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JOHANN HEINRICH ABICHT
Kritik des Erkenntnisvermögens
[oder von den Grenzen unserer Erkenntnisse]

In der angewandten Kritik müssen zugleich die falschen Anmaßungen des Erkenntnisvermögens, und die trüglichen Erkenntnisse der Dinge, welche aus jenen Anmaßungen entstanden sind, beurteilt werden.

"Jedes erkennende Wesen . . . kann die Dingen nur als Phänomene erkennen."

E i n l e i t u n g
1. Kapitel
Begriff, Nutzen, Quelle und Teile der Kritik.

§ 1. Ehe wir uns vornehmen und anschicken, Erkenntnisse von den Dingen zu erwerben, müssen wir uns diese Fragen gründlich beantworten: Was wollen wir erkennen und was läßt sich von uns erkennen? Denn sowohl in dem Fall, da wir glauben, erkennen zu können, was doch für uns erkennbar ist, als auch im anderen Fall, wo wir verzweifeln, erkennen zu können, was doch von uns erkannt werden kann, verlieren wir sehr vieles. (1)

§ 2. All unser Erkennen der Dinge geschieht durch unsere Erkenntniskraft. - Eine jede Kraft hat teils in sich selbst die Bedingungen dessen, was sie leisten, oder nicht leisten kann, teils liegen außerhalb von ihr, in den Dingen, mit welchen sie umgeben ist, Bedingungen, welche ihren Bestrebungen und Zwecken Grenzen setzen. Wenn wir also bestimmen wollen, wie weit wir es im Erkennen der Dinge bringen können? so müssen wir teils zu unserer Erkenntniskraft selbst, wie auch zum unmittelbaren Grund allen Erkennens, gehen, und aus der Betrachtung ihres Vermögens, d. h. aus ihren Gesetzen oder festgesetzten Arten des Grundseins von Erkenntnisse, oder aus ihrer Natur anzugeben suchen, wie weit, was für Erkenntnis, und unter welchen Bedingungen sie sie, dieser ihrer Natur nach, geben kann? teils müssen wir aus den Verhältnissen der Dinge und Gegenstände zur Art, wie die Erkenntniskraft erkennen kann, die Einschränkungen ihrer Fortschritte im Erkennen bestimmen.

§ 3. Die wissenschaftliche Lehre von den Dingen unserer Erkenntniskraft im Erkennen der Dinge heißt die Kritik der Erkenntniskraft; -
    1. Sie ist reine Kritik, insoweit in ihr die Grenzen unseres Erkennens aus der unveränderlichen Natur (Eigenheiten) der Erkenntniskraft bestimmt werden; und diese reine Kritik ist teils
      a) eine allgemeine reine Kritik, insofern in ihr die Grenzen unserer Erkenntnisse überhaupt, ohne noch auch besondere namhafte Gegenstände der Erkenntnis Rücksicht zu nehmen, angegeben werden; - teils
      b) eine angewandte reine Kritik, insofern in ihr die Grenzen des Erkennens bei namhaften Gegenständen der Erkenntnis vorgezeichnet werden; - (2)
    2. Sie ist empirische Kritik, insofern in ihr die Einschränkungen der Erkenntnisse, die durch die Verhältnisse der erkennbaren Gegenstände zu den Bedingungen, unter welchen sie unserer Erkenntniskraft erkennbar sind, angegeben werden. (3)
§ 2. All unser Erkennen der Dinge geschieht durch unsere Erkenntniskraft. - Eine jede Kraft hat teils in sich selbst die Bedingungen dessen, was sie leisten, oder nicht leisten kann, teils liegen außerhalb von ihr, in den Dingen, mit welchen sie umgeben ist, Bedingungen, welche ihren Bestrebungen und Zwecken Grenzen setzen. Wenn wir also bestimmen wollen, wie weit wir es im Erkennen der Dinge bringen können? so müssen wir teils zu unserer Erkenntniskraft selbst, wie auch zum unmittelbaren Grund allen Erkennens, gehen, und aus der Betrachtung ihres Vermögens, d. h. aus ihren Gesetzen oder festgesetzten Arten des Grundseins von Erkenntnisse, oder aus ihrer Natur anzugeben suchen, wie weit, was für Erkenntnis, und unter welchen Bedingungen sie sie, dieser ihrer Natur nach, geben kann? teils müssen wir aus den Verhältnissen der Dinge und Gegenstände zur Art, wie die Erkenntniskraft erkennen kann, die Einschränkungen ihrer Fortschritte im Erkennen bestimmen.

