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LUDWIG KLAGES
(1872 - 1956)
Vom Wirklichkeitsgehalt
der Sprache


Im symbolischen Denken unterscheiden sich wesentlich nicht Individuum und Art. Mit dem heiligen Opfervogel sind alle Vögel seiner Spezies geopfert, und der Leib des Gottes, der in der Gestalt der Oblate verspeist wird, ist einer und immer derselbe, ungeachtet jeder Gläubige eine andre Oblaten zu sich nimmt.

Vorbereitendes

Auf die Zimmertür, nach der ich aufmerksam hinblicke, bin ich bezogen, ohne mit ihr zusammenzuhängen; hat man aber mein Handgelenk und die Türklinke aneinandergeknüpft mit Hilfe eines körperlichen Bandes, so hänge ich mit ihr zusammen, mag ich übrigens darauf achten oder innerlich mit etwas anderem beschäftigt sein. Türklinke und Stuhl könnten ebenso zusammenhängen, obwohl ihrer keines Beziehungen stiftet. Damit ich imstande sei, den Mond wahrzunehmen, muß ich freilich den Einfluß seines Lichtes erlitten haben, und das deutet auf eine Art des Zusammenhängens, die im Falle des Wahrnehmens stets stattfindet, wenn das auch meist unbeachtet bleibt; aber der astronomische Mond erfährt keinen Einfluß von den auf ihn gerichteten Blicken der Menschen, und das gilt grundsätzlich wiederum für jedes Wahrnehmungsding im Verhältnis zum Wahrnehmungsvorgang.

Nehmen wir dagegen zum Muster des Zusammenhängens das körperliche Zusammenhängen, so gibt es im Sachverhalt des Zusammenhängens allemal wechselseitig stattfindende Einflüsse. Zerre ich an dem Band, dessen Widerstand ich gefesselt erleide, so erfährt den Einfluß meines Ziehens und Zerrens auch das Ding, mit dem mich das Band verknüpft. Ein andres ist es, die Insel sehen, der sich das Segelboot nähert, ein andres, sie betreten: dort bloßes Bezogensein, von dem nur der Wahrnehmungsträger etwas merken kann, nicht aber die Insel, hier ein Zusammenhang, von welchem dem Gegenstande z.B. die Stapfen der Sohlen im Ufersande verbleiben.

So grobhandgreiflich unsere Beispiele sind, sie dürften doch dazu beitragen, uns die lebenswissenschaftliche Entfaltung der Bedeutungsunterschiede von Zusammenhang und Beziehung in folgenden Sätzen zu erleichtern:
  • Zusammenhang ist nicht Beziehung.
  • Zusammenhänge sind nicht ohne wechselseitige Einflüsse zu denken; die Beziehung als solche hat keinen Einfluß zur Folge.
  • Jeder Zusammenhang ist etwas Wirkliches; jede Beziehung etwas Gedankliches.
  • Zusammenhänge werden unmittelbar erlebt, aber nicht begriffen; Beziehungen werden begriffen, aber nicht unmittelbar erlebt.
  • Zusammenhänge beruhen auf der Wirklichkeit des raumzeitlichen Kontinuums; Beziehungen auf dem Sein des außerraumzeitlichen Geistes.
  • Zusammenhänge können stattfinden, ohne daß Beziehungen hinzutreten; Beziehungen finden nie statt ohne Voraussetzung von Zusammenhängen.
  • Damit eine Beziehung entstehe, müssen Zusammenhänge aufgehoben sein.
Von vorstehenden Sätzen soll uns zumal der 7. beschäftigen. Aus Gründen, die wir durchbuchstabiert haben, geht das begreifende Denken von der Annahme der Begreiflichkeit körperlicher Zusammenhänge aus, an denen wir soeben das Zusammenhängen veranschaulicht haben; aber eben diese Annahme wurde als irrig erkannt. Körperlich ist das Zusammenhängen des schlechthin Nahen; und das; wie wir wissen, fände nicht statt ohne das Zusammenhängen des Fernen mit dem Fernen. Ist nun das Zusammenhängen des Fernen mit dem Fernen unbegreiflich, so ist es auch das Zusammenhängen des Nahen mit dem Nahen und folglich das Zusammenhängen überhaupt. (4.Satz) Demgegenüber bedeutet die Geschichte des logozentrischen Denkens den undurchführbaren Versuch, zum Behuf der "Denkbarmachung" der Welt Zusammenhänge in Beziehungen aufzulösen.

