ra-2von NeumannR. Stammlervon WieserI. KornfeldR. Stolzmann    
 
EUGEN BÖHM-BAWERK
Macht oder ökonomisches Gesetz?
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"Eine störende, der Gesetzesformel widerstreitende Wirkung der außerwirtschaftlichen Motive hängt damit zusammen, daß, wie sattsam bekannt und schon oft erörtert, die  ökonomischen  Preisgesetze nur insoweit Geltung erlangen und beanspruchen können, als die Voraussetzungen, von denen sie ausgehen, in der Wirklichkeit gegeben und zwar rein, ohne entgegenwirkende Störungsursachen, gegeben sind; analog, wie z. B. die physikalischen Gesetze des freien Falls nur unter der Hypothese der  alleinigen  Wirkung der Gravitationskraft, also z. B. im luftleeren Raum zu ganz reiner und voller Wirkung kommen, während das Dazwischentreten von Störungsursachen, wie dichte Widerstandsmedien oder der Auftrieb, der von der Gasfüllung des Luftballons ausgeübt wird, zu Bewegungserscheinungen und Bewegungsgrößen führt, welche von der Formel des freien Falles abweichen oder ihr sogar widersprechen. Im Unterschied davon vollziehen sich die preisbestimmenden Einflüsse, die von der ökonomischen Macht oder ökonomischen Übermacht ausgehen, innerhalb und gemäß der von der reinen ökonomischen Theorie aufgestellten Formel: sie begründen keinen Störungs-, sondern einen Anwendungsfall der ökonomischen Preisformel."

II.

Da ich keine offenen Türen einrennen will, frage ich gar nicht erst,  ob,  sondern sehe es nach dem einmütigen Urteil aller Sachkundigen unserer Tage bereits als ausgemacht an,  daß  die Macht ein einflußreicher Faktor der Preisbildung überhaupt und der Verteilung insbesondere ist. Ich richte daher unsere erste Frage darauf, ob der Einfluß der Macht sich  innerhalb  oder aber  gegen  die ökonomischen Preisgesetze geltend macht; ob er dort, wo er auftritt, die Formeln der theoretischen Preisgesetze durchkreuzt und stört oder aber sie erfüllt. Es ist dies eine analoge Frage, wie man sie auch auf dem Gebiet der Produktion der Güter einstmals zu stellen gehabt hat: ist die unbezweifelt bestehende Macht der Menschen, durch künstliche Eingriffe die Entstehung von Gütern fördernd zu beeinflussen, eine Macht, die sich außerhalb oder gar gegen die Gesetze des natürlichen Geschehens geltend macht oder aber eine Macht, die sich nur innerhalb der Naturgesetze, im Gehorsam gegen diese und durch die Erfüllung der naturgesetzlichen Bedingungen der Güterentstehung sich zur Geltung bringen kann?

Bekanntlich ist man diesbezüglich dieser letzteren Frage vollständig einmütig darüber, daß alle "Macht des Menschen über die Natur" nur innerhalb der Naturgesetze und durch strikte Erfüllung der von diesen gestellten Bedingungen ausgeübt werden kann. Und ich glaube, daß sich, sowie die Frage nur einmal ausdrücklich und deutlich genug gestellt wird, eine gleiche Einmütigkeit in gleicher Richtung auch in unserer Frage gar nicht schwer erzielen lassen wird: auch in den Preis- und Verteilungsfragen wirkt die "Macht" offenbar nicht außerhalb oder gegen, sondern innerhalb und durch Erfüllung der ökonomischen Preisgesetze. Suchen wir dies zunächst an ein paar aller Welt geläufigen Beispielen zu illustrieren, in denen die "Macht"-Einflüsse besonders drastisch hervortreten.

