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Über den Begriff der unbewußten Vorstellung [ 4 / 6 ]
Diskussion 2 Prof. Dr. FREDERICHS führte Folgendes aus: Der Herr Vortragende hat, indem er den Begriff der unbewußten Vorstellung erörterte, das Unbewußte lediglich nach der Seite der Erkenntnis betrachtet, während meines Erachtens mehr Licht über den Gegenstand verbreitet wäre, wenn die Behandlung sich auf das Unbewußte überhaupt bezogen hätte, da ja nach dem Haupterfinder dieses Begriffs es auch einen unbewußten Willen und ein unbewußtes Gefühl gibt. Daß der Vortragende dies nicht getan hat, kommt wohl daher, weil der Begriff des Unbewußten für ihn zunächst ein rein erkenntnistheoretisches Interesse zu haben scheint, indem er der Ansicht ist, daß der Begriff der unbewußten Vorstellung für die Erkenntnistheorie von höchster Bedeutung und geeignet sei, insbesondere der Kantischen Lehre ein festeres und widerspruchsfreies Fundament zu geben. Der Herr Vortragende hat den Gegenstand mit jener Gründlichkeit und Besonnenheit behandelt, die wir an ihm kennen und ich wüßte auch in Bezug auf die einzelnen Untersuchungen keinen Widerspruch zu erheben, wenn es mir auch vorgekommen ist, als rechne der Vortragende aus der Erinnerung verschwundene aber bei irgendeiner Gelegenheit wieder auftauchende Vorstellungen mit zu den sogenannten unbewußten Vorstellungen. Aber möge dem sein wie ihm wolle, so kann ich doch nicht einsehen, was damit für eine bessere Kenntnis unserer geistigen Tätigkeit gewonnen sein sollte, wenn man gewisse geistige Funktionen beim Wahrnehmen und Denken, die uns angeboren sind und mit der Empfindung in Tätigkeit beim Wahrnehmen und Denken treten, ohne daß wir uns derselben ipso actu [durch die Tat selbst - wp] bewußt sind, unbewußte Vorstellungen nennt, und daß, wie der Herr Vortragende sagt, das beim bewußten Vorstellen Tätige und Schaffende in uns jenes Geistige sei, welches den eigentlichen Inhalt der sogenannten unbewußten Vorstellung bildet. Nach der Kantischen Lehre sind die formellen Elemente der Anschauung, Raum und Zeit und die synthetischen Funktionen, welche die Anschauungen zu begrifflichen Einheiten verknüpfen, ursprüngliche apriorische Funktionen des Geistes. Ob ich nun diese inneren Tätigkeiten mit ihrem Apprehendieren, Synthetisieren, Verbinden und Trennen usw. unbewußte Vorstellungen nenne oder nicht, das eine wie das andere trägt zu meiner Erkenntnis dieser formbildenden Tätigkeit nicht im mindesten etwas mehr bei, als was ich ohnehin von ihnen durch unmittelbare innere Wahrnehmung weiß. Nun hat aber Herr von HEYDEBRECK den Begriff der unbewußten Vorstellungen auch eigentlich nur im Interesse des Kantischen Kritizismus benutzt; denn er betrachtet, wie gesagt, das Unbewußte als dasjenige Ansich des Geistes, was mit Bewußtsein verbunden die Vorstellung ergibt, was uns aber in seiner von der Vorstellungswirkung losgelösten Existenz absolut unerkennbar bleibt. Daher soll das die Kantische Behauptung bestätigen, daß wir das Ansich unseres Geistes nicht erkennen, sondern nur, wie wir uns erscheinen. Von diesem strikten Kantischen Standpunkt aus werden der späteren Philosophie von FICHTE, SCHELLING und HEGEL die herbsten Vorwürfe gemacht, daß sie diese Wahrheit des Kritizismus nicht erkannt und infolgedessen in den schlimmsten Dogmatismus zurückgefallen seien. Ich bin hier mit