ra-2E. BernheimSchmeidlerWindelbandTroeltsch    
 
GEORG von BELOW
(1858-1927)
Wirtschaftsgeschichte
innerhalb der Nationalökonomie

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"Wie man sieht, hält Schmoller nicht auseinander, was als wirtschaftlicher oder technisch-wirtschaftlicher Fortschritt gelten kann und was ihm in sozialer und politischer Hinsicht wünschenswert erscheint. In sein Urteil über das, was im Laufe der Geschichte erreicht worden ist, mischt er ohne weiteres seine sozialpolitischen und allgemein politischen Forderungen hinein."

Weiter schildert SCHMOLLER, daß die Kirche im Lauf des 15. und 15. Jahrhunderts immer mehr Kreditverträge "genehmigt" habe. "Und wenn LUTHER und später die Gegenreformation vorübergehend wieder auf den extremen Standpunkt jeder Kreditverurteilung zurückgegriffen, so hatte das praktisch keine Bedeutung. MELANCHTON und CALVIN hatten sich den gemäßigten Kanonisten genähert. Die berechtigten Kreditgeschäfte wurden so ziemlich überall gegen 1500 - 1600 anerkannt". Hier kommt man nicht aus dem Staunen heraus. Also "LUTHER und die Gegenreformation ... griffen wieder auf den extremen Standpunkt jeder Kreditverurteilung zurück". Nach dem Zusammenhang muß man, da SCHMOLLER auseinandergesetzt hat, daß "schon ACCURSIUS und THOMAS" das Zinsennehmen unter gewissen Bedingungen gestattet haben, als die Zeit, auf die "LUTHER und die Gegenreformation zurückgegriffen", die Periode vor jenen beiden, also etwa das 12. Jahrhundert deuten. Nun ist es bekannt, daß LUTHER in der Zinsfrage noch die Anschauung des Mittelalters teilt. Gelegentlich drückt er sich sehr extrem aus, ein anderes Mal wieder maßvoller; er bleibt sich nicht ganz gleich. Jedenfalls aber verwirft er im allgemeinen das Zinsnehmen. Indessen um diesen Standpunkt einzunehmen, braucht er nicht auf irgendein früheres Jahrhundert zurückzugreifen; es war vielmehr der Standpunkt seiner Zeit, die noch durchaus an der kanonistischen Theorie festhielt. SCHMOLLER hat so viel Eifer entwickelt, von den Einschränkungen des Zinsverbots durch die mittelalterlichen Kanonisten zu erzählen, daß er vergessen hat, wie die Theorie vom Zinsverbot trotz mancher Milderungen im einzelnen doch noch die Literatur beherrschte. Wenn er dann zu LUTHER noch "die Gegenreformation" hinzugefügt hat, so ist das wohl gedankenlos geschehen. Vielleicht wollte er die konfessionelle Parität wahren und, nachdem er die katholische Kirche gelobt, sie nun auch einmal tadeln. Oder vermag er einige Kanonisten der "Gegenreformation" zu nennen, die etwa zu der Auffassung des 12. Jahrhunderts "zurückgegriffen"? Die Kanonisten, die im Zeitalter der Gegenreformation lebten, stellten sich tatsächlich zum Zinsverbot nicht anders, als ihre unmittelbaren Vorgänger. Verkehrt ist es sodann wiederum MELANCHTON und CALVIN in einem Atoem zu nennen. Denn wenn MELANCHTON etwas von der kanonistischen Zinstheorie abweicht, so nimmt er in dieser Hinsicht doch keine bedeutende Stellung ein. Umgekehrt zeigt sich CALVIN als originaler Geist: er widerspricht mit Entschiedenheit dem kirchlichen Zinsverbot. Da unendlich oft schon auf den großen Neuerer CALVIN energisch hingewiesen worden ist, so begreift man nicht, wie SCHMOLLER ihn so nebenbei abfertigen konnte. Und nun soll CALVIN sich noch dazu "den gemäßigten Kanonisten genähert" haben! Das "sich nähern" würde nach dem Zusammenhang bedeuten, daß er, gegenüber "LUTHER und der Gegenreformation", zwar wieder Anschluß an die "gemäßigten Kanonisten" gesucht, aber sie doch nicht ganz erreicht, sondern sich ihnen eben nur "genähert" habe. Eine interessante Vorstellung! Indessen lassen wir das und frage nur: an welche "gemäßigten Kanonisten" hat denn CALVIN sich angeschlossen? SCHMOLLER wird die Antwort schuldig bleiben. Schließlich noch ein Wort betreffs des Satzes über die "berechtigten Kreditgeschäfte". Er ist nur richtig, wenn er auf die weltliche Gesetzgebung bezogen wird. SCHMOLLER hatte aber bisher von der Zinstheorie, von ihrer Behandlung in der Literatur (besonders der kirchlichen) gesprochen und nach diesem Zusammenhang müßte man jenen Satz eben auf diese deuten, in welchem Fall er dann ganz unrichtig wäre.

Zur Würdigung dieser Ausführungen SCHMOLLERs hat man sich gegenwärtig zu halten, daß er selbst eine Abhandlung über die "nationalökonomischen Ansichten in Deutschland während der Reformationszeit verfaßt hat. Allerdings ist sie nicht gerade vollständig. Aber man sollte doch von jemand, der über einen Gegenstand eine Abhandlung geschrieben hat, erwarten, daß er das Bedürfnis empfindet, sich über ihn wenigstens nachträglich näher zu orientieren.

