p-4p-4BrentanoF. HillebrandBrentanoK. TwardowskiBrentanoA. Marty    
 
FRANZ BRENTANO
Zur Lehre von
den Empfindungen


"Ganz allgemein hat sich die Ansicht festgesetzt, daß eine psychische Betätigung ohne irgendwelce Intensität einen Widerspruch involvieren würde. Eine Null von Intensität, meint man, müsse für die psychische Tätigkeit selbst den Nullpunkt bilden. Danach käme dann z. B., auch wenn wir einen Begriff wie Wahrheit, Beziehung, Zukunft oder irgendeinen Zahlbegriff denken, diesem Denken immer eine Intensität zu. Und ebenso wäre jedem Urteilsakt und jeder Gemütstätigkeit, dem ruhigen Vorsatz nicht minder als dem aufgeregten Affekt, stets eine gewisse Intensität eigen. Doch, während beim Empfinden die Intensität des Empfindens von der des Empfundenen abhängig ist, konnte beim Denken jener Begriffe eine ähnliche Abhängigkeit seiner Intensität von der im Inhalt Gedachten beschlossenen nicht angenommen werden. Denn was z. B. fände sich in der Zahl  3,  das der Intensität eines Schalles oder Geruches verwandt wäre?"

1. Die Psychologen, in so mancher anderen einfachen Frage miteinander im Widerstreit, haben sich auch über die Existenz allgemeiner Begriffe noch nicht geeignet. BERKELEY verwirft sie, und viele pflichten seinen Ausfürhungen bei; andere erklären ihre Annahme für schlechterdings unerläßlich.

Doch, wenn der scharfsinnige Engländer (im Wort mehr als im Gedanken) wirklich etwas zu weit gegangen ist,  eines  hat er jedenfalls erwiesen, - und auch die vornehmsten Verteidiger der allgemeinen Begriffe geben es als erwiesen zu -: er hat gezeigt, daß allgemeine Vorstellungen nur im Hinblick auf Einzelvorstellungen möglich sind, in welchen wir gewisse Züge in Abstraktion von anderen unterscheiden. Der Verstand, lehrte in diesem Sinne schon ARISTOTELES, denkt seine Begriffe in den Phantasmen.

So kann dann die Empfindung, so gewiß sie die Grundlage des geistigen Lebens ist, den Charakter einer allgemeinen Vorstellung nicht tragen. 

2. Wenn nun der Inhalt der Empfindung individuell determiniert ist, so fragt sich, was sie individualisiert.

Sie enthält eine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen. HELMHOLTZ hat ganz allgemein "Modalität" und "Qualität" darin unterschieden. Eine genaue Analyse ergibt, daß der sie komplizierenden Momente noch mehrere sind.

Hat man die Grundklassen der Empfindung gesondert, so läßt sich in jeder außer der eigentümlichen  Modalität,  welche der Gruppe den gemeinsamen Charakter gibt, ein  Hell und Dunkel;  ferner eine  Intensität,  und bei gewissen dazugehörigen Erscheinungen auch ein  Kolorit  mit höherem oder geringerem Sättigungsgrad aufweisen. (1)

Doch, so viele Bestimmungen wir hier aufgezählt, keine von ihnen vermag, indem sie (den Inhalt bereichernd, den Umfang beschränkend) zu den andern tritt, der Empfindung ihre Individuation zu geben. Es zeigt sich vielmehr, daß eine Mehrheit von Empfindungen, welche in allen erwähnten Beziehungen übereinstimmen, recht wohl denkbar bleibt.  So muß dann noch ein anderes determinierendes Moment in der Empfindung vorhanden sein. 

3. HELMHOLTZ hat, was die Empfindung betrifft, die Psychologen in zwei Gruppen geschieden, indem er die einen als  "Nativisten"  den andern als  "Empiristen"  gegenüberstellte.

Zu den "Nativisten" gehören die, welche glauben, daß die Empfindung als solche immer, wie eine qualitative, so auch eine räumliche Bestimmtheit enthält. Jede Farbempfindung, jede Druckempfindung usw. soll nach den Nativisten zugleich eine Raumempfindung sein.

Die Empiristen erheben hiergegen Widerspruch; ja, sie gehen in schroffem Gegensatz zu den Nativisten so weit, die räumliche Bestimmtheit von jeder Empfindung als solcher gänzlich auszuschließen.

Für die Individuationsfrage, man erkennt es leicht, ist dieser Unterschied der Ansichten von wesentlichem Belang.

Wer dem Nativismus anhängt, dem wird das räumliche Moment, das er im Inhalt der Empfindung determinierend den übrigen Bestimmungen gesellt, auch als Individuationsprinzip für sie gelten; zwei gleichzeitige und auch in allen anderen angebbaren Beziehungen gleichheitliche Empfindungen zeigen sich ja immer durch Lokalisation wenigstens voneinander verschieden. Und so ergibt sich dann vom nativistischen Standpunkt die Beantwortung unserer Frage von selbst, ohne jede weitere Komplikation der Hypothese.

Die Empiristen dagegen, wenn sie die Frage überhaupt beachtet hätten, würden hier auf eine ungeahnte Schwierigkeit gestoßen sein.

Die Empfindung denkt auch der Empirist als Anfang des geistigen Lebens. Die räumliche Vorstellung dagegen soll nach ihm erst als Folge mannigfacher Erfahrung sich entwickeln. Nun kann aber nach dem, was wir über die allgemeinen Vorstellungen gesagt, die Empfindung nie anders als individualisiert bestanden haben. Also war sie auch schon zur Zeit beginnener geistiger Entwicklung individualisiert, und damals wenigstens, ohne daß nach der Ansicht der Empiristen räumliche Bestimmungen ihr die Determination hätten verleihen können.

Ja auch später, wo nach ihrer Meinung in dem, was sie "Wahrnehmung" nennen, die Raumvorstellung mit der Empfindung durch die stärksten Bande der Assoziation verknüpft erscheint, - auch dann, sage ich, würde sie, nicht etwas sein, was, wie eine individualisierende Differenz, zur Empfindung innerlichst gehörte, sondern etwas, was sozusagen äußerlich zu ihr als unabhängig bestehender hinzukäme.

Auf eine räumliche Bestimmung also wird bei der Frage nach dem Individuationsprinzip der Empfindung ein Empirist nicht ohne Selbstwiderspruch sich berufen können.

Wenn darum alle frühher aufgezählten determinierenden Momente ohne die Raumbestimmtheit zur Individuation nicht ausreichten, so bleibt dem Empiristen nichts übrig, als anzunehmen, daß außer ihnen noch ein anderes in der reinen und ursprünglichen Empfindung vorhanden sei, welches das leistet, was nach der vom Empiristen abgelehnten nativistischen Hypothese die Raumbestimmtheit leisten würde.

Was aber sollte dieses Andere sein? - In der Erfahrung weiß niemand etwas dafür aufzuweisen. Und so wird denn der Empirist es durch Hypothese als Etwas, was unbemerkt in unserem Bewußtsein vorhanden sei, statuieren müssen.

Da erscheint es dann von Bedeutung, daß die Einführung eines gewissen rein fiktiven Moments in das Empfindungsgebiet von den Empiristen, oder wenigstens vom einflußreichsten unter ihnen, auf den sich auch der Name zurückführt, tatsächlich schon aus einem anderen Grund vollzogen worden ist.

HELMHOLTZ hat bei der Entstehung der "Wahrnehmung", wenn kein räumliches Kontinuum im eigentlichen Sinne, so doch etwas ihm Analoges vorauszusetzen für nötig gefunden. Er sah ein, daß er für die Assoziation der räumlichen Bestimmungen Anhaltspunkte (nach LOTZEs Ausdruck "Lokalzeichen") nötig habe, und daß er diese, um die Leichtigkeit der Orientierung zu begreifen, mit der Reizstelle der Netzhaut (und natürlich aus gleichem Grund auch anderwärts) nach Länge und Breite stetig variierend denken müsse.

