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FRIEDRICH BITZER
Zum Verständnis
der Arbeiterfrage

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"Erfahrungen, so sehr abweichend von jenen Axiomen, welche die persönliche Arbeitsleistung als die Quelle und den wirklichen oder allein berechtigten Maßstab des Wertes, als die Grundlage des Kapitals behandelten, mußten allmählich unter dem Stand, welcher sich durch die steigende Macht des Kapitals gedrückt sah und in dieser seiner Abhängigkeit einen Widerspruch gegen den Zustand, wie er nach jenen Annahmen sein sollte, ein Unrecht empfand, ein Gefühl der rechtswidrigen Bedrückung erzeugen, welches zu dem Streben, diesen Druck abzuschütteln, sich von ihm zu emanzipieren, führte."

"Der Übergang von der Kunden- zur Markt-Arbeit, welche zum Großbetrieb treibt und die Produktion abhängig macht vom Handel und der kaufmännischen Spekulation, die steigende Bedeutung des Kapitals, welche die Macht des Geldes in den Vordergrund drängt, in Verbindung mit dem Gesetz der Kapitalansammlung, welches den Reichen reicher macht und dem Armen das Reichwerden erschwert, haben die Folge, daß sie die Lage derjenigen, welche, bei mäßigem Kapitalbesitz, selbständig mit solchem Erfolg produzieren, daß sie sich eine unabhängige, zum Erwerb geistiger Bildung einladendene, befriedigende Existenz verschaffen können, der gebildeten Mittelklassen erschweren. Sie machen einerseits diese Produktionsweise weniger einträglich und konkurrenzfähig, steigern die Ansprüche an das Leben durch den zur Nachahmung reizenden Vorgang der vorzugsweise von Kapitalerträgnissen lebenden Klasse und verteuern die Bedürfnismittel durch die infolge der gesteigerten Konsumtion jener Klassen vermehrte Nachfrage."


Die Anfänge der Gewerbefreiheit

Die Gedanken, welche von SIEYES und ADAM SMITH in so klarer und bestimmter Weise ausgesprochen worden sind, enthalten den eigentlichen Kern der sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Ideen des achtzehnten Jahrhunderts und beherrschen zugleich die folgende Zeit bis herab in unsere Tage. Die Förderung der größten individuellen, persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit: Freiheit des Erwerbs, der Niederlassung (Freizügigkeit), des Handels ist es, welche von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an immer mehr Macht erlangt hat, welche, wenn auch in den verschiedenen Staaten in verschiedenen Zeiträumen, doch überall zur Geltung gelangt ist.

Am frühesten geschah solches, wenigstens so weit es sich um Erwerbsfreiheit im engeren Sinn handelt, in Frankreich. In jener, von SIEYES begründeten Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers vom August 1789, welche später der französischen Konstitution vom 3. September 1791 vorangestellt wurde, ist von der französischen Nationalversammlung als Grundrechte der Menschen folgendes anerkannt und ausgesprochen: Die Menschen sind von Geburt und bleiben frei und in Rechten gleich. Die gesellschaftlichen Unterschiede können nur auf den allgemeinen Nutzen gegründet werden. Der Zweck jeder politischen Verbindung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Rechte der Menschen. Diese Rechte sind: die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen die Unterdrückung. Die Freiheit besteht in der Gewalt, alles zu tun, was andern nicht schadet. Die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen hat demgemäß keine anderen Grenzen als solche, welche den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz festgestellt werden. Da das Eigentum ein unverletzliches und geheiligtes Recht ist, so kann dasselbe niemandem entzogen werden, sofern nicht das auf gesetzlichem Weg erwiesene öffentliche Bedürfnis solches augenscheinlich fordert und nur gegen gerechte vorgängige Entschädigung.

In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen wurden durch Dekret vom 2. - 17. März 1791 alle Zunftrechte, Privilegien, Gewerbe- und Meisterrechte und Zunftgeschworenenämter aufgehoben und ausgesprochen, daß es vom 1. April jenes Jahres an jeder Person gestattet sei, jeden Erwerbszweig, jede Kunst und jedes Handwerk, welches ihm gutdünke, auszuüben.

Endlich hob, in Ausführung jener Grundsätze, die Konstitution vom 3. September 1791 unwiderruflich alle Einrichtungen, welche die Freiheit und die Gleichheit der Rechte verletzen, alle Standes- und Geburtsvorrechte auf und bestimmte, daß es für keinen Teil der Nation und für kein Individuum irgendein Privilegium oder eine Ausnahme vom gemeinen französischen Recht, keine Geschworenenämter und Korporationen von Handwerkern, Künsten und Gewerben geben solle.

Die Freigebung des Gewerbebetriebs wirkte indessen von Anfang an keineswegs bloß günstig. An die Stelle der Beschränkung trat die ungemessenste Willkür und das Verhältnis zwischen den Fabrikanten und ihren Mitarbeitern ging einer völligen Auflösung entgegen. Der Arbeiter entwendete dem Fabrikanten den anvertrauten Stoff, die übergebenen Muster; andere Fabrikanten bereicherten sich mit beidem oder gaben selbst die Veranlassung zu solchen Vergehungen. Den Arbeiter hinderte der geschlossene Vertrag nicht, die Werkstätte seines Meisters plötzlich zu verlassen; der Fabrikant scheute sich nicht, den verdienten Lohn des Arbeiters zu kürzen. Der Arbeiter vernichtete mutwillig im Atelier das Eigentum des Fabrikanten; der Fabrikant machte seinem Nachbarn den von diesem herangebildeten Arbeiter abspenstig. Der Arbeiter weigerte sich, viele Stunden des Tages zu arbeiten und verlangte für die kürzere Arbeitszeit höheren Lohn; der Lehrling endlich vernachlässigte seine Lehrjahre, der Meister den versprochenen Unterricht.

Um diesen Übelständen, welche für die Industrie im höchsten Grade nachteilig waren und den Arbeiterstand demoralisierten, zu begegnen, wurden den 12. April 1803 (22. germinal an XI) ein Gesetz über Manufakturen, Fabriken und Werkstätten erlassen, welches die Errichtung von Beratungskammern für Manufakturen, Fabriken, Künste und Handwerke an Orten zum Gegenstand hatte, wo die Regierung solches für angemessen findet. Daneben wurden die im Jahre 1791 verschärften Verboten der Arbeiterkoalitionen in teilweise veränderter Fassung erneuert; und es reihten sich an diese Vorkehrungen die erst vor kurzem beseitigten Bestimmungen vom 1. Dezember 1803 (9. frimaire an XII) über das Arbeitsbuch (livret), welche aber für die Stellung der Arbeiter gegenüber den Unternehmern keine solche Bedeutung haben, daß sie hier näherer Erwähnung bedürfen.

