von KriesGoedeckemeyerLippsJerusalemvon der Pfordten | |||
Über Real- und Beziehungsurteile [ 3 / 3 ]
VI. Je schärfer wir die logische Unabhängigkeit der mathematischen Urteile von Erfahrungstatsachen betonen, umso mehr erscheint es auf der anderen Seite geboten, uns vor Behauptungen zu hüten, zu welchen man, durch nahe liegende Verwechslungen irre geleitet, leicht gelangen kann. Wir kommen vielleicht gerade hier auf Punkte, welche für eine Vereinbarung widerstreitender Auffassungen von Wichtigkeit sind. Erstens ist zu beachten, daß jede Ermittlung über das Entstehen der Raumvorstellungen ein Real-Urteil ist; unabhängig von der Erfahrung evident sind die mathematischen Urteile, die sich auf die Raumvorstellung beziehen, wie wir sie tatsächlich besitzen; daraus folgt aber schlechterdings nichts darüber, wie sie entstanden ist, ob wir sie immer in gleicher Weise haben werden oder ob auch nur alle Menschen sie übereinstimmend besitzen. (1) Ein zweiter noch wichtigerer Punkt ist der folgende: Unsere Auffassung der Wirklichkeit ist unzweifelhaft durch die Formen, in denen wir dieselbe denken können, beschränkt. Man kann die Frage aufwerfen, ob wir noch andere Formen als die gewöhnlich benutzten zur Verfügung haben und ob andererseits die benutzten unentbehrlich sind. Mir scheint nun die relative Berechtigung aller sogenannten metageometrischen Untersuchungen darin zu liegen, daß allerdings kein Grund vorliegt, weshalb wir nicht, wenn die räumliche Auffassung nicht zu einem Verständnis führte, die Konstruktion eines Weltbildes in einer dreidimensionalen aber nicht ebnen oder in einer vierdimensionalen Mannigfaltigkeit versuchen sollten. Aus unseren Darlegungen folgt nicht die Unzulässigkeit eines solchen Versuchs, vielmehr nur die Notwendigkeit dabei auf die Raumanschauung überhaupt zu verzichten, da diese eben eine solche Mannigfaltigkeit nicht ist. Die Wirklichkeit aber als ein Geschehen zu denken, welches sich in einer andersartigen, nicht anschaulichen Mannigfaltigkeit abspielte, scheint mir prinzipiell durchführbar. Ich möchte an diese Darlegungen noch einige Bemerkungen über das, was man Messen nennt, anknüpfen. Zunächst ist hervorzuheben, daß ich irgendeinen tiefergreifenden Unterschied zwischen der Messung von Raumgrößen und derjenigen von Zeitgrößen nicht zu finden vermag. Man unterliegt hier, glaube ich, leicht einer Täuschung, weil bezüglich des Raumes die Möglichkeit besteht, einen Maßstab sukzessive an die verschiedenen Stellen zu bringen und so direkt zu messen, während für die Zeit etwas Analoges fehlt. Mir scheint indessen wichtig, sich die Übereinstimmung deutlich zu machen, welche gleichwohl für Zeit- und Raummessung besteht. Verschiedene Teile des Raumes können wir ebensowenig zur Deckung bringen, wie verschiedene Teile der Zeit, obwohl man häufig nicht ganz korrekt zu sagen pflegt, man denke sich dieses Stück des Raumes mit jenem anderen zur Deckung gebracht. Die direkte Messung besteht doch nur darin, daß wir sukzessive denselben Gegenstand an verschiedene Stellen des Raumes überführen. Die Richtigkeit des Ergebnisses hängt immer davon ab, daß der betreffende Gegenstand nicht etwa, indem er von der einen zu einer anderen Stelle gebracht wird, seine Größe verändert, also von einer rein empirischen Voraussetzung. Für die Zeitmessung haben wir etwas durchaus Ähnliches darin, daß wir zu verschiedenen Zeiten möglichst genau den gleichen Vorgang sich abspielen lassen, zwischen dessen Anfang und Ende die gleichen Zeitstrecken eingeschlossen wären; daß er beide Male in genau gleicher Weise sich vollzieht, ist wieder die empirische Voraussetzung, deren Unsicherheit die Zuverlässigkeit der Messung gefährdet. Es ist auch nicht richtig, daß die Zeitmessung stets eine Raummessung voraussetzt und ohne eine solche unmöglich ist; denn wenn wir z. B. Schwingungen beobachten, so begrenzen die Zeitpunkte, in welchen der schwingende Körper umkehrt oder die Gleichgewichtslage passiert, die