Der Neopositivismus | |||||
Kant contra Einstein
Eine seltsame Ironie des Schicksals zwingt mich, die ich mir als Lebensaufgabe gesetzt hatte, das gute Recht von Raum- und Zeitgültigkeiten - das Recht des "Phänomenalen" - in ihrer Heimatsphäre, der Sphäre, wo sie konstituierend sind, gegen Übergriffe einer intellektualistischen Auffassung zu verteidigen (siehe meine Dissertation), nun den notwendigen eisernen Bestand des theoretischen Gebäudes gegen einen wild und tollgewordenen Phänomenalismus zu verteidigen. Suum cuique [Jedem das Seine - wp]: sind diese Raum-Zeit-Formen mit ihrer eigentümlichen, perspektivischen Gesetzlichkeit, mit ihrer gleitenden Relation, mit ihrem Fehlen von allem, was an Identität, Kausalität, Realität im üblichen und exakten Sinn erinnert, bisher zu lange unbeachtet ihrem eigentlichen und eigentümlichen Wesen nach geblieben, so muß doch die Überwältigung des theoretischen Denkens durch die "relativen" Gesetzlichkeiten der phänomenalen Sphäre ebenso kräftig abgewehrt werden. Nur wer überhaupt dort Unterschiede sieht, kann Übergriffe erkennen. Gerade weil mir diese Sphäre der Raum-Zeit-Gültigkeit in ihren eigentümlichen Bedingungen sehr vertraut ist, erkenne ich mit Schrecken, wie ungeheuer aufgebauscht und in ihrer Bedeutung verzerrt sie und ihre Art der Gültigkeit nur als fermentum decompositionis [Gärungsprozeß - wp] in der neuen Theorie auftauchen. Und zwar vor allem in der sogenannten "Allgemeinen Relativitätstheorie" EINSTEINs, die die ganze theoretische Gesetzeswelt im Grunde unter das Gesetz der Relativität stellen will. Bestimmte bedenkliche und schwierige Punkte der sogenannten Speziellen Relativitätstheorie, die die Relativität, die Vertauschbarkeit der Deutung von Ruhe und Bewegung mit ihrer Konsequenz für Messungen nur auf geradlinige und gleichförmige Bewegung beschränkte - und mit gutem Grund, denn bei anderen tritt der Kraft- und Kausalbegriff gebieterisch eindeutig hinzu und macht aus der bloßen "Bewegung" - Verhältnis vom Räumlichen zum Zeitlichen - ganz etwas Neues, - brechen nun in der Allgemeinen Relativitätstheorie als Wunden auf. Nun ist alles zweideutig und "alternativ", relativ deutbar, nun "scheint" nicht nur, sondern "ist" etwas so und anders - d. h. die Sphäre des rein Phänomenalen, das keine Wahrheit im strengen Sinne kennt und kennen kann - die Erscheinung ist noch kein "Irrtum", nur der Schein ist Irrtum - frißt die Sphäre des Realen auf. Damit ist unsere Wissenschaft entweder, trotz gelehrter Umwege, auf einen primitivsten Standpunkt zurückgeschleudert, oder, was im Effekt auf dasselbe herauskommt, in einen solchen Standpunkt wieder zersetzt, wo die Frage der Wahrheit sinnlos wird. Hat EINSTEIN den "Absolutismus gestürzt", so hat er die wissenschaftliche Wahrheit gestürzt, den theoretischen Wirklichkeitsbegriff in seiner notwendigen Eindeutigkeit zertrümmert. Wir mögen alternativ meinen, Hypothesen aufstellen oder irren - aber voraussetzen müssen wir, daß das Festzustellende auch "fest" ist, unabhängig von einem Standpunkt, eben "absolut". Sonst schöpfen wir Wasser in ein Sieb und können unser Denken überhaupt aufgeben. Wenn etwas nicht nur verschieden erscheinen kann, sondern auch ansich "verschieden" "ist", selbst "relativ" ist, d. h. abhängig vom Standpunkt und Zustand des Beschauens, - nicht nur etwa in den Maßbedingungen, sondern im Gemessenen selbst, so hört jedes Denken auf. Der Rest ist Skepsis, Verwirrung, Relativismus. Ist wirklich der Mensch das Maß aller Dinge geworden? Dekretiert und schafft er Existenzen, Kausalitäten, mehrt und mindert er Substanzen "relativ" zu ihm und seinem Standort? So aber stellt sich, durch eine Verwechslung von Phänomenalem und Realem, von perspektivischer und somit relativer Betrachtung eines zwar phänomenalen, erscheinenden Realen mit einer Relativität dieses Realen selbst, das vielmehr der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen denknotwendig sein muß, das neue Weltbild dar, wo es über eine methodische Bedeutung seiner "Entdeckungen" hinaus schreiten will. Wir wollen versuchen, das Trugbild auf seinen wahren Gehalt zurückzuführen. Die Aufgabe ist so riesengroß, daß hier nur die Richtung des Weges angedeutet werden kann. Unser Wegweiser aber ist wieder einmal: KANT (2)