Wichtiger und für eine friedliche Entwicklung der Verhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeiter von wesentlicher Bedeutung war die Errichtung der Prudhommes-Räte, welche im Jahr 1806 erfolgte.

Die Einführung derselben geschah zuerst in Lyon und knüpfte an die daselbst bis zum Jahr 1791 bestandene Einrichtung der Juges Gardes [Bewachungsrichter - wp] an, welche aus Fabrikanten des Seidegeschäfts bestanden und die mit der Ausgleichung der Schwierigkeiten beauftragt waren, welche sich in diesem bedeutenden Industriezweig zwischen den Fabrikanten und den verschiedenen Klassen von Arbeitern ergaben.

Die Stadt Lyon umfaßte während des achtzehnten Jahrhunderts eine zahlreiche in der Seidenindustrie beschäftigte Bevölkerung, deren Erzeugnisse sich im Ausland eines solchen Zutrauens erfreuten, daß der Absatz dahin sich auf jährlich 60 Millionen berechnete. Täuschungen in der Qualität der Ware, welche in der Zeit der Revolutionsstürme zum Nachteil des Absatzes vorkamen, gaben Anlaß, daß NAPOLEON I. im Jahre 1806, auf den Antrag der Fabrikanten von Lyon, ein Markensystem einführte, um die Echtheit der Stoffe erkennen zu können. In weiterer Verfolgung dieses Zweckes wurde im gesetzgebenden Körper der Gesetzesentwurf über die Prudhommes-Gerichte eingebracht und das Gesetz vom 18. März 1806 erlassen, dessen wesentliche Bestimmungen in folgendem bestehen:

Es wird in der Stadt Lyon ein Rat der Gewerbeverständigen (Prudhommes) eingesetzt werden, welcher aus neun Mitgliedern und zwar 5 Fabrikanten (négociants fabricants) und 4 Meistern (chefs datelier) besteht. Die Aufgabe des Rats der Gewerbeverständigen besteht darin, Streitigkeiten zwischen Fabrikanten und Arbeitern und zwischen Meistern und ihren Gehilfen und Lehrlingen durch Vergleich beizulegen und, soweit solches nicht gelingt, bis zu einem bestimmten Wertbetrag ohne Formen, Kosten und Appellation zu entscheiden. Zur Ausgleichung von Streitigkeiten muß jeden Tag eine Vergleichskommission, bestehend aus einem Fabrikanten und einem Meister, von 11 bis 1 Uhr versammelt sein, vor welcher die Parteien persönlich zu erscheinen haben; für die Entscheidung solcher Streitigkeiten, welche nicht durch Vergleich erledigt werden, tritt jede Woche mindestens einmal das Plenum zusammen, welches mit einer Zahl von fünf Stimmen Urteile fällen kann. Jeder Streit von höherem Betrag, der nicht friedlich beigelegt werden kann, geht an die ordentlichen Gerichte. Das Prudhommes-Gericht konstatiert auf Antrag von Beteiligten Kontraventionen gegen die neuen Gesetze und Verordnungen für die Fabriken, die Entfremdung von Material durch die Arbieter und Unredlichkeiten der Färber und sendet Protokolle hierüber an das zuständige Gericht. Dasselbe ist mit Vollziehung der Maßregeln zum Schutz des Eigentums an Mustern beauftragt, welche von den Fabrikanten zu diesem Zweck im Archiv des Prudhommes-Gerichts niedergelegt werden. Endlich überwacht dasselbe die Vorschriften über die Abrechnungsbücher zwischen den Fabrikanten und solchen Meistern, welche für jene arbeiten lassen.

Ähnliche Prudhommes-Gerichte wurden in den Jahren 1806 bis 1810 in Avignon, Carcassonne, Clermont, Lille, Limoux, Lodeve, Louviers, Mulhouse, Nimes, Reims, Roubaix, Rouen, St. Etienne, St. Quentin, Sedan, Tarare, Thiers, Troyes eingeführt. Auch wurde durch kaiserliches Dekret vom 20. Februar 1810 eine umfassende Vollziehungsinstruktion für dieselben erlassen und durch Dekret vom 3. August 1810 neben näheren Vorschriften über die bisherigen Funktionen der Prudhommes-Räte insbesondere bestimmt, es könne durch solche jedes Vergehen, welches geeignet sei, die Ordnung und Disziplin in den Werkstätten zu stören und jede grobe Unterlassung der Lehrlinge gegen ihre Meister mit Gefängnis bis zu drei Tagen bestraft werden und es sei das von ihnen ausgesprochene Urteil durch die öffentliche Gewalt zu vollstrecken.

Bei den Maßregeln, mit welchen die französische Revolution abschloß, war, das ist nicht zu verkennen, das so ungemein wichtige Prinzip der Freiheit des Erwerbs, mit welchem die Revolution von 1789 begonnen hatte, festgehalten, es war die Rechtsgleichheit durch die große Gesetzgebung zu Anfang dieses Jahrhunderst (Code Napoleon) gesichert, die Verhältnisse zwischen Unternehmer und Arbeiter waren in einer keineswegs einseitigen Weise geordnet und in den Prudhommes-Räten eine Einrichtung hergestellt, welche den Interessen der Unternehmer und Arbeiter gleichmäßig diente. Es ist darum auch zu begreifen, daß die französische Arbeiterwelt bis weit in das dritte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts hinein den Eindruck der Befriedigung gemacht hat.

Langsamer und weniger durchgreifend brachen die neuen Ideen sich in Deutschland Bahn, bzw. in Preußen. Hier waren zwar schon zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts nicht unwichtige Veränderungen in der Gewerbegesetzgebung eingeführt worden; es wurden im Jahre 1718 (1) neue Vorschriften über den Handwerksbetrieb in Stadt und Land erlassen, welche die früheren Beschränkungen der Landhandwerker milderten, auch in den Jahren 1751 - 1755 eine große Anzahl an Innungsprivilegien revidiert und durch Spezialbefehle dieser und jener Übelstand abgestellt.

Dagegen enthielt das allgemeine Landrecht, dessen Bearbeitung FRIEDRICH II. im Jahre 1780 angeordnet hatte und welches im Jahre 1794 Gesetzeskraft erlangte, nur einen schwachen Fortschritt zur freieren Gestaltung der Gewerbeverhältnisse. Allerdings sollte da, wo bisher eine Art von Gewerbe in keine Zunft oder Innung eingeschlossen gewesen war, auch ferner der Betrieb desselben einen jeden, welcher damit fortzukommen sich getraute, frei und unbeschränkt sein; wo aber Zünfte seien, müsse, so verordnete das Gesetz, ein jeder, der in der Stadt ein zunftmäßiges Gewerbe treiben wolle, sich in dieselben aufnehmen lassen. Nur wo (der Zahl der Meister nach) geschlossene Zünfte bestanden, blieb dem Staat das Recht, nach Befinden der Umstände Freimeister anzustellen. Anstalten, in welchen die Verarbeitung oder Verfeinerung gewisser Naturerzeugnisse im Großen getrieben werden - Fabriken - konnten nur mit Erlaubnis des Staates angelegt werden. Die Unternehmer derselben waren dem Zunftzwang (dem Ausschließungsrecht der zünftigen Gewerbe) nicht unterworfen, sie waren dagegen zum Einzelverkauf ihrer Fabrikate der Regel nach nicht berechtigt.