Wenn der Empirist, um der Individuation der Empfindung gerecht zu werden zu der fiktiven Annahme eines besonderen Momentes greifen muß, so wird er sonach wenigstens die Einführung eines neuen fiktiven Moments sich ersparen können, indem er vielmehr auf jenes Analogon der räumlichen Bestimmtheiten, auf die "Lokalzeichen" verweist. Er braucht sie nur, um sie dem besonderen Bedürfnis genügen zu lassen, wie in anderen Beziehungen, so auch darin den Raumbestimmtheiten des Nativisten analog zu denken, daß er sie, mit den übrigen Momenten des Empfindungsinhalts konkreszent, denselben individualisieren läßt.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß HELMHOLTZ die Individuationsfrage, wenn überhaupt berücksichtigt, auf diesem Weg zu lösen gesucht haben würde. Ob ihn freilich deren Verfolgung dann nicht, wie zu einer Ergänzung, so auch zu mancher Umbildung seiner Ansichten geführt hätte, das ist, was ich nicht als unwahrscheinlich bezeichnen möchte. Vielleicht hätte er schließlich sogar erkannt, daß, wer etwas, was er in allen Beziehungen dem Räumlichen analog denkt, in sich selber nicht zu kennen eingesteht, auch die Möglichkeit, daß es geradezu etwas Räumliches sei, zugestehen müsse.

Doch ohne hier zwischen Nativismus und Empirismus entscheiden zu wollen, konstatiere ich vielmehr nur, daß nach dem Gesagten sicher wenigstens in einem erweiterten Sinn von einem  "Empfindungsraum"  gesprochen werden kann. Pflegen wir doch auch in Bezug auf das Zeitkontinuum von Räumen ("Zeiträumen") zu reden und finden in der neuesten Geometrie den Namen "Raum" auf Fiktionen von beliebig vielen Dimensionen angewandt.

In dieser unbestimmten Weise nur will ich den Ausdruck verstanden wissen, wenn ich jetzt, das Ergebnis unserer Betrachtung in das Wort fasse: daß jedenfalls (und vom empiristischen Standpunkt nicht minder als vom nativistischen)  in einer Art räumlicher Kategorie das Individuationsprinzip der sinnlichen Qualitäten erblickt werden müsse. 



4. Wie im Weltraum Stoff für Stoff, so erweist  Qualität  für Qualität in diesem Sinnesraum sich undurchdringlich.

Auf den verschiedensten Sinnesgebieten stoßen wir auf Fälle, wo sichtlich Qualität die Qualität verdrängt. Auf dem des Gesichts gehören insbesondere die so auffallenden Erscheinungen des Wettstreits der Sehfelder hierher.

Und gerade diese Undurchdringlichkeit ist es dann auch, welche den Sinnesraum im Unterschied von anderen Momenten der Empfindung zum Individuationsprinzip der sinnlichen Qualität geeignet macht.

5. Dennoch wurde die Undurchdringlichkeit der Qualitäten im Sinnesraum von mehr als einem achtbaren Forscher in Abrede gestellt. Und zwar waren es gewisse  Fälle  multipler Qualität (Mehrklänge, Nuancen, welche in mehrere Farben spielen und dgl.), welche Manchen an die Möglichkeit einer Wechseldurchdringung glauben ließen.

Andere freilich zogen es vielmehr vor, hier die Multiplizität selbst für nicht vorhanden zu erklären. Die Versuchung, sie anzunehmen, sollte teils darauf beruhen, daß gewisse einfache Qualitäten in Beziehung zu mehreren anderen, zwischen denen sie eine Art mittlerer Stellung einnähmen, charakterisiert und benannt würden, teils darauf, daß sie komplizierte Vorbedingungen haben, von denen gewisse Teile, auch wo sie allein gegeben sind, gewisse Qualitäten, und der eine diese, der andere jene, in der Empfindung enstehen lassen.

Doch der Schein von Vielfältigkeit tritt in genannten Fällen viel zu mächtig auf, als daß solche Hypothesen zu seiner Erklärung genügten. Unter Anwendung des Satzes: "qui nimium probat, nil probat" [Wer zuviel beweist, beweist nichts. - wp] kann man sie auf das Handgreiflichste widerlegen.  Die Multiplikation besteht ohne allen Zweifel wirklich. (2)

6. Wenn aber nicht auf diese, so kann man auf eine andere und sehr einfache Weise solche Erscheinungen mit dem Gesetz der Undurchdringlichkeit in Einklang zu bringen. Man braucht nur daran zu erinnern, daß es  für die Merklichkeit eine Schwelle gibt. So wird dann auch bei der Kollokation  [Anordnung - wp]  verschiedener Qualitäten im Empfindungsraum eine Unmerklichkeit der Abstände, und ebenso eine zwischen mehreren Qualitäten in unmerklich kleinen Teilen wechselnde Empfindung möglich sein, bei der die Vielfältigkeit der Teile im Ganzen, nicht aber die Besonderheit ihrer Verteilung im Einzelnen dem undeutlich Apperzipierenden sich verrät. 

Dieser Gedanke löst, wie man leicht erkennt, ohne jeden Zwang das ganze Rätsel. Und damit fällt der Einwand.

7. Daß die Mehrkläng, die multiplen Farben und die anderen verwandten Erscheinungen, wirklich so zu dueten sind, läßt sich in gewissen Fällen  direkt experimentell bestätigen.  Bei Gehörsempfindungen und Empfindungen niederer Sinnesgebiete knüpft sich an den Umstand, daß sich der Lokalisationsunterschied bei aufeinanderfolgenden Erscheinungen mehr als bei gleichzeitigen bemerkbar macht, die Möglichkeit einer solchen Kontrolle; bei Gesichtsempfindungen gibt die Beobachtung des Wettstreits der Sehfelder in seinen mannigfachen Formen und Übergängen von vollkommener einseitiger Verdrängung zu vollkommener beiderseitiger Vermengung in der Doppelfarbe zur Verifikation Gelegenheit.

8. Der Aufschluß, den man so über das Wesen der multiplen Qualität gewinnt, gibt Licht auch für andere Fragen.

Auf dem Gebiet des Gesichts leistet er uns bei der Forschung nach der  Art und Zahl der Grundfarben  die wesentlichsten Dienste; war man doch gerade hier am öftesten an der Multiplizität ganz irr geworden und verdammte von vornherein jeden Versuch einer psychologischen Analyse.

Auf dem Gebiet des Gehörs hat die bald größere, bald geringere Leichtigkeit, eine Tonverbindung als solche zu erkennen, zur Forschung nach den Gesetzen der  "Verschmelzung Anlaß gegeben. So Dankenswertes hier geleistet worden ist, gar manches bleibt der Erklärung bedürftig. Die neue Auffassung erweitert wesentlic den Kreis der Erklärungsmittel.

Eine der interessantesten Fragen auf dem Gebiet der Empfindung ist die, ob und inwieweit sich  auf verschiedenen Sinnesgebieten analoge Verhältnisse  zeigen. HELMHOLTZ, in seiner Schrift "Von den Tatsachen in der Wahrnehmung", vermißt solche, was die multiplen Erscheinungen betrifft, für unsere zwei vornehmsten Sinne vollständig. Die neue Auffassung weist nach, daß sie bestehen, und daß, was von Differenz übrig bleibt, sich (von rein physiologischen Vorbedingungen abgesehen) auf Gradunterschiede der Deutlichkeit der Lokalisation zurückführt. So gewiß das Resultat, zu dem HELMHOLTZ gekommen, höchst befremdlich war, so gewiß hat die neue Auffassung, indem sie es durch vorgängig Wahrscheinliches ersetzte, dadurch ihre eigene Wahrscheinlichkeit erhöht.