Die Relativitätstheorie, auch in der Umbildung und Erweiterung, die EINSTEIN ihr neuestens als "allgemeine Relativitätstheorie" gegeben hat, scheint ihren Siegeszug antreten zu wollen. Fast ist sie schon zu einem festen Besitz der physikalisch-philosophischen Theorie erklärt, obwol auch ihre experimentellen Bestätigungen bei weitem nicht so sicher und so zahlreich sind, wie es, nach der Ankündigung der gefundenen Lösung schwierigster Probleme, den Anschein haben könnte. Und vor allem ergeben auch die experimentellen Bestätigungen spezieller Art noch keineswegs die Beweise für die theoretische Grundauffassung, die EINSTEIN in seiner "erweiterten" Relativitätstheorie als gesichert hinstellen möchte: nämlich die Gültigkeit der Relativität der Bewegungen für alle Bewegungsarten einschließlich der Gravitation, für die Äquivalenz von Gravitationswirkung und Beschleunigung des Beobachtungsortes (Bezugssystem). Vielmehr kann man physikalische Einzelresultate EINSTEINs anerkennen, ohne ihm doch seine neue Grundposition zuzugeben. Für den philosophisch wertenden und abwägenden Zuschauer bietet sich ein seltsames Schauspiel. Er sieht den physikalischen Theoretiker eifervoll den Ast absägen, auf dem er selber sitzt, d. h. er sieht den an die Grundbedingungen des theoretischen Denkens gebundenen Forscher die Grundlage allen theoretischen Feststellens überhaupt zerstören: es ist die apriorische Voraussetzung der Eindeutigkeit, genauer: der Identität der gemeinten Naturvorgänge, um die sich die Deutung bemüht. Es handelt sich also nicht etwa um Hypothesen, die in mehrfacher Deutung an einen zu erforschenden Sachverhalt knüpfen, sondern um die Preisgabe des letzten vom Theoretischen unablösbaren Prinzips, daß sich das Zugrundegelegte, "in Wirklichkeit" nur auf eine bestimmte Weise verhalten kann. Das Äquvalenzprinzip EINSTEINs ist der Schlag ins Gesicht des theoretisch notwendigen und apriorisch gegebenen Wahrheitsbegriffs, nachdem bereits vor der endgültigen Fassung des Relativitätsprinzips wiederholte Versuche und Anstürme ihn ins Schwanken zu bringen versuchten. Ein "phaenomenon intellectuam", um mit KANT zu reden, trägt hier die heterogenen Gesetzlichkeiten seiner Sphäre zerstörend in die festgefügte Welt des Intellekts. Und diese Verwechslung und Vertauschung der "intellectualia" und der "sensitiva", die das metaphysische vitium subreptionis, das "Laster der Erschleichung" darstellen, trägt ihre Strafe sofort in sich: Zwiespältigkeit und innerer Widerspruch des Aufgestellten, und Selbstzerstörung der Theorie. Ansich und in seiner noch nicht überwuchernden Gestalt bedeutete das moderne Relativitätsprinzip eine nützliche Erweiterung des Blickfeldes der theoretischen Forschung; eine Erweiterung, die sich zum ersten Mal genötigt sah, einen Typus von Formen und Gesetzmäßigkeiten in ihrem eigentümlichen Charakter fest ins Auge zu fassen, welcher bisher vielfach gröblich vernachlässigt war, nämlich den Typus alles rein Räumlichen und Zeitlichen. Eine Erweiterung, die zwar von KANT, vor allem in seinem "Neuen Lehrbegriff von Bewegung und Ruhe" (1758) und in seinen "Metaphysischen Grundlagen der Naturwissenschaft" (1786) schon klar vorgezeichnet war, und prinzipiell schon eine saubere Lösung all der Fragen gab, die heute unseren Physikern zu schaffen machen, die aber in der physikalischen Welt so gut wie gar keine, in der philosophischen auch nur verhältnismäßig schwache Spuren hinterließ und bei KANT selber, trotz der Konsequenzen, die er in der "Kritik der reinen Vernunft" für die theoretischen