p-4H. SchwarzBrentanoMFKE. NimzMFKG. SimmelCondillac    
 
HUGO BERGMANN
Untersuchungen zum Problem der
Evidenz der inneren Wahrnehmung

[5/5]

"Daß das Material, welches die Wahrnehmung liefert, in mannigfacher Weise bearbeitet wird und daß sich hierbei vielfach und in verschiedener Richtung Fehler einstellen können, hat kein besonnener Vertreter der von uns verfochtenen Ansicht geleugnet. Und so konnten wir einen Nachweis von Irrtümern der Deutung nicht als Demonstration einer falschen Wahrnehmung gelten lassen."

"Nochmal: nur jenen psychischen Phänomenen - ob man sie nun Wahrnehmungen nennen will oder nicht - spricht unsere These die Eigenschaft zu, das Dasein ihres Gegenstandes mit Einsicht zu bejahen, welche die allerelementarsten Tatsachen unseres Selbstbewußtseins ausmachen. Weder um ein Bemerken abstrakter Teile noch um ein Prädizieren und Deuten handelt es sich hier, sondern um das einfache Ja, mit dem jeder bewußte Akt sich selbst anerkennt. Und ein solches muß es geben, wenn es überhaupt eine innere Anschauung, wenn es Begriffe von Psychischem, wenn es ein Selbstbewußtsein geben soll."

"Wir urteilen mit Evidenz, wenn wir das angeschaute Erlebnis bejahen. Wir können irren, indem wir dem so anerkannten etwas zuerkennen, von ihm etwas prädizieren. Wir können irren. Die Frage aber bleibt offen: welche erkenntnistheoretische Dignität besitzen die Prädikationen? Sind auch die richtigen unter ihnen nur blinde Urteile, die ihre Wahrheit nicht der Einsicht verdanken? Sollten wirklich alle Klassifikationen des Psychologen, alle Bestimmungen des Naturforschers, ja auch alle Klassifikationen des gewöhnlichen Lebens blind sein?"


III. Abschnitt
Die Zeitanschauung in der
inneren Wahrnehmung

§ 30. MEINONG entnimmt (157) einen letzten Beweis für nicht-evidente innere Aspekte dem schwierigen Gebiet der Zeitwahrnehmung. BRENTANO folgend, führt er nämlih die Evidenz der inneren Wahrnehmung auf die reale Einheit zwischen Wahrnehmen und Wahrgenommenen zurück. Was aber real identisch ist, muß streng gleichzeitig sein und gestattet keine Verschiedenheit in Bezug auf die Zeit. Also muß bei der inneren Wahrnehmung, soweit sie evident ist, Objektzeit und Erkenntniszeit zusammenfallen; und zwar nicht nur in dem Sinne, daß das Objekt sich als gegenwärtig, als mit dem Wahrnehmungsakt gleichzeitig darstellt, sondern daß es dies wirklich ist. Es kann also die evidente innere Anschauung nicht auf Vergangenes gehen.

Nun aber scheinen sich hier für MEINONG Schwierigkeiten aufzutürmen. Schon die äußere Wahrnehmung zeigt Gegenstände,
    "deren Eigenart in einem Zeitpunkt sozusagen nicht Raum genug hat, vielmehr eine Zeitstrecke braucht, sich zu entfalten, so daß man sie passend zeitverteilte Gegenstände nennen kann. Beispiele dafür bieten eine Melodie, eine Bewegung oder sonst ein Vorgang, natürlich auch ein psychischer, der, um sich abzuspielen, einer Zeitstrecke bedarf, während etwas die Natur von Rot oder Blau in jedem Zeitpunkt bereits gleichsam erschöpft ist (Punktgegenstände), obwohl es selbstverständlich ein bloß während eines Zeitpunktes isoliert existierendes Rot so wenig geben könnte als ein räumlich punktuelles." (158)
Um nun einen solchen zeitverteilten Gegenstand wie die Melodie wahrnehmen zu können, müssen wir wahrnehmend imstande sein, nicht nur den gegenwärtigen, sondern auch noch die eben vergangenen Töne zu hören. MEINONG findet nun analoges auf dem Gebiet der inneren Wahrnehmung.
    "Und da auch für diese gilt, daß alle Wirklichkeit streckenhaft, also zeitverteilt ist, so können wir, indem wir uns nun wieder auf die inneren Aspekte beschränken, von letzteren ganz allgemein sagen: ... daß auch für die innere Wahrnehmung das normale Zeitverhältnis zwischen der Wirklichkeit und dem sie erfassenden psychischen Akt nicht das der Gleichzeitigkeit, sondern das der unmittelbaren Aufeinanderfolge ist."
Da aber, wie wir hörten, Evidenz nur durch Gleichzeitigkeit ermöglicht wird, so ist auch der innere Aspekt nur im Grenzfall evident und besitzt im Übrigen nur Evidenz für Vermutung, jene von MEINONG für die Erinnerung statuierte Art von Evidenz, die vor Irrtum nicht schützt.

§ 31. Eine Prüfung dieses durch MEINONG geführten Beweisversuches für irrtümliche innere Wahrnehmung wird mehrere seiner Behauptungen auseinanderzuhalten haben. Es wird gesagt:
    1. Nur die Wahrnehmung des Gleichzeitigen kann Evidenz der Gewißheit besitzen.

    2. Also kann nur die Wahrnehmung desjenigen evidenz sein, das gemäß seiner Beschaffenheit überhaupt mit einem momentanen Wahrnehmungsakt gleichzeitig sein kann, also nur die Wahrnehmung von "Punktgegenständen".

    3. Die Wahrnehmung von zeitverteilten Gegenständen kann keine Evidenz der Gewißheit besitzen.

    4. Alle Wirklichkeit ist in der Zeit streckenhaft ausgedehnt, also zeitverteilt.

    5. Alle Objekte der inneren Wahrnehmung sind sonach zeitverteilt. Sie sind nicht nur zeitlich, sondern müssen auch als zeitliche, und zwar als zeitlich ausgedehnte Kontinua wahrgenommen werden. Von diesem Kontinuum wird nur ein Grenzpunkt - der dem wahrnehmenden Akt gleichzeitige - mit Evidenz der Gewißheit, das ganze Kontinuum dagegen mit Evidenz der Vermutung wahrgenommen, derart, daß die Vermutung umso berechtigter wird, je mehr man sich der Gegenwart nähert.
Prüfen wir dies eingehender. Es wird dabei einer Aussprache nur förderlich sein, wenn wir zunächst zugeben, MEINONG habe mit der ersten These recht. Ihrer Natur nach zeitlich ausgedehnte Gegenstände - für welche in der äußeren Wahrnehmung die Melodie ein Beispiel bietet - könnten danach nicht mit Evidenz wahrgenommen werden (These 2 und 3). Wir wollen auch weiters noch mit MEINONG annehmen (4), alle Wirklichkeit sei von solcher Art, sei ein "zeitverteilter Gegenstand", wir wollen also zunächst die Frage unterdrücken, wozu denn der Autor eben noch "Punkt-" und "zeitverteilte Gegenstände" unterschied: Und wollen fragen, ob denn durch die Zuhilfenahme der evidenten Vermutungen (5) das Problem gelöst wird, wie die innere Wahrnehmung streckenhaft ausgedehnte Gegenstände anzuschauen vermag? Diese Frage aber können wir nicht bejahen.

