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CHRISTIAN WOLFF
(1679 -1754)
Vernünftige Gedanken von den
Kräften des menschlichen Verstandes

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"In Anbetracht dessen, daß ein Begriff allen Dingen von einer Art zukommt, wird er allgemein genannt, und daher enthält er umso viel weniger in sich, je allgemeiner er ist, folglich sind die allgemeinen Begriffe um so viel leichter zu überdenken, je mehreren Arten der Dinge sie zukommen: wenn man nur allgemeine Dinge zu überdenken gewohnt ist, damit sie einem nicht fremd vorkommen."


1. Kapitel
Von den Begriffen der Dinge

§ 1. Ein jeder nimmt bei sich selbst wahr, daß er viele dinge empfindet. Ich sage aber, daß wir etwas empfinden, wenn wir uns desselben als uns gegenwärtig bewußt sind. So empfinden wir den Schmerz, den Schall, das Licht und unsere eigene Gedanken.

§ 2. Diejenige Wirkung der Seele, wodurch wie uns bewußt sind, nennen wir  einen  Gedanken: denn jedermann sagt, er denkt nichts, zu der Zeit, wenn er sich nichts bewußt zu sein vermeint. Solchergestalt sind die Empfindungen Gedanken von uns gegenwärtigen Dingen. Wir erklären hier weiter nichts als Wörter, damit ein jeder erkenne, in was für einem Verstand wir sie nehmen. die Sachen, die dadurch bedeutet werden, habe ich in der Metaphysik ausgeführt.

§ 3. Das Vermögen Dinge, die außer uns sind, unmittelbar zu empfinden, führt den Namen der Sinne, deren man fünf zu zählen pflegt, als Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken.

§ 4.  Einen Begriff  nenne ich eine jede Vorstellung einer Sache in unseren Gedanken. Zum Beispiel: Ich habe einen Begriff von der Sonne, wenn ich mir dieselbe in meinen Gedanken vorstellen kann, entweder durch ein Bild, so als wenn ich sie selber gegenwärtig sähe, oder durch bloße Worte damit ich zu verstehen gebe, was ich von der Sonne wahrgenommen habe, so daß sie der am Himmel bei Tag hellglänzende Körper, der die Augen blendet ist und es auf der Erde warm und hell macht: oder auch durch andere Zeichen, dergleichen in der Sternkunst das Zeichen  ☉  ist. Ebenso habe ich einen Begriff von der  Hochzeit,  wenn ich mir entweder in meinen Gedanken, als in einem Bild vorstellen kann, wie zwei Personen ihr Versprechen einander zu heiraten nach der in einem Land üblichen Gewohnheit vollziehen, oder auch durch bloße Worte, oder andere Zeichen (worunter man auch die Gemälde rechnen kann) entweder mir selbst, oder anderen zu verstehen gebe, die Hochzeit sei eine feierliche Vollziehung des Versprechens einander zu heiraten. Ich habe ferner einen Begriff von dem Guten, wenn ich weiß,  Gut  sei dasjenige, was meine Natur und meinen äußeren Zustand vollkommener macht: ich habe einen Begriff von  GOtt,  wenn ich gedenke, es sei das Wesen, darin der Grund von der Gegenwart oder Wirklichkeit der Welt zu finden ist: ich habe einen Begriff von den Unmündigen, wenn ich mir vorstelle Personen, die wegen ihres Alters sich noch nicht selbst versorgen und regieren können.

§ 5. Da uns nun die Sinne zu Gedanken von Dingen, die außer uns sind, veranlassen; so bringen sie uns auf einen Begriff derselben. Solchergestalt bekommen wir durch das Sehen einen Begriff vom Licht und den Farben; durch das Hören vom Schall; durch Fühlen von dem, was weich oder hart ist; durch das Riechen von Geruch und Gestank; durch das Schmecken von süßem und saurem.

§ 6. Ob aber durch die Sinne die Begriffe der Dinge, die außer uns sind, in die Seele als in ein leeres Behältnis hinein getragen werden, oder ob sie vielmehr schon für sich im Wesen der Seele gleichsam vergraben liegen, und bloß durch die eigene Kraft auf Veranlassung der Veränderungen, die auswärtige Dinge in unserem Körper verursachen, hervorgebracht werden, davon ist noch lange nicht Zeit zu reden. In meinen Gedanken von  GOtt  und der Seele des Menschen und zwar in dessen fünftem Kapitel kann ich erst zeigen, daß das letztere der Wahrheit gemäß ist. Es dient auch nicht die Entscheidung dieser Frage zu unserem gegenwärtigen Vorhaben. Denn wir können die Begriffe der äußerlichen Dinge erlangen, und daraus von ihnen sicher urteilen, wenngleich wir nicht wissen, wo sie herkommen: gleichwie wir die Hand zu allerhand Verrichtungen gebrauchen können, obgleich wir nicht wissen, wie sie von innen beschaffen ist und die zu ihnen erforderte Bewegungen hervorbringen kann.