Seite 218f spricht SCHMOLLER über "die älteren Kreditorgane". Nachdem er die verschiedenen Gruppen derjenigen, die im Kreditgeschäft tätig waren, aufgezählt hat, bemerkt er (Seite 218): "Alle diese Geschäftsleute sind ... in Italien wie in Deutschland und anderwärts von der Obrigkeit konzessioniert und kontrolliert, haben einen gildeartigen Zusammenschluß mit festen Sitten, Recht, Standesehre, kaufmännischen Gewohnheiten". Er wird doch nicht möglich sein, gerade die Allgemeinheit der staatlichen Konzessionierung nachzuweisen, ebenso nicht die des gildeartigen Zusammenschlusses. Nach einigen Bemerkungen über die Girobanken heißt es Seite 219: "Schon in der Zeit von 1400 - 1700 traten andere Organisationen neben die Girobanken". Hat es einen Sinn, von "schon" zu sprechen, wenn es sich um einen Zeitraum von drei Jahrhunderten handelt? Im übrigen ist das Verhältnis tatsächlich umgekehrt: nicht die "anderen Organisationen, d. h. die Banken allgemeiner Natur, traten neben die Girobanken, sondern die letzteren neben jene: jene waren das ältere und häufigere, die Girobanken das spätere und seltenere. Weiter bemerkt SCHMOLLER, daß die Klagen über die großen Banken (MEDICI, FUGGER, WELSER) nichts halfen; ihre Macht war zu groß, "als daß man gewagt und verstanden hätte, ihnen die Instrumente ihrer Wirksamkeit aus der Hand zu nehmen oder ihnen ernstlich Konkurrenz zu machen". Wie sollte ihnen denn "Konkurrenz gemacht" werden? Man wollte sie einfach vernichten oder einschränken. In merkwürdiger Weise bildet SCHMOLLER dann den Übergang zum folgenden (Seite 219f): "Anders war das bezüglich der kleinen als Wucherer verschrieenen Kredithändler, der Juden und Pfandleiher. Ihre Geschäfte hatte man seit den Tagen der Kreuzzüge und dem zunehmenden Sieg der kanonistischen Wucherdoktrin bald ganz zu unterdrücken, bald durch Normen und Verbote der verschiedensten Art, durch Zinsmaxima für das jüdische Darlehen und Pfandgeschäft zu regulieren gesucht". Nach SCHMOLLER beginnt also mit den Kreuzzügen die Unterdrückung, beziehungsweise Einschränkung der Kreditgeschäfte, namentlich des Pfandleihgeschäfts der Juden. Es verhält sich aber doch so, daß diese Geschäfte seit den Kreuzzügen erst eine größere Bedeutung erhielten. Vor allem aber wäre es eine irrige Vorstellung, wenn man (wie SCHMOLLER hier zu behaupten scheint) glauben wollte, die "kanonistische Wucherdoktrin" habe eine besondere Spitze gegen den Judenwucher gehabt. Die Regulierung des jüdischen Darlehens hat doch ferner mehr den Zweck, ihm einen großen Spielraum zu geben, als den, ihn einzuschränken. SCHMOLLER fährt dann fort (Seite 220): "Man sah endlich von 1400 ab ein, daß alle Verbote und Judenverbannung nichts nützten, wenn man nicht eine bessere Konkurrenz an die Stelle setzte. Die Bischöfe und Stadträte versuchten Leihanstalten und Wechselgeschäfte zu errichten: so in Frankfurt a. M. 1402, in Florenz 1473, in Nürnberg 1498. In vielen Städten nahmen die öffentlichen Kassen alles Geld, was sich ihnen bot und liehen es in verschiedener Form wieder aus. In den italienischen Städten gründeten die Franziskaner von 1462 an eine erhebliche Anzahl Pfandleihhäuser, die Montes pietatis." (1) Es ist ja richtig, daß die Begründung der letzteren mit der Bekämpfung des Judenwuchers zusammenhängt und daß auch städtische Leihhäuser gegründet worden sind, um den Judenwucher überflüssig zu machen. (2) Allein man darf doch unmöglich all das, was SCHMOLLER dort anführt, auf den Gegensatz gegen den Judenwucher zurückführen. Insbesondere die großen und ausgedehnten Kreditoperationen der Stadtgemeinden, welche SCHMOLLER mit den Worten "in vielen Städten nahmen die öffentlichen Kassen alles Geld" usw. andeutet, haben damit gar nichts zu tun. (3) Aber auch die Leihanstalten und Wechselgeschäfte, die die Städte errichteten, stehen keineswegs sämtlich in jenem Zusammenhang. SCHMOLLER rechnet die Frankfurter Bank von 1402 dahin. Ist es dann aber sicher, daß sie um der Bekämpfung des Judenwuches willen begründet worden ist? Bei KRIEGK, "Frankfurter Bürgerzwiste und Zustände", Seite 334f, der über sie eingehend spricht, steht davon nichts. (4) Wenn SCHMOLLER einen derartigen Zusammenhang vermutet, so ist er doch nicht berechtigt, ihn einfach als vorhanden auszugeben. Im übrigen fällt es auf, daß SCHMOLLER jene großen Kreditoperationen der Stadtgemeinden nur "in vielen Städten" stattfinden läßt, während sie doch so verbreitet sind, daß man von einer allgemeinen Erscheinung reden darf. Überhaupt überrascht es, daß er ihre - tatsächlich gewaltige - Bedeutung im ganzen Paragraphen über "die älteren Kreditorgane" so wenig würdigt.