Belange mit systematischer Klarheit zog, über der Fülle seiner Probleme wieder in den Hintergrund trat. Erstaunlicher als die fehlende Nachwirkung des obenerwähnten physikalisch-theoretischen Werks von KANT ist fast schon die Tatsache, daß die modernen physikalischen Theoretiker auch die philosophischen Grunderrungenschaften eines KANT, selbst in den unumstrittensten Resultaten seiner Kr. d. r. V. nicht ihrem Denken nutzbar machten. Wer die verschiedenen Schriften pro und contra in der Erörterung des Relativitätsprinzips verfolgt hat, der kann, ohne zuviel zu behaupten, sagen, daß noch nicht einmal der Begriff der Kategorie und ihr grundlegender Unterschied von der Raum- oder Zeitgesetzlichkeit den Forschern zu Bewußtsein gekommen ist. Die Verwechslungen von Kausalität mit Zeit, von Substantialität mit Raum lassen sich dort zu Dutzenden aufzeigen. Dieser Umstand - das Fehlen philosophischer Besinnung und die ungeheuerlichen, überflüssigen Verwirrungen, die daraus für die ohnehin schwierige Materie erfolgen, - können wohl den Anstoß dazu geben, daß man auch von philosophisch-erkenntnistheoretischer Seite in dieser Sache hervortritt. Die Kritik hier soll sich auch ausschließlich auf die philosophischen Grundlagen und Folgerungen beziehen, die aber sowohl für die physikalische wie die philosophische Forschung bedeutsam sind. Am "neuen" Begriff von Raum, Zeit und Bewegung, der durch die Relativitätstheorie von theoretisch-wissenschaftlicher Seite herausgearbeitet wird, hat ja auch die Philosophie, und nicht nur von der theoretischen Disziplin her, ein starkes Interesse, und sie kann am wenigstens stillschweigen, wenn der Begriff der Wirklichkeit und die Bedingungen theoretischer Erkenntnis überhaupt zerstört und aufgelöst werden. Die Tendenz dazu liegt in der Zeit: es ist kein Zufall, daß die sogenannten Phänomenologen - in ihren jüngeren und radikaleren Vertretern - ohne es zu wissen, denselben Weg der Zerstörung wandeln: Zwischen Fiktion und Vorstellung des Wirklichen gibt es für sie kein entscheidendes Kriterium, soll es keins geben, da es ihnen nur auf den phänomenalen Gehalt ankommt. Damit mag sehr seine und wertvolle Spezialforschung, insbesondere zugunsten ästhetischer oder psychologischer Vorgänge geleistet werden - als Gesamteinstellung einer Erkenntnistheorie zerstört dieser Standpunkt sich selbst und seine eigenen Grundlagen. Ist im Fall der Phänomenologen eine Art versetzter Ästhetizismus und ein ungeduldiges Rütteln an den Schranken des theoretischen Formenkreises vielfach die Veranlassung so einer prinzipiellen Überwertung phänomenaler Faktoren, so ist beim Vorstoß von physikalischer Seite die dringende Notwendigkeit einer Einsicht in den letzten Charakter besonders gearteter Formen, wie Raum und Zeit, gar nicht zu bestreiten; die Not hat die Physiker gezwungen, sich das eigentliche Wesen von Raum und Zeit und somit Bewegung, genauer anzusehen, um sie dann, unter den Bedingungen des theoretischen Erkennens, beherrschen zu können. Der eigentümliche Rückschlag im Verlauf der Untersuchungen ist nur der, daß die "neuentdeckten", lange vernachlässigten Eigentümlichkeiten dieser Formen nun, sozusagen im Schreck und Staunen über ihren, dem theoretischen Denktypus so ganz fremden und inkommensurablen Charakter in ihrer prinzipiellen Bedeutung für die eigentlichen Erkenntnisziele weit überschätzt werden und statt zu Dienern zu Herren gesetzt werden, die das ganz Gebäude theoretischen Denkens zu zertrümmern drohen. Es ist, mit NIETZSCHE zu reden, eine Art Rache der Unterdrückten, die sich jetzt in der theoretischen Disziplin zeigt, - die Relativitätstheorie ist, sowohl in den Schwankungen und Irrtümern der ansich sehr zu begrüßenden sogenannten speziellen Relativitätstheorie (die sich auf gradlinige und gleichförmige Bewegungen beschränkt), wie vor allem in der stürmischen Erweiterung ihrer Gültigkeit auf alle und zwar