§ 7. Hier ist uns genug, daß wir mit Fleiß auf die Gedanken acht haben, wozu uns unsere Sinne veranlassen. Dieses aber geschieht, wenn wir sorgfältig von einander unterscheiden, was uns als etwas besonders vorgestellt wird, und dabei, soviel wie möglich, anmerken, wodurch wir bewogen werden es für etwas besonderes zu halten. Zum Beispiel: ich sehe zugleich zwei Figuren, ein Dreieck und ein Viereck. Das Dreieck stellt sich ganz anders dar, als das Viereck. Wenn ich mich nun selbst frage, wodurch ich bewogen werden das Dreieck für etwas anderes als das Viereck zu halten; so werde ich finden, es geschieht darum, weil das Dreieck in drei, das Viereck aber in vier Linien eingeschlossen ist. Was ich im Dreieck finde, treffe ich nicht im Viereck an, und was im Viereck wahrgenommen wird, ist nicht dasjenige, was das Dreieck zeigt. Man kann nicht eines für das andere nehmen. Und dadurch bemerkt man den Unterschied beider Figuren. So, wenn ich frage, was mich dazu bewegt, daß ich sage, es ist hell; so finde ich, es ist so, daß ich um mich herum die Sachen sehen kann. Demnach ist Licht dasjenige, was die umstehenden Sachen sichtbar macht. Auf gleiche Weise finden wir, Kaufen heißt eine einem andern zuständige Sache für ein von ihm bewilligtes Stück Geld an sich bringen: Vollblütig ist derjenige, der mehr Geblüt hat als zu Erhaltung der Gesundheit vonnöten ist: Die Geschwulst ist eine außerordentliche Dicke in den fleischlichen Teilen des Leibes usw.

§ 8. Es ist leich durch Veranlassung der Sinne einen Begriff von einer Sache zu überkommen, wenn sie uns alles vorstellen, wodurch sie erkannt, und von anderen unterschieden wird, und zwar solchergestalt, daß sie uns nicht zugleich andere Dinge mit, die nicht hierher gehören (wohin das vorige Exempel vom Drei- und Viereck gehört), oder daß doch das dazugehörige vor dem fremden mehr in die Sinne fällt: wohin man das Exempel vom Licht rechnen kann. Wenn sich das Widerspiel findet; so ist es schwer einen richtigen Begriff zu bekommen, denn wir nehmen entweder das unrechte für das rechte oder lassen etwas aus, oder nehmen mit dazu, was nicht dazu gehört, wie TITIUS einem Kramer seinen Laden aufgebrochen hat und von seinen Waren heraustrug. Hierin ist zwar der Begriff des Diebes enthalten, aber was dazu gehört, ist unter fremde Sachen so versteckt, daß man gar leicht irren kann, wenn man es heraus suchen will. Denn der Kramer mit seinem Laden und seinen Waren, desgleichen das Aufbrechen des Ladens, findet in dem allgemeinen Begriff eines Diebes keinen Platz, und wird sich daraus nicht gleich ein jeder den Dieb als eine Person vorstellen, die dem anderen das Seine wieder sein Wissen und Wollen entwendet, unerachtet alles, was hier gesagt wird, in dem gegenwärtigen Exempel sich so und nicht anders befindet. Es wird aber in einem solchen Fall die Arbeit erleichtert, wenn man verschiedene besondere Exempel gegeneinander hält, wodurch man ersieht, was sie miteinander gemein haben, und was für besondere Umstände man weglassen muß, damit man dasjenige übrig behält, was zum verlangten Begriff gehört. Zum Beispiel: Wenn ich zum vorigen Exempel des Diebstahls noch hinzusetze, daß SEMPRONIUS in einen Garten gestiegen ist, und die Früchte von den Zitronenbäumen abgebrochen und mit sich genommen hat; so finde ich leichter als vorhin, daß ich den Dieb nicht anders anzusehen habe als eine Person, die dem andern das Seine wider sein Wissen und seinen Willen entwendet. Denn TITIUS und SEMPRONIUS kommen nicht weiter miteinander überein, als daß sie einem Eigentumsherren das Seine wider sein Wissen und seinen Willen wegnehmen und sich zueignen. Ebenso sehen wir uns und andere lieben: aber nicht ein jeder begreift, daß die Liebe eine Neigung des Gemüts ist aus des anderen Glückseligkeit Vergnügen zu schöpfen, unerachtet sie in allen Exempeln, die man von der Liebe haben kann, anzutreffen. Mehrere Exempel gibt die Zeit, der Raum, der Ort, die Stetigkeit. Hierher kann man auch das Gewissen, die Gewissensskrupel, die lebendige Erkenntnis usw. rechnen. Es wird aber das Nachdenken erleichtert, wenn man beide Exempel nebeneinander dergestalt für sich schreibt, daß alles, was unterschiedenes in einem jeden vorkommt: in einer besonderen Zeile steht: denn läßt sich alles miteinander vergleichen und die Ähnlichkeit in beiden Fällen leichter wahrnehmen.

