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PAUL BARTH
Beiträge zu einer Kritik der Sprache

"Schade um die große Arbeit, um mannigfache Anstrengung des Witzes und Scharfsinnes, dessen Blätter im Winde rauschen, der aber nie Blüten und Früchte tragen wird."

Wenn man ein dreibändiges Werk eines bekannten Schriftstellers sieht, das die oben genannten Titel führt, so erwartet man eine Kritik der Sprache als Ausdrucksmittel, und zwar, da MAUTHNER doch nur in einer Sprache schreibt, eine Kritik der deutschen Sprache, wie weit sie fähig sei, Gedanken und Gefühle auszudrücken und wie weit sie hinter berechtigten Anforderungen zurückbleibe.

Jeder Schriftsteller hat es ja z.B. oft genug gefühlt, wie das Deutsche dem Lateinischen gegenüber wegen der Armut der Flexion im Nachteil ist, wie in den klassischen Sprachen die grammatische Funktion des Wortes durch die Endung plastisch ausgeprägt ist, während sie im Deutschen nur durch die Wortstellung bezeichnet wird, oft aber trotz derselben eine Zweideutigkeit übrig bleibt und die schwerfällige passive Form des Satzes notwendig wird, wie das Deutsche infolgedessen der energievollen "Breviloquenz" (Kürze im Ausdruck) unfähig ist, die z.B. die Sprache des römischen Rechts auszeichnet.

Auch entbehrt die Sprache oft bequemer Ausdrucksmittel für die mannigfachen Schattierungen seelischer Zustände, so daß der Schriftsteller sich mit allerlei Umschreibungen oder Bildern behelfen muß, wie etwa GOETHE im "Egmont" vom Schlafe sagt: "Du lösest die Knoten der strengen Gedanken." Und in all diesen Fragen könnte ein geschickter Schriftsteller seinen Fachgenossen sehr nützlichen Rat geben.

Aber MAUTHNERs Absichten sind von solcher Kritik himmelweit verschieden. Er will nichts Geringeres als die "dreieinigen Göttinnen", das Denken, die Logik und die Grammatik "entthronen" durch einen Skeptizismus, der auf einige ganz und gar falsche psychologische und erkenntnistheoretische Annahmen gegründet ist.

Die erste Annahme, die durch alle drei Bände hindurch geht, ist die Theorie MAX MÜLLERs, daß es kein Denken ohne Sprechen gebe. Diese These. Diese These ist falsch. Die Sprache ist gewiß förderlich für die Ausbildung des Denkens. Ohne die Stütze, die der abstrakte Begriff an dem ihm entsprechenden konkreten Worte hat, wäre das abstrakte Denken im Keime erstickt. Aber wie nach PREYERs richtiger Beobachtung die ersten Stufen des kindlichen Denkens offenbar sehr oft von Sprachvorstellungen oder Sprechbewegungsvorstellungen  nicht begleitet sind, so kommen auch auf den höchsten Stufen geistiger Entwicklung oft genug Vorstellungen und Gedanken vor, die so neu sind, daß eben ihrer Neuheit wegen gar keine Worte für sie vorhanden sind.

Auch kann ein Mathematiker einem andern ohne jedes Wort bloß durch eine geometrische Figur, z.B. durch eine glücklich gezogene Hilfslinie mathematische Gedanken mitteilen. Der Verfasser hält aber ohne jeden Gegenbeweis gegen PREYER ausdrücklich an seiner These fest. Auch das Denken der Taubstummen vermag nicht, ihn darin wankend zu machen, obgleich ihm folgendes Geständnis entschlüpft:
"Aber so wenig zwischen der Naturerkenntnis des Hühnchens und seinem Handeln das Piepsen von Bedeutung ist, so wenig ist die Sprache ein wichtiges Bindeglied zwischen der weit reicheren Naturerkenntnis des Menschen und seinem Handeln. Als EULER blind geworden war, vermehrte er noch unsere optischen Wirklichkeitserkenntnisse. So kann auch ein Taubstummer nicht nur logisch handeln sondern auch, wenn er darauf dressiert wird, ein tüchtiger Philologe werden."
Solche Tatsachen, wie die hier angeführten, hätten ihn auf die Unhaltbarkeit der Ansicht MÜLLERs führen müssen, aber er hält unentwegt daran fest, da sie das Sprungbrett für seine Skepsis bildet, und steigert sie sogar zu der einfachen Gleichung: "Denken ist nichts anderes als sprechen."