Das Wichtigste aber, was sich aus der Aufhellung der Natur der multiplen Sinnesqualität ergibt, ist die  Sicherung des Gesetzes der Undurchdringlichkeit selbst gegen jeden Einwand.  Man spricht von einer Enge des Bewußtseins, indem man im Allgemeinen längst bemerkt hat, daß vielmehr von Seelentätigkeit potentiell und habituell sozusagen in uns schläft, als aktuell lebendig ist. Die Undurchdringlichkeit der Qualitäten in dem Empfindungsräumen fügt hier nähere Bestimmungen hinzu. Schon auf dem Gebiet der Empfindung besteht eine solche Enge, indem jede Empfindung gewisse andere, die statt ihrer sein könnten, solange sie selbst besteht, gesetzmäßig unmöglich macht.

9.  Wie erfüllte, so werden auch leere Stellen im Sinnesraum im Einzelnen unmerklich sein können, während sie, weil sie zahlreich sind, in ihrer Gesamtheit die Erscheinung merklich beeinflussen. 

Wenn bei irgendeiner Empfindung der subjektive Raum des Gesichtssinnes schachbrettartig mit unmerklich kleinen roten und blauen Feldern erfüllt würde, so würde man nach dem früher Erörterten in Bezug auf das Ganze nicht mehr bemerken, als daß es an beiden Farben gleichmäßig teilhabe, und es würde so als ein mittleres Violett erscheinen. Denken wir dagegen jedes zweite Feld vollkommen leer, so wäre der blaue Stich des Violett verschwunden, und nur die Rötlichkeit bliebe (ungeschwächt sowohl als unverstärkt) bestehen. Dem undeutlich Apperzipierenden würde das Ganze dann rein rot, aber dennoch im Vergleich mit dem Fall lückenloser Erfüllung mit dieser Farbe nicht entfernt so stark gerötet erscheinen. Es böte sich, wenn auch rein rötlich, doch eigentlich nicht rötlicher als das zuvor erschienene Violett.

Wegen der Erscheinung des Dunkels bei mangelndem Lichtreiz und wegen der Gesetze des simultanen Kontrastes und der Lichtinduktion kann es beim Gesichtssinn zu solchen phänomenal leeren Stellen nicht kommen. Bei allen anderen Sinnen aber sind sie recht wohl denkbar.  Und so hindert also nichts, bei diesen die verschiedenen Grade der Intensität wirklich auf ein Mehr und Minder von Voll und Leer zurückzuführen, also die Intensität als ein gewisses Maß an Dichte der Erscheinung im allereigentlichsten Sinn zu begreifen. 

Durch eine solche Annahme würde man mit der hergebrachten Anschauung über die Empfindungs-Intensität vollkommen brechen. Nach ihr war die Intensität, ähnlich der Qualität, Räumlichkeit usw., ein besonderes determinierendes Moment, das mit den andern zum Konkretum der Erscheinung verwuchs. Es zeigt sich, daß die Annahme eines solchen besonderen Moments entbehrlich ist.

Wenn aber entbehrlich,  dann, nach dem Prinzip: "entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem" [Entitäten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden. - wp],  sofort auch unzulässig;  insbesondere wenn sich - und man wird finden, daß dem wirklich so ist - kein einziger Fall aufweisen läßt, auf welchem die oben versuchte Deutung nicht anwendbar wäre. Kann man die Intensitätsunterschied durchweg auf räumliche Differenzen zurückführen, so wird die Intensität, ähnlich der Klangfarbe nach ihrer Rückführung auf verschiedene Töne der Skala und dgl., als besondere Kategorie zu entfallen haben.

10. In Wahrheit,  nur auf einem Sinnesgebiet würde die neue Auffassung der Intensitätsunterschiede unanwendbar sein: auf dem des Gesichts und aus den eben angeführten Gründen. Phänomenal leere Stelle sind hier gesetzmäßig ausgeschlossen. Aber siehe da!  dieses Gebiet ist es, wo, wie  HERING  hervorhob, die Intensitätsunterschiede tatsächlich vollständig fehlen. 

Nach der herkömmlichen Auffassung im höchsten Grad auffallend, nach der unsrigen als notwendige Konsequenz gefordert: kann es etwas geben, was deutlicher zeigte, wie sehr diese vor jener den Vorzug verdient?

11. Doch auch noch eine Reihe weiterer Momente kommen bestätigend hinzu.

Bei der Herabminderung des Reizes tritt bei den anderen Sinnen eine Herabminderung der Intensität der Empfindung, beim Lichtsinn aber statt ihrer eine  Verdunkelung  ein. Aus Rot wird z. B. ein Schwarzrot oder Rotschwarz (wie man statt des üblichen Ausdrucks "Rotbraun" nicht unpassend sagen könnte). Was das heißt, hat unsere Erörterung über die multiplen Qualitäten dargetan. Es ist das Schwärzlichwerden als eine Vermengung der früher allein gegebenen roten Farbe mit der schwarzen in unmerklich kleinen Flecken zu begreifen.

Wie kann es denn aber zu solchen schwarzen Flecken kommen? - Wir wissen es. Das Schwarz tritt auf, wo ein Teil des Gesichtsraums, was den Lichtreiz anlangt, nicht mehr erfüllt sein würde. Das ist, was eine altbekannte Eigentümlichkeit des Gesichtssinns durchgängig verlangt. Wir sehen also, wenn diese Eigentümlichkeit des Gesichts nicht bestände, so so hätten wir auf dem Gebiet dieses Sinnes in Folge der Herabminderung des Reizes wirklich Lücken, und somit, nach dem, was wir dargetan haben, auch wirklich eine Erscheinung herabgeminderter Intensität in Folge bloßer Lücken. Nun besteht bei den anderen Sinnen eine analoge Eigentümlichkeit wie die des Gesichtssinns nicht. Dagegen tritt bei ihnen die Herabminderung der Intensität in dem betreffenden Fall wirklich ein. Was könnte uns deutlicher darauf hinweisen, daß diese Herabminderung der Intensität bei ihnen wirklich auf  Lücken (wie beim Gesichtssinn eingetreten, aber nicht wie beim Gesichtssinn subjektiv ausgefüllt)  zurückzuführen ist?

12. Wiederum, die Verdunkelung bei Herabminderung des Lichtreizes ist, genau besehen, keine reine Annäherung an Schwarz; vielmehr erscheinen die Farben zugleich  durch andere Farbentöne verunreinigt,  und bei starker Herabsetzung des Lichts schwimmt im ganzen Spektrum schließlich alles trüb und schwankend ineinander.

Auch dies läßt sich aufgrund der Hypothese der durch Lichtreiz gelassenen Lücken unter Berücksichtigung des  simultanen Kontrastes,  dessen ich schon als eines hier zu beachtenden Moments gedachte, deduktiv als notwendig erweisen. So werden wir dann nun noch stärker zu ihrer Annahme gedrängt. Dann aber gilt für die anderen Sinne, wo es keinen simultanen Kontrast gibt, dasselbe wie in dem unmittelbar zuvor dargelegten Argument.

13. Ferner, wen wir mehrere Töne mit mäßiger Stärke zusammenklingen lassen, so erscheint uns der  Mehrklang als Ganzes intensiver als jeder einzelne Ton in ihm.  Kein Unbefangener wird dies verkennen, zumal, wenn er beachtet, daß es sich nicht um die Stärke, die der Ton etwa haben würde, wenn die für seine Erregung aufgewandte Kraft allein wirkte, sondern um diejenige handelt, mit welcher er jetzt, wo gleichzeitig andere erregt werden, als einer von den Teilen des Mehrklangs auftritt.