Eine entschiede freiere Richtung kam erst im Jahre 1806 zur Geltung. Dieser freiere Sinn zeigt sich zuerst in einer Verordnung vom 4. Mai 1806 wegen des freien Betriebs der Leinen- und Baumwollweberei ist Ost-, West- und Neu-Ostpreußen, indem hierdurch die daselbst bestehenden Leinen- und Baumwollweberzünfte aufgehoben und die Leinen- und Baumwollweberei, sowie die Weberei gemischter Stoffe für ein durchaus freies, unzünftiges Gewerbe erklärt, auch der Verkauf aller Leinen-, Baumwoll- und gemischten Waren freigegeben wurde.

Nach dem Tilsiter Frieden vom 9. Juli 1807, wodurch Preußen einen großen Teil seines Besitzstandes zur Bildung des Königreiches Westfalen abgetreten hatte, erfolgten nun aber jene wichtigen Reformen, welche die STEINsche Verwaltung in Preußen kennzeichnen. Den 19. November 1808 wurde die Städteordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie erlassen und in der Instruktion für die Regierungen in sämtlichen Provinzen vom 26. Dezember 1808 wurden die Grundsätze für die Ausübung der Polizeigewalt in einer Weise festgestellt, welche vom neuen Geist der Verwaltung Zeugnis gibt. In allen Beziehungen soll der Grundsatz leitend bleiben, niemandem im Genuß seines Eigentums, seiner bürgerlichen Gerechtsame [Recht mit dem man etwas tut, besitzt oder nutzt - wp] und Freiheit, solange er in den gesetzlichen Schranken bleibt, weiter einzuschränken als es zur Beförderung des allgemeinen Wohles nötig sei. Es sei einem jeden innerhalb der gesetzlichen Schranken die möglichst freie Entwicklung seiner Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte zu gestatten und alle dagegen noch obwaltenden Hindernisse baldmöglichst auf eine legale Weise hinwegzuräumen. Insbesondere sei die möglichste Gerwerbefreiheit, sowohl in Absicht der Erzeugung und Verfeinerung, als des Vertriebes und Absatzes der Produkte zu beachten. Es sei dem Staat und seinen einzelnen Gliedern immer am zuträglichsten, die Gewerbe ihrem natürlichen Gang zu überlassen und es sei nicht staatswirtschaftlich, zu verlangen, daß sie von einem gewissen Klassen betrieben werden. Neben dieser Unbeschränktheit bei Erzeugung und Verfeinerung der Produkte sei Leichtigkeit des Verkehrs und Freiheit des Handels, sowohl im Innern, als mit dem Ausland, ein notwendiges Erfordernis, wenn Industrie, Gewerbefleiß und Wohlstand gedeihen sollen, zugleich aber auch das natürlichste, wirksamste und bleibendste Mittel, ihn zu beleben.

Diese Grundsätze führten, neben der Beseitigung von Zunftschranken für bestimmte Gewerbe und für einzelne Provinzen, zum Edikt vom 28. Oktober 1810, wegen Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer und zum Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 7. September 1811. Durch diese Gesetze wurde für die damals zu Preußen gehörigen Provinzen die bei der Reorganisation des Staates in Aussicht gestellte Gewerbefreiheit hergestellt und mit Ausnahme bestimmter Gewerbe jedem gestattet, gegen Lösung eines Gewerbescheins jedes Gewerbe zu betreiben; es soll, heißt es, hingegen keiner Korporation und keinem Einzelnen ein Widerspruchsrecht zuzugestehen. Wer bisher zünftig war, durfte dem Zunftverband zu jeder Zeit entsagen. Jedes Gewerbe durfte sich durch einen mit Stimmenmehrheit gefaßten Beschluß auflösen.


Kapital und Arbeit

Die Entwicklung der Gegensätze

Zwei große und tiefgreifende Prinzipien waren es, welche der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das Gepräge gaben: die Anerkennung der persönlichen Freiheit und speziell der Freiheit des Erwerbs als ein unantastbares Grundrecht und der Satz, daß die menschliche Arbeit die Quelle des Volkswohlstandes sei, eine Anschauung, welche die Vereinigung geteilter Arbeit als ArbeitsteilungÄ und auch jene selbst wirkenden Faktoren der Produktion, welche wir als Kapital bezeichnen, wesentlich als ein Erzeugnis früherer Arbeit auffaßt. Allein bald zeigte es sich, daß jene Grundlagen der Produktion in Wahrheit etwas sind, wovon die Arbeit abhängt. Das Kapital, welches in den neu erfundenen Maschinen wirkte, erwies sich als eine Macht über die menschliche Arbeit und der Kapitalbesitz begründete, mit seiner Zunahme eine steigende Herrschaft des Standes der kapitalbesitzenden Unternehmer über die kapitalarmen Arbeiter in fremder Unternehmung. Sodann aber zeigte es sich weiter, daß nicht schon die produktive Arbeit, sondern erst deren Übertragung an denjenigen, der sie begehrt, das Mittel ist für die Erzielung der gewünschten Gegenleistung (dem Preis) und daß Letztere sich nicht vorwiegend nach der Leistung des Produzenten, sondern nach ihrem Erfolg für den Konsumenten bestimmt, daß darum die größten Gewinne dem zufallen, der es versteht, jedes Produkt am Platz des größten Begehrens abzusetzen. Der Handel erwies sich umso mehr als das Hauptmittel zur Erwerbung des größten Reichtums, je mehr der Verkehr erleichtert wurde; es gestaltete sich allmählich das Bank- und Geldgeschäft, durch welches die gefuchtelte Ware, das als allgemeines Tauschmittel jede Ware und jedes Kapital vertretende, allzeit begehrte Geld am schnellsten vom Ort des größten Vorrats an den Ort des größten Bedarfs übermittelt wird, als die jeden Handel und durch ihn auch die Produktion beherrschende Macht.