§ 3. Die wissenschaftliche Lehre von den Dingen unserer Erkenntniskraft im Erkennen der Dinge heißt die Kritik der Erkenntniskraft; -
    1. Sie ist reine Kritik, insoweit in ihr die Grenzen unseres Erkennens aus der unveränderlichen Natur (Eigenheiten) der Erkenntniskraft bestimmt werden; und diese reine Kritik ist teils
      a) eine allgemeine reine Kritik, insofern in ihr die Grenzen unserer Erkenntnisse überhaupt, ohne noch auch besondere namhafte Gegenstände der Erkenntnis Rücksicht zu nehmen, angegeben werden; - teils
      b) eine angewandte reine Kritik, insofern in ihr die Grenzen des Erkennens bei nahmhaften Gegenständen der Erkenntnis vorgezeichnet werden; - (4)
    2. Sie ist empirische Kritik, insofern in ihr die Einschränkungen der Erkenntnisse, die durch die Verhältnisse der erkennbaren Gegenstände zu den Bedingungen, unter welchen sie unserer Erkenntniskraft erkennbar sind, angegeben werden. (5)

Zweites Kapitel
Zweckmäßiges Verfahren der Kritik

§ 4. Die Untersuchung, wie weit sich Dinge mittels unserer Erkenntniskraft erkennen lassen? ist einerlei mit der Untersuchung, wie weit sich Dinge durch unsere Vorstellungskraft vorstellen lassen; denn wir können alle Dinge nur mit und durch Vorstellungen erkennen. Die Aufgabe der Kritik ist demzufolge diese: Wie weit reicht unsere Vorstellungskraft mit ihren Vorstellungen? zu welchen Zwecken unseres Erkennens kann sie uns berechtigen?

§ 5. Wir müssen, um diese Aufgabe aufzulösen,
    1. Der Entstehungsart unserer Vorstellungen nachforschen, um daraus abzunehmen, inwiefern so entstandene Vorstellungen den Zweck, Dinge mit ihnen vorstellig zu machen und uns gleichsam abzuspiegeln, erreichen lassen. Auf diesem Weg gelangen wir zur Beurteilung der Beschaffenheit (Qualität), oder des Wertes unserer Erkenntnisse und ihrer Tauglichkeit zu einer bestimmten Erkenntnis- und Begründungsart.

    2. Wir müssen die möglichen Hauptgattugnen unserer Vorstellungen aufsuchen, um daraus das ursprünglich beschränkte Maß (die Quantität) unserer Erkenntnis- und Begründungsart zu bestimmen; denn (dies gilt von der Art, wie auch vom Maß unserer Erkenntnisse) wozu wir keine Vorstellungen haben können, wegen der anzugebenden Quelle unserer Vorstellungen nicht haben können, das läßt sich nicht von uns erkennen, bei dem hört all unser Erkennen auf.

    3. Wir müssen die notwendigen Voraussetzungen, unter welchen die uns möglichen Vorstellungen und Erkenntnisse in uns wirklich werden können, genau zu erörtern suchen; damit wir so sicher schließen können: wer, und in wie weit jemand diese Bedingungen wirklicher Erkenntnisse erfüllt, dem und so weit ist ihm das Erkennen der Dinge, das uns zukommt, zugestanden.
§ 6. Vielleicht daß die Notwendigkeit dieses Verfahrens noch mehr aus der Betrachtung der synthetischen Urteile, oder vielmehr der Begriffe einleuchten wird. - Wir erkennen nämlich einen jeden Gegenstand durch einen Begriff und durch dessen zergliederte Darstellung, d. h. durch ein Urteil. Die Vorstellung eines möglichen Etwas, oder eines Gegenstandes überhaupt liegt jedem Begriff zugrunde; sie ist Subjekt oder Stamm eines jeden Begriffs und Urteils: "Ein Gegenstand ist - oder ist nicht - was? und wie?" Dieses was? und wie? muß und kann, wie man sieht, erst durch hinzugekommene Prädikate des Begriffs und Urteils, oder durch Vorstellungen von Merkmalen und ihrer Zusammenhangsarten mit dem Subjekt des Begriffs vorstellig gemacht werden. Aber woher kommen diese Merkmale zu dem ein oder anderen unserer Begriffs- und Urteilssubjekte, die nur noch, wie gesagt, mögliche Etwas, oder Gegenstände überhaupt vorstellen? Man denke sich nämlich, man wolle jetzt erst anfangen, Gegenstände zu erkennen; noch hat man nichts, womit man sie erkennen kann, als die vervielfältigte Vorstellung von: Gegenstand, d. h. nur noch von Merkmalen entblößte Subjekte und Grundlagen zu Begriffen und Urteilen von den Gegenständen; wie werden nun Erkenntnisse der Gegenstände möglich? Auf keine andere Weise als daß Vorstellungen von Merkmalen, und von ihren Vereinigungsarten mit den Subjekten zu Begriffen und Urteilen gegeben werden und hinzukommen, d. h. durch eine Synthese, oder durch ein Begreifen gegebener Merkmale zu der ein oder anderen Subjektseinheit. Aber woher nun die zu Merkmalen der Begriffe und zu Prädikaten der Urteile erforderlichen Vorstellungen? oder wie und wodurch sind Begriffe und Urteile überhaupt, und folglich auch Erkenntnisse der Dinge möglich? wer gibt die Teile und Merkmale eines Begriffs und ihre Verbindungsarten? welcherlei und wie vielerlei können wir erhalten? Geben sie uns etwa die Gegenstände der Begriffe und Urteile selbst? oder erzeugen wir selbst sie willkürlich? oder gibt sie uns ein Gott? usw. Wir werden also durch unsere Aufgabe notwendig zur Quelle unserer Vorstellungen, als zur einzig möglichen Quelle der Auflösung, gewiesen. (6)