physikalischen Vorgänge, nicht als ein einziges triumphierendes "phaenomenon intellectuam", eine zu theoretischer Gültigkeit aufgebauschte "Phänomenalisierung" der Denkweise. Es wäre nun im einzelnen nachzuweisen, inwiefern eine solche Verwechslung phänomenaler und realer Gültigkeiten in der Relativitätstheorie, vor allem in der allgemeinen Relativitätstheorie EINSTEINs vorliegt, und inwiefern in den Kantischen Errungenschaften sowohl ein Schlüssel zur Lösung des sachlichen Schwierigkeiten (teilweise auch schon die Lösung selbst!) gegeben ist, als eine Widerlegung der hauptsächlichsten und folgenschwersten Irrtümer. Die Darlegung der Fehlerquellen und Verirrungen ist ungeheuer schwierig, denn sie fordert einerseits ein festes Zurückgreifen auf die zu unterst gelegene philosophische Schicht, auf die oft unausgesprochenen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, die unter den Schichten der mathematischen und physikalischen Erwägungen als "selbstverständliche" Annahmen verborgen sind, sodann aber eine sehr subtile, scheinbar kleinliche Behandlung der Probleme. Denn in einem unscheinbaren "selbstverständlichen" Zusatz liegt oft der Hinweis auf das proton pseudos [erster Fehler - wp] für lange Fehlerketten, die bisweilen allerdings in der Sackgasse einer offenbaren Abstrusität enden. Sodann aber ist es für einen Nicht-Mathematiker und Nicht-Physiker oft sehr schwer, überhaupt das Netz der Einzelbehauptungen zu durchdringen, um zu diesem philosophischen Untergrund zu gelangen, und unmöglich, es zu kontrollieren. Vor dem Eintritt in die spezielle Untersuchung seien hier aber noch einige Hauptpunkte aufgestellt, die die Haupteinwände vor allem gegen EINSTEINs neue "allgemeine" Relativitätstheorie und die Erfordernisse zur Behebung der Verwirrung kurz zusammenfassen. 1. EINSTEIN hat das spezielle Relativitätsprinzip mit seinem richtigen Gedanken der Gleichwertigkeit von Bezugssystemen für eine räumliche und zeitliche Messung durch Verallgemeinerung sozusagen "überdreht". Damit ist sein ursprünglicher Sinn - die Unterscheidung von Faktoren, die die theoretische Gesetzlichkeit tangieren und verändern, und solchen, die sie nicht tangieren und für die endgültige Formulierung gleichgültig sind, in Unsinn verkehrt. Ansätze zu einer solchen Überspannung spezieller Gültigkeiten in allgemeine boten bereits gewisse Inkonsequenzen der speziellen Relativitätstheorie (Interpretierung eines Raum-Zeit-Messungseffekts als reale Wirkung und Deutung von phänomenalen Gesetzlichkeiten als reale; "Kausalisierung" der Zeit und Substantialisierung des Raums, - also rechte phaenomena intellectuata; daraus: "Erschleichung" von angeblich auch für das theoretisch Reale gültigen Aufstellungen). Diese "Inkonsequenzen" haben folgerichtig zu einer Zerstörung des Ganzen geführt. 2. EINSTEIN verkennt vor allen Dingen den grundlegenden Unterschied von Phoronomischem und Dynamischem, wie er bei KANT bereits mustergültig durchgeführt ist und auch bei LEIBNIZ einheitlich eingehalten ist, der vor allem den dynamischen Bewegungsbegriff betont - der eben durch den Faktor der dynamis [Kraft - wp] über das rein räumliche pherein [Träger - wp] hinausgeht und in einer anderen, der Sphäre der eigentlich theoretischen kategorialen Gültigkeiten verankert ist. Daran ändert nichts, daß EINSTEIN gelegentlich auch vom rein Kinematischen (Phoronomischen) spricht - seine Schlußfolgerungen greifen jedoch unbefangen vom Phoronomischen ins Dynamische über, hypostasieren [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] somit Phänomenales zu Realem. Es ist eine dauernde metabasis eis allo genos [Sprung auf fremdes Gebiet - wp]. Die Verwechslung von Phoronomischem und Dynamischem begegnet uns auf Schritt und Tritt und ist das eigentliche Grundübel der Argumentationen. Die Äquivalenz und Vertauschbarkeit zweier Vorgänge kann sinnvollerweise überhaupt nur als Phänomenales, rein