Aus dem Schluß dieses Paragraphen führen wir noch eine charakteristische Äußerung SCHMOLLERs an (Seite 220): "KNIES hat den Ausspruch getan, die Kreditorganisationen dieser älteren Zeit seien teils auf private Geldwechsler-, Giro- und Kreditgeschäfte, teils auf staatliche hätten jenen Geschäften eine prüfende, beaufsichtigende, normierende und unterstützende Tätigkeit zugewandt, aber auch bestimmte Dienste im öffentlichen Interesse von ihnen verlangt. NASSE will das letztere (5) leugnen, weil er in Venedig eine Staatseinmischung erst spät (1587) findet. Ich glaube, KNIES hat doch recht gesehen. Schon der Ursprung der Kreditgeschäfte aus der Münzverwaltung erklärt, daß die Regierungen frühe sich einmischten; sie sahen von Anfang an die große Bedeutung, die Macht und die möglichen Mißbräuche der Kreditorgane, das Interesse, das alle wirtschaftlichen Kreise an der richtigen Kreditorganisation hatten." Man merkt hier wiederum, daß SCHMOLLER um jeden Preis die früher staatliche Einmischung in die wirtschaftlichen Verhältnisse beweisen will. Aber seine Beweise sind doch eigentümlicher Art. Er behauptet im Grunde nur das, was er zu beweisen meint. "Der Ursprung der Kreditgeschäfte aus der Münzverwaltung" - übrigens ein sonderbarer Ausdruck - beweist nichts. Es ist nur so viel richtig, daß die Münze oft (nicht immer!) mit dem Wechsel verbunden war; diese Verbindung hatte aber, wenn nicht lediglich, so jedenfalls überwiegend fiskalische Motive. Weiterhin haben zwar die Wechsler vielfach das Geldleihgeschäft betrieben. Indessen daraus, daß aus den oft staatlich konzessionierten Wechslern oft Gelddarleiher hervorgegangen sind, folgt doch nicht, daß die Regierungen das Kreditwesen regelten. Soweit sie es taten, geschah es, wie bemerkt, zunächst wesentlich aus fiskalischen oder münzpolitischen Gesichtspunkten. Die Behauptung SCHMOLLERs, daß sie "von Anfang an" aus allgemein volkswirtschaftlichen Motiven vorgingen, ist Phantasie. Ein Mißgeschick ist SCHMOLLER insofern passiert, als er NASSE mit Unrecht als einen Gegner der Ansicht, daß in Venedig früh eine Staatseinmischung stattfindet, anführt. NASSE hat ja diese Ansicht gerade verteidigt. In den Jahrbüchern für Nationalökonomie 34, Seite 330, hebt er hervor, FERRARA habe "die staatliche Beschränkung und Regulierung der Banken nach den Urkunden nachgewiesen." Das Jahr 1587 spielt allerdings bei ihm auch eine Rolle. Es ist aber nicht das erste Jahr einer Staatseinmischung überhaupt, sondern das der Errichtung einer Staatsbank.

Ich greife aus SCHMOLLERs Darstellung ferner den Abschnitt "Das Wesen des volkswirtschaftlichen Fortschrittes" (Seite 653f) heraus. Der Grundgedanke, den er hier vertritt, ist enthalten in dem Satz (Seite 653): "Die älteste Kooperation, später die Arbeitsteilung, die Entstehung der Betriebsformen, die soziale Klassenbildung, die staatliche Wirtschaft, sie sind nie bloß wirtschaftlich, sondern nur aus dem gesamten Seelen- und Gesellschaftsleben, aus allen natürlichen und geistig-moralischen Ursachen desselben zu erklären. Sie sind das Ergebnis von Sprache und Gemeinschaftsgefühlen, von Bluts- und Geschlechtszusammenhängen." Er macht zu diesem Problem manche treffende Bemerkung. Es verdient ausdrückliche Anerkennung, daß er für den - freilich auch schon vor ihm mit Energie verfochtenen - Gedanken, die wirtschaftliche Entwicklung dürfe nicht als eine isoliert wirtschaftliche betrachtet werden, seit Jahren mit großem Eifer eingetreten ist und daß er auch im vorliegenden Buch immer von neuem dem Leser diese Tatsache klar macht. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß seine Formulierungen vielfach anfechtbar, jedenfalls oft inkorrekt und fast stets von praktischen Tendenzen beeinflußt sind. Schon der vorhin angeführte Satz - vgl. besonder den Passus über "das Ergebnis" - erregt Bedenken. Und so kann man überhaupt kaum einem Satz ohne Einschränkungen zustimmen. Einige Äußerungen SCHMOLLERs mögen hier noch aufgeführt werden. "Die Art, wie aus den ehemaligen natürlichen Gruppen weniger zusammenlebender Menschen sich Gemeinden und Staaten, Kassen und Korporationen, Betriebe und Unternehmungen als wirtschaftliche Organe bildeten, wie durch Sitte, Recht, Moral und Religion die Stämme, die Stadt- und Volkswirtschaften als wirtschaftliche Körper entstanden, geordnet wurden, ... Das ist das eigentlich zu erklärende Rätsel" (Seite 654). Mein SCHMOLLER wirklich, daß so einfach "durch Sitte, Recht, Moral und Religion" jene Verbänder als wirtschaftliche Körper entstehen? Nimmt man diese und andere Äußerungen ernst, so könnte man glauben, daß er die wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich als Produkt der "Ideen" betrachtet, eine Auffassung, die doch durch seine großen Meister LAMPRECHT und BREYSIG erfolgreich