Drittes Kapitel
Bestimmtere Zwecke der Kritik

§ 7. Das Geschäft der Kritik wird noch mehr erleichtert, und ihr Gang noch mehr gerechtfertigt, wenn wir gleich anfänglich die möglichen allgemeinen Erkenntniszwecke angeben, die man mit seiner Erkenntniskraft zu erreichen sich vorsetzen kann. Die Fragen: was und wie, und wieviel kann man sich zu erkennen vornehmen? leiten uns auf diese Erkenntniszwecke.

§ 8. I. Erkenntnisarten.
    1. Man kann sich zum Zweck machen, die Dinge selbst, so wie sie ihrer Materie und ihrem Zusammenhang nach für sich existieren mögen, d. h. als Noumena zu erkennen; - Zweck einer überschwenglichen (transzendenten) Erkenntnisart; - oder

    2. Man kann sich bloß damit begnügen, die Dinge so, wie sie sich von unserer so und nicht anders ursprünglich eingerichteten Erkenntnisnatur vorstellen lassen, oder ihr notwendiges Verhalten zu unserem Vorstellungsvermögen und seinen Eigenheiten, zu erkennen, d. h. man kann sich bloß vorsetzen, die Dinge ihrem Stoff und Zusammenhang nach als Phänomene dem Bewußtsein vorzustellen; - Zweck einer immanenten Erkenntnisart.
Welchen von diesen Erkenntniszwecken kann nun unsere Erkenntniskraft erreichen? oder ist sie geschickt, beide Zwecke zu erfüllen?

§ 9. II. Begründungsarten. Es läßt sich ferner denken, daß man sich zum Zweck beim Erkennen macht, entweder
    1. die letzten Wahrheits- und Überzeugungsgründe von den zu erkennenden Dingen selbst abzuwarten, zu empfangen, und in ihnen selbst aufzusuchen, oder auch diejenigen Gründe, die man schon hat, als solche die uns die Dinge selbst unmittelbar gegeben haben, zu erweisen; - Zweck einer überschwenglichen (transzendentalen) Begründungsart unserer Erkenntnisse; - oder, daß man sich vorsetzt,

    2. seine Überzeugungsgründe bloß in seinem eigenen sich bewußten Substrat, in seiner eigenen Erkenntnisnatur aufzusuchen, und sie bloß von seiner eigentlichen Person, die mit diesen und keinen anderen Kräften ursprünglich und unveränderlich begabt ist, anzunehmen und zu erwarten; - Zweck einer immanenten Begründungsart unserer Erkenntnisse.
§ 10. III. Erkenntnismaß. Endlich kann man sich ein bestimmtes Maß von möglichen und gültigen Erkenntnissen zu erwerben vorsetzen, welches Maß entweder
    1. Die Bedingungen des Gebrauchs und der Wirksamkeit unserer Erkenntniskräfte übersteigt; - Zweck eines überschwenglichen (transzendentalen) Erkenntnismaßes; - oder

    2. welches den Bedingungen, unter welchen wir mit unseren Erkenntniskräften mögliche und gültige Erkenntnisse wirklich erlangen können, gemäß ist; - Zweck eines immanenten, menschlichen Erkenntnismaßes. - Gegenstände der empirischen Kritik.