§ 32. Indem gesagt wird, die innere Wahrnehmung sei, ein zeitlich ausgedehntes Objekt anschauend, in Bezug auf den Grenzpunkt der Gegenwart ein evidentes Urteil, in Bezug auf das als vergangen Angeschaute besitze sie aber nur Evidenz für Vermutung, soll nicht etwa gesagt sein, es lägen zwei Akte vor, ein evidenter und ein vermutungsevidenter, die das gleichzeitige, bzw. das vergangene Objekt bejahen. Ist ja doch nach 4. ein das streng gleichzeitige psychische Geschehen allein bejahender momentaner Akt unmöglich, vielmehr muß die Anerkennung des kontinuierlichen Aktes eine sein und offenbar selbst eine kontinuierliche. Und diese Kontinuität soll bestehen sowohl hinsichtlich des Objekts, das ja von der Gegenwartsgrenze stetig in die Vergangenheit übergeht, als auch hinsichtlich der erkenntnistheoretischen Dignität, wo das Verhältnis zwischen Evidenz für Gewißheit und Evidenz für Vermutung von MEINONG als ein Mehr oder Weniger, als ein Fließend-verbunden-sein beschrieben wird (159).

Welches ist nun jener stetig veränderliche, welches ist überhaupt der Unterschied zwischen Evidenz für Gewißheit und Evidenz für Vermutung?

Da MEINONGs Ausführungen hierüber nicht genug ausführlich, und weder hier noch in der Abhandlung "Zur erkenntnistheoretischen Würdigung des Gedächtnisses" (160) hinreichend eindeutig sind, wollen wir uns daran machen, a priori alle möglichen Unterschiede festzustellen und den zutreffenden herauszusuchen.

Die Klasse "anerkennende Urteile" kann in mehreren Weisen differenziert sein.

1. Einmal - um zunächst dies abzutun - kann man die Urteile unterscheiden nicht nach den Differenzen der von ihnen unabhängigen Urteilsinhalte, denen sie adäquat sind, sondern nach Besonderheiten, die sie bei gleichem "Satz ansich" noch aufweisen können: also nach subjektiven Umständen beim Urteilen.

a) Als einen solchen muß man den Unterschied der evidenten und der blind richtigen assertorischen Urteile auffassen (161). Beide sind demselben Objektiv adäquat, beide beurteilen das (kontingent) Seiende, wie es ist. Ihr Unterschied ist also nur ein subjektiver. Doch wird ihn MEINONG freilich nicht als Differenz zwischen Gewißheitsevidenz und Vermutungsevidenz gelten lassen, wenn auch vieles von dem, was er zur Vermutungsevidenz erklärt, in Wahrheit eine blinde, aber richtige Anerkennung ist. MEINONG weist mit Recht darauf hin (162), wie verhältnismäßig klein die Zahl unserer Handlungen ist, die von vernünftigen Überlegungen, von evidenten Urteilen bestimmt sind und zitiert LOCKEs Ausspruch, daß man zugrunde gehen müßte, wollte man nicht handeln, ehe man einen demonstrativen Beweis für den Erfolg hat. Hier überall aber sind es meist ganz blinde Urteile, deren Besitz mit zu unserer - wie immer entstandenen - zweckmäßigen Organisation gehört, die uns im Großen und Ganzen sicher und richtig leiten.

Doch MEINONG hat darin Recht, daß doch nicht alle Tatsachen, die er anführt, sich durch ein blindes richtiges Urteilen erklären lassen. So wollen wir dann weiter suchen, was denn sonst der fragliche Unterschied von Vermutungsevidenz und Gewißheitsevidenz sein mag.

b) Eine Einteilung nach den subjektiven Umständen ist es dann auch, wenn man die Urteile nach den Graden der ihnen eignenden Überzeugungskraft einteilt, und darunter nicht innere Eigenschaften am Urteil selbst versteht, sondern das subjektive Verhältnis seines Beharrens oder Schwankens und seinen Einfluß auf das übrige psychische Leben. (163)

Wenn das der Unterschied zwischen Evidenz der Gewißheit und Evidenz der Vermutung sein soll (164), so können wir immerhin noch zwei Fälle unterscheiden.

α) Die beiden Urteilsarten sind, sofern sie einmal Vermutungsevidenz, einmal Gewißheitsevidenz besitzen, in dieser Weise verschieden. Wenn dies so wäre, dann gäbe es ein Mehr oder Weniger an Evidenz, und zwar ein subjektives, und das Höchstmaß dieser Steigerung, die Evidenz der Gewißheit, wäre nichts als ein subjektives Maximum, und von einer Vermutung und ebenso von einem falschen Urteil nur subjektiv verschieden. Man sieht, daß damit der Begriff der Evidenz, die ja ein lumen naturale [natürliches Licht - wp], eine durch die Natur der Gegenstände bedingte Einsicht, sein soll, zerstört werden würde. Wir wollen also dieser Möglichkeit nicht weiter nachgehen.

β) Es kann aber auch dies gemeint sein: Nicht sofern sie evident sind, unterscheiden sich die beiden Urteilsarten. Vielmehr sind beide wahre Evidenzen. Aber sie sind subjektiv verschieden, z. B. durch die Grade der Überzeugung im oben erwähnten Sinn. Wenn MEINONG dies im Auge gehabt hätte, so hätte er allerdings eine richtige Unterscheidung angebrachtf. In der Tat haben nicht alle evidenten Urteile dieselbe Kraft der Überzeugung und denselben Einfluß auf das psychische Leben, wie ja auch die blinden Urteile solche Unterschiede aufweisen.

Allein es ist recht zweifelhaft, ob MEINONG dies mit seiner Einteilung wollte, obwohl er hier und da so spricht (165). Hätte er doch, wenn diese seine Ansicht gewesen wäre, nicht zugeben dürfen, daß die evidente Vermutung enttäuscht werden kann. Denn was wirklich und ernsthaft evident ist, ist eo ipso [schlechthin - wp] richtig. So sind wir dann auch hier auf keinem guten Weg, und müssen nun versuchen, einen objektiven Unterschied zwischen den beiden Urteilsarten herauszufinden.

2. Zwei bejahende Urteile können zunächst bei gleichem Objekt verschieden, und zwar objektiv verschieden sein durch Differenzen ihrer Urteilsinhalte, ihrer Objektive, wie MEINONG sagt. Beidesmal ist dasselbe Objekt anerkannt, aber die Modi des Anerkennens sind verschieden, und mit Recht verschieden, denn das Sein desselben Objektes, dem sie sich adäquat verhalten, ist ein anderes und wieder ein anderes: einmal - um gleich unseren Fall als vielleicht mögliches Beispiel heranzuziehen - wäre es Gewiß-Sein, einmal Wahrscheinlichkeit-Sein des gleichen Objekts und dies in kontinuierlich verschiedener Art. Dem Gewiß-Sein entspräche das evidente, dem Wahrscheinlich-Sein das vermutungsevidente Urteil als adäquates Bewußtsein. Wie die Gegenstände ein anderes Sein, so hätten die Urteile andere Urteilsinhalte, eine andere Wahrheit.

Doch auch hier (166) winkt uns keine befriedigende Auskunft. Denn wenn dies die richtige Unterscheidung wäre, kämen wir zu dem Resultat, daß individuell dasselbe Objekt zugleich zwei Seinsweisen haben kann, was offenbar widersprüchlich ist. Denn es kann doch sein, daß jemand etwas vermutet, ein anderer dasselbe mit Evidenz (der Gewißheit) bejaht, - ich vermute, daß N nach dem Verlust seines Vermögens traurig ist; er ist nun tatsächlich traurig und anerkennt sich als solchen mit Evidenz - sodaß wir dazu kämen, individuell demselben Objekt die Seinsweise "Gewiß-Sein" und die Seinsweise "Wahrscheinlich-Sein" zuschreiben zu müssen.

Allein hier könnte man einen Einwand machen: wie es denn wäre, wenn einer etwas apodiktisch zu Verneinendes assertorisch verneint? Ist nicht auch hier derselbe Gegenstand zugleich Gegenstand mehrere Objektive? Allein dies behaupten, hieße den Sinn und die Eigenart des Objektivs vollständig verkennen.