Schade nur, daß nach MAUTHNER die rechte Seite dieser Gleichung gar nicht existiert, nämlich das Sprechen im üblichen Sinne. Den ersten Teil des ersten Bandes verwendet er zum Nachweis, daß nichts weiter existiere, als die augenblickliche Bewegung der Sprechwerkzeuge. Es existiert nicht die "allgemeine Sprache", diese ist eine Abstraktion im Kopfe der Gelehrten. Aber ebensowenig gibt es eine Volkssprache. Auch sie ist eine Abstraktion, da nicht das Volk, sondern nur der Einzelmensch existiert.

Trotzdem wird die Volkssprache geschmäht als "trüber Quell, der von Mund zu Mund sich entgegenspeit und trächtig und ansteckend, aber unfruchtbar und niederträchtig sich vermischt." Aber selbst die Sprache des Einzelmenschen, sein Leben lang oder wenigstens die Zeit seiner Reife hindurch sich gleichbleibend, existiert nicht, sie ist die dritte Abstraktion; die Vergangenheit und die Zukunft sind ja nicht vorhanden, es bleibt nur die Gegenwart, das augenblicklich gesprochene Wort.

Und selbst dieses ist nicht real, ist ebenfalls nur eine Abstraktion; es existiert in Wirklichkeit nur die augenblickliche Bewegung der Sprechwerkzeuge. Natürlich ist solche bloße Bewegung der Sprachwerkzeuge nicht zum Ausdrucke oder gar zur Mitteilung von Erlebnissen geeignet. "Durch die Sprache haben es sich die Menschen für immer unmöglich gemacht, einander kennen zu lernen." "Alles Elend der Einsamkeit kommt nur von der menschlichen Sprache."

Seine skeptische These also, daß weder die allgemeine, noch die Sprache des Volkes, noch die des einzelnen noch das einzelne Wort existiere, beweist der Verfasser, indem er sich gegen die generalisierende Abstraktion wendet oder vielmehr gegen die Möglichkeit, daß diese reale Wesenheiten schaffe. So weit dies die "allgemeine Sprache" betrifft, scheint es zum Teile richtig. Sie ist ein Begriff, dem nicht eine leicht erkennbare, sich deutlich abhebende Realität entspricht.

Aber die entsprechende Realität fehlt auch hier nicht, sie ist nur weniger leicht als bei anderen Begriffen zu fassen. Sie besteht in den menschlichen Lauten, die zum Teile allen Sprachen gemeinsam sind, und so in Wirklichkeit nicht eine allgemeine Sprache, sondern eine allgemeine Grundlage aller Sprachen bilden. Die übrigen Begriffe aber: Volkssprache, Sprache des Einzelnen, Wort haben ihr sehr deutliches konkretes Gegenbild in der objektiven Wirklichkeit, das sich ebenso abhebt, wie der Ast vom Baume, der Zweig vom Aste, das Blatt vom Zweige.

Wenn MAUTHNER den Mißbrauch der Abstraktion tadeln will, so trifft er nicht das Rechte. Es gibt abstrakte Begriffe, deren Objektivierung falsch ist und irre führen kann, wie z.B. der Begriff "Möglichkeit". Solcher Art sind diejenigen, die er bekämpft, nicht; vielmehr macht MAUTHNER selbst sich des Mißbrauchs einer Art der Abstraktion, nämlich der isolierenden Abstraktion schuldig, indem er diese benützt, um subjektiv den Zusammenhang des Wirklichen zu trennen und dann diese Trennung als objektiv wirklich zu behaupten. Es ist dies derselbe Fehler, den ZENO, der Eleate, beging, indem er behauptete, der fliegende Pfeil bewege sich nicht, da seine Bahn aus getrennten Punkten und die Zeit aus getrennten Augenblicken bestehe, er also in jedem Augenblicke in einem dieser Punkte ruhen müsse. um subjektiv den Zusammenhang des Wirklichen zu trennen

Der 2. Teil des 1. Bandes soll von "Psychologie der Sprache und der Sprache der Psychologie" handeln. Auch hier wird auf Abstrakta Jagd gemacht, denen keine Wirklichkeit entspreche. Dazu rechnet MAUTHNER das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein, den Willen, das Gefühl. Gedächtnis und Aufmerksamkeit genügen nach ihm, um das ganze Seelenleben zu decken. Gefühle sind also wohl, wie noch bei HEGEL und den Hegelianern, "unklare Vorstellungen".

