ra-2Gide / RistWesen und Preis der Arbeit    
 
ANTON MENGER
Das Recht auf den
vollen Arbeitsertrag

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    Vorrede / Einleitung
§ 1a Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag
§ 1b Das Recht auf Existenz
§ 1c Das Recht auf Arbeit
§ 2. Die deutsche Rechtsphilosophie
§ 3. William Godwin
§ 4. Charles Hall
§ 5. William Thompson
§ 6. Der Saint-Simonismus
§ 7. Pierre-Joseph Proudhon
§ 8. Rodbertus
§ 9. Marx
§ 10. Louis Blanc und Lassalle

"Niemand hat nachdrücklicher als Proudhon hervorgehoben, daß das arbeitslose Einkommen, welches die Grund- und Kapitaleigentümer beziehen, nur eine Folge der ihnen von der Rechtsordnung eingeräumten Machtstellung ist. Solange aber diese Machtstellung dauert, kann das arbeitslose Einkommen durch keine Einrichtung des Kredits, wie fein dieselbe auch ausgesonnen sein mag, beseitigt werden."

"Rodbertus erklärt, daß die Unrechtmäßigkeit von Grundrente und Kapitalgewinn nach natürlichem Recht nicht zu bezweifeln sei; daß das arbeitslose Einkommen (Grundrente und Kapitalgewinn) den Arbeitern durch das positive Recht entzogen und anderen zugewendet werde und daß letzteres, wie es sich von jeher mit der Gewalt koaliert habe, diese Entziehung auch nur durch fortgesetzten Zwang durchsetze; daß der Eigentumsbegriff fortwährend falsches Maß und Gewicht mit sich geführt habe."

"Zum Zweck des Arbeitsgeldes ist in jedem Gewerk  der normale Zeitarbeitstag  festzustellen und überdies muß auch noch in jedem Gewerk  das normale  Arbeitswerk eines solchen Zeitarbeitstages festgesetzt werden, d. h. diejenige Quantität, Werk oder Leistung, die ein mittlerer Arbeiter bei mittlerer Geschicklichkeit und mittlerem Fleiß während eines solchen Zeitarbeitstages in seinem Gewerbe zu liefern imstande ist. Dieses mittlere Maß von Leistung während eines Tages oder einer Stunde würden nun als Werteinheit dienen und nur dieses Maß würde der Arbeiter bescheinigt erhalten, gleichviel ob er darauf mehr oder weniger Zeit verwendet hat."

"Wenn man eine Stunde Schusterarbeit einer Stunde Weberarbeit gleichsetzt, so kann ein solches Wertsystem allerdings nicht vorwärts helfen, denn es ist dann ein allgemeines Prämierungssystem der Faulheit, ganz abgesehen von dem in der Tat kindischen Versuch, ein solches System fakultativ wie eine Aktiengesellschaft gründen zu wollen."


§ 7. Proudhon

Den Grundgedanken der Saint-Simonisten, daß jedes arbeitslose Einkommen, mag es in der Gestalt von Grundrente oder Kapitalgewinn bezogen werden, ein Unrecht gegen die arbeitenden Klassen ist, hat auch PROUDHON (1) festgehalten. Nur ist seine Kritik der bestehenden Zustände viel energischer, seine Ausdrucksweise viel schroffer als jene der Saint-Simonisten. Man merkt am Ton seiner Schriften sofort, daß seine Polemik schon einen mächtigen Resonanzboden in den unzufriedenen Arbeitermassen besitzt. Origineller als in seiner Kritik ist PROUDHON in den praktischen Maßregeln, welche er zur Beseitigung des arbeitslosen Einkommens vorschlägt, obgleich auf sein Projekt einer Volksbank, wovon unten die Rede sein wird, die Arbeitstauschbank OWENs in London (siehe unten § 8) und die Tauschbank MAZELs in Marseille (1829-1845) nicht ohne Einfluß geblieben sein mögen.

Gleich zu Anfang seines ersten Hauptwerkes über das Eigentum beantwortet PROUDHON die Frage: "Was ist das Eigentum?" durch die bekannte Formel: "Das Eigentum ist Diebstahl" (La propriété c'est le vol). In ähnlicher Weise hatte sich übrigens in Bezug auf das Eigentum schon im Jahre 1780 der spätere Führer der Girondisten, BRISSOT, in seiner Schrift über das Eigentum und den Diebstahl, ferner BABEUF im Tribun du peuple geäußert. PROUDHON setzt das Unrecht, welches nach seiner Ansicht im Bestand des Eigentums liegt, sehr ausführlich auseinander, nennt das Eigentum mörderisch, tyrannisch und erklärt es aus allen diesen Gründen für "unmöglich".

Auch das Recht der Arbeiter auf den vollen Arbeitsertrag - die positive Kehrseite dieser heftigen Kritik des Privateigentums - ist bei PROUDHON klarer als bei den Saint-Simonisten ausgesprochen. PROUDHON behauptet - und er glaubt damit etwas Neues auszusprechen - daß der Arbeiter, selbst nach Empfang des Lohnes, ein natürliches Eigentumsrecht an der von ihm produzierten Sache behält. Sieht man von der unjuristischen Ausdrucksweise ab, deren sich PROUDHON hier wie an zahlreichen anderen Stellenn seiner Werke bedient, so erscheint gleich in seinem ersten Hauptwerk das Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag ausgesprochen.

