Philosophische Sprachforschung
Die Sprache ist diesem Jahrhundert wie wohl keinem zuvor fragwürdig geworden. Ein großer Teil der gegenwärtigen Bemühungen des Menschen um sich selber in der Philosophie richtet sich auf die Möglichkeiten der Verständigung und Mitteilung durch Sprache die nicht mehr als wenigsten teilweise identisch mit dem gedacht wird, was sie benennt, sondern eben im Sinn WITTGENSTEINs als eine künstliche Verabredung, ein geregeltes Spiel zum Zweck einer Als-ob-Verständigung. Hinter all dem verbirgt sich die Erfahrung eines Realitätsschwundes die seit den Anfängen dieses Jahrhunderts immer beklemmender wird; und dieser Verlust an Realitätsgewißheit ist seit derselben Zeit zum Problem für die Literatur geworden, die sich vom Verstummen zusehends bedroht sieht. Die allgemein anerkannte literarische Formulierung der modernen Sprachskepsis ist HOFMANNSTHALs Text Ein Brief aus dem Jahre 1902, gemeinhin als "Brief des Lord Chandos" bezeichnet. Es geht darin um die wachsende Erkenntnis, daß Wort und Wirklichkeit einander nicht mehr decken, daß die traditionelle Sprache nicht mehr kongruent ist mit neuen Erfahrungszusammenhängen. Einen bedeutenden Anteil am Prozeß des Sprachverfalls haben aber auch Veränderungen in der Sprachphilosophie und in der Linguistik gehabt. LUDWIG WITTGENSTEIN, ein wichtiger Gewährsmann für viele Gegenwartsautoren, faßte in seinem "Tractatus logico-philosophicus" die Philosophie als Sprachkritik, die Sprache als Modell der Wirklichkeit, die Grenzen unserer Sprache als Grenzen unserer Welt auf. Das Problem, sich über die Sprachskepsis zu äußern, ist dem nicht unähnlich, welches das Wort selbst vorstellt: Man muß als Vorbedingung anerkennen, daß vieles sich der Wortwerdung entzieht. Schwierigkeiten stellen sich der Notwendigkeit entgegen, ein solches Thema von dessen verschiedenen, jeweils zusammengehörigen Seiten zu beleuchten. Die Einsicht, daß es sich historisch, philosophisch, erkenntnistheoretisch analysieren läßt sowie in Berührung mit der Mystik und dem Begriff des Experimentellen tritt, läßt nicht nur viele Fragen offen, sondern bedeutet, daß jegliche Kapiteleinteilung nur etwas Vorläufiges und Behelfsmäßiges haben kann. Das Ende dieser Bemühungen um die Sprachskepsis kann so immer nur als ein Anfang verstanden werden. Der vorliegende Text versteht sich daher hauptsächlich als Versuch, über das so eng mit den Grundlagen und Bedingungen des modernen Denkens und der modernen Literatur verbundene Problem "Sprachskepsis" kritisches Bewußtsein zu wecken. Eine Tendenz, die viele maßgebende Autoren der modernen Literatur gemeinsam haben, ist die Gestaltung der Problematik jeglicher sprachlichen Mitteilung unserer neuen Wirklichkeit. Das Durchbrechen und Überschreiten des naiven Bewußtseins und des sicheren Wirklichkeitsgefühls früherer Jahrhunderte hat nicht nur ein schwindelerregendes Existenzgefühl zum oft wiederholten Gegenstand der Literatur gemacht, sondern auch eine dieses begleitende Sprachnot - Skepsis gegenüber der Ausdrucksfähigkeit der überkommenen Sprache, Reflexion über die Diskrepanz zwischen Sprache und Wirklichkeit, Bemühung um eine neue Sprache, die der neuen Welt gerecht werden könnte. Der Erschütterung der Sprache liegt der Zerfall des überkommenen und gewohnten Grundmodells unserer Weltinterpretation zugrunde, besonders die Erkenntnise der modernen Physik und Psychologie mit deren Betonung der Akausalität und der Alogik. Sprache und Bewußtsein stehen in einem Wechselverhältnis: die Sprache spiegelt die Beziehung des Menschen zur Welt; ein bestimmtes Sprachsystem bedingt diese Beziehung. Doch der