Phoronomisches verstanden werden, ihre Anwendung auch auf Dynamisches ist der typische Sprößling dieser Vermengung der Begriffe. Daher zurück zu Kant und seiner klaren Unterscheidung von Phoronomischem und Dynamischem, von reiner Bewegung und den Kräften (Energien, Ursachen) der Bewegung, also von "Anschauungs- und kategorialen Formen", von Phänomenalität und Realität in einem streng gültigen Sinn! 3. EINSTEIN "phänomenalisiert" einerseits alle theoretisch gültig sein sollenden Erwägungen, d. h. er überträgt Gesetzlichkeiten und Gültigkeiten des rein Phänomenalen auf die Sphäre realer Erfahrungserkenntnis, wodurch das Grundgebäude theoretischen Denkens erschüttert wird; andererseits (da ihm eben die kritische Unterscheidung hier abgeht) "realisiert" er in unzulässiger Weise phänomenale Verhältnisse, d. h. er substantialisiert" und "kausalisiert" Raum und Zeit, indem er Formen des theoretisch realen Denkens auch in ihnen als gültig voraussetzt - wie dies übrigens auch in der bisherigen Betrachtung von Raum und Zeit und sogar in bestimmten mathematisch-geometrischen Erwägungen üblich war; ein Verahren, das übrigens gerade von der speziellen Relativitätstheorie, ihrem Sinn und Ziel nach, ausgemerzt werden sollte. Der Fortschritt dieser speziellen Relativitätstheorie über frühere Ansichten bestand gerade darin, daß nun Raum und Zeit wirklich "ansich" ins Auge gefaßt und als reine Relationen, somit nicht als ansich schon relationierbare Fixierte, wie die Fixationsbegriffe der theoretischen Denktypen, aufgefaßt und behandelt werden sollten. Aus ihrem Charakter als reiner Relation ergab sich ja gerade, für ihre Verwendbarkeit im theoretischen Denkgebäude, ihre bloße Relativität, d. h. ein noch nicht ansich festgelegter, festgesetzter Charakter ihrer Gliederungen und Einschnitte; diese wurden nun erst "angesetzt" innerhalb einer ansich gleitenden, unbestimmten Relation, deren Verhältnisse und deren Bedeutung abhängig waren von den theoretischen Gesetzlichkeiten und Fixierungen. Dies ist der Gedanke der Relativität in einem genauen und berechtigten Sinn. Der erste und zweite Fehler stehen in engstem ursächlichen Zusammenhang: wo keine kritische Unterscheidung von Formtypen und ihren besonderen Gesetzlichkeiten stattfindet, kann ich ebensogut ein Phänomenales als ein Reales, wie ein Reales als ein Phänomenales ansprechen. 4. EINSTEIN verwechselt nachweislich Zeit (zeitlichen Verlauf, zeitliche Beziehung) und Kausalität, Raum (räumliche Gebilde, räumliche Beziehung) und Substantialität. Er hat das Wesen der Kategorien und somit das Spezifische des theoretischen Denkens überhaupt nicht begriffen. Ebensowenig hat er ernsthaft die Konsequenzen einer wirklichen strengen Relativitätstheorie in Bezug auf Raum und Zeit durchgeführt, vielmehr die sachlichen Ansätze derselben infolge der Ungeklärtheit seiner Anschauungsweise wiederum vernichtet; der Beweis dafür ist eben die Aufstellung seiner "allgemeinen Relativitätstheorie", die die Gravitation (einen Kraft begriff, der auf ganz anderen gedanklichen Voraussetzungen fußt, als die reine Bewegung als Verhältnis von Räumlichem zu Zeitlichem) in die "Relativität" mit hinein bezieht und so eine für einen besonderen Formenkreis durchaus geltende Wahrheit durch Überspannung ihrer Kompetenz in ihr Gegenteil verkehrt. 5. EINSTEINs Relativitätstheorie kann weder theoretisch noch empirisch als einwandfrei betrachtet werden. Theoretisch nicht, weil sie zur Selbstaufhebung einer Theorie überhaupt führt und weil sie voller Widersprüche steckt, nicht zuletzt dadurch, daß er sich keineswegs darüber klar ist, wo es sich um notwendige Denkvoraussetzungen (Apriorisches), wo um durch Experiment Beweisbares (Empirisches) handelt. Dies zeigt sich besonders bei seiner Behandlung der Maßansetzung (Lichtgeschwindigkeit; Ätherfrage). Empirisch nicht, weil, wie er in den meisten Fällen selbst zugibt, seine Voraussetzungen