In unserer umfassenden Darlegung über das Verhältnis des Begriffs zum Einzelfall wurde in Aussicht gestellt, "in einem sehr viel späteren Kapitel" solle die "fundamentale Verwechslung" aufgedeckt werden, die jeden Versuch, es verständlich zu machen, wie der Begriff in den Fällen vorkomme, auf die er angewandt wird, fehlschlagen ließ. Die Lösung ist spruchreif geworden: es handelt sich um die Verwechslung von Beziehung und Zusammenhang. Daß zwischen Begriffen nur Beziehungen stattfinden, dürfte zugestanden werden; aber man hat sich auf der Grundlage eines Glaubens, der den Geist entweder zum Quell oder zur Blüte der Erscheinungswelt umdeutet, nicht zu der Einsicht durchgerungen, daß eben auch von den Gegenständen zu gelten hat.

Besteht z.B. zwischen dem Allgemeinbegriff "Baum schlechthin" und dem Einzelbegriff "Baum hier an Ort und Stelle" gewiß kein Zusammenhang, wohl aber eine Beziehung, so besteht auch eine Beziehung und nicht etwa ein Zusammenhang zwischen den Meinungsinhalten selber. Die Beziehung der Begriffe wird mit der Beziehung der Gegenstände erläutert, aber keine von beiden ist aus der andern zu erklären. Der durchdringendste Scharfsinn scheitert, wenn er die Beziehung der Begriffe aus einer Beziehung der Gegenstände oder umgekehrt die Beziehung der Gegenstände aus einer solchen der Begriffe ableiten will. Die von keinem Nachfolger wiedererreichte Vehemenz, mit der ein PLATON den zweiten Versuch unternahm, hat es der abendländischen Wissenschaft bis zur Stunde erschwert, sich der Denkmittel zu bemächtigen, die den Zugang erschlössen zu den Zusammenhängen.

Wir haben dargetan, daß es bald Eigenwesen, bald Elementarseelen sind, die durch das Mittel ihres Erscheinens jene Bedeutungseinheiten erstehen lassen, ohne deren heimliches Wirkungsvermögen das beziehende Denken im Jenseits des Raumes verbliebe. Der Allgemeinbegriff gilt für den Einzelfall, weil die Namensbedeutung, aus der er herausgegrenzt wurde, gleichsam Wiederschein eines Wesens ist, für das die fraglichen Grenzen nicht bestehen.

Sofern die begrifflose Bedeutung Erscheinungscharaktere betrifft, ist der Spielraum der Fälle in ihr schon mitgegeben. Erst mit der Trennung des Wesens von der Erscheinung des Baumes trennt sich Baumerscheinung von Baumerscheinung und der einzelne Baum vom Gattungsbegriff des Baumes, und es treten an die Stelle wirklicher Zusammenhänge die bloß denkbaren Beziehungen von Denkgegenständen. Nicht in ihnen liegt der Grund ihrer Beziehbarkeit, und nicht aus ihnen läßt sich zurückgewinnen, was man abstreifen mußte, um sie denken zu können: die Wirklichkeit.

Die neuzeitliche Völkerkunde umkreist bekanntlich mit Leidenschaft den Seelenzustand der Primitiven. Allein ohne ein Wissen um die symbolische Identität, d.i. die Identität des Wesens in seinen zahlenmäßig wie artlich verschiedenen Erscheinungsformen, wird sie günstigenfalls Probleme markieren und auf die Lösung verzichten, ungünstigenfalls Scheinlösungen bieten. Im symbolischen Denken unterscheiden sich wesentlich nicht Individuum und Art. Mit dem heiligen Opfervogel sind alle Vögel seiner Spezies geopfert, und der Leib des Gottes, der in der Gestalt der Oblate verspeist wird, ist einer und immer derselbe, ungeachtet jeder Gläubige eine andre Oblaten zu sich nimmt.