widerlegt worden sein soll. "Der wirtschaftliche Fortschritt ... besteht gewiß einerseits in einer Steigerung der Bedürfnisse, in einem Fortschritt der Technik, in der Zunahme des Kapitals und der Bevölkerung, andererseits aber und noch mehr [!] im ... Prozeß der gesellschaftlichen Organisation, der moralisch-politischen Zucht. Nur diese Zucht kann größere, harmonischer zusammenwirkende wirtschaftliche Körper erzeugen, in denen eine bessere Familien-, Gemeinde- und Staatsordnung, bessere und größere Organe der Produktion und Verteilung, vollendetere soziale Institutionen vorhanden sind." Wie man sieht, hält SCHMOLLER nicht auseinander, was als wirtschaftlicher oder technisch-wirtschaftlicher Fortschritt gelten kann und was ihm in sozialer und politischer Hinsicht wünschenswert erscheint. In sein Urteil über das, was im Laufe der Geschichte erreicht worden ist, mischt er ohne weiteres seine sozialpolitischen und allgemein politischen Forderungen hinein. "Die Schwierigkeit des Fortschritts liegt immer darin, daß größere Gesellschaftskörper, kompliziertere Organke gebildet werden müssen, daß hierfür wenigstens die Führer, eine Elite schon fähig sein muß, daß die übrigen Glieder der Gemeinschaft wenigstens die Möglichkeit der Erziehung und Emporhebung bieten." Wie  wird  denn aber eine Elite fähig? Darauf würde SCHMOLLER zweifellos mit einer Formel des Darwinismus antworten, ebenso wie auch die andere Frage, auf welche Weise denn "die übrigen Glieder" in jenen Zustand gebracht werden könnte. Oder vielleicht antwortet er auch, die betreffende Gruppe müsse zuvor "moralisch" eine gewisse Höhe erreicht haben. Äußerungen über "Moral", die der Ausdruck des hochgespanntesten Idealismus zu sein scheinen, wechseln mit darwinistischen Formeln bei ihm ab, wie denn natürlich auch der Satz nicht fehlt (Seite 655): "Im Kampfe der Stämme und Völker gehen immer wieder die schwächeren unter." Wenn es nur so einfach zu sagen wäre, welches die "schwächeren" sind! (6) Der praktische Zweck jenes Satzes über die "Elite" ist offenbar der, eine Rechtfertigung der "Aristokratie" zu liefern (solche - regelmäßig kuriosen - Rechtfertigungsversuche finden sich bei SCHMOLLER oft. (7) Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang, daß er die Handelsgesellschaften des Mittelalters und der neueren Jahrhundert als der Ergebnis der Bildung einer Aristokratie auffaßt. (8) Im übrigen bedarf es keiner näheren Darlegung, daß "die Schwierigkeit des Fortschrittes" doch auch wesentlich darin lieg, ob sich ein einzelner findet, der seinen Mitmenschen neue Ideen mitteilen kann. Es fällt auf, daß SCHMOLLER die Bedeutung des Individuums in der geschichtlichen Entwicklung so sehr gering achtet. Dies tritt auch im folgenden Satz hervor (Seite 654): "Gerade die Neubildung wirtschaftlicher Organisationen, wie z. B. jeder Schritt der Arbeitsteilung, ... ist das schwierige, stets von massenpsychologischen Prozessen abhängig sein? In erster Linie wird doch wohl hier wie überhaupt der geschichtliche Fortschritt vom einzelnen ausgehen. Diese Ignorierung der Bedeutung des Individuums hat bei SCHMOLLER wohl auch wiederumg einen praktischen Grund. Er will dem Leser klar machen, daß das Volk und seine verschieden großen Gruppen von oben her erzogen werden. Die Notwendigkeit der staatlichen Erziehung, der "Einschulung" ist ein Lieblingsgedanke von ihm. Alles wird bei ihm "eingeschult". Bei SCHMOLLER "verwandelt sich" - wie man treffend gesagt hat. (9) - " die ganze Weltgeschichte in einen riesigen Einschulungsprozeß". Vgl. dazu auch seine oben erwähnte Äußerung über "moralisch-politische Zucht" und seine Auslassungen über Probleme "der Verträglichkeit" (Seite 654. Seite 655: "Je mehr eine Gesellschaft an die Grenze ihres Nahrungsspielraums mit ihrer hergebrachten Technik und Organisation kommt, desto mehr steht sie vor der schwierigen Aufgabe neuen technischen Fortschritts, neuer Betriebsorganisationen, vor dem Problem der Auswanderung, der Markteroberung; das sind komplizierte gesellschaftliche Prozesse, die meist nur aufgrund sozialer Kämpfe und Reibungen, großer sozialer Reformen, neuer Gesetze und staatlicher Aktionen und zuletzt großer geistig-sittlicher Fortschritte gelingen". Es ist notwendig, sich solche SCHMOLLERschen Sätze, die den Anschein großer Tiefsinnigkeit haben, einmal genauer anzusehen. Ist es nicht eine entzückend geistvolle Beobachtung, daß "das Problem der Auswanderung meist nur aufgrund großer geistig-sittlicher Fortschritte gelingt?" Versucht man jenem Satz einen schlichten Ausdruck zu geben, so schrumpfen die hohen Gedanken allerdings sehr zusammen. Aber wie schön klingt es, wenn man sagt, daß "das Problem der Markteroberung meist nur aufgrend" usw.! Der "ethische" Gesichtspunkt fehlt in jenem Satz natürlich auch