbekümmert darum, daß dabei manch schönes Stück des Hausrates in Stücke ginge. Eine Reihe Ereignisse des Jahres 1847 in Deutschland erscheinen heute als Vorboten der Revolution, aber es ist richtiger, darin eine immer wachsende Sehnsucht nach Reformen zu sehen, von denen es gar nicht ausgemacht ist, ob sie zu einem Umsturz führen mußten. Sehr heftig waren während der 40er Jahre die Verfassungskämpfe in  Baden  gewesen, und eine kleine radikale Gruppe versäumte keine Gelegenheit, gegen Zensur und Polizei scharfe Vorstellungen zu erheben. Es mochte wohl schon eine Nachahmung der französischen Reformbankette sein, wenn sie am 12. September 1847 in  Offenburg  eine stark besuchte Volksversammlung abhielt und hier alle diejenigen Forderungen stellte, die dann immer wiederkehren sollten: Freiheit der Presse, der Lehre und des Vereinswesens, Schwurgerichte, Vereidigung des Volksheeres, Beseitigung aller Privilegien, Volksvertretung beim Bund. Zu diesen politischen Forderungen kamen die wirtschaftlichen, die sich gegen den Kapitalismus wandten. Nach den Radikalen, deren letztes Ziel die Republik war, rührten sich die gemäßigten Liberalen, die eine konstitutionelle Monarchie erstrebten. Am 10. Oktober trafen sie sich zu  Heppenheim  an der Bergstraße. Die Mehrheit wünschte den Zollverein durch ein Zollparlament zu ergänzen, wodurch aber der Propaganda für das höhere Ziel eines deutschen Parlaments nicht Abbruch getan werden sollte. Das eine tun und das andere nicht lassen, das war etwa der Gedankengang der Teilnehmer.

Auch in die gelehrten, der Politik ferner stehenden Kreise waren fruchtbare politische Gedanken durch ihre Fachversammlungen und insbesondere durch die Germanistentage unter dem Vorsitz von JAKOB GRIMM getragen worden. Das Beste war dabei die persönliche Fühlung, die Männer sehr verschiedener Ansicht nahmen, und das Ergebnis muß als Förderung der freiheitlichen Bestrebungen betrachtet werden. Professoren waren auch die Hauptmitarbeiter der in Heidelberg erscheinenden "Deutschen Zeitung", die der Historiker GERVINUS leitete. Sie arbeitete für die "preußische Spitze" und traf dabei mit den Bestrebungen DAHLMANNs zusammen, der entschieden dasselbe verlangte. DAHLMANN, erst Professor in Kiel, dann in Göttingen bis zum Staatsstreich ERNST AUGUSTs, schließlich in Bonn, war in weiten Kreisen durch seine Bücher über die englische und die französische Revolution bekannt geworden und übte ebenso durch seinen vornehmen Charakter und seine Vaterlandsliebe, wie durch seine historisch-politische Bildung einen starken Einfluß.

Ein eigenartiges Zusammentreffen wollte es, daß ganz kurz vor dem Ausbruch der Revolution in Paris der Abgeordnete BASSERMANN in der zweiten badischen Kammer den Antrag stellte, es sollten durch die deutschen Ständekammern Volksvertretungen am Bund eingerichtet werden (12. Februar 1848). Indem er auf die Gärung in Frankreich und in Italien verwies, sprach er ernste Warnungen aus, die aber wie gewöhnlich nicht beherzigt wurden. Von Frankfurt am Main aus geschah nichts, und ebensowenig von Wien aus. In Berlin dagegen war FRIEDRICH WILHELM IV. voll des Reformeifers, nur verstand er es nicht, ein Ziel fest ins Auge zu fassen und ihm unbeirrt durch irgendwelche Nebenrücksichten zuzustreben. Das Haupthindernis bildete immer seine gefühlsmäßige Rücksicht auf Österreicht. Sein Vertrauter, der geistreiche und vielseitige General von RADOWITZ, hatte sich längst davon überzeugt, daß die Sehnsucht nach Einheit und Nationalität alle Länder und Parteien durchzieht, und hätte gewünscht, daß der König von Preußen sich des Gedankens bemächtigte, er drängte ihn auch immer wieder, den schläfrigen Bund aufzurütteln. Aber es war vergebens, RADOWITZ wurde zwar nach Wien geschickt, aber nicht wegen der Bundesreform, und so blieben seine gutgemeinten Pläne wirkungslos. Die Regierten verlangten laut und ungeduldig mehr Rechte, die Regierenden stellten sich taub oder waren es wirklich, man verstand sich nicht, und so fehlte ein Ausgleich, der rein sachlich betrachtet möglich gewesen wäre. Aber wann lassen sich erhitzte Leidenschaften durch Vernunftgründe beschwichtigen? Schließlich geht es Macht gegen Macht, besonders wenn, wie es 1848 der Fall war, wirtschaftliche Not als Folge mehrmaliger Mißernten dazukommt.

Eine in die Zukunft weisende, die Grenzen der Zeit weit überspringende Theorie gab es schon, die alle Übel, die aus der Herrschaft einer Klasse entstehen, durch eine neue Lehre und eine neue, nicht bürgerliche, sondern proletarische Revolution bessern wollte, die  sozialistische wie sie unmittelbar vor der Februarrevolution im "Kommunistischen Manifest" von MARX und ENGELS an die Öffentlichkeit trat. Aber noch vergingen Jahre, ehe sie sich, feuriger Lava gleich, in alle Länder ergoß, um schließlich zu erstarren.

Wie man auch die Lage in Deutschland am Anfang des Jahres 1848 beurteilen mag, das eine steht fest, daß der Ausbruch der Revolution nach dem Eintreffen der Pariser Nachrichten erfolgte. Wenn man eine schlichte Chronik der Ereignisse jener Zeit in die Hand nimmt, sieht man ganz deutlich, wie von den letzten Februartagen an die Ereignisse sich auch in Deutschland drängen und überstürzen. In der Rheingegend mußte das Pariser Beispiel naturgemäß am ersten und am stärksten wirken. Bürgerversammlungen in Mannheim am 27. und in Karlsruhe am 28. Februar 1848 verlangten ein deutsches Parlament, Pressefreiheit, Geschworenengerichte, Volksbewaffnung, die vier Punkte, die dann überall wiederkehren und gewissermaßen die Säulen des künftigen Reiches werden sollten. Auch am 28. Februar stellte HEINRICH von GAGERN, dessen Name mit der Geschichte dieser Zeit so eng verknüpft ist, in der darmstädtischen Kammer einen Antrag, dessen Bedeutung darin liegt, daß sofort eine einheitliche monarchische Leitung Deutschlands in Gang gebracht werden sollte. Es ist unmöglich, an alle einzelnen Adressen und Beschlüsse zu denken, die in Süddeutschland folgten und die Stimmung für die kommenden Dinge vorbereiteten. Alle hatten im Wesentlichen dasselbe Ziel, und es gilt hauptsächlich festzustellen, was wirklich getan wurde. Das badische Ministerium begann mit freiheitlichen Maßnahmen und hob mißliebige Gesetze auf. Ähnliches geschah in Hessen-Darmstadt, Nassau und Württemberg. In  Bayern  lagen insofern eigentümliche Verhältnisse vor, als es dort schon vorher zu Unruhen gekommen war. Den Anlaß bot die blinde Leidenschaft des sechzigjahrigen Königs LUDWIGs I. zu der berückend schönen, aber höchst abenteuerlichen spanischen Tänzerin LOLA MONTEZ. Sie spielte sich als Gegnerin der Ultramontanen auf und stiftete eine große Verwirrung, ihre Frechheiten brachten die Münchner Bevölkerung und besonders die Studenten gegen sie auf. Schließlich wurde der verliebte Herrscher, nachdem er sogar zeitweilig die Universität geschlossen hatte, gezwungen, die MONTEZ, die er schon zur Gräfin erhoben hatte, auszuweisen. Jetzt erklärte er sich, wie es in seiner Kundgebung vom 6. März hieß, nach neuen Unruhen bereit, "Deutschlands Einheit durch wirksame Maßnahmen zu stärken". Da er aber nur mit halbem Herzen den Systemwechsel mitmachte, war es das Beste, was er tun konnte, daß er am 20. März zugunsten seines Sohnes MAXIMILIAN abdankte.

Dann gewann die Reformbewegung in Mitteldeutschland Boden. Die neuen Minister, die von den erschreckten Fürsten berufen werden mußten, hatten die Aufgabe, die Wünsche des Volkes zu erfüllen. So war es in Hessen-Kassel und in Weimar der Fall. In Weimar soll OSKAR von WYDENBRUGK hervorgehoben werden, in dem man geradezu ein typisches Beispiel des theoretischen Liberalismus sehen kann, mit seinem Glauben an eine Verwirklichung der allgemeinen Wohlfahrt und seiner Unterschätzung der Mächte der Bosheit und Trägheit. Im Königreich Sachsen und sogar in Hannover, dessen König freilich sehr ungern nachgab, verlief die Sache nicht anders.