§ 9. Wenn der Begriff, den wir haben zureicht die Sachen, wenn sie vorkommen wieder zu erkennen, als wenn wir wissen es sei eben diejenige Sache, so diesen oder einen anderen Namen führt, die wir in diesem oder in jenem Ort gesehen haben; so ist er klar: hingegen dunkel, wenn er nicht zulangen will die Sache wieder zu erkennen. So haben wir einen klaren Begriff von den Farben, denn wir können sie erkennen, und voneinander unterscheiden, wenn sie vorkommen. Gleichergestalt haben wir einen klaren Begriff vom Zorn, denn wir können es erkennen, wenn einer zornig ist. Wir haben einen klaren Begriff von der Schwindsucht, denn wir können es dem Menschen ansehen, der die Schwindsucht hat. Sehen wir aber in einem Garten ein fremdes Gewächs und können uns nicht recht besinnen, ob es eben dasjenige ist, welches wir an einem anderen Ort gesehen haben oder auch mit einem gewissen Namen nennen gehört; so müssen wir vom letzteren nur einen dunklen Begriff haben. So haben ihrer viele nur dunkle Begriffe von den Kunstwörtern, welche in der Mathematik, und der Weltweisheit gebraucht werden.

§ 10. Es hat aber diese Dunkelheit verschiedene Grade. Denn bisweilen können wir uns bei der gegenwärtigen Sache von vielen Merkmalen besinnen, daß sie bei einer andern auch anzutreffen gewesen sind; bisweilen auf gar wenige. Zum Beispiel bei dem fremden Gewächs besinnen wir uns, daß das andere, davon wir einen dunklen Begriff haben, ebenso lange, spitzige und zackige Blätter gehabt hat wie das gegenwärtige; es will uns aber nicht einfallen, ob sie auch im übrigen so ausgesehen haben, wie die Blätter des vor Augen stehenden Gewächses. Nachdem wir uns nun auf viele oder wenige solcher Merkmale besinnen können; nachdem ist auch unser Begriff wenig oder sehr dunkel.

§ 11. Also haben wir sehr dunkle Begriffe von all den Wörtern, deren Bedeutung wir nicht recht wissen, obgleich sie uns dem Ton nach bekannt sind, und wenn wir darauf acht haben, uns nicht gar ohne allen Gedanken lassen. Zum Beispiel ist jedermann das Wort  Tugend  bekannt: und da einer vieles Tun der Menschen tugendhaft, vieles hingegen untugendhaft nennt, so muß er einen Begriff davon haben. Allein er ist noch sehr dunkel, wenn er Laster für Tugenden und Tugenden für Laster halten kann. Ich rede hier von den Fällen, da man im Ernst, und nicht aus  interessierter Absichten  unrichtig urteilt und so denkt wie man es sagt.

§ 12. Wir müssen uns aber wohl in acht nehmen, daß wir nicht urteilen, als wenn andere auch keinen klaren Begriff mit den Wörtern verknüpfen, von denen wir nur einen dunklen haben. Denn sonst werden wir für dunkel ansich halten, was doch bloß ein Mangel unserer Erkenntnis ist, und Wörter als einen leeren Ton verwerfen, die ihre richtige Bedeutung haben. So verwerfen einige die  vires centripetas  [Zentripetalkräfte - wp] und  centrifugas  [Fliehkräfte - wp] oder die einem Punkt sich nähernde und davon sich entfernende Kräfte der heutigen Weltweisen, weil sie nicht eigentlich wissen, was solche Kräfte zu sagen haben. Andere verspotten das  unendlich kleine  in der Geometrie, weil sie nicht begreifen, was dieses Wort eigentlich zu sagen hat. Ja viele halten aus dieser Ursache allerhand Kunstwörter, besonders in der alten Metaphysik, für dunkel, weil sie sie nicht recht zu erklären wissen.