dem Vortragenden nicht einverstanden, so sehr ich auch mit ihm anerkenne, daß die nachkantische Philosophie in einiger Beziehung nicht ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt hinter KANT ist. Aber gerade in dem, was ihr vom Vortragenden vorgeworfen wird, sehe ich den eigentlichen Fortschritt, der nach KANT gemacht ist. Denn es war durchaus begründet, daß jener schroffe Dualismus zwischen Ding an sich und Erscheinung, dieses Vorurteil KANTs, als etwas ganz Unhaltbares und Widersprechendes beseitigt wurde. Der Nachweis und die Begründung davon liegt im Entwicklungsprozeß der nachkantischen Philosophie offen zutage. Ich will nur bemerken, daß die Ansicht KANTs vom Ding an sich und dessen Erscheinungen zusammenhängt mit seinem verkehrten Substanzbegriff; den Erscheinungen liegt nämlich die beharrende ruhende Substanz als Ding an sich zugrunde; sie erscheint uns, aber dennoch können wir das Ansich derselben absolut nicht erkennen. So liegt denn auch unseren inneren Erscheinungen ein dunkles Ansich, eine Seelensubstanz zugrunde, die wir nicht erkennen können, während doch gerade die innere unmittelbare Wahrnehmung, die inneren Erlebnisse des Geistes das einzig Gewisse ist, was den Inhalt für die bloßen Formen desselben bildet und während wir doch mit den unmittelbaren Tatsachen des Bewußtseins auch zugleich das Ansich so zu sagen ergreifen, mit den Erscheinungen zugleich das Wesen, eben weil es uns erscheint. Abgesehen vom falschen Substanzbegriff KANTs der ihn zu jenem schroffen Dualismus führte, verkannte er, was er doch für die praktische Vernunft statuierte, daß die Wahrheit für uns nur annähernd in einem unendlichen Prozeß zu erkennen ist und daß es ein Widerspruch ist, wenn KANT selbst eine metaphysische Anlage, einen metaphysischen Trieb anerkannte und doch die Erkennbarkeit des metaphysischen Objekts leugnete. Wozu sollte uns jener metaphysische Trieb denn gegeben sein, zumal da wie FICHTE mit Recht geltend machte, das Streben nach Wahrheit im vollsten Sinne, also auch nach der idealen philosophischen Wahrheit für uns sittliche Pflicht ist. Der Widerspruch wurde nun dadurch noch größer, daß wir, wenn es sich um die praktische Vernunft handelt, nach KANT imstande sind, unmittelbar das über die Erscheinungen hinausliegende Notwendige zu erkennen. Der kritische Skeptizismus ist meines Erachtens von der nachkantischen Philosophie widerlegt; läßt man ihn, wie der Herr Vortragende tut, gelten, dann ist eine wahrhaft philosophische Erkenntnis überhaupt nicht möglich. Gleichwohl erkenne ich mit demselben die bedenkliche Richtung, welche die nachkantische Philosophie genommen hat, an, aber dieselbe liegt nach ganz anderen Seiten hin. Wenn der Gegenstand auch nicht unmittelbar mit der Sache, die wir heute besprochen haben, zusammenhängt, so will ich bei dieser Gelegenheit doch auf einige Punkte hinweisen, in welche unbeschadet der vollen Anerkennung der Verdienste unserer großen Philosophen, mit die einseitige Richtung zu liegen scheint, welche FICHTE, SCHELLING und HEGEL nahmen. Zunächst ist es die anthropologistische Tendenz, welche das Denken jener Männer beherrscht, ich meine damit jene vorkopernikanische Ansicht, daß auf der Erde, ja eigentlich nur bei den Völkern um das Mittelmeer sich die ganze Entwicklung des Universums vollzieht und beschlossen wird, insofern in dieser Menschheit der