Erfahrungen, so sehr abweichend von jenen Axiomen, welche die persönliche Arbeitsleistung als die Quelle und den wirklichen oder allein berechtigten Maßstab des Wertes, als die Grundlage des Kapitals behandelten, mußten allmählich unter dem Stand, welcher sich durch die steigende Macht des Kapitals gedrückt sah und in dieser seiner Abhängigkeit einen Widerspruch gegen den Zustand, wie er nach jenen Annahmen sein sollte, ein Unrecht empfand, ein Gefühl der rechtswidrigen Bedrückung erzeugen, welches zu dem Streben, diesen Druck abzuschütteln, sich von ihm zu emanzipieren, führte. Nicht ohne inneren Grund gipfeln so viele Vorschläge für die Reform der wirtschaftliche Verhältnisse in Planungen für Reformen des Bank- und Geldverkehrs; sie gleichen den Ratschlägen derjenigen, welche die Heilung einer Krankheit im Eindämmen ihrer extremsten Wirkungen, nicht in der Entfernung ihrer Ursachen suchen. Ehe wir darum diese letzten Konsequenzen der Nichtbefriedigung unter den arbeitenden Klassen berühren, ist es notwendig, die Verhältnisse näher zu betrachten, welche sich aus der großen Umwälzung zum Ende des vorigen Jahrhunderts entwickeln mußten und entwickelt haben.

Die französische Revolution des 18. Jahrhunderts hatte, wie früher angeführt wurde, ihr nächstes Ziel im Bestreben, gegenüber den Vorrechten der privilegierten Klassen die Freiheit und rechtliche Gleichheit der nichtprivilegierten Staatsbürger durchzusetzen; sie war gerichtet auf die Freiheit der Person und des Eigentums gegenüber den Feudalrechten des Adels, auf Rechtsgleichheit gegenüber Standesprivilegien, auf Erwerbsfreiheit gegenüber den Monopolrechten und den Meisterrechten der Handwerker. Es war eine Bewegung der rechtlich ungleich und zurückgestellten Klassen gegen die rechtlich bevorzugten und der dritte Stand umfaßte ohne Unterschied alle, die nicht privilegiert waren: den kleinen Grundbesitzer, den Gewerbetreibenden, den Kaufmann, wie denjenigen, der vom Ertrag seiner persönlichen Arbeit lebte.

Was damals in erster Linie angestrebt, was zunächst in Frankreich durchgesetzt wurde, ist heutzutage in den großen Kulturstaaten Europas im Wesentlichen erreicht. Vorrechte der Geburt und des Standes, insbesondere solche, welche sich nicht teilweise auf staatliche Verhältnisse gründen, wie z. B. Fideikommißrechte [Erbfolgerechte - wp], gibt es nur noch in, wenn auch nicht überall bedeutungslosen Resten, welche verschwinden müssen und die jedenfalls bei der Besprechung der allgemeinen Gestaltung der sozialpolitischen und der wirtschaftlichen Zustände nicht mehr in Frage kommen.

Auch die Erwerbsfreiheit, welche den Vorrechten der Meister gegenüber angestrebt wurde, gehört im Großen und Ganzen zu den errungenen Rechten und es bedarf nicht erst der Auseinandersetzung der Gründe, welche die Einräumung derselben notwendig gemacht haben.

Die praktische Durchführung des Satzes: "das die Arbeit die Quelle des Reichtums sei," das allgemeine Streben, diesen Satz zur Wahrheit zu machen, hat mit unaufhaltsamer Macht die Herstellung der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit bewirkt; sie ist die eigentliche Ursache jener ungemeinen Erweiterung des Verkehrs, der Verbesserung aller Verkehrsmittel, der Eröffnung neuer Absatzwege, der Entfernung lästiger Zollschranken und damit jener großartigen industriellen und kommerziellen Entwicklung, welche die letzten hundert Jahre kennzeichnen.

Jene drei zusammenhängenden Sätze von ADAM SMITH: "Die größte Verbesserung der produktiven Kraft der Arbeit ist die Wirkung der Teilung der Arbeit," "die Arbeitstheilung ist abhängig von der Ausdehnung des Marktes" und "die Arbeitsteilung kann nur in dem Verhältnis ausgedehnt werden, in welchem zuvor Kapital angesammelt wurde" - diese drei Grundgedanken, welche zum Gegenstand der allgemeinen Überzeugung, zu einem wirtschaftlichen Glaubensartikel geworden sind, bilden das eigentlich Treibende in der modernen Entwicklung der Produktion und des Handels; sie sind die Mächte, welche die moderne Güterverteilung ins Leben gerufen haben und beherrschen.

Auf welchem Weg diese Veränderungen in den einzelnen Ländern und Staaten in das Leben eingedrungen sind, - ob, wie in England, zunächst durch das Maschinen- und Fabrikwesen und den gleichzeitigen ungeheuren Aufschwung des Handels oder, wie in Frankreich, durch die revolutionäre Umwälzung der bestehenden Unterschiede in Recht und Besitz oder endlich, wie in Deutschland, zunächst durch die Einflüsse eines die industrielle Entwicklung schädigenden Importhandels, später durch Heranbildung eigener industrielle Tätigkeit, sowie infolge der Verkehrserleichterungen der neuen Zeit, mehr nur am Schluß durch durch Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit - das war für die Zustände des einzelnen Landes, für die Art und Weise und die raschere oder langsamere Entwicklung jener Umbildung von Bedeutung, für das Resultat im Ganzen aber schließlich nicht von durchschlagender Wichtigkeit.

Der Charakter der modernen Vermögensgestaltung beruth in allen Kulturstaaten auf denselben Grundlagen: auf der freien Entwicklung, aber auch der Isolierung, des Individuums, auf der Anerkennung der persönlichen Freiheit und ihres Ausflusses, des individuellen Eigentums, auf der freiesten Verfügung über dasselbe, auf der Ungehemmtheit des Arbeits- und Kapitalverkehrs und der Kapitalansammlung und auf dem Erwerb durch freien Tauschverkehr nach dem Gesetz von Nachfrage und Angebot. Von diesen gleichen Grundlagen aus wird und muß sich darum auch die Vermögensentwicklung überall im Wesentlichen in gleicher Weise gestalten, wenn auch in den einzelnen Ländern in der Art und Weise, wie diese Entwicklung sich vollzieht, große Unterschiede bestehen.

So ist es dann notwendig, sich zu vergegenwärtigen, in welcher Weise diese Elemente auf den Erwerb zurückwirken und welche Folgen sie für die Güterverteilung haben müssen.

Und hier kommt zunächst in Betracht die Gewerbe- oder richtige Erwerbsfreiheit. Sobald einmal der Grundsatz der freien Erwerbsausübung unter einem Volk für wichtige Zweige der Produktion sich Bahn gebrochen hat, so treibt er unwillkürlich immer weiter. Wird erst das Gebäude der Regelung der Produktion nach festen Gliederungen und Ordnungen in einem wichtigen Teil des gesamten Produktionsgebietes durchbrochen, so treten infolge des Zusammenhangs aller Produktionszweige solche Störungen ein, daß das alte System auf die Dauer nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. In Frankreich wurde das System der Privilegien mit einem Mal gestürzt und es war damit auch der frühere Zustand unhaltbar; in England geschah die Umwälzung mehr von Seiten des Handels und der Großindustrie; in Deutschland wurde das Zunftwesen durch den Import der billigeren Produkte des Ausland und der Großindustrie unterwühlt.

