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(1767 - 1835) Der wahre Zweck des Menschen
Der wahre Zweck des Menschen, nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt, ist die höchste und proportionierteste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist die Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwicklung der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit der menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Freiheit eng Verbundenes, Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun einesteils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit und andernteils gibt es auch eine Art der Unterdrückung, die, statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her eine beliebige Gestalt gibt, so daß beide gewissermaßen ein und dasselbe sind. Indessen ist es der Klarheit der Ideen dennoch angemessener, beide von einander zu trennen. Jeder Mensch vermag auf einmal nur mit einer Kraft zu wirken oder vielmehr sein ganzes Weseb wird auf einmal nur zu einer Tätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einseitigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er sich auf mehrer Gegenstände verbreitet. Allein dieser Einseitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten Kräfte zu vereinen, den beinahe schon verloschenen, wie den erst künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines Lebens zugleich mitwirken zu lassen und statt der Gegenstände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft, die Verbindung mit anderen. Denn auch durch alle Perioden des Lebens erreicht jeder Mensch dennoch nur eine der Vollkommenheiten, welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschengeschlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Inneren der Wesen entspringen, muß einer dich des anderen Reichtum zu eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung ist nach der Erfahrung aller, auch sogar der rohesten Nationen z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn hier der Ausdruck sowohl der Verschiedenheit als der Sehnsucht nach der Vereinigung gewissermaßen stärker ist, so ist beides darum nicht minder stark, nur schwerer bemerkbar, obgleich eben darum auch mächtiger wirkend, auch ohne alle Rücksicht auf jene Verschiedenheit und unter Personen desselben Geschlechts. Diese Ideen, weiter verfolgt und genauer entwickelt, dürften vielleicht auf eine richtigere Erklärung des Phänomens der Verbindungen führen, welche bei den Alten, vorzüglich den Griechen, selbst die Gesetzgeber benutzten und die man oft zu unedel mit dem Namen der gewöhnlichen Liebe und immer unrichtig mit dem Namen der bloßen Freundschaft belegt hat. Der bildende Nutzen solcher Verbindungen beruth immer auf dem Grad, in welchem sich die Selbständigkeit der Verbundenen zugleich mit der Innigkeit der Verbindung erhält. Denn wenn ohne diese Innigkeit der eine den anderen nicht genug aufzufassen vermag, so ist die Selbständigkeit notwendig, um das Aufgefaßte gleichsam in das eigene Wesen zu verwandeln. Beides aber erfordert die Kraft der Individuen und eine Verschiedenheit, die, nicht zu groß, damit einer den anderen aufzufassen vermag, auch nicht zu klein ist, um einige Bewunderung dessen, was der andere besitzt, und den Wunsch rege zu machen, es auch auf sich zu übertragen. Diese Kraft nun und diese mannigfaltige Verschiedenheit vereinen sich in der Originalität und das also, worauf die ganze Größe des Menschen zuletzt beruth, wonach der einzelne Mensch ewig ringen muß und was der, welcher auf Menschen wirken will, nie aus den Augen verlieren darf, ist die Eigentümlichkeit der Kraft der Bildung. Wie diese Eigentümlichkeit durch die Freiheit des Handelns und die Mannigfaltigkeit der Handelnden gewirkt wird, so bringt sie beides wiederum hervor. Selbst die leblose Natur, welche nach ewig unveränderlichen Gesetzen einen immer gleichmäßigen Schritt hält, erscheint dem eigengebildeten