nicht. Indessen wo sind die "großen geistig-sittlichen Fortschritte" vorhanden, wenn sich ein Volk einfach durch brutale Gewalt einen neuen Markt aneignet und so die Markteroberung glänzend "gelingt"? Weiter hebt SCHMOLLER hervor (Seite 655), daß "der wirtschaftliche Fortschritt ... an so viele individuelle, körperliche und psychologische Fortschritte ... gebunden ist". Er sollte sich doch darüber äußern, in welchem Verhältnis "individuelle" zu "körperlichen und psychologischen Fortschritten" stehen. Doch lege ich auf diesen Punkt kein Gewicht. Was aber versteht SCHMOLLER unter "psychologischen" Fortschritten? An einer anderen Stelle (Seite 179 bemerkt er, "eine bestimmte Phase der psychischen Entwicklung und der gesellschaftlichen Einrichtungen" habe die Menschen zu der sogenannten kapitalistischen Tätigkeit gebracht. Offenbar hat er, wie man hiernach vermuten darf, ähnliche Vorstellungen wie LAMPRECHT mit seiner Theorie von der gesetzmäßigen Entwicklung der nationalen Psyche und dem Wachstum der psychischen Energie (10). Mit solchen Formeln würde er aber auf echt historische Forschung Verzicht leisten. Es mag hier auf die neuesten Untersuchungen über die Entstehung des Kapitalismus hingewiesen werden. (11) Ihren Resultaten kann SCHMOLLER mit seinen allgemeinen Formeln nicht gerecht werden. Von jener Art ist es auch, wenn er an anderer Stelle (Seite 185) als Beweis dafür, daß "die Ursachen des Reichtums noch mehr in den Menschen ... als in den gesammelten Gütern liegen", den Umstand anführt, "daß eine hochstehende Nation große Kapitalverluste leicht erträgt und ersetzt, daß träge, alternde Völker durch denselben Verlust ganz anders getroffen werden." Was sind "alternde" Völker? Sind die Spanier und Russen, die heute durch ihre Kapitalverluste schwer getroffen werden, alternde oder junge Völker? Mit der Formel vom "alternden" Volk sollte man doch heute nicht mehr operieren. Und was ist eine "hochstehende Nation"? Offenbar eine, die viel Geld hat! Waren die Franzosen, die die Milliarden von 1871 mit Leichtigkeit ersetzt haben, jünger oder älter als die Russen? Doch ich will jenen Satz nicht weiter zergliedern.

In jenem Abschnitt über den wirtschaftlichen Fortschritt zieht SCHMOLLER weiterhin die Rassen heran (Seite 655): "Die niedrigstehenden Rassen sind viele Jahrtausdende oder Jahrhundert auf demselben Niveau ... geblieben. Auch die höherstehenden sind oft zeitweise mehr stabil geblieben, sind dann erst wieder langsamer oder schneller vorangekommen". Worin unterscheiden sich niedrig- und höherstehende Rassen? Man sollte meinen: in der geringeren oder größeren Entwicklungsfähigkeit. Aber SCHMOLLER macht hierin keinen prinzipiellen Unterschied: denn die niedrigstehenden Rassen bleiben doch nur "viele Jahrtausende oder Jahrhunderte" stehen und die höherstehenden bleiben auch "oft zeitweise mehr stabil": Nimmt er an, daß der oder ein Hauptgrund der abweichenden Entwicklung in der Rasse an sich liegt? Es scheint so; aber recht bestimmt drückt sich SCHMOLLER nicht aus. Nach jenen Sätzen fährt er fort: "Und deshalb" - d. h. weil die Rassen nicht gleichmäßig Fortschritte machen - "vollzieht sich der wirtschaftliche Fortschritt nicht in einer geraden Linie". Nur "deshalb"?

Eigentümlich widerspruchsvoll ist, was SCHMOLLER über den Zusammenhang der verschiedenen Seiten der Kultur sagt (Seite 655). "Der wirtschaftliche hängt aufs engste mit den Fortschritten auf den übrigen Gebieten des Lebens zusammen." "Kein Volk wurde reich und mächtig, dessen Moral, Religion, Recht und Verfassung tiefstehend war; höhere Kunst und Wissenschaft war immer mit der Blüte anderer Seiten der Kultur verknüpft". Demnach muß man vermuten, daß SCHMOLLER wie einen streng sachlichen so auch einen eng zeitlichen Zusammenhang der verschiedenen Kulturgebiete annimmt. Im folgenden indessen behauptet er, daß es sich nicht um gleichzeitige, sondern um aufeinanderfolgende Dinge handelt: "Wir wissen schon ziemlich sicher, daß meist die historische Abfolge der Blüte der einzelnen Kulturgebiete bei den verschiedenen Völkern eine ähnliche ist, z. B. daß die religiöse und kriegerische Kulturblüte in der Regel der technisch-wirtschaftlichen und künstlerischen vorausgeht". Aber die verschiedenen Seiten der Kultur sollen doch miteinander "verknüpft" sein und kein Volk soll reich sein, dessen Religion, Recht usw. nicht hoch stehen? Wie ist es, daß trotzdem der hohe Stand der Religion nicht mit dem hohen Stand der Wirtschaft zusammenfällt? Was die tatsächlichen Behauptungen SCHMOLLERs im einzelnen betrifft, so ist es überflüssig, sie zu kritisieren: das vielerörterte Problem des Zusammenhangs der verschiedenen Kulturgebiete ist hier mit großer Oberflächlichkeit behandelt. Hervorgehoben sei nur, daß er auch die "Moral" nicht unerwähnt läßt.