Eine einfache Konsequenz dieses Standpunktes ist es nun auch, daß PROUDHON in seiner Schrift über die Tauschbank (1849) alles arbeitslose Einkommen für ein Unrecht erklärt und es als eine bloße Steuer hinstellt, welche die Grund- und Kapitaleigentümer, ohne persönliche Gegenleistung, kraft ihrer gesetzlichen Machtstellung von den arbeitenden Klassen erheben, um diesen überhaupt nur die produktive Arbeit zu gestatten. Er will in dieser Schrift die gefährliche Formel: La propriété c'est le vol, welche er vor fast einem Jahrzehnt aufgestellt hatte, nicht wiederholen, aber er erhebt gleichwohl gegen das Eigentum mit allen seinen Konsequenzen feierlichen Widerspruch.

PROUDHON ist also ein heftiger Gegner des Privateigentums in seiner heutigen Gestalt, er hält aber auch jede Gattung der Gütergemeinschaft, auf welche der Sozialismus nach seiner Ansicht schließlich hinausläuft, für utopisch und verwerflich und er will deshalb die Individualwirtschaft und die freie Konkurrenz aufrecht erhalten. Die Mittel, um diese scheinbar widerstreitenden Ansichten zu vereinigen, soll ihm der Kredit bieten.

Schon in seinem Systéme des Contradictions économiques (1846 hatte PROUDHON - allerdings ziemlich dunkel - eine neue Lösung des sozialen Problems im angedeuteten Sinn versprochen. Die Ereignisse des Jahres 1848 nötigten ihn, sein Projekt in der Form von Broschüren und Zeitungsartikeln dem Publikum vorzulegen, während er ursprünglich die Absicht hatte, alle seine Vorschläge in einem Werk unter dem Titel "Programme de l'association progressive, solution du probléme du proletariat" darzustellen und wissenschaftlich zu begründen.

Im wesentlichen bestehen die Vorschläge darin, daß eine Tausch- oder Volksbank (Banque d'exchange, banque du peuple) gegründet werden soll, welche es ermöglichen würde, zinslose Darlehen zu geben (gratuité du crédit). Diese Unentgeltlichkeit des Kredits würde dann, wie PROUDHON mit Recht behauptet, zur notwendigen Folge haben, daß auch Grundrente und Kapitalgewinn verschwinden müßten. Denn wer wird diese Steuern an die Grund- und Kapitaleigentümer entrichten, wenn die Unentgeltlichkeit des Kredits ihm die Möglichkeit eröffnet, sich mit einem zinslosen Darlehen Grundstücke, Häuser und Fabriken jederzeit selbst anzuschaffen? Mit anderen Worten: Ist die Unentgeltlichkeit des Kredits durch irgendeine Kombination verwirklicht, so ist damit auch das ganze arbeitslose Einkommen beseitigt und auf diese Weise die soziale Frage unter Aufrechterhaltung des Privateigentums und der Individualwirtschaft gelöst.

Wie aber gedenkt PROUDHON einen Erfolg von so unabsehbarer Tragweite herbeizuführen? Auf eine sehr einfache Weise! Die Unentgeltlichkeit des Kredits wird nämlich durch ein von der Volksbank ausgegebenes Papiergeld bewirkt, welches den Namen Bons de circulation führt und das alle Mitglieder der Bankgesellschaft bei Zahlungen anzunehmen verpflichtet sind. Die Volksbank braucht die Bons nicht in klingender Münze einzulösen, vielmehr enthält der Bon nur eine Anweisung an die Mitglieder der Bankgesellschaft, dem Inhaber Waren und Dienste bis zu einem bestimmten Betrag zu liefern. Die Bons de circulation unterscheiden sich also nicht wesentlich von uneinlöslichen Bank- oder Staatsnoten mit Zwangskurs, nur sollte eben der  gesetzliche  Zwangskurs durch eine  vertragsmäßige  Verpflichtung der Genossen zur Annahme der Bons ersetzt werden.

Der entscheidende Punkt ist selbstverständlich, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen solche Bons von der Bank an die Mitglieder abgegeben werden. Ein Höchstbetrag der Bons wird von PROUDHON nicht festgesetzt, sie waren vielmehr nach seiner Absicht beliebig vermehrbar. Was aber die Bedingungen betrifft, unter welchen die Bank den Teilnehmern die Bons abgeben sollte, so stehen die Statuten der Volksbank mit den theoretischen Ausführungen PROUDHONs nicht recht im Einklang. In der Broschüre, in welcher er die Tauschbank zuerst empfahl, machte er die weitestgehenden Versprechungen; er behauptet, durch seine Vorschläge würde dem Kredit eine so umfassende Grundlage gegeben, daß ihn keine Inanspruchnahme erschöpfen könne und es werde dadurch ein Absatz geschaffen, dem die Produktion niemals genügen werde. Die Abschaffung des Metallgeldes, der Steuern, der Zöle, der Staats- und Hypothekenschulden sollte eine der ersten Konsequenzen des neuen Kreditsystems bilden. Daß zur Erreichung dieser Zwecke die Emission [Kapitalerhöhung - wp] einer ungeheuren Masse von Bons erforderlich wäre, liegt auf der Hand. Wie könnte auch sonst PROUDHON annehmen, daß die Volksbank die Unentgeltlichkeit des Kredits und die Beseitigung des arbeitslosen Einkommens bewirken werde?