Menschen eigentümlicher. Er trägt gleichsam sich selbst in sie hinüber und so ist es höchsten Verstand wahr, daß jeder immer in eben dem Grad Fülle und Schönheit außer sich wahrnimmt, in welchem er beide im eigenen Busen bewahrt. Wie viel ähnlicher aber noch muß die Wirkung der Ursache da sein, wo der Mensch nicht bloß empfindet und äußere Eindrücke auffaßt, sondern selbst tätig wird? Versucht man es, diese Ideen durch eine nähere Anwendung auf den einzelnen Menschen noch genauer zu prüfen, so reduziert sich in diesem alles auf Form und Materie. Die reinste Form mit der leichtesten Hülle nennen wir Idee, die am wenigsten mit Gestalt begabte Materie sinnliche Empfindung. Aus der Verbindung der Materie geht die Form hervor. Je größer die Fülle und Mannigfaltigkeit der Materie ist, umso erhabener wird die Form sein. Ein Götterkind ist nur die Frucht unsterblicher Eltern. Die Form wird wiederum gleichsam Materie einer noch schöneren Form. So wird die Blüte zur Frucht und aus dem Samenkorn der Frucht entspringt der neue, von neuem blütenreiche Stamm. Je mehr die Mannigfaltigkeit zugleich mit der Freiheit der Materie zunimmt, desto höher die Kraft, denn desto inniger ist der Zusammenhang. Die Form scheint gleichsam in die Materie, in die Materie die Form verschmolzen, oder, um ohne Bild zu reden, je ideenreicher die Gefühle des Menschen und je gefühlvoller seine Ideen, desto unerreichbarer seine Erhabenheit. Denn auf diesem ewigen Begatten der Form und der Materie oder des Mannigfaltigen mit der Einheit beruth die Verschmelzung der beiden im Menschen vereinten Naturen und auf dieser seine Größe. Aber die Stärke der Begattung hängt von der Stärke der Begattenden ab. Der höchste Moment des Menschen ist dieser Moment der Blüte. Die minder reizende einfache Gestalt der Frucht weist gleichsam selbst auf die Schönheit der Blüte hin, die sich durch sie entfalten soll. Auch eilt nur alles der Blüte zu. Was dem Samenkorn zuerst entsprießt, ist noch fern von ihrem Reiz. Der volle, dicke Stengel, die breiten, auseinanderfallenden Blätter bedürfen noch einer mehr vollendeten Bildung. Stufenweise steigt diese, wie sich das Auge am Stamm erhebt. Zartere Blätter sehnen sich gleichsam, sich zu vereinigen und schließen sich enger und enger, bis der Kelch das Verlangen zu stillen scheint. Indessen ist das Geschlecht der Planzen nicht von einem solchen Schicksal gesegnet. Die Blüte fällt ab und die Frucht bringt wieder den gleich rohen und gleich sich verfeinernden Stamm hervor. Wenn im Menschen die Blüte welkt, so macht sie nur jener schöneren Platz und den Zauber der schönsten birgt unserem Auge erst die ewig unerforschbare Unendlichkeit. Was nun der Mensch von außen empfängt, ist nur Samenkorn. Seine energische Tätigkeit muß es, sei es auch das Schönste, erst auch zum Segenvollsten für ihn machen. Aber wohltätiger ist es ihm immer in dem Grad, in welchem es kraftvoll und eigen in sich ist. Das höchste Ideal des Zusammenexistierens menschlicher Wesen wäre mir dasjenige, in dem jedes nur aus sich selbst und ums seiner selbst willen sich entwickelte. Physische und moralische Natur würden diese Menschen schon noch aneinander führen und wie die Kämpfe des Krieges ehrenvoller sind als die der Arena, wie die Kämpfe erbitterter Bürger höheren Ruhm gewähren als die getriebenen Mietsoldaten, so würde auch das Ringen der Kräfte dieser Menschen die höchste Energie zugleich beweisen und erzeugen. Ist es nicht eben das, was uns an das Zeitalter Griechenlands und Roms und jedes Zeitalter allgemein an ein entfernteres, hingeschwundenes so namenlos fesselt? Ist es nicht vorzüglich, daß diese Menschen härtere Kämpfe mit dem Schicksal, härtere mit Menschen zu bestehen hatten, daß die größere, ursprünglichere Kraft und Eigentümlichkeit einander begegnete und neue wunderbare Gestalten schuf? Jedes folgende Zeitalter - und in wieviel schnelleren Graden muß dieses Verhältnis von