Weltgeist zu Bewußtsein kommt und die höchste Daseinsstufe erreicht. Damit zusammen hängt dann die einseitige Geltendmachung der göttlichen Immanenz oder von einer anderen Seite betrachtet die pantheistische Anschauung von einem werdenden Absoluten, in dem alles befaßt ist; wir haben also ein unpersönliches werdendes Absolutes, welches erst als letztes Resultat im Menschengeist Persönlichkeit wird, womit dann für das Absolute die höchste Form des Geistes, die Persönlichkeit geleugnet wird. Auf dem Gebiet der Ethik geht der nachkantischen Philosophie ferner der Begriff des Sollens, namentlich bei HEGEL, vollständig verloren; so daß von einer sittlichen Freiheit eigentlich nicht mehr die Rede sein kann. Die ganze Entwicklung kommt, wenn man die letzten Konsequenzen zieht, auf einen Naturprozeß hinaus. Allein ich will das nicht weiter verfolgen, da es ja zunächst meinerseits nur Behauptungen in Bezug auf die Richtung der nachkantischen Philosophie sind, die der Begründung bedürfen, die ihnen hier nicht gegeben werden kann. Zum Schluß möchte ich noch hinsichtlich des Begriffs des Begriffs des Unbewußten überhaupt bemerken, daß derselbe, wie man mit Recht gesagt hat und wie dem der Vortragende beistimmt, in Unbegriff ist. Es ist auch eigentlich nur ein Name für ein metaphysisches Prinzip, welches dem Verfasser der Philosophie des Unbewußten nach den Kern aller großen Philosophie gebildet haben soll SPINOZAs Substanz, FICHTEs absolutes Ich, SCHELLINGs absolutes Subjekt-Objekt, PLATOs und HEGELs absolute Idee, SCHOPENHAUERs Wille usw. (1) Hierauf erklärte Herr Assessor a. D. KAHLE: Der Herr Vortragende hat über den Begriff der unbewußten Vorstellung reden wollen. Er versteht nun Vorstellung einmal im allgemeinsten Sinne, so daß sie auch die Empfindung umfaßt, sodann aber auch noch in einem besonderen Sinne. Nachdem er nämlich von der sinnlichen Wahrnehmung gesprochen hat, unterscheidet er als Bestandteile derselben die Empfindung und die Vorstellung. - Unter der letzteren muß nach dem Zusammenhang die Form verstanden werden, in welche der Empfindungsgehalt gebracht wird. Ich selbst werde das Wort: Vorstellung vorwiegend im allgemeinsten Sinn, also auch Empfindung umfassend, gebrauchen. Der Frage, welche beantwortet werden soll, ist mit Erlaub am Besten folgende Gestalt zu geben: Hat der Begriff von Vorstellungen an einem vorstellenden Subjekt, welche von eben diesem nicht gewußt werden, Gültigkeit? Denn die Gestaltung, welche der Herr Vortragende unter anderem der Frage gegeben hat: "Sind meine Vorstellungen mir unbewußt?" ist unzulässig. Im Begriff vom ICH liegt nämlich Selbstbewußtsein. Spricht der Herr Vortragende also von meinen Vorstellungen, so sind das solche des Ichs, so kann der Satz: sie seien nicht im Bewußtsein, nicht einmal problematisch, also als möglicher, frageweise aufgestellt werden. Die Frage: "Sind im Bewußtsein seiende Vorstellungen nicht im Bewußtsein?" enthält einen offenbaren Widerspruch. Nachdem der Herr Vortragende des weiteren den Beweis geführt hat, daß der Begriff der unbewußten Vorstellung einen Widerspruch enthalte, glaubt er doch als Erklärungsgrund unserer sinnlichen Wahrnehmungen äußerer Gegenstände annehmen zu müssen, daß am menschlichen Ich ein Geistiges sei, welches dem Ich nicht bewußt sei. Der Herr Vortragende hat z. B. gesagt: "Es muß etwas außerhalb des Bewußtseins im