herkömmlich Sprachkanon mit seinen traditionellen Gesetzmöglichkeiten, in dem das klassische Lebensgefühl seinen genauen Ausdruck fand, entspricht nicht mehr dem Bewußtseinsstand des modernen Menschen, der eine neue Ausdrucksweise in bewußtem Gegensatz zur überkommenen braucht. Deshalb ist heute die Literatur und mit ihr die Sprache dem Horizont der Sprachlosigkeit näher gekommen als je zuvor. Unsere Sprache steht als Ausdrucksmittel so weit hinter unserem Weltbewußtsein zurück, daß wir nunmehr schreiben, "nicht um einen Gedanken auszudrücken, den man hat, sondern um den Gedanken, den man nicht hat, auf die Spur zu kommen." (1)GÜNTER EICH berichtet, wie er Gedichte schreibe, um sich in der Wirklichkeit zu orientieren; des es gibt nicht mehr "die eigentliche Sprache ..., in der das Wort und das Ding zusammenfallen" (2). Es ist heute unmöglich geworden, die Identität von Wort und Sache in jener Eindeutigkeit festzuhalten, die früher in der Sache das Wort und im Wort die Sache erkennen ließ. In der Tradition aus Klassik und Romantik war die Welt der Dichtung Spiel und schöne Schöpfung des Wortes, hier durch Spiegelung und Reflexion, dort durch reine Form aufgebaut. Heute entziehen sich bestimmte Dinge und Geschehnisse in immer tieferem Ausmaß der Wortwerdung. MAX PICARD spricht vom "Aufstand der Dinge, die nicht mehr vom Wort behütet sind" sind" (3); und WALTER MUSCHG prophezeit hinsichtlich der Bestialitäten unseres Zeitalters, daß "keine Feder je imstande sein wird, für das, was sich ereignet hat, noch immer ereignet und weiter ereignen wird, Worte zu finden" finden" (4). Wir leben also in einer Wirklichkeit, mit der unsere Sprache nicht schrittgehalten hat, und daher in einer von Sprachstereotypen fest imprägnierten Wirklichkeit, deren Unbestimmbarkeit sich durch die Genauigkeit der technischen oder naturwissenschaftlichen Sprachformel nicht wiedergeben läßt. Das klassische Weltgefüge wurde im Nennen erkennbar, hing jedoch im Wesen und Sein nicht von der Sprache ab: denn die Sprache wurde ebensosehr dadurch bedingt, wie sie sich da hineintastete. Die Wörter waren Gehäuse der Dinge. Jetzt sind sie selbst eine neue Art von Dingen, weil die Wirklichkeit, mit der die Sprache es heute zu tun hat, nur insofern besteht und anerkannt wird, als sie formulierbar ist. Wirklich ist in diesem Sinne nur das Formulierte. Unsere komplexe Wirklichkeit wird noch immer in die nichtadäquate, verkürzte, stereotypische sprachliche Fassung übersetzt, was den falschen Anschein erweckt, als sei die Fassung der neuen Wirklichkeit und dem neuen Wirklichkeitsbewußtsein gewachsen. Doch die Sprache "sagt nicht ..., was ist, sondern sie ordnet. ... Sie erlaubt uns setzt frei, so daß sie zwischen erlaubt und unerlaubt, zwischen frei und unfrei, zwischen diesem und jenem unterscheidet und so das Ganze, das Sein, den Zusammenhang, entscheidet" (5).Das adäquate Bewußtsein unserer heutigen Wirklichkeit ist nicht darstellbar durch die traditionsgebundene Sprache, weil das Ich, das diese Wirklichkeit erwerben soll, selber durch den Charakter dieser Sprache bedingt ist. Es ist ihr nicht möglich, die Essenz der Wirklichkeit mitzuteilen, weil die Essenz subjektiv und darum nicht mitteilbar ist; auch die vielfältig und unüberschaubar gewordene Außenrealität vermag sie nicht mehr wiederzugeben, sondern nur ihre subjektive Impression. Notwendig wäre eine nicht-symbolische, auf sich selbst bezogene Sprache. Auf diese Vorgänge mußte die Dichtung, deren Ausdrucksmodus eben die Sprache ist, reagieren. Der Schwund, die Aufzehrung der Wirklichkeit geht dem Dichter ans Mark. Die Sprache der Dichtung