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WILHELM SCHUPPE
Was sind Ideen?
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"Die Notwendigkeit, daß aller Bewußtseinsinhalt ein gesetzlich in sich zusammenhängendes Ganzes ausmacht, stammt aus dem Wesen des Bewußtseins selbst. Und aus eben diesem,  genau demselben,  stammen unsere Wertschätzungen, welche mit objektiver Gültigkeit das absolut Seinsollende vom absolut Nichtseinsollenden unterscheiden."

Zweite Hälfte

Ich begann die Darstellung der Idee der Wahrheit in Anknüpfung an die Wertschätzung derselben, welche selbst nicht ihr, sondern wie eben alle Wertschätzung der Idees des Guten angehört. Auch hier kommt dieser natürliche Zusammenhang wieder zur Geltung. Denn obgleich die theoretische Anerkennung der Idee der Wahrheit begrifflich unabhängig von ihrer Wertschätzung ist, so kann sie es nach dem Wesen des Menschen doch tatsächlich nicht sein. Wenn es auch nur ein instinktives Ahnen wäre, doch müßte faktisch, wer sich theoretisch zu dieser Anerkennung gedrängt sähe, sich auch zur weiteren Überlegung und Erwägung getrieben finden und vom lebendigen Gefühl des absoluten Wertes der Wahrheit, wie sie die Idee derselben in Aussicht stellt, erfaßt werden. Der Glaube an die Wahrheit schaft auch den Respekt vor der Wahrheit und wo letzterer fehlt, scheint auch ersterer zu fehlen. In der Anerkennung des erforschbaren Objekt, nicht jedes, aber dieses, liegt unabweisbar auch die Aufforderung zu seiner Erforschung. Denn dieses erforschbare Objekt verspricht Aufklärung über das eigene innerste Wesen und seine Stellung und seinen Zusammenhang mit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und endlich zeigt die letzte Konsequenz, die wir zu ziehen haben, nämlich die absolute Unvorstellbarkeit des Zieles, welchem wir doch aus unserem tiefsten Wesen unaufhörlich zuzustreben gezwungen sind, eine Dissonanz, welche nach einer anderen Richtung hinzuweisen scheint. Ist es nicht ein Widerspruch in sich selbst, daß wir die objektive Gültigkeit der Wahrheitsliebe anerkennen müssen und doch das Ziel des zugemuteten Strebens etwas Unausdenkbares ist? Und Wenn nun dieses Unausdenkbare eben deshalb nicht anzuerkennen uns in einen unauflösbaren Widerspruch mit den unentbehrlichen Denkoperationen des täglichen Lebens setzt und wenn von den Gliedern des Widerspruches nur eines aufgehoben zu werden braucht, um den Widerspruch zu entfernen, so kann die Wahl nicht mehr fraglich sein. Die Forderungen der Wahrheitsidee sind unaufgebbar, also muß die Undenkbarkit des Zieles keine solche sein, welche den Begriff zu einem ungültigen macht, sondern bloß eine Schranke unserer gegenwärtigen Erkenntnis bedeuten. Diese Erwägung führt mit einem Schlag in alle Geheimnisse der Metaphysik bzw. der positiven Religionen, welche bekanntlich eben diesem metaphysischen Bedürfnisse dienen wollen. Wenn vorläufig gar nicht abzusehen ist, wie weit die Vervollkommnung unserer Einsicht auf allen Spezialgebieten soll getrieben werden können und wie schließlich die Einheit, welche das Ziel alles Strebens ist, aus den vervollkommneten Spezialerkenntnissen hervorgehen soll, so liegt in der Tat der oft betretene und schon zur breiten Bahn gewordene Weg nahe, am anderen Ende anzufangen und mit anderen Mitteln direkt sich des Einheitspunktes zu bemächtigen, um von ihm aus sein Verhältnis zu dieser wahrnehmbaren Welt und in diesem Verhältnis auch ihre ganze Bedeutung und ihre Einheit zu erfassen (vgl. des Verfassers "Das metaphysische Motiv und die Geschichte der Philosophie im Umrisse", Breslau 1882). Das ist der Zusammenfassung der Wahrheitsidee oder des Glaubens an die Wahrheit mit den genannten Gebieten und zugleich ergibt sich aus ihm auch das relative Recht dieser Versuche. Nicht, daß ich ihre Fortsetzung nach der alten Manier anempfehlen möchte, - wer meine Logik und Ethik kennt, wird mir das nicht zutrauen - aber die Anerkennung des Problems, welche hieraus folgt, im Gegensatz zu flacher mehr oder weniger materialistisch gefärbter Aufklärerei wünsche ich zu betonen. Grade die Idee der Wahrheit, so wie sie oben entwickelt worden ist, muß jeden Versuch metaphysischer Aufklärung zurückweisen lassen, welcher die Einzelforschung eigentlich überflüssig macht, indem ihr bloß noch die Rolle langweiligen und unfruchtbaren Nachbuchstabierens und Ausmalens desjenigen, was die Spekulation schon endgültig festgestellt hat, zufällt. Denn die Idee der Wahrheit behauptete in erster Linie diese Welt des faktischen und möglichen Bewußtseinsinhaltes als ein widerspruchsfreies System und mit ihrer Erforschbarkeit zugleich den absoluten Wert ihrer Erforschung und wenn wir es uns nicht versagen können uns von dem noch unerkannten aber der Forschung als letztes Ziel Vorschwebenden eine Vorstellung zu machen oder die Grundanforderungen und Grundrisse zu einer solchen zu entwerfen, so darf doch diese Vorstellung niemals der Einzelforschung in der Weise vorgreifen, daß die letztere überflüssig und somit wert- und bedeutungslos würde. Solche Lineamente [linienhafte Struktur - wp] auf dem Weg der Begriffsanalyse und des regulären Schließens anzustreben, soll also durchaus nicht als ein verfehltes und unnützes Unternehmen bezeichnet werden. Auch wenn es nicht von anderer Seite her ein Bedürfnis wäre, so hätte es immer schon  devn Wert oder könnte ihn wenigstens haben, die Spezialforschung nicht nur überhaupt anzuregen, ihr ihren Beruf klar zu machen, an der Lösung der höchsten Aufgabe, wenn auch noch so indirekt, mitzuwirken, sondern auch einerseits sie vor Abwegen und Einseitigen zu bewahren und andererseits ihr bestimmte Zielpunkte zu fixieren und namentlich ihr das Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit und Verwandtschaft aller Spezialgebiete, die heute so oft vergessen wird, zu erhalten. Wenn ein Spezialforscher darüber empört sein sollte, daß ihm die Zielpunkte (natürlich meine ich nicht die allernächsten) von philosophischen Versuchen einer einheitlichen Weltauffassung vorgezeichnet werden sollten, so soll er sich nur erst klar machen, daß es wenigstens bisher immer so gewesen ist und daß er in seiner vermeintlichen Unabhängigkeit bloß nicht weiß, von wem er eigentlich sein Programm hat. Es ist zum Erstaunen und gehört zu den Zeichen der Zeit, daß dieser einfache Standpunkt, den ich in der "Erkenntnistheoretischen Logik" und in der Ethik vertrete und an mehreren Stellen ausführliche erörtert habe, heutzutage so wenig Verständnis findet.