Das Ergebnis ist, daß im Laufe des März durch einen Wechsel der leitenden Minister und durch bestimmte Zusagen die Bahn der Reformen in den deutschen Staaten mit Ausnahme Preußens eröffnet war. Man hat diese Zeit die "Flitterwochen der Revolution" genannt, weil tatsächlich die Liebe zu einem freien und großen Vaterland die Gemüter beherrschte, ohne daß man sich nüchtern vergegenwärtigte, daß die Verwirklichung all dieser ansich trefflichen Pläne auf den heftigsten Widerstand stoßen, und daß dabei wahrscheinlich auch die Gemeinsamkeit der nur gefühlsmäßig Verbundenen in die Brüche gehen würde. Die Farben des Lützower Freikorps,  schwarz-rot-gold,  die von der Burschenschaft angenommen, aber von den Regierungen lange verpönt worden waren, tauchten jetzt auf und sollten die des künftigen Reiches werden. Sogar der kraftlose  Bundestag  konnte sich der Erregung der Geister um ihn herum nicht entziehen. Ein Zufall wirkte mit. Der preußische Gesandte, Graf DÖNHOFF, vertrat den österreichischen Vorsitzenden und gebrauchte am 1. März Wendungen, wie man sie bisher von Frankfurt aus nicht gewohnt war zu hören. Er nannte den Bundestag ganz gegen dessen bisherige Wirksamkeit und Grundsätze "das gesetzliche Organ der nationalen und politischen Einheit Deutschlands", er flocht den stolzen Satz ein: "Deutschland wird und muß auf die Stufe gehoben werden, die ihm unter den Mächten Europas gebührt". Damit wurde das System METTERNICHs abgeschafft, ehe dessen Träger vom Amt zurückgetreten war. Allerdings war auch jetzt der Bundestag nicht imstande, die mächtig anschwellende Bewegung zielbewußt in ein Bett zu leiten, sondern er begnügte sich im Wesentlichen damit, nachträglich gutzuheißen, was ohne ihn geschehen war. So erkannte er die Pressefreiheit und die neuen Farben an. Wichtiger war die Einladung, die er an alle Bundesregierungen schickte, sie möchten 17 Männer des allgemeinen Vertrauens nach Frankfurt abordnen, um den Bundestag bei der Verfassungsarbeit zu beraten. Man denkt sofort an die Notabeln [angesehene Oberschicht - wp] vor der französischen Revolution und wird zu dem Urteil kommen, daß dieses wie jenes eine halbe Maßregel war. "Ratgeber", auch wenn sie an und für sich durchaus beliebt waren, konnten jetzt nichts mehr ausrichten.

Von anderer Seite kamen frischere Anregungen. In  Heidelberg  hatten sich am 5. März 1848 süd- und mitteldeutsche Abgeordnete getroffen und einen Ausschuß von sieben Männern gebildet, um eine allgemeine deutsche Volksvertretung und zunächst die Einberufung eines Vorparlaments zu betreiben. Sie verwarfen gleichzeitig die auf eine Republik abzielenden Wünsche einer Minderheit, und HEINRICH von GAGERN sprach für das deutsche Kaisertum.

Wer diese Vorgänge im Süden und Westen Deutschlands verfolgt, schaut immer wieder unwillkürlich nach Norden und fragt erstaunt, ob sich denn FRIEDRICH WILHELM IV. bei seinem regen Geist und seiner warmen Liebe für die alte deutsche Kaiserherrlichkeit gar nicht rührte, warum er sich denn nicht zum Führer aufwarf und ein neues Reich schuf. Aber wer das tut, vergißt die Charaktereigenschaften des Königs, die ihn wohl schwärmen und planen, aber nicht kraftvoll handeln ließen. Zwar schickte er RADOWITZ am 2. März zum zweiten Mal nach Wien, um über eine Bundesreform zu verhandeln. Gleich nachher aber dachte er wieder daran, mit Gewalt gegen die Revolution vorzugehen und kam so zu keiner festen Haltung. Die Periodizität des Vereinigten Landtages, die er früher immer verweigert hatte, als sie verlangt wurde, und jetzt am 6. März als Geschenk scheinbar frei gewährte, machte keinen nachhaltigen Eindruck mehr. Wie bei allen Revolutionen, müßten auch hier die beiden Urteile "Verpaßte Gelegenheit" und "Zu spät" am Eingang mancher verhängnisvollen Tatsachenreihe stehen. Da von seiten der Krone nichts Durchgreifendes geschah, machte sich die Aufregung des Volkes an mehreren Orten in  Straßenkundgebungen  Luft. Das warme Frühlingswetter war dafür sehr günstig. In  Berlin  fand zuerst am 7. März eine große Versammlung bei den "Zelten" im Tiergarten statt, und hier wurden die aus Süddeutschland bekannten Forderungen mit einigen anderen zu einer Adresse an den König zusammengefaßt. Wichtig war dabei die nach schleuniger Einberufung des Landtages. Wäre diese gleich erfolgt, so hätten die Leidenschaften sich vielleicht statt in Taten nur in Reden austoben können. Aber schon am Abend des 13. März vollzog sich nach den Worten eines Augenzeugen in Berlin der Wandel aus dem Frieden in den Krieg. Die Straßenunruhen nahmen einen immer ernsteren Charakter an. Die Truppen wurden beschimpft und mit Steinen beworfen, sie machten von der Waffe Gebrauch, und die Erbitterung über ihr scharfes Eingreifen verbreitete sich mit rasender Schnelligkeit. Immer heftiger wurde ihre Zurückziehung verlangt. Daß am 14. für den Zusammentritt des Landtages ein ziemlich fernes Datum, der 27. April, bekanntgegeben wurde, erhöhte die Erregung, statt sie zu dämpfen. Auch damit waren noch nicht sämtliche Unklarheiten beseitigt: denn bei allem, was der König tat, schaute er immer seitwärts auf Österreich.

Da mußte er erfahren, daß Österreich selbst vorrangig, aber nicht mehr mit Reformen, sondern mit der Revolution. Am frühesten meldeten sich die  Ungarn.  Schon am 3. März griff der phantasievolle KOSSUTH in einer feurigen, unwiderstehlichen Rede die herrschenden Gewalten an. Die Bewegung, der er Worte verlieh, setzte sich gleichzeitig zwei Ziele, die nationale Selbständigkeit und den Parlamentarismus. Hier, wie etwa 1830 bei der belgischen Verwicklung, liegt in der Revolution zugleich der nationale Befreiungskrieg. In  Wien  wurden die sämtlichen aus dem Ausland eintretenden Nachrichten auf das lebhafteste erörtert, ohne daß METTERNICH sich veranlaßt fand, irgendwelche außerordentlichen Vorkehrungen zu treffen. Er unterschätzte wohl trotz aller Polizei den politischen Radikalismus der Studenten: diese aber waren es, die am meisten unter dem dumpfen Druck der Reaktion gelitten hatten und nur auf einen günstigen Zeitpunkt warteten, um sich dagegen aufzulehnen. In großer Zahl und voll Leidenschaft nahmen sie an den nächsten Ereignissen teil.

Am 13. März traten die niederösterreichischen Stände zusammen, und der Hof des Landhauses füllte sich mit einer dichten Menge. Als ihr die Rede KOSSUTHs unter ungeheurem Beifall verlesen worden war, drang sie in die Sitzungsräume ein. Während sich die ratlosen Stände in die Hofburg zum Kaiser begaben, versuchte das Militär die Zugänge zum Landhaus freizuhalten. Dabei wurde es mit Steinen und Holzstücken beworfen. Erzherzog ALBRECHT, ein Vetter des Kaisers, gab selbst den Befehl zum Feuern, als er getroffen wurde. Der Kampf setzte sich auch in anderen Stadtteilen fort, heftig forderten auch die Studenten Waffen für sich und drohten das Zeughaus zu stürmen. Der Kaiser konnte seiner Gesundheit wegen niemanden empfangen, und so fehlte es eine Zeitlang an einer Regierungsstelle, die der Bewegung hätte Halt bieten können. Schon wurden von mehreren Stellen Brandstiftungen und Zerstörungen gemeldet. Da entschloß sich der Oheim des Kaisers, Erzherzog LUDWIG, der tatsächlich die Geschäfte für ihn führte, in letzter Stunde, METTERNICH, auf den er baute, preiszugeben, und der alte Staatskanzler nahm mit vornehmer Ruhe seinen Abschied. Als das bekannt wurde, und man gleichzeitig erfuhr, daß die Bewaffnung der Bürgerschaft und der Studenten bewilligt ist, durchbrauste ein Freudensturm die Kaiserstadt.