Nach der traditionellen Auffassung der Intensität erscheint aber diese Tatsache, die, weil gelegentlich leicht zu beobachten, schier jedermann bekannt ist, völlig unbegreiflich. Nur den einzelnen Tönen im Mehrklang, nicht aber dem Mehrklang als Ganzem dürfte nach ihr eine Intensität zugeschrieben werden; oder wenn es sich einer doch irgendwie erlauben wollte, hier ungenau von einer Intensität des ganzen Mehrklangs zu sprechen, so dürfte es doch nur etwa so geschehen, daß er dem Mehrklang eine dem Durchschnitt aller darin enthaltenen Intensitäten entsprechende, also mittlere Intensität beilegte. Das aber ist, was gewiß noch niemand eingefallen ist.

Dagegen ist es von unserem Standpunkt auf das Klarste einleuchtend, daß auch dem Mehrklang selbst erstens eine  eigentliche  und zweitens eine  höhere  Intensität als den einzelnen darin enthaltenen Tönen, ja  eine geradezu aus ihren Intensitäten zusammengesetze Intensität  zukommen muß.

Ganz Ähnliches finden wir auf dem Gebiet des Gesichtssinnes.

Wenn HERING sagt, daß die Farbenerscheinungen keine Intensitätsunterschiede zeigen, so ist die in gewissem Sinne, und in dem, welchen er im Auge hat, wahr; in gewissem Sinne dagegen falsch und entschieden entgegen der Erfahrung.

Nehmen wir an, wir hätten drei Farbphänomene: ein reines Rot, ein reines Blau und ein gesättigtes mittleres Violett, so lehrt HERING mit Recht, daß die Intensität dieses Rotblau, als Ganzes betrachtet, von der Intensität jener neben ihm gegebenen einfachen Farben nicht verschieden sein würde. Aber auch im Rotblau bestehen (wir haben es bewiesen) die zwei Farben, Rot und Blau, in aller Wahrheit inhaltlich beschlossen. Und von diesen muß offenbar zugestanden werden, daß sie hier beträchtlich schwächer, als wo sie rein gegeben sind, erscheinen. (Die Gleichheit der Qualität macht die Vergleichung der Intensitäten besonders leicht und sicher.)  Aus den geringeren Intensitäten der beiden Elemente, Rot und Blau, setzt sich also hier die größere und der Intensität des reinen Rot und reinen Blau gleiche Intensität des Violett zusammen. 

Wir sehen, daß der Fall der Mehrfarbe mit dem früher betrachteten des Mehrklangs wesentlich verwandt ist. So ist er dann auch ebenso wie jener nach unserer Auffassung der Intensität ganz selbstverständlich; nach der hergebrachten dagegen würde er, unter Anerkennung des wirklich multiplen Charakters der Farbe, schlechterdings unmöglich erscheinen.

14. Doch auch weiter noch und unter einem wesentlich anderen Gesichtspunkt zeigt sich die neue Auffassung der Intensität der herkömmlichen gegenüber in entscheidender Weise im Vorteil.

So gewiß wir zwischen der empfindenden Tätigkeit und dem, worauf sie gerichtet ist, als zwischen Empfinden und Empfundenem, zu unterscheiden haben (und sie sind so sicher verschieden, als mein gegenwärtiges Mich-Erinnern und das Ereignis, das mir dabei als vergangen vorschwebt, oder, um einen noch drastischeren Vergleich anzuwenden, mein Hass eines Feindes und der Gegenstand dieses Hasses verschieden sind): so unzweifelhaft ist es doch, daß die  Intensität des Empfindens und des Empfundenen, die Intensität des sinnlichen Vorstellens und des sinnlich Vorgestellten immer und auf das Genaueste einander gleich  sein müssen. LOTZE hat dies, nachdem er von gewisser Seite verkannt worden war, mit Nachdruck hervorgehoben.

Aber so sehr diese Tatsache gesichert ist, so wenig bietet die hergebrachte Auffassung der Intensität dafür eine Erklärung. Ja schon das muß nach ihr höchst befremdlich erscheinen, wie man bei so ganz heterogenen Dingen, wie einer psychischen Tätigkeit und einem im Sinnesraum auftretenden physischen Phänomen mit solcher Bestimmtheit von genauer Gleichheit zu sprechen wagt, während gemeinhin schon ein bloß spezifischer Unterschied unserer relativen Schätzung von Intensitätsgraden viel von ihrer Zuversicht nimmt.

Unsere Auffassung der Intensität erklärt auch hier alles auf das Einfachste.  Da nämlich jedem Teil des erfüllten Sinnesraums ein darauf bezüglicher Teil unseres Empfindens entspricht, so entspricht auch jedem leeren Teil desselben eine teilweise Privation von Empfindung. Ist jene leere Stelle eine unmerklich kleine Lücke, so ist auch die entsprechende teilweise Privation von Empfindung ein unmerklicher Entfall. Jeder sieht, wohin das in weiterer Konsequenz führt. Wen die kleinen Lücken, im Einzelnen unmerklich, im Ganzen merklich werden, so wird dasselbe bezüglich der entsprechenden teilweisen Privationen von Empfindung gelten. Und wie das Verhältnis zwischen Voll und Leer, so wird auch das zwischen Aktualität und Privation von Empfindung sein. Ein und derselbe Bruch bezeichnet das Maß der Verwirklichung auf dem einen wie auf dem anderen Gebiet; d. h. sie bestehen genau in gleicher Stärke. Die Auffassung ergibt also als notwendige Konsequenz genau das, was tatsächlich vorliegt, und bewährt sich also auch hier im Gegensatz zur hergebrachten auf das Vollkommenste.

15. Und nun nach so vielen nur noch  einen  Punkt, wo sich die neue Auffassung im Vorteil erweist, und wo sie, wie ich hoffe, jedem bei vervielfältigter Prüfung in vervielfältigter Weise sich bewährend, weiterhin aufklärend wirken kann.

Wie die hergebrachte Meinung über die Intensität dazu verleiten konnte, dem Empfinden eine der Intensität des Empfundenen ungleiche und unabhängig von ihr variierende Intensität zuzschreiben, so auch, eine Intensität für psychische Akte anzunehmen, die sich auf etwas, was gar nichts von sinnlicher Qualität und Kontinuität enthält, beziehen. Ja ganz  allgemein hat sich die Ansicht festgesetzt, daß eine psychische Betätigung ohne irgendwelche Intensität einen Widerspruch involvieren würde.  Eine Null von Intensität, meint man, müsse für die psychische Tätigkeit selbst den Nullpunkt bilden.

Danach käme dann z. B., auch wenn wir einen Begriff wie Wahrheit, Beziehung, Zukunft oder irgendeinen Zahlbegriff denken, diesem Denken immer eine Intensität zu. Und ebenso wäre jedem Urteilsakt und jeder Gemütstätigkeit, dem ruhigen Vorsatz nicht minder als dem aufgeregten Affekt, stets eine gewisse Intensität eigen.

Doch, während beim Empfinden die Intensität des Empfindens von der des Empfundenen abhängig ist,  konnte beim Denken jener Begriffe eine ähnliche Abhängigkeit seiner Intensität von der im Inhalt Gedachten beschlossenen nicht angenommen werden.  Denn was z. B. fände sich in der Zahl  3,  das der Intensität eines Schalles oder Geruches verwandt wäre? -  Und so kam man also zu der seltsamen Meinung, daß,  während jegliches Empfindendene nur mit  einem  bestimmten Grad von Empfinden empfunden werden könne,  jedwedes Denkbare mit jeder beliebigen Intensität  des Denkens gedacht zu werden vermöge.

