ra-2Joseph SchumpeterEugen von Böhm-Bawerk    
 
GEORG SULZER
Die wirtschaftlichen
Grundgesetze


"Produktion und Konsumtion sind nur verschiedene Stadien des Gesamtvorgangs der Bedürfnisbefriedigung, und gehen manchmal so allmählich und unmerkbar ineinander über, daß sich zwischen ihnen keine Grenze ziehen läßt. Wo liegt beispielsweise die Grenze zwischen der Produktion der Speisen und ihrer Konsumtion? Das Kochen gehört jedenfalls noch zur Produktion und ebenso das Auftragen. Aber ob die konsumtive Tätigkeit, welche wir Essen nennen, schon beginnt, wenn wir die Speise zum Mund führen, oder erst, wenn wir sie verkauen und verschlucken, ist zweifelhaft."

"Das Lebensziel, das der Mensch erstrebt, ist nicht Befriedigung von Bedürfnissen überhaupt, sondern eine möglichst vollkommene Befriedigung aller primären sowohl als auch sekundären Bedürfnisse, das größte erreichbare Glück, der höchste Lebensgenuß oder die größte Nützlichkeit, alles verschiedene Ausdrücke zur Bezeichnung des gleichen Begriffs."

"Miteinander stehen die Einzelwirtschaften durch den Besitzwechsel der Güter in Verbindung, der entweder durch einseitiges Nehmen, Raub oder Diebstahl, oder durch einseitiges Geben, Schenken, oder durch beidseitiges Geben und Nehmen, den Tausch, herbeigeführt wird. Nur der auf die beiden letzteren Arten stattfindende Besitzwechsel begünstigt das gesellschaftliche Zusammenleben, und ist daher in einem zivilisierten Staat durch das Recht gestattet und geschützt."


V o r w o r t

Die theoretische Wirtschaftslehre bildet so sehr ein untrennbares organisches Ganzes, daß es fast unmöglich ist, die Darstellung der wirtschaftlichen Gesetze eines einzelnen Gebietes von derjenigen der anderen Gebiete zu trennen. Nachdem ich daher einmal den Plan gefaßt hatte, meine Ansichten über die wirtschaftlichen Gesetze der Gegenwart der Öffentlichkeit zu übergeben, hielt ich es für das allein Richtige, sofort den ganzen Organismus dieser Gesetze zur Darstellung zu bringen.

In diesem Entschluß haben mich dann noch andere Erwägungen bestärkt.

Was mich zum Studium der Wirtschaftslehre führte, war der große Kampf, den neue Ansichten über die Verbesserung unserer sozialen Zustände mit althergebrachten führen. Ich wollte mir Gewißheit darüber verschaffen, wie sich die Wissenschaft zu diesen Ansichten stellt. Nun bin ich zwar im Laufe meiner Forschungen zu der Überzeugung gelangt, daß die Wissenschaft, die man heute gewöhnlich die Nationalökonomie nennt und von der man Auskunft hierüber erhofft, in zwei wesentlich verschiedene Wissenschaften zerfällt, die Wirtschaftslehre und die Gesellschaftswissenschaft, und daß es der Erkenntnisse auf dem Gebiet dieser beiden Wissenschaften bedarf, um ein sicheres Urteil in der bezeichneten Hinsicht zu gewinnen. Aber die Gesetze der theoretischen Wirtschaftslehre müssen zuerst klar erkannt sein, bevor und die Gesellschaftswissenschaft diejenigen Resultate liefern kann, die man von ihr erwartet, und dazu genügen bloße Teilkenntnisse nicht, sondern es bedarf der Erkenntnis des ganzen Organismus der wirtschaftlichen Gesetze.

Sodann ist in neuester Zeit leider die theoretische Wirtschaftslehre etwas in Mißkredit geraten. Schon die bereits berührte Eigentümlichkeit dieser Wissenschaft, daß sie einen einheitlichen Organismus bildet, ist ihrer Autorität nicht günstig; denn sie benimmt der bloß teilweisen Erkenntnis die überzeugende Kraft. Auch läßt sich nicht leugnen, daß die vielfachen, von Berufenen und Unberufenen ausgehenden neuesten Forschungen mannigfache irrtümliche Anschauungen erzeugt haben, zumal die theoretische Wirtschaftslehre immer mehr in eine verwirrende Vermischung mit der Gesellschaftswissenschaft hineingeraten ist. So konnte es kommen, daß man heute vielfach die Ansicht vertreten hört, die wirtschaftlichen Gesetze seien auf bloßer Empirie beruhende Regeln, die großen, nicht vorauszubestimmenden Veränderungen unterliegen, und es sei ein durchaus aussichtsloses Beginnen, sie mit Hilfe einer mehr deduktiven Forschungsmethode feststellen zu wollen. Diese meiner festen Überzeugung nach unrichtige Ansicht ist begreiflicherweise der Wissenschaft der Wirtschaftslehre höchst nachteilig und muß widerlegt werden, wenn diese die ihr zukommende Bedeutung gewinnen soll. Zu diesem Zweck ist es aber wieder nötig, ihren ganzen Inhalt zu erörtern.

Das folgende Werk soll deshalb eine vollständige Darstellung sämtlicher Grundgesetze der heutigen Wirtschaft bringen. Am liebsten wäre ich hierbei in einer populären für jederman verständlichen Weise vorgegangen. Allein die Wirtschaftslehre ist ebensowenig wie die höhere Mathematik und die Astronomie eine populäre Wissenschaft. Nur ihre wichtigsten Resultate können gleich denjenigen der Astronomie Gemeingut Aller werden; da es aber noch gar keine allgemein anerkannten Resultate der Wirtschaftslehre gibt, konnte ich mich mit einer bloßen Aufzählung und Ordnung von Resultaten nicht begnügen, sondern war gezwungen, dieselben aus ihren Ursachen zu entwickelen, also zu einer Darstellung zu greifen, deren Verständnis ziemliche Schwierigkeiten bietet. Damit tritt das vorliegende Werk in die Reihe der wissenschaftlichen Abhandlungen. Immerhin habe ich mich bemüht, so zu schreiben, daß es zum Verständnis wenigstens der wesentlichen Punkte keiner besonderen Fachbildung bedarf. Ich hoffe daher, daß jeder genügend Gebildete, der die Mühe des Studiums nicht scheut, imstande ist, sich daraus eine vollständige und klare Erkenntnis des bewundernswerten Organismus der wirtschaftlichen Gesetze zu verschaffen.



Erstes Buch
Die menschlichen Tätigkeiten in ihrer
Beziehung zum Lebenszweck


Erstes Kapitel
Das Glück als Lebenszweck
- die Bedürfnisse -

Jeder Mensch betrachtet als Hauptzweck des Lebens das  Glück wenn auch die Ansichten darüber, worin dasselbe besteht, sehr voneinander abweichen. Formell ist das Glück die Erzeugung von Lustgefühl und die Fernhaltung oder Beseitigung von Unlustgefühl. Den einzelnen auf das Glück gerichteten Trieb, der, wenn er dem Menschen zu Bewußtsein gelangt, Wunsch genannt wird, bezeichnet man als  Bedürfnis und die Erreichung des angestrebten Ziels als  Bedürfnisbefriedigung.  Die Bedürfnisbefriedigungen kommen mit Hilfe all der mannigfachen bewußten und unbewußten Tätigkeiten des Menschen, zu denen ihn seine Organisation befähigt, unter Mitwirkung der Außenwelt zustand und prägen sich in einer Reihe von Vorgängen aus, deren Gesamtheit den Inbegriff des menschlichen Lebens ausmacht.

Den Abschluß findet jede Bedürfnisbefriedigung in einem Vorgang, durch den mittels einer Einwirkung äußerer Dinge auf den Menschen oder einzelne seiner Organe der angestrebte Effekt, die Erzeugung eines Lustgefühls oder die Fernhaltung bzw. Beseitigung eines Unlustgefühls, erreicht wird. Diesen Vorgang, in dessen Folge die mitwirkenden äußeren Dinge nicht selten die ihnen innewohnende Fähigkeit zur Bedürfnisbefriediung verlieren, nennt man die  Konsumtion  und die währen derselben stattfindende und zur Erreichung des Zwecks notwendige Tätigkeit des Menschen die  konsumtive Tätigkeit. 

Die konsumtive Tätigkeit ist oft eine  unbewußte.  Das Bedürfnis besteht häufig nur in einem instinktiven Trieb, der demjenigen, der ihn fühlt, nicht zu Bewußtsein gelangt. In jedem derartigen Fall vollzieht sich die Befriedigung im Konsumtionsakt ebenfalls unbewußßt; denn die bewußte Befriedigung setzt eine Erkenntnis des Zwecks voraus, zu welchem die Konsumtion vorgenommen wird, also ein Bewußtsein des gefühlten Bedürfnisses. Nicht selten geht sogar dann die Konsumtion unbewußt vor sich, wenn wir ihre Zweckmäßigkeit vollkommen durchschaut haben. So finden die beiden für die Erhaltung des Lebens wichtigsten Konsumtionsakte, das Atmen und das Essen, von denen das erstere allerdings nur ausnahmsweise Einfluß auf die wirtschaftlichen Gesetze ausübt, selbst beim erwachsenen Menschen, ersteres in der Regel, letzteres wenigstens ausnahmsweise, unbewußt statt, während doch der erwachsene Mensch ein vollkommenes Bewußtsein ihres Zweckes besitzt. hier ist es der Instinkt, der wie beim Tier die Konsumtion zustande bringt, ohne daß sie zu Bewußtsein gelangt. Es kann jedoch auch die beständig geübte Gewohnheit dazu führen, daß ein anfänglich mit Bewußtsein vollzogen Konsumtionsakt allmählich unbewußt vollzogen wird; denn die stete Übung schwächt das Bewußtsein des Zwecks immer mehr ab, bis es zuletzt völlig verschwindet.

In der Regel gehen der Konsumtion, wie ich schon angedeutet habe, andere für die Bedürfnisbefriedigung ebenso notwendige Vorgänge voran, zu denen es gleichfall menschlicher Tätigkeit sowie der Mitwirkung der Außenwelt bedarf. Sie bildet somit nur den Schlußakt einer Reihe von Vorgängen, deren Zweck die Bedürfnisbefriedigung ist. Bevor ich jedoch diese weiteren Vorgänge und die menschlichen Tätigkeiten, durch welche sie zustande kommen, feststelle, habe ich einige Erörterungen über den Begrif und einzelne besondere Arten des Bedürfnisses anzubringen.

Da es zur Bedürfnisbefriedigung mancher Voraussetzungen, namentlich vieler äußeren Dinge, der  äußeren Güter,  bedarf, erstrecken sich die Wünsche der Menschen auch auf die Herbeiführung dieser Voraussetzungen. Solche Wünsche werden daher ebenfalls nicht selten Bedürfnisse genannt. Man spricht von einem Bedürfnis nach Wasser, nach Kleidern, weil durch diese äußeren Güter mittels der Konsumtion Lustgefühle erzeugt oder Unlustgefühle ferngehalten bzw. beseitigt werden können, ja sogar von einem Bedürfnis nach Schulbildung, weil die Schulbildung ein Mittel zum Erwerb von Kenntnissen ist, wodurch die Bedürfnisbefriedigung gefördert wird. Wir wollen solche Bedürfnisse  mittelbare  nennen. Ihnen stehen als  unmittelbare  diejenigen gegenüber, welche im Trieb oder Wunsch nicht bloß nach den Mitteln zur Erzeugung von Lust oder Fernhaltung bzw. Beseitigung von Unlust, sondern nach diesem Effekt selbst bestehen, wenn sie auch natürlich den Wunsch in sich schließen, die dazu notwendigen Mittel zu erlangen. Die Wissenschaft kennt nur den Begriff des unmittelbaren Bedürfnisses. Wenn ich daher im folgenden von einem Bedürnis nach bestimmten äußeren Gütern spreche, so verstehe ich darunter in der Regel den ganzen Kreis der unmittelbaren Bedürfnisse, die damit befriedigt werden können. Die Bezeichnung des äußeren Gutes dient dann als Mittel zur besseren Bestimmung unmittelbarer Bedürfnisse. Diese werden dadurch zu  spezifizierten  Bedürfnissen. So bezeichnen die Ausdrücke Nahrungs-, Kleidungs-, Wohnungsbedürfnis die sämtlichen unmittelbaren Bedürfnisse, die durch Nahrung, Kleidung und Wohnung befriedigt werden, also durch diese äußeren Güter spezifiziert sind.