Was uns hier vorliegt, ist vielmehr eine vollständige und unvollständige Adäquatioin an dasselbe Objektiv (167). Indem ich etwas apodiktisch zu verneinendes assertorisch verneine, ist die ideelle Adäquation meines Urteilsaktes an das Sein (bzw. hier an das Nicht-Sein) eine unvollständige, und eben unvollständig als nichtapodiktische, und es wäre natürlich verkehrt, dem als solchen inadäquaten Akt den Namen des adäquaten zu geben und von Apodiktizität zu sprechen, wo keine gegeben ist. So kann dann auch die Evidenz welcher Art auch immer nicht als unvollständige Adäquation und als Mehr oder Weniger an Adäquation begriffen werden.

Und ferner: MARTY hat gegen die Annahme des "Bestehens" als einer besonderen Seinsweise eingewendet, dies gehe schon deshalb nicht an, weil jedes irgendwie Seiende doch jedenfalls wahrhaft sein muß, das Bestehend dies aber nicht soll (168). Dieses Argument wiederholt sich hier in erhöhtem Maß. Wollte einer das Wahrscheinlich-Sein als eine besondere Seinsweise auffassen, wie etwa das Notwendig-Sein und dgl., so würde man ihm mit Recht entgegenhalten, "wahrscheinlich" sei kein determinierendes, bereicherndes Prädikat, sondern ein modifizierendes. Der wahrscheinliche Krieg ist kein Krieg, ebensowenig wie der falsche Gulden ein Gulden ist. Und wahrscheinlich-Sein ist deshalb schon keine besondere Weise des Seins, weil es überhaupt kein Sein ist.

So besteht also keine Aussicht, den Unterschied der wahren und der Vermutungsevidenz als Unterschied des Seins der anerkannten Materie, bzw. der (objektiven) Modi der anerkennenden Urteile zu verstehen.

3. Wir sagten oben, vieles von dem, was MEINONG als evidente Vermutung anführt, reduziert sich auf überzeugungsstarke, aber nicht einsichtige Urteile, die zum großen Teil wahr sind und sich daher dort als überaus zweckmäßig für uns erweisen, wo vernünftige einsichtige Überlegung nicht schnell genug und auch hier nicht sicher genug sein könnte. Daneben aber gehört freilich in das Gebiet der sogenannten evidenten Vermutungen manches Urteil, das volle Evidenz besitzt und sich von den übrigen Urteilen durch Differenzen des beurteilen Objekts unterscheidet. Denn neben den Unterschieden der Urteilsinhalte, des Geurteilten, können natürlich auch solche der fürwahrgehaltenen Materie auftreten und auf sie hat schon BRENTANO die hier obwaltende Differenz zurückgeführt (169).
    "Denn wenn ich das einmal urteile: etwas sei, das andere Mal bloß: es sei mehr oder weniger wahrscheinlich, so sind dies nichts anderes als Unterschiede des Beurteilten."
Einmal ist "O", einmal die "Wahrscheinlichkeit von O" Objekt der Anerkennung. Die instinktive, unmittelbare Anerkennung, wie sie z. B. die Erinnerung zeigt, ist, in eine einsichtige umgedeutet, die Anerkennung: "O ist wahrscheinlich". Und dieses ist nun kein Doppelurteil, das bedeuten würde "O ist und ist wahrscheinlich", sondern die einfache Anerkennung einer durch das modifizierende Prädikat "wahrscheinlich" gebildeten neuen Materie: wahrscheinliches O.

Was nun wieder unser eigentliches Problem anlangt, so sieht man, daß die Frage nach der inneren Anschauung des Vergangenen durch eine solche Auffassung nicht beantwortet wird. Denn es handelt sich um die Möglichkeit der Wahrnehmung eines kontinuierlichen Objekts. Von einem stetigen Übergang zwischen "O" und "wahrscheinlichem O" kann nun ebensowenig die Rede sein, als davon, daß "wahrscheinliches O" - das ja als solches kein Reales ist - angeschaut zu werden vermag. Steht man also mit MEINONG auf dem Standpunkt, nur Gleichzeitiges sei evident wahrnehmbar, so ist die Anschauung des Vergangenen entweder nur blind, oder überhaupt zu leugnen. Die zu Hilfe genommenen evidenten Vermutungen erwiesen sich entweder als blinde Urteile oder als solche über eine nichtanschauliche Materie.

§ 33. Der Versuch, die Frage nach der inneren Anschauung des Vergangenen durch Heranziehung der evidenten Vermutungen zu lösen, scheitert also und nicht zuletzt an der mangelnden Einheit der so genannten Klasse. Nichtsdestoweniger sind wir weit entfernt, die Schwierigkeit der hier von MEINONG aufgeworfenen Frage zu verkennen: Wie läßt sich ein zeitliches Kontinuum mit Evidenz innerlich wahrnehmen, da doch zwischen Akt und Objekt nicht jene reale Einheit besteht, wie sie allein die Einsicht der Affirmation [Bejahung - wp] zu verbürgen scheint? Und andererseits: gibt es überhaupt eine Anschauung ohne die Anschauung eines Kontinuierlichen?

Wir wollen nicht behaupten, daß das, was wir im Folgenden zur Lösung dieser Frage beibringen, eine vollständige Antwort bedeutet. Dennoch möchten wir - mag auch die Gefahr des Irrtums hier noch größer sein als sonstwo in unseren Ausführungen - zeigen, wo sich Wege zur Lösung eröffnen. Auch das möchten wir nicht unterlassen, hier schon zu bemerken, daß es keine der Erfahrung selbst entstammende Schwierigkeit ist, vor der wir stehen. Nur wer die Hypothese annimmt, die Evidenz der inneren Wahrnehmung erkläre sich durch eine Identität von Akt und Objekt und nicht anders, hat hier Aporien [Widersprüche - wp] zu lösen.

Auch wir haben uns auf den Standpunkt dieser Erklärung gestellt. Dennoch müssen wir hervorheben, daß dieser Einwand MEINONGs zunächst sie, und erst in zweiter Linie die Evidenz der inneren Anschauung betrifft.

§ 34. Dagegen erhebt sich, wie ich glaube, ein gewichtigerer Einwand gegen jeden Versuch, die genannte Aporie zu lösen und doch dabei zu bleiben, daß wir innerlich eine ganze Zeitstrecke anschauen (170). Es droht nämlich all diesen Versuchen, auch dem MEINONGs eine unendliche Verwicklung.

Denn nicht nur meine gegenwärtige, auf meine vergangene innere Wahrnehmung war danach teils auf Gegenwärtiges, teils auf Vergangenes gerichtet, und ebenso die von dieser als vergangen erfaßte usw. in stetiger Folge. Ein Kontinuum von unendlich vielen Dimensionen scheint sich schon daraus zu ergeben. Und weiters scheint zu folgen, daß unsere innere Wahrnehmung, wenn sie stets eine noch so kleine Zeitspanne umfaßt, unser ganzes psychisches Leben umfassen muß. Denn es gehörtee - angenommen, unser evidentes "primäres Gedächtnis" umfaßt µ Sekunden - zur Einheit des vor µ Sekunden stattgefundenen Aktes selbst wiederum eine evidente Erinnerung, µ Sekunden zurückreicht, und diese mußte mit dem vergangenen Akt selbst miterfaßt werden und ihr Objekt dazu. Somit hätten wir schon eine evidente Anschauung über 2 µ Sekunden unseres vergangenen psychischen Lebens. Und wiederum muß gelten, daß vor 2 µ Sekunden stattgefundene Akt in evidenter Erinnerung µ Sekunden zurück anschaut, und daß, indem er angeschaut wird, auch sein Objekt miterfaßt wird; sodaß wir eine Zeitanschauung von 3 µ Sekunden hätten usw. in infinitum, bzw. bis zum Anfangspunkt unseres seelischen Lebens.

§ 35. Wollen wir dieser Aporie entgehen, so müssen wir annehmen, daß die innere Wahrnehmung nur auf streng gleichzeitige Akte geht und können nicht zugeben, daß "zeitliche Gestalten" innerlich mit Evidenz angeschaut werden.