Zunächst an Fällen des  Wuchers.  Was verschafft dem Wucherer jene "Macht" über den Bewucherten, die die bekannten ausbeutend hohen Wucherpreise zur Erscheinung bringt? Es sind dies keine anderen als eben diejenigen Momente, welche auch die angeblich "rein ökonomische" Theorie des Grenznutzens in der von ihr entwickelten Preisformel an die Hand gibt. Es ist dies das dringende Bedürfnis des Bewucherten, das ohne das Wuchergeschäft zu erkaufenden Deckung die Befriedigung allerwichtigster Bedürfnisse abhängt, womit in weiterer Folge der durch den abhängigen Nutzen bestimmte subjektive Wert und mit ihm die obere Grenze des möglichen Preises in die Höhe gerückt wird. Und da dem Bewucherten andererseits auch keine Konkurrenz von Anbietenden zuhilfe kommt, deren Mitbewerbung der Wucherer nur durch Unterbieten aus dem Feld schlagen könnte, so fehlt es auch an jenen tiefer liegenden, den Preis gleichfalls nach oben einengenden Grenzlinien, die im Falle der Konkurrenz die Werschätzungen der aus dem Feld zu schlagenden Wettbewerber im Angebot abgeben (13); und der Wucherer erlangt so die "Macht", durch zähe Unnachgiebigkeit seinen Preis bis knapp an die äußerste Obergrenze zu rücken, welche die hochgespannte subjektive Wertschätzung des bedürftigen Bewerbers bezeichnet.

Oder der typische Fall jedes  Monopols.  Jeder Inhaber eines vollständigen Monopols hat bekanntlich die "Macht", den Preis seines monopolisierten Artikels in einer ihm beliebigen Höhe anzusetzen. Er verdankt diese "Macht" wiederum der Existenz von Schichten einer Nachfrage von hoher und höchster Intensität, dem Dasein von Leuten, bei denen sich dringender Bedarf und hohe Kaufkraft zu entsprechender Intensität der Nachfrage kombinieren, in Verbindung mit dem soeben erläuterten Umstand, daß die Abwesenheit zu unterbietender Konkurrenten keinerlei tiefer liegene Marken setzt, welche die volle Ausnützung der intensivsten Kaufbereitschaft, falls sie dem Monopolisten beliebt, hindern würden. Aber der Umstand, daß die Monopolistenmacht in eben diesen  ökonomischen  Umständen wurzelt, setzt derselben auch gewisse wohlbekannte und oft erörterte Grenzen: der Monopolist kann den Preis doch nie höher stellen, als äußerstenfalls bis knapp an die Wertschätzung der obersten, intensivsten Nachfrageschicht und, was noch wichtiger ist, er muß immer die mit der gewählten Preishöhe verknüpfte Eingrenzung der absetzbaren Menge in Kauf nehmen. Er kann sich mit anderen Worten doch nie dem ökonomischen Gesetz entziehen, daß sich der Preis am Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage, dort, wo gleiche Quantitäten angeboten und nachgefragt sind, feststellt. Er hat dadurch, daß er sein eigenes Angebot nach Umfang und Intensität willkürlich bestimmen kann, es in der Hand, ob er jenen Schnittpunkt an einem tiefen oder an einem hohen Punkt der möglichen Preisskala aufsuchen will; aber je höher dieser Punkt, desto schmaler wird die Front der in der Nachfrage Ausharrenden, desto geringer die zu diesem Preis absetzbare Menge. Der Monopolist hat so nie eine schrankenlose Macht, sondern immer nur innerhalb der Preisgesetze eine - freilich auch so noch genug vorteilhafte - Wahl zwischen verschiedenen "ökonomisch möglichen" Preislagen. Er kann und mag diejenige wählen, bei der ihm die Kombination zwischen der Höhe des Einzelgewinns per Stück und der Zahl der beim betreffenden Preis absetzbaren Stücke den größten Gesamtgewinn verheißt; aber diese seine "Macht" kann er nicht anders, als in  Erfüllung  der Preisgesetze ausüben, indem er eben durch sein eigenes Verhalten die preisgesetzlichen Bedingungen einer bestimmten Preislage und Absatzmenge schafft - nicht aber  gegen  die Preisgesetze.