Nach den Statuten der Volksbank sollten dagegen die Bons vorerst nur gegen bares Geld und zur Eskomptierung [selbsterfüllende Prophezeiung - wp] von guten Handelspapieren abgegeben werden. Später sollte die Bank zwar weniger streng vorgehen, immerhin aber bei der Eskomptierung von Forderungen die gewöhnlich von den Bankiers beobachteten Vorsichten anwenden. Die wichtigste dieser Vorsichten besteht aber bekanntlich darin, daß die Kreditnehmer  zahlungsfähig  sein, d. h. den besitzenden Klassen angehören müssen.

Auch die Unentgeltlichkeit des Kredits wurde durch die Statuten der Volksbank nicht verwirklicht. Prinzipiell war zwar die Zinslosigkeit der von der Bank gewährten Darlehen ausgesprochen, vorläufig aber sollten die Bons nur gegen Zinsen von 2 % abgegeben werden. Später sollte dieser Zinsfuß herabgesetzt werden, jedoch nicht unter 1/4 %, welcher Betrag die Gebühr für die Dienstleistungen der Bank darzustellen hatte.

Die Volksbank PROUDHONs kam nicht zustande, weil das erforderliche Aktienkapital (50 000 Francs) nicht eingezahlt worden war und PROUDHON, wegen seiner Verurteilung zu einer längeren Gefängnisstrafe, die Leitung des Instituts nicht übernehmen konnte. Aber wenn sie auch ins Leben getreten wäre, so hätte sie die Hoffnungen ihres Urhebers gewiß niemals erfüllt. Denn wenn die Bankleitung die Bons in sehr großer Menge und ohne Rücksicht auf die Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer abgab, so war eine ins Ungemessene gehende Entwertung dieses Papiers unvermeidlich. Eskomptierte dagegen die Bank nur die Forderungen von zahlungsfähigen Personen - und das scheint in der Tat nach den Statuten der Volksbank zuletzt die Absicht PROUDHONs gewesen zu sein - so mußte die Zirkulation der Bons nur eine sehr beschränkte bleiben, die Unentgeltlichkeit des Kredits oder gar die Beseitigung des arbeitslosen Einkommens konnte niemals eintreten, ja die ökonomische Übermacht der zahlungsfähigen, d. h. der besitzenden Volksklassen mußte durch die Volksbank (wie durch alle anderen Banken) geradezu gesteigert werden.

An die Stelle der kommunistischen Utopien, welche PROUDHON mit so großer Entschiedenheit bekämpft, hat er selbst also eine  privatwirtschaftliche  Utopie von der krassesten und augenfälligsten Undurchführbarkeit gesetzt. Niemand hat nachdrücklicher als PROUDHON hervorgehoben, daß das arbeitslose Einkommen, welches die Grund- und Kapitaleigentümer beziehen, nur eine Folge der ihnen von der Rechtsordnung eingeräumten Machtstellung ist. Solange aber diese Machtstellung dauert - und PROUDHON will in dieser Beziehung keine Änderung vornehmen - kann das arbeitslose Einkommen durch keine Einrichtung des Kredits, wie fein dieselbe auch ausgesonnen sein mag, beseitigt werden.


§ 8. Rodbertus

In der neuesten Zeit hat sich zwischen den Anhängern von MARX und RODBERTUS ein lebhafter Streit über die Originalität der sozialistischen Grundideen dieser beiden Schriftsteller erhoben. Schon RODBERTUS hatte in einem seiner Briefe an Dr. RUDOLF MEYER (2) erklärt, "daß er sich heute bei SCHÄFFLE und MARX geplündert finde, ohne daß er genannt werde". Und in einem anderen Brief sagt RODBERTUS: "Woraus der Mehrwert der Kapitalisten entspring, habe ich in meinem dritten sozialen Brief im wesentlichen ebenso wie MARX, nur viel kürzer und klarer gezeigt." Andererseits versichert uns ENGELS in einer von MARX selbst gebilligten Schrift, daß dieser die "große Entdeckung" des Mehrwertes gemacht und daß erst dadurch der Sozialismus sich in eine Wissenschaft verwandelt habe. Seither ist die Frage, welcher von den beiden Schriftstellern dem anderen seine wichtigsten Ansichten entlehnt hat, oft besprochen worden. Die Wahrheit ist, daß sowohl RODBERTUS als auch MARX ihre grundlegenden Theorien aus den älteren Sozialisten und zwar der erste vorzüglich aus PROUDHON und den Saint-Simonisten, der letztere namentlich aus WILLIAM THOMPSON geschöpft hat. Der ganze Prioritätsstreit, der nicht ohne einen gewissen komischen Beigeschmack ist, hätte niemals entstehen können, wenn RODBERTUS und MARX sich nicht mit gleicher Sorgfalt gehütet hätten, dem Publikum die Quellen ihrer Ansichten mitzuteilen.

RODBERTUS teilt das Einkommen jedes Einzelnen in Arbeitslohn und in Rente ein, je nachdem die Bezugsberechtigten "entweder durch ihre unmittelbare Mitwirkung bei der Produktion oder nur durch einen gelegentlichen Besitz dazu berechtigt sind. Die Rente ist daher dasjenige Einkommen, das jemand aufgrund seines Besitzes, ohne daß er deshalb selbst zu arbeiten brauchte, bezieht." (3) Diese Unterscheidung findet sich und zwar fast wörtlich schon in älteren Nationalökonomen und Sozialisten vor.