Erstes Hauptstück
Allgemeine Kritik

Erster Abschnitt
Allgemeinste Ansprüche unseres
Erkenntnisvermögens.

§ 11. Das sicherste, was wir von unseren Vorstellungen und Erkenntnissen sagen können, ist dieses: wir haben sie, wir sind uns derselben untrüglich bewußt. Aus dieser Wahrheit läßt sich aber über Wert und Gebrauch, über Begründungsart und Maß der Erkenntnisse nichts folgern. Nur erst dann, wenn wir über den Ursprung unserer Vorstellungen ins reine gekommen sind, können wir die gültigen Ansprüche unserer Erkenntnisse, und ein Erkenntnismaß erwägen.

§ 12. Allein schon selbst die Frage: woher entspringen unsere Vorstellungen? welches ist die Ursache, deren Wirkung sie sind? welche Frage durch den Grundsatz möglich wird: alles Äußere, was uns vorkommt, also auch jede Vorstellung in uns, ist Wirkung, und hängt notwendig mit einer Ursache zusammen, - selbst diese Frage weist uns einen Anspruch auf Gültigkeit vor, der noch erst zu untersuchen ist. Was berechtigt uns nämlich, anzunehmen: "was uns Äußeres vorkommt ist die Wirkung einer Ursache? unsere Vorstellungen, sie selbst, sind Wirkungen, sind etwas aus einer Ursache entsprungenes?" - Nichts, als eine innere (subjektive), dem Ich, unserer erkennenden Person anhängende, von ihr und all ihrem Erkennen unzertrennliche Nötigung, deren Dasein ebenso sicher im Bewußtsein ist, wie das Dasein der Vorstellungen, also eine unwillkürliche, sich mir von selbst aufdringende unveränderliche Eigenheit des erkennenden Ichs, berechtigt mich, es gelten zu lassen, was und wie jener Grundsatz mir das mir Vorkommende vorstellig macht. Ich bin berechtigt, meine Vorstellungen aus einer Ursache entsprungen anzunehmen, weil ich es durch mich selbst und durch die Natur, die ich habe, genötigt so annehmen muß, wenn ich erkennend sein will; und was unwillkürlich und unveränderlich sein muß, das ist recht und gültig, was mir so sein muß, das ist mir so recht und gültig.

§ 13. Ist aber die Nötigung, die mich zu der besagten Annahme berechtigt, nur meine eigene persönliche Nötigung; so ist auch die Berechtigung, welche von ihr abhängt, nur meine eigene und keines andern, also nicht der Gegenstände, - sie ist bloß Berechtigung für das mich Erkennende; folglich sind die Vorstellungen, sie selbst, Wirkungen einer Ursache; aber nur insofern ich die erkennende Person sie vorstelle, beurteile und erkenne; denn ich weiß nur, wie und was sie mir, weil ich eine solche erkennende Person bin, sein müssen. - Was ich also von der Entstehungsart der Vorstellungen vermöge meiner eigenen Nötigung und Berechtigung richtig folgere und behaupte, das folgere und behaupte ich von ihnen nur für mich, die erkennende Person, aber für mich, und andere in der Erkenntnisnatur mir gleiche Personen, immer gültig und rechtlich, eben weil wir nie anders können, weil es uns so sein muß. Gleich anfänglich also bei dem Versuch, unsere Vorstellungen zu erkennen, und aus dieser Erkenntnis ihren Wert im Erkennen der Dinge abzuleiten, können wir mit unserem Erkenntnisvermögen nur so weit kommen, daß wir gültig behaupten: sie sind für uns Wirkungen einer Ursache, sie entstehen. - Nun entsteht die Frage: von welcher namhaften Ursache können sie für mich Wirkungen sein?