Eine sehr wichtige Unterscheidung der Bedürfnisse ist diejenige in  primäre  und  sekundäre.  Primär ist ein Bedürfnis, wenn der Konsumtionsakt mit der Befriedigung des Bedürfnisses desjenigen zusammenfällt, der dabei konsumtiv tätig ist; sekundär, wenn die Bedürfnisbefriedigung eine bloße Begleiterscheinung der Befriedigung anderer Bedürfnisse ist.

Es sind zwei Fälle, sekundärer Bedürfnisse zu unterscheiden. Der erste liegt dann vor, wenn die Befriedigung sich an irgendeinen der Vorgänge anknüpft, die sich bei der Befriedigung eines  eigenen  primären Bedürfnisses ereignen. Fast immer sind diese Vorgänge, namentlich die Beschaffung der für den Konsumtionsakt erforderlichen äußeren Güter, von einem besonderen Lustgefühl der Befriedigung begleitet, das  vor  dem Konsumtionsakt entsteht und seine psychologische Ursache in der bald größeren bald geringeren Sicherung der Befriedigung des primären Bedürfnisses hat. Der zweite Fall eines sekundären Bedürfnisses tritt ein, wenn das primäre Bedürfnis, welches das sekundäre verursacht, nicht ein eigenes, sondern ein  fremdes  ist. Die gleiche Sorge, das gleiche Unlustgefühl, das der Mensch empfindet, solange nicht die Befriedigung eigener primärer Bedürfnisse sichergestellt ist, empfindet er auch, wenn diese Sicherstellung bei dritten Personen mangelt, mit denen er durch das Band der Liebe verknüpft ist. Diese zweite Art sekundärer Bedürfnisse nennt man  altruistische  und stellt sie den  egoistischen  gegenüber, unter denen man nicht nur alle primären, sondern auch diejenigen sekundären versteht, die Begleiterscheinungen der Befriedigung eigener primärer Bedürfnisse bilden. Da es zur Befriedigung primärer Bedürfnisse der eigenen Konsumtion, d. h. der Einwirkung äußerer Dinge auf den Menschen in dem besonderen Vorgang, den wir Konsumtion nennen, bedarf, die Befriedigung sekundärer Bedürfnisse dagegen ein rein psychischer Vorgang ist, der eines selbständigen Konsumtionsaktes entbehrt, weil er ausschließlich durch die Vorgänge bei der Befriedigung anderer Bedürfnisse zustande kommt, dienen die gesamte konsumtive Tätigkeit des Menschen und ebenso alle anderen zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse notwendigen, dem Konsumtionsakt vorangehenden Tätigkeiten direkt nur der Befriedigung primärer Bedürfnisse. Die sekundären wirken auf diese Vorgänge und demgemäß auf die äußere Gestaltung des menschlichen Lebens einzig dadurch ein, daß sie die Befriedigung der primären Bedürfnisse  begünstigen.  Dessenungeachtet sind sie von größter Bedeutung für die menschliche Wohlfahrt, da ohne diese Begünstigung so viele primäre Bedürfnisse nicht zur Befriedigung gelangten, daß jede weitere Entwicklung der Menschheit abgeschnitten, ja ihre Fortexistenz bedroht wäre.

So groß die Zahl der primären Bedürfnisse ist, so entfällt doch weitaus der größte Teil sowohl der menschlichen Tätigkeiten, die für das Wirtschaften in Betracht kommen, weil sie Zeit kosten, als auch der äußeren für die Bedürfnisbefriedigung tauglichen Güter auf die Befriedigung der Bedürfnisse der  Nahrung,  der  Kleidung,  der  Wohnung  und des  Schlafes.  Die drei erstgenannten sind, wie wir früher gesehen haben, sogenannte spezifizierte Bedürfnisse, die einen sehr weiten Kreis unmittelbarer Bedürfnisse in sich schließen. Sie sind also keineswegs etwa mit den sogenannten Existenzbedürfnissen, den Bedürfnissen, deren Befriedigung zwecks Erhaltung des Lebens erforderlich ist, identisch. In dieser Beschränkung wäre der ausgesprochene Satz sogar unrichtig. Der größere Teil der Konsumtionsvorgänge, die durch Nahrung, Kleidung und Wohnung vermittelt werden, dient nicht der Erhaltung der Existenz, sondern bloßen Nützlichkeits- und Annehmlichkeits-, ja selbst Luxus-Bedürfnissen.

Das gewaltige Übergewicht, das die vier genannten Bedürfnisse, die wir wohl als die menschlichen  Hauptbedürfnisse  bezeichnen dürfen, über alle anderen in wirtschaftlicher Hinsicht besitzen, ist von der größten Bedeutung, und mußte daher schon hier, allen anderen Erörterungen vorangehend, zur Sprache gebracht werden. Dadurch nämlich werden wir in den Stand gesetzt, davon auszugehen, daß diese vier Hauptbedürfnisse diejenigen sind, welche die wirtschaftlichen Gesetze bestimmen, ohne daß die unter dieser Voraussetzun gewonnenen Resultate an einem wesentlichen Fehler litten.


Zweites Kapitel
Produktion und produktive Tätigkeit

Für jeden Konsumtionsvorgang bedarf es der Mitwirkung äußerer Dinge,  äußerer Güter.  Selbst für die Befriedigung des Ruhebedürfnisses, das im Schlafbedürfnis gipfelt, ist die Mitwirkung der Außenwelt nicht zu entbehren, wenn ihre Bedeutung hierbei auch hinter derjenigen der konsumtiven Tätigkeit der menschlichen Organe zurücksteht; denn es sind äußere Dinge, die dem Ruhenden und Schlafenden eine geeignete Ruhestätte bieten und ihm durch die Verhinderung von Lärm, Nässe, Kälte und Hitze Ruhe und Schlaf sichern. Aber die äußeren Güter, die im Vorlauf der Konsumtion mit Hilfe konsumtiver Tätigkeit die Bedürfnisse befriedigen, sind nur selten reine Gaben der Natur oder einfache Tätigkeiten anderer Menschen, sondern meistens künstlich aus Gaben der natur mit Hilfe menschlicher Tätigkeit hergestellter Dinge; es sind  Produkte.  Den Vorgang, in welchem Produkte durch die Verbindung anderer sachlicher Güter unter sich und mit menschlicher Tätigkeit entstehen, nennt man die Produktion und die menschlichen Tätigkeiten, die dabei mitwirken,  produktive Tätigkeiten. 

Es fällt oft schwer zu bestimmen, mit welchem Moment die originären Güter, zu welchen die produktiven Tätigkeiten ebenso sehr gehören, wie die sachlichen Erzeugungselemente, die Gaben der äußeren Natur, zu Produkten werden, wo daher Produktion und produktive Tätigkeiten aufhören und Konsumtion und konsumtive Tätigkeiten beginnen; denn Produktion und Konsumtion sind, wie ich schon angedeutet habe, nur verschiedene Stadien des Gesamtvorgangs der Bedürfnisbefriedigung, und gehen manchmal so allmählich und unmerkbar ineinander über, daß sich zwischen ihnen keine Grenze ziehen läßt. Wo liegt beispielsweise die Grenze zwischen der Produktion der Speisen und ihrer Konsumtion? Das Kochen gehört jedenfalls noch zur Produktion und ebenso das Auftragen. Aber ob die konsumtive Tätigkeit, welche wir "Essen" nennen, schon beginnt, wenn wir die Speise zum Mund führen, oder erst, wenn wir sie verkauen und verschlucken, ist zweifelhaft. Und wie mit dem Essen, so verhält es sich mit vielen anderen Bedürfnisbefriedigungen. Wenn ich z. B. ein Gemälde betrachte, kann ich wohl die Einwirkung, welche dasselbe auf das Auge und durch dieses auf das Gehirn ausübt, mit Sicherheit zur Konsumtion rechnen, aber ob auch die Bewegungen des Körpers, die ich ausführen muß, um das Gemälde betrachten zu können, dazu gehören und daher konsumtive Tätigkeiten sind, ist bereits fraglich. Ebenso ist zweifelhaft, ob das An- und Auskleiden eine produktive oder konsumtive Tätigkeit ist.

Ganz allgemein finden wir dieses Verhältnis der Produktion und Konsumtion als zweier Stadien des Vorgangs der Bedürfnisbefriedigung in der isolierten Wirtschaft. In der Tauschwirtschaft wird dagegen die direkte Aufeinanderfolge von Produktioin und Konsumtion durch den Tausch zerrissen, und dadurch ein gewisser Anhaltspunkt für die Unterscheidung zwischen produktiver und konsumtiver Tätigkeit geschaffen; denn nur die produktive Tätigkeit bzw. die durch sie geschaffenen Produkte sind tauschfähig. Die auf das  eigene  An- und Auskleiden verwendete Tätigkeit gilt uns deshalb, weil sie weder direkt tauschfähig ist noch zur Herstellung eines tauschfähigen Produktes dient, - denn die Kleider bedürfen, um tauschfähig zu werden, dieser Tätigkeiten nicht, - als konsumtive Tätigkeit, während wir, wenn das An- und Auskleiden durch  Drittpersonen  besorgt wird, die Tätigkeit dieser Personen, weil sie tauschfähig ist, als produktive Tätigkeit betrachten.

Manchmal befriedigt die produktive Tätigkeit direkt ein Bedürfnis und ist daher  gleichzeitig  eine konsumtive Tätigkeit. Wenn jemand zu seinem Vergnügen Holz spaltet oder einen Garten umgräbt, ist dieser Vorgang sicherlich eine Produktion; denn er dient dazu, Holz zum Gebrauch als Brennmaterial tauglich zu machen oder mit Hilfe der Kräfte des Bodens Nahrungsmittel zu erzeugen. Er ist jedoch auch Konsumtion, weil er durch eine Betätigung der Muskeln und Blutgefäße direkt wohltätig auf das menschliche Gemüt einwirkt und dadurch Lustgefühle erzeugt. Nicht anders verhält es sich mit produktiven Tätigkeiten, die, weil von anderen bewundert und gelobt, den Ehrgeiz befriedigen; denn sie erzeugen trotz der damit verbundenen Mühe einen Überschuß an Lustgefühl, der vom produktiven Erfolg unabhängig ist.


Drittes Kapitel
Technische Erkenntnis und technische Fertigkeit

Jede Produktion ist eine  Raumversetzung  sachlicher Dinge, herbeigeführt durch menschliche Tätigkeit. (1) Um zu produzieren, bedarf der Mensch daher der Erkenntnis der vorzunehmenden Raumversetzungen der Dinge, der  technischen  Erkenntnis, und der körperlichen Fertigkeit und Geschicklichkeit zu deren Vornahme, der  technischen Fertigkeit.  Technische Erkenntnis und technische Fertigkeit, die man zusammen kurzweg die  Technik  nennt, sind unerläßliche Vorausbedingungen der Produktion. Teilweise sind diese Vorausbedingungen dem Menschen angeboren. Teilweise aber müssen sie  erlernt  werden. Das geschieht mit Hilfe einer besonderen Tätigkeit, der  Lerntätigkeit,  im Vorlauf der  Ausbildung  oder  Erziehung

Nicht nur die Produktion, sondern auch die Konsumtion beruth auf Raumversetzungen und hat deshalb, sofern sie nicht instinktiv vor sich geht, ebenfalls die Erkenntnis von Raumversetzungen und die körperliche Fertigkeit zur Herbeiführung derselben, die  konsumtive Technik,  zur Voraussetzung. Diese ist gleichfalls nur zum Teil angeboren. Zum anderen Teil muß sie gerade so mit Hilfe von Lerntätigkeit erworben bzw. verstärkt werden, wie die produktive Technik. Es gibt daher neben der produktiven eine  konsumtive Lerntätigkeit,  und neben der produktiven eine  konsumte Ausbildung  oder  Erziehung. 