Nur deshalb stößt das verstandesmäßige Denken hier auf Selbstwidersprüche, weil es seine Identitäten gewonnen hat durch Preisgabe der Zusammenhänge, ohne deren zwar nicht mehr manifestes, jedoch verborgen fortbestehendes Wirkungsvermögen zuletzt allerdings es selber zerfiele. - Die Künste der Formalistik aber, die den Anspruch erhebt, keiner Wirklichkeit zu bedürfen, zerrännen ohne das Wirkungsvermögen der anschaulichen Zeichen, in deren mißbräuchlicher Handhabung sie bestehen. Damit sind wir bei der häufig von uns ins Feld geführten, nicht aber zu Ende gedachten Rolle der Namen.


Hervorrufungskraft der Sprache

Niemand kann wirklich wirkende Mächte begreifen wollen; aber man kann sie nennen und mittelst der Nennung (oder sonstiger Zeichengebung, die hier aber außer Betrachtung bleiben) diejenigen Personen auf sie verweisen, die irgendwann deren Walten hinreichend stark erlitten haben, um es sich "in die Erinnerung rufen" zu können. Das dabei Wirkende ist, wie die Wendung verrät, die Namensbedeutung oder der Sprachgehalt. Dann aber muß die Sprache unter anderem Ausdruck erlebter Bilder im Medium menschlicher Laute oder lautliche Darstellung von Bildcharakteren sein, und jedenfalls nur, soweit sie das entweder immer noch ist oder doch dafür Äquivalente bietet, eignet ihr die Hervorrufungsgabe, für die wir vorweg eine Handvoll Belege bringen, die jedem vertraut sind, wenn auch nicht jedem bewußt.

Magie war immer wesentlich Bildmagie, und von der Bildmagie eine Art war der weltverbreitete Namenszauber, dem sich selbst heute kaum irgendein Mensch gänzlich entzieht. "Verwünschungen" sind zwar aus der Mode gekommen; aber mit dem "verwünschten Gesellen" und dem "verrufenen Haus" reicht das Brauchtum des Verwünschens in die Umgangssprache von heute herein. Wenn man die Mitteilung des vortrefflichen Gesundheitszustandes einer geliebten Person mit dem dreimal zu wiederholenden "Unberufen" begleitet, so erscheint uns daran noch bemerkenswerter als die Nachwirkung einer ehemals wachen Furcht vor dem Neide horchender Dämonen die durch Selbstbelauschung unschwer bezeugbare Ahnung der Kraft, die der verlautbarten Nennung innewohnt.

Es gab jederzeit und gibt noch immer viele Verschweigungen aus der Besorgnis man laufe Gefahr, gewisse Güter wie Vermögen, Talent, günstige Lebenslage zu verscherzen, wenn man sie ausspreche (oder "beschreie". Das sprichwörtlich gewordene "lupus in fabula" wiederum wurzelt in der mindestens gefühlsmäßigen Überzeugung, etwas irgendwie Unheilvolles werde durch Nennung herbei-gerufen.

Kaum müssen wir daran erinnern, daß inbezug auf das "nomen est omen" der vorgeschichtliche Mensch mit dem außergeschichtlichen Menschen völlig übereinstimmt. Bei den Alten war es etwas Gewöhnliches, daß mächtige Götter außer ihrem gebräuchlichen Namen noch einen zweiten führten, der geheim bleiben mußte, weil sie sonst der Gewalt dessen verfallen wären, dem er bekannt geworden. Ra, ein höchster Gott der Ägypter, der, ehe die Welt noch vorhanden, durch Verlautbarung seines Namens sich selbst erschaffen hat (!), verliert seine Macht, nachdem es der Isis durch List gelungen ist, ihn zur Preisgabe des hartnäckig verschwiegenen Wortes zu veranlassen.

Als Bramanaspati, d.i. "Herr des Gebetes", oder doch als dessen menschliche Verkörperung war der indische Priester ein Art Übergott, der nicht nur Taten wie die Götter vollbringen, sondern sogar diese selbst seinem Willen beugen konnte. Von den Mohammedanern wird eine nicht geringe Fähigkeit denjenigen Propheten beigelegt, die im Besitz des "großen Namens" der Gottheit sind. Der Name der Schutzgottheit Roms wurde geheimgehalten, damit nicht ein feindliches Volk, das ihn erfahren hätte, den Gott sich dienstbar mache und der Stadt sich bemächtige.