§ 14. Alle unsere Vorstellungen sind Wirkungen unserer eigenen Vorstellungskraft, sie sind sämtlich unmittelbare Produkte dieser Kraft. Keine von dieser Vorstellungskraft verschiedene Kraft kann unmittelbar Vorstellungen der Seele geben, überliefern und gleichsam einflößen; sie kann nur meine Vorstellungskraft zum Hervorbringen der Vorstellungen bringen und bestimmen, oder bestimmt veranlassen; dies gilt, auch wenn jene Kraft selbst Vorstellungen hat. Weder die Materie also, noch die Form irgendeiner Vorstellung kann der Vorstellungskraft von einem Ding außer ihr gegeben werden; sondern nur sie gibt die Vorstellungen ganz zum Bewußtsein; andere Dinge außer ihr können sie nur affizieren, und dadurch Empfindungen (veränderte Bestimmungen der Wirksamkeit der Seelenkraft) in ihr hervorbringen (vgl. Teil 1, § 40-42). (7)

§ 15. Wir erkennen einen Gegenstand dadurch, daß wir die Vorstellung mit ihrem Inhalt auf Etwas von ihr Verschiedenes beziehen, und dadurch ein Bewußtsein oder Erkennen des Gegenstandes, der nicht unsere Vorstellung von ihm ist, in uns hervorbringen. (siehe "Theorie des Bewußtseins"). Selbst dieses Beziehen einer Vorstellung auf Etwas von ihr Verschiedenes, und das dadurch hervorgebrachte Bewußtsein oder Erkennen eines Gegenstandes wird nur durch unsere Erkenntniskraft, welche jene Beziehung vermöge der Nötigung ihrer Natur vornimmt, und welche also aus sich selbst das Bewußtsein und Erkennen eines Gegenstandes überhaupt mit der aus sich erzeugten Vorstellung, nicht weniger das Unterscheiden des Gegenstandes von der Vorstellung desselben hervorbringt, allein möglich. - Ich, Geisteskraft, bin bei allem Wissen und Erkennen der Gegenstände die erkennende Kraft, die Erkenntniskraft, d. h. die unmittelbare Ursache jeden Wissens, Bewußtseins oder Erkennens der Gegenstände, also der beständige Grund der Möglichkeit des Erkennens.

§ 16. Bin aber Ich, die Erkenntniskraft, der unmittelbare Grund der Vorstellungen, als auch des Erkennens der Gegenstände mit denselben (§ 14 und 15); so bin ich eben deswegen auch der unmittelbare Grund, warum mir überhaupt Gegenstände vorkommen, warum es Gegenstände für mich gibt. Schon dies ist die Bestimmung eines Anspruchs meines Erkenntnisvermögens:
    "Daß es mir rechtlicherweise nur erkennen lassen kann, daß Ich, das Erkennende, der letzte unmittelbare Grund bin, warum ich Gegenstände überhaupt annehme, daß Gegenstände für mich Gegenstände sind, weil Ich eine Erkenntniskraft, und keine andere Kraft bin. - Aber rechtlicherweise kann meine Erkenntniskraft mir auch nur zu erkennen geben, daß Gegenstände durch mich, das Erkennende, für mich notwendig sind, daß es ohne Widerrede Gegenstände für mich, das Erkennende, gibt, daß ich vollkommen durch mich berechtigt bin, sie anzunehmen, weil ich, sofern und solange ich das Erkennende bin, es annehmen muß; und was ich durch unwillkürliche, absolute Selbstnötigung annehmen muß, das darf ich annehmen, das bin ich berechtigt anzunehmen."
§ 17. Bin ferner Ich, die Erkenntniskraft, durch mein Erzeugen der Vorstellungen, ihrer Arten von Teilen und deren Verbindung, der Grund selbst (§ 15), warum Gegenstände, diesen meinen Vorstellungsarten gemäß, so und anders von mir vorgestellt und erkannt werden; so schränkt sich mein Erkenntnisvermögen notwendig nur dahin ein:
    "Durch mein Erkenntnisvermögen kann ich nur wissen, wie, mit welcher Materie und Form dieses mein Vermögen selbst mir die Gegenstände erkennen läßt; wie die Gegenstände den aus meiner eigenen Erkenntnisnatur entsprungenen Arten von Vorstellungen gemäß für mich beschaffen sind, und sein können, - also, was für Phänomene die Gegenstände für mich sind und sein können; aber auf keine Weise, wie sie ihrer Materie und Form nach ansich existieren, oder was und wie sie als Noumena sein mögen."
Denn, um mir die Gegenstände zum Bewußtsein darzustellen, wie sie für sich selbst existieren mögen, müßte meine Vorstellungskraft nicht bloß solche Vorstellungen von ihnen, die und wie sie sie aus sich selbst und ihrer Natur gemäß erzeugt hat, vorweisen, sondern auch Vorstellungen, die den Beschaffenheiten der Gegenstände, die sie als für sich existierende haben mögen, gemäß gebildet sind, irgendwoher empfangen; allein wir haben keine Kraft, die schon irgendwo anders gebildete, fertige Vorstellungen empfängt, sondern nur eine solche, in welcher und von welher die Vorstellungen nah dem Modell ihrer eigenen Natur gebildet werden. Da wir also keine Vorstellungen von den Dingen und ihren Eigenheiten, so wie sie an ihnen selbst sein mögen, erhalten können, und doch alles durch Vorstellungen erkannt werden muß; so folgt, daß wir die Dinge als Noumena nicht erkennen können. (8)