Am folgenden Tag (14. März) bewährten sich die Studierenden als Hüter der Ordnung, indem sie Ausschreitungen verhinderten. Es wurde auch eine "Nationalgarde auf Grundlage des Besitzes und der Intelligenz" gegründet. Die erschreckte Regierung sicherte auch Preßfreiheit und Aufhebung der Zensur zu, konnte sich aber zur Gewährung der verlangten Konstitution noch immer nicht entschließen, gleichsam als zöge sie es vor, sich jede einzelne Bewilligung abpressen zu lassen. Scharfe Maßnahmen des zum Oberbefehlshaber ernannten Fürsten WINDISCHGRÄTZ vermehrten die Spannung und am 15. mußte mit einem Sturm auf die Hofburg gerechnet werden. Da wurde das Zauberwort "Konstitution" doch noch von der Regierung gesprochen, wieder ergriff ein heißes Dankgefühl die Bürger, die im Grunde so wenig revolutionär gesinnt waren. Studenten ließen auf dem Universitätsplatz die Trommeln zum Gebet rühren und knieten mit erhobenen Armen nieder. Die neue Nationalgarde brachte dem Kaiser eine großartige Kundgebung dar, und durch die hell erleuchteten Straßen bewegte sich die festlich gestimmte Menge. Wenige Tage später trat ein Ministerium zusammen, das zwar die Aufgabe hatte, Reformen durchzuführen, aber dazu gänzlich ungeeignet war.

Das, was in Wien geschah, fand auch in anderen Ländern Nachahmung. In Böhmne und in Galizien wurde der Gegensatz gegen das Deutschtum offenbar, und die nationale Absonderung zog aus der Schwäche der Staatsgewalt sogleich Vorteil. Dasselbe war in Ungarn der Fall, nur daß hier die Kraft des Magyarentums so groß war, daß man bald mit einer Trennung von Österreich rechnen mußte. Da überdies das lombardisch-venezianische Königreich abfiel, bebte das Habsburgerreich bis in seine Grundvesten, und sehr viel hing davon ab, ob etwa von Preußen her Hilfe erwartet werden könnte. Aber auch hier war die Revolution schon in vollem Gang.

Am 16. März kam die allen Vorwärtsdrängenden hochwillkommene Kunde vom Zusammenbruch des METTERNICHschen Systems nach Berlin, und der König konnte sich nicht länger der Überzeugung verschließen, daß etwas geschehen muß. Vielleicht gelang es ihm noch, sich an die Spitze der Bewegung, die doch nicht mehr aufzuhalten war, zu stellen. Schweren Herzens berief er gemäß den Vorschlägen seines Ministers des Innern von BODELSCHWINGH den Landtag auf den 2. April und kündigte eine ganze Reihe bedeutsamer Maßnahmen für die Verwandlung Deutschlands aus einem Staatenbund in einen Bundesstaat an: konstitutionelle Verfassung aller deutschen Länder, allgemeine deutsche Wehrverfassung, deutsche Bundesflagge, deutsche Flotte, deutsches Bundesgericht, allgemeines deutsches Heimatrecht und volle Freizügigkeit im gesamten deutschen Vaterland, allgemein deutschen Zollverein mit gleichem Maß und Gewicht, gleichem Münzfuß, gleiches deutsches Handelsrecht, Pressefreiheit und anderes. Der Eindruck auf die Bevölkerung am 18. März war sehr günstig, und die Menschenmassen, die sich schon vorher auf dem Schloßplatz eingefunden hatten, weil dem König eine Massenbittschrift übergeben werden sollte, schwollen immer mehr an. Der König trat mehrfach auf den Balkon und wurde freudig begrüßt; denn man wollte ihm für seine Zugeständnisse danken. Allmählich drängten aber starke Gruppen nach dem Portal hin, das zu den Gemächern des Königs führte, und ihnen war natürlich der Anblick der aus Potsdam herübergekommenen Truppen, die im Hof lagerten, durchaus widerwärtig. Mit dem Haß gegen alles Militär, der für jene Tage so kennzeichnend ist, verlangten sie ihre Entfernung, und als man ihnen nicht nachgab, schrieen sie erst recht laut. Der Lärm wurde so arg, daß der König dem kommandierenden General des Gardekorps von PRITTWITZ den Befehl gab, die Zugänge und den Platz zu säubern und dem Getümmel eine Ende zu machen. Kavallerie und Infanterie gingen von verschiedenen Seiten aus langsam vor, ohne jemanden zu verletzen. Schimpfend warf sich die Masse den Dragonern entgegen und machte ihre Pferde scheu, Beschwichtigungsversuche durch Offiziere schlugen fehl. In diesem Augenblick starker Erregung fielen zwei Schüsse. Wie heute feststeht, entlud sich das eine Gewehr durch das Ungeschick seines Trägers, das andere durch den Schlag eines Arbeiters. Getroffen und verwundet wurde kein Mensch. Aber die Wirkung war schrecklich. Auf derselben Stelle, wo man eben noch Jubel und Hurra gehört hatte, erhob sich jetzt wildes Wutgeheul. Die vor den Soldaten zurückweichenden Leute dachten nicht anders, als daß sie heimtückisch, trotz ihrer loyalen Gesinnung, verraten und hingemordet würden und verbreiteten ihre Rachestimmung schleunigst in der ganzen Stadt. Es war vergebnlich, daß ein trefflicher Mann eine Fahne mit der Inschrift: "Es ist ein Mißverständnis. Der König will das Beste" herumtrug. Der seit den Zusammenstößen aufgespeicherte Groll entlud sich in fieberhafter Tätigkeit. Aus Droschken und Omnibuswagen, Wollsäcken und Balken wurden in rasender Eile Barrikaden gezimmert und ihre Verteidiger waren durchaus nicht nur Arbeiter, sondern auch Studenten und Bürger. PRITTWITZ beschränkte sich darauf, die Umgebung des Schlosses in seine Hand zu bringen, und das gelang ihm auch im Wesentlichen nach heftigem Straßenkampf bis vor Mitternacht. Sein Gedanke war, wenn er die übrige Stadt nicht bezwingen könnte, den König unter dem Schutz der Truppen herauszuführen und erst nachher an die Wiedereroberung zu gehen. Dabei dachte er an die Erfahrungen der französischen Offiziere in der Julirevolution.

FRIEDRICH WILHELM IV. befand sich in der furchtbarsten Verlegenheit und Gewissenspein, die man sich nur vorstellen kann. Vielleicht war er auch schon damals nicht ganz gesund. Um ihn herum herrschte eine unglaubliche Verwirrung, Abordnungen kamen und gingen, jede gab dem völlig gebrochenen Herrscher einen anderen Rat. Die Militärs empfahlen ebenso dringend festes Durchgreifen als Zivilpersonen die Einstellung der Feindseligkeiten. Tief unglücklich über den Straßenkampf, dessen Geräusch er fortwährend hören mußte, verfaßte er mitten in der Nacht die Kundgebung "An meine lieben Berliner". In rührend herzlichen Worten, von denen man nur bezweifeln kann, ob sie der Lage angemessen waren, beschwor er sie darin, die Barrikaden wegzuräumen und versprach für diesen Fall, die Truppen zurückzuziehen und nur das Schloß mit wenigen anderen Gebäuden noch kurze Zeit besetzt zu halten. Die Schuld am vergossenen Blut schob er einer Rotte fremder Bösewichte zu. Frühmorgens (am 19. März) angeschlagen, wurde das Schriftstück teilweise sehr freundlich, teilweise aber auch mit Hohn aufgenommen. Jedenfalls paßte es gar nicht zu den Maßregeln, die PRITTWITZ in Aussicht genommen hatte, und veranlaßte ihn abzuwarten. Und als nun immer neue Persönlichkeiten beim König vorstellig wurden, er solle doch die Truppen entfernen, beharrte dieser nicht auf seiner anfänglichen Ablehnung, sondern ließ sich durch die falsche Mitteilung, daß die Barrikaden schon abgebrochen würden, zu dem Befehl bewegen, die Truppen sollten abmarschieren und nur gewisse Gebäude sichern. Der Befehl erregte bei den Offizieren eine tiefe Verstimmung, die sich drasticher äußerte, als es sonst vor dem König erlaubt war, bei den Bürgern helle Freude. Der König selbst gab ihn, ohne in seiner Übermüdung und Nervenzerrüttung recht zu wissen, was er tat, und konnte daher unmittelbar nachher abstreiten, ihn gegeben zu haben. Trotzdem trägt er die volle Verantwortung, mögen auch andere, teilweise in der besten Absicht, durch ihr Drängen seine Unschlüssigkeit vermehrt haben. Nicht genug damit, führte aber PRITTWITZ den Befehl noch weiter aus, als es unbedingt nötig gewesen wäre, vielleicht, weil er fürchtete, daß die Truppen, die mit den Volksmassen in Berührung blieben, von ihnen verführt oder zu neuen Kämpfen genötigt würden, vielleicht auch, weil er in seinem soldatischen Zorn die Demütigung, die ihm zugemutet wurde, recht offenbar machen wollte. Er schickte also die Truppen in ihre Kasernen und ließ nur ein paar Kompanien im Schloß.