Die produktive Lerntätigkeit, welche der  produktiven Technik  dient, nimmt im heutigenn Kulturstaat bereits eine recht bedeutende Stellung ein. Schwächer, obgleich immerhin schon recht ansehnlich, hat sich die der  konsumtiven Technik  gewidmete Lerntätigkeit entwickelt. Man beachtet dieselbe im Vergleich zur produktiven gewöhnlich allzuwenig. Daß die Erkenntnis der Fähigkeit der äußeren Güter zur Produktion Gegenstand der produktiven Lerntätigkeit ist, unterliegt zum Beispiel keinem Zweifel; aber daß der Mensch auch die Fähigkeit der äußeren Güter zur  Konsumtion erkennen  muß und daß er für die Erlangung dieser Erkenntnis die Lerntätigkeit nicht entbehren kann, wird leicht übersehen; weil man diese Erkenntnis allzusehr als schon durch den Instinkt gegeben hält. Immerhin geht die Erlernung meist im frühen Kindesalter und leichter als diejenige der Fähigkeit der Güter zur Produktioin vor sich. Ähnlich verhält es sich in anderen Beziehungen. Wenn die Kinder in der Schule lesen lernen, denkt jedermann zuerst an die Vermehrung der Fähigkeiten zur Produktion, die sie dadurch erwerben. Es ist ja richtig, daß ihre zur Produktion befähigende Erkenntnis dadurch gewinnt und in manchen Fällen sogar die Kenntnis des Lesens zur unentbehrlichen Grundlage hat. Aber für viele Menschen ist die Förderung der Fähigkeit zur Konsumtion, die der Mensch der Kenntnis des Lesens verdankt, noch wichtiger. Wie manchen Genuß muß derjenige entbehren, der des Lesens unkundig ist! Die körperliche Ausbildung, die uns in der Schule zuteil wird, ist sogar weniger eine solche, die der produktiven, als eine solche, die der konsumtiven Technik zu dienen hat; denn da ihr Zweck ist, durch Übung die Gesundheit und Kraft des Körpers zu erhalten und zu vermehren, wird dadurch in erster Linie die Fähigkeit zur Konsumtion und erst in zweiter diejenige zur Produktion gehoben. Namentlich eine Veredlung der Genüsse, die gleichbedeutend ist mit einer Vermehrung derselben, wird am besten dadurch erreicht, daß in den Kindern die technischen Erkenntnisse und Fertigkeiten, die die Vorbedingungen solcher Genüsse sind, wozu unter anderm musikalische Kenntnisse und Fertigkeiten gehören, mit Hilfe der Lerntätigkeit geschaffen oder vermehrt werden.

Mit der Vermehrung der konsumtiven Fähigkeiten durch die Lerntätigkeit nicht zu verwechseln ist die Ausbildung der  ethischen  Eigenschaften des Menschen. Ich werde jedoch erst später imstande sein, auf diese besondere Art der Lerntätigkeit, die ein Produkt des geselligen Zusammenlebens der Menschen ist, einzugehen.

Der von der Lerntätigkeit abhängende Vorgang der Ausbildung läßt sich gleichfalls nicht streng von den Vorgängen der Konsumtion und Produktion scheiden, da er oft ebenso unmittelbar der zeitlich nachfolgenden Produktion oder Konsumtion vorausgeht, wie die Produktion der Konsumtion. Im weiteren kann ein Vorgang, der der Ausbildung dient, bei dem also die menschliche Tätigkeit als Lerntätigkeit erscheint,  gleichzeitig  Produktion oder auch Konsumtion sein, so daß die damit verbundene Tätigkeit zugleich eine produktive oder konsumtive ist. So ist z. B. die Tätigkeit eines Lehrlings wegen der damit verbundenen Absicht, sich im Beruf auszubilden, Lerntätigkeit und zugleich, da dadurch ein Produt geschaffen wird, produktive Tätigkeit.

Ich habe bisher absichtlich vermieden, die eine oder andere der drei bis dahin behandelten menschlichen Tätigkeitenn  Arbeit  oder  Genuß  zu nennen, weil ich glaube, daß diesen beiden Gegensätzen in der Wirtschaftslehre keine entscheidende Bedeutung zukommt. Aber ich muß dieselben doch kurz besprechen:

Arbeit  wir von JEVONS (2) alle diejenige menschliche Tätigkeit genannt, bei der die damit verbundene Mühe die Lust überwiegt, so daß dieselbe nicht um ihrer selbst willen, sondern ihres nützlichen Erfolges wegen vollbracht wird. Demgemäß müßte  Genuß  diejenigen Tätigkeiten bezeichnen, bei denen das damit verbundene Lustgefühl stärker ist als das Unlustgefühl der Mühe. Man kann sich daher fragen, ob nicht der Genuß mit der konsumtiven Tätigkeit, die Arbeit mit der produktiven und Lerntätigkeit zusammenfällt. Unzweifelhaft erscheint uns die konsumtive Tätigkeit nicht als Arbeit, sondern als Genuß. Zwar gibt es hiervon einige Ausnahmen. Einem Kranken verursacht das Essen bisweilen so große Mühe, daß er es nur wegen des Erfolges, der Erhaltung des Lebens, vornimmt. Aber diese Ausnahmen sind ohne große praktische Bedeutung. Dagegen sind die produktiven und Lerntätigkeiten keineswegs ebenso regelmäßig Arbeit. Wenn den Menschen die Art der produktiven und Lerntätigkeiten nicht meistens durch die Verhältnisse vorgezeichnet wäre, sondern sie dieselbe aus freiem, auf ihr eigenes Lustgefühl gegründetem Antrieb wählen dürften, und wenn dieselben zudem kürzere Zeit dauerten, als es tatsächlich meistens der Fall ist, wären diese Tätigkeiten wohl meistens ebenfalls mehr Genuß als Arbeit; denn es würde unter diesen Voraussetzungen weit häufiger, als es jetzt der Fall ist, das damit verbundene Lustgefühl das Unlustgefühl überwiegen. Daß es nicht so ist, ist daher bloß eine Folge äußerer Verhältnisse und nicht in der Natur dieser Tätigkeiten begründet.


Viertes Kapitel
Der Begriff der Wirtschaft und der
wirschaftlichen Tätigkeit.

Das Lebensziel, das der Mensch erstrebt, ist nicht Befriedigung von Bedürfnissen überhaupt, sondern eine  möglichst vollkommene  Befriedigung aller primären sowohl als auch sekundären Bedürfnisse, das größte erreichbare Glück, der  höchste  Lebensgenuß oder die  größte  Nützlichkeit, alles verschiedene Ausdrücke zur Bezeichnung des gleichen Begriffs.

Alle bisher behandelten menschlichen Tätigkeiten dienen bereits diesem Zweck. Vollständig erreicht wird derselbe jedoch erst durch das  Wirtschaften.  Der Mensch muß, da alle seine produktiven und Lerntätigkeiten und auch viele konsumtive Tätigkeiten Zeit kosten und dadurch die Ausführung anderer ebenfalls nützlicher Tätigkeiten verunmöglichen, und die Zeit ihm nur in beschränkter menge zur Verfügung steht, seine Tätigkeiten regeln. Das Gleiche muß hinsichtlich der Verwendungen der Dinge der Außenwelt geschehen, deren er und diejenigen seiner Mitmenschen, für deren Bedürfnisbefriedigung er auf der Grundlage altruistischer Bedürfnisse sorgt, für Konsumtion, Produktion und Ausbildung bedürfen, und zwar so, daß er davon den größten Lebensgenuß hat, obwohl naturgemäß das Glück, das er erstrebt, subjektiver Natur ist und daher mit seiner objektiven wahren Wohlfahrt nicht in allen Fällen übereinstimmt. In dieser Regelung einerseits der eigenen Tätigkeiten, der  inneren Güter,  mit Rücksicht auf die ihm dafür zur Verfügung stehende beschränkte Zeit, andererseits der Verwendungen der Dinge der Außenwelt, der  äußeren Güter,  die, weil der Mensch unter der Herrschaft des Strebens nach dem Glück steht, von jedermann vorgenommen wird, besteht die  Wirtschaft.  Die Tätigkeit, mit deren Hilfe wir dieselbe vornehmen, ist  wirschaftliche Tätigkeit. 

Da, wie wir gesehen haben, namentlich die konsumtiven Tätigkeiten oft unbewußt vor sich gehen, mag man fragen, ob eine solche die größte Gesamtnützlichkeit bezweckende Regelung insbesondere der konsumtiven Tätigkeiten möglich sei; allein ich werde später zeigen, daß diese Regelung sich sehr  häufig unbewußt  vollzieht und zwar nicht bloß wegen der Unbewußtheit mancher  konsumtiven  Vorgänge, sondern auch wegen des unbewußten Vollzugs der  wirtschaftlichen  Tätigkeit selbst infolge einer beständigen Übung derselben, wodurch der ursprünglich bewußte Vorgang allmählich zum unbewußten wird. Überhaupt werden wir ja erst später, wenn ich die wirtschaftliche Regelng menschlicher Tätigkeiten und der Verwendung der äußeren Güter in ihren Einzelheiten darzustellen habe, volle Klarheit über den Begriff der Wirtschaft und der wirtschaftlichen Tätigkeiten erlangen.

Selbst ganz kleine Kinder entbehren einer Wirtschaft nicht völlig, obwohl bei ihnen die wirtschaftliche Tätigkeit ebenso wie die konsumtive größtenteils eine unbewußte ist. Aber dieselbe ist unvollkommen; denn sie steht noch größtenteils unter der Herrschaft der Eltern, die sie durch ihren Einfluß lenken. Erst beim erwachsenen, freien und rechtlich selbständigen Menschen erstreckt sich die Wirtschaft auf die gesamte Tätigkeit und alle für Konsumtion, Produktion und Ausbildung tauglichen äußeren Güter, während sie beim Sklaven, Leibeigenen und Bevormundeten immer eine beschränkte bleibt. Mit dem hohen Alter nimmt der Umfang der Wirtschaft wieder ab. Wie beim Kind, sorgen beim altersschwachen Greis ebenfalls wieder hauptsächlich andere Menschen auf der Grundlage altruistischer Bedürfnisse für die Bedürfnisbefriedigung und deren wirtschaftliche Regelung.

Es scheint schwierig zu sein, die Grenzen der wirtschaftlichen Tätigkeit gegenüber den konsumtiven, produktiven und Lerntätigkeiten festzustellen; denn jeder dieser letzteren gehen wirtschaftliche Entscheidungen, also wirtschaftliche Tätigkeiten, voran, welche ihnen die Direktion geben, und wo diese Entscheidungen aufhören und die konsumtive, produktive oder Lerntätigkeit beginnt, ist oft schwer festzustellen. Dazu kommt, daß, obgleich die wirtschaftliche Tätigkeit meistens nur aus diesen Entscheidungen besteht, und mit der Übersetzung derselben in die Wirklichkeit, wozu es der Raumversetzung bedarf, aufhört, doch bisweilen sind auch die Raumversetzungen noch wirtschaftliche Tätigkeit. So ist zwar meist nur die Entscheidung darüber, wie ein Sachgut konsumtiv oder produktiv verwendet werden soll, ob es aufbewahrt oder transportiert, ob es verkauft werden soll, wirtschaftliche Tätigkeit, und die Verwirklichung, wozu es der Raumversetzungen bedarf, gehört zur Konsumtion oder Produktion; aber wir finden auch Raumversetzungen sachlicher Güter, die nicht der Konsumtion oder Produktion, sondern der wirtschaftlichen Regelung der Verwendungen anderer Güter dienen, wie z. B. die meisten Raumversetzungen, die mit dem Geld vorgenommen werden, und solche raumversetzende Tätigkeiten muß man sicherlich als wirtschaftliche Tätigkeiten betrachten.