Auch wird seltsamer Weise behauptet, Aufmerksamkeit und Zerstreutheit seien eigentlich nur verschiedene Auffassungen desselben Zustandes. MAUTHNER bedenkt nicht, daß es allerdings einen Zustand gibt, der mit Unrecht Zerstreutheit genannt wird, da er auf einseitiger Konzentration beruht, wie die Zerstreutheit NEWTONs, der seine Taschenuhr ins Wasser und das Ei auf den Tisch legte, andererseits aber auch eine wirkliche Zerstreutheit als reines Widerspiel der Aufmerksamkeit vorkommt, eine Unfähigkeit, seine Gedanken zu konzentrieren, die in der "Ideenflucht" ihr pathologisches Extrem erreicht.

Der 2. Band versucht eine Kritik der Sprachwissenschaft, die ja auch heute noch, trotz der Fülle sicherer Wahrheiten, wegen der Menge der Fragen vieler Hypothesen bedarf, vieler Voraussetzungen, die, heute noch geltend, morgen vielleicht besseren weichen müssen. Darum sind MAUTHNERs Einwände hier weniger unberechtigt, als im 1. Bande.

Leider kommt seine Polemik vielfach zu spät. So seine Bekämpfung der "Wurzel"-Theorie. Diese ist bei den Sanskritisten entstanden, die als "Wurzel" ein hypothetisches, isoliertes, ganz flexionsloses Urwort bezeichneten, wie es nach ihrer Meinung der Sätze der bildenden Sprache vorausging. Aber schon POTT erklärte, wie WUNDT erwähnt, die Wurzeln seien bloß grammatische Abstraktionen, da wirklich gesprochene Wörter nie formloser Stoff, also nie Wurzeln sein könnten.

H. PAUL hat in seinen "Prinzipien der Sprachgeschichte" das Wort "Wurzel" kaum gebraucht. WUNDT endlich hat die Wurzelperiode "samt dem goldenen Zeitalter, der vollkommenen Urreligion und ähnlichen wissenschaftlichen Mythen in das Grab versenkt". Indessen, da der Aberglaube an die Wurzelperiode bei manchen Sprachforschern noch beharrt, so sind MAUTHNERs Gegenbemerkungen nicht unverdienstlich.

Treffend ist auch alles, was MAUTHNER für die "Pensionsberechtigung", der Frage nach dem Ursprung der Sprache vorbringt. Die einfältigste der früher darüber aufgestellten Theorien ist wieder die von MAX MÜLLER, die sogenannte Kling-Klang-Theorie, nämlich daß der Schall der Bronze der Glockenton, der Schall des Baches sein Rauschen. Besser ist schon die Echo-Theorie, von LUKREZ und von ROUSSEAU vertreten, nach der die Sprache aus Interjektionen (Ausrufen) entstanden ist, wie sie noch jetzt durch heftige Eindrücke uns entlockt werden.

Und einen Teil der Wahrheit enthält jedenfalls die Wauwau-Theorie, die jedes Wort als eine Schallnachahmung eines sinnlichen Eindrucks betrachtet. Aber schon WUNDT hat alle diese Theorien seiner Kritik unterworfen und im 2. Teile des 1. Bandes seiner "Völkerpsychologie" die Sprache als "Lautgebärde" aufgefaßt, "die, ähnlich wie andere Gebärdenbewegungen, teils als hinweisende, teils als nachbildende vorkommt und die, das Gebärdenspiel der Hände und des übrigen Körpers begleitend, im Grunde nur als eine besondere Spezies der mimischen Bewegungen, dem Gesamtausdrucke der Gefühle und Vorstellungen sich einfügt". Indem WUNDT so nur den Leitfaden zur Begründung seiner Theorie gibt, hat auch er damit ausgesprochen, daß eine so einfache Antwort auf die Frage des Ursprungs der Sprache, wie sie früher gegeben wurde, nicht möglich ist.