Und ebendasselbe begegnet uns nun in tausendfältiger Gestalt bei Primitiven und Halbprimitiven. Der Name des neugeborenen Kindes wird weit überwiegend nicht gewählt, sondern gefunden aufgrund der Erkundung des in ihm wiedergeborenen Ahnen durch den Priester. In vielen Fällen darf er jedoch nicht ausgesprochen werden, weil dadurch das Kind gefährdet würde, das deshalb nur mit einem Spitznamen gerufen wird; und selbst auf der Grabstätte noch kommt nicht selten statt des Eigennamens nur der Name des Totems vor. Nennung eines Toten könnte außerdem bewirken, daß er wiederkehre als vampyrisches Gespenst, weshalb bisweilen sein Name und alle ähnlich klingenden Namen einem Tabu anheimfallen, dessen Bedeutung für die Entwicklung und rasche Wandlung mancher primitiven Sprachen von den Forschern eingehend gewürdigt wurde.

In der sog. Verbalsuggestion (= Einflößung mittelst Rede) üben und erfahren wir eine artgleiche Wirkung der Worte tagtäglich, nur aber losgelöst von den Überbleibseln ehemaliger Wortmagie. - Man hat in diesen Einflößungen viel nach unsichtbaren Kräften gesucht, hauptsächlich wohl, weil wortgleiche Aufforderungen im Munde des einen Erfolg haben, im Munde des anderen versagen, und sicherlich kommt es auf manche Nebenumstände an wie Art des Aussprechens, Erscheinung und Haltung des Sprechers, "Atmosphäre" der Umgebung. Auch können (nicht müssen) jene Fluiden mitspielen, die von der Romantik "Lebensmagnetismus" genannt wurden; allein daran ist ja kein Zweifel, daß von je hundert Einflößungen des geschicktesten Einflößers neunundneunzig mißlängen, wofern die aufnehmende Person der Sprache nicht mächtig wäre, deren der Einflößer sich bedient.

Von der Wirkung des verlautbarten Wortes in diplomatischen Gesprächen oder bei parlamentarischen Verhandlungen oder gar bei Volksreden eines Agitators entfällt bekanntlich weit der größere Teil auf unmittelbare Einflößung. In ursprünglicheren Zeiten haftete aus unten noch zu berührenden Gründen diese Macht ganz überwiegend an den Liedern der "Sänger". Das finnische Wort  laulaja  bedeutet sowohl Sänger als Beschwörer, Zauberer; und allerdings könnte man mit den Belegen für die "Zauberei" der Sänger Bände füllen. Hat doch sogar noch in geschichtlicher Zeit ein zum Tode Verurteilter nicht allzu selten sich frei gesungen und in der Folge allenfalls es zu hohen Ehren gebracht!

Aber noch heute gelangt der Name und nur der Name bisweilen mit einer Wucht, die an ähnliche Erscheinungen unter Primitiven erinnert, zur Wirksamkeit in manchen Spielen der Kinder. Ein phantasievoller Knabe z.B., der im Spiel "Der Wolf der kommt" eben den Wolf vorstellt, fühlt sich einigermaßen von Kräften durchdrungen, die ihm im Durchschnittszustande fehlen, und die Spielgenossen verleugnen nicht den Besitz einer Furcht, die sich auf den Wolf und keineswegs auf die Person des Darstellers bezieht.

Ja, besinnen wir uns recht, so erkennen wir, daß die hervorrufende und verwandelnde Kraft des Wortes in irgendeiner Form noch immer unser ganzes Leben durchzieht. Wer auf dem täglichen Spaziergange wiederholt an einer Person vorbeigegangen ist, die etwa auf einem Felde arbeitet, fühlt sich seine innerste Haltung zu dieser bis in den Grund verändert von dem Augenblicke an, wo er mit ihr einige "Worte gewechselt" hat (noch so gleichgültigen Inhalts). Endlich aber liefert die Einflößungskraft des gedruckten Wortes - in erster Linie der Dichtung, dann spannender Unterhaltungslektüre, ferner aller abbildlosen Reklame im Dienste sei es geschäftlicher, sei es politischer Ziele, hinzugerechnet Schlagworte und Modewörter - den unumstößlichen Beweis, daß im Verhältnis zur Seele des sie Vernehmenden die Sprache selbst, als abgesehen von der Weise des Aussprechens, eine wirkende Macht obersten Ranges ist.