Daß die obige Darstellung vielfach Kantische Wege geht, wird niemand verkennen, der nicht gewöhnt ist, nur an einzelnen Äußerungen herumzustochern, sondern in Sinn und Geist des Ganzen und die inneren Motive einzudringen weiß. Wenn auch KANTs "Gottesidee" unhaltbar ist, so haben wir doch den Zusammenhang gesehen und wenn auch das Streben zum "Unbedingten" aufzusteigen eine handgreiflich falsche Fassung des Problems ist, so haben wir doch gesehen, welcher wichtige und unabweisbare Gedanke in diesen falschen Ausdruck gekleidet sein kann und daß die Ideen nicht "gegeben", sondern "aufgegeben" sind, hat sich in obiger Untersuchung aufs Neue bestätigt.

Demnach dürfen wir das Fazit ziehen: die im Eingang erwähnten Verehrer der Ideen als weltbewegender Mächtehaben in der Tat in Beziehung auf die Idee der Wahrheit vollständig Recht und ich bekenne mich rückhaltlos zu ihnen. Sie bezeichnet (vgl. des Verfassers "Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie", Seite 155 - 158) den Punkt der Erhebung des Menschentums über das Tierische. Wie viel auch gelogen wird und wie oft auch uneigennütziges wissenschaftliches Streben belächelt und verachtet wird, doch wirkt die Idee der Wahrheit instinktiv in den Massen und kann nicht definitiv und konsequent verleugnet werden, doch gräbt ihr Verächter, der ihre Macht nicht anerkennt und der menschlicher Dummheit und Schlechtigkeit vertrauend durch Lüge und Heuchelei und durch Verdummung zu herrschen unternimmt, sich und seiner Sache das Grab. Die Wahrheit ist nicht vertilgbar und der Glaube an sie und an ihren Sieg ist die Lebenskraft der Menschheit. Gehört sie doch zum Wesen des Bewußtseins, d. h. zu demjenigen, worin eben unsere Existenz besteht, dessen Konsequenzen zu verleugnen nur durch die eigentümlichen Bedingungen möglich wird, unter welchen das Bewußtsein sich zu entwickeln hat, aber doch immer nur als Inkonsequenz, als ein Abfall vom eigenen Wesen, der niemals absolut folgerichtig und dauernd durchgeführt werden kann. So hängt im Wesen des Menschen, der Einheit des Bewußtseins, die Idee der Wahrheit mit der des Guten zusammen.