Trotz der hieraus hervorgehenden Unsicherheit der Grenzen der wirtschaftlichen Tätigkeit, in deren Folge sie manchmal scheinbar unausscheidbar zwischen Tätigkeiten anderer Art eingeschoben ist, so daß insbesondere die Tätigkeit mancher moderner Unternehmer ein buntes Gemisch von wirtschaftlicher mit produktiver Tätigkeit darstellt, bilden doch nicht nur alle wirtschaftlichen Tätigkeiten des einzelnen Menschen, sondern auch die wirtschaftlichen Tätigkeiten größerer Gesamtheiten von Menschen, ja der ganzen zivilisierten Menschheit ein organisches Ganzes, das von bestimmten Gesetzen beherrscht ist, und es ist deshalb nicht allzuschwierig, die wirtschaftliche Tätigkeit überall zu erkennen und von  Tätigkeiten  anderer Art zu unterscheiden. In diesem organischen Zusammenhang der wirtschaftlichen Tätigkeiten liegt zudem der Hauptgrund, warum wir darin eine besondere Art menschlicher Tätigkeit erblicken, die sich von allen anderen Arten in charakteristischer Weise unterscheidet.


Fünftes Kapitel
Die Notwendigkeit
einer sozialen Ordnung

Wenn der Mensch einzeln lebte, wäre er imstande, sich mit Hilfe derjenigen vier Tätigkeiten, die ich bis dahin beschrieben habe die höchste für ihn erreichbare Wohlfahrt zu schaffen. Es wäre auch nicht gerade eine Unmöglichkeit, daß die Menschen, wie dies manche Tiere tun, lediglich der geschlechtlichen Fortpflanzung wegen vorübergehend zusammenkämen, und im übrigen einsam lebten, indem nur die Mütter so lange für ihre Kinder sorgen, als diese außerstande sind, sich selbst zu erhalten. Aber die Wirklichkeit ist nicht so gestaltet. Der Mensch ist ein  geselliges  Wesen und er ist dies, weil das gesellige Zusammenleben und Zusammenwirken die Wohlfahrt, die jeder erstrebt, erhöht. Dadurch entstehen für ihn neue Genüsse, die Produktion wird ergiebiger und das Wirtschaften vorteilhafter. Damit jedoch diese Vorteile des geselligen Lebens zur Geltung kommen, bedarf es einer Einschränkung der widerstrebenden Einzelinteressen, einer  sozialen Ordnung. 

Das gesellschaftliche Leben der Menschen führt, da jeder von ihnen zunächst nur sein eigenes Glück verfolgt, zu Widersprüchen zwischen den verschiedenen Einzelinteressen und dadurch zu Kämpfen, die einen großen Teil der durch das Zusammenleben ermöglichten Wohlffahrtsvermehrung wieder vernichten, wenn sie nicht durch Umgrenzung der einzelnen Interessensphären unschädlich gemacht werden. Diese Kämpfe, die manchmal aus der geschlechtlichen Liebe, hauptsächlich aber aus der Beschränktheit der der Bedürfnisbefriedigung dienenden Gben der Natur entstehen, zerstören, wie die Geschichte zur Genüge lehrt, sowohl Güter als auch Menschen und hindern die Benutzung des geselligen Zusammenlebens zum Zweck der Erreichung größter Wohlfahrt. Die altruistischen Bedürfnisse sind für sich allein, da sie sich meistens nur auf die Befriedigung der Bedürfnisse der allernächsten Verwandten und Freunde beziehen, außerstand, diese Hindernisse zu beseitigen; sie vermögen sie höchstens zu mildern. Aber die menschliche Entwicklung hat noch andere Mittel gezeitigt, durch welche es, unter Beihilfe der altruistischen Bedürfnisse, gelungen ist, dem Wettstreit der Einzelinteressen seine die menschliche Wohlfahrt zerstörenden Wirkungen größtenteils zu benehmen und immer mehr und mehr dasjenige Zusammenwirken herbeizuführen, das geeignet ist, die größte Wohlfahrt aller zu schaffen.

Es ist höchst schwierig und liegt zudem außerhalb des Bereichs meiner Aufgabe, den Weg zu verfolgen, den die Entwicklung hierbei eingeschlagen hat. Einige Andeutungen darüber mögen jedoch am Platz sein, um das volle Verständnis derjenigen dieser Mittel zu eröffnen, mit deren Hilfe gegenwärtig die Einschränkung der widerstrebenden Einzelinteressen zum Zweck der Erreichung der höchsten Gesamtwohlfahrt stattfindet.

Man möchte geneigt sein, anzunehmen, daß diese Entwicklung von der Koalition der Gesamtheit gegen den einzelnen ausgegangen ist. Jeder einzelne hat an einer Einschränkung der Interessenssphären der anderen insoweit ein Interesse, als er dadurch in seinen eigenen Ansprüchen auf die Sachgüter gegenüber den Ansprüchen der anderen geschützt wird. Eine solche Einschränkung kann er erreichen, wenn er sich mit denjenigen, die das gleiche Interesse haben, verbindet, it ihnen gemeinsam die individuellen Interessenssphähren ausscheidet und für deren Schutz sorgt. Er hat zwar an einem solchen Schutz zunächst nur insoweit ein Interesse, als seine eigene Interessenssphäre dadurch vor den Eingriffen dritter geschützt wirde; da er jedoch befürchten muß, daß, wer in die Interessenssphäre anderer eingreift, die seinige gleichfalls mißachtet, ist er geneigt, beim Schutz fremder Interessensspären mitzuwirken, und, da alle so denken, steht, so scheint es, dem einzelnen, der zugunsten seines Selbstinteresses sich über die Schranken der im Interesse aller stattgefundenen Einschränkung der individuellen Interessenssphären hinwegsetzen will, der Wille aller andern gegenüber, und vereitelt so, weil der letztere meist stärker ist, die drohende Verletzung.

Dennoch ist die soziale Ordnung nur ausnahmesweise auf diese Art zustande gekommen. Wir haben, indem wir so argumentieren wie es geschehen ist, mit Hilfe der Deduktion ein Problem zu lösen versucht, dessen Lösung auf diesem Weg große Schwierigkeiten verursacht, weil man leicht in den Fehler verfällt, dabei von der Natur des heutigen Kulturmenschen auszugehen. Diesem Fehler sind wir nicht entgangen und deshalb zu einem unrichtigen Resultat gelangt. Es kommt höchstens selten vor, daß die Menschen in ihrem Urzustand sich zu Zwecken der Einschränkung der verschiedenen Interessenssphären vereinigen, und es ist ebenfalls nur ausnahmsweise richtig, daß unter solchen Menschen die Mehrheit stärker ist als der einzelne und daher ihren Willen gegenüber dem Einzelwillen durchzusetzen vermag. Die Geschichte lehrt uns, daß im Gegenteil die erste Beschränkung der Einzelinteressen meistenteils nicht von der Gesamtheit, sondern von den einzelnen ausgegangen ist, die sich so sehr über die andern erhoben, daß ihr Wille zum Gesetz der Gesamtheit wurde, dem sich jene unterordnen mußten. Die ersten sozialen Ordnungen sind durch Despoten oder Aristokratien geschaffen worden. Diese haben nämlich gleichfalls ein Interesse an einer solchen Regelung, denn durch dieselbe vermögen sie ihren Ehrgeiz besser zu befriedigen und besser alle diejenigen Vorteile auszunützen, die ihre bevorzugte Stellung ihnen verleiht. Je kräftiger der Despot oder die Aristokratie, desto sicherer, wenn auch nicht immer desto besser, die soziale Ordnung. Auf höheren Entwicklungsstufen kommt dann noch ein zweites Moment fördernd hinzu. Hier ist es nicht mehr die Gewohnheit des Herrschens auf seiten des Despoten oder der herrschenden Klasse und die durch Zwang herbeigeführte Gewohnheit des Gehorchens auf seiten der Untertanen, durch welche die von den ersteren gegebene soziale Ordnung gestützt wird, sondern obgleich diese Ordnung, weil nur im Interesse geschaffen, unvollkommen ist, entwickelt sich doch bereits in den Beherrschten das Gefühl, daß dieselbe trotz ihrer Mangelhaftigkeit immerhin besser sei als völlige Anarchie, und daß, wenn der Despot oder in einer Aristokratie die bevorrechtigte Klasse die soziale Ordnung aufrecht erhält, dies auch im Interesse der Beherrschten liegt, und deshalb unterstützt jeder einzelne der letzteren, solange er nicht selbst unter ihren Mängeln leidet, ebenfalls die Aufrechterhaltung dieser Ordnung. Wir brauchen dabei nicht an den Patriotismus zu denken, welcher der Herrschaft der Despoten überall am meisten zugute kommt, indem er in den Untertanen die Überzeugung befestigt, daß die vielleicht sehr mangelhafte soziale Ordnung, die der Despot aufrechterhält, dem Vaterland in seiner Stellung nach außen Nutzen bringt.

Je mehr das Gefühl der Nützlichkeit einer sozialen Ordnung im Volk überhand nimmt, umso eher ist es möglich, von der unvollkommenen, weil nur einseitige Interessen schützenden sozialen Ordnung der Despotie oder Aristokratie zu einer Regierungsform überzugehen, bei der die Gesamtheit der Staatsbürger angemessen ihre Interessen zur Geltung zu bringen vermag. Daraus folgt freilich noch lange nicht, daß die soziale Ordnung nunmehr die Interessen aller gleichmäßig berücksichtigt.

Die Entwicklung bleibt jedoch bei der Herstellung einer sozialen Ordnung durch bloßen Zwang, geht dieser von wem auch immer aus, nicht stehen. Langsam und zögernd zwar, aber, wie wir hoffen, umso unaufhaltsamer entsteht, Hand in Hand mit der Entwicklung der zwangsweisen sozialen Ordnung, im Menschen das  Bedürfnis seine Handlungen so zu gestalten, daß sie dieser Ordnung, die sich auch immer mehr in allgemeinen Normen, dem Recht und der Sitte, ausprägt, entsprechen und dadurch die allgemeine Wohlfahrt fördern. Die psychologische Grundlage dieses Bedürfnisses ist das  Pflichtgefühl  oder die Moral, das Gefühl des Unbefriedigtseins mit sich selbst, der Gewissensbisse, wenn der Mensch das eigene individuelle Wohl über das Gesamtwohl stellt. Der moralische Mensch befriedigt mit dem Verzicht auf einen äußeren Vorteil, der das unmoralische Handeln begleitet, sowie durch die Vornahme einer Handlung, die nur das allgemeine Wohl fördert, ihm selbst aber Schaden bringt, ein eigenes Bedürfnis. Er schätzt einfach den Vorteil, den ihm das unmoralische Handeln oder Unterlassen bringen würde, geringer als den Nachteil, den er durch das Gefühl, unrecht zu handeln, erleidet. Noch öfter kombiniert sich bei demjenigen, der moralisch handelt, dieser Nachteil des unmoralischen Handelns mit dem weiteren, den er von der regulierenden Tätigkeit des Rechts und der Sitte zu befürchten hat, und überwiegt mit diesem zusammen den Vorteil einer Verletzung der Moral. Erst die allgemeine Herrschaft des Pflichtgefühls wird es dazu bringen, daß die soziale Ordnung nicht mehr vorzugsweise das Interesse der herrschenden Klasse, sondern die wahre Gesamtwohlfahrt zum Ziel hat. Dies von irgendeiner Regierungsform, z. B. von der reinen Demokratie, zu erwarten, ist ein verhängnisvoller Irrtum. Auf der anderen Seite wird es, selbst wenn das Pflichtgefühl noch mehr als gegenwärtig die Menschheit durchdringt, immer einzelne Elemente geben, in denen dasselbe nicht mächtig genug ist, um sie zum ethischen Handeln zu veranlassen. Diesen gegenüber kann der Zwang nicht entbehrt werden. Selbst im vorzüglichsten, die Interessen aller Bürger gleichmäßig wahrenden Staat und bei weit größerer durchschnittlicher Stärke es Pflichtgefühls, als wir sie heute vorfinden, muß daher die Gesellschaft die Macht besitzen, die soziale Ordnung zwangsweise aufrechtzuerhalten.