SCHMOLLER geht auch dazu über, sich über die  Ursachen  des geschichtlichen Fortschritts zu äußern (Seite 655). "Wir sehen die langsame Umbildung der seelischen und körperlichen Grundkräfte der Völker als die Ursache der einheitlichen Entwicklung und ihrer einzelnen Stufen an. Auch das Verhältnis der einzelnen in der Kulturblüte sich folgenden Völker werden wir versucht sein, auf analoge seelische Ursachen und ihre Folgen zurückzuführen". Der Zusammenhang der verschiedenen Kulturgebiete "geht auf gemeinsame Ursachen zurück". Wie denkt sich SCHMOLLER wohl "die langsame Umbildung der seelischen und körperlichen Grundkräfte der Völker"? Er wird ja darüber nicht näher nachgedacht haben. Aber etwas ähnliches wie die Formel LAMPRECHTs von der gesetzmäßigen Entwicklung der nationalen Psyche wird ihm wohl vorgeschwebt haben; nur daß LAMPRECHT in der Formelbildung gewandter ist und, wenngleich auch bei ihm sich noch viel Verschwommenheit findet, mit der Sprache mehr herausgeht und daß bei Schmoller zur psychischen noch die "körperliche" Umbildung hinzukommt. Solche Formeln sind billig und bequem, aber sehr unhistorisch. (12) Dann noch eine Nebenfrage: ist denn wirklich eine "einheitliche Entwicklung", deren Ursache SCHMOLLER angeben will, vorhanden?

Im vorstehenden habe ich einige Partien aus SCHMOLLERs Darstellung zergliedert. Es war notwendig, daß ich ausführlich wurde, damit seine Eigenart klar dargelegt werden konnte. Die gegebenen Belege werden genügen. (13) Wollte man SCHMOLLERs Darstellung wirklich berichtigen, so müßte man ein doppelt so dickes Buch als das ist, das er verfaßt hat, schreiben. Denn gerade bei seiner weichen, unbestimmten Art ist das korrigieren nicht einfach. Mein Zweck war, zu zeigen, von welcher Art sein vielgerühmtes "historisches Material" ist. Die Quantität ist unbestreitbar. Der Fehler liegt jedoch in der Qualität. SCHMOLLERs Sache ist offenbar die zusammenfassenden historische Darstellung, bei der es auf allseitiges Wissen, Sinn für das wesentliche und namentlich auch Präzision in erhöhtem Maße ankommt, ebensowenig wie die strenge Einzeluntersuchung, während ihm der historisch-politische Aufsatz oder die Betrachtung oft geglückt ist. Er hat seinen großen Ruhm - neben seiner mehr praktisch-politischen Agitation - namentlich dem Umstand zu verdanken, daß die Historiker Respekt vor dem Nationalökonomen, die Nationalökonomien vor dem Historiker haben zu müssen glaubten. Es wirkt aber befreiend, wenn man sich klar macht, daß er eine spezifisch wissenschaftliche Kraft überhaupt nicht ist. In den Prinzipienfragen ist er nicht klar, in der Quellenbenutzung willkürlich. Er ist mehr ein einflußreicher Vertreter fremder Ideen (14) und eifriger Agitator für sie als selbständiger Denker. Seiner politischen Agitation wollen wir auch auf dem Gebiet der historischen Literatur nicht eine gute Wirkung absprechen. Wenn die Situation von der Art ist, daß die historische Literatur ganz von den Anschauungen des Manchestertums und des manchesterlichen Freihandels erfüllt ist, so kann ein Autor, der solche unbewiesenen Voraussetzungen bestreitet und ausdauernd bekämpft, auch in dem Fall sich um die Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnis verdient machen, daß ihm eine spezifisch wissenschaftliche Fachbildung fehlt. (15) Aber das letztere muß man sich freilich gerade bei SCHMOLLER stets gegenwärtig halten; seine eigenen historischen Arbeiten bedürfen durchaus der Kontrolle. "Die im Gebiet der politischen Geschichtsschreibung längst erprobten kritischen Grundsätze müssen auch den kulturhistorischen Arbeiten zugute kommen" (16) - dieses kürzlich ausgesprochene sehr wahre Wort muß man in besonderem Sinne den Lobrednern SCHMOLLERs entgegenhalten.

Wie wir sahen, trägt SCHMOLLER seine politischen Wünsche in die historische Darstellung hinein und macht diese förmlich zu einem Agitationsmittel für seine Forderung eines Eingreifens des Staates in die wirtschaftlichen Verhältnisse. Um einen Mißverständnis vorzubeugen, hebe ich hervor, daß ich einem solchen Eingreifen keineswegs abgeneigt bin; ich bin nie auch nur eine halbe Sekunde in meinem Leben Manchestermann gewesen. Indessen, wenn wir historische Nationalökonomie treiben, haben wir doch die Pflicht schlicht zu ermitteln, wann und mit welchem Erfolg der Staat in die wirtschaftlichen Verhältnisse eingegriffen hat; nicht eine angebliche Tätigkeit desselben in die Vergangenheit überall hineinzudekretieren. (17) Die Wichtigkeit der von SCHMOLLER so oft betonten "Moral" zu bestreiten, kommt mir ebenfalls nicht in den Sinn. Allein wir haben doch auch hier zwischen praktischen Forderungen und wissenschaftlicher Darstellung der Vergangenheit zu unterscheiden. Überdies stört es den Leser, in einem Buch, dem - wenigstens objektiv - der höchste Status des wissenschaftlichen Ernstes fehlt, so viel die "Moral" erwähnt zu finden.