Wie entsteht aber das arbeitslose Einkommen, die Rente (Saint-Simonismus, Rodbertus), der Mehrwert (Thompson, Marx) ? Der Grund dieser Erscheinung liegt nach der Ansicht von RODBERTUS in der geltenden Rechtsordnung, speziell im Grund- und Kapitaleigentum. "Denn das positive Recht", sagt RODBERTUS, erklärt den Boden und das Kapital als einzelnen Individuen ebenso eigentümlich zustehen, als dem Arbeiter die Arbeitskraft. Dadurch sind die Arbeiter, um nur überhaupt produzieren zu können, gezwungen, in eine Verbindung mit den Besitzern des Bodens und des Kapitals einzugehen und sich das Arbeitsprodukt mit diesen zu teilen ... Diese Verbindung ändert nichts an den natürlichen produktiven Elementen aller Güter,  sondern  beseitigt nur ein gesellschaftliches Hindernis dieser Produktion, das willkürliche quod non [Gibt's nicht! - wp] der Grund- und Kapitaleigentümner und beseitigt dies durch eine Teilung des Produkts." Gerade so und zwar fast wörtlich wird die Entstehung der Rente oder des Mehrwertes von PROUDHON, LOUIS BLANC und auch schon früher von den Saint-Simonisten erklärt.

Daß Grundrente und Kapitalgewinn dem  einzelnen  Grund- und Kapitaleigentümer nicht etwa wegen der produktiven Eigenschaften des Bodens und der Kapitalgegenstände, sondern infolge der gesetzlichen Machtstellung zufließen, welche ihm das Grund- und Kapitaleigentum verleiht, ist der entscheidende Punkt. Die Folgerungen für die einzelnen Zweige des arbeitslosen Einkommens, insbesondere für die Grundrente einerseits, den Kapitalgewinn andererseits, ergeben sich von selbst und RODBERTUS stimmt auch in Bezug auf beide mit PROUDHON im wesentlichen überein.

Die Ansichten, welche RODBERTUS über das Wesen und die Entstehung des arbeitslosen Einkommens vorträgt, sind also schon vor ihm nicht nur bei den älteren englischen Sozialisten (§ 3 - 5), sondern auch von den Saint-Simonisten und von PROUDHON ausgesprochen worden. Direkt hat RODBERTUS ohne Zweifel aus den französischen Sozialisten geschöpft, die er in seinen Schriften oft erwähnt, während die älteren englischen Schriftsteller in Deutschland nur wenig bekannt geworden sind.

Fragen wir nun, welche Stellung RODBERTUS zum Eigentum und dem Recht auf den vollen Arbeitsertrag einnimmt, so werden wir dieselbe nur als eine sehr schwankende und unbestimmte bezeichnen können, eine Erscheinung, die sich übrigens bei allen konservativen Sozialisten wiederholt. RODBERTUS erklärt im dritten sozialen Brief, daß er das Erbrecht für eine gerade so wohl begründetes Recht halte als das Eigentum und daß er den Begriff des Eigentums für so wohl begründet halte, als überhaut ein Recht sein kann. Dagegen äußert sich RODBERTUS im vierten sozialen Brief, der erst nach seinem Tod herausgegeben wurde, über die bekannte Formel PROUDHONs (Eigentum ist Diebstahl) folgendermaßen: "Wenn Grund- und Kapitaleigentum deshalb Diebstahl ist, weil es den Produzenten einen Teil ihres Produktwertes raubt, Sklaverei deshalb Mord, weil sie den Menschen um seine freie Entwicklungsfähigkeit bringt, so herrscht selbst in demokratischen Institutionen, die bei Grund- und Kapitaleigentum, auch für den Arbeitslohn den  freien Verkehr  beibehalten, nicht bloß Diebstahl, sondern auch Mord. Denn solange die Arbeiter, sogar in ihrem Produktteil, von den Früchten der zunehmenden Produktivität ausgeschlossen sind, werden sie auch sicherlich um ihre freie Entwicklungsfähigkeit gebracht." Trotz aller Vorbehalte, die RODBERTUS macht, ist der Gegensatz dieser beiden Ansichten über die Berechtigung des Grund- und Kapitaleigentums nicht zu verkennen.

Übrigens finden sich auch schon in den früheren Schriften von RODBERTUS manche Andeutungen, daß er gegen die Rechtmäßigkeit des Grund- und Kapitaleigentums Bedenken hatte. So wenn er erklärt, daß die Unrechtmäßigkeit von Grundrente und Kapitalgewinn nach natürlichem Recht nicht zu bezweifeln sei; daß das arbeitslose Einkommen (Grundrente und Kapitalgewinn) den Arbeitern durch das positive Recht entzogen und anderen zugewendet werde und daß letzteres, wie es sich von jeher mit der Gewalt koaliert habe, diese Entziehung auch nur durch fortgesetzten Zwang durchsetze; daß der Eigentumsbegriff fortwährend falsches Maß und Gewicht mit sich geführt habe, usw.