Eine wesentliche Unterstützung erhält das Pflichtgefühl durch die  Religion.  Die Religion hat zwar keineswegs den Zweck, das Gemeinwohl durch eine Regelung des menschlichen Zusammenlebens zu fördern, sondern sie entsteht aus einem  besonderen  Bedürfnis, das an und für sich mit dem Gemeinwohl nichts zu tun hat. Der Mensch, und ganz besonders der gemüt- und phantasiebegabte Mensch, hat ein lebhaftes Gefühl seiner Schwäche und Unbedeutendheit gegenüber den Naturgewalten, und dieses Abhängigkeits- und Schwächegefühl weckt in ihm das Bedürfnis nach Erkenntnis der Ursachen dieser Übergewalt der äußeren Natur und der Mittel, sich gegen dieselbe zu schützen. Über beides bildet er sich bestimmte Vorstellungen; er personifiziert die äußeren Gewalten und sucht in Verbindung mit denselben Stärkung und Trost in seinem Schwächegefühl. In diesen Vorstellungen und in dem sich daran anknüpfenden Verkehr mit den höheren Wesen, die sich der Mensch in seiner Phantasie gebildet hat, sowie aus der hieraus geschöpften Stärkung besteht die Religion.

Solange die Religion, die sich ebenso wie die soziale Ordnung nur allmählich aus niedrigen, rohen Formen zu höheren entwickelt, noch auf den unteren Stufen der Entwicklung steht, ist sie für die soziale Ordnung ohne Bedeutung. Höhere Religionen dagegen fördern das Pflichtgefühl aus mehrfachen Gründen. Vor allem deshalb, weil unethische, dem Pflichtgefühl widerstreitende Handlungen mit den religiösen Vorstellungen im Widerspruch stehen. So steht die Lieblosigkeit gegenüber den Mitmenschen, die Gleichgültigkeit gegen ihr Wohl in einem schneidenden Widerspruch zum christlichen Glauben an einen Erlöser, dessen Hauptgebot lautete: Liebet Eure Nächsten! und der aus Liebe zu den Menschen den Kreuzestod erduldete. Der Christ findet daher wahren Trost und wahre Erhebung in seinem Glauben nur dann, wenn er dem Nächsten gegenüber Liebe übt, und alles, was in seinen Kräften steht, tut, um das Los seiner Mitmenschen zu erleichtern. Sodann erhebt und veredelt eine höhere Religion das menschliche Gemüt und macht es dadurch für andere edle Regungen, also auch für ethisches Handeln, empfänglicher. Sie steht in dieser Beziehung über der Kunst, die eine ähnliche Wirkung ausübt, weil sie mehr als diese Gemeingut aller Menschen ist. Endlich fördert manche Religion, insbesondere das Christentum, das Pflichtgefühl auch durch die Lehre von der Vergeltung. Hieraus wird ihr nun freilich oft ein Vorwurf gemacht. Der Mensch, sagt man, soll das Gute nicht deshalb tun, weil er auf Belohnung nach dem Tod hofft, und das Böse nicht deshalb lassen, weil er Bestrafung fürchtet. Allein, obwohl zugegeben ist, daß das ethische Handeln aus freier Überzeugung einen größeren Wert hat als dasjenige, das durch die Hoffnung auf Belohnung oder Furcht vor Bestrafung veranlaßt wird, ein Standpunkt, den übrigens die christliche Religion selbst vollständig teilt, so kann man der Religion doch daraus keinen Vorwurf machen, daß sie durch die Lehre von der Vergeltung nach dem Tode noch eine das Pflichtgefühl fördernde Nebenwirkung erzielt, wie des denn niemandem einfällt, diesen Vorwurf dem Recht gegenüber zu erheben, das viele Menschen ebenfalls nur mit Hilfe der Furcht von unethischen Handlungen zurückhält.

Für die Vergangenheit kann der günstige Einfluß der höherstehenden Religionen, insbesondere des Christentums, auf die Bildung des Pflichtgefühls nicht wohl geleugnet werden. Dagegen bestreiten ihn manche für die Zukunft. Es gibt viele, die glauben, daß die Fortschritte der Wissenschaften zu einer Auflösung der Religion oder doch zu einer solchen Verflachung der religiösen Vorstellungen führen müssen, daß ihr Einfluß auf die Ethik verschwinden wird.

Ich halte diese Ansicht für unrichtig. Die Religion wird nie durch die Wissenschaft ersetzt werden können, weil absolut keine Aussicht vorhanden ist, daß es der letzteren je gelingen wird, die letzten Ursachen der Dinge zu ergründen und weil der Mensch immer, trotz aller Wissenschaft, ein schwaches, von der Außenwelt abhängiges Geschöpf bleibt. Der Glaube an einen allmächtigen, gütigen und gerechten Gott wird daher niemals durch die Wissenschaft als Irrtum widerlegt werden können, und zwischen diesem Glauben und demjenigen an übernatürliche historische Tatsachen, an welche sich die meisten Religionen anlehnen, besteht kein prinzipieller Unterschied. Daß dennoch der denkende Mensch diesen letzteren, den sogenannten göttlichen Offenbarungen, zweifelnd gegenübersteht, ist weit mehr in anderen Ursachen als in ihrem Widerspruch gegen die Naturgesetze begründet. Selbstredend darf man die Religion nicht als durch den Glauben an einzelne dieser Tatsachen bedingt halten; ob aber nicht wenigstens der Glaube an Gott ein notwendiges Erfordernis jeder Religion ist, ist eine schwerer zu beantwortende Frage, zumal über den Gottesbegriff sehr verschiedene Auffassungen bestehen. Die Religion ist übrigens nicht dazu da, uns über alle Fragen ohne Ausnahme, die wir gern in überzeugender Weise gelöst hätten, eine sichere Auskunft zu geben. Gerade in dem Vertrauen, daß, auch was uns dunkel bleibt, so geordnet sei, wie es unserem wahren Wohl und dem Wohl der Menschheit entspricht, besteht der rechte Glaube. Mag daher die geschichtliche oder naturwissenschaftliche Forschung immer mehr von den wunderbaren Tatsachen, die uns die Bibel berichtet, als Irrtümer erweisen, wie dies z. B. hinsichtlich der mosaischen Schöpfungsgeschichte ganz zweifellos geschehen ist, So wird deshalb die Religion weder zugrunde gehen, noch an ihrer Bedeutung für die Stärkung des Pflichtgefühls einbüßen.

Infolge der Entwicklung, welche die soziale Ordnung bis zur Gegenwart genommen hat, unterscheidet man heute am besten vier  Mittel,  durch welche dieselbe aufrechterhalten wird und demnach die Einzelinteressen zugunsten des Gesamtwohls beschränkt sind.

Das erste dieser Mittel ist das im wesentlichen durch das Pflichtgefühl erzeugte  eigene pflichtgemäße Handeln.  Der Mensch sucht infolge seines Pflichtgefühls seine gesamte Tätigkeit, sowohl die konsumtive und produktive wie auch die wirtschaftliche und Lerntätigkeit, denjenigen Regeln anzupassen, die ihm teils seine eigene subjektive Überzeugung, teils Recht und Sitte als dem Gesamtwohl dienlich bezeichnen. Das pflichtgemäße eigene Handeln erzeugt, wie ich bereits ausgeführt habe, ein direktes Lustgefühl, selbst wenn es dem egoistischen Selbstinteresse widerstreitet. Aber dieses Lustgefühl ist nicht immer stark genug, um den scheinbaren Vorteil eines pflichtwidrigen Handelns zu überwinden, und das Pflichtgefühl genügt daher für sich allein nicht, um das Handeln der Menschen so zu gestalten, wie es für die Erzeugung einer möglichst großen Gesamtwohlfahrt erforderlich ist, sondern es bedarf der Unterstützung durch  Recht  und  Sitte.  Es kann des Rechts und der Sitte schon deshalb nicht entbehren, weil die Erkenntnis des einzelnen hinsichtlich seines Verhaltens gegenüber den Interessen anderer oft eine mangelhafte ist, da die Stimme des Pflichtgefühls, das Gewissen, ihm zwar häufig, aber doch nicht in allen Fällen, den richtigen Weg zeigt. Diesen richtigen Weg, weist ihm das Recht und die Sitte; sie sind die äußere Richtschnur für sein pflichtgemäßes Handeln. Recht und Sitte sind auch mit Zwangsgewalt ausgestattet und wirken dadurch ebenfalls kräftig für die soziale Ordnung. Sie sind das zweite Mittel, dessen sich die heutige Menschheit zur Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens bedient. Dazu tritt als drittes das Wirtschaften im gemeinsamen Interesse, in den  Gemeinwirtschaften,  und als viertes die  Ausbildung  der Menschen in gesellschaftlicher oder ethischer Hinsicht, die  ethische Erziehung,  wodurch sowohl sein Pflichtgefühl gestärkt, wie auch seine Kenntnis von Recht und Sitte gefördert wird. Diese verschiedenen Mittel zur Regelung des gesellschaftlichen Zusammenlebens stehen untereinander in einer regen Wechselwirkung. Das eigene pflichtgemäße Handeln z. B. wird nicht bloß, wie ich soeben gezeigt habe, durch Recht und Sitte gefördert, sondern es fördert auch seinerseits wieder die letzteren, indem es die Gesetzgeber und Schützer des Rechts zur Erfüllung ihrer Pflichten anspornt.


Sechstes Kapitel
Die gesellschaftliche Tätigkeit

Die im vorigen Kapitel bezeichneten Einflüsse auf das menschliche Leben, durch welche die Einzelinteressen zugunsten des Gesamtwohls eingeschränkt werden, kommen nur mit Hilfe menschlicher Tätigkeit zustande. Diese Tätigkeit ist weder eine konsumtive, noch eine produktive, weder eine wirtschaftliche und auch keine Lerntätigkeit, sondern eine besondere Art von Tätigkeit, die ich, weil ihr Zweck in der Förderung des Wohls der Gesellschaft durch eine Einschränkung der Einzelinteressen besteht, gesellschaftliche Tätigkeit nennen will. Man könnte sie auch  ethische  Tätigkeit nennen.

Fast jeder menschliche Tätigkeitsakt, der ansich zur Konsumtion, Produktion, Ausbildung oder Wirtschaft gehört, enthält insofern ein Moment gesellschaftlicher Tätigkeit, als er durch das pflichtgemäße Handeln beeinflußt ist. Allein es ist nicht möglich, die gesellschaftliche Tätigkeit von den Haupttätigkeiten, welche diese Akte begleiten, zu trennen. Sie kommt hier nur in einer Modifikation der letzteren zum Ausdruck. Anders verält es sich mit der gesellschaftlichen Tätigkeit, welche die drei anderen Vorgänge begleitet, deren Zweck die Bildung und Förderung der sozialen Ordnung ist. Bei zweien derselben, der Schaffung und Aufrechterhaltung von Recht und Sitte und der ethischen Ausbildung und Erziehung ist die dabei mitwirkende Tätigkeit des Menschen fast ausschließlich eine gesellschaftliche und beim dritten, dem gemeinsamen Wirtschaften, mischt sie sich mit der wirtschaftlichen in so inniger Weise, daß die beidseitige Ausscheidung unmöglich wird. Gesellschaftliche Tätigkeit ist vor allem die Bildung und Aufrechterhaltung von Recht und Sitte.  Sitte  und  Recht  sind zum Zweck der Regelung des gesellschaftlichen Zusammenwirkens zwecks Erreichung der höchsten Gesamtwohlfahrt geschaffene Normen für das menschliche Handeln, deren Befolgung teils durch das  Pflichtgefühl,  teils durch  Zwang  gesichert wird. Sie unterscheiden sich voneinander, weil bei der Sitte der Zwang bloß in der Mißbilligung oder Mißachtung besteht, die denjenigen trifft, der ihren Vorschriften zuwiderhandelt, das Recht dagegen die Befolgung der seinigen entweder durch physische Gewalt oder durch psychologischen Zwang, durch eine Androhung von Rechtsnachteilen und Strafen, herbeiführt. Der für  Aufrechterhaltung  des Rechts notwendige  Zwang  wird heute fast ausschließlich durch die staatliche Gemeinschaft mit Hilfe ihrer Organe geübt, und auch die  Bildung  des Rechts ist teilweise auf den Staat übergegangen. Doch gibt es immer noch ein Recht, das der Staat nicht schafft, obgleich er für dessen Aufrechterhaltung ebenfalls seine Macht leiht, nämlich das vertragliche Recht, sowie das Recht, das andere Gemeinwirtschaften zwecks Regelung ihrer Wirtschaft aufstellen, das Gemeinwirtschaftsstatut.