Subjektiv freilich wird SCHMOLLER das Bewußtsein haben, daß er mit größtem Fleiß gearbeitet habe. Es ist ja das Kennzeichen des Autors, der die spezifisch fachmännische Schulung nicht besitzt, daß er die ihm sympathischen Vorstellungen von dem, was sich aus den Quellen ergibt, nicht genügend sondert, nicht genügend sondern kann.
LITERATUR Georg von Below, Wirtschaftsgeschichte innerhalb der Nationalökonomie, Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 5, Leipzig 1907
    Anmerkungen
    1) Über die neuere Literatur zur Frage der Entstehung der Montes pietatis vgl. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1905, Seite 132 und Historische Zeitschrift 95, Seite 466f. Danach sind SCHMOLLERs Angaben etwas zu berichtigen.
    2) Vgl. z. B. M. RITTER, Deutsche Geschichte 2, Seite 464
    3) SCHMOLLER spricht von ihnen tatsächlich im ganzen § 194 nur an dieser Stelle, wo er von der Bekämpfung des Judenwuchers handelt!
    4) Nach KRIEGK, Seite 336 "bestand das neugeschaffene Institut wesentlich darin, daß die Stadtbehörde das ganze Geschäft des Geldwechselns in ihre Hand nahm und daß sie sich desselben bediente, um ihre überflüssigen Gelder nutzbringend zu machen." Hiernach würde die Begründung der Bank doch wesentlich aus fiskalischen Gründen zu erklären sein. Allerdings hat sie Gelder auf Unterpfänder geliehen (noch mehr tritt diese Tätigkeit bei den Banken des Jahres 1403 hervor; siehe KRIEGK Seite 338) und man könnte daraus ja schließen, daß sie auf diesem Weg den Juden das Pfandleihgeschäft abnehmen sollte. Indessen wäre dies ein keineswegs sicherer Schluß. Jedenfalls scheinen nach Aussage der Quellen andere Zwecke im Vordergrund gestanden zu haben. Unter allen Umständen ist es unzulässig, mit SCHMOLLER die Begründung bzw. Konzessionierung von Wechselgeschäften (die Frankfurter Bank hieß auch "Wechsel") durch die Städte so schlechthin aus dem Motiv der Bekämpfung des Judenwuchers zu erklären.
    5) Die Worte "dies letztere" beziehen sich nach dem Zusammenhang auf den ganzen zweiten Teil des KNIESschen Ausspruchs (beginnend mit den Worten "die Staatsregierungen hätten" usw.)
    6) Überaus oberflächlich ist die auf darwinistische Formeln gestützte Verteidigung der "Aristokratie", die SCHMOLLER im 1. Band Seite 409f gibt. Ich bin selbst kein Gegner aristokratischer Einrichtungen; es läßt sich vieles zur Verteidigung der Aristokratie sagen. Aber SCHMOLLERs Verteidigung ist teils phrasenhaft, teils brutal. Wie kann heute ein Autor, zumal einer, der Historiker sein will, einen Satz wie den folgenden aussprechen: "Jede Ausbildung einer Klassenordnung hängt mit dem Aufsteigen der Tüchtigeren, mit der Führerrolle zusammen, welche den Leistungsfähigsten stets von selbst zufällt." SCHMOLLER sprich gern von "Aristokratie". Natürlich lobt er auch die anderen Stände sehr. Den Übergang zur Schilderung derselben macht er mit folgenden Worten (Seite 410): "Aber nicht bloß die oberen Klassen, auch die mittleren und unteren erscheinen mit ihren eigentümlichen Berufssphären, ihren eigentümlichen Eigenschaften, Tugenden und Trieben als eine Bereicherung der sozialen Gemeinschaft." Welch erdrückende Weisheit liegt doch in diesem Satz! Wie nett ist es von SCHMOLLER, daß er "auch die mittleren und unteren" Klassen "als eine Bereicherung der sozialen Gemeinschaft anerkennt! - Mit jenem Satz über das "Aufsteigen der Tüchtigsten" will SCHMOLLER wohl die Herrschaft der polnischen Schlachta über die Ruthenen in Galizien rechtgfertigen?
    7) Vgl. die vorigen Anmerkung. Siehe auch Zeitschrift für Sozial 1904, Seite 304f
    8) Siehe Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1904, Seite 391. Man darf sich von der Information SCHMOLLERs keine zu hohen Vorstellungen machen. Offenbar hat er aus der Lektüre die Erinnerung daß die Handelsgesellschaften, von denen in den Darstellungen der Zeit um 1500 keineswegs bloß Patrizier. Bei SCHMOLLER ist eine Aristokratie offenbar sehr schnell vorhanden.
    9) Vgl. Historische Zeitschrift, 83, Seite 461. Von der Würdigung der staatlichen Tätigkeit aus könnte SCHMOLLER gerade auch die Wichtigkeit des Individuums betonen. Aber es ist charakteristisch, daß der diesen Gesichtspunkt vernachlässigt.