Und ebenso wie in diesen typischen Beispielsfällen steht es wohl ausnahmslos auch in jedem anderen Fall der Ausnützung einer sogenannten "ökonomischen Macht": denn nur von dieser und nicht etwa von physischer Gewalt und unmittelbarem Zwang kann in unserem ganzen Problem die Rede sein. Straßenraub oder Erpressung, Waffengewalt oder die Knechtung zum Sklaven gehören natürlich auf ein ganz anderes Blatt. Der Druck der ökonomischen Macht aber führt kein Moment in die Preisbestimmung ein, welches nicht der Art und auch der Größe nach schon in der abstrakt-theoretischen Preisformel seinen Platz gehabt hätte. Was daraus für unser Problem zu folgern ist, werde ich einen Augenblick später entwickeln. Vorerst sei noch auf einen wichtigen Unterschied hingewiesen, der in diesem Punkt zwischen den Einflüssen der ökonomischen "Macht" und dem Einfluß außerwirtschaftlicher Motive besteht.

Die Wirkung der letzteren durchkreuzt oder stört nämlich das ökonomische Preisgesetz, die Wirkung der Macht aber erfüllt es. Wo außerwirtschaftliche Motive, wie Großmut, Humanität, Klassen- oder Rassenhaß, nationale Zu- oder Abneigung, Eitelkeit, Ehrsucht und dergleichen in die Preisbildung oder Verteilung hineinspielen, können sie Preise zum Vorschein bringen, die von den nach der preisgesetzlichen Formel zu erwartenden Preisen abweichen, ja vielleicht sogar dieser Formel direkt widersprechen. Wer von einem außerwirtschaftlichen Nebenmotiv geleitet wird, aus Freundschaft oder Humanität den anderen Vertragsteil zu beschenken, mag als Käufer sogar einen Preis bewilligen, der die eigene Wertschätzung übersteigt, als Verkäufer mit einem Preis vorliebnehmen, der hinter der eigenen Wertschätzung der Ware zurückbleibt; oder wer aus Patriotismus oder Nationalitätenhaß nur bei einem Konnationalen [Gemeinschaft der Nationen - wp] kaufen will, mag Preise bewilligen, die höher liegen als Konkurrenzangebote, die aus einem fremden Lager kommen. Diese störende, der Gesetzesformel widerstreitende Wirkung der außerwirtschaftlichen Motive hängt damit zusammen, daß, wie sattsam bekannt und schon oft erörtert, die  ökonomischen  Preisgesetze nur insoweit Geltung erlangen und beanspruchen können, als die Voraussetzungen, von denen sie ausgehen, in der Wirklichkeit gegeben und zwar rein, ohne entgegenwirkende Störungsursachen, gegeben sind; analog, wie z. B. die physikalischen Gesetze des freien Falls nur unter der Hypothese der  alleinigen  Wirkung der Gravitationskraft, also z. B. im luftleeren Raum zu ganz reiner und voller Wirkung kommen, während das Dazwischentreten von Störungsursachen, wie dichte Widerstandsmedien oder der Auftrieb, der von der Gasfüllung des Luftballons ausgeübt wird, zu Bewegungserscheinungen und Bewegungsgrößen führt, welche von der Formel des freien Falles abweichen oder ihr sogar widersprechen. Im Unterschied davon vollziehen sich die preisbestimmenden Einflüsse, die von der ökonomischen Macht oder ökonomischen Übermacht ausgehen, innerhalb und gemäß der von der reinen ökonomischen Theorie aufgestellten Formel: sie begründen keinen Störungs-, sondern einen Anwendungsfall der ökonomischen Preisformel.

Daraus folgt zweierlei, was für unser Problem von Interesse ist. Es folgt  erstens,  daß wir für die Geltung der ökonomischen Preis- und Verteilungsgesetze wegen der Existenz sozialer Machteinflüsse einen Vorbehalt weder machen  müssen,  noch auch machen  dürfen.  Wir haben es nicht nötig, bezüglich ihrer ebenso wie rücksichtlich der außerwirtschaftlichen Einflüsse uns auf den resignierenden Standpunkt zu stellen, daß unsere Gesetze nur soweit gelten können, als sich jene Einflüsse nicht einmischen; daß sie nur für eine vorgestellte Welt gelten, in der solche Einflüsse fehlen, nicht aber die die Welt der Wirklichkeit, in der die sozialen Machtverhältnisse eine täglich stärker hervortretende Rolle spielen. Wir  dürfen  uns aber auch gar nicht auf diesen resignierenden Standpunkt stellen, der einerseits den Wert unserer theoretischen Gesetze, andererseits aber auch die Anforderungen an ihre Stich- und Hiebfestigkeit sehr vermindern, der uns immer die bequeme Ausflucht eröffnen würde, zu sagen, dies und das brauchen unsere ökonomischen Gesetze überhaupt nicht zu erklären.