Während die Bildung und Aufrechterhaltung von Recht und Sitte eine rein gesellschaftliche Tätigkeit ist, weil der damit verfolgte Zweck einzig und allein in der Einschränkung der Einzelinteressen im Interesse des Gesamtwohls besteht, ist die gesellschaftliche Tätigkeit, die wir in den Gemeinwirtschaften finden, wie schon bemerkt, mit wirtschaftlicher Tätigkeit vermischt.

Die Wirtschaft des einzelnen Menschen besteht in derjenigen Regelung seiner Tätigkeiten und der Verwendungen der ihm zu Gebote stehenden äußeren Güter, welche ihm den größten Lebensgenuß sichert. Miteinander stehen die Einzelwirtschaften durch den Besitzwechsel der Güter in Verbindung, der entweder durch  einseitiges Nehmen,  Raub oder Diebstahl, oder durch  einseitiges Geben,  Schenken, oder durch  beidseitiges Geben und Nehmen,  den Tausch, herbeigeführt wird. Nur der auf die beiden letzteren Arten stattfindende Besitzwechsel begünstigt das gesellschaftliche Zusammenleben, und ist daher in einem zivilisierten Staat durch das Recht gestattet und geschützt. Er bewirkt sogar bereits ein Zusammenwirken vieler Menschen zum Zweck der Produktion und vermehrt dadurch die Wohlfahrt. Der moderne Unternehmer erwirbt durch Tausch nicht nur Sachgüter, sondern auch die produktiven Tätigkeiten anderer Menschen, und vermag damit die größten Wunder der Technik herzustellen. Dagegen können mehrere Menschen ihr Zusammenwirken zwecks Erreichung einer größeren Wohlfahrt auch in der Art regeln, daß sie aus ihren verschiedenen Willen einen Gesamtwillen bilden, der für sie gemeinsam wirtschaftet, indem er im Verkehr nach außen für die Gemeinschaft tauscht und vertauscht, sowie jedem Teilhaber die Kosten, die er zu tragen hat, und seinen Anteil am Resultat des Wirtschaftens zuscheidet. Eine solche Wirtschaft nennt man  Gemeinwirtschaft.  Der Gesamtwille, das wirtschaftende Subjekt der Gemeinwirtschaft, ist eine  künstliche  Schöpfung; denn es ist unmöglich, eine vollständige Übereinstimmung verschiedener Willen zu erzeugen. Es bedarf daher, um ihn festzustellen, einer  Organisation.  Dieselbe ist eine  absolutistische,  wenn der Wille eines einzelnen, eine  aristokratische,  wenn derjenige einer Minderheit, eine  demokratische,  wenn derjenige der einfachen Mehrheit der Teilnehmer als Gemeinschaftswille zu gelten hat.

Darin, daß die Gemeinwirtschaft gezwungen ist, einen  künstlichen  Willen zu schaffen, liegt eine  Schwäche  dieser Einrichtung; denn, da ihre Leiter Menschen sind, die alle eine eigene Individualwirtschaft führen, kommen sie leicht in Versuchung die Gemeinwirtschaft mehr für das eigene Interesse als für dasjenige der Gemeinschaft auszunutzen oder wenigstens die Interessen der letzteren zu vernachlässigen. Deshalb ist eine starke Beschränkung des Willens des künstlichen Subjekts, das die Gemeinschaft leitet, durch Recht und Sitte eine Notwendigkeit, und weit entfernt, daß der Bestand von Gemeinwirtschaften die Rechtsordnung überflüssig machte, eröffnen sich dadurch für dieselbe neue große Gebiete.

Dennoch wird es nie möglich werden, den Verwaltern der Gemeinwirtschaften vollständig mit Hilfe des Rechts vorzuschreiben, wie sie zu wirtschaften haben, und es unterscheidet sich demnach die Beschränkung, welche die Interessenssphäre des einzelnen Menschen durch die Gemeinwirtschaften erleidet, von der Beschränkung durch Recht und Sitte dadurch, daß er sich nicht nur  allgemeinen Normen  zu unterwerfen hat, die sein Wirtschaften einengen, sondern einen Teil seiner Wirtschaft an ein  anderes wirtschaftendes Subjekt verliert,  das nach eigenem Ermessen, obschon ebenfalls durch Recht und Sitte beschränkt, wirtschaftet. In dieser bedeutenderen und willkürlichen Einschränkung der Einzelwillen liegt ein  weiterer Nachteil  der Gemeinwirtschaft gegenüber der  nur  von Recht und Sitte beengten Einzelwirtschaft. Derselbe wird dadurch verstärkt, daß der Mensch vielfach nicht die freie Wahl hat, einer Gemeinschaft anzugehören, sondern gezwungen ist, als ihr Mitglied sich der durch das künstliche Subjekt ausgeübten Gemeinwirtschaft zu unterziehen, os daß die Gemeinwirtschaft zur  Zwangsgemeinwirtschaf  wir, welche im  Staat  gipfelt.

Dessenungeachtet sind die Gemeinwirtschaften den Menschen für die Erreichung der höchsten Gesamtwohlfahrt unentbehrlich. Unter den Gründen dieser Unentbehrlichkeit ist einer erst in neuester Zeit deutlicher hervorgetreten. Die Gemeinwirtschaften mildern die nachteiligen Folgen eines fast ausschließlich tauschweisen Besitzerwechsels auf die Güterverteilung. Ohne Gemeinwirtschaften können die Menschen die äußeren Güter, abgesehen von dem aller Kultur widersprechenden und daher durch Recht und Sitte verpönten einseitigen Nehmen, nur mittels Tausch, Okkupation und Schenkung erwerben; auf dem Boden der Gemeinwirtschaft dagegen vermag sich noch eine andere Art des Besitzerwerbs zu entwickeln, die auf dem Grundsatz beruth, daß alle Menschen berechtigt sind, die Güter nach ihren vernunftgemäßen Bedürnissen zu benutzen, gegen die einzige Verpflichtung, nach ihren Kräften zur Vermehrung dieser Güter beizutragen. Wir nennen diesen Grundsatz den  sozialistischen  und den auf ihn gegründeten Besitzwechsel den Besitzwechsel gegen  generelle Entgeltlichkeit,  während wir den entgegengesetzten Grundsatz, nach welchem der Gütererwerb zur Gegenleistung in einem der Nützlichkeit der letzteren annhähernd entsprechenden Verhältnis stehen muß, den  individualistischen  Grundsatz und den darauf basierten Besitzwechsel, der seine Hauptanwendung beim Tausch findet, den Besitzwechsel gegen  spezielle Entgeltlichkeit  nennen. Wir teilen daher die Gemeinwirtschaften in solche, die dem Grundsatz der speziellen und solche, die dem Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit huldigen, Gemeinwirtschaften gegen  spezielle  und Gemeinwirtschaften gegen  generelle Entgeltlichkeit. 

Den Grundsatz der speziellen Entgeltlichkeit finden wir hauptsächlich bei denjenigen Gemeinwirtschaften, die nichts weiter sind als Vereinigungen von Miteigentümern zum Zweck einer gemeinsamen Benutzung des Miteigentums und, in noch höherem Grad, bei den Miteigentümern von Geldkapital, das zum Zweck der Erzeugung von Unternehmergewinn vereinigt worden ist, wobei jedes Mitglied am erzielten Unternehmergewinn im Verhältnis seines Miteigentums partizipiert.

Wenn eine Gemeinwirtschaft dem Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit huldigt, geschieht dies heutzutage selten oder nie in der Weise, daß es völlig dem Gutfinden der wirtschaftenden Organe überlassen ist, die Verteilung von Nutzen und Kosten des gemeinsamen Wirtschaftens nach dem allgemeinen Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit vorzunehmen, sondern das allgemeine oder statuarische Recht stellt hierfür bestimmte Normen auf, die von den wirtschaftenden Organen zu befolgen sind. Dadurch wird die sonst fast unvermeidliche Willkür beschränkt, aber auf der anderen Seite auch der Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit beeinträchtigt, weil allgemeine Normen niemals alle individuellen Fälle so zu berücksichtigen vermögen, daß der Grundsatz der wahren generellen Entgeltlichkeit in jedem einzelnen Fall vollkommen gewahrt bliebe. Das Verhältnis zwischen der Verteilung des Nutzens und der Verteilung der Kosten entspricht daher selbst bei Gemeinwirtschaften, die völlig auf dem Boden einer generellen Entgeltlichkeit stehen, niemals vollständig dem Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit. Daneben finden wir viele Gemeinwirtschaften, in denen dieser Grundsatz absichtlich mit demjenigen spezieller Entgeltlichkeit vermischt ist. Nicht selten kommt es schließlich vor, daß das statuarische Recht einer Gemeinwirtschaft nur Bestimmungen über die Verteilung des Nutzens enthält, hinsichtlich der Kostendeckung dagegen auf das freie Ermessen der Mitglieder der Gemeinschaft oder auch dritter abstellt, mit anderen Worten, das die Kosten aus  Schenkungen  bestritten werden. SCHÄFFLE nennt derartig Gemeinwirtschaften  karitative.  Ich glaube aber, daß man sie sehr wohl als eine bloße Abart der Gemeinwirtschaften auf der Grundlage genereller Entgeltlichkeit auffassen kann; denn diejenigen Personen, welche durch ihre Schenkungen die Kosten der Gemeinwirtschaft decken, tun dies, wenn sie nicht durch Nebenabsichten geleitet sind, gemäß dem Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit, nach welchem jeder nach seinen Kräften geben und jeder nach seinem Bedürfnis empfangen soll, also nach dem sozialistischen Grundsatz, der zugleich ein Grundsatz des wahren Christentums ist, das ein besonderes Verdienst des Gebers ebenfalls nicht anerkennt, sondern es als christliche Pflicht betrachtet, daß der Stärkere nach seinen Kräften dem Schwächeren beistehe.

Die geschichtliche Entwicklung der Gemeinwirtschaften, namentlich derjenigen auf der Grundlage genereller Entgeltlichkeit, hat mit verschiedenen Einflüssen zu kämpfen gehabt. In früheren Zeiten entstanden dieselben einzig und allein aus dem direkten Bedürfnis, teilweise sogar unbewußt; denn sie sind ebenso alt wie die Menschheit selbst. Ob sich eine Gemeinwirtschaft mehr auf dem Boden spezieller oder mehr auf demjenigen genereller Entgeltlichkeit entwickelte, hing einzig davon ab, was als für die Erreichung ihres Zwecks vorteilhafter erschien. Ein Beispiel wird dies am besten klar machen.