Treffend sind ferner die Einwände, die MAUTHNER gegen die bisherigen Versuche einer Wertung der verschiedenen Sprachen und Völker erhebt. Weder die Fähigkeit zum Periodenbau noch die Durchsichtigkeit (MAUTHNER sagt: Verständlichkeit) der Flexion (Beugung) ist ein genügender Wertmaßstab. Denn die semitischen Sprachen haben keinen Periodenbau, sondern nur kurze Sätze und sind doch in anderer Beziehung reich. Und die agglutinierenden Sprachen (Agglutination = Anfügung von Bildungselementen an das unverändert bleibende Wort), von sonst tiefstehenden Völkern geschaffen, haben ein sehr durchsichtige Flexion.

Eine richtige Spur endlich verfolgt MAUTHNER, soweit er die Bedeutung der Metapher für den Bedeutungswandel hervorhebt. Nur ist die Metapher nicht sein einziger Grund. Komplikationen und Assoziationen der Vorstellungen sind ebenso häufige Ursachen. So ist "Purpur" zuerst ein Stoff; mit ihm kompliziert kommt immer die purpurne Farbe vor, so daß das Wort schließlich diese Farbe bedeutet. Paganus, Dorfbewohner, kommt zu der Bedeutung "Heide", weil in den letzten Jahrhunderten des Altertums sich das Heidentum nur in den Dörfern behauptet. Wie wichtig aber die Metapher nicht bloß für den Bedeutungswandel, sondern schon für die Entstehung der Bedeutung zu erachten ist, hat MAUTHNER entweder selbst gefunden oder von WUNDT gelernt. Die Lautmetapher, d.h. die Übereinstimmung des Lautes mit der Vorstellung in Bezug auf den Gefühlston ist bei WUNDT einer der wichtigsten Faktoren für die Festsetzung der Bedeutung.

Im übrigen aber wird auch im 2. Bande derselbe skeptische Faden wie im 1. weiter gesponnen.

Der 3. Band richtet seine Skepsis gegen die linke Seite der Gleichung Denken = Sprechen, wie der erste gegen die rechte. Er bemüht sich zu zeigen, daß das ganze Denken oder wenigstens dasjenige, was die heutige Logik Denken nennt, nicht existiere. SIGWART ist in seiner "Logik" vom Urteile ausgegangen, hat aber noch am Begriffe als einem besonderen geistigen Gebilde festgehalten, SCHUPPE hat den Begriff als nicht verschieden von dem Urteile aufgegeben, MAUTHNER sucht nun zu beweisen, daß wir überhaupt nur das Wort haben als "Erinnerung an eine Gruppe ähnlicher Sinneseindrücke".

Im Worte ist das Urteil enthalten. "Je nachdem wir unsere Aufmerksamkeit auf die Formel im ganzen richten oder auf einzelne Übereinstimmungen in den verglichenen Fällen, nennen wir unsere Erinnerungen entweder Worte oder Urteile". Jedes verstandene Urteil ist analytisch. Aber auch der Schluss existiert nicht. Was den deduktiven Schluß betrifft, so ist er wertlos, weil der Schlußsatz schon im Obersatz enthalten ist. Er ist bloß die Besinnung auf den Begriff. Auch die Fälle, wo aus Hypothesen deduktive Schlüsse gezogen werden, beweisen nichts für den Nutzen des deduktiven Syllogismus. Die Entdeckung des Neptun z.B. war bloß eine indirekte Wahrnehmung.

Die Induktion ist bloß eine Abstraktion, sie führt nur zu Hypothesen. Die ganze Logik ist völlig wertlos. Wir haben nur unser Gedächtnis. Und unser Denken besteht darin, daß wir den Blickpunkt des Gedächtnisses verrücken. Nur durch Konvention ist dieser Blickpunkt von Grammatik und Syntax, in Wirklichkeit vielmehr von unserem Interesse. Die Ordnung der Welt, von der die Wissenschaft großartig spricht, ist nur die Orientierung unserer Aufmerksamkeit. Die umfassenden Weltbegriffe sind alle leer, z.B. SPENCERs Begriff der Evolution. Und alle Begriffe sind bloß Worte,  flatus vocis. 