Diesem unklaren prinzipiellen Standpunkt entsprechen auch die praktischen Vorschläge, welche RODBERTUS zur Beseitigung der nachteiligen Wirkungen des arbeitslosen Einkommens in seiner heutigen Gestalt gemacht hat. Schon in den "Fünf Theoremen" hatte RODBERTUS im Anschluß an ältere Nationalökonomen und Sozialisten die Ansicht aufgestellt, daß die Arbeiter infolge des Grund- und Kapitaleigentums vom gesamten Nationaleinkommen nicht mehr erhalten als den notwendigen Unterhalt (das eherne Lohngesetz LASALLEs), während den Grund- und Kapitalbesitzern der ganze Rest in der Form von Grundrente und Kapitalgewinn zufällt. Da also der Arbeitslohn eine relativ konstante Größe ist, während die Produktivität der Arbeit infolge von Erfindungen und anderen Verbesserungen fortwährend steigt, so ist die Folge, "daß der Lohn der arbeitenden Klassen ein immer kleinerer Teil des Nationalprodukts wird."

RODBERTUS' Absicht ist nun nicht, wie die aller bisher erwähnten Sozialisten, auf die völlige Beseitigung des arbeitslosen Einkommens gerichtet. Grundrente und Kapitalgewinn sollen vielmehr bestehen bleiben, ja im Verhältnis zur steigenden Produktivität der Volksarbeit sich noch vermehren. Nur soll zugleich auch der Arbeitslohn aus der Unbeweglichkeit, in welcher ihn das eherne Lohngesetz erhält, aufgerüttelt werden und er soll in demselben Verhältnis wie das arbeitslose Einkommen steigen.

Es handelt sich also für RODBERTUS vorläufig um einen Kompromiss zwischen der bestehenden Rechtsordnung und dem Sozialismus. In einer späteren Zukunft würde, so glaubt RODBERTUS, das private Grund- und Kapitaleigentum allerdings vollständig entfallen und er hat deshalb in der erst nach seinem Tod veröffentlichten Schrift über das Kapital auch eine Darstellung seiner Vorschläge unter der Voraussetzung einer kommunistischen Rechtsordnung gegeben. Hier will ich nur die Pläne ins Auge fassen, die RODBERTUS in seinem Aufsatz "Über den Normalarbeitstag" aus dem Jahr 1871 veröffentlicht hat, da diese nach seiner Absicht unmittelbar zu erstrebenden sozialen Reformen enthalten sollen.

Der wesentliche Inhalt dieser Reformvorschläge ist folgender. Der Staat hätte die Bestimmung des Preises der Lohnarbeit und der Waren nicht mehr dem freien Verkehr zu überlassen, sondern dieselbe durch ein umfangreiches Taxensystem selbst in die Hand zu nehmen. Die Preise wären aber nicht, wie gegenwärtig, in Metallgeld, sondern in Arbeitsgeld zu bestimmen. Zu diesem Zweck ist in jedem Gewerk  der normale Zeitarbeitstag  - zu 6, 8, 10 oder 12 Zeitstunden - festzustellen und überdies muß auch noch in jedem Gewerk  das normale  Arbeitswerk eines solchen Zeitarbeitstages festgesetzt werden, d. h. diejenige Quantität, Werk oder Leistung, die ein mittlerer Arbeiter bei mittlerer Geschicklichkeit und mittlerem Fleiß während eines solchen Zeitarbeitstages in seinem Gewerbe zu liefern imstande ist. Dieses mittlere Maß von Leistung während eines Tages oder einer Stunde würden nun als Werteinheit dienen und nur dieses Maß würde der Arbeiter bescheinigt erhalten, gleichviel ob er darauf mehr oder weniger Zeit verwendet hat.

Da das Grund- und Kapitaleigentum, wie oben bemerkt wurde, aufrechterhalten bleiben soll, so kann dem Arbeiter selbstverständlich nicht das volle Maß der normalen Leistung bescheinigt werden, vielmehr müssen für den Staatsbedarf, dann zugunsten des arbeitslosen Einkommens Abzüge stattfinden. RODBERTUS nimmt an, daß von zehn Millionen normaler Werkstunden etwa nur drei Millionen auf den Arbeitslohn, eine für den Staatsbedarf und je drei, zusammen also sechs auf die Grundrente und den Kapitalgewinn zu verwenden wären. Der Arbeiter, der zehn normale Werkstunden geliefert hat, würde also unter jener Voraussetzung nur drei wirklich bescheinigt erhalten und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verwenden können. Natürlich müßte auch dieses Grundverhältnis zwischen den nationalen Einkommenszweigen (Arbeitslohn, Staatsbedarf, arbeitsloses Einkommen) durch die Staatsgewalt festgesetzt werden.

In diesen normalen Arbeitsstunden oder Tagen ist nun der Preis aller Wahren und Dienstleistungen festzusetzen. Bei Waren ist nicht nur die unmittelbar verwendete Arbeit, sondern auch der Wert der Werkzeuge nach dem Verhältnis der Abnutzung einzurechnen. Da die Produktivität der Arbeit Veränderungen unterworfen ist, folglich dasselbe Maß normaler Arbeit zu verschiedenen Zeiten mehr oder weniger Produkt erzeugt, so muß der Staat periodische Revisionen seiner Preislisten vornehmen.

Das Arbeitsgeld soll indessen das Metallgeld nicht vollständig verdrängen, vielmehr sollen beide nebeneinander zirkulieren. Um die Zirkulation des Arbeitsgeldes in Gang zu bringen, hätte der Staat sich dessen Emission vorzubehalten, den Arbeitgebern billigen Kredit in diesen Geldzeichen zu gewähren und Staatsmagazine und Wechselkontore anzulegen, in welchen die von den Arbeitgebern zur Tilgung ihrer Darlehensschulden zurückgezahlten Waren aufbewahrt, bzw. das Arbeitsgeld gegen das Metallgeld umgetauscht wird. Ein Zwangskurs des Arbeitsgeldes ist von RODBERTUS nicht in Aussicht genommen.