Und das führt auf die andere, zweite Konsequenz: Wer die Einflüsse von sozialer Macht in der Erklärung der Preisbildung zur gebührenden Geltung bringen will, darf die mit sogenannten "rein ökonomischen" Momenten operierenden Gesetzesformeln nicht beiseite schieben, sondern muß sie vielmehr anerkennen und ausbilden. Er darf ihnen nicht, wie das STOLZMANN gegenüber der Preis- und Verteilungslehre der Grenznutzentheorie tut, in die Schuhe schieben, daß in diesen Formeln nur das Walten rein "natürlicher Faktoren" berücksichtigt sei und daß man daher von ihnen abgehen, sie verwerfen müsse, um auch die Wirkungen sozialer Einflüsse gebührend berücksichtigen zu können; sondern man muß sich im Gegenteil auf ihren Boden stellen und sie nur durch eine sorgfältig durchgeführte Kasuistik auch nach denjenigen Richtungen hin ausdrücklich ausbilden, in welchen die konkreten sozialen Machteinflüsse wirksam werden, deren Wirkungen auf die Preisbildung und Güterverteilung man als belangreich verfolgen will. Nicht Leugnung, sondern kasuistische Fortbildung der vermeintlich rein ökonomischen Verteilungsgesetze muß die Losung sein.

Daß die ökonomische Macht auf die Verteilungsverhältnisse nicht anders, als durch das Medium der Kategorien vom "Grenznutzen" und "subjektiven Wert" hindurch wirken kann, ist eigentlich eine gar nicht fernab liegende Erkenntnis, die ab und zu auch schon ausdrücklich ausgesprochen wurde. So z. B. unlängst von SCHUMPETER, wenn er sich gegen einen sich auf die Machtverhältnisse berufenden vagen Leitsatz von LEXIS' Verteilungstheorie mit den Worten wendet: "Der Hinweis auf die verhältnismäßige ökonomische Macht endlich leistet ansich nichts. Fragt man nämlich, worin die ökonomische Macht besteht, so kann die Antwort nur lauten: im Besitz bestimmter Güter. Und nur aus der wirtschaftlichen Rolle dieser Güter und der auf ihr beruhenden Wertbildung kann eine wirkliche Erklärung fließen." (14)

Und eigentliche wird der entscheidende Ausgangspunkt sogar von STOLZMANN selbst anerkannt, wenn er einmal sagt, daß "nicht nur ein großer Teil, sondern die  ganze wirtschaftliche Macht  der Arbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer  sich  aus der natürlichen Wirksamkeit der von ihnen hergegebenen Produktivfaktoren ableitet." (15) Er kommt nur leider von den geradlinigen Konsequenzen dieses Ausgangspunkts durch einen eigenartigen logischen Seitensprung wieder ab. Er glaubt nämlich, trotz dieses Ausspruchs den Grenzwerttheoretikern abstreiten zu dürfen, daß jene "Wirksamkeit auch das Wesen und das Maß des Wertes bestimme" und daß die im Verteilungsprozeß festgestellten Abfindungen "von der ökonomischen Wirksamkeit des betreffenden Produktionsfaktors herzuleiten" seien. (16); vielmehr werde Wert und Abfindungsquote durch die sozialen Machtverhältnisse von der Leistung des Produktionsfaktors für die technische Herstellung der Produkte ab- und einem anderen Maß zugedrängt. (17) Aber soll oder kann denn die "Leistung der Produktionsfaktoren für die technische Herstellung der Produkte", von der STOLZMANN in diesem zweiten Satz spricht, im mindesten etwas anderes bedeuten als eben jene "natürliche Wirksamkeit" derselben, von der er in seinem ersten Ausspruch "die ganze wirtschaftliche Macht" hergeleitet hat? Und wenn die beiden Wortfügungen genau dasselbe bedeuten - und offenbar auch bedeuten  müssen  - ist es dann nicht eine seltsame Logik, wenn STOLZMANN den entscheidenden Einfluß auf die Höhe der Verteilungsquoten in einem Atem der natürlichen Wirksamkeit der Produktionsfaktoren abspricht und einem erklären reinen Derivat derselben zuspricht? Ist das nicht gerade so, als wenn jemand sagen würde, es sei nicht wahr, daß die Geschwindigkeit eines Schraubendampfers von der Stärke seiner Maschine im Verhältnis zu den zu überwindenden Widerständen, der Größe der fortzubewegenden Last und dergleichen abhänge; denn sie hänge vielmehr von der Zahl der Umdrehungen der Schiffsschraube ab, die aber allerdings selbst wieder "ganz" von der Stärke der Schiffsmaschine im Verhältnis zu den zu überwindenden Widerständen abhänge?