Die Folge war, daß das Volk sich ungehindert in die Höfe ergoß. Als dann auf einem Möbelwagen die Leichen der Barrikadenkämpfer herangefahren wurden, traten der König und die Königin auf den Balkon und als von unten der Ruf erscholl "Mütze ab", entblößte der König das Haupt. Es war ein Glück, daß plötzlich irgendjemand den Choral "Jesus meine Zuversicht" anstimmte. Die gefährliche Spannung löste sich und dem Königspaar, das ganz schutzlos war, tat niemand etwas zuleide. Eine neugebildete Bürgerwehr und die Schützengilde stellten die Ordnung her und abends prangte die Stadt im Lichterschmuck. FRIEDRICH WILHELM IV. hatte erst daran gedacht zu fliehen, aber seine Ratgeber rieten ihm davon ab. Dagegen mußte sein Bruder Prinz WILHELM, der spätere Kaiser, der wegen seiner kurzen soldatischen Art sehr verhaßt war, sich schleunigst in Sicherheit bringen. Um sein Palais zu schützen, hatte ein findiger Kopf darauf die Inschrift "Nationaleigentum" angebracht, und das genügte.

Am 20. Märze nahm der Abzug der Truppen seinen Fortgang, wie PRITTWITZ es wollte, und der König ließ ihn gewähren, ohne selbst recht zu wissen, was dabei herauskommen würde. Eine allgemeine Amnestie politischer Verbrecher wurde bewilligt. Tags darauf machte der König den theatralischen Umritt durch Berlin, der sich so schroff von der alten preußischen Fürstenart abhob. Er saß in Uniform zu Pferd, eine breite schwarz-rot-goldene Binde am Arm. Offiziere, Beamte, Bürger umgaben ihn; ein Bürgerschütze trug eine Fahne in den drei Farben, ein stattlicher Barrikadenkämpfer eine auf Pappe gemalte Kaiserkrone. Der König machte öfters Halt, redete das Publikum an und beteuerte, daß er Deutschlands Freiheit und Einheit wünscht. Am Abend erschien seine Kundgebung "An mein Volk und die deutsche Nation", in der das vielerörterte Wort vorkam "Preußen geht fortan in Deutschland auf!"

Mit dem Begräbnis der Märzgefallenen, die der König grüßte, als der Leichenzug beim Schloß vorbeikam (22. März), waren die eigentlichen Revolutionstage für Berlin beendet. Das alte Preußen bestand nicht mehr. Wenn die mündlichen und schriftlichen Äußerungen des Königs überhaupt einen Sinn hatten, so konnte es nur der sein, daß er, wie er es einmal selbst ausdrückte, Deutschland zu einem freien, großen Verfassungsstaat machen wollte. Aber daran dachte er im Ernst gar nicht, er ermaß die Tragweite seiner eigenen Worte, die ihm seine Ratgeber eingaben, nicht klar. Das Ansehen der Krone hatte einen furchtbaren Stoß erlitten, zufrieden war niemand und bald sollte es sich zeigen, daß größtenteils durch des Königs Schuld Preußen nicht mehr die Fähigkeit besaß, einen festen Kern deutscher Reichsbildung abzugeben.

Was in Berlin versäumt wurde, schien von Frankfurt aus zur Verwirklichung zu gelangen.


Revolution und Reaktion

Am 31. März 1848 trat das  Vorparlament  unter allgemeinem Jubel in der Paulskirche zu Frankfurt am Mein zusammen. Es waren über 500 Männer, denen die überschwere Aufgabe zufiel, aus dem Nichts etwas Dauerndes zu schaffen. Die Gegensätze entluden sich sofort: auf der einen Seite standen die Anhänger der Republik, die die Volksstimmung ausnutzen, auf der anderen die Liberalen, die nicht ohne die Regierungen vorgehen wollten. Es zeigte sich aber bald, daß die letzteren die Mehrheit hatten. Die gefaßten Beschlüsse galten der auch nach Frankfurt am Main zu berufenden Nationalversammlung, wobei das allgemeine Wahlrecht zugrundegelegt wurde, und der Begrenzung des Bundesgebietes, wobei die Teilung Polens für ein schmachvolles Unrecht erklärt und die heilige Pflicht des deutschen Volkes betont wurde, an der Wiederherstellung mitzuwirken. Die Radikalen wünschten, daß das Vorparlament sich in Dauer erklärte, weil das zu ihren Plänen am besten paßte, aber die Mehrheit sah darin eine Art Wohlfahrtsausschuß, der die Revolution entfachen könnte, und begnügte sich mit einem Fünfziger-Ausschuß, in dem auch den Österreichern Plätze freigehalten wurden. Die Entscheidung über die Verfassung Deutschlands sollte "einzig und allein" der künftigen Nationalversammlung vorbehalten bleiben. Damit wurden die bestehenden, allein im Besitz der Macht befindlichen Regierungen einfach als nicht daseinsberechtigt betrachtet, aber der Beschluß ging trotz einiger Bedenken doch durch, weil er in der Richtung der Tagesströmung lag. Ganz unbefriedigt waren die beiden Führer der Radikalen, von STRUVE, der einen Zeitgenossen an ROBESPIERRE erinnerte, und HECKER, den die Volksgunst trug. Die Revolution, die ihr ganze Sinnen erfüllte, zog sich ihnen zu lange hin, deshalb schlugen sie in der Hoffnung auf französische und schweizerische Hilfe los. Aber schon am 20. April wurde ihre Schar bei Kandern im südlichen Schwarzwald von überlegenen badischen und hessischen Truppen auseinandergetrieben, und dasselbe Schicksal erlitt einige Tage später der Dichter HERWEGH mit seiner eilig zusammengerafften Legion in der Nähe der Schweizer Grenze bei Säckingen. Die unzeitgemäße Erhebung wurde gerade vom Standpunkt der Revolution aus auf das strengste verurteilt.

Auf Aufstand in  Posen,  der an unbedachte Versprechungen FRIEDRICH WILHELMs IV. anknüpfte und unter MIEROSLAWSKI Ende April erst Erfolg hatte, wurde wenig später erstickt. Dort war natürlich das nationale, nicht das verfassungsmäßige Ziel maßgebend und ebenso verhielt es sich in  Schleswig-Holstein.  In Kopenhagen schien die Gelegenheit zur Einverleibung Schleswigs günstig, die Vertreter der Herzogtümer verlangten dagegen in einer Rendsburger Versammlung am 18. März den Eintritt Schleswigs in den deutschen Bund und freiere Gesetze. Der König von Dänemark aber gab seinem erregten Volk nach und bekannte sich durch ein neues Ministerium zu den Forderungen der sogenannten Eiderdänen. Die Deutschen erkannten die Gefahr, bildeten sofort eine vorläufige Regierung und baten Deutschland um Hilfe. FRIEDRICH WILHELM IV. billigte allerdings die drei Hauptsätze des Rechts der Herzogtümer, Selbständigkeit, Unteilbarkeit und Vererbung nur im Mannesstamm, aber auch in dieser Angelegenheit konnte er sich zu tatkräftigen Maßnahmen nicht aufraffen und wurde umso bedenklicher, als die dänenfreundliche Stimmung der Großstaaten sich deutlicher enthüllte. Der weitere Verlauf der Dinge hängt nur äußerlich mit der deutschen Revolution zusammen und ist durchaus als nationaler Befreiungskrieg zu bewerten. Die begeisterte Anteilnahme, die das Schicksal Schleswig-Holsteins überall in Deutschland fand, führte zwar Freischaren dorthin, konnte aber die diplomatisch-militärische Lage nicht zugunsten der Herzogtümer wenden. Nachdem General WRANGEL erst Südjütland besetzt hatte, mußte er umkehren, und Ende Mai standen die Dänen ind Nordschleswig.

Während der ersten Hälfte des April wurde in Frankfurt über die künftige  Reichsverfassung  eifrig beraten; nebeneinander tagten der Siebzehnerausschuß des Bundestages und der Fünfzigerausschß des Vorparlaments. Doch hat es keinen Zweck, bei den verfassungsgeschichtlich wertvollen Entwürfen länger zu verweilen, da sie nicht verwirklicht worden sind. Wesentlich ist, daß FRIEDRICH WILHELM IV. die der preußischen Spitze entgegenkommende Stimmung nicht auszunutzen verstand und lieber in einem altertümlichen Zeremoniell schwelgte, statt sich nüchtern die Grundlagen eines Neubaus zu vergegenwärtigen. Als sich dann das  Frankfurter Parlament  oder genau genommen die deutsche konstituierende Nationalversammlung am 18. Mai versammelte, fand sie keinen Verfassungsentwurf der Regierungen und namentlich nicht der preußischen vor. Das ist beim Gesamturteil über sie immer zu berücksichtigen. Sie tagte in der Paulskirche und genoß lange Zeit das unbedingte Vertrauen der öffentlichen Meinung. Der Glaube an die Macht der Theorie war so groß, daß wohl die wenigsten sich die bange Frage vorlegten, ob durch Reden allein ein neues Deutschland geschaffen werden könnte. Ungünstig war schon die Lage Frankfurts wegen der Nachbarschaft revolutionär gesinnter Landschaften und des nicht ausreichenden militärischen Schutzes. Ungünstig war die Paulskirche selbst, weil die Besucher der übergroßen Galerien die Sachlichkeit der Verhandlungen leicht störten. Nebenräume gab es überhaupt nicht, manche wichtige Beratung mußte auf offener Straße stattfinden. Der eilige Verkehr zwischen den Gastwirtschaften, in denen die einzelnen Parteien zu verkehren pflegten, und dem Sitzungssaal entsprach kaum der Würde der Versammlung. Deutsche Vorbilder hatte sie keine; denn das Kurfürstenkolleg und der alte Reichstag waren doch etwas völlig anderes gewesen. Wohl aber konnte man an 1789 und die damalige Konstituante erinnert werden. Die Mitglieder waren an die 600, darunter 95 Rechtsanwälte, 124 Verwaltungs- und 100 richterliche Beamte, 104 Professoren. Mit vollem Recht hat man immer den hohen geistigen Stand der Erörterungen gerühmt. Nicht ebensogut stand es mit der praktischen Erfahrung, wenn auch mancher Tadel übertrieben sein wird. Tatsächlich aber gab es verhältnismäßig wenige Grundbesitzer, Kaufleute und Industrielle. Der lehrhafte, akademische Grundzug der Versammlung ist nicht zu bestreiten. Ihre eigentliche Schwäche lag in dem durch die deutsche Kleinstaaterei entschuldbaren, aber doch verhängnisvollen Mangel an Verständnis für militärische und finanzielle Macht. Die schönsten Keime des literarischen und philosophischen Idealismus, die sich in ihr fortpflanzten, gingen im Sturm der Interessen nur allzu rasch zugrunde.