Wo nun die Erwerbsfreiheit durchgeführt ist, da sind die Folgen für die Güterverteilung durchweg dieselben: Aufhören der Stetigkeit der Erwerbs- und Besitzverhältnisse, dagegen Eintreten schärferer Unterschiede und rascheren Wechsels in denselben. So lange der Erwerb mehr nur auf den unmittelbaren Austausch der Erzeugnisse in der Nähe beschränkt, ein vorherrschend handwerksmäßiger ist, so lange er überwiegend vom Bedarf einer ziemlich gleich sich verteilenden Kundschaft abhängt, deren Nachfrage sich leicht bemessen läßt, werden die Erwerbsverhältnisse derer, die sich in diese Kundschaft teilen, ziemlich gleichartig sein. Das Handwerk der früheren Zeit hatte, wenn auch nicht immer einen goldenen, doch einen sicher zu erkennenden Boden. Ist aber der freien Entwicklung der Individualität die Bahn geöffnet und ihrer freiesten Betätigung das Ziel des höchsten Gewinnes vorgezeichnet und kann durch Spezialisierung der Arbeit, sowie durch vermehrte Bemühung, etwas besonders Befriedigendes und Lohnendes zu leisten, eine für den Unternehmer fruchtbare Mitwerbung erzielt werden, so werden sich auch die Erfolge der Erwerbstätigkeit in viel verschiedenartigerer Weise, viel ungleich gestalten; die Erwerbs- und Besitzverhältnisse werden größere und schroffere Unterschiede und einen größeren Wechsel zeigen, als im früheren Zustand möglich war.

Das Prinzip der freien Bewegung der produzierenden Persönlichkeit drängt aber und das ist von der größten Bedeutung, infolge der wachsenden Mitwerbung auf dem näher gelegenen Markt mit Notwendigkeit auf das Aufsuchen weiterer und entfernterer Absatzwege, um durch den Verlauf am Ort der größten Nachfrage die höchsten Preise zu erzielen. Die Verallgemeinerung dieses Strebens in den modernen Kulturstaaten war es, was zum Verlangen nach Freizügigkeit und Handeslfreiheit, nach Erleichterung und Verbesserung der Verkehrsmittel, was zu verbesserten Posten, Telegraphen, zu Kanälen, Eisenbahnen, zur Durchstechung von Landengen und zum ungeheuren Fortschritt in allem, was damit zusammenhängt, geführt hat und diese Fortschritte haben wiederum die Mitwerbung in der Produktionstätigkeit und diese selbst ungemein gesteigert.

Mit diesem Streben nach Erweiterung des Absatzgebietes hängen aber zwei Erscheinungen zu sammen, welche von der größten Rückwirkung auf die Erwerbsverhältnisse sind: das Eintreten der kaufmännischen Spekulation und der Übergang zum Großbetrieb.

Jede Produktionsarbeit des Menschen ist abhängig nicht bloß von seinem Wollen und Arbeiten, seinem Fleiß und seiner Geschicklichkeit, sondern auch von verschiedenen, von ihm unabhängigen, das Gelingen mitbestimmenden Momenten: die Arbeit des Landmannes von den Einflüssen der Witterung, die Arbeit des Industriellen von der Beschaffenheit und der so manchen Störungen ausgesetzten Wirksamkeit der mitwirkenden Produktionsfaktoren. Jeder Erwerb durch Produktion für andere aber ist weiter bedingt durch den Absatz der erzeugten Produkte, somit durch Momente, welche außer dem Einfluß des Produzenten stehen und nur in beschränkter Weise von ihm bemessen werden können: vom Bedarf und der hierdurch bestimmten Nachfrage. Denn es sind dieser Bedarf und diese Nachfrage nicht bloß abhängig vom Willen und dem Begehren des Konsumenten als solchem, sondern von einer Menge von Verhältnissen, welche die Größe derselben, sowie die Quantität des gleichzeitigen Angebots bestimmen: von der Ergiebigkeit oder Kargheit der Ernte, von der Größe der Erübrigungen aus früherer, von den Aussichten für die kommende Zeit, von all den Verhältnissen, welche den Erwerb der Konsumenten und ihren dadurch sich bemessenden Begehr bestimmen. So ist auch in den engsten Verkehrsgrenzen der Erwerbserfolg für den Produzenten bedingt durch eine Reihe von Elementen, die er nicht beherrschen, deren Eintreten und Wirksamkeit er nur in beschränkter Weise voraussehen und beurteilen kann.

Muß nun infolge der Mitwerdung für die produzierte Ware ein vom Ort der Produktion entfernter Absatzort aufgesucht werden und wird damit der Absatz und der Ertrag aus der Produktion mittels des Erlöses aus jenen Waren bedingt durch den Absatz an entfernten Absatzorten, so wird auch der Ertrag aus der Produktion wesentlich abhängig von der mehr oder minder glücklichen Beurteilung dieser Absatzverhältnisse, von der Auffindung und dem Aufsuchen der Absatzorte, an welchen die höchsten Preise zu erzielen sind und von der richtigen Bemessung des voraussichtlichen Bedarfs an diesen Orten. Da sodann der Reinertrag einer Produktion vom Preisverhältnis der Roh- und Hilfsstoffe zum Erlös aus den Waren abhängt, so ist jener Ertrag zugleich bedingt durch die Benützung der vorteilhaftesten Einkaufs- und Bezugsquellen. Die Bemessung dieser ineinander greifenden, wechselnden und nur nach Wahrscheinlichkeit zu schätzenden Verhältnisse - die kaufmännische Spekulation für Ein- und Verkauf - wird mit der Entfernung der Bezugs- und Absatzorte ein immer wichtigeres Element jeder Erwerbstätigkeit und zugleich das selbständige Mittel für die Realisierung der größten Gewinne. Die Produktion muß sich deshalb mehr und mehr dem Handel unterordnen und es treten damit neue und bedeutsame Unterschiede in den Erwerbs- und Besitzverhältnissen ein. Diese Unterschiede haben indessen insofern in der Natur der Produktion ihren Grund und ihre Berechtigung, da nicht die Produktion ansich, sondern die Befriedigung fremder Bedürfnisse durch dieselbe der Zweck jener und darum auch das Mittel zum Erwerb ist.

Das Zweite, was mit dem Streben nach Erweiterung des Absatzes zusammenhängt, ist das Drängen zum Übergang von der Kleinproduktion zum Großbetrieb. Mit dem Verlassen des örtlichen Marktes tritt die Notwendigkeit ein, von der bestellten Arbeit überzugehen zur Marktarbeit, zur Produktion für künftigen Absatz. Damit aber ergibt sich von selbst der Übergang zur Fabrikation größerer Mengen, um durch den Absatz von Produkten mit einem bei jedem Stück verhältnismäßig kleinen Reingewinn große Gewinne zu erzielen und zugleich durch den Großbetrieb die Produktionskosten für das einzelne Stück zu vermindern. Es wird, je weiter das Absatzgebiet abliegt vom Produktionsort, umso mehr auch die Produktion zur Massenproduktion hindrängt.