vorstellenden Wesen vorhanden sein usw." Eine solche Voraussetzung - von welcher der Herr Vortragende schon nachgewiesen hatte, daß sie einen Widerspruch enthalte - hätte aber nicht gemacht werden dürfen. Dieselbe ist zwar nur ein Zwischengedanke des Herrn Vortragenden, welcher letztere schließlich erklärt, wir müßten uns doch jenes am Menschen vorhandene, unbewußte Geistige als bewußte Vorstellung eines vom Menschen unterschiedenen unbeschränkten Geistes denken. Allein jenes widerspruchsvollen Zwischengedankens bedurfte es gar nicht; man tut besser und allein richtig ohne weiteres und unmittelbar den Menschen, welcher beschränkten, endlichen Geistes ist, als Wirkung, als Geschöpf des unbeschränkten Geistes, d. i. Gottes, anzusehen. Der Herr Vortragende läßt uns mehrere Vorstellungsgebiete durchwandern, um die Berechtigung der Aufstellung der von ihm aufgeworfenen Frage darzutun, d. h. dafür, daß man so überhaupt auch nur frage. Hierbei hätte er mit Erlaub noch folgende Gesichtspunkte etwas mehr würdigen können: Zunächst hat er nicht genug beachtet, daß der Mensch dem Vergessen unterworfen ist. Es ist aber unrichtig, wenn eine Vorstellung nicht gegenwärtig im Bewußtsein ist, allgemein zu sagen: diese Vorstellung ist (Kopula) nicht im Bewußtsein. Eine vergangene bewußte Vorstellung hat die Eigenschaft, im Bewußtsein zu sein und ist mitsamt dieser Eigenschaft vergangen. Ferner bestimmt der Herr Vortragende das Bewußtsein als Klarheit, mit Erlaub unrichtigerweise, da der Aussagebegriff (Prädikat) "Deutlich" der Vorstellung, welche im Bewußtsein ist, zukommt, nicht dem Bewußtsein. Wer einen Ton hört, glaubt zunächst etwas einfach sich vorzustellen, wird aber später inne, daß das scheinbar Einfache Höhe, Grad (Stärke) und womöglich Klangfarbe hat und also jetzt seine frühere Vorstellung verdeutlicht. Nun behauptet der Herr Vortragende, der Inhalt der Vorstellung sei durch die Verdeutlichung unberührt geblieben und wir hätten also früher von dieser Vorstellung nur Halbbewußtsein gehabt. - Das würde heißen:
Vorstehende Erwägungen werden ergeben, daß (mit Ausnahme der sinnlichen Wahrnehmungen) alle Fälle, welche der Herr Vortragende angeführt hat, um nachzuweisen, daß die Bildung dieser Vorstellungen mit Bewußtsein erfolgt, sobald man gehörig unterscheidet und aufmerkt. Dagegen sind die Empfindungen, z. B. die Tonempfindung, dem Menschen gegeben. Diese Empfindungen, z. B. vom Ton mit Höhe und Stärke, sind nun solche Vorstellungen, welche der Mensch nicht gemacht hat; sie sind laut ihres mannigfaltigen Inhalts nicht ursprüngliche, sondern erzeugte Vorstellungen, welche das Endergebnis einer längeren Gedankenreihe sind, sind nicht einfachen unauflöslichen Inhalts, sondern sind sehr künstliche Zusammensetzungen einfacher Inhalte. Es muß also als Ursache ihrer und des Menschen ein anderer unbeschränkter Geist, in dessen Bewußtsein jene Reihe war, gedacht werden. Schon oben berührte ich, daß der Gedanke, es bestehe diese Ursache in einem unbewußten geistigen Zustand am menschlichen Ich, gar nicht einzuschieben ist. Die Hauptaufgabe des Herrn Vortragenden war: nachzuweisen, daß der Begriff unbewußter Vorstellung einen Widerspruch enthält. Bei der Lösung dieser Aufgabe hätte mit Erlaub noch folgendes betont werden können. Zunächst ist es allerdings unmittelbar gewiß, daß jede Vorstellung bewußt ist, da wir keine anderen