Dieser befremdliche Gegensatz hätte für sich allein schon darauf aufmerksam machen können, daß man sich hier in irrigen Bahnen bewegt.

Es ist wahr, auch nach unserer Auffassung der Intensität wird hier ein gewisser Gegensatz bestehen müssen; aber es wird keiner sein, der befreunden kann, da er sich vielmehr mit Notwendigkeit aus der Natur der Sache selbst ergibt.

Wie unsere Auffassung erklärt, warum das Empfinden mit dem Empfundenen der Intensität nach übereinstimmt, so verlangt sie auch, daß, wo der innere Gegenstand einer psychischen Tätigkeit, auch diese selbst der Intensität ermangelt.  Nach unserer Auffassung wird also z. B. das begriffliche Denken, und ebenso, was von Urteilsakten und Gemütstätigkeiten darauf basiert ist, im Gegensatz zum Empfinden niemals auch nur im geringsten an einer Intensität teilhaben können.

Und das ist es dann auch, was die Erfahrung dem Unbefangenen bezeugt.  Von einer Intensität ist im Denken des Begriffs  3  so wenig als in dessen Inhalt etwas zu entdecken. Auch beim Urteil  1 + 1 = 2  ist in der urteilenden Tätigkeit so wenig als im Inhalt dessen, worüber geurteilt wird, eine solche wahrzunehmen. Das Urteil wird mit höchster Zuversicht gefällt, aber diese Zuversicht ist nichts, was mit der Stärke einer Gehörsempfindung bei dröhnendem Paukenschlag irgendeine Verwandtschaft hätte. Und wieder findet man dieselbe nicht, wenn man sich etwas (und wäre es auch noch so fest und bestimt) zu tun vornimmt. Anders ist es, wenn man statt einer solchen (um mit HUTCHESON zu sprechen) ruhigen Gemütstätigkeit einen Affekt ins Auge faßt. Doch dann liegt auch etwas vor, was ebenso wie die Empfindungsvorstellung zu sinnlichen Phänomenen in Beziehung steht. Wer sich der Täuschung hingeben kann, daß sich ein höherer Grad von Festigkeit des Vorsatzes als ein höherer Grad von Intensität im Bewußtsein darstellt, bei dem wäre es auch nicht zu verwundern, wenn er sich auch noch einbildete, die größere Festigkeit und Nachhaltigkeit einer Ideenverbindung als höheren Intensitätsgrad in dieser Tätigkeit zu unterscheiden.

Gewiß gibt es ein Mehr und Minder bei jeder Art von Denken und Wollen, wie z. B. wenn die Urteile sich vervielfältigen und die Willensbeziehungen bei einem verwickelten Plan zahlreicher werden. Aber hier wächst offenbar nicht eine stetige Größe, sondern es kommt wie beim Zählen Einheit zu Einheit hinzu. So würde sich dann, wer diese Art von Mehr und Minder für einen Intensitätsunterschied nähme, einer gar gröblichen Verwechslung schuldig machen.

Auch das ist richtig, daß es auf jedem psychischen Gebiet Erscheinungen gibt, die verschieden merklich oder (was dasselbe sagt) verschieden auffällig sind. Aber was heißt das anderes, als daß die eine mehr, die andere weniger Chancen hat bemerkt zu werden? Über das Warum dieses Mehr und Weniger ist damit nichts bestimmt. Es mögen dabei sogar Faktoren, die für uns gar nicht zur Erscheinung kommen, einen Einfluß ausüben. Zwei Phänomene, die ungleiche Chancen haben bemerkt zu werden, daraufhin Größen und Größenunterschiede anzudichten, das ist ein Verfahren, das in aller und jeder Beziehung ungerechtfertigt erscheint.

So bestätigt dann auch hier vielmehr alles die neue Auffassung, und die Erklärung der Intensitätsunterschiede der Empfindung aufgrund der Annahme unmerklich kleiner Lücken in der sinnlichen Erscheinung erscheint nach dem allem nicht minder als die der multiplen Qualitäten aufgrund von Kollokationen in unmerklichen Abständen gesichert. Auch bemerkt man leicht, wie die beiden Erklärungen sich gegenseitig fordern.

Sind sie richtig, so erkennt man, mit wie gutem Grund DESCARTES seiner Zeit auf den Unterschied von deutlicher und undeutlicher Perzeption als einen der psychologisch wichtigsten aufmerksam gemacht hat. In der Tat, würden wir nicht die sinnlichen Erscheinungen mit unvollkommener Deutlichkeit perzipieren, so würden wir statt eines Scheins von Intensitätsunterschied und Wechseldurchdringung, nur Besonderheiten der Kollokation [Anordnung - wp] in unserem Bewußtsein vorfinden.



16.  Besonderheiten der Kollokation!  - das war der Gedanke, der, indem ihn die Physik auf den Unterschied leichterer und schwerer Stoffe, und die Chemie auf ihre Mischungen anwandte, eine  anschauliche Klarheit  brachte, deren Mangel sich früher sehr unangenehm fühlbar gemacht hatte.

Auch auf unserem Gebiet war  bisher fast alles in einer Bedenken erregenden Konfusion. 
    1) Schon über die Frage,  ob die Intensität eine Größe ist,  konnte man sich nicht recht klar werden. HERBART führte dafür an, daß sie ein Mehr und Minder zeigt. Aber GAUSS verwarf dies, als zum Größenbegriff ungenügend. Eine Größe sei vielmehr das, worin gleiche Teile (wie in der Zahl die Einheiten, im Schuh der Zoll) zu unterscheiden sind. FECHNER glaubte solche gleiche Teile der Reihe nach in den ebenmerklichen Unterschieden bei der Intensitätssteigerung aufzuweisen. Aber den Beweis, daß jeder ebenmerkliche Unterschied dem andern gleich ist, hat er nie erbracht. Auch schien es manchem, daß mit der Zusammensetzung eines Abstandes von Intensitäten aus mehreren einander gleichen kleineren Abständen, die Zusammensetzung der Intensitäten selbst aus mehreren einander gleichen kleineren Intensitäten selbst aus mehreren einander gleichen kleineren Intensitäten durchaus nicht erwiesen sei. Dazu müßte sozusagen wie Stockwerk über Stockwerk, ein Teil der Intensität auf dem anderen aufgebaut unterschieden werden. Auch habe E. H. WEBER selbst eine solche Zusammensetzung einer Intensität aus mehreren Intensitäten nie behauptet. (3)

    Nach der neuen Auffassung erscheint der Zweifel über den Größencharakter der Intensität vollständig behoben. Die Intensität ist eine Größe, so gewiß sie das Maß der Dichte der sinnlichen Erscheinung ist. Und in Fällen multipler Qualität sind gewisse Intensitätsurteile, aus welchen sich das Ganze der Intensität zusammensetzt, indem jeder einer anderen Qualität zugehört, deutlich zu unterscheiden. Wenn wir im Violett einer gleichstarken Stich ins Rote und Blaue bemerken, so haben wir mit derselben Deutlichkeit auch zwei gleiche Teile unterschieden, aus denen sich die Intensität des Violett zusammensetzt. Ähnlich ist es bei einem Doppelklang, in welchem jeder der beiden Töne in gleicher Stärke vertreten ist.

    2) Ebensowenig war die Frage geklärt,  warum die Intensität, wie eine untere, auch eine obere Grenze habe.  Die unbesiegbare Schwierigkeit, die Erscheinung über ein gewisses Maß zu steigern, zeugte wohl für ihre Existenz. Aber während die untere Grenze durch die Natur der Sache gefordert erschien, neigte man hinsichtlich der oberen dazu, die an und für sich ins Unendliche zu steigernde Intensitä nur durch das subjektive physiologische Kraftmaß beschränkt zu denken. Nur wenn man (was freilich von uns überhaupt nicht gebilligt werden konnte) die Überzeugungsgrade des Urteils dem Intensitätsbegriff mitunterstellte, machte man, aller Analogie entgegen, die entgegengesetzte Annahme, wie ja auch bei der Probabilitätsrechnung alle Wahrscheinlichkeiten als Brüche zwischen Null und Eins beschlossen sind.