MEINONG freilich meint, alle Wirklichkeit sei streckenhaft, also zeitverteilt (171). Allein er verleugnet damit offenbar die eigene Einteilung der Gegenstände in Punkt- und Streckentatsachen. Denn diese Einteilung sollte offenbar zum Ausdruck bringen, daß nicht alles, was zeitlich ausgedehnt ist, als solches angeschaut werden muß. Und wie der Autor richtig sagt, die Natur von Rot und Blau - im Gegensatz etwa zum Gegenstand "Bewegung" - sei in einem Zeitpunkt "bereits gleichsam erschöpft", so sind wohl auch auf dem Gebiet der inneren Wahrnehmung eine Lust, ein Urteil und dgl. Beispiele von "Punktgegenständen".

Aber ist denn nicht eine Anschauung, die nur auf Gleichzeitiges geht (172), von vornherein widersprechend? Nun, soviel ist sicher, daß die Wahrheit des Satzes einleuchtet: Eine Grenze kann weder sein, ohne Grenze an einem Kontinuum zu sein, und sie kann nicht angeschaut werden, ohne als solche angeschaut zu werden. Doch von diesem Urteil ist das folgende zu unterscheiden: Eine Grenze kann nicht sein, ohne daß gleichzeitig das begrenzte Kontinuum ist und sie kann nicht angeschaut werden, ohne daß gleichzeitig das Kontinuum angeschaut wird. Dieses Urteil leuchtet nicht ebenso ein, ja das Beispiel der Zeit zeigt, daß es im ersten Teil falsch ist. Denn kein Zeitpunkt ist mit dem andern gleichzeitig - sonst wären nicht zwei Punkte da -, geschweige denn mit einer unendlichen Menge von Punkten, wie sie mit dem kleinsten Stück Zeit schon gegeben wäre. So scheint auch der zweite Teil des obigen Urteils, der meinte, eine Grenze müsse nicht nur am Kontinuum, sondern gleichzeitig mit ihm angeschaut werden, nicht unbezweifelbar zu sein. Es dürfte nur soviel richtig sein, daß die Grenze nicht angeschaut werden kann, ohne daß das Begrenzte in infinitesimaler Nachbarschaft mitangeschaut wird.

"In infinitesimaler Nachbarschaft" heißt aber nicht gleichzeitigf. Bei der Anschauung des räumlich Ausgedehnten wird freilich das ganze Kontinuum gleichzeitig angeschaut, und indem man sich zu sehr von der Analogie leiten läßt, glaubt man dies oft von der Anschauung jedes Stetigen sagen zu können. Indessen scheint es aber gerade in unserem Fall zu genügen, wenn man annimmt: Es ist unmöglich, daß ein O wahrgenommen wird, ohne daß ein ihm zeitlich benachbartes O1 auch wahrgenommen werden würde; doch ist es möglich, daß die Wahrnehmung des O mit der des O1 nicht gleichzeitig stattfindet, sondern ihr zeitlich benachbart ist, wie die Objekte selbst es sind. Sind t0 und t1 die bezüglichen Zeiten, in denen die Objekte bzw existieren, tw0 und tw1 allgemeine Ausdrücke für Zeiten, in denen die Objekte - sei es als gegenwärtig, sei es als vergangen - angeschaut werden, dann behauptet also die eine Ansicht: Es muß, wenn O und O1 zeitlich benachbart sind, also t1 - t0 > δ ist, sich auch eine Anschauung ergeben, in welcher O und O1 zugleich, wenn auch freilich nicht als zugleich wahrgenommen werden: irgendein t0 = t1. Demgegenüber möchten wir vertreten, es sei der Anforderung des Kontinuums Genüge geleistet, wenn bei zeitlicher Nachbarschaft der Objekte: t1 - t0 < δ auch die Wahrnehmungszeiten infinitesimal benachbart sind: t1 - t0 > δ.

Sagt man uns (173), es genüge nicht die Annahme, das zeitlich Kontinuierliche werde nacheinander angeschaut, da ja dann in einem Zeitpunkt doch wiederum nur eine Grenze angeschaut wird, so fragen wir, wie den dieses Anschauen selbst in einem Zeitpunkt möglich sein soll. Die Schwierigkeit ist dieselbe, die Lösung der einen wird die andere heben. Vielleicht aber sind beide Fälle nur "durch Abstraktion herauspräpariert". Man muß sich eben hüten, die Betrachtungsweise des Diskreten auf das Kontinuum zu übertragen (174). Im diskreten Zeitpunkt ruht der fliegende Pfeil und der schnelle Achilles bleibt ewig hinter der kriechenden Schildkröte zurück. Lernt man aber von der galileischen Physik, bei der Grenzbetrachtung nicht zugleich den Sprung vom Kontinuum zum Diskretum zu machen und auch da die Eigenart des Stetigen zu wahren (175), dann weiß man, daß der Pfeil des ZENON sich auch im Zeitpunkt vom ruhenden ("durch das intensive Moment der Bewegungsenergie") unterscheiden läßt. (176) Wer ihn intellektuell erfassen würde, müßte ihn vom ruhenden unterscheiden können; ebenso erfaßt hier die Anschauung den gegenwärtigen Akt individuell, das heißt also auch als Grenze eines Kontinuums. Dieses Kontinuum selbst aber wird erst in einer (objektiven) Zeitstrecke angeschaut.

§ 36. Wir glauben, daß sich auf dem angegebenen Weg die Aporie MEINONGs lösen lassen wird. Wenn noch Schwierigkeiten da sind, so finden sich ja solche fast überall, wo das Kontinuum ins Spiel kommt und sie sind jedenfalls viel kleiner als die, welche wir anderen Beantwortungen der Frage vorwerfen mußten.

Wir wollen von hier nicht abgehen, ohne auf ähnliche Äußerungen anderer Autoren hinzuweisen. MEINONG selbst ist hier zu nennen. Wir erwähnten schon, daß seine allzu rigorose Auffassung des Problems bei der inneren Wahrnehmung die eigene Scheidung von Streckentatsachen und Punkttatsachen gegen sich hat. Und ebenso die richtige Unterscheidung, die er mit anderen gemacht hat: Es sei nicht dasselbe, einen zeitlich ausgedehnten Gegenstand anzuschauen und ihn als zeitlich ausgedehnten anzuschauen, und ebenso, konstant dasselbe Objekt und es als konstant dasselbe zu erfassen. (177)

Der Autor hat, eben im Begriff, durch diese richtige Scheidung seine Aufstellungen zu korrigieren - denn aus ihr folgt, daß eben nicht alles Streckenhafte zeitverteilt ist -, sich doch wiederum den Ausweg verschlossen. Er meint, auch im Falle der andauernden Wahrnehmung eines zeitlich währenden, aber nicht zeitverteilten Objekts (andauerndes Gefühl) sei die Sachlage für die innere Erfahrung nicht günstiger. Denn auch hier gilt, daß das Wahrnehmungsurteil und der Wahrnehmungsgegenstand als zwei gänzlich zusammenfallende Zeitstrecken Punkt für Punkt zusammenfallen. Und nun wird geschlossen:
    "Erfaßt also das Urteil den zeitlich ausgedehnten Gegenstand, so gilt für jeden aus der Zeitdauer dieses Urteils herausgegriffenen Punkt, daß das Urteil auf Vergangenes oder wohl auch Künftiges, aber durchaus nicht oder höchstens einem verschwindenden Anteil nach auf ein mit dem Urteil Gleichzeitiges, in diesem Sinne als Gegenwärtiges geht." (178)
Hier scheint offenbar die von MEINONG selbst bekämpfte Verwechslung wiederzukehren. Wenn das Urteil den zeitlich ausgedehnten Gegenstand als solchen objektiv eine Zeitlang anerkennt, dann erkennt es von Augenblick zu Augenblick Vergangenheit und Zukunft und im Ganzen immer dieselbe ausgedehnte Spanne Zeit an. Ist aber - und dies ist unser Fall - nur soviel gesagt, daß der Gegenstand und das Wahrnehmungsurteil objektiv eine Zeitlang dauern, ohne daß diese Tatsache selbst aber Gegenstand der unmittelbaren inneren Anerkennung wäre, dann erfaßt das Urteil von Augenblick zu Augenblick, oder, um des Autors nicht ganz einwandfreie Redeweise zu gebrauchen, in jedem Zeitpunkt denselben (punktuellen) Gegenstand.