Der Vorteil, welcher aus diesen Maßregeln für die arbeitenden Klassen entspringen würde, besteht nach der Absicht RODBERTUS' hauptsächlich darin, daß ihnen nunmehr eine feste Quote des gesamten Nationaleinkommens (z. B. 3/10) gesichert wäre. Während also gegenwärtig das Einkommen der arbeitenden Klassen auch bei steigender Produktivität der Arbeit durch das eherne Lohngesetz immer auf dem Niveau des notwendigen Unterhalts zurückgehalten wird, würde dasselbe in Zukunft in gleichem Maße wie das arbeitslose Einkommen steigen.

Die im Vorstehenden dargestellten Vorschläge von RODBERTUS sind nicht neu. Zum wiederholten Male ist die Feststellung des Preises der Waren und Dienstleistungen durch die Staatsgewalt, ferner die Schaffung eines Arbeitsgeldes versucht worden.

Der erste umfassende Versuch, den Preis der wichtigsten Lebensbedürfnisse und der Lohnarbeit durch ein Gesetz zu normieren, ist das Edikt, welches DIOKLETIAN im Jahre 301, also kurze Zeit vor dem Sturz des heidnischen Staates, erlassen hat. DIOKLETIAN verfügt in diesem Edikt, daß die wichtigsten Nahrungsmittel, Kleidungsstücke und Stoffe, die Lohnarbeiten und eine Anzahl von Werkzeugen und sonstigen Gebrauchsgegenständen in Zukunft im ganzen römischen Reich einen bestimmten Preis haben sollen. Sowohl den Verkäufer als auch den Käufer, welche mit Verletzung dieser Preisbestimmungen einen Kauf abschlossen, ferner auch denjenigen, welcher Lebensbedürfnisse dem Verkehr entzog und dadurch Mangel an denselben verursachte, sollte Kapitalstrafe, d. h. der Tod, Bergwerksarbeit oder Deportation auf eine Insel treffen. - Das Gesetz trat nach kurzer Wirksamkeit, jedenfalls nach der Thronentsagung DIOKLETIANs (1. Mai 305) außer Kraft, nachdem zu seiner Durchsetzung viel Blut vergossen und statt der angestrebten Billigkeit der wichtigsten Lebensbedürfnisse eine große Teuerung bewirkt worden war.

Ein zweiter Versuch, die Preise der wichtigsten Lebensbedürfnisse von Staats wegen festzustellen, ist das Maximum der französischen Revolution. Mit dem Dekret vom 29. September 1793 verfügte der Konvent, daß der Preis der wichtigsten Waren und Dienstleistungen (Nahrungsmittel, Bekleidung, Metalle, gewöhnliche Lohnarbeit) durch die Organe der Republik bestimmt werden solle und zwar sollte derselbe für jedes Departement in Ansehung der Waren Eineindrittel des Marktpreises im Jahre 1790, in bezug auf Dienstleistungen dagegen 1 ¼ dieses Preises betragen. Personen, welche mehr als das Maximum annahmen, wurden nicht nur mit einer empfindlichen materiellen Strafe bedroht, sondern sie sollten auch auf eine Liste verdächtiger Personen gesetzt und als solche behandelt werden. Dies hatte nach dem Gesetz über die Behandlung der verdächtigen Personen vom 17. September 1793 die Einkerkerung bis zum Zustandekommen des Friedens zur Folge; auch sonst war die Existenz solcher Personen in jener Zeit revolutionärer Aufregung auf das Schwerste bedroht. Eine notwendige Konsequenz der Gesetze über das Maximum bestand darin, daß auch diejenigen Personen, welche die oben erwähnten Waren durch Zusammenkaufen oder Einsperren dem Verkehr entzogen oder dieselben absichtlich zugrunde gehen ließen, als  accapareurs  [Aufkäufer - wp] bestraft werden mußten. Die Strafe eines solchen passiven Widerstandes gegen die Gesetze über das Maximum, welcher selbstverständlich viel gefährlicher und wirksamer sein mußte als der aktive, war in allen Fällen der Tod.

Die Preisliste (Tableau du Maximum) kam auch wirklich in verhältnismäßig kurzer Zeit zustande und trat am 21. März 1794 in Kraft. Nach dem Sturz ROBESPIERREs konnten sich die Gesetze über das Maximum nicht behaupten und sie wurden durch das Dekret des Konvents vom 23. und 24. Dezember 1794 in ihrer Gesamtheit aufgehoben.

Endlich hat auch PROUDHON in der Broschüre über "die Organisation des Kredits und der Zirkulation" den Vorschlag gemacht, daß der Staat, um die durch die Revolution (1848) bewirkte Geschäftsstockung zu beseitigen, den Preis der Lohnarbeit und der Waren feststellen soll. Die Projekte PROUDHONs sind dem Maximum der ersten Revolution sehr ähnlich, nur will er eine allgemeine Reduktion der Preise im Handel und der Industrie erzielen, wogegen die Landwirtschaft von der Preisherabsetzung nicht betroffen werden soll.