jetzt an steigen? - muß den vorigen an Mannigfaltigkeit nachstehen, an Mannigfaltigkeit der Natur, - die ungeheuren Wälder sind ausgehauen, die Moräste getrocknet usw. - an Mannigfaltigkeit der Menschen durch die immer größere Mitteilung und Vereinigung der menschlichen Werke durch die beiden vorigen Gründe. Dies ist eine der vorzüglichsten Ursachen, welche die Idee des Neuen, Ungewöhnlichen, Wunderbaren so viel seltener, das Staunen, Erschrecken beinahe zur Schande und die Erfindung neuer, noch unbekannter Hilfsmittel, selbst nur plötzliche, unvorbereitete und dringende Entschlüsse bei weitem seltener notwendig macht. Denn teils ist das Andringen der äußeren Umstände gegen den Menschen, welcher mit mehr Werkzeugen, ihnen zu begegnen, versehen ist, minder groß, teils ist es nicht mehr gleich möglich, ihnen allein durch diejenigen Kräfte Widerstand zu leisten, welche die Natur jedem gibt und die er nur zu benutzen braucht, teils endlich macht das ausgearbeitete Wissen das Erfinden weniger notwendig und das Lernen stumpft selbst die Kraft dazu ab. Dagegen ist es unleugbar, daß, wenn die physische Mannigfaltigkeit geringer würde, eine bei weitem reichere und befriedigendere intellektuelle und moralische an ihre Stelle trat und daß Gradationen und Verschiedenheiten von unserem mehr verfeinertem Geist wahrgenommen und unserem, wenngleich nicht ebenso stark gebildeten, doch reizbaren kultivierten Charakter ins praktische Leben übertragen werden, die auch vielleicht den Weisen des Altertums oder doch wenigstens nur ihnen nicht unbemerkt geblieben wären. Es ist im ganzen Menschengeschlecht wie im einzelnen Menschen gegangen. Das Gröbere ist abgefallen, das Feinere ist geblieben. Und so wäre es ohne allen Zweifel segenvoll, wenn das Menschengeschlecht ein Mensch wäre oder die Kraft eines Zeitalters ebenso wie seine Bücher oder Erfindungen auf das folgende überginge. Allein das ist bei weitem nicht der Fall. Freilich besitzt nun auch unsere Verfeinerung eine Kraft und die vielleicht jene gerade um den Grad ihrer Feinheit an Stärke übertrifft, aber es fragt sich, ob nicht die frühere Bildung durch das Gröbere immer vorangehen muß. Überall ist doch die Sinnlichkeit der erste Keim wie der lebendigste Ausdruck alles Geistigen. Und wenn es auch hier nicht der Ort ist, selbst nur den Versuch dieser Erörterung zu wagen, so folgt doch gewiß so viel aus dem vorigen, daß man wenigstens diejenige Eigentümlichkeit und Kraft nebst allen Nahrungsmitteln derselben, welche wir noch besitzen, sorgfältigst bewachen müsse. Bewiesen halte ich demnach durch das vorige, daß die wahre Vernunft dem Menschen keinen anderen Zustand als einen solchen wünschen kann, in welchem nicht nur jeder einzelne der ungebundensten Freiheit genießt, sich aus sich selbst in seiner Eigentümlichkeit zu entwickeln, sondern in welchem auch die physische Natur keine andere Gestalt von Menschenhänden empfängt, als ihr jeder einzelkne nach dem Maß seines Bedürfnisses und seiner Neigung, nur beschränkt durch die Grenzen seiner Kraft und seines Rechts, selbst willkürlich gibt. für ihre Sicherheit. Wäre es mit dem Übel, welches die Begierde der Menschen, immer über die ihnen rechtmäßig gezogenen Schranken in das Gebiet anderer einzugreifen und die daraus entspringende Zwietracht stiftet, wie mit den physischen Übeln der Natur und denjenigen, diesen hierin wenigstens gleichkommenden moralischen, welche durch ein Übermaß des Genießens oder Entbehrens oder durch andere, mit den notwendigen Bedingungen der Erhaltung nicht übereinstimmende Handlungen auf eigene Zerstörung hinauslaufen, so wäre schlechterdings keine Staatsvereinigung notwendig. Jenen würde der Mut, die Klugheit und Vorsicht der Menschen, diesen die durch Erfahrung belehrte Weisheit von selbst steuern und wenigstens ist in beiden mit dem gehobenem Übel immer ein Kampf beendigt. Es ist daher keine letzte widerspruchslose Macht notwendig, welche