Die Schemata der Beziehungsformen
Von der Verwechslung wirkender Zusammenhänge mit bloß denkbaren Beziehungen diejenige Darstellungsform, von der zugleich alle übrigen Formen und Fälle abhängen, ist die vor dem Untergange des Denkens zwar nicht zu vollendende, wohl aber vom logozentrischen Denken seit drittehalb tausend Jahren gewollte und schubweise geförderte Entwirklichung des Namens zugunsten vermeinter Wirklichkeit entweder des Begriffs oder der Tatsache. Um seinen Glauben an die Wirklichkeit der Sachen frönen zu können, fußt der "Naturalismus" bald unbewußt, bald bewußt auf der Annahme des Bestimmtseins von Name wie Begriff durch die Sache.

Um seinem Glauben an die Wirklichkeit der Begriffe frönen zu können, fußt der Ideologismus bald unbewußt, bald bewußt auf der Annahme des Bestimmtseins so des Namens als der Sache durch den Begriff.

Man überblickt unschwer folgende Tatbestände:
  • Als bloße Noumena sind Begriff und Denkgegenstand zwar aufeinander bezogen, hängen aber nicht miteinander zusammen. Der Begriff läßt sich nie, die Sache nur insoweit anschaulich vergegenwärtigen, als für die Erscheinungen, die den Akt der Vergegenständlichung ermöglicht haben, repräsentierende Bilder zur Verfügung stehen (was bei Fluß oder springen oder blau usw. der Fall ist, bei Pflicht, unbillig, verantworten, Betrug, weil, Ungunst, abwesend, Geduld, sinngemäß usw. nicht).

  • Es ist ein (geistiger) Auffassungsakt, durch den miteinander entstehen Sache und Sachbegriff, dagegen ein Willensakt, durch den unter Abspaltung der Namensbedeutung der Name zum Begriffszeichen wird. Mögen wir dabei von Bedeutungsgefühlen bestimmt werden, so haben wir doch eben weitgehend Wahlfreiheit, wovon die Geschichte der Wissenschaften Beispiele genug aufweist. - Könnten wir uns gar völlig von Bedeutungsgefühlen losmachen, was freilich unmöglich ist, so wäre der Name dem Begriff in ähnlicher Weise beigegeben wie anderen Sachverhalten etwa Eigentumsmarke, Firmenzeichen, Verlagssignet, Exlibris, Rangabzeichen usw. oder mit anderen Worten er hätte zum Begriff das Verhältnis des Eigennamens. Das sind Übertreibungen, aber sie zeigen, worauf es ankommt.

  • Dieses vorausgeschickt, besinnen wir uns, daß beide Schemata zwar Beziehungen angeben, aber sich ausschweigen über deren Hervorbringungsgrund. Das ideologische Schema läßt wenigstens erkennen, daß der Gegenstand ein Auffassungsinhalt ist, nicht aber, wie die Auffassung zustande komme, und vollends nicht, was eigentlich der Namen dabei zu tun habe. Dieser erscheint viellmehr in beiden Figuren im Lichte des bloßen Anfügsels, als das wir ihn eben zu kennzeichnen suchten, was besonders hervortritt, wenn wir beide miteinander vergleichen, da denn die Beziehung zwischen Begriff und Sache beidemale wiederkehrt, die zwischen Begriff und Namen aber fehlt.
Bedenken wir nun, daß es gerade der Name ist, dem unter allen Umständen unmittelbare Anschaulichkeit zukommt, so läßt die Entwertung, die ihm sichtlich beidemal zugedacht ist, keinen Zweifel daran, daß hier an die Stelle der Macht, durch die allein für ihren Träger etwas zusammenhängt, an die Stelle der Seele, die Macht getreten ist, die allein Beziehungen stiftet, nämlich der Geist.