§ 18. Ob nun meine, nach den Gesetzen oder nach der eigentümlichen Natur meiner Vorstellungskraft erzeugten und gebildeten, Vorstellungen und die Eigenheiten, die sie an den Dingen vorstellig machen, mit den Beschaffenheiten und Eigenheiten, welche die Gegenstände ansich, sie als Noumena betrachtet, haben mögen, übereinstimmen oder nicht übereinstimmen, eben so oder verschieden sind? dies kann ich mit meiner Erkenntniskraft unmöglich bejahen, oder verneinen; denn um dies zu können, müßte ich eine Vergleichung anstellen können zwischen den Eigenheiten, die mir meine Vorstellungskraft mit den von ihr abstammenden Vorstellungen vorstellung macht, und zwischen denjenigen Eigenheiten, die die Dinge für sich selbst haben mögen; - da ich nun aber von den letzteren Eigenheiten als solchen nirgendwo mit meiner immer nur nach ihrer eigenen Natur vorstellenden Vorstellungskraft Vorstellungen erhalten kann; so
    "kann ich auch zwischen beiderlei Vorstellungen keine Vergleichung anstellen, folglich darf ich auch weder bejahen noch vereinen, daß die Dinge, sie für sich existierend, so beschaffen sind, oder nicht sind, wie ich sie nur mit meinen Vorstellungen beschaffen mir vorstelle."
§ 19. Allein, ebenso notwendig und folglich gültig es für mich, das Erkennende, ist anzunehmen, es gibt Gegenstände für mich überhaupt, oder so notwendig und gültig, d. h. dem, was ich absolut einmal bin, ganz gemäß, ich verfahre, wenn ich eine meiner Vorstellungen überhaupt auf einen Gegenstand schlechthin beziehe (§ 16), und somit mir eines Gegenstandes überhaupt bewußt werde; ebenso notwendig, und durch eben die unwillkürliche Selbstnötigung geleitet, folglich von mir unwidersprechlich berechtigt, verfahre ich auch, wenn ich den ganzen notwendigen Inhalt einer meiner Vorstellungen auf ihren Gegenstand beziehe, und dadurch eine Erkenntnis der Materie und Form, und einer solchen Materie und eines solchen Zusammenhangs derselben, wie beide von meinen, meiner Vorstellungskraft notwendigen, Vorstellungen mir vorstellig gemacht werden, in mir erzeuge; denn ich muß jede meiner so und nicht anders durch micht gebildeten Vorstellungen sie ganz als Vorstellungen (als etwas, das mir einen Gegenstand vorstellig macht und zu erkennen gibt), und als mit mir recht (notwendig so und nicht anders durch mich bildbare) gebildete Vorstellung gebrauchen; sonst würde eine solche Vorstellung in mir nicht mehr das, was sie ist, nämlich eine Vorstellung, sein dürfen, können und müssen; und ich, wenn ich mit ihren Gegenstand nicht erkennen sollte und dürfte, würde nicht mehr das, was ich absolut bin, das Erkennende, sein dürfen, können und müssen. Also
    "Ich bin mir unwiderruflich berechtigt, anzunehmen, und zwar als untrüglich wahr anzunehmen, daß ich mit Vorstellungen, die ihrem ganzen Inhalt nach so sind, wie sie der Natur meiner Vorstellungskraft gemäß sein müssen, die Dinge und ihre Materie und Form so erkenne wie sie für mich beschaffen sind, sein können und müssen, und daß ich sie als solche recht erkenne, solange ich diese erkennende absolute Natur habe, die ich, solange ich überhaupt als erkennendes Wesen existiere, nicht ausziehen und verlieren kann, d. h. ich erkennen die Dinge mit den meiner Erkenntnisnatur gemäßen Vorstellungen nach allen ihren Eigenheiten, die mir von solchen Vorstellungen an ihnen vorstellig gemacht werden, so wie sie für mich, das Erkennenende, immer sind, sein werden, können und müssen." (9)
§ 20. Allgemeinste Resultate dieser Kritik.
    1. Alle Begründung einer Erkenntnis ist nur möglich durch den Grundsatz der Ursache und Wirkung, und durch seine Gültigkeit; da nun aber diese Gültigkeit so wie der Grundsatz selbst, er von der Natur meiner Vorstellungskraft und die Gültigkeit desselben von einer mit ihm gegebenen und verbundenen bloß inneren Nötigung meines erkennenden Ichs abhängt; so folgt:

    "Daß mir diejenige Begründungsart meiner Erkenntnisse, die durch Gründe, welche die von mir verschiedenen Gegenstände meiner Erkenntnis mir in von ihnen selbst gebildeten und gegebenen Vorstellungen darreichten, geschehen soll (welche Begründungsart man etwas zweideutig die objektive nennt) für mich überschwenglich (transzendental) und ganz unmöglich ist; sondern, daß mir nur diejenige Begründugns- und Beweisart meiner Erkenntnisse übrig und möglich ist, die durch Gründe, die Ich, das Erkennende, mit dieser meiner absoluten, einmal gegebenen Natur, mir selbst geben, und durch mich selbst für mich berechtigen und gültig machen muß, geschieht, d. h. die immanente (§ 9) oder, wie man es nicht weniger zweideutig ausdrückt, die subjektive Begründungsart; daß aber diese Begründungsart für mich und alle Menschen immer durch uns absolut und unveränderlich gültig und für uns berechtigt ist, und eine vollendete unerschütterliche Überzeugung und Gewißheit in uns erzeugt, und hervorbringen muß" (vgl. § 12 und 13). Ferner

    2. diejenige Erkenntnisart, welche im Erkennen der Dinge selbst, so wie sie für sich existieren mögen, bestehen soll, ist überschwenglich (transzendental) und für uns unmöglich; es bleibt uns keine andere Erkennentnisart möglich, als die immanente, welche im Erkennen der Dinge, sie als Phänomene, als Dinge für uns betrachtet, besteht (§ 8); aber zu dieser Erkenntnisart sind wir durch das, was wir sind, sein können und müssen, unabänderlich berechtigt."
LITERATUR - Johann Heinrich Abicht, Philosophie der Erkenntnisse, Bd.2, Bayreuth 1791
    Anmerkungen
    1) Wenn auch die auf das unmöglich Erkennbare verwandte Zeit und Kraft nicht verloren wäre; so ist doch dies gewiß, daß die angeblichen Erkenntnisse vom unmöglich Erkennbaren niemals für uns treue Wahrheit sein kann, daß man ihnen höchstens durch Vernünfteleien und Verwirrung nur einen temporären Schein von Wahrheit und nur einen zeitigen, schwankenden Glauben verschaffen kann, bei dem unser Lebenszweck und unser Streben nach demselben schlecht geborgen ist. Auch ist es gewiß, daß die Einbildung des Wissens beim Überfliegen der Erkenntnisgrenzen, d. h. bei der Schwärmerei im Erkennen, sehr viel Unfug entsteht; ebenso gewiß wie, daß die Verzweiflung an unserer Macht zu erkennen Schwäche, Trägheit und Gleichgültigkeit hervorbringt und uns im Streben nach unserem Lebenszweck hemmt.
    2) In der angewandten Kritik müssen zugleich die falschen Anmaßungen des Erkenntnisvermögens, und die trüglichen Erkenntnisse der Dinge, welche aus jenen Anmaßungen entstanden sind, beurteilt werden.
    3) Es braucht die allgemeine empirische Kritik hier nur kurz abgehandelt zu werden, weil schon in der allgemeinen angewandten Logik, wo die empirischen Bedingungen wahrer Erkenntnisse vorgetragen wurden, mit diesen Bedingungen auch die Grenzen unseres Erkennens angegeben worden sind.
    4) Man nennt (einen Begriff und) ein Urteil synthetisch, wenn und insofern das eine oder andere Merkmal als ein jetzt neu hinzugekommenes in ihm vorgestellt wird; analytisch aber, wenn und insofern das eine oder andere im Begriff schon liegendes Merkmal durch eine Zergliederung (Analyse) des Begriffs abgesondert, und nun wieder mit ihm verbunden vorgestellt wird. Man sieht, daß jede Analyse eine Synthese, also jedem analytischen Urteil ein Begreifen oder eine Synthese vorausgehen muß (vgl. Teil 1, § 59, Anm. 2 und § 77).
    5) Also nicht Gott, nicht die von der vorstellenden Kraft verschiedenen Gegenstände geben der Vorstellungskraft Vorstellungen; in diesen Fällen wäre die Vorstellungskraft auch nicht mehr sie selbst, d. h. nicht mehr Kraft oder Ursache der Vorstellungen.