Präsident wurde HEINRICH von GAGERN, dessen Name in den letzten Monaten durch die darmstädtische Kammer bekannt geworden war, und er erklärte gleich anfangs mit der größten Entschiedenheit:
    "Wir wollen eine Verfassung für Deutschland schaffen, für das gesamte Reicht. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation."
Stürmischer Beifall bekräftigte seine Worte. In der begeisternden Rede lagt überhaupt die Stärke seiner eindrucksvollen Persönlichkeit; einen großen Politiker dürfte man ihn nicht nennen. Die Parteien, die sich allmählich bildeten, vertraten fast alle Verfassungsmöglichkeiten von der Monarchie auf der äußersten Rechten bis zur Republik auf der äußersten Linken. Die Mehrheit hatten die gemäßigten Monarchisten, weil sich ihnen auch die Idealrepublikaner anschließen konnten. In den Verhandlungen tobte sich eine ungehemmte Redelust aus und lenkte nur allzusehr von der praktischen Arbeit ab. Die Mitglieder vergaßen vollständig, daß Frankreich 1789 schon besaß, was sie erst schaffen sollten, nämlich den nationalen Staat. Die Franzosen konnten es sich leisten, von dieser festen Grundlage aus der Menschheit Gesetze zu geben, die Deutschen aber 1848 nicht, weil ihnen noch die Grundlage fehlte, die dort der Absolutismus in jahrundertelanger, zäher Arbeit gelegt hatte. So wurde eine Erklärung angenommen, daß Deutschland niemals zur Unterdrückung einer fremden Nationalität die Hand bieten würde und den auf seinem Gebiet ansässigen fremden Volksstämmen für die freie Übung ihrer Nationalität Gewähr leistet (31. Mai). Eine ungarische Abordnung wurde freundschaftlich begrüßt, obwohl doch die Ungarn vom österreichischen Standpunkt aus Aufrührer waren. Ein Berliner beantragte sogar die Befreiung der Lombardei von Österreich. Es war ein Glück, daß dann von anderer Seite einem "gesunden Volksegoismus" das Wort geredet wurde, und erfreulich lautete im Hinblick auf den Zwiespalt mit Dänemark der Beschluß, eine deutsche Kriegsflotte zu gründen, aber wann konnte daraus etwas werden?

Für den Augenblick mußte die vorläufige  Zentralgewalt  am wichtigsten sein. Leidenschaftlich wurde hin- und hergeredet. Der Hinweis auf FRIEDRICH WILHELM IV. löste nur stürmische Heiterkeit aus. Endlich, am 29. Juni, wurde der Erzherzog JOHANN, ein Oheim des Kaisers von Österreich, mit großer Mehrheit zum  Reichsverweser  gewählt und von den Regierungen anerkannt. Er bekam die vollziehende Gewalt, die Oberleitung der bewaffneten Macht und die Vertretung Deutschlands im Ausland und war unverantwortlich. Neben ihm standen Minister, die der Nationalversammlung verantwortlich waren. Der Bundestag erklärte seine Tätigkeit für beendet (12. Juli). Die Volkstümlichkeit des Reichsverwesers beruhte größtenteils auf seiner bürgerlichen Heirat mit einer Posthalterstochter und einem Trinkspruch, den er bei einer Grundsteinlegung am Kölner Dom gehalten hatte, und der, legendarisch wiedergegeben, als Bekenntnis zur deutschen Einigung ausgedeutet wurde. Im übrigen war er von den besten Absichten erfüllt, ein lauterer Charakter, wissenschaftlich fein gebildet und ein Freund von Reformen auf allen Gebieten. Macht hatte er allerdings so gut wie keine, seine Stellung hing gewissermaßen in der Luft, über den deutschen Regierungen, und diese ließen ihn fürs Erste gern gewähren, weil er geeignet war, Schlimmeres zu verhüten.

Gerade die österreichischen Verhältnisse hatten sich in letzter Zeit zum Schlimmeren gewendet. Italien hatte sich durch seine offene Empörung, Ungarn durch eine erzwungene Anerkennung selbständig gemacht. Die anderen Nationalitäten rührten sich, und das konnte den Deutschen nur zum Nachteil gereichen. Die neue österreichische Verfassung vom 25. April war der belgischen nachgeahmt und galt den radikalen Studenten und Nationalgardisten als völlig ungenügend. Die Menge drang am 15. Mai in die Wiener Hofburg ein, der Kaiser bewilligte alles, namentlich einen konstituierenden Reichstag und ein allgemeines Wahlrecht ohne Rücksicht auf das Vermögen, floh dann aber nach Innsbruck. Statt sich mit der eintretenden Beruhigung zu begnügen, wollte die Regierung unklugerweise die Studenten zwingen, ihre akademische Legion aufzulösen, sie weigerten sich ganz entschieden und ihnen zur Unterstützung wurden am 26. Mai Barrikaden gebaut. Da gab die Regierung wieder nach und genehmigte einen Sicherheitsausschuß, dem auch Studenten und Nationalgardisten angehörten, und der namentlich auf sozialem Gebiet Vortreffliches leistete.

Die Ereignisse in Wien konnten den Feinden der Deutschen nur willkommen sein. In  Prag  versammelte sich ein Slawenkongreß (vom 2. Juni an), an dem auch der später als Anarchist bekannte BAKUNIN teilnahm. Es erging eine schön gefaßte Kundgebung an die Völker Europas für die Unabhängigkeit und Gleichheit der Nationen, wobei es sich aber praktisch um die Vereinigung und Befreiung der Slawen handelte. Die tschechische Jugend wurde dadurch stark erregt, es kam zu einem Zusammenstoß mit dem Militär, an dessen Spitze der strenge und deshalb unbeliebte Fürst WINDISCHGRÄTZ stand, und schließlich wurde nach einem mehrtägigen Straßenkampf und Bombardement der Stadt der Aufstand am 17. Juni niedergeschlagen.

Das war ungemein bedeutsam für die allgemeine Lage. Hatte es sich doch gezeigt, daß unter entschlossener Leitung die Soldaten stärker sind als die Massen, daß also durch Gewalt die Revolution sicherlich zu bezwingen ist. Die Siege RADETZKYs in Italien bestätigten bald diese Auffassung. Noch war es aber in Wien nicht soweit. Seit dem 22. Juli hielt der konstituierende Reichstag seine Sitzungen ab, ohne viel zu erreichen. Die Hauptschwierigkeit lag in den Beziehungen zu Ungarn, KOSSUTH erhob immer weitergehende nationale Forderungen, stieß dabei aber auf den Widerstand der  Kroaten  unter ihrem BANUS JELLABICH, die als treue Untertanen des Kaisers am 11. September den Kampf aufnahmen.

Auch in Preußen gab es neue Verwicklungen. Seit dem 22. Mai tagte in Berlin die  preußische Nationalversammlung,  in der die Parteigegensätze bald aufeinander platzten, als eine Erklärung beantragt wurde, daß die Märzkämpfer sich um das Vaterland wohl verdient gemacht hätten. Mit 196 gegen 177 Stimmen wurde aber zu Tagesordnung übergegangen und darin bloß in etwas gewundenen Worten die hohe Bedeutung der Märzereignisse anerkannt. Ein Abgeordneter, der gegen den Antrag gesprochen hatte, wurde durch den Pöbel mißhandelt, andere wurden bedroht, und am 14. Juni konnte die Bürgerwehr die Verwüstung und Beraubung des Zeughauses nicht verhindern. Der König, der mit dem Herzen nie bei der neuen Ordnung gewesen war, erwog jetzt in Potsdam gemäß den Ratschlägen der "Kamarilla", in der sein Generaladjutant LEOPOLD von GERLACH die Hauptrolle spielte, immer lebhafter ein militärisches Eingreifen. Minister kamen und gingen, die "Kreuzzeitung" diente der entstehenden konservativen Partei als Sprachrohr. Großgrundbesitzer schlossen sich zu einem Verein zusammen, der ihre Interessen schützen sollte: die Gegner nannten ihn das "Junkerparlament". Unruhen in Schweidnitz und in Berlin selbst zeigten eine wachsende Erregung der Massen, die eine starke Reaktion fürchteten. Die Nationalversammlung versuchte das Militär, über dessen Ausschreitungen heftig geklagt wurde, ihrer Aufsicht zu unterwerfen, es gab immer neue Schwierigkeiten, und schließlich brachten die  dänischen  Dinge den Umschwung.