Wir haben im 36. Kapitel dargetan, warum ursprüngliche Sprache stets unter anderem sinnbildliche Sprache sei, ferner, daß diese in der Übertragung des "Einerleiheitsgedankens auf Erscheinungscharaktere von wesentlicher Ähnlichkeit" bestehe; endlich, wie ohne unbewußte Anstöße aus der Symbolik der Namen sogar das begriffliche Denken, das sich bewußt von ihr abgewandt hat, versanden würde. Allein nicht nur deshalb haben wir jetzt den Namen an die Spitze zu stellen, sondern mehr noch deshalb, weil ohne ihn die Schöpfung von Bedeutungseinheiten, mit deren Hilfe die Bilder sich hervorrufen lassen, unmöglich wäre. Nur, soweit die Seele den Drang verspürt und imstande ist, dem Bilderlebnis mit dem symbolischen Zeichen oder, was hier uns vornehmlich beschäftigt, mit dem symbolischen Ruf zu begegnen, entstehen für sie allererst solche Bildcharaktere, von denen der Laut fortan die Bedeutung bewahrt und "fortpflanzt".

Selbst animalische Ausdruckslaute des Menschen werden nur dadurch zu Bestandstücken der Sprache, daß sie durch Anähnlichung an vorgefundene Formen der Sprache ihren Ausdruckseigenwert einbüßen, um fürder bald den Zustand, von dem sie ein Ausdruck waren, bald eine Äußerung seiner zu bedeuten. So mögen wir etwa im interjektionellen "ach" gewisse Gemütszustände wenigstens einigermaßen ähnlich ausgedrückt finden wie verwandte Gemütszustände z.B. im Weinen; das von ihm abgeleitete "ächzen" aber hat gleich jedem Wort einen Meinungsinhalt, den übrigens aus dem Worte herauszuhören die von uns noch hineingefühlte Klangverwandtschaft mit möglichen Jammerlauten keineswegs ausreichen würde.

Angesichts dessen und, um der noch immer gelegentlich spukenden "Wauwautheorie" der Sprachentstehung den Weg zu verbauen, nennt man besser die Sprache überhaupt nicht Ausdruck, sondern lautliche Darstellung von Bedeutungseinheiten oder inbezug auf einen sehr ursprünglichen Zustand, der noch nicht die Spuren jahrtausendelanger Mitarbeit des Geistes trüge, kühner etwa lautlichen Spiegel von Erscheinungscharakteren. Jedenfalls aber sind die Namen nicht Zustandsexpressionen des Sprechers, sondern Bedeutungsexpressionen, die freilich auch dazu dienen können, den Zustand des Sprechers unvergleichlich eingehender kundzugeben, als es mit bloßen Ausdruckslauten geschähe.

Wie im Vorrang des Namens vor dem Ausdruck das Übergewicht des seelischen Wirkens über das leibliche Wirken erscheint, so zeigt sich im korrelativen Vorrang der Bildcharaktere vor den Körpererscheinungen das Übergewicht des Schauens über das Empfinden. Aus der sich anschließenden Selbständigkeit der Anschauungsgabe folgt jene nur dem Menschen eigentümliche Neigung und Fähigkeit zur Verfestigung der Weltcharaktere in Abbildern.

Stellen wir nun das ideologische Schema daneben, so lesen wir ohne weiteres folgende "Ereignisse" ab:
  • Der Zusammenhang zwischen Name und Bedeutung wurde gesprengt. Die Findung des Begriffes setzt also Abspaltung der Namensbedeutung oder Aufhebung desjenigen Zusammenhanges voraus, kraft dessen der ursprüngliche Sprachlaut mit seiner Bedeutung ein doppelpoliges Ganzes bildet.
  • Damit ist der Name zum verhältnismäßig beliebigen Zeichen geworden, dem Begriffe bloß beigegeben und folglich untergeordnet.
  • Bedeutungseinheiten werden erlebt und mit ihnen die Erscheinungscharaktere, die sich in ihnen "spiegeln", Sachverhalte, soweit sie "begriffen" sind, werden nicht erlebt.

LITERATUR - Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele, Bonn 1981