sich nicht an den faktisch gegebenen empirischen Bedingungen wirklich nachprüfen lassen, sei es, daß nicht die betreffende Geschwindigkeit, sei es, daß nicht die nötigen msasen aufbringbar sind, die den von ihm theoretisch vorausgesagten Effekt zeigen sollen. Ferner: sie sind nicht bündig, weil das Resultat zwar mit bestimmten Überlegungen von ihm übereinstimmt, aber entweder diese Überlegungen durchaus nicht notwendig mit seinen Grundgedanken verknüpft sind, oder aber das Resultat ansich noch nichts für diesen beweist; er überschätzt somit dessen theoretische Tragweite. Die Resultate - rein physikalischer Art - mögen sogar richtig sein, die Rückschlüsse auf die letzte umstürzende Grundauffassung sind aber falsch. 6. Zusammenfassen: EINSTEIN stellt einen Phänomenalismus in der physikalisch-philosophischen Theorie dar, ähnlich wie die Phänomenologen in der erkenntnistheoretisch-philosophischen. Beide zersetzen durch Phänomenalismus den theoretischen Wirklichkeitsbegriff und Wahrheitsbegriff, durch Überspannung seiner Tragweite und vor allem durch die Überschätzung seiner Kompetenz. Beide sind daher notwendigerweise inkonsequent, da sie selber auf dem theoretischen Boden stehen den sie unterhöhlen. Eine nicht nur "relativ" deutbare, sondern sich je nach Auffassung "relativ" verhaltende Wirklichkeit, in der sich die Vorgänge so oder anders verhalten können (und zwar ansich und nicht nur pros hemas [auf uns - wp], der Voraussetzung nach) ist ebenso in sich widersinnig, wie eine relativ (ansich relativ) seiende Wahrheit. Die Relativitätstheorie im begrenzten und berechtigten Sinn (Notwendigkeit der Anknüpfung von bloßen Relationen an ein erst in ihnen anzusetzendes Fixierendes, somit eine abhängige Relativität der Gültigkeit dieser Relationsfunktionen (Raum und Zeit) wird nun, als umfassende Theorie des Erkennbaren verkündet, zu einer unberechtigten Relativierung des theoretischen Wirklichkeits- und Wahrheitsbegriffs überhaupt. Das Phänomenale hat das Reale, die "bloße" Relation hat das Fixierend, Bestimmende übermannt, dessen helfender Diener zur Erreichung seiner theoretischen Ziele es darstellen sollte; der neu entdeckte Formtyp hat den theoretisch bodenständigen nicht nur ergänzt, sondern soll nun sogar bestimmend sein: er ist zum phaenomenon intellectuatum geworden. KANTs Scheidungen, Warnungen, Unterscheidungen müssen wieder beachtet und durchdacht werden, wenn wir nicht in einen vorkritischen, ja im Grund, trotz aller gelehrten Umwege, völlig naiven Phänomenalismus am falschen Ort versinken sollen. Denn was ist die unkritische Analogisierung von phänomenalen mit realen Gesetzlichkeiten im Grunde anderes, als das treuherzige Identifizieren von Augenschein mit wissenschaftlich haltbaren Resultaten? Der wahre und "berechtigte" Phänomenalismus als Gesamteinstellung hat an ganz anderer Stelle seine Gültigkeit, nämlich im Ästhetischen. Als Grundlage der physikalischen Wissenschaft muß er zu einer Zerstörung des ganzen theoretischen Wirklichkeitsbegriffes führen.
1) Ich habe diese Methode der Teleologie der Erkenntnisformen, die transzendentalteleologische Methode, vor Jahren angedeutet (Ästhetische Autonomie, Dissertation in der Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft), und sie inzwischen auf allen philosophischen Gebieten durchzuführen versucht; diese "Transzendentalteleologie" konnte infolge der Zeitverhältnisse noch nicht in Druck gelangen. Sie gibt den methodischen Unterbau für das hier nur flüchtig Angedeutete. 2) Nach Vollendung dieser Arbeit im Frühling 1920 trat im August bis September die "Denkempörung" gegen EINSTEIN ans Licht. Forscher wie E. GEHRKE charakterisieren mit Recht EINSTEINs Lehre als Solipsismus - das ist aber eben der wissenschaftliche Nihilismus, den ich hier zu schildern suche. Auch gegen EINSTEINs physikalische Beweise werden von fachlicher Seite neuerdings starke Bedenken erhoben. |