So tritt dann die Bedeutung des Kapitals für die Produktion in einer ganz anderen Weise, als früher, in den Vordergrund der Produktionselemente, sowohl in Benützung von Maschinen und anderem natürlichen Kapital beim Produktionsakt zum Zweck der erleichterten Produktion, wie namentlich als ein Element für die rechtzeitigen Bezüge an Rohstoffen und die Vermittlung des Absatzes, als Betriebskapital, als Geld. Das kaufmännische Kapital, das Geldkapital und die Geld- und Geldumsatz- und Kreditverhältnisse, die Tätigkeit und Einflüsse der Geld- und Kreditanstalten, der Banken, werden zu Elementen der Produktion selbst und die Kreditentwicklung gestaltet sich zur Grundlage nahezu jeden Erwerbs.

Während so die neuen Verhältnise eine Mannigfaltigkeit der Erwerbs- und Besitzverhältnisse, Unterschiede und Schwankungen mit sich bringen, welche früher nicht in diesem Umfang vorkamen, wirkt hierauf noch weiter ein das wirtschaftliche Gesetz des Kapitalwachstums.

Daß der Mensch bloß durch die Kraft seiner Hände - so lange er sich nicht der durch die Natur ihm dargebotenen Hilfsmittel zur Arbeit bedient - nur wenig zu produzieren vermag, daß somit natürliche Produktionsmittel für ihn eine eigentlich unentbehrliche Grundbedingung, ein Kapital für die Produktion bilden und daß demzufolge jede Produktion mit selbstwirkenden Produktionsmitteln und ebenso mit Produktionsstoffen, die Produktion des einfachsten Handwerks, wie der kompliziertesten Fabrik, in diesem Sinne eine "kapitalistische Produktionsweise" ist, - hieran kann kein Mensch etwas ändern. Es beruth dies auf der Abhängigkeit des Einwirkens auf die Natur von den Bedingungen jeder Veränderung in der Körperwelt, von den Anwendung derjenigen körperlichen Mittel, ohne die jede solche Veränderung nicht möglich ist.

Ebenso ist auch das nichts menschlich Willkürliches, sondern etwas Naturnotwendiges, daß das natürliche Produktivkapital, welches eben darum Faktor der Produktion ist, menschliche Arbeit ersetzt und daß es diese um so entschiedener ersetzt, je entwickelter und vollkommener das natürliche Produktionsmittel ist, daß die bewegende Kraft des Wassers und des Dampfes leistet, wozu eine große Menge von Menschen notwendig wäre, daß die Eisenbahn den Frachtfuhrmann, der Frachtfuhrmann den Lastträger und viele Lastträger ersetzt und verdrängt.

Allein auch das Gesetz des Anwachsens des Kapitals ist ein Naturgesetz, welches kein Mensch ändern kann. Wenn durch die Natur oder den Menschen etwas erzeugt wird, was selbst Mittel weiterer Produktion ist, z. B. Pflanzen oder Tiere, wenn dieses Kapital nicht konsumiert, sondern zur Wiedererzeugung verwendet wird, wenn solches nach der besonderen Natur des Kapitals immer wieder möglich ist und wenn es wirklich geschieht, so wächst dassselbe, soweit kein sachliches Hindernis entgegensteht, mit Notwendigkeit in geometrischer Progression an.

Inwieweit diese Zunahme wirklich eintritt, das hängt davon an:
    1) in welchem numerischen Verhältnis die Zunahme in jedem einzelnen Fall der Reproduktion zum Produktionsfaktor steht, ob die Zunahme nur einen Teil desselben oder ein Mehrfaches des zur Reproduktion verwendeten Gegenstandes ausmacht: ob z. B. ein Tier nur 1, 2 oder wie viele Junge auf einmal erzeugt;

    2) in welchen Zeiträumen die Produktion erfolgt; wie lange es z. B. dauert, bis ein Tier nach einer Produktion weider Junge zur Welt bringt, ob 30 Tage oder ein Jahr;

    3) welches die Perioden der Reproduktion sind, wie lange es z. B. dauert, bis die Jungen selbst wieder Junge erzeugen;

    4) inwieweit das Anwachsen durch Konsumtion, Tod, Zerstörung, gehemmt wird.
Dieses Gesetz gilt überall, wo eine Reproduktion überhaupt stattfindet, auch da, wo dieselbe nicht durch den ursprünglichen Produzenten erfolgt, sondern durch Kapitalübertragung, durch Tausch und Geldverkehr vermittelt wird.

Wo nun überhaupt ein gesichertes Besitzverhältnis an körperlichen Sachen und damit auch an Mitteln der Produktion besteht, da ist eine Kapitalansammlung, ein Reicherwerden des Einzelnen dadurch möglich, daß der Besitzer entweder mehr produziert, als er bedarf oder weniger verzehrt, als er produziert, durch Mehrproduktion oder durch Ersparen und es nimmt diese Kapitalansammlung in dem Verhältnis zu, in welchem das angesammelte Kapital, ohne Abgang durch Konsumtion, zur Reproduktion verwendet wird.

Je mehr Kapital, durch Produktion über den Bedarf oder durch Übersparen, angesammelt, je rascher und mit umso größerem Erfolg dasselbe zur Reproduktion verwendet wird, je öfter das geschieht und je kleiner die Kapitalkonsumtion ist, umso rascher wird der Reichtumg desjenigen, der solches zu tun vermag und tut, gegen demjenigen wachsen, der entweder sein Erzeugtes ganz oder zum größten Teil zu konsumieren genötigt ist, weil es den unumgänglichen Bedarf nicht oder nur wenig übersteigt, oder der solches tut, weil er zu einer vermehrten Produktion zu träge oder zu ungeschickt oder zum Übersparen zu wenig genügsam ist.

In diesem Grundgesetz der Kapitalansammlung liegt die Erklärung für die Tatsache, daß derjenige, welcher seinem Verbrauch gegenüber viel Kapital produziert, erübrigt oder erspart, der große Kapitalist, der Besitzer großer nutzbringender Grundstücke, der Reich so viel rascher noch reicher wird, als derjenige, welcher nur wenig über seinen Bedarf produziert oder erspart.

Ein solches Kapitalansammeln wird aber erst dann in größerem Umfang stattfinden können, wenn durch die Anerkennung eines vom Besitz unabhängigen Eigentumsrechts dem Eigentümer von Kapital die Möglichkeit gegeben ist, nicht nur selbst durch Verwendung seines Kapitals zur Reproduktion solches immer wieder zu vermehren, sondern auch solches anderen zu diesem Zweck zu vermietn und zu leihen und für die Benützung desselben eine von ihnen zu leistende Entschädigung in Form eines Ertragsanteils und dgl. sich rechtsverbindlich zu sichern.