§ 13. Ist unser Begriff klar; so sind wir entweder vermögend die Merkmale, daraus wie eine Sache erkennen, einem andern herzusagen, oder wenigstens uns selbst dieselbe besonders nacheinander vorzustellen, oder wir befinden und solches zu tun unvermögend. In dem ersten Fall ist der klare Begriff  deutlich;  in dem andern aber undeutlich. Zum Beispiel: es hat einer einen klaren und deutlichen Begriff von einem Uhrwerk, wenn er uns sagen kann, es sei eine Maschine, welche durch Herumtreibung eines Zeigers die Stunde zeigt, oder durch den Schlag an eine Glocke dieselbe andeutet. Ein deutlicher Begriff von der Erleuchtung ist, daß sie eine übernatürliche Überführung solcher Wahrheiten ist, die man natürlicher Weise nicht begreifen kann. In eben die Klasse gehört, daß der Ehestand eine Verbindung eines Mannes und Weibes ist, Kinder miteinander zu erzeugen und aufzuziehen; daß die Tugend eine Fertigkeit ist sich und andere so vollkommen zu machen, wie durch unsere Kräfte geschehen kann; daß der Regen eine Menge Wassertropfen ist, die neben und nacheinander aus den Wolken durch die Luft herunterfallen; daß die Allmacht ein Vermögen ist alles wirklich zu machen, was möglich ist; daß das Salz ein fester Körper ist, der im Wasser aufgelöst und und flüssig wird. Wer mehrere Exempel verlangt, darf nur in allen Teilen der Weltweisheit, die nacheinander herausgegeben wurden, nachschlagen, denn darin wird er von allen Dingen, wovon geredet wird, deutliche Begriffe antreffen. Hingegen ist unser Begriff von der roten Farbe zwar klar, aber doch undeutlich. Denn wir können die rote Farbe zwar erkennen, wie sie uns vorkommt; vermögen aber doch nicht zu sagen, woraus wir sie erkennen. Also haben viele einen zwar klaren, aber undeutlichen Begriff von den verschiedenen Arten der Bäume und Pflanzen, denn sie können eine Art vor der anderen erkennen, und alle voneinander wohl unterscheiden, können doch aber eigentlich nicht ersehen, noch sagen, worin der Unterschied besteht. Dergleichen undeutlicher Begriff ist auch das Sausen des Windes, das Rauschen des Wassers, das Brausen der Wellen. Ja, den Unterschied im Geschmack und Geruch bemerken wir nur klar, aber nicht deutlich.

§ 14. Deswegen kann man einen deutlichen Begriff einem andern mit bloßen Worten beibringen, einen undeutlichen aber nicht anders, als wenn man ihm die Sache gegenwärtig darstellt. Zum Beispiel: wenn einer blind ist, dem mag man vorpredigen, was man will; so wird er den Begriff von der roten oder einer andern Farbe nimmermehr bekommen, den wir davon haben.

§ 15. Ein deutlicher Begriff ist entweder ausführlich, oder unausführlich. Ausführlich ist der Begriff, wenn die Merkmale, die man angibt, zureichen die Sache jederzeit zu erkenne, und von allen andern zu unterscheiden: hingegen unausführlich, wenn man nicht alle Merkmale, sondern nur einige zu erzählen weiß dadurch eine Sache von andern unterschieden wird. Zum Beispiel: man hat ausführliche Begriffe von der lebendigen Erkenntnis, der Fruchtgenießung oder Ausnutzung, der Kolik, des Verstandes, des Taus, des Geizes, etc. wenn man sagen kann, die lebendige Erkenntnis ist eine Erkenntnis, die mit einem Willen geht oder einen Bewegungsgrund etwas zu wollen abgibt. Die Nutzung ist das Recht aus einer fremden Sache nach seinem Gefallen sich Vorteil zu verschaffen, jedoch, daß die Sache selbst in ihrem Stand einmal wie das andere mal verbleibt. Die Kolik ist ein empfindlicher und anhaltender Schmerz in den Gedärmen. Der Verstand ist ein Vermögen, das mögliche zu denken. Der Tau ist ein Haufen subtiler Dünste, die in Abwesenheit der Sonne nach und nach aus der Luft herunterfallen, und sich an die obere Fläche der Körper auf dem Erdboden anhängen. Der Geiz ist eine Begierde mehr zu haben, als man zu seiner Notdurft braucht und nach seinen Umständen vor sich bringen kann. Man schlage alle Teile der Weltweisheit nach, die ich nacheinander herausgegeben habe; so wird man daselbst mehr Exempel ausführlicher Begriffe finden als nötig ist den Unterschied ausführlicher und unausführlicher Begriffe zu erläutern. Hingegen haben die Cartesianer einen unausführlichen Begriff vom Körper, wenn sie sagen: er sei ein Wesen, das in die Länge, Breite und Dicke ausgedehnt wird. Denn durch dieses Merkmal allein kann man den Körper noch nicht vom Raum unterscheiden, den auch deswegen die Cartesianer für eines halten. Mehrere Exempel von unausführlichen Begriffen findet man in den Schriften der meisten Gelehrten.