Man erinnert sich des Rückzuges der deutschen Truppen nach anfänglichem Vormarsch. Während die Frankfurter Versammlung sich warm für die Herzogtümer einsetzte und unter allen Umständen die deutsche Ehre wahren wollte, verhandelte FRIEDRICH WILHELM IV. unter schwedischer Vermittlung mit den Dänen und schloß am 26. August mit ihnen den Waffenstillstand von  Malmö,  der für die deutsche Sache ungünstig war. Alles, was die bisherige vorläufige Regierung verfügt hatte, wurde für ungültig erklärt und eine neue vorgesehen, deren Mehrheit dänisch gesinnt war. Es kam jetzt darauf an, ob der Vertrag in Frankfurt bestätigt werden würde oder nicht. DAHLMANN, längst eine Zierde des Parlaments, trat herbei gemäß seiner besonderen Sachkenntnis bedeutsam hervor. Er verlangte in markigen Worten die Ablehnung, konnte aber kein Ministerium zusammenbringen, und so wurde am 16. September nach leidenschaftlichsten Redekämpfen doch die Bestätigung beschlossen. Da gingen die Radikalen auf die Straße, warfen der Mehrheit Verrat am deutschen Volk vor und wollten die Revolution entfesseln. Am 18. sollte es losgehen, aber schon waren Truppen aus der Nachbarschaft zur Stelle und stellten rasch die Ruhe her. Zwei Mitglieder der Rechten, der Fürst LICHNOWSKI und der General HANS von AUERSWALD wurden bei einem Aufklärungsritt von wütenden Scharen ermordet. Aufstände in Lörrach und in Köln scheiterten, und es blieb als Ergebnis eine schärfere Trennung der Parteien und eine deutlichere Abwendung der gemäßigten Liberalen von einer Bewegung, die dem Pöbel freie Hand ließ. Die große Zeit, die Deutschland eine heilsame Neugestaltung durch die Verbindung von Freiheit und Einheit zu bringen schien, war im September, nach einem halben Jahr vorüber, und der Aufbau des Zerstörten noch nirgends gelungen.

In  Wien  wurden Anfang Oktober die schärfsten Maßnahmen gegen die empörten Ungarn beschlossen, und es gingen Truppen dahin ab, um JELLACHICH, der Mißerfolg gehabt hatte, zu verstärken. Als am 6. Oktober ein deutsches Bataillon auf die Eisenbahn gebracht werden sollte, gab es wüste Auftritte, die schon widerspenstigen Soldaten verweigerten den Gehorsam, andere Truppen kamen und schossen, die wütenden Massen erstürmten das Kriegsministerium und töteten den greisen Kriegsminister LATOUR, dem sie die ganze Schuld beimaßen, auf viehische Weise. WINDISCHGRÄTZ, der von Prag her als geeignet galt, erhielt den Oberbefehl über die gesamte Streitmacht mit Ausnahme der italienischen und unternahm die Aufgabe, Wien gewaltsam zum Gehorsam zu bringen. Hier gab es eine große Menge tapferer und von freiheitlichen Idealen erfüllter Männer, aber sie waren ungenügend geschult und nicht einig. Aus Furcht vor neuen Greueln und Zerstörungen hielten es viele der Vermögenden heimlich mit dem Militär und ersehnten dessen Einmarsch. Die Ungarn zu Hilfe herbeizurufen, konnte man sich nicht entschließen, aus Deutschland kamen radikale Mitglieder des Frankfurter Parlaments, darunter ROBERT BLUM und JULIUS FRÖBEL, konnten aber weiter nichts tun als Grüße und gute Wünsche bringen und persönlich mitkämpfen. WINDISCHGRÄTZ stellte sehr harte Bedingungen, sie wurden nicht angenommen, er errang einen Vorteil nach dem andern, beschoß die Stadt mit Artillerie und nahm sie am 31. Oktober. Ein Entsatzversuch der Ungarn war gescheitert und hatte nur die Verteidiger zum Bruch der schon fertigen Kapitulation verleitet. Kriegsgerichte sprachen strenge Urteile, und ROBERT BLUM wurde erschossen, obwohl er sich vergeblich auf seine Unverletzlichkeit als Abgeordneter berief. FRÖBEL entging mit knapper Not dem gleichen Schicksal, weil er schriftstellerisch einmal für Österreich eingetreten war. Der Reichstag mußte fortan in dem abgelegenen mährischen Städtchen Kremsier tagen. Nicht er, sondern der neue Ministerpräsident Fürst FELIX SCHWARZENBERG bestimmte die Politik. Er war ein Machtpolitiker durch und durch und der geborene Vertreter der Gegenrevolution. Trotzdem klang sein Regierungsprogramm nicht übel, und die Liberalen hörten es gern. Es fand sich darin ein Bekenntnis zur konstitutionellen Monarchie, eine Abwehr unverfassungsmäßiger Eingriffe und anderes, was bei entsprechender Ausführung die Grundlage für eine wesentliche Verbesserung der Zustände abgeben konnte. Außerdem erfolgte jetzt plötzlich der Thronwechsel, am 2. Dezember dankte FERDINAND I. ab, und an seiner Stelle bestieg sein knapp achtzehnjähriger Neffe FRANZ JOSEPH I. den Thron. Von seinem heiteren und dabei pflichttreuen Wesen erwartete man das Beste.

Auch in  Preußen  begann die Reaktion, aber weniger gewaltsam als in Österreich. Der derbe und volkstümliche General WRANGEL war schon seit Mitte September Oberbefehlshaber in den Marken und wartete auf seine Verwendung. Die Minister konnten sich zwischen dem König, der immer weniger von freiheitlichen Maßnahmen wissen wollte, und der preußischen Nationalversammlung nur schwer halten. Wie tief die Gegensätze waren, zeigte sich kurz vor Mitte Oktober, als über die Verfassung beraten wurde. Die Mehrheit beseitigte den Zusatz "von Gottes Gnaden" hinter dem Namen des Königs, wobei Worte fielen, die den König stark verletzten. Er war ganz außer sich und erklärte dem Staatsministerium, er wolle sich das Abschneiden seiner Ehre vor Gott nicht gefallen lassen, es sei seine Abdikation! [Abdankung - wp] Beim Empfang des Präsidiums der Versammlung gebrauchte er Wendungen, die bewiesen, wie tief er getroffen war: es sah sich in seinem Heiligsten angegriffen. Es gab einen blutigen Zusammenstoß zwischen der Bürgerwehr und Arbeitern, Abgeordnete der Rechtspartei mußten Drohungen und Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Berlin trat neuerdings viel mehr in den Mittelpunkt der deutschen, demokratischen Bewegung überhaupt, weil ihre Vertreter aus den Vorgängen in Frankfurt die Überzeugung schöpften, daß hier ihre Sache völlig verloren sei. Sie prägten die Formel, daß, wenn die Demokratie in Berlin siegt, sie für ganz Deutschland siegt, und tagten als Gegenparlament in der preußischen Hauptstadt. Ebenda wurde ein demokratischer Kongreß abgehalten, der den Wienern Unterstützung bringen wollte. Am 31. Oktober sollte in der preußischen Nationalversammlung ein Antrag  Waldeck  gleichen Inhalts zur Erörterung kommen. Die Aufregung war groß, Scharen von Arbeitern drängten sich um das Schauspielhaus, in dem die Sitzungen stattfanden, die Bürgerwehr gab sich die größte Mühe, Blutvergießen zu vermeiden und erreichte ihren Zweck auch. Die Abgeordneten freilich hatten einige Mühe, sich in Sicherheit zu bringen.