Um nun auch andere Autoren anzuführen, so findet man die hier ausgesprochene Ansicht, daß die innere Wahrnehmung vielleicht nur auf Gleichzeitiges geht und daß sie daher das Bewußtsein von zeitlich auseinander liegenden Gegenständen selbst nur in einem objektiven zeitlichen Verlauf gewinnen kann (179), vielfach als selbstverständlich hingestellt, ja als so sicher, daß man die auch von einer nichtevidenten Wahrnehmung zu können glaubt, wofür freilich kein Grund denkbar ist. Ich zitiere JULIUS BERGMANN und REHMKE. Ersterer sagt (180):
    "Damit für mein Bewußtsein die Erscheinung eines eine Minute lan dauernden Sehens da ist, muß es selbst eine Minute lang da sein."
Und noch deutlicher und in größerer Übereinstimmung mit der hier geäußerten Meinung spricht er (a. a. O., Seite 92) davon, daß in jedem Zeitpunkt des Wahrnehmens von der Zeit auch nur ein Punkt wahrgenommen wird. Und was REHMKE anlangt, so stellt er es als sicher hin, daß ohne objektive Zeitfolge auch kein Zeitbewußtsein denkbar ist (181).
    "Zeitbewußtsein" heißt es Seite 472 - "nun ist als Bestimmung des konkreten Bewußtseins unmittelbar gegeben mit dem zeitlichen Nacheinander, welches das Seelenkonkrete aufweist; ohne gegebenes zeitliches Nacheinander ist es selber auch nicht gegeben."
Schließlich scheint auch STUMPF in seinen jüngsten Publikationen diesen Standpunkt einzunehmen, indem er nur die momentan bewußten Erscheinungen und Funktionen als unmittelbar gegeben bezeichnet, von den vergangenen aber dies ausdrücklich in Abrede stellt. Die Überzeugung von ihrem Dasein beruth nur auf einem blinden Glauben oder auf einer durch Schlüsse vermittelten Einsicht (182).

§ 37. Doch wie auch immer hier die Lösung des Problems ausfallen möge, darin stimmen wir MEINONG zu, daß es ein punktuelles Wahrnehmen nicht geben kann, weder in dem Sinne, daß es selbst objektiv ohne Dauer wäre, noch so, daß wir etwas anzuschauen imstande wären, was momentan zu nennen wäre. Hiergegen ist in einer Reihe von "naturphilosophischen Vorlesungen über die Grundprobleme des Bewußtseins und des Lebens" (183) der ungarische Forscher MELCHIOR PALÁGYI aufgetreten und meinte, gerade die Eigentümlichkeit geistiger Akte sei es, nur instantan zu sein.
    "Unsere geistigen Akte sind punktuell, d. h. sie nehmen keine Zeitdauer in Anspruch, sie füllen kein zeitliches Intervall aus, sondern finden an der absolut genauen Grenze von Vergangenheit und Zukunft in der absoluten Gegenwart oder dem absoluten Jetzt statt und können aus diesem Grund sinnlich nicht wahrgenommen werden." (184)
Hatte der Autor früher (185) die Ansicht vertreten, es könne etwas Zeitlich-unräumliches nicht geben und daher die räumliche Ausdehnung des Psychischen zu erhärten versucht, so geht er jetzt den umgekehrten Weg: dem, dessen Räumlichkeit sich offenbar nicht beweisen ließ, nun auch die zeitliche Dauer abzusprechen. Allein die Beweise, die er dafür vorbrachte, sind wohl nicht als gelungen zu betrachten und wir - sonst vielfach mit dem Forscher einig - sehen ihn hier für etwas offenbar Unmögliches streiten.

1. Vom Wahrnehmen glaubte der Gelehrte behaupten zu müssen, daß es nicht als in der Zeit fließend gedacht werden kann. Er geht hierbei von dem richtigen Gedanken aus, daß die weit verbreitete Ansicht, jede Empfindung sei etwas schlechthin Einfaches, einem groben Irrtum entsprungen ist (186). Und er betont auch mit Recht, daß wir die Entstehung der Mischqualitäten einem Mangel unserer psychischen oder psychophysischen Organisation zu verdanken haben (187). Wären wir imstande, "die kleinsten Phasen unseres Empfindungsverlaufes" zu erfassen, "würden wir uns zehnmal, hundertmal, tausendmal schneller auf unsere Eindrücke besinnen können, als wir tatsächlich fähig sind", dann müßte manche insgemein für einfach gehaltene Qualität sich als Mischung erweisen. Soweit sind wohl die Ausführungen des Autors überzeugend. Wenn er aber diesen richtig beschriebenen Tatbestand so zu deuten unternimmt, daß immer Bruchteile von Sekunden verfließen müssen, während sich in uns nur "vitale" Prozesse vollziehen, in deren Verlauf dann plötzlich der Akt "aufblitzt", um sofort wieder zu verschwinden, so scheint uns dies des Problems Lösung nicht zu sein.

Wäre es richtig, daß wir zur Erklärung der Entstehung der Mischqualitäten durch zeitliche Aufeinanderfolge zeitlose, zeitlich unausgedehnte Akte annehmen müßten, deren Objekt gleichfalls instantan erscheint, so müßte man analog folgern dürfen, daß die Qualitäten auch unräumlich erscheinen. Denn auch hier gilt, daß wir nicht imstande sind, die kleinsten Elemente des Kontinuierlichen für sich wahrzunehmen, auch hier entsteht durch eine geeignet gedrängte Juxtaposition qualitativ verschiedener kleiner Teile im Sinnesfeld eine Mischqualität (188). Wollte mann nun daraus, daß diese kleinen Teil nicht für sich wahrgenommen werden, schließen, sie seien überhaupt nicht Gegenstand der Wahrnehmung, auch keiner impliziten Wahrnehmung, dann müßte man den zusammengesetzten Charakter der betreffenden Qualität ganz leugnen. Denn diese Zusammensetzung soll ja keine genetische Eigenschaft sein - sonst wäre das einfache Weiß mehrfach zusammengesetzt - sondern eine deskriptive, das heißt aber, daß die betreffenden Komponenten wirklich zum phänomenologischen Bestand der Gesamtwahrnehmung gehören.

Nein, bei der durch zeitliche so wenig wie bei der durch räumliche Nebeneinandersetzung entstandenen Mischqualität handelt es sich darum, daß die Wahrnehmung der kleinen kontinuierlichen Teile einfach entfällt. Wenn die kleinen Teile unwahrgenommen blieben, käme es vielmehr auch nicht zur Auffassung größerer Kontinua. Sondern nur für sich werden die kleinen Teile nicht wahrgenommen, sie werden nicht bemerkt. Das äußere Wahrnehmen hat immer zugleich größere Teile des räumlichen und zeitlichen Kontinuums zum Gegenstand, und wenn diese unhomogen sind, so erhält das Perzipierte jenen Mischcharakter.