Hierdurch wird es dem Eigentümer von Kapital möglich, sich durch sein vermietetes Kapital einen Erwerb zu verschaffen und daneben noch durch seine in anderer Weise verwendete persönliche Arbeit sich weiteres Gebrauchs- oder Produktivkapital zu erwerben.

Ist aber endlich der Erwerb von Geld - von als allgemeines Tauschmittel anerkannten vertretbaren Gegenständen - durch Arbeit und Tauschverkehr die allgemeine Form der Kapitalbildung in einer Gemeinschaft von Menschen geworden, so geht die Kapitalansammlung und Bereicherung in folgender Weise vor sich:
    1) jeder Kapitalerwerb ist bedingt durch eine Produktionsleistung und durch einen Umsatz derselben um den Preis oder Lohn, welchr den Betrag des aufgewendeten Kapitals übersteigt.

    2) Die Möglichkeit der Kapitalansammlung ist bedingt:

      a) durch das Verhältnis des Einkommens an Lohn oder Preis zur Kapitalaufwendung, durch den Begrag des Reingewinns oder Reineinkommens;
      b) durch das Verhältnis des Gewinns aus Preis und Lohn zur Konsumtion, dem Bedarf oder der tatsächlichen Aufwendung des Produzenten.

    3) die Zunahme der Kapitalansammlung bemißt sich nach dem Ertrag, welchen das Kapital bei seiner Verwendung zur Reproduktion abwirft - dem Pacht-, Miet-, oder Geldzins, der Dividende und dgl.

    4) Kann der Ertrag (Pachtzins, Zins und dgl.) wieder zur Reproduktion verwendet werden, so steigt die Kapitalansammlung

      a) nach dem Prozentverhältnis,
      b) nach der Zahl der Kapitalumsätze in derselben Zeit,
      c) nach der Zinseszinsrechnung, d. h. umso rascher, je größer es ist.
Die Kapitalansammlung ist umso schwieriger und langsamer, je kleiner und umso rascher und stärker, je größer der Kapitalbesitz im Verhältnis der Konsumtion ist. Der Kapitalbesitz hat die Neigung zum steigenden Admassieren [Konkursbetreiben - wp].

Aus all dem bisherigen ergibt sich, daß, wo einmal der Erwerb durch Tausch- und Geldverkehr allgemein geworden ist, es nicht möglich ist, den Erwerb und die Ansammlung von Vermögen in den verschiedenen Klassen der Bevölkerung auch nur annähernd gleichmäßig zu gestalten, daß solche vielmehr bei jedem Einzelnen von einer Menge von Verhältnissen abhängen, die nicht in fremder Macht liegen und daß eben darum auch die Unterschiede in den Vermögensverhältnissen jeder künstlichen Regelung widerstreben.

Die bisher entwickelten Verhältnisse: die Erwerbsfreiheit, welche zu einem schärferen Auftreten der Konkurrenz und durch die Ungleichheit des Erfolges zu schärferen Unterschieden der Erwerbs- und Besitzverhältnisse drängt, der Übergang von der Kunden- zur Markt-Arbeit, welche zum Großbetrieb treibt und die Produktion abhängig macht vom Handel und der kaufmännischen Spekulation, die steigende Bedeutung des Kapitals, welche die Macht des Geldes in den Vordergrund drängt, in Verbindung mit dem Gesetz der Kapitalansammlung, welches den Reichen reicher macht und dem Armen das Reichwerden erschwert, haben die Folge, daß sie die Lage derjenigen, welche, bei mäßigem Kapitalbesitz, selbständig mit solchem Erfolg produzieren, daß sie sich eine unabhängige, zum Erwerb geistiger Bildung einladendene, befriedigende Existenz verschaffen können, der gebildeten Mittelklassen erschweren. Sie machen einerseits diese Produktionsweise weniger einträglich und konkurrenzfähig, steigern die Ansprüche an das Leben durch den zur Nachahmung reizenden Vorgang der vorzugsweise von Kapitalerträgnissen lebenden Klasse und verteuern die Bedürfnismittel durch die infolge der gesteigerten Konsumtion jener Klassen vermehrte Nachfrage.

So wird für die Mittelklassen das Leben von gesteigerten Erträgnissen abhängig, welche durch bloße Verwendung ihrer Arbeitskraft sich immer schwerer erzielen lassen. Diese Bedrängnis führt teils zu einer, die Gesundheit bedrohenden Überanstrengung der Arbeitskraft, teils zum Versuch, den Gewinn, welcher auf dem gewöhnlichen Weg der produktiven Tätigkeit nicht zu erzielen ist, durch ein dem Spiel nahe kommendes Spekulationsgeschäft zu erlangen, das zwar Einzelne zu unerwartetem Gewinn, die Mehrzahl aber in das Verderben der Zerstörung ihrer Hoffnungen und des bereits Errungenen führt, teils endlich dazu, daß eine immer größere Anzahl dieser Klasse der Bevölkerung dazu gedrängt wird, die selbständige Produktion zu verlassen und ihr Fortkommen in fremden Unternehmungen zu suchen.

Der Übergang zum Großbetrieb, angebahnt durch die Notwendigkeit der Erweiterung der Absatzverhältnisse, begünstigt durch das Gesetz des Kapitalwachstums, wie durch die Bedrängnisse des kleinen Kapitalbesitzes dehnt sich mehr und mehr über alle Gebiete der Produktion aus: über die Industrie, den Handel, die Landwirtschaft und sonstige Zweige der Urproduktion, wie über das Gebiet der geistigen Produktion durch Zeitungen und Zeitschriften, Unterrichtsanstalten und dgl. Überall erschweren sich die Verhältnisse der kleinen Unternehmer und die Arbeit tritt mehr und mehr in die Abhängigkeit vom Kapital und demjenigen, der über dasselbe verfügt: dem Kapitalbesitzer.

In den Extremen aber schärfen sich jene, doch mannigfach abgestuften, Unterschiede des Besitzes zum bedenklichen Gegensatz derjenigen, welche, ohne eigene produktive Arbeit, ausschließlich oder zum überwiegenden Teil von Kapitalerträgnissen ein reiches Leben führen, gegenüber von denjenigen, welche ausschließlich oder vorwiegend vom Ertrag persönlicher, vorwiegend körperlicher Arbeit und wieder der Regel nach in fremder Unternehmung spärlich zu leben genötigt sind.