    Nach der neuen Auffassung geht für die Empfindungen die Notwendigkeit einer oberen Intensitätsgrenze ebenso klar wie die Notwendigkeit einer unteren aus der Natur der Sache selbst hervor. Wenn alle Lücken ausgefüllt sind, so ist das äußerste denkbare Maß von Intensität erreicht.

    3) Wiederum, wenn man bisher die Frage aufwarf,  ob bei Sinneserscheinungen von verschiedener Modalität im gleichen oder nur in einem analogen Sinn  von Intensität gesprochen werden könne, so kam man auch hier über den Zweifel nicht hinaus. Viele, ja die meisten neigten dazu, wie bei Hell und Dunkel, Sättigung und Ungesättigtheit, wenn die Ausdrücke innerhalb verschiedener Grundklassen angewandt werden, auch bezüglich der Intensität nur an eine Analogie zu glauben, und  den,  der einen Schall, mit einem Geruch verglichen, schwächer oder stärker nennen wollte, für ebenso töricht zu erklären wie  den,  welcher die Länge eines Jahres mit Schuh und Zoll messen zu können glaubte. Andererseits fühlte man sich aber doch fort und fort versucht, das, was so töricht sein sollte, wirklich zu tun, und z. B. wo es sich um einen sehr intensiven Geruch und ein kaum merkliches Geräusch handelte, den ersten für ungleich stärker zu erklären.

    Die neue Auffassung hebt diesen Widerstreit zwischen dem Ergebnis der Überlegung und dem unmittelbaren Drang. Nach ihr erscheint dieser Drang vollberechtigt. Alles, was die Intensität betrifft, führt sich ja nun auf die Proportion zwischen der Ausdehnung des Vollen und Leeren in den undeutlich vermengten Teilen der Sinnesräumlichkeit zurück. Und selbst vom empiristischen Standpunkt, obwohl dieser die Sinnesräumlichkeit bei jedem anderen Sinn heterogen [ungleichartig - wp] denken mag, stellt es sich daraufhin heraus, daß jede Intensität zu jeder anderen in einem Größenverhältnis stehen müsse.

    4) Ein anderer Punkt, wo die bisherige Auffassung der Intensität zu mannigfacher Konfusion geführt hat, wurde schon von uns berührt. Es war die Frae über das  Verhältnis des Empfindens zum Empfundenen. 

    Wie das Empfundene eine Intensität hat, so auch das darauf bezügliche Empfinden. Ist nun die Intensität des einen immer der des andern gleich? - Wir sahen, wie manche dazu kamen, das Gegenteil anzunehmen. Diejenigen aber, die sich nicht entschließen konnten, die Möglichkeit einer Verschiedenheit der Intensität zwischen Empfinden und Empfundenem zuzulassen, fielen daraufhin vielfach in den Fehler, statte iner für sie unerklärbaren Gleichheit nunmehr geradezu eine Identität anzunehmen. So wurde dann die  wichtige Differenz zwischen primärem und sekundärem Objekt der Empfindung gänzlich von ihnen verkannt. 

    Wir sahen, wie die neue Auffassung, ohne solche Gewaltmittel anzuwenden, die notwendige Gleichheit der Intensität für Empfinden und Empfundenes und überhaupt für jede psychische Tätigkeit und ihr inneres Objekt, wo immer dasselbe selbst einer Intensität teilhaft ist, auf das Leichteste erweist. Auch dieser Anlaß zur Konfusion ist also jetzt behoben.

    5) Ähnliches zeigt sich für den  Widerstreit, in welchen die Psychologen hinsichtlich der Intensität der Gesichtserscheinung geraten sind.  Die längste Zeit wurden hier ganz allgemeine die Helligkeitsunterschiede für Intensitätsunterschiede erklärt. Diejenigen aber, die dies als unzulässig verwarfen, außerstande, andere Intensitätsunterschiede beim Gesicht namhaft zu machen, haben daraufhin diesem Sinn die Partizipation an der Intensität ganz abgesprochen. War jenes eine Konfusion, nicht geringer, als wenn man auf dem Tongebiet Hoch und Tief mit Laut und Leise identifizieren würde, so war dieses Paradoxon, zu dessen Annahme sich niemand recht entschließen konnte.

    In Wahrheit ist HERING, als er sich das hohe Verdienst erwarb, als der Erste auf jene Verwechslung aufmerksam zu machen und den Mangel der Intensitätsunterschiede auf dem Gebiet der Gesichtsempfindung zu konstatieren,  zu weit gegangen,  indem er daraufhin die Intensität selbst für die Erscheinungen des Gesichtssinnes leugnete. Doch vom Standpunkt der alten Auffassung der Intensität erschien dieser Satz schier wie ein notwendiges Korollar [Geschenk - wp]. Denn eine volle Gleichheit findet sich in der Welt zu selten, als daß es tunlich erschiene, sie ohne ersichtlichen Grund für ein weites Gebiet von Erscheinungen als und ohne Ausnahme in voller Strenge bestehend zu betrachten.  Doch den Grund, der sich für  HERING  nicht zeigte, läßt die neue Auffassung sofort hervortreten,  indem sie (wir haben es gesehen) die Gleichheit samt allem anderen, was hier von Besonderheiten des Gesichtssinns gefunden wird, als notwendige Konsequenz altbekannter Gesetze erweist.
So erscheint es dann wohl auch  zweifellos, daß mit der Annahme der neuen Auffassung der Intensität auch die wichtige Wahrheit, die in  HERINGs  Aufstellung liegt, endlich einmal zu allgemeiner Geltung gelangen, und die Konfusion, die er hier auf optischem Gebiet in der Sinnespsychologie beseitigen wollte. wirklich behoben werden würde. 

17. Da hätten wir dann also etwas von dem Segen, den die Einführung einer anschaulichen Vorstellung wie anderwärts auch hier in rascher Folge erhoffen läßt.
Und wie viel anderes dürfen wir uns nicht versprechen! Kann doch die volle Entfaltung zu allen Konsequenzen auch bei der anschaulichsten Hypothese niemals die Sache eines Augenblickes sein.

 Wenn die Meinung allgemein zu Fall käme, daß ebenso wie der Empfindung auch jeder anderen psychischen Tätigkeit eine Intensität eignet, so wäre das etwas, was weithin Einfluß ausüben müßte.  Wie sehr hat sie sich nicht als Dogma festgesetzt! wie allgemein wird sie nicht geteilt! Hätte HERING nicht Widerspruch erhoben, man könnte - in der Psychologie ein gar seltener Fall - geradezu von Einmütigkeit reden. Und vielleicht trug der Verstoß seiner These gegen diese  Sententia inter communes communissima  [Gefühl der allgemeinsten Allgemeinheit - wp] ganz besonders dazu bei, sie trotz ihrer vollkommenen relativen Berechtigung so allgemein anstößig erscheinen zu lassen. So wird sich dann freilich auch gegen unsere Aufstellung dasselbe Vorurteil mächtig stemmen.

18. Doch wenn das Vorurteil, daß die Erde still steht, schließlich hat weichen müssen,  so wird auch dieses nicht unbesiegbar sein. 