Alle diese Projekte aus alter und neuer Zeit stimmen darin überein, daß der bisherige Wertmesser (das Geld) beibehalten werden soll. Dagegen hat ROBERT OWEN in seiner Arbeitstauschbank lange vor RODBERTUS ein Institut geschaffen, welches alle charakteristischen Merkmale der Vorschläge dieses Letzteren an sich trägt. Im September 1832 eröffnete ROBERT OWEN seine Arbeitstauschbank, welche auf folgenden Grundsätzen beruhte (4) : Jedes Mitglied der Gesellschaft konnte im Magazin der Bank Waren deponieren und hatte das Recht, dafür Arbeitsgelt nach Maßgabe einer Schätzung zu empfangen. Die Werteinheit war eine Arbeitsstunde, welche einem halben Schilling Metallgeld gleichstehen sollte.

Bei jeder Ware wurde einerseits der Wert des Rohmaterials, andererseits die vom Arbeiter darauf verwendete Arbeit geschätzt. Jeder Deponent erhielt nicht etwa so viel Arbeitsstunden als er an Zeitarbeit wirklich verwendet hatte, sondern jene Zeit, welche nach Ansicht der Schätzmänner ein gewöhnlicher Arbeiter auf die betreffenden Waren verwenden würde. (5) Es sollte zugleich eine Bank zur Einwechslung des Arbeitsgeldes gegen Metallgeld gegründet werden, doch ist diese, so viel ich sehe, nicht zustande gekommen. Da OWEN die Arbeitstauschbank sofort ins Leben rufen wollte, so konnte dies selbstverständlich nur in der Form einer Privatunternehmung erfolgen; OWEN war aber recht wohl bekannt, daß an einem durchgreifenden Erfolg der Arbeitsbörsen nur bei staatlicher Intervention zu denken ist. Er schlug deshalb in einem am 22. Januar 1834 in der Bank abgehaltenen Meeting eine Petition an den König und die beiden Häuser des Parlaments vor, in welcher als Übergangsregel auch die Errichtung von Arbeitsbörsen in jedem Dorf von Staats wegen verlangt wurde.

Die Einwendungen, welche RODBERTUS in seiner Schrift über den Normalarbeitstag gegen das Projekt OWENs erhebt, sind folglich vollständig ungegründet. RODBERTUS bemerkt über den Vorschlag OWENs folgendes: "Wenn man eine Stunde Schusterarbeit - noch Sonnenzeit berechnet - einer Stunde Weberarbeit - gleichfalls nach Sonnenzeit berechnet - gleichsetzt, so kann ein solches Wertsystem allerdings nicht vorwärts helfen, denn es ist dann ein allgemeines Prämierungssystem der Faulheit, ganz abgesehen von dem in der Tat kindischen Versuch, ein solches System fakultativ wie eine Aktiengesellschaft gründen zu wollen." - Aus der obigen Darstellung ergibt sich, daß OWEN das Wesen der normalen Arbeit und die Notwendigkeit der staatlichen Intervention lange Zeit vor RODBERTUS sehr klar erkannt hat.

Überhaupt ist die Stellung, welche RODBERTUS gegenüber dem Projekt OWENs einnimmt, für den Dilettantismus charakteristisch, mit welchem dieser in Deutschland so viel bewunderte Schriftsteller die soziale Frage behandelt hat. RODBERTUS gesteht offen ein, daß er im Jahre 1842, als er die Schrift "Zur Erkenntnis unserer staatswirtschaftlichen Zustände" schrieb, vom Versuch OWENs (1832) keine Kenntnis hatte, obgleich doch durch diesen letzteren sein Vorschlag ein Arbeitsgelnd zu schaffen längst antizipiert worden war. Dreissig Jahre später, als RODBERTUS den Aufsatz über den Normalarbeitstag verfaßte (1871), hatte er von der Arbeitstauschbank OWENs bereits Kenntnis erlangt, aber nur aus REYBAUDs "Études sur les Réformateurs ou Socialistes modernes", also aus einer Schrift, in welcher, wie jeder Fachmann auf den ersten Blick erkennen muß, die gröbsten Irrtümer nach Hunderten zählen. Natürlich mußte RODBERTUS durch die ganz unrichtigen und lückenhaften Angaben REYBAUDs zu falschen Schlüssen verleitet werden, da er sonst, wie er uns selbst versichert, über die Projekte OWENs und anderer (trotz der so reichhaltigen Literatur über diese Fragen) "nichts weiter erfahren hatte". Auch die Schriften MAZELs, dessen Vorschläge mit jenen RODBERTUS' in den meisten Punkten übereinstimmen, scheinen ihm vollständige unbekannt geblieben zu sein.

Fragen wir nun schließlich, welchen praktischen Wert die Vorschläge von RODBERTUS besitzen, so werden wir wohl antworten müssen, daß wir es hier mit einer offenbaren Utopie zu tun haben. RODBERTUS hat seine Vorschläge, wie aus dem neuerdings publizierten vierten sozialen Brief hervorgeht, ursprünglich für ein kommunistisches Gemeinwesen ohne Privateigentum an Grund und Boden und am Kapital berechnet. Eine eingehendere Kritik seiner Vorschläge kann also erst dort geliefert werden, wo ich das Verhältnis der kommunistischen Gesellschaftsordnung zum Recht auf den vollen Arbeitsertrag in Betracht ziehen werde. Hier will ich nur jene Bedenken besprechen, welche sich ergeben, wenn man sich jene Vorschläge in einem Gesellschaftszustand durchgeführt denkt, in welchem das individuelle Grund- und Kapitaleigentum noch fortbesteht.