Auch die Idee des Guten besteht im rastlosen Fortwirken und der unaufhaltsamen Konsequenz einer Funktion, welche direkt dem Bewußtsein selbst angehört. Sie ist die Wertschätzung, bestehend in den Gefühlen der Lust und Unlust. Es scheint dieses Gebiet ganz dem Subjektiven anzugehören, da, wie man sagt, über den Geschmack nicht zu streiten ist. Allein man kann wohl unterscheiden, welche Geschmacksrichtung den individuellen Differenzen angehört und welche Wertschätzung Anspruch auf objektive Gültigkeit hat. Wie es Eigentümlichkeiten der Vorstellungsverknüpfung und Reproduktion gibt, welche zum Individuellen zu rechnen sind, die logische Norm aber, wie oft auch verletzt, als objektiv gültig angesehen wird, weil sie dem Wesen des Bewußtseins, welches allen bewußten Individuen gemeinschaftlich ist, entstammt, ganz ebenso gibt es eine Wertschätzung, bzw. Wertschätzungen, - wenn wir die einzelnen Konsequenzen aus jener mitzählen, - welche dem Wesen des Bewußtseins selbst angehören und so wenig dauernd und konsequent verleugnet werden können, wie die logische Norm. Es ist die Hochschätzung der eigenen Existenz als eines bewußten Wesens und je klarer das Bewußtsein aufleuchtet, desto wirksamer und gebieterischer treten auch die Konsequenzen aus dieser ursprünglichen und fundamentalen Wertschätzung hervor, welche zunächst die Zufälle der räumlich-zeitlichen Konkretion von einem gemeinsamen Wesen unterscheiden lassen. Sie lassen das Bewußtseinskonkretum hochschätzen, insofern ja jenes Wesen eben ur in der Konkretion wirkliche Existenz im gemeinen Sinn gewinnen kann, insofern wir es nur in der Konkretion haben und wirkens sehen und nur in ihr lieben und hochschätzen und insofern diese Notwendigkeit der Konkretion in Raum und Zeit doch eben im Wesen des Bewußtseins selbst begründet sein muß und sie lassen doch andererseits, wenn wir alles, was der räumlich-zeitlichen Konkretion als solcher angehört, für sich denken, dieses dem Wesen gegenüber als das Wertlose erkennen. Die Kraft dieser Konsequenz verlangt die absolute Hochschätzung all dessen, was nocht weiter aus ihm fließt und das ist nichts Geringeres als der Inbegriff all dessen, was als sittlich gut und eben deshalb als Pflicht bezeichnet wird. Wie wunderbar auch die Menge der Verkennungen und Mißverständnisse und freventlichen Übertretungen sein mag, die logische Konsequenz ist unausweichlich und unbeugsam, dringt, wie oft auch verkannt und verleugnet, immer wieder durch, macht einen dauernden und konsequenten Abfall unmöglich und erzwingt allein aus sich die Anerkennung jeder ihrer Anforderungen von der ersten leichtesten bis zur letzten unausführbar erscheinenden mit demselben einfachen Schluß: wenn dir das Leben lieb ist und wenn du dein Leben willst, so mußt du auch dies und dies und dies usw. wollen, denn es ist in jener ersten unaufgebbaren Wertschätzung schon implizit mitgewollt. Die Idee des Guten ist die, wenn auch in ihrer Deduzierbarkeit oft verkannte, aber doch, auch geleugnet, uns immer wieder sich aufdrängende Überzeugung, daß es etwas an sich Gutes gibt und hieraus quellend eine objektiv gültige Form und daß diese Norm sich in gerader Konsequenz aus dem Grundwesen des Menschen entwickelt, als dasjenige, was der Einzelne absolut sein soll und nur aus anderen tatsächlichen Umständen, den Bedingungen seiner Entwicklung, nicht ist, daß also unser gegenwärtiges sittliches Verhalten im Ganzen nur eine schwächliche Abschlagszahlung ist und daß diese Norm als unweigerlich mitgewollt und als unverrückbares Ziel all unseres Strebens ein Verhalten hinstellt, welches wir noch nirgend in der Welt angetroffen haben und von dessen vollkommener Ausführung wir uns keine Vorstellung zu machen vermögen. Wie den Zustand vollendeter Einsicht, so können wir auch den Zustand allgemeiner absoluter sittlicher Vollkommenheit nicht mit dem empirischen Menschentum vereinen und wissen nicht, wie dann ein weiteres Fortleben der Menschheit auf der Erde gedacht werden soll. Und  doch  ist das Ziel unabweisbar, denn die logische Folgerung: "wenn du die Konsequenz nicht anerkennst, so kannst du auch das Prinzip, aus dem sie fließt, nicht anerkennen", so ist zwingend, wie jede als zwingender Beweis anerkannte deductio ad absurdum. Und wer vermöchte wohl das aufgestellte Prinzip dauernd und konsequent zu verleugnen?

So sind wir denn durch Präzisierung und Berichtigung des Begriffes "Idee" zur Anerkennung der Ideen des Wahren und Guten gelangt. Sie sind in der Tat weltbewegende Mächte, sie sind in der Tat nicht von außen durch Beobachtung gewonnen, aber doch auch nichts weniger als "angeborene" Erkenntnisse. Denn sie gehören direkt zum Wesen des Bewußtseins; wir bestehen aus ihnen und sie sind überhaupt nicht Erkenntnisse. Denn sie gehören direkt zum Wesen des Bewußtseins; wir bestehen aus ihnen und sie sind überhaupt nicht Erkenntnisse über Dinge der Außenwelt, sondern ergeben sich aus der Reflexion des denkenden und wertschätzenden Bewußtseins über sich selbst, als Bejahung desjenigen, was es bei dieser Reflexion oder als was es bei dieser Reflexion sich findet und diese Bejahung läßt sich in dem Urteil aussprechen, welches die unablässige Fortsetzung der faktisch begonnenen und nicht aufgebbaren (theoretischen und praktischen) Betätigung für möglich und absolut notwendig erklärt.

Die Idee des Schönen in gleicher Weise zu behandeln, muß ich mir hier versagen, weil ich zu diesem Zweck eine Grundlegung der Ästhetik einschieben müßte.

Aber wie aus dem entwickelten Begriff der Idee die im Eingang erwähnten Anwendungen sich ergeben, sei noch kurz erörtert.

Zunächst mag uns das Wort "Bestimmung des Menschen", welches mit der "Idee der Menschheit" verwandt ist, beschäftigen. Offenbar ist die Bestimmung des Menschen, gerade so wie seine Vervollkommnung und Vollendung, ein gänzlich nebelhafter und unlegitimierter Begriff, so lange kein Prinzip da ist, nach welchem, worin seine Vollkommenheit bestehen soll, unzweideutig und unbekrittelbar bestimmt werden kann und solange niemand weiß, wer ihm seine "Bestimmung" gegeben hat und wie überhaupt die Bestimmung eines anderen über ihn als "seine" Bestimmung angesehen werden kann.

Aber völlig berechtigt, unvermeidlich, sicher und ganz klar ist dieser Begriff, wenn wir die ursprüngliche Wertschätzung und den selbstverständlich ihr entsprechenden Willen zum Wesen des Menschen selbst rechnen dürfen und alle Vollkommenheit, zu der wir bestimmt sein sollen, in der Realisierung desjenigen, was dieser objektive Wille gebietet (siehe Grundzüge § 29) finden, und wenn alles, was er gebietet, sich nur als konsequente Durchführung des einen anerkannten Grundprinzips, als sozusagen völlig gleichartige (intensive) Vermehrung oder gleichartiges Wachstum dessen, was eben das Wesen des Menschen selbst ist, erweist.