In dem schon besprochenen Fall, wo es sich darum handelt, die Konfusion der Intensität mit der Helligkeit zu beheben, wird es, direkt wenigstens, keinen Einfluß mehr üben, da wir, wenn wir die falsche Intensität verwerfen, eine wahre als vorhanden aufweisen. Das wird der Aufnahme günstig sein. Auch muß das deutliche Hervortreten dessen, was hier wahrhaft als Intensität besteht, namentlich in der wechselnden Größe ihrer einzelnen Teile, den Mangel des Anspruchs, den die Helligkeit auf den Namen hat, vollends auffällig machen.

Hat man aber hier einmal seine Ansicht allgemein berichtigt, so wird das weitere Folgen haben.

Solange man so wesentlich verschiedene Dinge wie Laut und Leise und Hell und Dunkel mit dem gleichen Namen benannte, war es nur konsequent, wenn man hinsichtlich der Anwendbarkeit des Intensitätsbegriffs auf verschiedenen Sinnesgebieten nur an Analogie glaubte.  Der  Ausdruck galt also als  äquivok  und konnte darum auch für die Frage, ob noch anderwärts und noch außerhalb des sinnlichen Gebietes im wahrsten Sinne des Wortes eine Intensität vorhanden sei, kein präzises Kriterium abgeben.

Auch von diesem Gedanken bloß analoger Einheit des Terminus wird man nunmehr zurückkommen und dann  in einem unzweideutigen und scharfmarkierten Begriff einen verlässigeren Prüfstein besitzen. 

Die Erfahrung, daß man auf dem Gebiet des Gesichts so allgemein etwas für Intensität hatte nehmen können, was keine war und gar keine tiefere Verwandtschaft damit hatte, wird aber nun zu einer weiteren Selbstprüfung auffordern. Sie wird den Gedanken nahe legen,  daß ähnliches wie hier auch anderswo  geschehen sein möge.

Und wie leicht wird man dann die Vermutung bewährt finden! war man doch, wenn man in willkürlichster Weise hier einen Überzeugungsgrund, dort einen Grad der Merklichkeit, dort wieder, wer weiß was alles anderes, als Intensität der Erscheinung gelten ließ,  längst mit sich selbst in Widersprüche geraten. 

Ist es z. B. nicht offenbar, daß jedem Urteil, bei welchem der Überzeugungsgrad die Intensität sein sollte, ganz ebenso gut wie anderen psychischen Funktionen auch ein Grad von Merklichkeit zukommt? - Wer könnte das verneinen? - Daß aber dieser nicht mit dem Überzeugungsgrad des Urteils wachse und abnehme, das dürfte sich aus der Tatsache, daß wir Überzeugungen in Menge ganz unbemerkt in uns traen, genugsam erweisen; wie denn der gemeine Mann sehr gewöhnlich von den Prämissen seiner eigenen Folgerungen keine Rechenschaft zu geben fähig ist, während ein quälender Zweifel sich uns auf das Deutlichstes bemerkbar macht. Charakteristisch ist es in dieser Beziehung, daß man sich von Alters her den Skeptikern gegenüber mit Vorliebe gerade auf den Fall des Zweifels berief. "Und wenn mir alles zweifelhaft ist," sagte man, "so bleibt mir wenigstens das  eine  gewiß, daß ich zweifle".

Wenn es sich nun aber hier, sozusagen,  mit Händen greifen läßt, daß man, indem man bisher die Allgemeinheit der Intensität behauptete, fort und fort solches, worin sie unmöglich bestehen konnte, dafür gehalten hat,  so dürfte diese Einsicht nicht wenig den Zusammenbruch des allgemeinen Dogmas selbst erleichtern.  Wäre eine wahre Intensität überhaupt vorhanden gewesen,  noch dazu nicht so, wie es infolge ganz außergewöhnlicher Umstände beim Gesichtssinn der Fall ist, durch vollkommene Gleichheit verschleiert,  so  hätte nicht wohl eine falsche für die schon anderweitig besetzte Stelle als Kandidatin auftreten können. Und so wird dann, glaube ich, das Vorurteil wirklich behoben werden.

19. Was das dann weiter bedeuten wird, ist wohl leicht ersichtlich.

Wieviel hatte nicht die HERBART'sche  Psychologie,  wieviel nicht auch die  Psychophysik  auf dieses Dogma gebaut. All das wird im Sturz mitgerissen werden. Und wir sehen so, wie die Berichtigung eines kleinen Punktes der Empfindungslehre einen weittragenden reformatorischen Einfluß üben wird.

Selbst die  Hypothesen, welche man über das Weltganze aufgestellt  hat, werden davon nicht unberührt bleiben.

Man hat für die beiden Gebiete des Psychischen und Physischen vielfach eine durchgängige Analogie behauptet; den Nachweis dafür freilich nicht erbracht oder auch nur ernsthaft zu erbringen versucht. Man hielt sich ganz im Allgemeinen; und da konnte dann der Gedanke an die Intensität als eine Art Größe, die jedem psychischen, wie die räumliche jedem Körperlichen eigen ist, der ihm zugedachten Rolle genügen.

Behauptete man aber einmal eine durchgängige Analogie von Psychischem und Physischem, warum nicht lieber geradezu ihre Identität behaupten, oder das eine dem anderen einfach substituieren? - In allem dem Physischen analog und in sich selbst allein durch eine evidente Wahrnehmung gewährleistet, muß das Psychische jede hypothetische Annahme eines Physischen überflüssig erscheinen lassen.

So klingt dann unter anderem auch die WUNDT'sche Psychologie in dem Gedanken aus, daß man die Annahme einer physischen Welt, nachdem man ihn eine Zeitlang heuristisch verwertet hat, schließlich wie ein Gerüst fallen lassen könne, wo sich das Ganze der echten Wahrheit als ein rein psychisches Weltgebäude enthüllt.

Dieser Gedanke hatte wohl auch bisher wenig Aussicht, jemals eine greifbare Gestalt und eine Durchbildung ins Einzelne zu gewinnen. Die neue Auffassung der Intensität aber mit ihrem klaren Nachweis, daß eine intensive Größe nichts weniger als universelle den psychischen Tätigkeiten eigen genannt werden kann, macht die Hoffnung, daß es einmal zu einer solchen kommen werde, vollends zunichte.

Den Glauben an den wahren Bestand einer Körperwelt werden wir uns also nicht nehmen lassen,  und er wird für die Naturwissenschaft immer die  Hypothese aller Hypothesen  bleiben.



20. Nur rasch und mit wenigen Worten durfte ich es mir erlauben, hier auf mannigfache Belehrungen hinzudeuten, die uns, und selbst für fernabliegende erhabene Fragen aus einer Klärung der Natur der Sinnesintensität fließen können. Das mag dann freilich - und ich habe hier wohl auf freundliche Nachsicht Anspruch - gar manchen gar manches nicht deutlich oder nicht überzeugend genug erschienen sein.

Aber  eine  Wahrheit von allgemeinster praktischer Bedeutung, welche die Zeitlage und unser gemeinsames wissenschaftliches Streben angeht, dürfte jeder, bei dem die vorausgegangenen eingehenderen Erörterungen über  Individuation, multiple Qualität und Sinnesintensität  ihre Absicht nicht ganz verfehlten, jedenfalls daraus gewonnen oder durch sie aufs Neue bestätigt gefunden haben: sie haben ihm gewiß mit anschaulichster Klarheit gezeigt, wieviel uns noch daran fehlt, daß auch nur die elementarsten Probleme der reinen Psychologie zu einer entsprechenden Lösung geführt wären.

Welcherlei Aufgaben die psychologische Forschung der Gegenwart als die vor allen dringlichsten betrachten müsse, ist hiernach leicht ersichtlich.

Die Methode verlangt, daß man vom Einfacheren zum Komplizierteren fortschreitet. 