In einem solche Gesellschaftszustand würde die Preisbestimmung aller Waren und Dienstleistungen durch den Staat, gleichviel ob dieselbe in Metall- oder in Arbeitsgeld erfolgt, in einem fortwährenden Widerspruch mit den wirtschaftlichen Interessen aller großen und kleinen Unternehmer auf dem Gebiet der Landwirtschaft, des Gewerbes und des Handels stehen. Gerade diese zahllosen selbständigen Unternehmer bilden in einem Staat mit individuellem Grund- und Kapitaleigentum die entscheidende Macht, welche durch den äußersten staatlichen Terrorismus wohl zeitweilig gebeugt, aber, so lang das Privateigentum besteht, niemals gebrochen werden kann. Dies hat sich bei der Durchführung des Diokletianischen Edikts und des Maximum während der französischen Revolution klar genug gezeigt, obgleich eine gesetzliche Preisbestimmung in Metallgeld sich viel leichter durchführen läßt, als eine mehr oder weniger willkürliche Preisbestimmung in durchschnittlicher Arbeitszeit. Und doch haben DIOKLETIAN und die Terroristen der französischen Revolution die Durchführung ihrer Dekrete durch Lebens- und Kerkerstrafen zu erzwingen gesucht.

Man darf auch nicht vergessen, daß eine allgemeine Bestimmung des Preises der Waren und Dienstleistungen durch den Staat es zugleich notwendig macht, den Unternehmern die Verpflichtung zum Verkauf der entbehrlichen Produkte aufzulegen, weil sie sonst durch ihr bloße Passivität die gesetzliche Preisliste ad absurdum führen könnten. Tatsächlich haben auch die Gesetze DIOKLETIANs und der französischen Revolution über denjenigen, welcher entbehrliche Produkte zurückbehielt (den accapareur) ebenso strenge, ja strengere Strafen verhängt als über jene, welche die gesetzliche Preisliste verletzt hatten. Daß aber ein Zustand, in welchem die staatlichen Organe den Unternehmern vorschreiben können, was sie zu verkaufen haben, die Freiheit und Selbständigkeit der Individualwirtschaft vollständig vernichtet und alle Nachteile des Privat- und Kollektiveigentums vereinigt, liegt auf der Hand. Wahrscheinlich wäre deshalb das Römische Reich und Frankreich, wenn die bestehenden Machtverhältnisse eine Fortdauer jenes Zustandes gestattet hätten, sehr bald zum reinen Kollektiveigentum übergegangen. (6)
LITERATUR Anton Menger, Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung, Stuttgart 1891
    Anmerkungen
    1) Vgl. über PROUDHON jetzt vorzüglich die Schrift von KARL DIEHL "P. J. Proudhon - Seine Lehre und sein Leben, 1888. Ferner ARTHUR MÜLBERGER, Studien über Proudhon, 1891.
    2) Dr. RUDOLF MEYER, Briefe und sozialpolitische Aufsätze von Dr. Rodbertus-Jagetzow, Bd. 1, Seite 134
    3) RODBERTUS, Zur Erkenntnis unserer staatswirtschaftlichen Zustände, 1842, Seite 64; Zur Beleuchtung der sozialen Frage I, 1875, Seite 32 (Zweiter sozialer Brief an Kirchmann, 1850, Seite 59)
    4) Über gleichzeitige Projekte ähnlicher Tendenz vgl. HOLYOAKE, The history of cooperation in England, Bd. 1, 1875, Seite 160. Nach NOYES, History of American Socialism, 1870, Seite 95, soll der amerikanische Sozialist JOSIAH WARREN den Plan einer Arbeitstauschbank OWEN bei seiner Anwesenheit in Amerika (1826) mitgeteilt haben. WARREN selbst gibt in seiner Schrift "Practical Detail of Equitable Commerce", Bd. 1 (1852), Seite 14ff eine interessante Beschreibung dieses am 18. Mai 1827 in Cincinatti eröffneten Zeitladens (time-store), welcher jedoch von der Arbeitstauschbank OWENs in vielen Beziehungen abweicht.
    5) BOOTH, "Robert Owen, the Founder of Socialism in England, 1869, Seite 146: "the exchance valuator would fix the amount of hours which in their judgement an ordinary workman would employ on each article." Dies ist offenbar die "normale" Arbeitszeit von RODBERTUS und entspricht auch im Wesentlichen der "allgemeinen oder gesellschaftliche notwendigen" Arbeitszeit von KARL MARX (vgl. "Zur Kritik der politischen Ökonomie", 1. Heft, 1859, Seite 9f und "Das Kapital", 3. Auflage 1883, Seite 6f. BOOTH und SARGANT tadeln diese Schätzung, weil dadurch die Gleichheit zwischen den mehr oder minder leistungsfähigen Arbeitern aufgehoben wird.
    6) Über die Frage, ob bei Aufrechterhaltung der Individualwirtschaft eine staatliche Fixierung des Preises der wichtigsten Lebensbedürfnisse möglich und nützlich sei, kann noch heute die Diskussion des französischen Konvents über die Aufhebung des Maximum vom 23. und 24. Dezember 1794 (im Moniteur vom 26. und 27. Dezember 1794) mit Nutzen gelesen werden. Freilich wird der Wert dieser Debatten durch den reaktionären Fanatismus, der sich in fast allen Reden offenbart, beträchtlich vermindert.