2. Aber nicht nur die Wahrnehmungen sind intermittierend und instantan - meint PALÁGYI -, von allen geistigen Vorgängen soll dies und daher auch gelten, daß sie nicht innerlich wahrgenommen werden. Und als Beweis wird uns nun noch unsere Fähigkeit angeführt, an ein absolutes Jetzt zu denken (189). Um ein solches zu denken, müssen wir - so wird uns gesagt - etwas denken können, das eben nur ein Jetzt, einen unteilbaren Zeitmoment dauert. Ein solches Momentanes muß es also geben, und da sonst die Geschehnisse alle zeitlich ausgedehnt sind, kann dieses im Gedanken des Jetzt Gedachte eben nur ein Akt sein.
    "Indem wir ein absolutes Jetzt denken, benützen wir diesen Denkakt selbst, um mittels desselben ein absolutes Jetzt zu markieren."
Wollten wir hiergegen bloß ad hominem argumentieren, so könnten wir gegen den Autor einwenden, daß man doch dasjenige, mit dem man etwas markiert, irgendwie denken muß, daß also dieser Akt des-ein-absolutes-Jetzt-Denkens, um den Denkenden dieses Jetzt zu "markieren" selbst gedacht werden muß: während PALÁGYI a. a. O. entschieden leugnet, daß ein Akt sich selbst zum Gegenstand haben könnte. Doch ohne hierauf weiter einzugehen, erledigt sich uns der Einwand auf folgende Weise:

Ein Jetzt Denken, soll entweder heißen, ein jetzt-, d. h. ein gleichzeitig Seiendes Denken, oder es soll gesagt sein, daß der Begriff des Jetzt gedacht werden soll.

Würde es sich um das erste handeln: ein gleichzeitig Seiendes zu denken, und es im Besonderen anzuschauen, so ist weder als Objekt noch als Akt ein Zeitloses, Punktuelles gefordert. Denn sowohl das jetzt als gleichzeitig angeschautes Objekt als auch der anschauende Akt können als spezifisch gleich dauern. Es könnte also nur gemeint sein, beim Denken des Begriffs "Jetzt" müßte in irgendeiner Weise ein Akt instantan sein. Allein, daß auch dies nicht der Fall ist, folgt schon daraus, daß man doch den Begriff "Jetzt" objektiv beliebig lange denken kann, wie man den Begriff "zehn Minuten lang während" eine Sekunden oder eine Viertelstunde lang zu denken imstande ist; und so braucht auch der geistige Akt, der die "absolut scharfe Grenze setzt", kein unausgedehnter zu sein.

In der Tat gelangt PALÁGYI zu unüberwindlichen Schwierigkeiten und wir haben es in der Wahrnehmungstheorie mit einem schwachen Punkt der "Vorlesungen" zu tun. Nicht nur muß er den Vitalvorgängen, die Gegenstand der Biologie sein sollen, vielfach die Eigenschaften des Psychischen zuschreiben - sie haben nur einen Zeugen, sie geben nicht sich selbst, sondern etwas anderes kund, sie werden eingeteilt nach den Objekten, von denen sie Kenntnis geben (190) -, auch sonst, bei der Beschreibung der geistigen Akte, ist er nicht imstande, für die aufgegebene innere Wahrnehmung einen Ersatz zu bieten. Denn wenn uns gesagt wird (191), es bestehe zwischen den zeitlich getrennten, intermittierenden Akten eine Einheit ("Einheit des Bewußtseins"), so kann uns auch das trügerische Bild der "geistigen Klammern" nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine solche Einheit ohne ein supraponiertes neues Bewußtsein, daß diese gesonderten Akte als eins denkt, nicht möglich ist. Und so zeigt sich dann auch sonst die von PALÁGYI hart geschmähte innere Wahrnehmung unentbehrlich.

§ 38. Fassen wir nunmehr die Ergebnisse unserer Untersuchung zusammen, so finden wir die alte Lehre von der Evidenz innerer Wahrnehmung durch die neueren Einwände unberührt. Weder ist es gelungen, durch einen allgemeinen Schluß die Einsichtigkeit der inneren Erfahrung überhaupt zweifelhaft zu machen, - was das Ende aller Erfahrungsmöglichkeit bedeuten würde - noch auch nur im einzelnen blinde oder gar falsche Fürwahrnehmungen aufzuzeigen. Die Forschung der jüngsten Zeit ist also in dieser Beziehung über den früheren Stand des Problems nicht hinausgekommen. Dennoch wird man den hier kritisierten Untersuchungen ihre Bedeutung für die Entwicklung unserer Frage nicht absprechen dürfen.

a) Von Bedeutung erweisen sich schon die Fehlerquellen, welche dazu verführt haben, eine innere Wahrnehmung überhaupt oder doch deren Einsichtigkeit zu leugnen. Als die vornehmste erwies sich uns eine falsch Theorie vom Wesen des Bewußtseins und zumal die Lehre, dieses bestünde in einer Beziehung, nicht zum Objekt schlechthin, sondern zu einem fingierten intentionalen, immanenten Objekt. Sowohl indem man diese Lehre vertrat als auch indem man sie bekämpfte, ohne den Wahrheitsgehalt, den sie enthielt, aufrecht zu erhalten, hat man vielfache Irrtümer begangen. So mußten wir es als verfehlt zurückweisen, wenn gelehrt wird, daß nur in Fällen inadäquaten Bewußtseins ein intentionales Objekt und mit ihm ein Akt gegeben sei, beim adäquaten Bewußtsein aber beides, Objekt und Akt, wegfallen. Wie hier beim adäquaten, so bestritten andere gerade beim nicht-adäquaten Bewußtsein, der Vorstellung oder Anerkennung von Nichtseiendem z. B., dessen Gegenständlichkeit und glaubten auf diesem Weg der Annahe eines intentionalen Objekts aus dem Weg zu gehen, indem sie an seine Stelle das wirkliche Objekt setzten, wo eins vorhanden war, sonst aber die Gegenstandsbeziehung überhaupt leugneten. So kam die von uns oben bekämpfte Konklusion zustande: Das Bewußtsein hat einen Gegenstand, also existiert der Gegenstand. Machte diese Ansicht ein unrichtiges, so machte die erstere ein richtiges Wahrnehmen zur Unmöglichkeit, indem sie den Akt leugnete, wenn das Objekt existiert. Dort wäre ein extremer Idealismus und Subjektivismus, hier ein äußerster Realismus die Folge, der alle Bewußtseinsgegenstände für wirklich erklären müßte. Indem wir beide Standpunkte zurückweisen, mußten wir doch anerkennen, daß auf beiden Seiten Versuche vorlagen, tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten der Annahme eines immanenten Objekts zu entgehen. CORNELIUS und UPHUES bemühten sich auf der einen Seite darum, HUSSERL auf der anderen. Wir sahen, wie der von MARTY eingeschlagene Weg dann die Schwierigkeiten löste: Das intentionale Objekt wird als Fiktion erkannt, das Wesen des Bewußtseins in einer Adäquation zum Objekt (seinem Was, seinem Sein, seinem Wert) gesucht. In einer wirklichen oder möglichen Adäquation. Durch diese Unterscheidung: ideelle Adäquation zum wirklich existierenden Objekt (: Bewußtsein und Gegenstand stehen im Verhältnis einer Relation) oder zum Objekt, falls ein solches wäre (: relative Bestimmung) erscheint adäquates und nicht adäquates Bewußtsein gesondert und dennoch der Wahrheitsgehalt der früheren Anschauung beibehalten: daß nämlich unser Bewußtsein, einen Gegenstand erfassend, ihm irgendwie ähnlich wird, gewissermaßen sein Bild in sich enthält.