Sofern nun aber, wie schon ARISTOTELES sagt, das Vermögen eine Fülle von Mitteln ist, die Fülle von Mitteln aber zur Macht und Herrschaft führt, begründet jener Klassenunterschied schließlich eine Klassenherrschaft. Eine solche hat aber einen besonderen Anhaltspunkt darin, daß durch die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts eingetretenen Änderungen in den Verfassungen der meisten Staaten der hauptsächlichste Einfluß auf die Staatseinrichtung durch das ständische Wahlreicht und die damit verbundene Einwirkung auf die Gesetzgebung und Staatsverwaltung in die Hand der Güter und Gebäudebesitzer und der selbständigen Gewerbe-Unternehmer - somit der Kapitalbesitzer gelegt worden ist, während die lohnarbeitende Klasse hiervon beinahe vollkommen ausgeschlossen war.

Diese Klassenherrschaft ist endlich für die arbeitenden Klassen umso nachteiliger, weil der Großbetrieb, je mehr er sich entwickelt, umso mehr nach immer weiterer Ausdehnung drängt und die Lage der arbeitenden Klassen von einer immer kleineren Zahl abhängig macht. Denn jede Ausdehnung des Großbetriebs enthält, wenn sie auch einer größeren Zahl von Arbeitern Beschäftigung gewährt, eine Beschränkung der Konkurrenz in der Nachfrage nach Arbeit in Bezug auf die Zahl der Nachfragenden und eine Vermehrung der Zahl der Arbeitanbietenden. Sofern nun die Konkurrenz umso leichter ist, je geringer die Zahl der Konkurrenten, umso schwieriger, je größer dieselbe ist, - weil ihre Wirksamkeit wesentlich auf der Mitwerbung der Konkurrenten untereinander besteht, - so wird durch die Ausdehung des Großbetriebs dieser in eine immer günstigere Lage gegen die Konkurrenz der arbeitenden Klassen versetzt.

Es sind auch, das zeigt ein Blick auf die Geschichte der sozialen Bewegung vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis auf unsere Zeit, infolge solcher Klassenherrschaft rechtliche Ungleichheiten und eine rechtliche Unfreiheit teils belassen, teils neu geschaffen worden, welche mit den natürlichen Freiheitsrechten aller Menschen ebensosehr im Widerspruch stehen, wie die Standesvorrechte des Adels, welche aber nicht auf Vorrechten der Geburt, sondern auf Vorrechten des Besitzes beruhen.

Die Behandlung des unberechtigten Austritts von Dienstboten, Gehilfen, Arbeitern aus ihren Dienst- und Arbeitsverhältnissen, nicht als eine privatrechtliche Vertragsverletzung, sondern als eine strafbare Handlung; die Strafgewalt, welche den Gutsbesitzern und Unternehmern gelassen oder eingeräumt wurde; die Verbote der Vereinigungen und Verabredungen von Gehilfen über einen gemeinschaftlichen Austritt aus der Arbeit, auch, wo solche nicht als widerrechtlicher Eingriff in fremde Rechte erscheinen; eine durch das Arbeitsverhältnis nicht gebotene Unterordnung der Arbeiter unter die Verordnungen der Unternehmer; sonstige Ungleichheiten in der Stellung der Arbeiter gegen die Arbeitgeber; die ungleiche Behandlung von Genossenschaftsverbindungen des kleinen Kapitalbesitzes gegenüber der Begünstigung der Aktienunternehmungen des Großkapitals - Rechtsunterschiede, deren Beseitigung zum Teil erst durch die soziale Bewegung zustande gekommen, teils erst noch durchzusetzen ist, sind lauter Beweise von der Bedrückung der Wenig- durch die Vielbesitzenden, welche nach Beseitigung der Vorrechte der Geburtsstände geblieben und teilweise erst zur Entwicklung gelangt sind.

Allein jener Gegensatz zwischen Groß- und Kleinbesitz, wie er sich unter der Herrschaft der neuen rechtlichen und wirtschaftliche Privilegien gestaltet hat, enthält auch eine Ungleichheit am Anteil der kapitalbesitzenden und kapitallosen Klasse an Besitz und Lebensgenuß, da, wie schon erwähnt wurde, die Kapitalbildung selbst zur Quelle des Einkommens wird und dem von Arbeit lebenden der Erwerb von Wohlstand umso schwerer wird, je ausschließlicher er mit seinem Leben auf den Ertrag seiner Arbeit angewiesen ist. Hierdurch erzeugt sich mit Notwendigkeit ein Unbefriedigtsein der minderbemittelten Klassen mit der Art der Genußverteilung und dem Maß von Genüssen, das ihnen nach der Gestaltung des heutigen Wirtschaftslebens zufällt. Es liegt dieser Unzufriedenheit der Gedanke zugrunde, daß nach der bestehenden Ordnung des gesellschaftlichen Wirtschaftslebens diejenigen, welche die Mittel für die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse mehr oder weniger ausschließlich Kapitalerträgnissen entnehmen- die Kapitalisten und Inhaber von Produktivunternehmungen - in einer mit der Forderung einer den Leistungen entsprechenden Genußverteilung im Widerspruch stehenden, durch die bestehende Wirtschaftsordnung in ungerechterweise begünstigten Stellung gegenüber solchen sich befinden, für welche die Arbeit, insbesondere die Arbeit für fremde Unternehmer das ausschließliche oder vorwiegende Mittel zum Leben und Lebensgenuß bildet.

Was im bisherigen dargestellt wurde als eine Konsequenz der modernen Entwicklung der Erwerbs- und Produktionsverhältnisse, ist - das darf nicht übersehen werden - bei aller inneren Begründung gleichwohl nicht etwas, was mit logischer Notwendigkeit überall, wo die Elemente der modernen Vermögensentwicklung vorhanden sind, sich in der bezeichneten Weise entwickeln müßte und entwickeln würde. Das Leben, wenn auch beherrscht durch die Naturgesetze des Wirtschaftens, entwickelt sich durch menschliche Handlungen und darum nicht mit logischer Notwendigkeit, vielmehr ist seine Entwicklung bedingt durch eine Reihe mitwirkender, bald eine bestimmte Richtung beschleunigender, bald eine solche hemmener Momente. Der Stand der wirtschaftlichen Entwicklung eines bestimmten Landes läßt sich darum nicht allein nach den auf dieselbe einwirkenden Faktoren, sondern nur unter Beachtung der konkreten Verhältnisse beurteilen und nur unter deren genauester Ermittlung lassen sich die Maßregeln feststellen, welche in einem Land zur Förderung der gemeinen Wohlfahrt zu treffen oder zu unterlassen sind.

Dagegen ist es ebenso notwendig, sich stets die allgemein wirkenden Faktoren und deren Wirksamkeit mit voller Klarheit zu vergegenwärtigen, um die Verhältnisse des einzelnen Landes nicht bloß äußerlich, sondern nach den wirkenden Elementen zu beurteilen.
LITERATUR Friedrich Bitzer, Arbeit und Kapital - ein Beitrag zum Verständnis der Arbeiterfrage, Stuttgart 1871
    Anmerkungen
    1) GUSTAV SCHMOLLER, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert, Halle 1870, Seite 26f