hat sich auf die Suche nach etwas begeben, das verdunkelt bleibt und nicht eigentlich auszudrücken ist; an dessen Mitteilbarkeit gezweifelt werden muß. Im Grunde ist die Auswirkung dieser Situation dreifach. Da in einer Welt der Trugbilder und subjektiven Täuschungen dem Dichter die objektive Realität unerkennbar und unbeschreibbar bleibt, wird er zum bewußten Hersteller von Fiktionen und Unwahrheiten, während er früher meinte, Realität zu erfassen. Die Problematisierung der Sprache ist also als in der Literatur behandeltes Thema keineswegs neu. Das Wissen um den Verlust der sprachlichen Unschuld bahnte sich literarisch immerhin erst in der Romantik an. Solche Phänomene stehen aber in Zusammenhängen, die über den Bereich der Literatur im engeren Sinn weit hinausgehen, auch wenn sie auf die Dauer gerade die Literatur selbst als aus der Sprache bestehendes und durch die Sprache bedingtes Phänomen in eine Krise setzen. Veränderungen der Sprache sind nur in ihrer Beziehung zu Veränderungen der Weltinterpretation, also sprachphilosophisch und sprachwissenschaftlich, zu deuten. Es ist auch leicht einzusehen, daß sprachliche Möglichkeiten in hohem Maße von der philosophischen und wissenschaftlichen Erforschung der Sprache selbst abhängig sind. LUDWIG WITTGENSTEIN bestimmte Sprache in seinen "Philosophischen Untersuchungen" als "Lebensform", und in seinem Tractatus steht der berühmte Satz: "Alle Philosophie ist Sprachkritik ... die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt". Der Begründer der modernen strukturellen Linguistik, FERDINAND de SAUSSURE, deutet Sprache als Form der gesellschaftlichen Praxis, Sprachsysteme als gesellschaftliche Systeme, Sprachregeln als gesellschaftliche Verhaltensregeln, Sprachverwendung als gesellschaftliches Verhalten. Die damit hergestellten engen Bindungen zwischen der Linguistik und der Soziologie bestimmen die neuzeitlichen Entwicklung der sogenannten "Soziolinguistik". Auch der Gedanke, daß jede Sprache eine bestimmte Weltanschauung enthält, die das Denken des Sprechers beeinflußt, ist nicht neu. Aus einer beachtlichen Abfolge von Denkern, bei denen sich deutliche Überlegungen in dieser Richtung nachweisen lassen, wären besonders BACON, LOCKE, HAMANN und HERDER zu nennen. Der Gedanke der sprachlichen Weltansicht bzw. des sprachlichen Weltbildes wurde endgültig durch HUMBOLDT formuliert und in die Sprachwissenschaft eingeführt. Der Bonner Sprachforscher LEO WEISGERBER hat ihn erneut aufgegriffen und zur Lehre von den sprachlichen Weltbildern weiterentwickelt. Die Zuspitzung dieser Lehre zur Theorie vom sprachlichen Relativitätsprinzip geht auf den Amerikanisten B.L. WHORF und dessen Lehrer, den amerikanischen Sprachforscher EDWARD SAPIR, zurück. Vom Gedanken der sprachlichen Weltansicht zu WITTGENSTEINs Idee von der sprachlichen Begrenzung der Welt ist nur ein Schritt. Es ist das Problem, mit dem er sich in den dreißiger Jahren auseinandergesetzt hat. Das moderne Sprachproblem ist als philosophisches aber auch auf NIETZSCHE zurückzuführen, dessen Einfluß auf die Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts keineswegs unterschätzt werden darf. Bei zeigt sich bereits, daß eine neue Welt neue Sprachphänomene erzeugt und umgekehrt. NIETZSCHE vertritt in "Der Wille zur Macht" einen äußerst skeptischen Standpunkt gegenüber der Sprache: "nicht erkennen , sondern schematisieren, - dem Chaos so viel Regularität und Formen auferlegen, als es unserem praktischen Bedürfnis genug tut ..."Im Anschluß an die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit hatte NIETZSCHE das primitive, von der Wissenschaft