Die "Idee der Menschheit" ist in manchen Fällen der Anwendung nichts anderes als diese Bestimmung selbst, insofern sie als das zu erreichende Ziel gedacht wird; man kann aber auch unter Berücksichtigung des empirischen Menschentums grade das meinen, daß der Mensch im Kampf mit den mehrfach erwähnten Bedingungen seiner Entwicklung zu diesem unaufhörlichen Streben durch sein eigenes Wesen bestimmt ist.

Von diesem Punkt fällt auch neues Licht auf den Sinn und Wert aller teleologischen Natur- und Geschichtsauffassung. Es ist billig, solche zu verurteilen, weil das  telos,  grade wie oben die Bestimmung, ein wollendes, also auch wertschätzendens und nach zweckmäßiger Berechnung ausführendes Subjekt voraussetzt und weder dieses selbst in seiner Existenz noch sein zweckvolles Wirken begriffen und nachwiesen werden könne. Die Teleologie heißt es dann, steht und fällt mit der metaphysischen Spekulation, bzw. Glauben an den Weltschöpfer und Regierer. Aber es kann nichts Oberflächlicheres geben als dieses Räsonnement. Denn man macht sich dabei nicht einmal den Sinn der Frage klar. Sie schließt, wie ja die Nutzanwendung handgreiflich zeigt, die Alternative ein: entweder Zwecke, welche ein weltschaffendes und lenkendes Subjekt setzt und ausführt oder blind wirkende Ursachen. Was ist das "blind wirkend"? Es hat doch nur Sinn im Gegensatz zum sehenden, d. h. zum bewußten Wirken. Also setzt man eine Notwendigkeit, welche das Spiel der Kräfte in der äußeren Natur, d. h. im bloßen Stoff beherrscht, welcher Stoff mit seinen nach absoluter Notwendigkeit wirkenden Kräften dogmatisch vorausgesetzt ist. Was Notwendigkeit und Wirken, was Kraft und was der Stoff ist, der die sogenannten Außenwelt ausmache, bleibt dabei ununtersucht. Sie werden unabhängig vom Bewußtsein voraussetzt, nicht von ihm aus gefunden und wenn es dabei überhaupt zu einer einheitlichen Auffassung kommen soll, so bleibt nur der Materialismus oder die pessimistische Metaphysik übrig. Das heißt also: der positive Gegensatz zu jeder Teleologie "keine Zwecke, nur blind wirkende Kräfte" ist konsequenter Weise ganz ebenso an metaphysische Voraussetzungen gebunden und wenn solche im ersteren Fall prinzipiell perhorresziert [abgelehnt - wp] wurden, so muß es auch in diesem letzteren Fall geschehen und dann ist die Aufrechterhaltung dieser Parole unmöglich. Es bliebe nur ein absolutes non liquet [es ist nicht klar - wp] übrig, zu welchem die Menschen schon in rein theoretischen Dingen sich schwer, in praktischen niemals verstehen.

Aber das erkenntnistheoretische Fundament hilft auch hier. Vergessen wir nicht, woher die Gewißheit stammt, daß in der Welt der Stoffe da draußen alles wirklich so gesetzlich zugeht. Nur aus dem Bewußtsein stammt diese Gewißheit, nur  weil  diese Welt Inhalt des Bewußtseins ist, nur wenn sie dies werden soll oder soll werden können, sind wir dessen gewiß. Die Notwendigkeit, daß aller Bewußtseinsinhalt ein gesetzlich in sich zusammenhängendes Ganzes ausmache, stammt aus dem Wesen des Bewußtseins selbst. Und aus eben diesem,  genau demselben,  stammen unsere Wertschätzungen, welche mit objektiver Gültigkeit das absolut Seinsollende vom absolut Nichtseinsollenden unterscheiden. Nun wären das allerdings zwei verschiedene Gebiete, die Welt des Naturlaufs mit seinen Gesetzen und unsere Lust- und Unlustgefühle. Aber wenn diese mit ihren nicht verstummenden Forderungen doch auch zum Seienden gehören, so daß auch sie im Ganzen der Welt ihren Platz erhalten müssen, so wäre der Mißklang und Widerspruch nur dann erträglich, wenn wir die erkenntnistheoretische Grundlage vergessen und die materialistische oder die pessimistische Grundlage vergessen und die materialistische oder die pessimistische Metaphysik akzeptieren. Dürfen wir jener Grundlage nicht vergessen, so ist evident: da alle Notwendigkeit und Gesetzlichkeit der blind wirkenden Kräfte nicht "ansich" besteht, sondern an den Begriff Bewußtseinsinhalt geknüpft ist, also nur aus eben demselben Grund und Wesen, dem einen unteilbaren Bewußtsein fließt, welches jene Forderungen aus sich formuliert, so kann der faktische Widerspruch des Weltlaufes mit diesen Forderungen unmöglich ertragen werden, unmöglich sozusagen das letzte Wort sein, sondern muß sich irgendwie auflösen, so muß doch diese Welt des faktischen Seins vernünftig sein, d. h. irgendwie dem absolut Seinsollenden dienen, auch wenn wir zur Zeit keine Ahnung von einem solchen Zusammenhang haben. So läßt sich "der Primat der praktischen Vernunft" auffassen.