gleichen Zeitstrecken. Hier ist von einer Messung räumlicher Größen keine Rede. Nur soviel ist natürlich richtig, daß die Zeitmessung stets auf der Beobachtung von Vorgängen beruth und, sofern alle in Betracht kommenden Vorgänge sich räumlich abspielen, auch räumliche Verhältnisse stets in irgendeiner Weise in die Zeitmessung eingehen müssen. Für die Messung der Räume spielt aber wieder die Zeit insofern eine analoge Rolle, als der Maßstab nur sukzessive an die verschiedenen Orte gebracht werden kann und zumindest die Voraussetzung seiner Unveränderlichkeit, also des Fehlens gewissen Vorgänge gemacht werden muß. Wiewohl also zuzugeben ist, daß die empirischen Voraussetzungen für beide Arten von Messungen verschieden sind, so wird man doch den in logischer Beziehung völlig gleichartigen Charakter beider Ermittlungen hervorheben dürfen. Es handelt sich eben in beiden Fällen um die Feststellung gewisser objektiv realer Beziehungen und in beiden Fällen ist eine solche Ermittlung gleichermaßen an Voraussetzungen nomologischen Inhalts gebunden. Die obigen Ausführungen sind nun, wie ich glaube, auch geeignet, für die Beurteilung der Messungen psychologischer Größen den richtigen Standpunkt zu fixieren. Ich habe in einem vor 10 Jahren in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatz (2) auseinandergesetzt, daß sich intensive Größen nicht anders messen lassen, als durch eine bestimmte Zurückführung auf Zählungen oder auf Messungen von Raum- und Zeitgrößen und daß demgemäß z. B. für die Messung der Empfindungsgrößen die Basis fehlte, solange nicht eine Festsetzung darüber getroffen ist, welche Empfindungszuwüchse als gleich gelten sollen; ich habe dabei zugleich erörtert, welche Anforderungen an eine derartige Festsetzung zu stellen sind. Man hat gegen meine damalige Ausführung in der Regel eingewendet, daß die von mir geleugneten Voraussetzungen einer Messung doch vorhanden seien, da wir eine gewisse Beurteilung z. B. dafür besäßen, welche übermerklichen Empfindungsunterschiede gleich seien. Ich habe aus dem Gang dieser Auseinandersetzung entnommen, daß der eigentliche Punkt der Meinungsverschiedenheit zwischen mir und meinen Gegnern vielfach nicht in dem liegt, was wir uns über die Messung der psychologischen Größen, sondern in dem, was wir über die Messung physischer Größen denken, sei es rein extensiver, sei es solcher intensiver, die in der von mir auseinandergesetzten Weise auf Raum- und Zeitgrößen oder Zahlenverhältnisse zurückzuführen sind. Daß wir eine gewisse Vergleichung für Unterschiede aller Art besitzen und z. B. den Unterschied der Empfindungen a und b gleich groß oder größer oder kleiner nennen können, wie den der Empfindungen c und d, habe ich nicht übersehen, vielmehr mich [weiter oben] eingehend darüber verbreitet. Zwischen den Größenrpädikationen, welche lediglich diese Bedeutung haben und dem, was man eine Messung zu nennen pflegt, findet aber ein höchst bedeutungsvoller Unterschied statt. Auf dem Gebiet der physischen Größen erhalten die Aussagen über Gleichheit oder sonst eine Größenbeziehung ihre weittragende Bedeutung durch den, den mathematischen Gesetzen entsprechenden Zusammenhang, in welchem die Gesamtheit solcher Statuierungen stehen muß. Das ist immer der Fall, wenn sie sich auf Raum- Zeit- und Zahlengrößen beziehen und beruth in letzter Instanz auf der Natur dieser Vorstellungen, welche die Gültigkeit der mathematischen Sätze involviert. Wir betonen das, wenn wir den Messungen physischer Größen eine objektive Gültigkeit zuschreiben; die betreffende Größenaussage wird dadurch als ein Bestandteil unserer gesamten, in den mathematischen Formen sich bewegenden Vorstellung von der Wirklichkeit erklärt. Haben wir also z. B. innerhalb eines Zeitabschnittes eine Anzahl einzelner Punkte durch Messung ihres zeitlichen Abstandes vom Anfang ermittelt, so ist uns zugleich auch das Intervall zwischen je zwei beliebigen jener Zeitpunkte bekannt. Im Gegensatz hierzu