Und auch jene Formel wird der Sache nicht gerecht, die STOLZMANN an wiederholten anderen Stellen seiner Schriften auf das Verhältnis zwischen natürlicher und sozialer Kategorie geprägt hat: daß die natürlichen Faktoren als "Bedingungen" oder "Voraussetzungen" wirken, die nur die Grenzen des Möglichen bezeichnen, während innerhalb dieser Grenzen und Voraussetzungen die sozialen Faktoren wirklich "bestimmen" und "entscheiden". (18) Zwar ist die Wirkung der ökonomischen Faktoren tatsächlich zunächst eine wesentlich nur eingrenzende: die subjektiven Wertschätzungen der Marktparteien bezeichnen wirklich zunächst nur Ober- und Untergrenzen für die mögliche Preisbildung. Aber einerseits verstärkt sich auch das "Eingrenzen" zum "Bestimmen", wenn und wo die nach unten und oben eingrenzenden Marken so zahlreich und so dicht aneinander gelagert sind, daß sie den Spielraum für die Entscheidung auf eine ganz schmale Zone oder geradezu auf einen bestimmten Punkt einengen, wie das z. B. im Fall einer lebhaften und dabei atomisierten beiderseitigen Konkurrenz der Fall zu sein pflegt.

Und andererseits wird dort, wo die ökonomischen Grenzmarken einen Spielraum lassen, durch die "Macht" eben auch noch nicht "entschieden", sondern ebenfalls nur "eingegrenzt". Wer dem Bedürftigen konkurrenzlose gegenübersteht, mag die "Macht" haben, den Preis auf irgendeinem Punkt des mutmaßlich sehr weiten Spielraums festzustellen, der zwischen dem Wert des dringend benötigten Gutes für den Bedürftigen als Obergrenze und dem Wert desselben Gutes für den nicht bedürftigen Verkäufer als Untergrenze liegt. Aber auch welchem Punkt dieser ausgedehnten Skala der Preis sich dann tatsächlich feststellt, darüber entscheidet die Machtstellung ebenfalls noch nicht für sich allein: denn bei identischer "Macht" wird der Menschenfreund dem Bedürftigen einen ganz anderen Preis stellen als der Wucherer; oder es mag auch ein verschiedener Grad von Geschick in der Führung der Verhandlungen, im Durchblicken der Position des anderen, von Zähigkeit, Geduld, von Rücksichtslosigkeit gegen die öffentliche Meinung, von Trotz und Furcht auch bei gleichem Grad der objektiven "Macht" den Preis auf eine recht verschiedene Stufe der Preisskala rücken. Wo aber etwa die  "verhältnismäßige  Macht" beider Parteien den Ausschlag schon auf einen ganz bestimmten Punkt der Preisskala lenkt, da ist es zuverlässig doch wieder nichts anderes, als das Zusammentreffen einer Mehrheit von  eingrenzenden  Einflüssen gewesen, die von beiden Seiten her den Spielraum so einengen, daß das Preisniveau dadurch bereits "bestimmt" erscheint. Es ist ja auch gar nicht anders zu erwarten: denn wenn, wie oben gezeigt, die "ökonomische Macht" überhaupt nur durch die Bestimmungsgründe der theoretischen Preisformel hindurch wirken kann, und wenn diese Bestimmungsgründe wieder nur durch vervielfältigte, einengende  Eingrenzung  "bestimmen" können, dann versteht es sich geradezu von selbst, daß auch die Macht nicht anders als durch Eingrenzung bestimmen, nicht aber eine zum "Eingrenzen" in einem grundsätzlichen Gegensatz stehende, spezifisch "bestimmende" Wirkung ausüben kann!