Da machten die Nachrichten von der Einnahme Wiens allem Zögern des Königs ein Ende. Er beauftragte den Grafen BRANDENBURG, einen unebenbürtigen Sohn FRIEDRICH WILHELM II., der sich vor allem als Soldat fühlte, mit der Bildung eines neuen Ministeriums das die Nationalversammlung in ihre Schranken weisen sollte. Als diese einige ihrer Mitglieder zum König schickte, um ihn über die Unzufriedenheit im Lande zu unterrichten, sprach einer das bekannte Wort: "Das ist das Unglück der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen." Die erste wichtige Amtshandlung des neuen Ministeriums war, daß es den König veranlaßte, die Nationalversammlung nach Brandenburg zu verlegen und ihr anzukündigen, daß sie sofort zu tagen aufhören sollte. Die Mitglieder, die nicht zur Rechten gehörten, weigerten sich, Folge zu leisten und beschlossen, weiter zu beraten, wie das ihrer Rechtsüberzeugung entsprach. Aber das war auch alles, über passiven Widerstand wollten sie nicht hinausgehen und keinesfalls Blut vergießen. Das Angebot von Arbeitern, für sie mit Gewalt einzutreten, nahmen sie nicht an. Als dann am 10. November WRANGEL nach längst verabredetem Plan mit seinen Truppen einrückte, blieb alles ruhig und das änderte sich auch nicht am nächsten Tag, nach der Besetzung des Schauspielhauses. WRANGEL erklärte, er kenne keine Nationalversammlung und wolle die Abgeordneten zwar heraus, aber nicht wieder hinein lassen. Einige versuchten, auch dann noch zu tagen. Aber damit erreichten sie nichts. Die Bürgerwehr wurde aufgelöst und der Belagerungszustand über Berlin verhängt, damit war das politische Leben vollständig unterbunden und es begannen schon Verhaftungen und Haussuchungen. Die letzten Abgeordneten, die sich noch versammelt hatten, beschlossen als äußerstes Mittel die Steuerverweigerung und zerstreuten sich dann vor der bewaffneten Macht, die in den Sitzungsaal eindrang.

So war die Revolution in Berlin zu Ende und auch in den Provinzen kam es nur zu vereinzelten blutigen Zusammenstößen und Versuchen des Widerstandes. Im allgemeinen wurden die Maßnahmen des Königs gelassen hingenommen und die Reaktion erschien immerhin besser als die Herrschaft der Straße. Die große Frage war jetzt, wie es mit der künftigen  Verfassung  Preußens gehalten werden sollte: denn dabei konnte seine ausschlaggebende Stellung in Deutschland nicht außer Acht gelassen werden. Schloß sich Preußen fest zusammen, so konnte es in Deutschland nicht aufgehen. Es fanden daher Verhandlungen zwischen der preußischen Regierung und dem Frankfurter Parlament statt, ohne daß ein Ergebnis erzielt wurde. Die neue Verfassung wurde am 5. Dezember oktroyiert, gleichzeitig der Rest der Nationalversammlung in Brandenburg aufgelöst und eine neue Volksvertretung in zwei Kammern auf Ende Februar 1849 einberufen. Zweifellos war das ein Staatsstreich, aber man könnte nicht sagen, daß er allgemeine Entrüstung hervorgerufen hätte. Die Verfassung schloß sich in vielen Punkten eng an den WALDECKschen Entwurf an und erfüllte damit manche Wünsche der Liberalen. Das Gottesgnadentum war natürlich wiederhergestellt und auch sonst die Macht des Königtums verstärkt.

Die Reformgedanken des Frühjahrs 1848 gipfelten, wenn man es kurz ausdrücken will, in einem großen, freien, deutschen Reich, in dem die Unterschiede der Einzelstaaten möglichst verwischt werden sollten. Das Ergebnis war am Ende des Jahres ein völlig anderes. Durch die Neugestaltung von Österreich und Preußen war die Bildung eines beide umfassenden Reichsverbandes schon unmöglich geworden, aber es dauerte eine Zeit lang, bis sich darüber Klarheit verbreitete. Noch redete, verhandelte und hoffte man mit nie versiegendem Idealismus. Seit dem Oktober berieten die Frankfurter über die Reichsverfassung, den Kernpunkt überhaupt. Sollte Österreich mitsamt seinen nichtdeutschen Gebieten in das künftige Reich aufgenommen werden oder nicht? Die  Großdeutschen  bejahten die Frage. Ihre Beweggründe waren verschieden. Die der Österreicher unter ihnen liegen auf der Hand. Dann gab es Idealisten, denen vor allem daran lag, alle deutschen Stämme irgendwie zu vereinigen, aber auch Klerikale, denen jede protestantisch-preußische Lösung widerstrebte, und endlich Feinde jeder straffen Zentralgewalt überhaupt. Zu ihnen gesellten sich die Mitglieder der Linken, aber nur in der Negaton. Unter den  Kleindeutschen  gaben die Freunde der preußischen Spitze, des Erbkaisertums des Königs von Preußen, den Ton an, und HEINRICH von GAGERN war ihr Führer. Nach Mitte Januar 1849 stritt man um das Staatsoberhaupt. Vorgeschlagen waren ein Direktoriums von fünf Männern, sicher eine Erinnerung an 1795, und auch ein frei zu wählender Präsident. Angenommen wurde aber, daß die Würde des Reichsoberhauptes einem der regierenden deutschen Fürsten, mit dem Titel "Kaiser der Deutschen", übertragen werden sollte. Da gab es gleich wieder Meinungsverschiedenheiten, indem sowohl Erblichkeit wie auch Wahlkaisertum auf Lebenszeit oder auf zwölf oder sechs Jahre empfohlen wurden.

UHLAND sprach die berühmten Worte:
    "Verwerfen Sie die Erblichkeit, schaffen sie keinen herrschenden Einzelstaat, stoßen Sie Österreich nicht ab, retten Sie das Wahlrecht, dieses kostbare Volksrecht, dieses letzte fortwirkende Wahrzeichen ... Glauben Sie, meine Herren, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbt ist."
Dagegen wandte sich DAHLMANN mit folgenden Erwägungen:
    "Ein Haus gilt mehr als ein Individuum ... Es ist gar keine Zukunft für Deutschland möglich ohne Preußen ... Die Bahn der Macht ist die einzige, die den gärenden Freiheitstrieb befriedigen und sättigen wird ... Deutschland kann nur durch Preußen in die Reihe der politischen Großmächte eintreten."
DAHLMANN stimmte gemäß seinem starken Wirklichkeitsgefühl für das erbliche Kaisertum der Hohenzollern. Aber bei der ersten Abstimmung erlagen er und seine Freunde dem Bund der Gegner.

Die Mehrheit verkannte den deutschen Beruf Preußens noch vollständig, aber niemand wird leugnen, daß es ihr leicht gemacht wurde. Denn was in Berlin geschah, mußte warme Freunde eines starken und freien Reiches mit großer Besorgnis erfüllen. Da änderte sich alles unter dem Einfluß der österreichischen Verhältnisse. Während FRIEDRICH WILHELM IV. weiter hin- und herschwankte, arbeitete der Kremser Reichstag eine Verfassung aus, die einen Ausgleich zwischen Zentralisation und Föderalismus bedeutete. SCHWARZENBERG wollte davon nichts wissen,  oktroyierte  seinerseits am 7. März 1849 eine vom 4. datierte  Verfassung,  und löste den Reichstag auf. Sieben Abgeordnete sollten verhaftet werden. So endete auch hier das staatsrechtliche Werk mit dem Staatsstreich. Die Verfasssung selbst betonte die Zentralisation stärker. Das ganze Reich sollte ein einziges Zoll- und Handelsgebiet bilden, Deutsche, Slawen und Ungarn umfassen.

Die Großdeutschen in Frankfurt sahen ihre Anhänger schwinden, die Kleindeutschen bekamen immer mehr Zulauf. Der alte Wortführer der Liberalen in der badischen Kammer, KARL WELCKER, stellte am 12. März 1849 den Antrag, die gesamte Reichsverfassung durch einen einzigen Gesamtbeschluß anzunehmen und die erbliche Kaiserwürde dem König von Preußen zu übertragen. Da man wußte, daß er früher selbst gegen das preußische Erbkaisertum gewesen war, war man sehr erstaunt, aber WELCKER sah die Lage ernst an und mahnte, da das Vaterland in Gefahr sei, rasch und entschieden zu handeln. Nach leidenschaftlicher Aussprache wurde sein Antrag aber doch verworfen, weil die Republikaner sich zu den Großdeutschen schlugen. Da gelang es den Kleindeutschen, durch liberale Zugeständnisse in der künftigen Verfassung genügend Abgeordnete zu sich herüberzuziehen, um bei der zweiten Lesung ein ganz entgegengesetztes Ergebnis zu erzielen. Am 27. März wurde das Erbkaisertum angenommen, allerdings nur mit einer Mehrheit von vier Stimmen, die Österreicher abgaben, und am nächsten Tag FRIEDRICH WILHELM IV. zum Kaiser gewählt mit 290 Stimmen gegen 248 Enthaltungen. Die Glocken läuteten, Kanonenschüsse krachten und in würdigen Worten verkündete EDUARD SIMSON als Präsident das Ergebnis. Wirklich schien eine große Tat aus bloßen Reden hervorgegangen zu sein.