nur ist die subjektive Gleichheit, das Gleicherscheinen zunächst von durchaus singulärer Bedeutung. In einer einsinnigen Reihe von Veränderungen könnte recht wohl die Stuft a b derjenigen A B, die Stufe b c derjenigen B C gleich erscheinen, trotzdem aber A C ungleich a c. Es ist ferner denkbar, daß zwei Stufen einer und derselben dritten gleich erscheinen, trotdem aber, direkt untereinander verglichen, für ungleich erklärt werden. Endlich erscheint möglich, daß die Gleichschätzungen durch eine ganze Reihe von Nebenumständen beeinflußt werden und so die Bedeutung derselben sich in noch höherem Grad auf den Einzelfall beschränkt. Nun wird man vielleicht sagen, daß man doch unbeschadet dieses Umstandes von Maßbestimmungen reden könne; ihnen eine allgemeine Bedeutung zuzuschreiben sei ja zunächst nicht geboten. Mir scheint indessen zweifellos, daß wenn man derartige Ermittlungen als Messungen bezeichnet, dabei stets stillschweigend die Gültigkeit der mathematischen Gesetze für die betreffenden Größenvergleichungen vorausgesetzt wird und daß andererseits, wenn tatsächlich diese Gültigkeit fehlt, die Erscheinungen gar nicht einfach als Maßbestimmungen ausgedrückt werden können. Wenn wir z. B. die Aufgabe stellen, "Empfindungsstärken zu messen", so nehmen wir an, daß das dadurch zu geschehen habe, daß einer jeden Empfindung eine bestimmte Intensität zugeschrieben werde. Die Größe eines jeden Empfindungsunterschiedes sollte dann durch die Differenz zweier solcher Intensitäten richtig ausgedrückt werden und so allgemein dargestellt sein, welche Stufen für gleich gehalten werden. Kann nun die Aufgabe in dieser Form gelöst werden, so gilt für die scheinbaren Größen der Empfindung durchweg das Additionsgesetz (die Zusammenfügung gleich erscheinener Stufen ergibt wiederum gleich erscheinende Stufen) und die Postulierung einer solchen Lösung setzt also diese Gültigkeit voraus. Betrachten wir einerseits einen Fall, in dem für die scheinbaren Größen tatsächlich die einfachen mathematischen Gesetze nicht gelten. Es mögen also z. B. die Stufen a1 a2 gleich A1 A2, a2 a3 gleich A2 A3, a3 a4 gleich A3 A4 erscheinen, trotzdem aber a1 a4 ungleich A1 A4. Man kann diese Erscheinung in der Form von Maßbestimmungen nicht ausdrücken. Was der Untersuchung hier als Ziel zu stecken ist, ist nicht eine Messung, sondern es ist die Erforschung psychologischer Gesetze, von welchen die Schätzung oder das Gleicherscheinen abhängt, Gesetze, die unzweifelhaft zum Teil sehr verwickelter Natur sind, weil eine Reihe ganz verschiedenartiger Umstände auf diese Schätzungen Einfluß haben. Versteht man also, wie man es bisher stets getan hat, unter Messungen Größenangaben, die untereinander nach mathematischen Gesetzen zusammenhängen, so steht nur die Meßbarkeit von Raum-, Zeit- und Zahlengrößen, wegen der Natur der Vorstellungen, auf die sie sich beziehen, von vornherein fest, wie auch hier die Prädikation der Gleichheit ihren nicht weiter erläuterbaren, aber definitig klaren Sinn besitzt. Überall sonst aber ist das nicht der Fall. Es ist also, ehe von einer Messung die Rede sein kann, eine Festsetzung darüber erforderlich, was man gleich nennen will und der (nur empirisch zu führende) Nachweis, daß diese Gleichsetzungen faktisch in einem den mathematischen Gesetzen entsprechendem Zusammenhang stehen. (3) Die Auffassung der mathematischen Sätze als Beziehungs-Urteile führt, wie gezeigt, unmittelbar zu der Konsequenz, in der Mathematik ein vom Realwissen logisch unabhängiges Erkenntnisgebiet zu erblicken. Es liegt natürlich nahe, an die zugrunde gelegte Klassifikation der Urteil die Frage zu knüpfen, ob es noch mehr Wissensgebiete gibt, die ähnlich der Mathematik von der Erfahrung logisch unabhängig sind. Nun bemerkt man, daß von den sonst hier aufgeführten Beziehungs-Urteilen die analytischen und die Subsumtions-Urteile keine Lehrgebäude von selbständiger Bedeutung liefern; sie figurieren viemehr, je nach den Begriffen oder