kennen. Es könnte aber Menschen geben, in welchen sich so eine Gewißheit verdunkelt hätte und es gälte, ein Mittel aufzuweisen, jene wieder hell zu machen. Man setze also, es gäbe unbewußte Vorstellungen, so könnte das ICH nicht etwas mit ihnen machen, sie nicht spalten, mit anderen Vorstellungen vergleichen und zusammensetzen. Dächten wir uns andererseits das menschliche ICH ohne jene unbewußten Vorstellungen, so würde alles im ICH ebenso verlaufen, wie mit ihnen. Die unbewußten Vorstellungen sind also ein leerer Gedanke. Der Herr Vortragende hat gesagt, die Vorstellung sei eine Beziehung des Subjekts auf das Objekt; eine Beziehung, welche nur in einem Ich und für ein Ich Bedeutung habe. - Der erste Satz des Herrn Vortragenden ist in der aufgestellten Allgemeinheit unrichtig, richtig nur bei Wahrnehmungen äußerer Gegenstände. Das Gefühl des Schmerzes ist keine Beziehung des Subjekts auf ein Objekt; wir kennen nur einen vorgestellten Schmerz, ein nicht vorgestellter ist gar nicht da; ebenso gibt es nur ein Vorstellen des Blauen; ein nicht vorgestelltes Blau ist der Begriff einer unlöslichen Aufgabe. Nehmen wir nun die Vorstellung des Schmerzes, so ist es untunlich, in dieser eine Beziehung des Subjekts auf ein Objekt zu finden. Angenommen aber: jedes Vorstellen wäre das Beziehen des beziehenden Subjekts, wodurch dieses das Subjekt auf das Objekt bezieht, so sagen diese Worte unmittelbar nichts vom Bewußtsein. Hat nun der Herr Vortragende weiter gesagt: "Dieses Beziehen ist nur möglich in einem Ich und für ein Ich", so setzt er hiermit das Bewußtsein voraus, welches er erst beweisen sollte. Denn im Begriff des Ichs liegt allerdings Bewußtsein. Der betreffende Beweis wird daher aus dem Begriff des Subjekts und dem des Beziehens geliefert werden müssen. Subjekt mit Zuständen ist etwas, was Einheit hat. Wir kennen keine andere Einheit, als die Einheit des Vorstellens, inwiefern es mehrere Vorstellungsinhalte zusammen vorstellt, d. h. bezieht. Dieses Beziehen ist Vorstellung des Unterschiedes zweier Vorstellungen oder ihrer teilweisen Gleichheit oder ist Vorstellung der Verknüpfung derselben beiden, entweder als eines Teiles mit dem Ganzen oder als zweier ursprünglichen Teile unter sich im Ganzen oder als einer Ursache mit Wirkung. Der Satz: "Rot ist nicht warm" stellt nun nicht vor, daß Rot ein in ihm enthaltenes Warm aus sich herauswerfe, sondern daß der Versuch des vorstellenden Subjekts, statt Rot und Warm nur ein einziges Einfaches zu wissen, mißlinge, ist also eine Aussage über das vorstellende Subjekt und setzt Selbstbewußtsein voraus vom ganzen Subjekt und davon, daß es als Ganzes die einzelnen bezogenen Vorstellungen weiß. - Der Satz: "Rot und Violett sind gleich, inwiefern in beiden Rot ist", heißt nicht: Rot erzeuge ein ihm teilweise gleiches Violett, sondern stellt die Einsicht vor, daß die beiden - als Ganze - verschiedenen Vorstellungen von Rot und Violett verglichen, im vergleichenden Subjekt die Überzeugung erwecken, seine anfängliche Meinung, es habe zwei verschiedene Vorstellungen, sei irrig und in Wahrheit habe es selbst, was das Rot für sich und das Violett anbetreffe, in Ansehung des in beiden vorhandenen Rot nur eine einzige Vorstellung. Ohne eine Vorstellung des vorstellenden Subjekts von sich selbst ist also der Satz: Rot und Violett sind gleich in Rot, sinnlos und nicht möglich. Man