Aus dem Gesagten wird aber endlich auch ersichtlich, daß und warum wir bei der Behandlung dieser Fragen nicht mit den alten Schlagworten von "rein ökonomischen" und "historisch rechtlichen" und "sozialen Kategorien", wie STOLZMANN zu sagen liebt, ein Auskommen finden zu können. Diese Schlagworte haben zu ihrer Zeit immerhin ihre Schuldigkeit getan. Sie haben, im Groben wenigstens, auf Unterschiede aufmerksam gemacht, auf die man sicherlich  auch  Acht haben muß und sie haben insbesondere der älteren Einseitigkeit, die auch im ökonomischen Leben überall nur "reine Naturgesetze" walten sah, ein wohlverdientes Ende bereiten geholfen. Aber sie spielen in der theoretischen Erklärung der Preis- und Verteilungsphänomene doch nicht diejenige Rolle, die ihre Urheber ihnen zuschreiben. Sie legen überhaupt keine glatte, scharfe Teilungslinie durch die sozialwirtschaftlichen Phänomene, weil sich in diesen immer und überall beides zusammenmischt. Irgendein "historisch-rechtlicher" oder "sozialer" Einschlag ist in jedem sozialwirtschaftlichen Phänomene so allgegenwärtig, daß für eine entgegengesetzte "reine" Kategorie einfach gar nichts übrig bleibt. Es gibt buchstäblich  keinen  Preis und  keine  Verteilung - außer durch Straßenraub und dergleichen - ohne historisch-rechtlicher" oder "sozialer" Einschlag ist in jedem sozialwirtschaftlichen Phänomene so allgegenwärtig, daß für eine entgegengesetzte "reine" Kategorie einfach gar nichts übrig bleibt. Es gibt buchstäblich  keinen  Preis und  keine  Verteilung - außer durch Straßenraub und dergleichen - ohne historisch-rechtlichen Einschlag. Es muß ja doch in jeder zivilisierten Gesellschaft irgendeine Rechtsordnung geben, die in Anwendung tritt, wo zwei Gesellschaftsglieder zueinander in Beziehung treten und die darum auch, wie immer sie beschaffen sein mag, Inhalt und Form jener Berührung irgendwie beeinflußt. Man sagt daher entweder zuwenig oder zuviel, wenn man die Verteilungserscheinungen für die "soziale Kategorie" - im Gegensatz zur "natürlichen" - reklamiert. Es ist entweder eine leere Banalität, die für jede volks- oder sozialwirtschaftliche Erscheinung ohne Ausnahme schon nach dem Begriff derselben zutreffen muß: - auch schon z. B. "tauschen" kann ja natürlich nie ein ROBINSON mit sich selbst, sondern nur ein Gesellschaftsglied mit einem anderen Gesellschaftsglied, falls beide nach der Rechtsordnung an den zu vertauschenden Gütern Eigentum haben können -; oder aber, die Behauptung schießt über das Ziel, wenn sie mehr als jene banale Selbstverständlichkeit besagen will. So schießt z. B. RODBERTUS über das Ziel, wenn er den Kapitalzins in dem bekannten nachdrücklichen Sinn als die spezifische Frucht der bestehenden konkreten Gestalt der Rechtsordnung hinstellt und eine "rein ökonomische" Fundierung desselben leugnet; und so schießt auch STOLZMANN über das Ziel, wenn er die soziale Kategorie allein über die Verteilung "entscheiden" läßt und wenn er eine Verteilungstheorie, die auch die ökonomischen Grundlagen der sozialen Macht zu ihrem Recht kommen läßt, wie die Zurechnungstheorie der Grenzwertschule, irrig beschuldigt, sie wolle reine Naturgesetze der Verteilung lehren. Die genauere Analyse der "sozialen Macht" führt vielmehr notgedrungen quer über den Teilungsstrich zwischen "sozialer" und "natürlicher Kategorie" hinüber; sie hat hüben und drüben desselben zu schaffen. Die "soziale Macht" ist nicht ein Destillat, in dem sich die Einflüsse der "sozialen Kategorie" völlig rein widerspiegeln würden; und die von STOLZMANN als extrem naturalistische gescholtenen Darstellungen der Grenzwerttheorie wieder sind ebensowenig ein unvermischtes Destillat aus Einflüssen der natürlichen oder rein ökonomischen Kategorie allein; sie haben vielmehr überall den Einfluß der "Daten" einer gegebenen oder vorausgesetzten Rechtsordnung in sich mit aufgenommen. Sie sind darum auch fähig, bei gehöriger Ausarbeitung den ganzen Einfluß der sozialen Macht zum Ausdruck zu bringen - und es bleibt dabei doch wahr, daß die Preise durch die auf dem Grenznutzen basierenden subjektiven Wertschätzungen begrenzt und mittels dieser Begrenzung auch mehr oder weniger genau bestimmt werden; und es bleibt ebenso wahr, daß der Wert der Produktivgüter auf nichts anderem als auf dem Wert der aus ihnen entspringenden Produkte beruth und in letzter Linie also auch der Wert der Produktionsfaktoren auf der ihnen nach Maßgabe ihrer Mitwirkung zur Produktion zuzurechnenden Quote des Produktes.