Auch winkt der Arbeit hier der reichste Lohn, da jeder Fortschritt in der Erkenntnis des Elementarsten, selbst wenn klein und unscheinbar in sich selbst, seiner Kraft nach immer ganz unverhältnismäßig groß sein wird.  (4)



Diskussion:

Dr. JOSEPH MÜLLER (München): Ich erhebe gegen die Behauptung des Herrn Vortragenden, daß sich die Intensität eines Mehrklangs (Akkord) aus den Intensitäten der Teiltöne und zwar streng additionell zusammensetzt, den Einwand, daß dann bei Mehrklängen aus zwei, drei, vier usw. Teiltönen die Intensität des Zusammenklangs das Doppelte, Drei-, Vierfache usw. betragen wird, also schon bei wenigen Einzeltönen zu einem starken Forte steigen würde. Man kann aber erfahrungsgemäß auch bei einem starken Orchester und bei Zusammenwirkung vieler Instrumente ein Piano erzielen. Das stürzt meiner Ansicht nach die Theorie. Prof. BRENTANO: Leider verfüge ich nicht mehr über die Zeit, um diesem Einwand zu begegnen.
LITERATUR Franz Brentano, Zur Lehre von den Empfindungen, Vortrag gehalten auf dem 3. Internationaler Kongress für Psychologie in München, 4. - 7. August 1896, München 1897
    Anmerkungen
    1) Die Ausdrücke  "Hell", "Dunkel", "Colorit", "Sättigung"  auf dem Gebiet des Gesichts im Besonderen üblich, erscheinen hier durch Analogie auf alle Grundklassen übertragen. Der Ausdruck "Hell und Dunkel" auf das Tongebiet angewandt, deckt sich mit dem, was man hier als "Hoch und Tief" zu bezeichnen pflegt. Ein Klang, dessen Charakter sich dem eines bloßen Geräuschs näherte, wäre dagegen im Vergleich mit einem anderen, bei dem das nicht der Fall ist, eine "weniger gesättigte" Tonempfindung zu nennen. Für das Gebiet des Geschmacks hat in Bezug auf Süß und Bitter schon ARISTOTELES richtig bemerkt, daß sich das eine zum andern wie eine hellere zu einer dunkleren Farbe verhält. Ebenso wurde mir auf mein Befragen von den verschiedensten Personen die kühle Empfindung beim Anblasen der Hand im Vergleich mit der warmen beim Anhauchen mit Bestimmtheit als "hellerer" Eindruck bezeichnet, eine Empfindung von Rauhigkeit aber, wenn man sie mit einem Wärmegefühl vergleicht, wird sich ähnlich wie ein Grau, dem man etwas im engeren Sinn Farbiges gegenüberstellt oder (nach dem, was wir eben sagten) ein bloßes Geräusch, im Unterschied von einem klanghaften Ton, als "ungesättigte Erscheinung erweisen. (Die Beispiele lassen erkennen - doch mag es nicht überflüssig sein, auch ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen - daß ich nicht das, was man "Klangfarbe" genannt hat, als das eigentliche Analogon der Farbe im engeren Sinn auf dem Gebiet des Schalles ansehe, daher mußte ich dann auch zur Vermeidung von Verwechslungen das Fremdwort "Colorit" vorziehen.)
    2) Wenn der Akkord  c - e  ein so einfacher Ton wäre wie  c  und  e,  aber, ohne selbständigen Namen, vielmehr nur wegen einer Art mittlerer Stellung zwischen  c  und  e  relativ zu ihnen benannt, infolge dieses Umstandes für zusammengesetzt gehalten würde, so müßte dasselbe noch vielmehr für einen Ton gelten, den wir als  cis  oder geradezu als ein unrein gestimmtes, etwas zu hohes  c  bezeichnen, indem auch diesem kein selbständiger Name eignet, und von ihm noch viel gewöhnlicher geglaubt wird, daß er zwischen zweien bei der Skaleneinteilung selbständig benannten in sozusagen direkter Linie liege. Eben darum reicht dann aber auch die analoge Erklärung für ein rötliches Weiß mit Bezug auf Rot und Weiß und für ein Bittersüß mit Bezug auf Bitter und Süß nicht aus. Auch bei der Zeiteinteilung ist es noch niemandem eingefallen, den Zeitpunkt, den wir 1 ½ oder ½ 2 Uhr nennen, wegen dieser ausschließlich relativen Bestimmung und unselbständigen Bezeichnung für minder einfach als den Zeitpunkt 1 Uhr oder 2 Uhr und für einen aus diesen beiden zusammengesetzen Zeitpunkt zu halten. - - - Ebensowenig zulässig ist die Erklärung des Sceins der Zusammensetzung aus Assoziationen aufgrund vorausgegangener Erfahrung über die Entstehungsweise. Der Musiker würde sonst in einem zu ersten Mal gehörten Akkord keines seiner Tonelemente und bei einer ihm völlig fremden Klangfarbe den Hauptton nicht bestimmen können. Ähnliches widerführe dem Maler bei einer zum ersten Mal ihm begegnenden Farbennuance (und bei ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit kommen ihm täglich neue unter; viel eher kann man bezweifeln, ob ihm je eine völlig gleiche wiederkehren werde). - - - Der Musiker analysiert einen Klang manchmal mit Anstrengung; aber nicht indem er sich die Erinnerung an ein früheres Entstehen aufzurufen sucht, sondern indem er seine Aufmerksamkeit auf dieses und jenes Element im Einzelnen richtet. Ähnlich verfährt dann auch der Maler, wenn es sich in einem Fall darum handelt, zu erkennen, ob nicht noch ein schwacher Stich ins Rot oder Blau oder Weiß usw. in einer Farbennuance vorhanden sei. Daß er sich durch die Erfahrungen bei Pigmentmischungen zu dem Glauben verleiten ließe, er sehe in der Farbe, was gar nicht in ihr enthalten sei, kann nur  der  behaupten, der von diesen Erfahrungen sehr unvollständig Kenntnis hat. Hielte der Maler ein Orange deshalb für ein rötliches Gelb, weil er ein entsprechendes Pigment aus Rot und Gelb mischen kann, so müßte er, da er gar oft aus der Mischung von Rot und Grün ein Grau und aus der von Schwarz und Gelb ein Grün erhalten hat, auch dazu geführt worden sein, jenes Grau für Rotgrün und dieses Grün für gelbliches Schwarz zu erklären. Das tut er nun aber nicht. Auch wäre seine Einbildung dabei nicht minder seltsam als die eines Physikers, der, weil er die Entstehung des Weiß aus einer Vereinigung der spektralen Lichter kennt, die Zusammensetzung aus allen Farben des Regenbogens in ihm zu unterscheiden vermeinte.
    3) In Wahrheit gerät man, wenn man vom Standpunkt der alten Auffassung die Intensität aus mehreren einander gleichen Teilen zusammengesetzt denkt, ins Absurde. Denn, um mehrere zu sein, müßten die Teilintensitäten (da das LEIBNIZsche  principium indiscernibilium  [Identität des Ununterscheidbaren - wp] wie auf Ganze auch auf Teile Anwendung hat) durch irgendetwas voneinander verschieden sein. Durch was sie aber verschieden sein sollten, ist unerfindlich. Sie könnten nicht generisch verschieden sein, denn das würde die Gleichheit ausschließen; sie könnten nich spezifisch verschieden sein, denn das würde sie (als konträr) unvereinbar machen; sie müßten also individuell verschieden sein, ohne in irgendeiner Hinsicht einer generischen oder spezifischen Differenz zu unterliegen, was schlechterdings unmöglich ist. Daß diese Absurdität von niemandem bemerkt und gerügt worden ist, zeugt mehr als alles andere für die Unklarheit, die hier herrschte.
    4) Der Vortrag mußte in der Sitzung wegen Zeitmangels erheblich abgekürzt werden.