b) Neue Irrtümer stellten sich - so sahen wir - ein, da man es unterließ, den Begriff der Wahrnehmung genau zu umschreiben, es, nach VOLKELTs treffendem Wort, "mit der Erfahrung streng zu nehmen". Daß das Material, welches die Wahrnehmung liefert, in mannigfacher Weise bearbeitet wird und daß sich hierbei vielfach und in verschiedener Richtung Fehler einstellen können, hat kein besonnener Vertreter der von uns verfochtenen Ansicht geleugnet. Und so konnten wir einen Nachweis von Irrtümern der Deutung nicht als Demonstration einer falschen Wahrnehmung gelten lassen. Nochmal: nur jenen psychischen Phänomenen - ob man sie nun Wahrnehmungen nennen will oder nicht - sprach unsere These die Eigenschaft zu, das Dasein ihres Gegenstandes mit Einsicht zu bejahen, welche die allerelementarsten Tatsachen unseres Selbstbewußtseins ausmachen. Weder um ein Bemerken abstrakter Teile noch um ein Prädizieren und Deuten handelt es sich hier, sondern um das einfache Ja, mit dem jeder bewußte Akt sich selbst anerkennt. Und ein solches muß es geben, wenn es überhaupt eine innere Anschauung, wenn es Begriffe von Psychischem, wenn es ein Selbstbewußtsein geben soll.

c) Steht so die Evidenz innerer Wahrnehmung fest, so kann man noch lange nicht sagen, daß damit alle Rätsel gelöst sind, die sich dem Psychologen und Erkenntnistheoretiker im Umkreis unseres Problems ergeben. Wir hatten im Gegenteil vielfach Gelegenheit, ungelöste Probleme festzustellen. Insbesondere sollen hier zwei nochmals ausdrücklich hervorgehoben werden:

1. Es ist noch nicht das letzte Wort gesprochen über die Zeitwahrnehmung und das Verhältnis der subjektiven und objektiven Zeit in der inneren Erfahrung. Was MEINONG hier gewissermaßen als selbstverständlich hingestellt hat, daß es auch für das innere Bewußtsein eine Wahrnehmung des Vergangenen gibt, und daß wir in jedem Moment, in jedem Zeitpunkt, eine ganze Zeitstrecke bejahen, hat sich uns nicht als die einzige mögliche Eventualität herausgestellt. Es ergaben sich für diesen Fall Schwierigkeiten bezüglich der Evidenz - bei fehlender Identität zwischen wahrnehmendem und wahrgenommenen Bewußtsein -, für welche uns die Annahme evidenter Vermutungen nicht als die richtige Lösung erschien. Dazu kam, daß, wie wir sahen, jede Annahme eines zeitlich ausgedehnten Objektes der inneren Wahrnehmung dem Vorwurf einer unendlichen Verwicklung ausgesetzt ist. All das bewog uns, die innere Wahrnehmung nur als eine solche der streng gleichzeitigen Akte anzusehen; wobei wir zugeben müssen, daß danach ein evidentes Erfassen zeitlicher "Gestalten" nicht stattfindet.

2. Indem wir anderen Autoren gegenüber den elementaren Charakter der Wahrnehmung vertraten und es ablehnten, Vorwürfe gegen die Richtigkeit der Verarbeitung des in der Anschauung gegebenen Materials als solche gegen die Verläßlichkeit der letzteren gelten zu lassen: haben wir schon ausgesprochen, daß wir ohne weiteres falsche Prädikationen zugeben. Wir urteilen mit Evidenz, wenn wir das angeschaute Erlebnis bejahen. Wir können irren, indem wir dem so anerkannten etwas zuerkennen, von ihm etwas prädizieren. Wir können irren. Die Frage aber bleibt offen: welche erkenntnistheoretische Dignität besitzen die Prädikationen? Sind auch die richtigen unter ihnen nur blinde Urteile, die ihre Wahrheit nicht der Einsicht verdanken? Sollten wirklich alle Klassifikationen des Psychologen, alle Bestimmungen des Naturforschers - wie sahen, daß auch sie sich auf Prädikationen von innerlich angeschauten Inhalten zurückführen lassen - ja auch alle Klassifikationen des gewöhnlichen Lebens, wo einer seinen Entschluß als unbeugsam, seinen Willen als schwach, sein Urteil als schwankend bezeichnet, blind sein? Man wird es sich wohl überlegen müssen, ehe man dies lehren wird. Denn freilich wäre damit die Zurückführung aller evidenten Erkenntnis auf zwei Klassen geleistet: neben den a priorischen Einsichten, die alle negativer Natur sind, stünde nur mehr eine Klasse von einsichtigen Urteilen: die einfachen thetischen inneren Anschauungen. Aber es wäre zu bedenken, ob diese Zurückführung nicht den Tatsachen Gewalt antut. Will man aber andererseits evidente Prädikationen zugeben, dann wird man sich bemühen müssen, die neue Klasse von einsichtigen Urteilen richtig abzugrenzen und nachzusehen, wo ein unmittelbares Einleuchten, wo ein blindes Fürwahrhalten stattfindet und wo sich die Einsichtigkeit eines Urteils durch einen Rekurs auf andere Urteil erklären läßt. Denn auch hier wie anderswo gilt, daß man die Prinzipien der Erklärung nicht unnötigerweise vermehren darf.