"Soziale Macht" und "soziale Kategorie" sind daher keine Synonyma. In den letzteren Ausdruck sowie in sein Widerspiel der "natürlichen" oder "rein ökonomischen" Kategorie sind aber schon so viele Unklarheiten und Mißverständnisse hineingegossen worden, daß ich im Interesse einer klaren Auseinandersetzung am liebsten auf ihren Gebrauch völlig verzichten möchte. Wo ich mich - in dieser sowie in vorangegangenen Schriften - bisher ihrer bediente, geschah es nicht so sehr, weil sie Bestandteile meines eigenen Wortschatzes gewesen wären, als vielmehr deshalb, weil ich einer eingebürgerten Terminologie nicht gut ausweichen konnte und weil ich, um mich verständlich zu machen, zunächst sozusagen die Sprache derjenigen reden mußte, mit deren Meinung ich mich auseinanderzusetzen hatte; ich habe es aber auch schon bei früheren Gelegenheiten an Vorbehalten in dieser Richtung nicht fehlen lassen. (19)

Und nun will ich einige Gedanken darüber vorzulegen versuchen, in welcher Richtung die bisherige ökonomische Theorie einen Ausbau erforderlich macht, um auch die Einflüsse der Macht in ihre Erklärung geordnet einzufügen.
LITERATUR - Eugen Böhm-Bawerk, Macht oder ökonomisches Gesetz?, Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 23, Wien 1914
    Anmerkungen
    13) Siehe meine Positive Theorie des Kapitals, 3. Auflage, Seite 373
    14) Literaturbericht in Bd. 21 dieser Zeitschrift, 1912, Seite 284. Ähnlich auch OSWALT gegen LIEFMANN in der Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Neue Folge, IV. Jahrgang, Seite 390.
    15) STOLZMANN, Der Zweck in der Volkswirtschaft, Seite 758
    16) STOLZMANN, ebenda, Seite 758 und 765
    17) STOLZMANN, Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaftslehre, Seite 338: "Nicht was ein Faktor im Dienst der technischen Herstellung der Produkte leistet, sondern was dem Menschen, in dessen Eigentum der Faktor steht, für die Hergabe desselben als Ertragsdividende herausgegeben werden kann und muß, ist für den Umfang jener Zurechnung entscheidend."
    18) Siehe oben Anmerkung 10
    19) Siehe z. B. meine "Positive Theorie", 3. Auflage, Seite 125, Note 2 und Seite 129, Note 2. Meine ebenda Seite 586 abgegebene positive Erklärung, daß der Kapitalzins eine  ökonomische  Kategorie sei, war ebenfalls der RODBERTUSschen Terminologie angepaßt und ist selbstverständlich mit all den sachlichen Erörterungen zu verstehen, die diesem Ausspruch im ganzen betreffenden Abschnitt (Seite 579f) beigegeben wurden.