doch im eigentlichsten Verstand den Begriff des Staates ausmacht. Ganz anders aber verhält es sich mit den Uneinigkeiten der Menschen und sie erfordern allemal schlechterdings eine solche eben beschriebene Gewalt. Denn bei der Zwietracht entstehen Kämpfe aus Kämpfen. Die Beleidigung fordert Rache und die Rache ist eine neue Beleidigung. Hier muß man also auf eine Rache zurückkommen, welche keine neue Rache erlaubt, - und diese ist die Strafe des Staates - oder auf eine Entscheidung, welche die Parteien sich zu beruhigen nötigt, die Entscheidung des Richters. Auch bedarf nichts so eines zwingenden Befehls und eines unbedingten Gehorsams als die Unternehmungen der Menschen gegen den Menschen, man mag an die Abtreibung eines auswärtigen Feindes oder an Erhaltung der Sicherheit im Staate selbst denken. Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Frucht derselben zu genießen. Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit. Es ist aber zugleich etwas, das sich der Mensch selbst allein nicht verschaffen kann. Dies zeigen die eben mehr berührten, als ausgeführten Gründe und die Erfahrung, daß unsere Staaten, die sich doch, da so viele Verträge und Bündnisse sie miteinander verknüpfen und Furcht so oft den Ausbrauch von Tätlichkeiten hindert, gewiß in einer bei weitem günstigeren Lage befinden, als es erlaubt ist, sich den Menschen im Naturzustand zu denken, dennoch die Sicherheit nicht genießen, welcher sich auch in der mittelmäßigsten Verfassung der gemeinste Untertan zu erfreuen hat. Wenn ich daher die Sorgfalt des Staates darum von viele Dingen entfernt habe, weil die Nation sich selbst diese Dinge gleich gut und ohne die bei der Besorgung des Staates miteinfließenden Nachteile verschaffen kann, so muß ich dieselbe aus dem gleichen Grund jetzt auf die Sicherheit richten als das einzige, welches der einzelne Mensch mit seinen Kräften allein nicht zu erlangen vermag. Ich glaube daher den Grundsatz aufstellen zu können, daß die Erhaltung der Sicherheit sowohl gegen auswärtige Feinde als innerliche Zwistigkeiten den Zweck des Staates ausmachen und seine Wirksamkeit beschäftigen muß. Diese Behauptung wird auch durch die Geschichte so sehr bestätigt, daß in allen früheren Nationen die Könige nichts anderes waren als Anführer im Krieg oder Richter im Frieden. Ich sage: die Könige. Denn - wenn mir diese Abschweifung erlaubt ist - die Geschichte zeigt uns, wie sonderbar es auch scheint, gerade in der Epoche, wo dem Menschen, welcher, mit noch sehr wenigem Eigentum versehen, nur persönliche Kraft kennt und schätzt und in die ungestörteste Ausübung derselben den höchsten Genuß setzt, das Gefühl seiner Freiheit das Teuerste ist, nichts als Könige und Monarchien, - so alle Staatsverfassungen Asiens, so die ältesten Griechenlands, Italiens und der freiheitliebendsten Stämme, der germanischen. Denkt man über die Gründe hiervon nach, so wird man gleichsam von der Wahrheit überrascht, daß gerade die Wahl einer Monarchie ein Beweis der höchsten Freiheit der Wählenden ist. Der Gedanke eines Befehlshabers entsteht, wie oben gesagt, nur durch das Gefühl der Notwendigkeit eines Anführers oder eines Schiedsrichters. Nun ist ein Führer oder Entscheider unstreitig das zweckmäßigtste. Die Besorgnis, daß der eine aus einem Führer und Schiedsrichter ein Herrscher werden möchte, kennt der wahrhaft freie Mann, die Möglichkeit selbst ahnt er nicht. Er traut keinem Menschen die Macht, seine Freiheit unterjochen zu können und keinem Freien den Willen zu, Herrscher zu sein, - wie denn auch in der Tat der Herrschsüchtige, nicht empfänglich für die hohe Schönheit der Freiheit, die Sklaverei liebt, nur daß er nicht der Sklave sein will, - und so ist, wie die Moral mit dem Laster, die Theologie mit der Ketzerei, die Politik mit der Knechtschaft entstanden. Nur führen freilich unsere Monarchen nicht eine so honigsüße Sprache als die Könige bei HOMER und HESIOD. ![]() |