Vorstellungen, die sie betreffen, nur sozusagen als Stützwerk innerhalb der Mathematik oder der verschiedenen Zweige des Real-Wissens. Dagegen wird die Frage aufzuwerfen sein, ob nicht abgesehen von der reinen Logik auch das, was man Erkenntnis-Theorie oder Erkenntnis-Kritik zu nennen pflegt, in ähnlicher Weise wie die Mathematik sich in Sätzen bewegt, die von den Real-Urteilen logisch unabhängig sind. Wir berühren hiermit eine sehr viel erörterte Frage, die nämlich nach dem Verhältnis der Erkenntnis-Kritik zur Psychologie, da ja auf der anderen Seite jedenfalls daran zu denken ist, daß etwa gewisse, der Psychologie angehörige Erfahrungstatsachen einen Bestandteil der Erkenntnis-Kritik ausmachen. Auch in Bezug auf diese Frage gewinnt der hier gewählte Standpunkt der Betrachtung eine gewisse Bedeutung. Auch hier, gerade wie bei der Mathematik, wird es in letzter Instanz darauf ankommen, was mit den Fragestellungen und Ergebnisse der kritischen Untersuchungen eigentlich gemeint ist. Besagen sie etwas über die Art und Weise, wie irgendwelche realen Vorgänge, z. B. auch die der Wahrnehmung, des Denkens etc., sich faktisch abspielen, so ist ihre logische Abhängigkeit von den Erfahrungstatsachen zweifellos; gipfelt aber die Kritik in der Statuierung logischer Beziehungen, so ist ihr Inhalt ebenso zweifellos von der Erfahrung logisch unabhängig. Fragt man, der hergebrachten Formulierung folgend, nach den Bedingungen für die Möglichkeit der Erfahrung, so wird sich kaum leugnen lassen, daß diese Fassung der Frage sehr unbestimmt ist und es zunächst ungewiß läßt, in welcher der beiden erwähnten Auffassungen sie genommen werden soll. Da es bei einem Gegenstand, über den bereits so viel im einen wie im anderen Sinn geschrieben wurde, wohl gestattet ist lediglich anzugeben, welcher der beiden Anschauungen man zustimmt, so stehe ich nicht an es auszusprehen, daß meines Erachtens die kritische Untersuchung ausschließlich die Ermittlung von logischen Beziehungen zum Gegenstand hat und daß mit einer systematischen Darstellung logischer Beziehungen, insbesondere der Darlegung dessen, was von den Erfahrungstatsachen logisch unabhängig ist, die Aufgabe derselben gelöst sein würde. Hiermit bleibt allerdings vereinbar, daß vielleicht faktisch die Aufgaben der Kritik nicht gelöst werden können, ohne daß vorher eine gewisse Einsicht in gewisse Verhältnisse psychischen Geschehens, namentlich die Psychologie des Denkens, gewonnen ist. Mir scheint sogar gewiß, daß diese vielfach für die kritische Untersuchung eine notwendige Vorbedingung ist, weil wir durch sie erst das Material erhalten, hinsichtlich dessen die Beziehungs-Urteile etwas aussagen. Die logische Unabhängigkeit der letzteren von den Real-Urteilen wird hierdurch nicht tangiert. Ganz ähnlich sehen wir auch an den analytischen Urteilen, daß sie von anderen Urteilsarten (z. B. mathematischen oder Real-Urteilen) logisch unabhängig sind, aber doch tatsächlich erst nach einer entsprechenden Ausbildung des mathematischen oder Real-Wissens aufgestellt werden können. Das analytische Urteil, das alle Ellipsen ebene Kurven sind, drückt keine mathematische Einsicht aus und ist von den eigentümlichen Grundlagen der Mathematik logisch völlig unabhängig; aber es kann doch nur von demjenigen aufgestellt oder verstanden werden, der sich durch Beschäftigung mit der Mathematik die betreffenden Begriffe geläufig gemacht hat. In ähnlichem Sinne könnten wohl auch die kritischen Untersuchungen von psychologischen Ermittlungen abhängig sein. Die Statuierung des spezifischen Unterschiedes der kritischen und der psychologischen Frage besagt also nichts darüber, ob und wie weit der Erkenntnistheoretiker veranlaßt ist, sich mit psychologischen Untersuchungen zu befassen. Mag dies aber auch noch so sehr der Fall sein und mag man daher auch aus triftigen Gründen gewisse psychologische Untersuchungen mit der Disziplin der Erkenntnistheorie verknüpfen, so wird doch immer für die Klarheit wissenschaftlicher Untersuchung in erster Stelle zu fordern sein, daß bei jedem ihrer Sätze kein Zweifel bestehe, ob ein Real- oder ein Beziehungs-Urteil vorliege, ob eine Gesetzmäßigkeit psychischen Geschehens oder ob logische Beziehungen behauptet werden. In diesem Sinne wird die schärfste Sonderung der der Kritik eigentümlichen Aufstellungen von denjenigen psychologische Inhalts unerläßlich bleiben.