betrachte den Satz: "Der Honig ist süß." Zunächst: was bedeutet Honig? Man stellt ja den mit Honig benannten Gegenstand nicht deutlich und vollständig vor. Unter Honig versteht man die Ursache einer Empfindung des Gelben oder Süßen oder Weichen. Es muß als der Vorstellende, Honig denkende die Empfindung des Gelben, welche unselbständige Existenz hat und Akzidens ist und also das selbständig existierende Subjekt, an welchem die Empfindung Zustand ist, also sich selbst vorstellen. Endlich im Satz: "Gott (der unbeschränkte, unbedingte Geist) ist Ursache jedes Menschen", was denkt bei diesem Satz das urteilende menschliche vorstellende Wesen? Es weiß Gott wieder nicht vollständig und deutlich, denkt also unter Gott die Ursache seiner selbst. Auch dieser Satz: Gott sei Ursache des Menschen, setzt Selbstbewußtsein des Urteilenden voraus. Jedes Beziehen setzt also die Vorstellung des vorstellenden Subjekts von sich selbst und andererseits von den bezogenen Vorstellungen voraus, da, was vom Subjekt nicht vorgestellt ist, von ihm mit irgendeiner anderen Vorstellung nicht zusammengebracht werden kann. Wir sehen also, daß, wenn wir von einem vorstellenden Wesen, Subjekt (Substanz) reden, reden wir von einem Beziehenden und weiter: daß das Beziehen das Wissen des vorstellenden Subjekts von und den bezogenen Vorstellungen voraussetzt und in sich schließt. Also mit dem Begriff: Vorstellung ist schon gedacht ein einheitliches Subjekt; diese Einheit besteht im Beziehen. Soll also die fragliche - vielleicht unbewußte - Vorstellung am vorstellenden Subjekt sein - so muß sie bezogen werden, dazu muß sie aber im Bewußtsein sein. Außerdem wäre die Behauptung: diese - angeblich und vielleicht unbewußte. - Vorstellung, d. h.: diese fälschlich für unbewußt erklärte Vorstellung sei Zustand an diesem vorstellenden Subjekt, ein leeres Gerede, weil das Merkmal fehlte, wodurch jene Zustand am Subjekt wäre. - Werfen wir schließlich einen Blick auf die allgemeine Weltanschauung des Herrn Vortragenden. Zu Ende seines Vortrages hat derselbe sich über seinen eigentlichen Standpunkt auf einen neuen erhoben, indem er uns aber vom letzteren aus nur ein ganz unbestimmtes Bild zeigt. Ich werde daher nur die Anschauung des Herrn Vortragenden, über welche er sich erhebt, beurteilen. Er hat gesagt, wir wüßten nur von unserer fertigen Vorstellung, während uns die geistige Arbeit unseres Ichs, welches jene hervorbringe, das Ansich unseres Ichs, unfaßbar bleibe, wir könnten unsere geistigen Tätigkeiten nur durch den sonst leeren Begriff der Ursache des betreffenden Vorstellungseffektes bestimmen, endlich der Grund des Sinnenbildes bleibe dunkel und in letzter Instanz unfaßbar. Hiergegen ist zu erinnern: WEnn man uf dem Tisch 3 Äpfel liegen sieht und nun die allgemeine Vorstellung "Apfel" bildet, indem man auf das Gleiche an den 3 Äpfeln achtet und sich vom Verschiedenem an ihm abwendet, so finde ich, daß der Weg, auf welchem man zur allgemeinen Vorstellung Apfel gelangt, völlig klar vor uns liegt und es ist mir unerklärlich, welche größere Klarheit der Herr Vortragenden eigentlich verlangt und so in allen anderen Fällen menschlicher geistiger Tätigkeit. Der Begriff der Ursache ist auch nie leer, er enthält aber oft, wenn wir ihn brauchen, nur die Vorstellung einer Aufgabe, nicht von deren Lösung und man darf, wenn man bei der Aufgabe stehen bleibt, sich