widerlegte Weltbild auf gegeben, in dem es isolierte, unter ähnlichen Umständen beliebig oft wiederholbare Fakten gab. Denn in Wahrheit sei unser Handeln und Erkennen keine Folge von Fakten, sondern "ein beständiger Fluß", und der Irrtum, es gebe in Wirklichkeit gleiche Fakten, beruhte nach ihm gerade auf dem Glauben des Menschen an die Sprache; der Mensch "meinte wirklich in der Sprache die Erkenntnis der Welt zu haben". Für diesen Irrtum sei die Sprache dadurch verantwortlich, daß sie urteile um zu urteilen; daß sie mit Worten und Begriffen den "beständigen Fluß" der Welt zerschneide; jedoch fehlen die Voraussetzungen der Sprache in der wirklichen Welt. Für NIETZSCHE sind Worte "Scheinbrücken zwischen Ewig-Geschiedenem"; im Sprechen "tanzt der Mensch über alle Dinge". Diese Scheinbrücken verbinden bloß die Trümmer einer auseinandergefallenen Welt, so daß Sprechen und Dichten überhaupt angezweifelt werden: Nein! Nur Narr! Nur Dichter!Von Bedeutung ist dann FRITZ MAUTHNERs philosophische Sprachkritik, besonders seine 1901/02 erschienenen "Beiträge zu einer Kritik der Sprache", die den Zweifel an der Sprache schlechthin begründeten. MAUTHNER proklamierte einen radikalen Sprachskeptizismus. Von NIETZSCHE herkommend, fiel er in eine radikale Sprachskepsis. Sprachkritik ist für MAUTHNER wie für NIETZSCHE Erkenntniskritik, weil die meisten unserer Assoziationen Gedächtnisverbindungen von Werten sind. In den "Beiträgen" zerlegt er die innersten Wurzeln der Sprache, die unsere Gedanken tyrannisiere, weil sie kein Instrument des Erkennens sei, sondern "das Traumbuch der wortgläubigen Menschheit". MAUTHNER überfiel häufig der "Sprachschreck, ein Schrecken über das absurde Ungeheuer der Sprache": einmal, so erzählt er in seinen Erinnerungen , warf er ein Manuskript ins Feuer und faßte feierlich den Entschluß, an dichterische Tätigkeit überhaupt nicht mehr zu denken. Man darf annehmen, daß MAUTHNERs Sprachkritik deshalb von so wenigen sicher mit ihr vertrauten Dichtern erwähnt worden ist, weil sie als Bedrohung der Dichtung mißverstanden wurde. In der Tat richtete sich seine Kritik jedoch nicht gegen die Dichtung als solche, sondern gegen die Sprache als Dichtung, als bloße Scheinwirklichkeit, die keine Erkenntnis vermittelt. MAUTHNERs radikal agnostische These vom Verhältnis von Sprache und Erkenntnis sei ihrer großen Bedeutung wegen hier ausführlich zitiert: "So steht die Menschheit mit ihrer unstillbaren Sehnsucht nach Erkenntnis in der Welt ausgerüstet allein mit der Sprache. Die Worte dieser Sprache sind wenig geeignet zur Mitteilung, weil Worte Erinnerungen sind und niemals zwei Menschen die gleichen Erinnerungen haben. Die Worte der Sprache sind wenig geeignet zur Erkenntnis, weil jedes einzelne Wort umschwebt ist von den Nebentönen seiner Geschichte. Die Worte sind ungeeignet zum Eindringen in das Wesen der Wirklichkeit, weil die Worte Erinnerungszeichen sind, die von der Wirklichkeit wahrlich nicht mehr erfahren als eine Spinne vom Palaste, in dessen Erkerlaub sie ihr Nest gesponnen hat".In seiner Schrift "Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande" heißt es: "Sprachkritik war mein erstes und ist mein letztes Wort. Nach rückwärts blickend ist die Sprachkritik alles zermalmende Skepsis, nach vorwärts blickend, mit Illusionen spielend, ist sie Mystik." In den Beiträgen bemüht sich MAUTHNER, seine eigene Neigung zur Mystik zu unterdrücken; doch das Kapitel "Mystik" endet mit einem großen Preislied auf die Mystik. Verzweifelt sucht MAUTHNER dort einen Ausweg aus der Sprachskepsis.Welchen Eindruck MAUTHNER auf den anderen großen