Jetzt schaute alles nach Berlin. Würde FRIEDRICH WILHELM IV. annehmen? Diejenigen, die ihn kannten, wußten längst, daß er diese Krone geradezu verachtete und sie in den derbsten Ausdrücken verspottete. Nach "seinem felsenfesten Bekenntnis sollte Österreich die Krone KARLs des Großen erblich haben und Preußen erblich das Schwert von Deutschland." Es war also eigentlich ganz vergeblich, daß das Parlament 32 Abgeordnete aus allen deutschen Landesteilen nach Berlin entsandte, um ihm die  Kaiserkrone  feierlich anzubieten. Bezeichnend für die Hoffnungsfreudigkeit weiter Kreise ist es aber, daß sie an mehreren Orten begeistert begrüßt wurden. Wie könnte man das anders erklären, als mit der werbenden Kraft des Kaisergedankens, in dem sich die stolzesten Erinnerungen längst vergangener Jahrhunderte lebendig erhalten hatten? Am 3. April empfing der König feierlich die Abordnung, nachdem er vorher mit seinen Ministern seine Antwort fertiggestellt hatte. SIMSON sprach kurz, der König ausführlich und frei. Wir finden in seiner Rede die Vorzüge und die Fehler aller Gefühlsseligkeit und Formvollendung, aber auch Vieldeutigkeit. Das Wesentliche war, daß er ohne das freie Einverständnis der Fürsten und der freien Städte keine Entschließung fassen wollte und diesen nahe legte, zu prüfen, was geschehen solle. Am Schluß erklärte er sich mit der größten Bestimmtheit bereit, für Deutschland das Schwert zu ziehen, kam damit also auf seinen Lieblingsplan zurück, unter einem Habsburger als deutschem Kaiser der Oberfeldherr zu sein. Man konnte aus der Antwort sowohl eine bedingte Ablehnung wie auch eine bedingte Annahme herauslesen, sehr bald zeigte es sich aber, daß ersteres richtig war. Zwar war der König noch bereit, an die Spitze eines freiwilligen Bundes deutscher Staaten zu treten, aber Österreich wollte von all dem gar nichts wissen. Es rief seine Abgeordneten aus Frankfurt ab und erkannte die Nationalversammlung nicht mehr an. Die Versammlung wieder hielt an ihrer Verfassung fest und 28 Kleinstaaten traten der Kaiserwahl bei. Der Grund lag in der Volksstimmung, die es nicht fassen wollte, daß aus den langen Beratungen nichts herauskommt und Deutschland so zerspalten bleibt wie es war. In diesen Tagen (2. bis 6. April) war das österreichische Heer von den Ungarn entscheidend geschlagen worden, und die für Preußen sehr günstige Lage erforderte nur scharfes und rasches Zugreifen. Aber das war nicht die Sache FRIEDRICH WILHELMs IV. Gerade die Schwäche Österreichs, das er verehrte, und die Volksbewegungen machten ihn stutzig, er löste die zweite Kammer auf und lehnte in Frankfurt endgültig ab (27. und 28. April 1849). Da brachen unter dem Losungswort sofortiger Durchführung der Reichsverfassung an verschiedenen Orten Unruhen aus, die in Dresden (3. bis 9. Mai) einen größeren Umfang annahmen, aber durch preußisches Militär niedergeschlagen wurden. Auch im Rheinland, wo es Straßenkämpfe und Barrikaden gegeben hatte, trat wieder Ruhe ein. Dagegen gewann der Aufstand in der  Pfalz  und in  Baden  viel größere Bedeutung. Hier stand nicht die neue Reichsverfassung in Frage, denn sie war angenommen, sondern unklares Streben nach einer Republik, das durch die allgemeine, schon über ein Jahr andauernde Aufregung gefördert wurde. Bemerkenswert war, daß sich die Mannszucht des badischen Heeres bedenklich gelockert hatte. In Rastatt begann die Meuterei am 11. Mai und breitete sich rasch aus, der Großherzog floh, die Revolution ergriff das ganze Land und von allen Seiten eilten politische Flüchtlinge herbei, um mitzukämpfen. In Frankfurt waren die Mittelparteien aus der Nationalversammlung ausgetreten, und die zurückbleibende Linke verlegte ihre Sitzungen am 30. Mai nach  Stuttgart,  wo sie hoffte, sich leichter mit der neuen Bewegung verbinden zu können. Als Rumpfparlament begann sie daselbst ihre Sitzungen, wurde aber schon am 18. Juni durch das Militär auseinandergetrieben.

Auch die pfälzisch-badische Revolution nahm ein trauriges Ende. Die inneren Gegensätze unter ihren Leitern waren schroff genug, ihre Eignung oft recht gering, ihr Versuch, französische Hilfe zu erlangen, schlug fehl, und der Pole MIEROSLAWSKI, auf den man die größten Hoffnungen setzte, verfügte nur über ein recht buntscheckiges und ungenügend ausgerüstetes Heer. Von Preußen kamen überlegene Streitkräfte unter Prinz WILHELM, der das Kommando in einem unerschütterlichen Glauben an die deutsche Zukunft Preußens gern annahm. Erst wurde die Pfalz bewältigt, dann bei Waghäusel (südwestlich von Wiesloch, 21. Juni) das revolutionäre Aufgebot besiegt und, soweit es sich nicht gleich zerstreute, immer weiter südwärts getrieben. Ein Teil trat nach der Schweiz über, ein anderer behauptete sich in Rastatt bis zum 23. Juli. Nach der Kapitulationi wurden in den Gräben dieser Festung die Todesurteile vollstreckt.

Wenige Wochen später vollzog sich das Schicksal  Ungarns.  Nach den militärischen Erfolgen vom Anfang April hatte KOSSUTH durch die Glut seiner Redegabe den ungarischen Reichstag hingerissen, die Unabhängigkeit des Landes zu erklären und das Haus Habsburg auf ewig von der Regierung auszuschließen. Aber der Schritt war voreilig und die Wirkung verderblich. Bundesgenossen fand nicht Ungarn, wohl aber Österreich in Zar NIKOLAUS I., der gern die Gelegenheit benutzte, die Revolution zu bekämpfen und damit seine Auffassung, daß das die gemeinsame Pflicht der Regierung sei, in die Tat umsetzte. Er sandte auf Bitten Österreichs reichlich Truppen, die Ungarn konnten sich bei aller Tapferkeit der Übermacht nicht erwehren und ergaben sich am 13. August 1849 bei  Vilagos  (östlich von Szegedin) den Russen. Berüchtigt sind die Bluturteile, die der österreichische Oberbefehlshaber HAYNAU in Arad gegen die abgefallenen Offiziere fällen ließ. Generäle wurden gehängt und erschossen.

Alle diese Ereignisse zusammengenommen machten ein Gelingen der preußischen Reformbestrebungen unmöglich. Zwar wurde von der preußischen Regierung noch allerlei versucht, in irgendeiner Weise einiges von den Frankfurter Gedanken zu retten und eine engere Verbindung der deutschen Staaten durch die sogenannte  Union  herbeizuführen. Die öffentliche Meinung kam ihr dabei freudig entgegen, und die Hoffnung auf Preußen verschwand erst allmählich, als jedermann einsah, daß von dort keine lebhaftere Bewegung mehr kommen kann, und Österreich die Macht hat, alles zu verhindern. Die preußische innere Politik suchte die Spuren der Revolution völlig zu verwischen. Damals wurde das Dreiklassenwahlrecht mit seiner starken Bevorzugung des Vermögens einfach oktroyiert. In der schleswig-holsteinischen Sache versäumte es FRIEDRICH WILHELM IV., den neu ausbrechenden Befreiungskampf der Herzogtümer ausgiebig zu unterstützen und trug Schuld daran, daß die Dänen sie schließlich trennten, Schleswig unter ihre Botmäßigkeit brachten und alle Teilnehmer am Befreiungskampf mit harten Strafen belegten. In Olmütz demütigte sich Preußen vor Österreich (29. November 1850) und gab alle seine Bundesreformpläne preis, weil es letzten Endes darin doch einen revolutionären Einschlag fand und es nicht wagte, sich von der Volksstimmung gegen Österreich tragen zu lassen.

Im Mai 1851 trat der Bundestag wieder in Frankfurt a. M. zusammen und rein äußerlich betrachtet konnte es scheinen, als sei das ganze Jahr 48 aus der Geschichte gelöscht. Wieder wie in den Zeiten der großen Allianz hielten die drei gegenrevolutionären Oststaaten fest zusammen. Was die idealistischen Reformer ersehnt hatten, die Einheit und Freiheit eines neuen deutschen Kaiserreichs, hatte viel Blut und viel Arbeit gekostet, und doch war nichts daraus geworden. Sicher trifft die alten Regierungen die Hauptverantwortung dafür, aber auch die Reformer konnten sich davon nicht freisprechen. Allzu wenig kümmerten sie sich um die Wirklichkeit, allzusehr gaben sie gleich den äußersten Forderungen nach und schreckten dadurch einen großen Teil des ordnungsliebenden Bürgertums ab. Erst nach einer Reihe von Jahren kam zur Erscheinung, was doch in den heißen Kämpfen der Revolution gewonnen war, die Überzeugung von der unbedingten Notwendigkeit des auf dem allgemeinen Wahlrecht ruhenden Kaiserreichs, wenn Deutschland den ihm gebührenden Platz in Europa einnehmen wollte. Wer von der Reichsgründung von 1870/71 spricht, kann der Arbeit, die namentlich in Frankfurt geleistet wurde, nicht anders als mit aufrichtiger Hochachtung gedenken. Es muß immer Vorläufer geben, die den Gründern den Weg bereiten, und die Redner der Paulskirche werden in der deutschen Geschichte unvergessen bleiben.
LITERATUR Alexander Cartellieri, Geschichte der neueren Revolutionen, Leipzig 1921