In den weinbautreibenden Gegenden der Schweiz und anderswo kommt es oft vor, daß die Besitzer von benachbarten Weinbergen gemeinschaftlich ein Gebäude mit einer großen Weinpresse, eine sogenannte Trotte, besitzen. Das Miteigentum entsteht hier, wie überall, aus dem Streben nach größerer individueller Wohlfahrt, denn eine solche Weinpresse, für welche ein besonderes Gebäude notwendig ist, muß jeder bedeutendere Weinbergbesitzer benutzen, und da sich nicht leicht jemand findet, der es unternimmt, dasselbe auf eigene Rechnung zu bauen und die Benutzung zu vermieten, und es Verschwendung wäre, wenn jeder bauen wollte, bauen es die verschiedenen Weinbergbesitzer gemeinsam. Aus dem Miteigentum entsteht dann eine Gemeinwirtschaft; denn Bau, Unterhalt und Benutzung der Trotte muß durch einen einzigen Willen geleitet werden. Dieser Wille ist ein künstlicher, durch eine Vereinbarung der Miteigentümer unter dem Schutz des Rechts zustande kommender. Die für die Kostenverteilung und Benutzung geltenden Grundsätze entsprechen jedoch fast durchaus dem Prinzip der speziellen Entgeltlichkeit. Das Recht der Benutzung wird den geleisteten Beiträgen proportional verteilt, indem jeder das Recht erhält, während einer gewissen den von ihm bezahlten Kosten entsprechenden Zeit die Trotte ausschließlich zu benutzen. Über die Reihenfolge der Benutzung, die nicht ganz gleichgültig ist, entscheidet das Los. Man sieht, daß eine solche Gemeinwirtschaft, die zweifellos die Wohlfahrt aller Gemeinschaftsmitglieder vermehrt, und daraus ihre Entstehung herleitet, noch fast ganz auf dem Boden einer speziellen Entgeltlichkeit steht.

Anders entwickelte sich dagegen die Gemeinwirtschaft der Miteigentümer eines Brunnens. Die Nutzungen an einem Brunnen können nicht wie diejenigen an einer Weintrotte nach den Kosten, die jeder bezahlt, verteilt werden, weil die Benutzung des einzelnen sich nicht bemessen läßt. Vielmehr muß jedem gestattet werden, sein Bedürfnis zu beliebiger Zeit und in beliebigem Maße zu befriedigen. Durch die Natur der Sache unterstützt, machte sich so der Grundsatz geltend, daß jeder nach seinem Bedürfnis zur Benutzung berechtigt ist. Ein Miteigentum zu bestimmten, zumal verschiedenen Quoten hatte daher keinen Sinn. Aber die Entwicklung blieb dabei nicht stehen, daß sie den Miteigentümern ungeachtet des verschiedenen Umfangs der Benutzung gleiche Herstellungs- und Unterhaltungspflicht zuteilte, also die Benutzung nach dem Bedürfnis zuließ, sondern sie ging in der Regel noch weiter. Sie führte allmählich dazu, auch die Kosten nicht mehr gleichmäßig, sondern nach der ökonomischen Kraft der Anteilhaber auf dieselben zu verteilen. Die meisten Brunnen sind heutzutage Eigentum der Gemeinde und ihre Benutzung ist nicht nur allen Bewohnern nach dem Bedürfnis gestattet, sondern es werden auch die Kosten durch Steuern gedeckt, die nach den geltenden Steuergrundsätzen aufgelegt werden, wobei der leitende Gedanke sein sollte, daß jeder nach seinen Kräften beizutragen hat. Hier ist also der vollständige Grundsatz der Benutzung nach dem Bedürfnis und der Kostendeckung nach der Kraft der Einzelnen, d. h. der Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit, allmählich aus den Verhältnissen heraus zur Geltung gelangt.

Wir haben damit an einem einfachen Beispiel einer Gemeinwirtschaft auf der Grundlage der gemeinsamen Benutzung einer Sache gezeigt, wie die Gemeinwirtschaft je nach den Verhältnissen entweder auf dem Boden der speziellen Entgeltlichkeit stehen bleibt oder sich zu einer solchen mit genereller Entgeltlichkeit entwickelt.

Das schlagendste Beispiel der Notwendigkeit einer Gemeinwirtschaft nach dem Grundsatz genereller Entgeltlichkeit finden wir in derjenigen Gemeinwirtschaft, deren Zweck der Schutz gegen äußere Feinde ist. Wie groß der Nutzen ist, der dem Einzelnen durch diesen Schutz erwächst, bemißt sich nach seinem Bedürfnis; er ist für den Reichen und Glücklichen größer als für den Armen und Unglücklichen. Es hat aber auch, wenigstens da wo die allgemeine Wehrpflicht besteht, jeder nach seinen Kräften beizutragen. Wer die Kraft nicht hat, die Waffe zu führen, dem wird das nicht zugemutet; mit Recht wird dann jedoch von ihm verlangt, daß er Opfer anderer Art bringt, die bei der Verteidigung des Vaterlandes nützlich sein können.

Wie schon bemerkt, entwickelte sich früher die einzelne Gemeinwirtschaft bald mehr nach der Seite spezieller, bald mehr nach derjenigen genereller Entgeltlichkeit, einzig unter dem Einfluß des von ihr erstrebten besonderen Zwecks. Eine allgemeine Doktrin bezüglich des größeren oder geringeren Wertes der einen oder anderen Entwicklung bestand nicht. Mit der Zeit wurde das jedoch andres. Zuerst machte sich eine Doktrin geltend, welche den Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit und daher auch die Gemeinwirtschaften, die auf diesem Grundsatz fußen, insbesondere die Zwangsgemeinwirtschaften, prinzipiell verwirft, mit Ausnahme derjenigen, deren Zweck die Schaffung und Aufrechterhaltung des Recht und der Schutz gegen fremde Gewalt ist; denn diese Gemeinwirtschaften müssen der Natur der Sache nach Zwangsgemeinwirtschaften auf der Grundlage einer generellen Entgeltlichkeit sein; und da nur der Staat diese Aufgaben erfüllen kann, wird die Notwendigkeit einer staatlichen Gemeinwirtschaft in diesen Beziehungen selbst von jener extremen Doktrin anerkannt.

Es ist heute leicht nachzuweisen, daß diese Doktrin eine irrtümliche war. Ich habe bereits gezeigt, daß sich der Grundsatz der speziellen Entgeltlichkeit in manchen Gemeinwirtschaften, ohne eine große Schädigung des Zwecks, der in Vermehrung der Gesamtwohlfahrt besteht, nicht aufrechterhalten läßt. Außerdem kann der Grundsatz spezieller Entgeltlichkeit wegen der aus ihm entspringenden Güterverteilung zur Degeneration eines großen Teils der Menschheit führen. Dies erkannt zu haben, ist das Hauptverdienst des modernen Sozialismus. Die neueste Zeit hat daher jene Doktrin aufgegeben und begünstigt nun umgekehrt den Grundsatz der generellen Entgeltlichkeit wegen seiner günstigen Einwirkung auf die Güterverteilung. Aus diesem Grund vollzieht sich in der Gegenwart ein allgemeiner Wiederaufschwung der längere Zeit gewaltsam zurückgedrängten Gemeinwirtschaften auf der Grundlage einer generellen Entgeltlichkeit, und es fragt sich nur, wie weit derselbe noch gehen wird, und ob sich die Änderungen rascher oder langsamer vollziehen werden.

Jedenfalls ist in der Gegenwart der Bestand der verschiedenen Gemeinwirtschaften ein sehr beträchtlicher und wenn ich daher im Folgenden einen kurzen Überblick über dieselben und ihre Zwecke zu geben versuche, um ein Bild der heutigen Ausdehnung dieser Gebilde zu entwerfen, das geneigt ist, uns deren Bedeutung für die soziale Ordnung zu veranschaulichen und unseren Untersuchungen über das Verhältnis zwischen der wirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Tätigkeit im Wirtschaften der Gemeinwirtschaften zur Grundlage zu dienen, kann dies nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit geschehen.

Unter den Gemeinwirtschaften auf der Grundlage einer speziellen Entgeltlichkeit sind die wichtigsten diejenigen, deren Zweck die Erzeugung von Unternehmergewinn ist. Von diesen werde ich später ausführlich zu sprechen haben.

Von den Gemeinwirtschaften mit mehr oder weniger genereller Entgeltlichkeit sind zunächst diejenigen zu erwähnen, die einzig das Streben nach einer besseren Erreichung des Gesellschaftszwecks zur Anwendung des Grundsatzes der generellen Entgeltlichkeit geführt hat.

Vielfach stiften ausdauernde Sachgüter, die ihre Nutzleistungen verschiedenen Menschen gleichzeitig abgeben können, wenn sie nur von einem einzigen Individuum benutzt werden, einen sehr geringen Teil des Nutzens, den sie zu stiften imstande sind. Zwar kann der Besitzer ihre Nutzleistungen an andere verkaufen und so den Nutzen vergrößern; er kann Gemälde gegen Eintrittsgeld zur Schau stellen, Gärten gegen Eintrittsgeld den Besuchern öffnen, die Benutzung von Straßen gegen Straßengeld, von Brücken gegen Brückengeld, von Brunnen gegen Brunnengeld anderen zugänglich machen. Allein dadurch wird doch die Benutzung lange nicht so ausgedehnt, wie wenn sie von einer Gemeinwirtschaft auf der Grundlage genereller Entgeltlichkeit ihren Mitgliedern überlassen wird. Zudem verursacht die Erhebung der Kaufpreise der Nutzung erhebliche Kosten, ohne ihren Zweck, die Benutzung ohne Entgelt, vollständig zu verhindern. Es liegt daher meist im Interesse der Gesamtheit aller Interessenten, derartige ausdauernde Güter gemeinschaftlich zu bewerben, und entweder den Gemeinschaftsmitgliedern unentgeltlich oder gegen eine kleine Entschädigung, eine sogenannte  Gebühr,  nach Belieben zur Nutzung zu überlassen, bei einer Deckung der Kosten durch die Gemeinschaftsmitglieder, entweder nach gleichen Teilen oder nach einem anderen, mehr oder weniger auf dem Grundsatz der Leistung nach der Kraft der beruhendenn Systeme.

Während in diesen Fällen eine Gemeinwirtschaft aufgrund einer speziellen Entgeltlichkeit vom Standpunkt der größten Wohlfahrt aller aus lediglich  unvorteilhaft  ist, ist sie in anderen  notwendig.  Es gibt Bedürfnisse, die  nur  durch Gemeinwirtschaften auf der Grundlage einer speziellen Entgeltlichkeit befriedigt werden können, oder deren Befriedigung bei spezieller Entgeltlichkeit für die Mehrzahl der Menschen wegen der allzugroßen Kosten unmöglich ist, während ein die Erreichung der höchsten wahren Wohlfahrt der Menschen bezweckender Kulturfortschritt dringend ihre Befriedigung verlangt. Zu den Bedürfnissen der ersteren Art gehört neben dem Schutz gegen äußere Feinde und dem Rechtsschutz der Schutz gegen ansteckende Krankheiten und gegen die Verheerungen des Wassers und Feuers, wobei es zur Bedürfnisbefriedigung mit Hilfe von Gemeinwirtschaften auf der Grundlage einer generellen Entgeltlichkeit zudem eines Zwangs gegenüber den widerstrebenden, weil der Wichtigkeit des Bedürfnisses nicht bewußten Elementen, also einer Zwangsgemeinwirtschaft bedarf. Bedürfnisse der letzteren Art sind das Bedürfnis nach Schulbildung, nach gutem Trinkwasser in den Städten, nach öffentlichen Badeanstalten etc.

Sodann hat die Gemeinwirtschaft gegen generelle Engeltlichkeit infolge der oben erwähnten Modernsten Ansicht über ihre Bedeutung begonnen, sich auch auf Gebiete auszudehnen, auf denen sie, wenn nicht ausschließlich so doch hauptsächlich, den Zweck hat, die allzugroße Ungleichheit der Güterverteilung zu mildern. Gemeinwirtschaften dieser Art sind die staatlichen Alters- und Unfallversicherungen, die gesamte staatliche Armenpflege, unentgeltliche Beerdigung, unentgeltliche Krankenpflege, überhaupt die staatliche Gemeinsachft bezüglich all derjenigen Bedürfnisbefriedigungen, die nicht schon genügend durch diejenigen Gründe geboten sind, die wir oben erörtert haben.