MAUTHNER hält darum das Schweigen für das Beste. Er kommt auf einem andern Wege zu demselben Ergebnis, wie MEISTER ECKHART:
"Das Schönste, was der Mensch von Gott sprechen kann, das ist, daß er vor Weisheitsfülle schweigen kann."
MAUTHNER beruft sich auch auf die griechischen Skeptiker. Er denkt wohl an den Herakliteer KRATYLOS, der in tiefer Überzeugung von der Unerkennbarkeit der Wahrheit nicht mehr sprach, sondern bloß den Finger bewegte.

BERKELEY wollte einst "den Vorhang der Worte hinwegziehen, um den schönsten Baum der Erkenntnis zu zeigen, dessen Frucht prächtig und uns sehr wohl erreichbar ist". MAUTHNER zieht mit dem Vorhange auch den Baum weg.
"Das Entsetzliche ist gewiss, daß kein sterblicher Mensch die Worte seiner Sprache jemals verstehen könnte mit all ihrem historischen Gehalt, weil seine Lebenszeit und seine Fassungskraft nicht hinreichen würden zur Aufnahme dieses ungeheuren Wissens, daß aber auch dann, wenn es einen solchen Menschen gäbe, seine Worte keine Wirklichkeit bezeichnen könnten, weil die Wirklichkeit nicht stillsteht."

"Die Erkenntnisform ist in der Sprache, die höhere ist im Lachen; die letzte ist in der Kritik der Sprache, in der himmelstillen, himmelsheiteren Resignation oder Entsagung" (mit Anspielung auf das "Sagen" in Entsagung).
Neben dieser durchaus grund- und bodenlosen Negation enthält auch der 3. Band einige Ausführungen, die einen gewissen positiven Gewinn ergeben. So z.B. den psychologischen Nachweis, daß 2 die erste wirkliche Zahl sein muß, erst aus ihr die Einheit entstehen kann, die Zusammenstellung der 10 Arten, wie die Zahl 18 in verschiedenen Sprachen ausgedrückt wird, die Erörterung der drei Bedeutungen des Begriffs "Zufall".

Was Einzelirrtümer betrifft, so habe ich für die ersten zwei Bände in einem früheren Berichte (in der Wiener Wochenschrift "Die Zeit") schon einige nachgewiesen, die ich nicht wieder erwähnen will. Im 3. Bande ist z.B. unrichtig, daß ARISTOTELES das Adjektiv als Kategorie noch nicht kannte. Er kennt es nicht als besonderen Redeteil, wohl aber seiner Bedeutung nach. Denn er hat die Kategorie der Qualität aufgestellt. LEIBNIZ  characteristica universalis  ist mit "charakteristischer Universalsprache" nicht richtig übersetzt, sie wäre etwas als "allgemeines Zeichensystem" wiederzugeben.

Indessen fallen die Einzelirrtümer nicht ins Gewicht. Sie wären zu ertragen, wenn nur die Untersuchung überhaupt wissenschaftliche Haltung hätte. Diese aber fehlt eben. Die Willkür der isolierenden Abstraktion im 1. Bande ist schon gekennzeichnet worden. Aber auch im 3. Bande ist die Willkür vorherrschend. Die Vorstellung wird dem Worte, das Wort dem Begriff gleichgestellt, psychologische Unterschiede des Urteilsprozesses von der einfachen Assoziation werden ignoriert. Auf diesem Wege kann man freilich alles beweisen.

Ob die traditionelle Logik selbst nach ihrer Reform durch SIGWART und andere, den wirklichen Denkprozeß erfaßt hat und beschreibt, darüber kann man zweifeln. BENEKE und JEVONS haben bekanntlich behauptet, auf bloße Substitution äquivalenter Begriffe lasse sich alles logische Schließen zurückführen. Daß es aber überhaupt keine Denkarbeit gebe, die uns von den Daten der Sinne (unserer "Zufallssinne" sagt MAUTHNER) vorwärts bringe, das zu behaupten heißt, mit der Wirklichkeit sein Spiel treiben. Ein Feuilleton kann vieles, es kann belehren und ergötzen, es kann auch bisweilen ein Märchen erzählen, aber der Feuilletonist soll diese Märchenwelt nicht für die wirkliche ausgeben.

Schade um die große Arbeit, um mannigfache Anstrengung des Witzes und Scharfsinnes, dessen Blätter im Winde rauchen, der aber nie Blüten und Früchte tragen wird.
LITERATUR - Paul Barth, Rezension von Mauthners "Beiträgen.." in Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 28, Berlin 1904
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