nicht beklagen, daß man nicht die Lösung erblicke. Der Mensch gewinnt den abgezogenen allgemeinen (abstrakten) Begriff der Ursache dadurch, daß er selbst sich in vielen Fällen beobachtet, wie er durch Denken zureichende Ursache neuer Gedanken in ihm selbst ist. Zum Beispiel der Mensch, nachdem er 3 Äpfel gesehen hatte und nund die allgemeine Vorstellung: Apfel gebildet hat, ist als solcher, welcher die 3 Äpfel sah, ohne noch die allgemeine Vorstellung Apfel zu haben, zureichende Ursache seine, inwiefern er später die allgemeine Vorstellung Apfel besitzt. Der Mensch kann sich entweder undeutliche Vorstellungen deutlich machen oder mehrere einfache (unauflösliche) Vorstellungen zusammensetzen. Das Verdeutlichen ist übrigens nur in einem geschaffenen beschränkten Geist, nicht in einem unbeschränkten Geist, in Gott, denkbar. Gott als Ganzes besitzt ursprünglich nur deutliche Vorstellungen und erzeugt immer, wenn er neue Gedanken erzeugt, deutliche Vorstellungen, also solche, welche dem ganzen Gott deutlich sind. Der Mensch darf sich also unter Ursache schließlich nur das denken, daß ein Geist, welcher einfache Vorstellungen hat, ebendieselben nach einem bestimmten Gesetz zusammengesetzt und solchergestalt seinen ursprünglichen Wissens-Inhalt vermehrt. Fragt man also nach der Ursache derjenigen Vorstellungen, welche in der sinnlichen Wahrnehmung äußerer Gegenstände besteht oder durch die gegebenen Empfindungen ausgemacht werden, so heißt dies: Erstens: welche einfachen nicht weiter auflöslichen Vorstellungen sind in dieser Wahrnehmung oder Empfindung enthalten? Zweitens: nach welcher Regel sind wieder diese einfachen Vorstellungen von mir oder von Gott zusammengesetzt? Beide Aufgaben sind löslich; jene durch Unterscheiden, Zergliedern, diese durch Aufmerksamkeit auf sich selbst oder freies Bilden, Phantasieren, welches uns allmählich ähnliche Formen liefert, als welche sich in der zu erklärenden Wahrnehmung oder Empfindung finden. Unter Ursache versteht man entweder die zusammensetzende Tätigkeit eines bewußten Geistes oder man braucht ein Wort, bei welchem man "Etwas" deutliches nicht vorstellt. Um der Frage nach einfachen Vorstellungen zuvorzukommen, bemerke ich:
Der Mensch entsteht so: Gott beschließt seine ganze Empfindungsmasse, d. h. Summe seiner Empfindungen, d. h. seiner ursprünglichen einfachen Vorstellungen oder einen Teil davon in einer neuen Ordnung zu denken und, indem er das tut, sich von allen seinen anderen Gedanken abzuwenden. Dadurch kommt das Ding heraus, was man einen Menschen nennt. Innerhalb des Gesamtselbstbewußtseins Gottes entsteht dadurch in ihm ein besonderes Selbstbewußtsein, in welchem ein Teil von Gott zunächst nur von diesem Teil weiß. Ähnliches vollzieht der Dichter, welcher eine bestimmte Lebenslage erdenkt und darin einen Menschen mit eigentümlichem Charakter vorstellt und nun ausführt und sich denkt, was dieser Mensch in dieser Lebenslage tun werde. Also: indem Gott denkt: Was werde ich, wenn ich meine einfachen Vorstellungen nach einem bestimmten Gesetz ordne und mich um mein übriges Denken nicht bekümmere, innerhalb dieses Verfahrens denken? - ist der Mensch da. Ein solcher Gedanke Gottes, also ein bestimmter Mensch, besteht aus allen seinen Teilen, enthält also sich ganz, nicht bloß einen Teil von sich, nicht bloß ein Abbild von sich. Wenn also ein Mensch von sich