    10) Zur Kritik vgl. MAX WEBER oben Seite 495, Anm. 2 und Jahrbuch für Gesetzgebung 1903, Seite 1204, Anm. 5. Betreffs der Frage der "historischen Gesetze" hat SCHMOLLER, wie man weiß (siehe Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1904, Seite 153f), mancherlei Schwankungen durchgemacht. Um seine neueste Äußerung zu diesem Problem anzuführen, so sagt er in seinem Jahrbuch 1905, Seite 739: "An eine Gesetzmäßigkeit glauben wir beide (d. h. BREYSIG und er) ganz gleichmäßig". Es ist bemerkenswert, daß MENGER, "Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften", Seite 124f, Veranlassung hat, gegenüber Vertretern der historischen Nationalökonomie hervorzuheben, daß man doch nicht so leichthin von historischen Gesetzen sprechen solle. Vgl. Seite 127, Anm. 43: "Als seltsam muß es bezeichnet werden, daß gerade eine Gelehrtenschule, die sich eine  historische  nennt, ihre Hauptaufgabe in der Feststellung der obigen  Gesetze  sucht".
    11) Vgl. MAX WEBER, Archiv für Sozialwissenschaft 21, Seite 1f
    12) MAX WEBER, Archiv für Sozialwissenschaft 22, Seite 160: "Die Nachwirkung gewisser Entschlüsse des THEMISTOKLES ist noch heute fühlbar, - so ärgerlich uns das beim Versuch einer recht eindrucksvoll einheitlichen  entwicklungsgeschichtlichen  Geschichtsschreibung auch in die Quere kommen möge."
    13) Über die Ungenauigkeiten, die sich bei SCHMOLLER finden, ist man manchmal geradezu erstaunt. Seite 447 behauptet er: "SOMBART will neuerdings allen europäischen städtischen bürgerlichen Geldreichtumg von 1200 - 1600 auf städtische und ländliche Grundrentenbildung zurückführen". Die Zeitangabe ist hier ganz falsch. Und dabei hat SCHMOLLER über SOMBARTs Buch eine lange Rezension geschrieben! Vor einiger Zeit ging folgende Notiz durch die Zeitungen: "Professor HARTMANN vom Orientalischen Seminar in Berlin hat jüngst einen Vortrag über die  Wirtschaftsgeschichte des ältesten Islam  gehalten. In seiner Einleitung ging der Vortragende von der Tatsache aus, daß das neueste Werk von Prof. SCHMOLLER als  Wahrzeichen einer neuen volkswirtschaftlichen Epoche  gefeiert worden sei. Er habe sich deshalb verpflichtet gefühlt, das nachzulesen, was SCHMOLLER hier über die Geschichte des Islam gesagt habe. Zu seinem großen Bedauern sei ihm aber bei SCHMOLLER nichts als eine schwere Mißhandlung der islamitischen Geschichte begegnet. Gegen solche wirtschaftsgeschichtliche Darstellungen müsse er in formeller wie materieller Hinsicht entschieden Verwahrung einlegen." - Ich habe schon der Neigung SCHMOLLERs für sehr allgemein gehaltene Sätze gedacht. Vgl. dazu noch Seite 452: "Die Besitzungen der Fürsten, der Großbankiers, des Grundadels häuften sich von 1400 - 1800 sehr, während bereits gewisse Schichten der mittleren und unteren Klassen ihren Besitz ganz oder teilweise verloren". Dieser Satz soll für "Mittel- und Nordeuropa" gelten. In seiner Allgemeinheit ist er aber nicht richtig. Auf ihn läßt SCHMOLLER dann eine Reihe gar zu spezieller Angaben folgen. So wird die Darstellung ungleichmäßig. Außerdem werden Beispiele aus sehr verschiedenen Zeiten und Ländern durcheinander gemischt. Über die schwierige Frage, wie es sich mit "Häufung" von 1550 - 1800 in Deutschland verhielt, geht SCHMOLLER hinweg. - Es ist von SCHMOLLER nicht liebenswürdig gegen das Publikum, daß er sogleich die 1. - 6. Auflage hat drucken lassen und sich so der Möglichkeit einer häufigeren Korrektur seiner Darstellung beraubt. - Ich habe mich, als Historiker, im obigen auf die Prüfung des historischen Materials bei SCHMOLLER beschränkt. Man wird aber schon hiernach seinen statistischen Aufstellungen ebenfalls mit starken Zweifeln begegnen. Sie sind dann auch in der Tat bereits bestritten worden (Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1907, Seite 226).
    14) Man denke z. B. an SCHMOLLERs Abhängigkeit von HILDEBRAND, DROYSEN, NITZSCH, um nur von historischen Arbeiten zu sprechen.
    15) Über SCHMOLLERs Verdienste auf dem Gebiet der historischen Literatur siehe Näheres in der Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1904, Seite 799f und in der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1905, Seite 142f
    16) Westdeutsche Zeitschrift 23, Seite 137
    17) HASBACH spricht im Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 24 (1907), Seite 29, mit Recht die Bitte aus, "daß der in einem Teil der deutschen Nationalökonomie stark hervortretenden Neigung, theoretische und historische Untersuchungen zur Stütze volkswirtschaftlicher uns sozialpolitischer Forderungen vorzunehmen, nicht weiter nachgegeben werde; denn sie bedeutet den Verderb der Wissenschaft". HASBACH hat hierbei einen Autor im Auge, der SCHMOLLER fern steht (wohl eher Gegner desselben ist). Aber SCHMOLLERs Verfahren ist doch vielfach tatsächlich das gleiche. Im gleichen SInn wie HASBACH äußert sich MAX WEBER (vgl. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1904, Seite 374, Anm. 3).