Sprachphilosophen unseres Jahrhunderts, LUDWIG WITTGENSTEIN, ausgeübt hat, ist schwer nachzuweisen. Im Tractatus meint WITTGENSTEIN, daß alle Philosophie Kritik der Sprache sei, doch "nicht im Sinne MAUTHNERs". Beide beenden jedoch ihr Lebenswerk mit einem Bekenntnis zur Mystik als Ausweg aus dem Sprachskeptizismus. WITTGENSTEINs besondere Aufmerksamkeit galt dem Problem der Begrenzung des menschlichen Denkens durch die Sprache. In privaten Unterhaltungen mit WAISMANN sprach er von dem Drang des Menschen, "an die Grenze der Sprache anzurennen". Freilich war das nicht die erste philosophische Aussage dieser Art: auch NIETZSCHE hatte gezeigt, wie die Sprache aufhört, Sklavin und Dienerin des Menschen zu sein. In den Schlußfolgerungen WITTGENSTEINs erscheint die Sprache als tyrannische Macht, die den Menschen am Erfassen der Wirklichkeit hindert. Seine Sprachkritik knüpft da insbesondere an SCHOPENHAUER an, auf den er eigentlich baut. Die Auffassung WITTGENSTEINs, daß unser Geist und unser Intellekt durch die einschränkende Macht der Sprache gehemmt seien, wird vor allem im Blauen Buch und im Tractatus logico-philosophicus deutlich und ist oben bereits erwähnt worden. Danach hat die Sprache etwas Fixierendes und Einschränkendes an sich. Beim späten WITTGENSTEIN finden wir die Idee, daß man deshalb auch keine allzutiefe Welterkenntnis erwarten könne; er klagt über das Erkenntnisproblem als Sprachproblem und vertritt die Ansicht, daß die philosophische Verwirrung ihren Ursprung in der Sprache habe. Weil alle Philosophie Kritik der Sprache sei, richtet sich seine Kritik vor allem gegen die Ambiguität (Mehrdeutigkeit) alles sprachlichen Ausdrucks in dem Sinne, daß man auf mathematische Präzision der Aussage abzielt, jedoch nur verflachende Vereinfachungen komplexer Sachverhalte erreicht. Was ihn zur Verzweiflung bringt, ist das völlige Versagen der Abstraktion: "Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt",heißt es im relativ nüchternen Tractatus, wo Schwierigkeiten mit der Vieldeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks deutlich zutagetreten: "Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen."Denn die Sprache repräsentiert im Gegenteil, zusammen mit dem, was sie auszudrücken imstande ist, gleichzeitig ihre logische Form und deren Wesen, ihre nicht zu umgehende Vieldeutigkeit aller menschlichen Anschauung; denn intellektuelle Anschauung ist nur durch das einzige Anschauungsmittel möglich, über das der Intellekt verfügt, nämlich die Formen der Sprache. Diese radikale Vieldeutigkeit der Sprache hat sich historisch in den Werkstätten der erwähnten sprachphilosophischen und sprachwissenschaftlichen Forscher entwickelt und stellt letzten Endes eine Umkehrung im Verhältnis von Sprache und Realität dar. HUMBOLDT hatt die Sprache schon als "Zwischenwelt" beschrieben, in der und durch die der Mensch Welt habe. Im modernen Sinn aber macht sie die Welt nicht nur sichtbar und mitteilbar, sondern auch verfügbar in dem Sinn, daß mit ihrer Hilfe die Realität geordnet und deren Zusammenhänge aufgedeckt werden können. Wörter sind längst nicht mehr bloße Zeichen, die eine Mitteilung zu transportieren haben; es sind Kondensate, die sich jedem menschlichen Individuum neu und vermutlich anders auffüllen.
Albrecht Fabri, Der rote Faden, München 1958, Seite 19 Zitiert nach Hans Bender, Mein Gedicht ist mein Messer, München 1961, Seite 23f Max Picard, Wort und Wortgeräusch, Hamburg 1953, Seite 9 Walter Muschg, Die Zerstörung der deutschen Literatur, Bern 1956, Seite 38 Ernst Fuchs, Zum hermeneutischen Problem in der Theologie, Tübingen 1959, Seite 283 |