Die wichtigste aller Gemeinwirtschaften und zugleich diejenige, bei der der Gesichtspunkt der generellen Entgeltlichkeit am stärksten hervortritt, ist der  Staat Der Staat ist jedoch keine für einen besonderen Zweck begründete Gemeinwirtschaft, er ist im Gegenteil aus den verschiedensten Gemeinwirtschaften allmählich dadurch entstanden, daß sich in denselben das Bedürfnis nach einer Zwangsgemeinwirtschaft geltend machte. Infolgedessen sind heute fast alle Zwangsgemeinwirtschaften im Staat konzentriert. Selbst die Kirche, die lange ein in manchen Richtungen mit dem Staat rivalisierende Zwangsgemeinschaft bildete, hat in dieser Beziehung dem letzteren gegenüber sehr an Bedeutung eingebüßt und ist vielfach zu einer Gemeinwirtschaft geworden, die der Zwangsmittel ihren Mitgliedern gegenüber fast gänzlich entbehrt. Teilweise hat der Staat seine gewaltige Macht allerdings speziellen Organen, wie z. B. den Gemeinden, delegiert, die in kleineren Kreisen besondere Gemeinwirtschaften bilden. Dieselben sind aber nur Verzweigungen der großen staatlichen Gemeinwirtschaft.

Die einzige Zwangsgemeinwirtschaft, welche sich eine vom Staat ziemlich unabhängige Stellung zu wahren gewußt hat, ist die  Familie.  In vielen Fällen kann man die Wirtschaft des Familienhauptes als bloße Einzelwirtschaft auffassen, die sich von anderen Einzelwirtschaften nur dadurch unterscheidet, daß die Bedürfnisbefriedigung, weil stark von altruistischen Bedürfnissen beeinflußt, in einem höheren Maße an die Befrieidung der Bedürfnisse dritter geknüpft ist. Diese Auffassung ist namentlich da gerechtfertigt, wo die Familie nur aus Vater oder Mutter und unmündigen Kindern besteht, wobei letztere nur eine höchst beschränkte eigene Wirtschaft besitzen. Wenn dagegen Vater und Mutter zusammen wirtschaften und auch die Kinder sich nicht auf die bloße Kommunikation beschränken, muß ihre Wirtschaft als Gemeinwirtschaft aufgefaßt werden. Die Organisation dieser Gemeinwirtschaft ist jedoch ihrer Wichtigkeit wegen bei allen Kulturvölkern durch das allgemeine Recht bestimmt.

Wenn die ganze Menschheit eine einzige große Gemeinwirtschaft bildete, deren Zweck die Erzielung der größten Wohlfahrt aller wäre, würde dieser Zweck statt wie in der heutigen Gesellschaft durch das Zusammenwirken von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit in Einzelwirtschaften und Gemeinwirtschaften, durch das alleinige Wirtschaften einer Gemeinschaft erreicht, wie wir dies z. B. im Haushalt mancher geselligen Tiere sehen. Die Tätigkeit des wirtschaftenden Subjekts einer solchen Gemeinschaft wäre in diesem Fall weder wirtschaftliche noch gesellschaftliche Tätigkeit, sondern eine so innige Verschmelzung beider, daß man sie als eine einheitliche Tätigkeitsart auffassen müßte. In der Wirklichkeit gibt es jedoch keine derartige allgemeine Gemeinwirtschaft, und es wird die Menschheit auch kaum je zu einer solchen gelangen. Aus diesem Grunde, und da selbst die größeren der vorhandenen Gemeinwirtschaften, mit Ausnahme höchstens der Großstaaten, nur im Interesse verhältnismäßig kleiner Personengesamtheiten wirtschaften, müssen die Gemeinwirtschaften sowohl unter sich als mit den Einzelwirtschaften in einen Tauschverkehr treten, der sich von demjenigen der Einzelwirtschaften nur durch die Verschiedenheit der Bemessung der Nützlichkeit der vertauschten Güter unterscheidet. Das Recht, das die Interessen des einzelnen im Interesse der Gesamtheit einschränkt, beherrscht diesen Verkehr ebenso wie denjenigen der Einzelwirtschaften, und verhindert Übergriffe der Interessen der wirtschaftenden Subjekte in die Interessenssphären anderer. Deshalb ist diese  äußere Wirtschaft  der Gemeinwirtschaften weit mehr eine wirtschaftliche als eine gesellschaftliche Tätigkeit.

Neben dieser äußeren hat jedoch die Gemeinwirtschaft eine  innere Wirtschaft,  deren Zweck die Verteilung der Resultate des gemeinsamen Wirtschaftens auf die Mitglieder der Gemeinschaft und die Festsetzung ihrer Leistungen an dieselbe ist. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Wirtschaft der bestehenden Gemeinwirtschaften nur insofern von derjenigen einer allgemeinen Gemeinwirtschaft, wie die Wohlfahrt, die erstere erstreben, diejenige einer kleineren Zahl von Menschen ist und nicht mit dem ganzen von den Menschen erstreben höchsten Lebensgenuß zusammenfällt, sondern auf die Erreichung eines bestimmten Zwecks beschränkt ist. Ihre Tätigkeit ist deshalb eine solche, in der sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Tätigkeit ebenso zu einem untrennbaren Ganzen verbinden wie in einer allgemeinen Gemeinwirtschaft der ganzen Menschheit. Immerhin ist es nicht einzig das wirtschaftende Subjekt der einzelnen Gemeinwirtschaft, das diese Tätigkeit ausübt; denn die Gesellschaft anerkennt es immer mehr als ihre Aufgabe, nicht nur dasjenige Recht zu schaffen, das geeignet ist, Verletzungen der Interessenssphären anderer bei der Ausübung einer rein wirtschaftlichen Tätigkeit zu verhindern, sondern auch die mit gesellschaftlicher Tätigkeit vermischte Tätigkeit der Gemeinwirtschaften möglichst zu regeln. Mehr und mehr greift daher der Staat durch seine Gesetzgebung in andere Gemeinwirtschaften ein, ja er selbst wird immer häufiger das Subjekt solcher Gemeinwirtschaften, so daß seine gesetzgebende Tätigkeit sehr oft mit seiner Tätigkeit als Subjekt einer Gemeinwirtschaft zusammenfällt. In den nicht staatlichen Gemeinwirtschaften kann man die innere Wirtschaft ebenfalls in eine solche einteilen, welche in der Schaffung von Recht, wenn auch nur von statuarischem Recht, besteht, un in eine mehr wirtschaftliche, welche das wirtschaftende Subjekt nach freiem Ermessen, obgleich unter der Leitung des allgemeinen und statuarischen Rechts, ausübt, und auch hier tritt letztere Tätigkeit allmählich hinter der ersteren zurück. Es gibt sogar Gemeinwirtschaften, in denen die letztere vollständig in der Exekution der von der ersteren aufgestellten Gesetze aufgeht.

Wir kommen schließlich zum dritten Vorgang, dessen sich die heutige Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung bedient und der darin enthaltenen gesellschaftlichen Tätigkeit, der  ethischen Erziehung.  Die ethische oder gesellschaftliche Ausbildung oder Erziehung kann ebenso wie die produktive und konsumtive, sowie die nicht näher besprochene wirtschaftliche Ausbildung als eine besondere Art der Lerntätigkeit betrachtet werden. Auf diese Einteilung kommt es jedoch wenig an. Weit richtiger ist es, den Inhalt dieser Ausbildung, bei der sowohl die Tätigkeit des Lernenden als diejenige des Lehrenden zu berücksichtigen ist, richtig zu erfassen.

Wie es eine produktive und konsumtive Technik, d. h. eine Erkenntnis der für Produktion und Konsumtion erforderlichen Raumversetzungen und eine körperlich Fertigkeit zur Ausführung dieser Raumversetzungen gibt, so gibt es auch eine Technik in  gesellschaftlicher  Beziehung; denn zu den Vorgängen, die der sozialen Ordnung dienen, bedarf es der Raumversetzung ebenfalls. Es bedarf derselben für die Gesetzgebung; denn die Gesetze müssen aufgezeichnet, gedruckt und publiziert werden, und vollends erst die zwangsweise Aufrechterhaltung des Rechts kann nur mit Hilfe eines sehr umfangreichen äußeren Apparates zustande kommen. Doch liegt selbstverständlicherweise das wichtigste Objekt der gesellschaftlichen Erziehung nicht in der Ausbildung für die hierfür erforderliche Technik, sondern in derjenigen  geistigen Erziehung,  deren es bedarf, um möglichst erfolgreich für die soziale Ordnung zu wirken, namentlich in der Angewöhnung des Menschen an eigenes pflichtgemäßes Handeln und eine rege und ersprießliche gesellschaftliche Tätigkeit in allen Richtungen.

Dieser Aufgabe wird die ethische Erziehung dadurch gerecht, daß sie nicht bloß die Erkenntnis des Menschen hinsichtlich der geeignetsten Mittel zur Erstrebung der besten sozialen Ordnung fördert, sondern vor allem diejenigen geistigen Eigenschaften des Menschen zu stärken sucht, von welchen einerseits das eigene pflichtgemäße Handeln, andererseits eine rege Beteiligung bei gesellschaftlicher Tätigkeit in jeder Richtung abhängt. Daß zu dieser Ausbildung auch die religiöse Erziehung gehört, ist nach dem früher über den Einfluß der Religion auf das Pflichtgefühl Gesagten selbstverständlich.

Die gesellschaftliche Tätigkeit in allen ihren Formen unterscheidet sich von den anderen menschlichen Tätigkeiten dadurch, daß ihre  Motive  nicht in gleichem Maß in einem Streben nach individueller Wohlfahrt wurzeln. Ich habe zwar gezeigt, daß das pflichtgemäße Handeln zum Bedürfnis werden kann, und nicht anders verhält es sich mit dem Bedürfnis nach eigentlicher gesellschaftlicher Tätigkeit, sei es in der Bildung und Aufrechterhaltung von Recht und Sitte, sei es im gemeinsamen Wirtschaften, sei es in der ethischen Erziehung, namentlich auf seiten des Lehrenden. Allein das genügt nicht, um alle diejenigen gesellschaftlichen Tätigkeiten hervorzurufen, die wir in der Wirklichkeit vor sich gehen sehen. Wir finden hier in weit höherem Maße als bei den anderen Tätigkeiten  künstliche,  durch eine kluge Politik der Leiter des Staates und der Gemeinwirtschaften geschaffene Motive. Der Staat  bezahlt  nicht nur seine Beamten, ja sogar seine Gesetzgeber für die von ihnen geleistete gesellschaftliche Tätigkeit, sondern er sucht auch den  Ehrgeiz  zu einem Motiv dieser Tätigkeit zu erheben, indem er denjenigen, die sich derselben widmen, eine bevorzugte Stellung in der Gesellschaft verleiht.

Damit bin ich mit meinen Erörterungen über die menschlichen Tätigkeiten in ihrer Beziehung zum Lebenszweck, der Erreichung des höchsten Glücks, zu Ende. Wir haben gesehen, daß wir fünf verschiedene Arten menschlicher Tätigkeiten unterscheiden müssen, von denen alle, mit Ausnahme der konsumtiven, vorzugsweise vom Verstand geleitet sind, während sie beim Tier meist instinktmäßig vor sich gehen. Diese Unterscheidungen sind von  grundlegender  Bedeutung für die Wissenschaft der Wirtschaftslehre. Immerhin bilden diese verschiedenen menschlichen Tätigkeiten keine absoluten Gegensätze, sondern gehen vielfach ineinander über, ja die gleiche Tätigkeit kann sogar, wie wir gesehen haben, gleichzeitig ein solche der einen und eine solche der anderen Art sein. Dessen müssen wir uns erinnern, wenn wir im folgenden der leichteren Darstellung wegen diese Tätigkeiten beständig scharf auseinanderhalten.
LITERATUR Georg Sulzer - Die wirtschaftlichen Grundgesetze [in der Gegenwartsphase ihrer Entwicklung] Zürich 1895
    Anmerkungen
    1) Der erste, der die Produktion als Raumversetzung definiert hat, war STUART MILL. Sie hierüber BÖHM-BAWERK, Kapital und Kapitalzins, Bd. II, Seite 11.
    2) M. W. STANLEY JEVONS, The theory of political economy, London 1871