    6) Jedes erkennende Wesen, das nicht die Dinge selbst nach dem Modell seiner aus sich selbst und seiner absoluten Erkenntnisnatur gemäß erzeugten Vorstellungen außer sich existierend bilden und hinstellen (konstituieren) kann, also ein jedes Wesen, welches nicht, wo nicht Schöpfer, doch wenigstens, Urbilder der Dinge ist, sondern welches schon fertige, für sich selbst bestimmte (genaturte) Dinge durch seine Erkenntniskraft erkennen muß, kann, so wie wir, die Dingen nur als Phänomene erkennen.
    7) Man bedenke jedoch, ob dasjenige, was die Vernunft zum Inhalt einer Vorstellung hinzutut, nicht eben so notwendig zur Vorstellung gehört, wie dasjenige, was Sinn und Verstand dazu hergeben, und wie weit nun wohl die Berechtigung der Vernunft im Erkennnen der Dinge gehen mag?
    8) Eine Erkenntnis oder Vorstellung heißt objektiv entweder, 1. Wenn und insofern sie angesehen wird als eine von ihrem, von meiner Vorstellungskraft verschiedenen Objekten mir gegebene: oder 2. insofern sie angesehen wird als eine ihr Objekt, so wie es für sich selbst existieren mag, vorstellende, sie mag übrigens mir gegeben sein woher es mag; oder 3. insofern sie angesehen wird als eine ihr Objekt für mich notwendig und gültig vorstellende und zu erkennen gebende Vorstellung; nur in der letzteren Bedeutung haben wir objektive Vorstellungen, Erkenntnisse und Gründe. - Eine Erkenntnis und Vorstellung kann subjektiv genannt werden, insofern sie 1. als eine von mir, dem vorstellenden Subjekt, nicht von ihrem Objekt, gegebene, 2. als eine nur für mich, das vorstellende Subjekt, als immersolches, als für mich ihren Gegenstand absolut richtig und gültig vorstellende, 3. als eine nur für mich, der ich eben jetzt ein so (meinen Gesätzen völlig gemäß oder nicht) vorstellendes Subjekt bin, also für mich, solange ich ein so Vorstellendes bin, gültige und annehmliche Vorstellung angesehen wird. Subjektive Vorstellungen und Erkenntnisse in der ersten und zweiten Bedeutung sind zugleich objektive in der obigen dritten Bedeutung; subjektive Erkenntnisse in der dritten Bedeutung sind aber keine objektiven, man müßte dann zu einer noch größeren Verwirrung der Sache eine Vorstellung auch schon insofern objektiv nennen, als sie schon sofern sie Vorstellung ist, ein Objekt vorstellt.
    9) Eine Erkenntnis, die durch Gründe, welche uns ihr Objekt in einer Vorstellung gegeben hätte, als eine solche erwiesen würde, welche ihr Objekt, so wie es für sich selbst existieren mag, und vorstellig machte, würde transzendentale Wahrheit haben; eine solche Wahrheit ist für uns überschwenglich, und unmöglich zu erlangen. Von dieser Art von der Wahrheit einer Erkenntnis ist diejenige zu unterscheiden, die man die metaphysische nennt, und welche in der Gesetzmäßigkeit einer Erkenntnis, die keine empirische Anschauung lieg, besteht. Alle Erkenntnisse, denen eine absolute unerfahrbare Allgemeinheit und Notwendigkeit zukommen soll, müssen metaphysische Wahrheit haben; das nämlich gilt von den reinen Erkenntnissen a priori. Die Gesetze, denen gemäß diese Erkenntnisse sein müssen, sind die Gesetze unserer Geistesnatur, deswegen ist metaphysische Wahrheit zu erlangen, für uns nicht unmöglich, und die Wahrheit, die diese Gesetze den Erkenntnisse geben, ist eine objektive Wahrheit in der dritten Bedeutung des Wortes "objektiv" und auch eine subjektive, in der ersten und zweiten Bedeutung des Wortes (siehe die vorigen Anmerkung).