So ergaben sich uns dann von diesem Einzelproblem der Philosophie aus mannigfache Beziehungen zu anderen Gebieten der Psychologie, der Logik und Erkenntnistheorie. Möchten Schwierigkeiten, die sich der Lösung neuer Fragen in den Weg stellen, nicht dazu verleiten, preiszugeben, was schon errungen ist!
LITERATUR - Hugo Bergmann, Untersuchungen zum Problem der Evidenz der inneren Wahrnehmung, Halle/Saale 19083
    Anmerkungen
    157) MEINONG, Erfahrungsgrundlagen, Seite 64f.
    158) MEINONG, a. a. O., Seite 66. Vgl. auch was EHRENFELS in seinem Aufsatz *über Gestaltqualitäten* an ähnlichen Beispielen zusammenträgt (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 14, 1890). Wir finden (Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 13, Seite 326) diese Unterscheidung auch bei STERN, der den Ausdruck "momentanes Bewußtseinsganzes" für Inhalte gebraucht, "die, abgesehen von ihrer etwaigen Dauer, in jedem Moment vollständig sind, d. h. alle zusammengehörigen, bzw. zur Erzeugung der Auffassung nötigen Elemente isochron [gleich lange dauernd - wp] enthalten, so daß in der zeitlichen Ausdehnung kein integrierender Faktor gegeben ist". MEINONG nun spricht von Punkttatsachen und Streckentatsachen, und speziell nennt er letztere, wenn die Strecke eine Zeitstrecke ist, zeitverteilte Gegenstände. Daß man nun, um solche Gegenstände anzuschauen, Vergangenes wahrnehmen muß, ist außer Zweifel. Keine Wahrnehmung einer Melodie ohne das Hören des vergangenen Tones.
    159) MEINONG, a. a. O., Seite 69 und 71
    160) MEINONG, Zur erkenntnistheoretischen Würdigung des Gedächtnisses, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 10, 1886
    161) ANTON MARTY, Sprachphilosophie, Bd. I, Seite 302
    162) MEINONG, a. a. O., Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 10, Seite 32
    163) MARTY, Über Annahmen, Seite 12f (Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 40). Ähnliches scheint auch KIRCHMANN im Auge zu haben, wenn er (Erläuterung zu Lockes Versuch über den menschlichen Verstand, 1874, Bd. 2, Seite 38) unterschieden wissen will zwischen der Wahrheit, die keine Grade hat, und der Gewißheit, die "ein persönlicher Zustand des einzelnen Menschen in Bezug auf die Art, wie er einen Inhalt weiß" sein soll. Ebenso in seiner "Einleitung in das Studium philosophischer Werke" (1868, Seite 60): Die Gewißheit ist nicht die Wahrheit; es kann jemand eine Nachricht für gewiß halten und sie kann dennoch unwahr sein ... Man kann auch umgekehrt die Wahrheit in seinem Vorstellen haben, ohne die Gewißheit. Man vergleiche auch *BOLZANOs Lehre von der Zuversicht eines Urteils (Wissenschaftslehre III, § 293), das heißt vom "Grad der Wirksamkeit", den derselbe "Satz" (Objektiv), von verschiedenen gefällt, ausübt.
    164) Als Differenz der Festigkeit der Überzeugung beschrieb MEINONG den Unterschied a. a. O., Seite 27f und identifizierte früher diesen Unterschied mit dem der Intensität. BRENTANO hatte (vgl. *Ursprung der sittlichen Erkenntnis*, Seite 84) in der Zeit, wo er die Überzeugungskraft eines Urteils für seine Intensität hielt, davon gesprochen, daß ein mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gefälltes Urteil übergehen kann in ein Urteil mit einer gewissen entsprechenden Intensität und es sei dann eine "vernünftige Vermutung" zu nennen. Vielleicht hat die Lehre von der evidenten Vermutung hier ihren Ursprung. Doch hat BRENTANO solchen Urteilen eine wahrhafte Evidenz zugeschrieben und nicht geglaubt, daß das in solchen Urteilen Behauptete, nämlich das Sein einer wahrscheinlichen Materie, falsch sein kann.
    165) So in der genannten Abhandlung, Seite 31, von einem "*Rechtsbewußtsein", mit dem das Urteil "auftritt".
    166) MEINONG, spricht (Erfahrungsgrundlagen, Seite 70) davon, daß die Vermutungsevidenz die Wahrscheinlich des Urteilsobjektivs ganz ebenso in sich schließt wie die Gewißheitsevidenz dessen Wahrheit. Ob damit dieser Unterschied des Objektivs gemeint ist oder ein gleich zu erörternder des Objekts, wird nicht deutlich. BOLZANO dürfte eine Zeitlang diese Ansicht gehabt haben, wenn er (Beiträge zu einer begründeten Darstellung der Mathematik, 1810, Seite 76) die Wahrscheinlichkeitsurteile als eine besondere Klasse anführt, weil Subjekt und Prädikat einen eigenen "Verbindungsbegriff" hätten. Doch sprach er dies sehr vorsichtig aus und in der fast drei Jahrzehnte später erschienenen Wissenschaftslehre, welche Vortreffliches übe Wahrscheinlichkeit und Wahrscheinlichkeitsrechnung enthält, ist diese Lehre nicht aufrechterhalten.
    167) MARTY, Sprachphilosophie I, Seite 296
    168) MARTY, ebd. Seite 234.
    169) Vgl. dazu MARTY, Über Annahmen, Seite 11, Sprachphilosophie I, Seite 299.
    170) Ich hörte diesen Einwand im Sommer 1906 von Herrn Professor FRANZ BRENTANO.
    171) MEINONG, Erfahrungsgrundlagen, Seite 68
    172) Während des Druckes sehe ich, daß DÜRR Erkenntnispsychologisches in der erkenntnistheoretischen Literatur der letzten Jahre, im "Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 13, Seite 30 einwendet, die Identität von Akt und Objekt, wie wir sie für das innere Bewußtsein durchwegs annehmen, mache "im Grunde die Auffassung von der Transzendenz des Erkennens unmöglich". Diese Feststellung würde aber nur gegen die Annahme einer begrifflichen Identität zutreffen (vgl. oben § 12f). Denn die Transzendenz des Bewußtseins bedeutet nur, daß dieses "Ausdruck von etwas" ist, nicht aber, daß dieses "etwas" für sich oder überhaupt, daß es existieren muß.
    173) MEINONG, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 21, Seite 259. Ebenso VOLKELT (*Quellen der menschlichen Gewißheit*, Seite 18: Meines gegenwärtigen Bewußtseinsinhaltes derart gewiß zu werden, daß ich seiner nur als dieses in einem ... Gegenwartspunkt enthaltenen Inhaltes gewiß würde, ist unmöglich. Mein Bewußtseinsinhalt erscheint mir stets in einer gewissen verschwimmenden Verbreiterung.
    174) vgl. REHMKE, *Lehrbuch der allgemeinen Psychologie*, 1894, Seite 468.
    175) vgl. ÉMILE BOREL, L'evolution de l'intelligence géometrique (Revue de metaph. et de morale, November 1907).
    176) vgl. FRISCHEISEN-KÖHLER, Über die Grundlagen des Bewegungsbegriffs, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie etc., Bd. 46, Seite 391.
    177) Zeitschrift für Psychologie und Physiologie etc., Bd. 21, Seite 262. Auch HOERNLÉ will (Mind 1907, Seite 91) "the time-determination of the meaning of an idea [die Zeitbestimmung der Bedeutung einer Idee - wp] unterschieden wissen, von der Zeitbestimmung der Idee selbst, d. h. dem Bewußtsein dieser Bedeutung. Vgl. HUSSERL, Philosophie der Arithmetik I, Seite 19 ... daß Inhalte gleichzeitig vorstellen noch nicht heißt, Inhalte als gleichzeitige vorstellen.
    178) MEINONG, a. a. O., Bd. 21, Seite 263
    179) Es ist zu beachten, daß es sich hier um ein Anschauen und zwar um ein evidentes, handelt. Sonst gilt selbstverständlich, daß das Urteil nicht andauern muß, um eine Dauer zu bejahen. "Wenn das Urteil eine Sukzession behauptet, ist das nicht die Sukzession die zu seiner Existenz als ein psychisches Faktum gehört", sagt also BRADLEY mit Recht (Mind, 1908, Seite 160).
    180) JULIUS BERGMANN, *Die Gegenstände der Wahrnehmung und die Dinge ansich*, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 110, Seite 78.
    181) REHMKE, Lehrbuch der allgemeinen Psychologie, 1894, Seite 466f. Der Autor scheint freilich zu meinen, daß nur die Veränderung der Seelenakzidenzien als eine solche Zeitfolge anzusehen ist, die ein Zeitbewußtsein ermöglicht. - Verwandt mit den angeführten Äußerungen ist auch die Ansicht SCHELERs (*Die transzendentale und die psychologische Methode*, 1900, Seite 133): Wenn wir die Objektzeit durch eine gerade Linie, die "Zeiten der Besinnungsakte" als Parallelen zu ihr als Grundlinie eines gleichschenkligen Dreiecks vorstellen: so wird die Spitze niemals erreicht. Danach gäbe es also überhaupt kein Anerkennen eines zeitlich Ausgedehnten in einem unausgedehnten Akt.
    182) STUMPF, *Zur Einteilung der Wissenschaften*, Seite 5 und 20.
    183) Die Vorlesungen PALÁGYIs erschienen zuerst in der "Philosophischen Wochenschrift", 1907, Bd. VII und VIII und seither in Buchform. Ich zitiere nach der ersteren Ausgabe.
    184) PALÁGYI, a. a. O. "Philosophische Wochenschrift", Bd. VIII, Seite 287
    185) PALÀGYI, *Die Logik auf dem Scheideweg*, 1903, Seite 293.
    186) Philosophische Wochenschrift VIII, Seite 238f. "Einfach" heißt hier: homogen. In einem ganz anderen Sinn sprachen wir weiter oben mit BOLZANO davon, daß jede Anschauung einfach, d. h. nicht durch einen Akt der Synthese entstanden ist. Ersteren Sinn allein hat BENNO ERDMANN bei seiner Einteilung der Gegenstände des Denkens im Auge (Logik, Bd. I, Seite 129f), die scheinbar der von uns angenommenen Charakterisierung der Anschauung durch BOLZANO zuwiderläuft.
    187) PALÀGYI, Philosophische Wochenschrift, Bd. VIII, Seite 282.
    188) BRENTANO, Untersuchungen zur Sinnesphysiologie, 1907, Seite 59
    189) PALÀGYI, Philosophische Wochenschrift, Bd. VIII, Seite 288.
    190) PALÀGYI, Philosophische Wochenschrift, Bd. VII, Seite 169, 243
    191) PALÀGYI, Philosophische Wochenschrift, Bd. VIII, Seite 290