selbst weiß, so enthält die Behauptung, er wisse nur seine Erscheinung, nicht sein Ansich, eine gegenstandslose Erscheinung. Das Verhältnis des gegenwärtigen menschlichen Ichs zu seinem vergangenen Ich ist aber unter ganz andere Begriffe, als die Begriffe Ansich und Erscheinung zu bringen. Erstens ist das gegenwärtige Ich immer später als das frühere, auch als das unmittelbar vorhergehene Ich, weil letzteres als Teil der zureichenden Ursache zu denken ist, von welcher das gegenwärtige Ich Wirkung ist, während
2) Das gegenwärtige Ich enthält gegenwärtige Empfindungen, während in ihm diejenigen des unmittelbar vorhergehenden Ichs nur teilweise noch da sind, d. h. erinnert werden, während die meisten oder sehr viele davon vergessen sind. Letzteres ist aber kein Unglück, weil schon die gegenwärtigen Empfindungen des gegenwärtigen Ichs ein Abbild eines Teiles der Natur liefern. Dagegen sind im gegenwärtigen Ich fast alle Begriffe und allgemeinen Vorstellungen des unmittelbar vorhergehenden vergangenen Ichs enthalten. Wollte man daher sagen: das gegenwärtige Ich und auch Gott könnten das vergangene Ich in Zukunft ganz unbeachtet lassen, so wäre dies ein annähernd richtiger Satz. Dagegen, wenn ein Mensch sich Honig denkt, eine im höchsten Grad unvollständige Vorstellung - welche also die Erscheinung des Honigs an sich ist, - so wäre der Gedanke sehr falsch, der Mensch und Gott könnten nun in Zukunft den Honig-ansich, d. h. den Gedanken Gottes, wodurch dieser vollständig den Honig denkt, unbeachtet lassen. Das gegenwärtige Ich ist einer neuen verbesserten Auflage des unmittelbar vorhergehenden vergangenen Ichs vergleichbar, die menschliche Vorstellung von Honig einem dürftigen Auszug aus der göttlichen Vorstellung Honig (d. h. dem Honig ansich). Also das gegenwärtige Ich ist nicht Erscheinung des vergangenen Ichs als des Ichs an sich. Würde ferner jemand denken - ein Gedanke, welchen ich mißbillige -: Gott habe erst in sich jeden bestimmten Menschen in allen seinen Entwicklungsstufen - wir wollen sagen: es seien 100 - vollständig gedacht und entlasse demnächst diese Entwicklungsstufen nacheinander zur Existenz und das gegenwärtige Ich eines bestimmten Menschen sei also die Existenz der 50ten von Gott gedachten Entwicklungsstufe, so enthielte das existierende 50te Ich völlig denselben Inhalt, wie die von Gott bloß gedachte, nicht existierende, 50te Entwicklungsstufe und wäre also nicht Erscheinung der letzteren als des Dings ansich, denn die Erscheinung muß notwendig weniger enthalten als das Ding ansich. Die von Gott gedachte 50te Entwicklungsstufe ist zwar bedingt durch die 49 früheren und ist Bedingung der 50 folgenden. Aber dieses Bedingungsverhältnis ist doch ein ganz anderes, als das zwischen Erscheinung und Ding ansich. Der Grund unserer sinnlichen Wahrnehmungen ist sehr wohl zu erkennen. Das menschliche Ich weiß unmittelbar nur von sich und es denkt sich äußere Gegenstände, um sich seinen Vorstellungsverlauf verständlich zu machen und muß sich also diese Gegenstände so denken:
2) daß sie jenen Zweck erfüllen. Schließlich will ich daran erinnern, daß LEIBNIZ einerseits ein großer Liebhaber der unbewußten Vorstellung war; daß andererseits, wenn man dieselbe aus seinem Lehrgebäude ausstreicht, das letztere doch in seinen Hauptzügen bestehen bleibt.
1) EDUARD von HARTMANN, Philosophie des Unbewußten, 1876 |