Die anderen Anwendungen des Wortes Idee lassen sich nun leicht beurteilen. Ist das sittlich Gute eine Idee, so wird, wenn wir diesen Begriff in Einzelforderungen auflösen, welche sich auf die verschiedenen Seiten des Lebens und der Betätigung beziehen, auch jede von ihnen in demselben Sinn als eine Idee bezeichnet werden können. Wenn man nun endlich von Idealen in jeder Art von Dingen spricht, dem Ideal eines Stiefels, dem Ideal eines Hundes, dem Ideal einer Landpartei, so muß es, wenn dieser Ausdruck nicht völlig sinnlos sein soll, von jedem dieser Dinge auch eine Idee geben. Natürlich ist diese Anwendung des Wortes nur eine abgeleitete und uneigentliche. Jede bestimmte Zielsetzung entspricht der einen Anforderung des Begriffes Idee, daß sie, wie eine innere Eingebung, nicht einfah dem für alle in gleicher Weise Wahrnehmbaren entnommen ist; so in der Theorie jeder neue Gesichtspunkt, welcher der Betrachtung und Forschung bestimmte Wege weist und deshalb auch wie ein Ziel angesehen werden kann und erst recht natürlich jeder Gedanken, der einem zu schaffenden Kunstwerk im engeren Sinn zugrunde liegt. Welcher Art das Gebiet auch sein mag, in einem bestimmten Sinne sind wir ja alle gewöhnt solche Zielsetzungen Schöpfungen zu nennen, wenn wir auch recht wohl wissen, daß der Begriff des Schaffens hier nur ein relativer ist. Was auch immer den Bedürfnissen des täglichen Lebens oder der wissenschaftlichen Forschung oder der künstlerischen Betätigung dienen mag, es ist nicht willkürlich erdacht und nicht geschaffen, sondern gehört dem objektiven Sachverhalt an, der eben als Objekt der Forschung, bzw. der künstlerischen Darstellung vorausgesetzt wird (siehe Grundzüge Seite 203) und es ist nur die außergewöhnliche Schärfe des Blickes, die außergewöhnlich seine Empfänglichkeit und eigentümliche Gestaltung des Gefühlslebens, verbunden mit der Schärfe der Unterscheidung und der Herrschaft über ein reiches Material, welches den feinsten Zusammenhängen nachzuspüren befähigt, wodurch das Neue entdeckt wird, was eben deswegen Idee zu sein scheint, weil die Mittel der Auffindung in einer außergewöhnlichen den andern verborgenen subjektiven Befähigung bestehen. Bei den Kunstprodukten im weitesten Sinne, welche den Bedürfnissen des täglichen Lebens dienen, ist nun freilich von Idee nie die Rede, weil ihr Zweck nicht direkt aus dem Wesen des Denkens oder der ursprünglichen Wertschätzung stammt, sondern den Leibesbedürfnissen, den Umständen des Ortes und der Zeit und zugleich einer wandelbaren Geschmacksrichtung angehört. Doch aber spricht man von Idealen auf diesem Gebiet und wenn die Anwendung dieses Wortes auch immer eine scherzhafte ist, so muß doch auch der Scherz einen Sinn haben. Dieser liegt darin, daß der bloße Begriff einer geforderten Leistung von jeder möglichen Störung und Unvollkommenheit der Ausführung abstrahiert und indem er diese Möglichkeit vollständig ausläßt, die geforderte Leistung in absoluter Vollkommenheit denken läßt (Grundzüge Seite 3).

Sehen wir von den verfügbaren Mitteln der Ausführung ab, so fällt Idee und Begriff des Kunstproduktes zusammen. Der Unterschied stellt sich ein, wenn wir, meist aus Befangenheit in den überlieferten Vorstellungen, dabei an die Stoffe und ihre Zubereitung denken, welche gegenwärtig einzig tauglich zu sein scheinen und an die Werkzeuge und ihre Benutzung. Hier ist die Quelle aller unvermeidlichen Unvollkommenheiten, deren Möglichkeit in bestimmter Spielweite beim Begriff des Dinges mitgedacht zu werden pflegt. Hierüber und speziell über die Stellung, welche der Stoff, aus dem ein Kunstprodukt bereitet wird, im Begriff desselben hat (vgl. Erk. Logik § 137).

In dieser Analogie wird man auch allen menschlichen Einrichtungen "eine Idee" zugrunde legen können, insofern eine präzisierbare Leistung einem ganz bestimmten Bedürfnis entsprechen soll. Waber wenn wir uns an die Erfahrung halten, um den Begriff einer solchen Einrichtung, welche mit einem bestimmten Namen bezeichnet wird, zu eruieren, so spielen die Vorstellungen der Menschen mit, welche je nach ihren Bildungsgraden und nach der bestimmten Richtung, in welcher ihre Entwicklung erfolgt ist, selbst über ihre eigenen Bedürfnisse und deren Befriedigung sich sehr verschieden gestalten und so sind solche Einrichtungen bei ganzen Völkern und lange Zeiträume hindurch mit Unvollkommenheiten behaftet, welche eben der menschlichen Kurzsichtigkeit und Schwäche entspringen und von Vorstellungen beeinflußt, welche von der Idee nicht gefordert sind, ihr sogar zum Teil widersprechen.

Wenn letzteres nicht der Fall wäre, so wäre gar nicht zu begreifen, wie überhaupt von Korrekturen und Vervollkommnungen solcher Einrichtungen gesprochen werden könnte, falls sie nicht bloß die Mittel zum nächsten klar erkannten Zweck betreffen, sondern die nächsten mitgewollten Zwecke vom Standpunkt eines höheren Zwecks korrigieren und als mißverständliche dartun. So hat das bessere Verständnis der Idee der Strafe gezeigt, daß die einst vermeintlich in ihrem Interesse unternommene grausame Quälerei und Verstümmelung des Strafwürdigen gar nicht von ihr gefordert ist.

Es versteht sich von selbst, daß in diesen Anwendungen des Wortes  Idee  Begriff und Idee sich nicht so trennen, wie bei den eigentlichen Ideen. Man kann, wie ich in der Erk. Log. getan habe, was hier Idee hieß, als den eigentlich richtigen Begriff der Sache bezeichnen, insofern ja, wie oben soeben bemerkt wurde, diese Idee gewiß dem objektiv Vorhandenen angehört, nur eben daß es nur allmählich, erst im Laufe der Entwicklung sich zeigen und zwar zuerst nur dem Blick hervorragend begabter Einzelner sichtbar werden kann. Insofern also haben wir ein volles Recht eben das den eigentlichen Begriff der Sache oder ihr begriffliches Wesen zu nennen, dessen Erforschung und Erfassung dann freilich eben der steten Korrektur fähig und bedürftig ist. Dem gegenüber steht die oberflächliche Begriffsfabrikation, welche nach bekannter Vorschrift das Gleichartige in den zur Zeit erreichbaren Erfahrungen zusammenfaßt. Wenn aber überhaupt dieses Gleichartige, schon aus dem bloßen Begriff des Gleichartigen oder Gemeinschaftlichen, nicht genügen kann, die Verunreinigung mit Zufälligem und Unwesentlichem zuläßt, wenn also schon bloß wegen der Durchführung dieser Vorschrift zu einem brauchbaren Ergebnis der Unterschied des Wesentlichen vom Unwesentlichen und des Zusammengehörigen vom nur zufällig Zusammenseienden unentbehrlich ist, so ist es die Aufspürung des tiefsten inneren Zusammenhanges, welche erst ein Zusammengehören erkennen und einzig und allein über Wesentlichkeit und Unwesentlichkeit entscheiden läßt, also das, was man auch bisher Begriff genannt hat, konstituiert. Es an dieser Stelle Idee zu nennen, hatte nur den Zweck, in der eventuellen nur relativ gültigen Anwendbarkeit des Wortes die Konsequenzen seines eigentlich ursprünglichen Sinnes sehen zu lassen. Einen Unterschied zwischen Idee und Begrif könnte man nur etwa noch darin finden, daß der Begriff in seiner vollkommensten Erfassung (das Ideal des Begriffs) nicht nur jenes auch  Idee  nennbare Wesen der Sache, sondern eben aus ihm und der ganzen Menschennatur zugleich die Geschichte seiner Entstehung und Vervollkommnung und alle Möglichkeiten seiner je nach den Umständen der Zeit und des Ortes in den verschiedenen Geschlechtern sich verschieden vollziehenden Ausgestaltung, bzw. Verunstaltung und Verquickung mit Unwesentlichem begreifen läßt.

Ob und wie es auch vielleich von Naturprodukten eine Idee geben könne, haben wir nun zum Schluß zu fragen.

Der Begriff der unorganischen Stoffe besteht, wie jeder andere, im Gesetz, bzw. dem System gesetzlicher Vorgänge, durch welche unter bestimmten Umständen Gebilde von der und der Beschaffenheit entstehen und bestehen. Wenn der Kreis dieser Beschaffenheiten irgendwie modifiiert wird, so sind wir dessen gewiß, daß diese Modifikation in einer Abänderung der zusammenwirkenden Umstände ebenso naturgesetzlich begründet ist, aber nichts berechtigt uns, eine solche Modifikation als Störung oder Verunstaltung anzusehen. Für unseren Geschmack, für unsere Zwecke mag ein Stoff besser und brauchbarer sein als der andere, aber diese Brauchbarkeit für uns können wir nicht einschränkungslos als  seine  Vollkommenheit ansehen. Bei allen Kunstprodukten und entsprechend bei allen menschlichen Einrichtungen war ihr Zweck ihr Wesen; wenn wir nicht eine längst überwundene Teleologie restaurieren wollen, nach welcher jeder Stoff seine Bestimmung und mit ihr sein Wesen in seiner Verwendbarkeit für unsere Zwecke hat, so haben wir nirgends einen Anhalt dazu, die durch besondere Umstände hervorgebrachte Unverwendbarkeit oder geringere Verwendbarkeit eines sonst verwendbaren Stoffs als eine Störung, als Unvollkommenheit desselben anzusehen. Wenn ein Stück oder ein Quantum eines Stoffes als Ideal in seiner Art bezeichnet wird, was doch eine Idee desselben voraussetzt, so ist entweder jene unhaltbare Teleologie akzeptiert, indem seine Brauchbarkeit für uns seine Vollkommenheit und dieser sein Zweck seine Idee ausmacht oder die Unterscheidung erfolgt aus subjektiven Geschmacksrücksichten und überhaupt in völliger Unklarheit über den verhandelten Begriff. Doch wenn wir von der ganz allgemeinen Überzeugung ausgehen, daß das in sich zusammenstimmende Weltganze einen Sinn haben müsse, d. h. irgendwie doch dem ansich Guten dienen müsse, dann könnte auch jede Art von Stoffen und zugleich die ganze tatsächliche Verteilung derselben und jede hieraus irgendwo und irgendwann erfolgende Modifikation eines Stücks oder Quantums eines solchen ihre Bestimmung als ein Glied dieses Ganzen haben und diese Funktion als Glied des Ganzen, ihr Anteil am "Sinn der Welt" wäre seine bzw. ihre Idee. Aber diese Idee, eben nur postuliert, für uns zur Zeit unnahbar, wäre ganz verschieden vom Begriff eben dieser Dinge, welcher ja sein ganzes Wesen in der Erkenntnis und präzisen Formulierung des Gesetzes hat, nach welchem sie enstehen und verharren, sich unter den und den Bedingungen so und so ändern, bzw. vergehen. Dann ist, obgleich eine Idee von ihnen existiert, doch von keinem Ideal verselben zu sprechen. Denn wenn in diesem Sinne alles seine bestimmte Stelle hat und etwas vom höchsten Zweck Gewolltes, ihm Dienendes leistet, so ist wiederum gar kein Anhalt dafür vorhanden, irgendeine Affektion oder Abänderung, die ein Stoffteil hier oder da naturgesetzlich erleidet, als eine Störung seines Wesens oder als ein Zurückbleiben hinter seiner Idee aufzufassen.

Ganz anders verhält sich das bei allen organischen Wesen. Auch wenn wir von aller Verwendbarkeit für uns absehen, so liegt in ihnen selbst ein Maßtstab, welcher bestimmte Modifikationen, bzw. Beschaffenheiten als Störung und Krankheit oder Unvollkommenheit qualifizieren läßt. Wenn wir auch bei den Pflanzen von der Frage ihrer Beseeltheit und ob sie Lust und Unlust fühlen ganz absehen, so wissen wir doch die lebende Pflanze von der abgestorbenen zu unterscheiden und kennen die Bedingungen ihres Lebens und ihres Absterbens und können demgemäß auch einen Übergang von jenem zu diesem, können kräftiges Leben vom dem dem Tod sich näherenden unterscheiden. Bei den Tieren kommt das Gefühl der Lust und Unlust und ihr Wille zum Leben als klares ausschlaggebendes Moment hinzu.

Bei dieser Qualifizierung mancher Beschaffenheiten der Dinge als Störungen oder Unvollkommenheiten, also also nicht sein sollender, ist das Seinsollende offenbar die Existenz des Individuums, bzw. ihre Sicherung, seine Widerstandsfähigkeit gegen ungünstige Einwirkungen. Wir haben aber zu fragen, was es denn für Einflüsse sein mögen, welche die Existenz eines Pflanzen- oder Tierindividuums bedrohen oder erhalten und fördern und da erfahren wir, daß diese Wirkungsweise oder diese Fähigkeit, solche Einwirkungen aus den und den Dingen und Ereignissen zu erleiden, zum einem Gesetz fließt, welches die Art, bwz. die Gattung, zu welcher das Individuum gehört, ausmacht. Nun sind aber die tatsächlichen ungünstigen Einwirkungen, welche Abnormitäten und Unvollkommenheit aller Art hervorbringen, auch naturgesetzlich entstanden und so ist das Verhältnis zwischen diesen naturgesetzlichen Wirkungen festzustellen. Das Gesetz, welches die Arten und Gattungen ausmacht, hat konkrete Existenz natürlich nur in seiner Wirksamkeit und hat diese nur an und in den einzelnen Stoffteilen, welche sich hier und da vorfinden. Daß diese aber sich hier und da vorfinden, ist nicht aus eben diesem Gesetz zu verstehen. Gewiß geschah es nach eben diesen Gesetzen, daß an den gedachten Orten stoffliche Gebilde der und der Art entstanden, aber nicht ohne aufs Neue der Voraussetzung zu bedürfen, daß die und die Stoffteile wiederum vorher an den und den Orten vorhanden waren. Dieses immer aufs Neue vorausgesetzte eigentümliche Nebeneinander von Stoffteilchen bestimmter Art und Menge behält also für uns, wie weit wir auch zurückgehen mögen, den Charakter der bloßen nicht weiter erklärbaren Faktizität, weshalb ich es als "ursprüngliche Tatsache" bezeichnet habe (Grundzüge § 21 und 22). Wir können zwar vom Erfolg aus die Notwendigkeit derselben behaupten, weil sonst eben wir in dieser Welt nicht existieren würden, aber diese sich ganz im Allgemeinen haltende Einsicht hebt doch im Gegensatz zu den aus erkannten Naturgesetzen sich ergebenden Erklärungen den Charakter der bloßen Faktizität, welcher den unentbehrlichen Voraussetzungen jeder solchen Erklärung eines Ereignisses anhaftet, nicht auf.

Trotz aller Unverfolgbarkeit dieser Gedanken können und müssen wir also doch im Begrif genau unterscheiden, was in den Individuen hier und da aus der Notwendigkeit der ursprünglichen Tatsache stammt und was dem Gesetz der Art und Gattung angehört, welches ja freilich nur in den individuellen Stoffteilen hier und da, also zusammen mit jenem wirken und konkrete Existenz gewinnen kann. Wie dieses letztere nun zu denken ist, hat die Begriffslehre in der Erk. Log. im Allgemeinen dargetan, und könnte ich an Beispielen nur dann veranschaulichen, wenn die Botanik und Zoologie eben das nötige Material schon jetzt böten, was nicht der Fall ist. Nur auf die eine wichtige Erkenntnis habe ich hier aufmerksam zu machen, daß die Begriffe der Organismen sich nicht aus den Begriffen einfacher Erscheinungselemente, welche zusammengehörten, bilden, sondern daß sie nur unter Voraussetzung des schon gewonnenen Stoffbegriffs und seiner möglichen Arten aus den Begriffen von stofflichen Teilen, welche insofern zusammengehören, als einer die Bedingung der andern ist und jeder etwas leistet, was der Leistungen anderer als seiner Voraussetzungen bedarf, konstruiert werden können. Von diesem Standpunkt aus ist die logische Begriffslehre wohl imstande die fließenden Übergänge in der organischen Welt und die Entwicklung der Arten verstehen zu lassen, nur freilich nicht, was eben zu ihren Vorzügen gehört, ohne zugleich die Bedingungen zur Entstehung und Umbildung von Arten, welche der Weltlauf bietet, als Entwicklungsstadien eines Ganzen aufzufassen. Die angedeutete logische Lehre ist aber auf  ihrem  Weg, d. i. dem erkenntnistheoretisch-logischen Untersuchung, zum Ergebnis gelangt, daß die Begriffe der Organismen gar nicht anders als von Seiten ihrer naturgesetzlichen Entstehung konstruierbar sind und wie viel auch noch an der Ausführbarkeit fehlen mag, der Begriff der Sache ist klar: das Gesetz kann nur aussprechen, daß, "die und die Bedingungen" immer vorausgesetzt, sich lebende Wesen bilden, welche die und die Organe haben. Die Organe selbst haben ihren Begriff in der Funktion und wenn es speziellere Charakterisierung der Organe gilt, so wird auch diese nur durch Beziehung auf die Funktion geleistet und die charakteristische Eigentümlichkeit einer Art wird immer nur durch die Angabe ihrer Organe und ihrer Stellung und Gliederung und der Art, wie sie unter den gegebenen äußeren Umständen ihre Leistungen vollbringen und zusammenwirken, dargestellt werden können. Die Charakterisierung geschieht also wesentlich durch lauter Begriffe von bestimmten Leistungen, welche der Ernährung, Fortpflanzung, der Bewegung, den Sinnesempfindungen und dem höheren psychischen Leben angehören. Fassen wir nun das System einander fordernder Leistungen ins Auge, so ist nicht der mindeste Anhalt dazu vorhanden, bei der einen oder anderen in Gedanken etwas abzuziehen oder hinzuzusetzen und so müßte ein Exemplar, welches eben einschränkungslos diesen Begriff realisierte, ein "Prachtexemplar", ein "Ideal" dieser Art sein. Auch was wir vom ästhetischen Standpunkt aus in dieser Art schön nennen und was von psychischen Leistungen, welche von der Leibesorganisation bedingt sind, für sie charakteristisch ist, all das wird vollkommen, so wie es eben der dargestellte Begriff der Art verlangt und möglich macht, vorhanden sein. Ist dies ein Ideal dieser Art, so wird, was ich eben als ihren Begriff dargestellt habe, die Idee derselben sein müssen, widrigenfalls auch der Name "Ideal" unanwendbar wäre. Wenn die Idee in dieser Anwendung sich noch vom Begriff unterscheiden soll, so wäre es wieder nur darin, daß letzterer die aus der "ursprünglichen Tatsache" stammende notwendige Möglichkeit und mögliche Notwendigkeit, daß unter gewissen Umständen, deren fast immer und überall vorhanden sind, die Ausbildung und Gestaltung der Organe, bzw. einzelner von ihnen und demnach auch des ganzen Individuums die gedachten Leistungen nicht vollständig vollbringen läßt, das Exemplar also zu einem minder vollkommenen macht, mit umfaßt.

Ich erwähne auch hier, um Mißverständnissen vorzubeugen, daß ich nur den Zusammenhang aufzeigen wollte, welcher der Anwendung des Wortes Idee in diesem Fall, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll, einzig zugrunde liegen kann, ohne diese Anwendung empfehlen zu wollen. Jedenfalls müßten wir das, was in diesem Sinne die Idee umfaßt, auch zum Begriff rechnen und diesen von jener nur durch das eben angedeutete plus unterscheiden, widrigenfalls überhaupt von einem Begriff von diesen Dingen keine Rede mehr sein könnte.

Vom oben entwickelten teleologischen Standpunkt aus endlich ließe sich für jede Art und Gattung, wie sie eben der Weltlauf in seiner Entwicklung entstehen und sich umändern läßt, eine bestimmte Stelle postulieren, die sie im Ganzen einnehme. Wenn dieses Ganze in einer letzten Instanz irgendwie dem Guten dienen muß, so müssen die einzelnen Arten und Gattungen der Dinge hieran ihren Anteil haben und auch diese ihre Stelle, diese ihre Funktion könnte ihre Idee genannt werden, aber diese Anwendung des Wortes steht nicht der vorigen entgegen, sondern setzt sie voraus; denn der gedachte Zweck kann ja nur durch das Gesetz der Art realisiert werden.

Der Widerspruch, daß von diesem Standpunkt aus jede Abweichung oder jedes Zurückbleiben hinter der Idee ein partielles Nichterreichen des Zweckes, sogar eine Bekämpfung desselben wäre und daß doch von jenem allgemeinen teleologischen Standpunkt aus, von welchem ja der Zweck der Arten und Gattungen erst sein Recht und seine Geltung hat, doch auch allem Einzelnen, auch dem Bösen und dem Übel eine Stelle im Weltganzen und, - wäre es uns auch noch so unbegreilich, - ein Anteil an der Wirkung des Guten zugewiesen wird, dieser Widerspruch behebt sich sehr einfach, wenn wir die Einzel- oder Teilzwecke der Arten und Gattungen in bestimmter Relation denken, so daß sie im Ganzen zwar ein Ziel darstellen, aber nicht ausgeschlossen ist, daß doch auch alles Verfehlen desselben, wie es der Weltlauf mit sich bringt, in eben diesem unerforschlichen Plan seine Stelle und Bedeutung hätte. Viel bekannter ist uns dieser Gedanke in der Anwendung auf die "Bestimmung" des Menschen und das tatsächliche Zurückbleiben der Einzelnen hinter ihr. Da gehört die langsam mühevolle Entwicklung des Menschengeschlechts und der stete Kampf gegen das Übel und das Böse eben selbst jenem unerforschlichen Weltplan an. Eine relative Freiheit hiermit zu reimen, ist ja bekanntlich versucht worden. Über diese Frage selbst zu entscheiden, war hier nicht meine Absicht. Ich wollte nur den Begriff der Idee und die möglichen Anwendungen dieses Wortes klar machen. Auch die letztgenannte ist unter den erwähnten Voraussetzungen nunmehr verständlich. Auf die "absolute Idee" einzugehen, muß ich mir versagen, weil ich dazu meine ganze Auffassung des HEGELschen Systems auseinandersetzen und begründen müßte, was hier zu weit führen würde.
LITERATUR - Wilhelm Schuppe, Was sind Ideen?, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 82, Halle 1883