1) Für mich gehört freilich die Unveränderlichkeit der Raumvorstellung zu den bestgesicherten Tatsachen psychologischer Erfahrung. Auch der Versuch, sich eine andere zu imaginieren, scheint mir ebenso vergeblich, wie der, eine neue Sinnesqualität sich zu denken und alles was wir uns vorzustellen vermögen, läuft immer nur darauf hinaus, daß wir uns ein vom gewohnten abweichendes Verhalten der Dinge im Raum vorstellen. Aber alle diese, auf die Entstehung der Raumvorstellung bezüglichen Ermittlungen sind durchaus empirischer Natur. Sie sind psychologische Real-Urteile. Übrigens ist hier vielleicht der geeignete Platz, um hervorzuheben, daß die psychologischen Annahmen in bezug auf die Raumvorstellung selbst von denjenigen in bezug auf die Lokalisation , der räumlichen Wahrnehmung, durchaus zu sondern sind, eine Unterscheidung, welche die gebräuchlichen Termini des Empirismus und Nativismus leicht verwischen können. Auch ich halte mit der Mehrzahl der Psychologen dafür, daß die räumliche Wahrnehmung in großem Umfang durch Erfahrung und Einübung erworben sind. Dies ist mit der Annahme, daß die Raumvorstellung als solche einen unveränderlichen Besitz unseres Geisteslebens darstellt, durchaus vereinbar. Übung und Erfahrung ist nicht auf die Natur der Raumvorstellung, wohl aber darauf von Einfluß, an welcher Stelle des Raumes, z. B. in welcher Entfernung unter bestimmten Bedingungen ein Gegenstand wahrgenommen wird. 2) JOHANNES von KRIES, Vierteljahrrschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. VI, Leipzig 1882, Seite 257 3) Daß die subjektiven Gleichschätzungen tatsächlich nicht durchweg in einem so einfachen Zusammenhang stehen, habe ich schon in meiner früheren Arbeit gezeigt; die Tatsachen ließen sich heute leicht vermehren. Meiner Ansicht nach würde das Ganze, an sich sehr interessante Forschungsgebiet an Klarheit nur gewinnen, wenn man nicht die Messung qualitativer oder quantitativer Empfindungsunterschiede, sondern eine Psychologie der Vergleichungs-Urteile als seine Aufgabe hinstellte. So zeigen z. B. die Untersuchungen von LORENZ, mag man über die Bedeutung derselben denken, was man will, jedenfalls das, daß bei direkter Vergleichung vielfältig Tondistanzen gleich genannt werden, welche nicht die gleichen musikalischen Intervalle darstellen. Auf der anderen Seite aber unterliegt es doch keinem Zweifel, daß wir z. B. dem Erinnerungsbild eine Melodie stets wieder dieselbe aus den nämlichen Intervallen sich zusammensetzende Melodie gleichsetzen, welchen Ton wir auch zum Ausgangspunkt wählen. Zwei Tondistanzen erscheinen also unter Umständen gleich, unter anderen Umständen ungleich. Sollen wir annehmen, daß die qualitativen Unterschiede der Empfindung von wechselnder Größe sind oder für den musikalisch Gebildeten sich anders verhalten als für den musikalisch Ungebildeten? Mir scheint aus diesen Tatsachen vor allem das hervorzugehen, daß die Gleichschätzung der Tondistanzen ein von mancherlei verschiedenartigen Umständen abhängiges psychisches Phänomen ist und daß die Tatsachen in der Form einer Messung der mit dem Fortschritt der Tonhöhe verbundenen qualitativen Empfindungs-Änderung nicht ausgedrückt werden können. Ähnliches gilt meiner Ansicht nach für die auf die Schätzung räumlicher Größen sich beziehenden Untersuchungen von MÜNSTERBERG, LÖB, LIPPS u. a., in noch höherem Grade für die Vergleichung von Stufen verschiedener Sinnesgebiete, die ja auch höchst unsicher sind. Assoziationen der mannigfaltigsten Art dürften hier für die Gleichschätzungen mitwirken. |