§ 16. Ein deutlicher Begriff ist schließlich entweder vollständig, oder unvollständig. Vollständig ist unser Begriff, wenn wir auch von den Merkmalen, daraus die Sache erkannt wird, klare und deutliche Begriffe haben. Hingegen ist er unvollständig, wenn wir von den Merkmalen, daraus die Sache erkannt wird, nur undeutliche Begriffe haben. Zum Beispiel: wenn einer nicht allein sagen kann, daß eine Schlaguhr eine Maschine ist, die durch den Schlag an eine Glocke die Stunden andeutet, sondern auch vom Anschlag der Glocke, der Stunde, dem Andeuten wiederum deutliche Begriffe hat; so ist sein Begriff von der Schlaguhr vollständig. Hat er aber von all diesen Dingen noch undeutliche Begriffe, so ist sein Begriff von einer gedachten Uhr unvollständig. Der Begriff von der Lust wird unvollständig, wenn man nicht allein sagen kann, sie sei eine Empfindung der Vollkommenheit, sondern auch überdies die Empfindung und Vollkommenheit deutlich begreift. Gleichergestalt ist der vorhin gegebene Begriff von der lebendigen Erkenntnis vollständig, wenn man ferner deutlich erklären kann, was die Erkenntnis, der Wille, und in Willen gehen, sein soll. Der Begriff von der Nutzung wird vollständig, wenn man deutliche Begriffe von dem Recht, der fremden Sache, dem Vorteil schaffen, dem eigenen Gefallen, der unbeschädigten Verbleibung einer Sache in ihrem Stand, erlangt. Und ebenso verhält es sich mit andern vorhin gegebenen Exempeln. Es lassen sich nicht wohl Exempel vollständiger Begriffe geben, weil es zu weitläufig fält, die in einem enthaltenen Merkmale immer weiter zu erklären. Man kann aber die Vollständigkeit der Begriffe nicht besser erkennen lernen, als wenn man die Erklärungen, besonders in den lateinischen Anfangsgründen der mathematischen Wissenschaften mit Fleiß durchgeht, weil daselbst in den folgenden Erklärungen kein Wort angenommen wird, welches nicht schon im vorhergehenden wäre erklärt worden. Ja, wenn schließlich einige Wörter unerklärt angenommen werden; so sind sie so beschaffen, daß man mit ihnen verknüpft, zufrieden sein kann, oder auch ihre fernere Erklärung in der Metaphysik findet. Und eben hierzu kann man die Erklärungen in der Metaphysik, Moral, Politik und Physik gebrauchen. Zum Beispiel: Ich erkläre die Tugend durch eine Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetz der Natur einzurichten. Ich zeige aber auch, was die die Fertigkeit, was die Handlungen der Menschen, was das Gesetz der Natur ist. Was in diesen Erklärungen vorkommt, findet man wiederum ferner erklärt; wie bei dem Gesetz der Natur der Verbindungen und der freien Handlungen gedacht wird. Es wird aber erklärt, was die Verbindlichkeit ist, was eine freie Handlung ist, was Freiheit ist, was die Natur ist. Wer Lust hat, kann die Zergliederung noch weiter anstellen und dann wird er erst sehen, was ich ihm in meiner Weltweisheit für eine Erkenntnis gewähre.

§ 17. Es haben aber die vollständigen Begriffe ihre Grade, indem sich die Begriffe der Merkmale, daraus sie zusammen gesetzt sind, wieder von neuem in mehrere zergliedern lassen. Zum Beispiel: bei der Schlaguhr verstehe ich durch die Stunde den vierundzwanzigsten Teil von einem Tag. Also läßt sich der Begriff der Stund wieder in den Begriff der Zahl  24,  den Begriff des Teils und schließlich den Begriff des Tages zerlegen. