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HUGO SCHÜSSLER
Die Lösung der sozialen Frage

"Früher entstand die Not durch den Mangel an Verbrauchsgüter, heute entsteht sie durch die Produktion zuvieler Güter, durch zu gute Produktionsmittel, durch das Vorhandensein zuvieler Arbeitskräfte. Millionen Menschen sind fortwährend auf der Jagd nach Arbeit und Verdienst; doch ihre Arbeitslust kann nicht befriedigt werden. Um geringe Stellungen drängen sich Bewerber aller Bildungsgrade, um nicht zu hungern oder dem Laster und Verbrechen anheimzufallen."

"Riesensummen, welche alljährlich nicht verzehrt, sondern wieder rententragend angelegt werden, verringern in immer schnellerem Tempo die Kaufkraft des Volkes, zehren sein Mark bis zur letzten Spur auf, und schwellen, alles kleine Kapital durch dem  Dämon Zinseszins  aufsaugend, zu immer verderbenbringender Größe an. Der Zinseszins ist der Blutegel, welcher unserer Gesellschaft langsam aber sicher den Lebenssaft aussagt. Alle Einnahmen fließen, in von Jahr zu Jahr gesteigertem Maß, immer kleiner werdenden Kreisen von stetig reicher werdenden Großkapitalisten zu."

Was ist die soziale Frage?

"Sie ist das Ergebnis der Erforschung und Beleuchtung der Schattenseiten des wirklichen Lebens. Sie ist die Zusammenstellung aller Frage, welche sich jedem aufmerksamen Beobachter der wirtschaftlichen Zustände seiner Zeit aufdrängen. Warum gibt es Entbehrung, Not, Armut, Elend, Verbrechen unter den Menschen? Wer trägt die Schuld an diesen Nachtseiten unserer Gesellschaft? Ist es möglich, diese schwarzen Punkte am blendenden Himmel der Zivilisation zu verwischen und zu entfernen? Wo ist der Wohltäter der Menschheit, der das Heilmittel zur Linderung und Heilung unserer sozialen Krankheit anzugeben wüßte?" - Jonas Minoprio



Unser wirtschaftlicher Untergang

So alt wie die Menschheit ist ihre Not. Mit dem Menschwerden wurde das Menschenelend. Im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot zu essen scheint der Menschen "Bestimmung". Weil seit Jahrtausenden der bei weitem größte Teil der Menschen ein Leben voller Qual und Sorgen geführt hat, so hält man diesen Zustand für selbstverständlich, natürlich, ewig, gottgewollt; man fährt gedankenlos fort, das Ringen Aller gegen Alle für durchaus notwendig zu halten und vergeudet im endlosen Kampf gegeneinander seine Kraft, Sorgen und Not unablässig mehrend. Immer aussichtsloser wird die Existenzmöglichkeit sowohl des Einzelnen als auch ganzer Völker.

Rastlos dringt die Wissenschaft vorwärts und erschließt uns die Geheimnisse der Natur. Im Bund mit der immer höher strebenden Technik macht sie dem Menschen die Naturkräfte im ausgedehntesten Maß dienstbar. Eine Riesenarbeit von ungezählten Millionen Menschenkräften wird schon heute von Maschinen für uns geleistet; hochbeglückt darf sich der Mensch wohl nun, die Früchte seines geistigen Ringens pflückend, der Ruhe und dem behaglichen Genuß hingeben. Denn man sollte meinen, daß, wenn die Maschine uns die Arbeit abnimmt, ohne diese Produkte ihrer Arbeit für sich in Anspruch zu nehmen, wir bei bedeutend verminderter Menschenarbeit im gleichen Genuß aller Arbeitsprodukte bleiben müssen. Das Entgegengesetzte ist jedoch der Fall. Von einem gleichmäßigen Fortschreiten der Völkerwohlfahrt mit der Dienstbarmachung der Naturkräfte ist keine Rede. Der allergrößte Teil der Menschen ringt heute in einem ruhelosen Streben, in aufreibender, rastloser Arbeit um das tägliche Brot. Das ganze Leben ist, trotz aller Kulturfortschritte, jetzt mehr denn je eine Kette schwerer Sorgen. Unaufhaltsam ist der wirtschaftliche Rückgang und deutlich erkennbar für Jeden, der sehen will, naht das Ende der jetzigen Wirtschaftsformen der Kulturvölker.

Unterziehen wir unsere heutigen Wirtschaftszustände einer Prüfung, so können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, daß dieselben auf die Dauer unhaltbar sind. Die Erfindungsgabe, diese neueste Entwicklungsstufe des Menschen, war bis vor etwa 200 Jahren nahezu unbekannt. Die Alten erfanden in einem Jahrhundert nicht so viel, wie jetzt an jedem Tag erfunden wir. "Heut' blitzt und wetterleuchtet der Menschengeist;" rastlos uns unhemmbar schreitet er fort, eine wissenschaftliche Entdeckung folgt schnell der anderen, eine Erfindung drängt die andere, vervollkommnet die Technik, verbilligt die Industrie-Erzeugnisse durch leichte und massenhafte maschinelle Darstellung derselben, macht aber gleichzeitig dadurch physische Menschenarbeit überflüssig und Tausende brotlos, welche darauf in anderen Berufszweigen eine lohnende Beschäftigung suchen und hier wieder Überfüllung und Arbeitsmangel verursachen. Die Massenerzeugnisse sind nicht absetzbar, drängen zu einer maßloßen Konkurrenz und der Kulturfortschritt wird aufgrund der heutigen Wirtschaftsordnung zum Fluch. Was noch vor siebzig Jahren zehn Menschen durch ihre körperliche Tätigkeit produzierten, dasselbe leistet jetzt, infolge der enormen Fortschritte der Industrie, ein Mensch.

Der Arbeitsmangel, und durch ihn Not und Sorge, entspringt erstens der gewaltigen Ergiebigkeit der Produktionsmittel, welche von Jahr zu Jahr größer wird, und zweitens der Kaufunfähigkeit des Volkes. Die Fortschritte der Technik ermöglichen es, fortwährend mit weniger Arbeitern mehr Güter zu erzeugen; sie erfordern daher einen stetig steigenden Mehrkonsum dieser Güter, oder ein fortwährendes Außerarbeitstellen von Produzenten. Früher entstand die Not durch den Mangel an Verbrauchsgüter, heute entsteht sie durch die Produktion zuvieler Güter, durch zu gute Produktionsmittel, durch das Vorhandensein zuvieler Arbeitskräfte. Millionen Menschen sind fortwährend auf der Jagd nach Arbeit und Verdienst; doch ihre Arbeitslust kann nicht befriedigt werden. Um geringe Stellungen drängen sich Bewerber aller Bildungsgrade, um nicht zu hungern oder dem Laster und Verbrechen anheimzufallen. Die im Abnehmen begriffene Familienbegründung wird immer schwieriger, wodurch die Frau gezwungen ist, in einen erbitterten Konkurrenzkampf mit dem Mann zu treten und in vielen Zweigen der Erwerbstätigkeit Gehalt und Arbeitslohn des letzteren auf das Äußerste herabzudrücken. Jeder Stand hat sein Proletariat, und gerade dasjenige der gebildeten Stände beginnt erst jetzt wie eine Lawine zu wachsen.

Das ist ein Ergebnis unserer jetzigen Wirtschaftsordnung, daß Millionen guter, arbeitswilliger Menschen nicht arbeiten dürfen, entsetzlich darben müssen und schließlich zum Verbrechen getrieben werden, um den nagenden Hunger zu stillen. Der Verbrecher ist das Produkt der sozialen Mißstände seiner Zeit, denn zum Vergnügen wird kein normal gesunder Mensch zum Dieb oder Mörder. Welche furchtbare Anklage sind deshalb die überfüllten Zuchthäuser, das grinsende Elend hoffnungsloser Armut, inmitten berghoch aufgestapelter, nicht verkäuflicher Güter und ungeheuren Reichtums!

Aber noch ein anderer Faktor arbeitet unablässig und mit sicherer Wirkung an unserem wirtschaftlichen Untergang. Der Großkapitalismus ist es, welcher die Konsumfähigkeit des Volkes fortwährend verringert und ebenso stetig die Überproduktion fördert, und zwar in jedem einzelnen Fall, wo der Reichtum so groß ist, daß die Zinsen vom Kapitalisten nicht verbraucht werden können, sondern als zinstragendes Kapital wieder angelegt werden. Durch die produktive Anlegung dieser Zinsen, als Betriebskapital, Hypotheken etc. wird die Produktion noch mehr gesteigert, die Konkurrenz, Verdienstlosigkeit und das Elend immer größer, hingegen der Güterverbrauch des Volkes immer geringer. Denn flössen die nicht zu verbrauchenden Zinsen der Großkapitalisten dem Volk zu, so würden sie nicht produktiv angelegt, sondern für Verbrauchsgüter ausgegeben werden; sie würden also den Warenverbrauch vermehren und ihrer Größe entsprechend mehr Arbeit und Verdienst schaffen. Die Riesensummen aber, welche jetzt alljährlich nicht verzehrt, sondern wieder rententragend angelegt werden, verringern in immer schnellerem Tempo die Kaufkraft des Volkes, zehren sein Mark bis zur letzten Spur auf, und schwellen, alles kleine Kapital durch dem "Dämon" Zinseszins aufsaugend, zu immer verderbenbringender Größe an. Der Zinseszins ist der Blutegel, welcher unserer Gesellschaft langsam aber sicher den Lebenssaft aussagt. Alle Einnahmen fließen, in von Jahr zu Jahr gesteigertem Maß, immer kleiner werdenden Kreisen von stetig reicher werdenden Großkapitalisten zu. Diese wenigen können aber die vielen produzierten Güter nicht verbrauchen, während die große Masse des Volkes sie wohl gern verbrauchen möchte, aber keine Einnahmen mehr hat, dieselben zu kaufen. Beispielsweise muß sich das Milliardenvermögen der ROTHSCHILDs, sowie dasjenige der amerikanischen und sonstigen Milliardäre durch den Zinseszin rapide ins Ungemessene vermehren; es muß allen Besitz um sich her aufsaugen, alle Betriebe und Unternehmen an sich reißen, und den Warenverbrauch verringern, weil die wenigen glücklichen Besitzer dieser Schätze auch nicht den tausendsten Teil ihrer Renten zu verbrauchen vermögen.

Durch das Wachstum des Großkapitals wird also der Konsum der Produkte fortwährend verringert, durch Wissenschaft und Technik die Erzeugung der Produkte stetig vermehrt, bei gleichzeitigem Überflüssig- und Verdienstlosmachen von Produzenten; es muß daher entweder durch eine ununterbrochen wachsende Ausfuhr das Gleichgewicht hergestellt werden, oder unter fortschreitender Volksverarmung mit mathematischer Sicherheit der Zeitpunkt eintreten, an welchem unsere ganze jetzige Wirtschaftsordnung zusammenbricht.

Wird heute irgendwo eine Zunahme des "Nationalreichtums", wie bis jetzt alljährlich in England, statistisch nachgewiesen, so ist darunter nicht wachsender Volkswohlstand zu verstehen, sondern die Zunahme des Reichtums der Großkapitalisten. Die Steigerung des Volkswohlstandes und seiner Bedürfnisse hat auch nicht annähernd Schritt gehalten mit der Steigerung der Mehrproduktion. Befänden sich alle Menschen in so großem Wohlstand, daß sie ihre Bedürfnisse reichlich befriedigen könnten, so wäre allerdings, trotz des Erfindungsgeistes, von Überproduktion bis jetzt keine Rede. Wenn wir hier also von Überproduktion sprechen, so ist damit diejenige Mehrproduktion von Gütern gemeint, welche durch die mangelnde Kauffähigkeit der Völker jetzt keinen Absatz findet.

Die Arbeit wird zwar heute in vielen Fällen besser bezahlt als früher, infolge des gewaltigen Drucks, welchen die großen Arbeiterorganisationen auf die Betriebsunternehmer ausüben, aber es wird immer schwerer, Arbeit jeglicher Art zu erhalten, eine gesicherte Existenz und eine Familie zu begründen, während es früher, infolge der primitiven Betriebseinrichtungen und des Fehlens des aussaugenden Zinseszins, stets Arbeit gab. Als Beweis für den wirtschaftlichen Fortschritt Deutschlands wird mit Vorliebe die wachsende Zahl der Schiffe unserer Handelsflotte angeführt und aus der Zahl der Fabrikschornsteine schließt diese Art von Kennern der Volkswirtschaft auf den Reichtum der Fabrikanten. Beweist denn die große Zahl der Fabriken eine reichlohnende Industrie oder etwa übermäßige Konkurrenz? Was beweist aber die zur Erhaltung unserer Existenz dringend erforderliche, stete Vermehrung des Seehandels, wenn der Verdienst an den ausgeführten Produkten durch eine maßlose Konkurrenz bis zur Existenzunmöglichkeit sinkt? Was beweist ein mit Zucker beladenes, ins Ausland gehendes Schiff, wenn die ausführende Zuckerfabrik ihr Fabrik  weit  unter dem Selbstkostenpreis an das Ausland verkaufen muß, um ihren Betrieb aufrecht zu erhalten und wenn sie zu diesem "blühenden" Handel durch Exportprämien befähigt wird, die der deutsche Steuerzahler aufzubringen hat? Auch die vermehrten Spareinlagen beweisen keine steigende Wohlfahrt von Handel und Industrie, sie erklären sich einfach daraus, daß die Löhne aus den bereits angeführten Gründen seit Jahren mehr oder weniger gestiegen, hingegen alle Warenpreise (mit Ausnahme derjenigen des Fleisches, welche durch eine Erschwerung der Einfuhr hochgehalten werden) bedeutend gesunken sind und weiter sinken. Die Spareinlagen beweisen nicht einmal einen Wohlstand der Gesamtheit der deutschen Arbeiter, denn ein großer Teil der ersteren wird gerade von den Ärmsten, von alleinstehenden Mädchen, durch Abdarbung aufgebracht, zur Erlangung einer Aussteuer, weil sie alle auf den Freier als den Befreier von Not und Qual warten. Ein unzweifelhafter, vielgerühmter Fortschritt des deutschen Gewerbebetriebes ist aber in unserer, seit Jahren steigenden gewerblichen Intelligenz und Leistungsfähigkeit zu erkennen, welche uns wohl manchen Kunden zuführt, aber auch naturgemäß die Massenproduktion bedeutend vermehrt, die Konkurrenz verschärft, den Nutzen verringert und die wirtschaftliche Not eher vergrößert als vermindert hat. Zahllose deutsche Handwerker und Gewerbetreibende aller Art fühlen nur leider zu sehr den stetig zunehmenden Druck maßloser Konkurrenz und des hoffnungslosen Sinkens ihres bescheidenen Einkommens.

Der fröhliche Handwerksbursche, welche ehemals mit einem jubelnden Lied das deutsche Vaterland durchzog und in Dorf und Stadt beim Meister leicht Arbeit und freundliche Aufnahme fand, ist zum zerlumpten Landstreicher, der kraftvolle, zufriedene Meister zum niedergebeugten Fabrikarbeiter geworden, welcher wohl weiß, daß er es nie wieder zu einer Selbständigkeit, geschweige denn zu Vermögen bringen kann, der stumpfsinnig auf die Fabrikpfeife horcht und die große Masse der Unzufriedenen vergrößern hilft. Keine Zwangsinnung rettet das Handwerk vor seinem Untergang. Vergeblich ist das Geschrei nach der Rückkehr zu den alten primitiven Produktionsverhältnissen; keine Macht der Erde hemmt die unaufhaltsame Entwicklung der Menschheit.

In Preußen wurdem am 2. Dezember 1895 553 676 beschäftigungslose Leute gezählt, trotzdem höchstwahrscheinlich Tausende von Landstreichern überhaupt nicht gezählt werden konnten; rechnet man hinzu einen Familienanhang von zwei Köpfen auf jeden Arbeitslosen, so ergibt dies rund 1 ⅔ Millionen Menschen ohne Einkommen. Im überreichen England soll es sechs Millionen völlig verarmte, hungernde, arbeitslose Menschen geben; sie sind dem entsetzlichen Elend preisgegeben, sie dürfen nicht arbeiten, sie dürfen sich kein Brot verdienen, trotzdem sie es so gern möchten, denn es ist ja Überproduktion; sie müssen hungern, weil - zuviele Güter vorhanden sind.

Wie steht es nun aber mit unserem einzigen Rettungsweg, der Ausfuhr, von welcher heute die Existenz der Kulturstaaten abhängt? Über das eigentliche Wesen des Welthandels herrschaft allgemeine eine erstaunliche Unklarheit und Unkenntnis, welche zu den überschwenglichsten Hoffnungen und verkehrtesten Maßnahmen führt. Ausfuhr und Einfuhr werden sich heute selbst im günstigsten Fall nahezu gleichbleiben, denn der Welthandel ist in letzter Instanz doch nichts weiter als ein Tauschverkehr von Produkten gegen Produkte und die Weltkonkurrenz sorgt dafür, daß bei diesem Tauschgeschäft keine goldenen Berge mehr verdient werden. Die Bezahlung der ausgeführten Waren findet naturgemäß durch die Einführung fremder Waren statt, nicht aber durch die Einführung fremden Geldes, da solches im Inland nicht zirkulationsfähig ist und daher immer wieder in das Ausland zurückgesandt und gegen andere Werte ausgetauscht werden müßte. Bestände die ausländische Zahlung in Münzen, was nicht der Fall ist, so könnten diese allerdings eingeschmolzen und als Metall verkauft werden, jedoch nur mit einem Verlust, welcher den ursprünglichen Gewinn an der Warenausfuhr aufheben würde. Das Endresultat wäre also doch nur ein Austausch, denn das so gewonnene Edelmetall ist auch nichts weiter, als eine Ware, welche wieder anderweitig verwertet werden muß und ohne Besinnung sofort dahin gesandt wird, wo der höchste Preis dafür gezahlt wird. Die deutsche Einfuhr von Edelmetall, roh und gemünzt, betrug 1896 233,1 Millionen Mark, die Ausfuhr 227,2 Millionen, so daß sich ein Einfuhrüberschuß von nur 5,9 Millionen ergab, welcher jedenfalls in Rohmetall bestand und eine gewerbliche Verwendung fand. Die einzige Möglichkeit, die Ausfuhr nicht durch eine Einfuhr, sondern durch wirkliche Zahlung zu begleichen, bieten die ausländischen, zinstragenden Wertpapiere, jedoch auch nur vorübergehend, denn ihre schließliche Einlösung, sowie die regelmäßigen Zinszahlungen derselben sind nicht dauernd in barem Geld möglich. Wenn auch die Zinszahlung mittels neuer zinstragender Wertpapiere eine zeitlang fortgesetzt werden könnte, so ist sie doch dauernd ganz unmöglich und völlig zinslos, daher kann die ausländische Zinsenschuld schließlich und endgültig nur allein durch eine Wareneinfuhr bezahlt werden. Der internationale Wechselkurs beweist schon die Unmöglichkeit einer dauernden Barzahlung und verhindert gleichzeitig ein einseitiges Überwuchern der Ausfuhr über die Einfuhr, respektive umgekehrt, im Weltverkehr. Wenn ein Land mehr einkauft als verkauft, so fällt natürlich sein Wechselkurs, wodurch es für ausländische Kaufleute vorteilhaft wird, wieder Waren von ihm zu beziehen. Umgekehrt steigt aber sofort der Wechselkurs bei überwiegender Ausfuhr und verteuert die Zahlungen der fremden Käufer so, daß ein fernerer Einkauf daselbst nicht mehr rentiert, wodurch selbstverständlich die Ausfuhr wieder zurückgeht. Außerdem kann der Export eines Landes seinen Import schon aus dem einfachen Grund nicht dauernd bedeutend übersteigen, weil sich die Ausfuhr gewöhnlich nur dann rentiert, wodurch selbstverständlich die Ausfuhr wieder zurückgeht. Außerdem kann der Export eines Landes seinen Import schon aus dem einfachen Grund nicht dauernd bedeutend übersteigen, weil sich die Ausfuhr gewöhnlich nur dann rentiert, wenn die Bahnzüge und Schiffe eine Rückfracht haben.

Wie sich der Welthandel früher abwickelte wollen wir an einem recht einfachen Beispiel zeigen. Ein deutscher Großkaufmann, der gewöhnlich selbst Schiffseigner war, kaufte im Vaterland für 100 000 Mark Waren aller Art, befrachtete damit sein Schiff und sandte es mit einem kaufmännischen Vertreter in das Ausland. Der Letztere verkaufte dort die Waren für beispielsweise für 125 000 Mark gegen bares ausländisches Geld, welches er natürlich nicht mit nach Hause bringen durfte, da es dort zirkulationsunfähig war. Der Vertreter wurde sowohl durch diesen Umstand, wie auch durch die Versorgung des Schiffes mit Rückfracht gezwungen, für den  ganzen  Erlös Waren in demselben Ausland einzukaufen; er führte als für 125 000 Mark fremde Waren in die Heimat wieder ein, welche hier von unserem Großkaufmann mit eine Gewinn von etwa 25 000 Mark, als für 150 000 Mark verkauft wurden. Der Kaufmann hatte mithin an dem Geschäft 50 000 Mark bares, heimatliches Geld verdient, welches vorher im Besitz anderer Deutscher, nicht des Auslandes war. Bestanden die eingeführten, fremden Produkte in bearbeiteten, fertigen Waren, welche in der Heimat ebenfalls, wenn auch vielleicht nicht so wohlfeil, hätten hergestellt werden können, so verlor die inländische Industrie, bzw. die inländische Arbeit durch dieses Geschäft 25 000 Mark Umsatz; bestanden sie aber aus fremden Rohprodukten, welche die heimatlichen Gewerbebetriebe nicht schädigten, so wäre das Gesamtergebnis für Deutschland eine Bereicherung von 25 000 Mark gewesen, trotzdem die amtliche Handelsbilanz 100 000 Mark Ausfuhr und 125 000 Mark Einfuhr, also 25 000 Mark Unterbilanz angezeigt hätte.

Der heutige Welthandel verläuft in wesentlich anderen Formen; zu seiner Erläuterung wählen wir wieder ein möglichst einfaches Beispiel. Der Lampenfabrikant  Schulze  in Berlin, welcher kein Schiff besitzt, verkauft durch seinen Reisenden an  Y  in Madrid für 10 000 Mark Petroleumlampen. Er übergibt die Sendung seinem Spediteur mit dem Auftrag, über Hamburg und Lacorunna, oder einen anderen Hafen, nach Madrid an  Y.  Der Berliner Spediteur sendet die Fracht an einen Hamburger Spediteur, dieser dieselbe durch die passendste Schiffsgelegenheit nach dem spanischen Hafen und dort geht sie durch die Vermittlung eines spanischen Spediteurs nach Madrid. Nach Empfang der Lampen sendet  Y  an  Schulze  ein Akzept (Wechsel) in Höhe von 10 000 Mark, zahlbar nach einem Monat bei  Y  in Madrid. Etwa zur gleichen Zeit kauft der Korkenfabrikant  Müller  in Berlin vom Kaufmann  X  in Madrid für 10 000 Mark Korkrinde, die er nicht durch eine Sendung von deutschen Geld an  X  bezahlen kann.  Schulze  hat für seine Lampen wohl einen Wechsel von  Y  aber noch kein Geld und sucht daher den Wechsel an der Berliner Börse zu verkaufen.  Müller  sucht, um seine Verpflichtung gegen  X  erfüllen zu können ein Wechsel auf Madrid von 10 000 Mark zu kaufen und zahlt an  Schulze  diesen Betrag in barem deutschen Geld. Daraufhin schickt er den Wechsel an seinen Korklieferanten  X  in Madrid, dieser präsentiert denselben am Verfalltag seinem Landsmann  Y  und erhält von diesem 10 000 Mark in spanischem Geld ausgezahlt. Hat zur Zeit dieses Wechselkaufs Berlin an Madrid mehr Waren geliefert als umgekehrt Madrid an Berlin, so werden in Berlin mehr Madrider Wechsel angeboten als gesucht, sie werden darum billiger verkauft, ihr Kurs fällt, wodurch die Berliner Lieferanten an ihrem Geschäftsgewinn einbüßen, sich die Ausfuhr nach Spanien nicht mehr so gut rentiert und daher nachläßt. Andererseits müssen die Madrider Kaufleute viele Zahlungen nach Berlin haben, es müssen also dort die Wechsel auf Berlin sehr gesucht sein und im Kurs steigen, wodurch der Warenbezug aus Berlin, bzw. Deutschland unrentabel und geringer wird. An diesem Beispiel sehen wir, wie sehr der internationale Handelsverkehr auf einen gegenseitigen Warenaustausch beruth und erkennen die aus Aus- und Einfuhr nivellierende Wirkung des Wechselkurses. Anstelle der die deutsche Forderung für Lampen begleichende Korkrinde hätten wir ebensowohl Zigaretten, Wein, Gold- oder Silberbarren setzen können.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß Ausfuhr Einfuhr bedingt, und daß es eine kindische Utopie ist dauernd Ausfuhr ohne Einfuhr schaffen zu wollen. Die weitverbreitete einfältige Hoffnung durch eine dauernde große Ausfuhr und kleine oder keine Einfuhr das bare Geld fremder Nationen an sich zu bringen und dadurch glücklich zu werden ist unerfüllbar.

Nun liegt aber die Frage nahe, kann der Welthandel überhaupt einen Nutzen bringen und welchen? Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Volk oder vielmehr ein Teil seiner Mitglieder große Reichtümer durch den Welthandel erwerben können. Der Vorteil, den die Kulturstaaten dadurch erreichen, wird nicht durch eine große Ausfuhr und kleine Einfuhr, sondern hauptsächlich durch die Art der ein- und ausgeführten Produkte bedingt und besteht in der Vermehrung der Arbeitsgelegenheit, denn bei der jetzigen ununterbrochen steigenden Massenfabrikation muß ein Kulturstaat zur Erhaltung seiner Existenz bemüht sein fortwährend neue Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Dies ist aber nur durch die Ausfuhr erreichbar, und zwar nur in dem Fall, wenn möglichst viele reich bearbeitete, fertige Waren aus- und dafür möglichst Rohprodukte, welche der heimatliche Boden nicht hervorbringt, eingeführt werden. Je mehr sich die Produktion zweier Völker ähnelt, desto geringer muß ihr gegenseitiger Handelsverkehr sein, ist ihre Produktion gleich, so ist ein Handelsverkehr zwischen beiden unmöglich. Internationaler Austausch von fertigen Waren gegen fertige Waren kann selbstverständlich keine vermehrte Arbeitsgelegenheit schaffen, den Wohlstand der beteiligten Völker nicht heben, wohl aber denjenigen der den Handel vermittelnden Kaufleute auf Kosten ihrer Mitbürger. Angesichts der täglich wachsenden Massenfabrikation müssen wir also alle Hebel in Bewegung setzen unseren Export an fertigen, reichbearbeiteten Waren zu vermehren und die Einfuhr möglichst auf unbearbeitete  fremde  Rohprodukte zu beschränken.

Je mehr der "Nationalreichtum" eines Volkes sich durch den Welthandel vermehrt, desto größer muß sein Besitz an ausländischen, zinstragenden Wertpapieren werden, desto größer wird also sein Renteneinkommen vom Ausland.  Da nun aber diese Renten in letzter Instanz nur durch eine Wareneinfuhr von Ausland bezahlt werden können, so muß die Einfuhr des reichen Landes seine Ausfuhr dauernd übersteigen, seine inländische Arbeitsgelegenheit vermindern und das Massenelend der Besitzlosen vermehren.  Stellen wir uns ein Volk vor dessen Renteneinkommen vom Ausland so groß ist, daß es der Summe der von ihm jährlich verbrauchten Produkte gleichkommt, so muß dieses Volk schließlich seinen ganzen Warenbedarf vom Ausland beziehen, nur um die Renten seiner ausländischen Werte genießen zu können. Wären seine Reichtümer gleichmäßig verteilt, so könnte das ganze Volk seine eigene Produktion an den Nagel hängen, sich zur Ruhe setzen und zu einem nichtstuenden vom Ausland völlig abhängigen Drohnenhaufen werden. Da aber der Reichtum nicht gleichmäßig verteilt, sondern nur in den Händen von wenigen Glücklichen ist,  so ist das Endresultat des höchsten "Nationalreichtums" eine wachsende Einfuhr bei verminderter Ausfuhr bis zur völligen Arbeitslosigkeit und Existenzunmöglichkeit der großen Masse der Besitzlosen.  Je höher also der sogenannte "Nationalreichtum" steigt, desto näher rückt, bei der heutigen Wirtschaftsordnung der gewaltsame Umsturz. Für den gründlichen Kenner der Nationalökonomie ist es daher nicht unverständlich und wunderbar, wenn die amtliche englische Handelsbilanz in den letzten 25 Jahren 70 Milliarden Mark Unterbilanz aufweist und wenn dabei gleichzeitig der "Nationalreichtum" mit der Massenarmut wächst.

Den Höhepunkt der europäischen Ausfuhr an Industrieprodukten haben wir wahrscheinlich schon überschritten. Mit bangen Sorgen und großer Verblüffung konstatiert die Regierung der ersten Welthandelsmacht, England, seit einigen Jahren einen regelmäßig größer werdenden Rückgang ihrer Ausfuhr und macht, in Unkenntnis der wahren Ursachen, das billiger liefernde Deutschland dafür verantwortlich; Deutschlands Export hat sich seit Abschluß seiner letzten großen Handelsverträge jedoch nur um einen Bruchteil der englischen Verminderung vermehrt und erreicht lange nicht seine Einfuhr. Das reiche, manchesterliche England sucht natürlich den Grund seiner wachsenden Not nicht in seiner eigenen, dem Untergang geweihten Wirtschaftsordnung, sondern in dem bösen Nachbarn, verschließt allen Vernunftgründen den Zugang und tröstet sich mit der bis jetzt noch immer fortschreitenden Vergrößerung des "Nationalvermögens". England ist dasjenige Land, welches seine Industrieprodukte zuerst exportierte; seine Ausfuhr in größerem Maßstab begann bereits in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sich zu entwickeln; es hat bis zur Mitte dieses Jahrhunderts den Welthandelt nahezu konkurrenzlos beherrscht und dadurch nicht nur ungeheuren Reichtum aufgespeichert, sondern auch lange, hohe Arbeitslöhne zahlen können. Die deutsche Ausfuhr hingegen begann erst vor 50 Jahren unter dem gewaltigen Druck der englischen Welthandelsherrschaft, unter französischer Konkurrenz und daher unter bedeutend schwierigeren Verhältnissen. Die deutsche Industrie konnte ihren Export nur dadurch begründen und kann denselben nur dadurch erhalten, daß sie bei gleicher Qualität billiger liefert als England, und das ist nur durch billigere Arbeitslöhne möglich, da England über die anderen Produktionsfaktoren, als Boden, Kapital, technische Einrichtungen, Intelligenz ebenso verfügt wie wir. Dies erklärt auch die Tatsache, daß in Deutschland die Arbeitslöhne durch den Export nicht so gestiegen sind, wie in England. Will England nicht seine Ausfuhr verlieren, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Arbeitslöhne und den Geschäftsgewinn mindestens auf das Niveau der deutschen herabzusetzen. Tritt aber dieser Fall ein, so sind  wir  wieder gezwungen, unsere Fabrikate durch verminderte Arbeitslöhne und eine Gewinnherabsetzung noch billiger herzustellen, weil wir ohne Ausfuhr von Industrieprodukten gar nicht mehr existieren können; dies muß natürlich auch die Konkurrenz zu denselben Schritten zwingen, und so geht bei stetig steigender Massenproduktion der Konkurrenzkampf fort - hoffnungslos. In welcher Weise die Weltkonkurrenz wächst, das sehen wir z. B. daran, daß England, Frankreich und Deutschland jährlich etwa 14 Millionen Mark Subventionen an Privatreedereien zahlen, nur um die Fracht für die nach Ostasien ausgeführten Waren billiger zu stellen als der Konkurrent und dadurch wohlfeiler verkaufen zu können. Die Chinesen können sich zu dieser Liebenswürdigkeit der europäischen Staaten Glück wünschen.

Europa ist heute offenbar nicht mehr imstande, an Industrie-Erzeugnissen das zu konsumieren, was es erzeugen kann und erzeugen muß, um existieren zu können. Trotz reichlicher Betriebsmittel, Arbeitskraft und Arbeitslust müssen schon jetzt periodisch jahrelang die industriellen Betriebe äußerst eingeschränkt werden, weil der Absatz fehlt, wodurch ganze Volksschichten in Not und Elend geraten und alle anderen Kreise durch ihre Kaufunfähigkeit in dieselbe Lage bringen. Die Überproduktion ist bei der jetzigen Wirtschaftsordnung nur durch die Erschließung immer neuer Absatzmärkte, und auch dann nur vorübergehend zu beseitigen.

Die an der Spitze der Kultur stehende Bevölkerung Europas ist wegen ihrer Selbsterhaltung gezwungen, wie Sklaven für tieferstehende Völker anderer Weltteile zu arbeiten; sie ist infolge der rastlos fortschreitenden technischen Verbesserungen und Erfindungen bei der Massenfabrikation, und somit an dem Punkt angelangt, wo sie ohne große Absatzgebiete in anderen Weltteilen existenzunfähig ist; sie bedarf des Weltmarktes so sehr, daß sie sich denselben, wenn erforderlich, unter furchtbaren Opfern erhalten muß. Nimmt man beispielsweise England heute seinen Export, so muß es zugrunde gehen trotz seiner aufgehäuften Reichtümer, und trotzdem das englische, im Ausland angelegte Rentenkapital etwa 70 Milliarden Mark beträgt, wodurch England alle Völker der Erde tributpflichtig gemacht hat und von ihnen jährlich gegen drei Milliarden Mark Zinsen erhebt. Es gibt in Deutschland industrielle Unternehmen, welche Tausende von Arbeitern beschäftigen, mit einem Betriebskapital von vielen Millionen arbeiten und dabei 90 Prozent ihrer Fabrikate im Ausland absetzen; diese sind also ganz von der Ausfuhr abhängig.

Die deutsche Ausfuhr nur an Industrieprodukten beträgt jetzt jährlich über 3 Milliarden Mark, durch deren Fortfall Deutschland schnell der Verarmung entgegeneilen würde. Ohne eine stetige Zunahme ihrer Ausfuhr bearbeiteter Waren gibt es also, unter Beibehaltung des jetzigen Wirtschaftssystems, für die Industriestaaten Europas keine Existenzmöglichkeit.

Aber weder wir, noch andere Kulturstaaten, sind imstande, die mühsam errungene Ausfuhr fertiger Waren dauernd auf der jetzigen Höhe zu erhalten, geschweige denn, sie stetig zu vermehren. Denn, wohin wir unsere Kulturerzeugnisse bringen, dahin tragen wir auch die Kultur selbst, und in gar nicht langer Zeit werden, wie wir an Amerika, Japan und Australien sehen, die ehemaligen Kunden uns heftig bekämpfende Konkurrenten. Wenn auch der europäischen Industriewelt vorläufig noch neue Absatzgebiete in Asien in Aussicht stehen, so zeigt uns andererseits das Beispiel von Amerika und Japan, wie schnell, wenn erst die Wege geöffnet sind, die Kultur in die fremden Weltteile eindringt. Es läßt sich daher mit Sicherheit erwarten, daß der Kampf der Kulturvölker um den Weltmarkt, welcher ein Kampf um das Dasein ist, mit zunehmender Verbreitung der Kultur über den Erdball immer heftiger, und schließlich die Ursache gewaltiger Kriege, sogar zwischen den Weltteilen, werden muß. Trotzdem wird zweifellos einst, und zwar verhältnismäßig bald, der Zeitpunkt eintreten, wo eine annähernd gleiche Kultur über die ganze Erde verbreitet ist, den einzelnen Staaten ein fremdes Absatzgebiet fast ganz fehlt und eine beständige Überproduktion, eine permanente Arbeits- und Verdienstlosigkeit, andauernde und zunehmende Überfüllung in allen Berufszweigen, allgemein eine fortschreitende Verarmung hervorrufen muß.  Damit ist die zukünftige Existenzunmöglichkeit der Kulturvölker auf der Basis der heutigen Wirtschaftsordnung gegeben, und es bleibt dann nur noch der Verfall von Gesellschaft und Staat oder ein solcher Kulturaufschwung übrig, durch den die großen Reiche in sich allein selbständig und existenzfähig werden. 

Dieser wirtschaftliche Rückgang vollzieht sich nicht gleichmäßig, sondern unter fortwährenden Schwankungen. So ist es sehr wohl möglich, daß z. B. Deutschland, infolge des Abschlusses seiner letzten bedeutenden Handelsverträge, jetzt einer kleinen wirtschaftlichen Hebung durch eine vorübergehende Vermehrung des Exports seiner Industrieprodukte entgegengeht, welche, wenn nun gleichzeitig ein größerer, überseeischer Absatzmarkt erschlossen werden würde, sich sogar zu einem nicht unbedeutenden gewerblichen Aufschwung entwickeln könnte, der aber unter keinen Umständen dauernd, sondern nur vorübergehend sein kann. Ein solcher Aufschwung wird wieder aufgehoben, erstens, sobald die Weltkonkurrenz sich des neuen Abnehmers ebenfalls bemächtigt; zweitens, sobald der Abnehmer selbst konkurrenzfähig wird; drittens, sobald durch die, infolge des Aufschwungs sich entwickelnde heimatliche Industrie, sowie durch den Fortschritt der Technik die gesamte Massenproduktion wieder steigt; und viertens dadurch, daß die fortschreitende Zinsaufspeicherung der Großkapitalisten die Konsumfähigkeit des Volkes vermindert und die Überproduktion vergrößert. Einer dieser Fälle, oder vielmehr, wie mit Sicherheit zu erwarten ist, alle vier treten nach einer gewissen Zeit ein. Diese wirtschaftlichen Schwankungen sind für Jedermann deutlich erkennbar; man soll sich aber in einer solchen Periode des Aufschwungs nicht gedankenlos dem Glauben hingeben, nun habe alle wirtschaftliche Not ein Ende. Nein, wir sind am Ende unseres Wirtschaftssystems; es muß sein Zusammenbruch naturgemäß von selbst eintreten. Unser wirtschaftlicher Untergang ist durch die Erschließung neuer Absatzmärkte wohl noch kurze Zeit aufschiebbar, aber nimmermehr dauernd zu verhindern, sondern unausbleiblich. Mit fortschreitender Kultur schreiten im Gleichschritt fort: Not, Sorge und Existenzunmöglichkeit, sowohl des einzelnen Individuums, wie des ganzen Volkes.

Es ist durchaus notwendig, daß wir uns der ganzen Größe der Gefahr, in welcher wir schweben, bewußt werden, daß wir sie rechtzeitig klar erkennen und jegliche Selbsttäuschung unterlassen; denn das rechtzeitige Erkennen einer Gefahr und das ruhige Begegnen ist schon der erste Schritt zu ihrer Überwindung. Ein Verbrechen am Volk aber wäre es, diese Erkenntnis der wahren Sachlage totzuschweigen.

Die Erde bietet, wenn verständig ausgenutzt, selbst bei bedeutend stärkerer Bevölkerung in überreicher Fülle alles, was der Kulturmensch bedarf, um ihm das Leben sorgenfrei und angenehm zu machen. Es handelt sich nur darum, den rechten Weg zu finden, der die unerschöpflichen Schätze unseres Planeten Jedem zugänglich macht und so Alle beglückt. Naturgesetzliche Hindernisse stehen dem großen Problem nicht entgegen; es ist daher unbedingt lösbar und wohl wert, daß die Besten der Nation ihre ganze Kraft für diese Lösung einsetzen. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so stehen wir schon an der Schwelle einer neuen Zeit, die auf einer höheren Kulturstufe das große Ziel erreichen wird. Jedenfalls ist es durch nichts begründet, und daher unrecht und verkehrt, gegenüber den immer größer werdenden Lasten und Sorgen die Hände untätig in den Schoß zu legen, in der Meinung, es sei die "Bestimmung" der Menschheit, ewig ein Leben voller Qual und Sorgen zu führen.

Die Lösung der hier aufgeworfenen großen Volkswirtschaftsfrage, von welcher unsere Zukunft und das Wohl und Wehe der Kulturvölker abhängt, ist, wie wir sehen werden, ohne Umsturz und ohne jede Gefährdung der heutigen Staaten und ihrer Regierungen mit Sicherheit und untrügbarem, großartigem Erfolg sofort durchzuführen.
LITERATUR Hugo Schüssler, Die Lösung der sozialen Frage, Dresden und Leipzig 1898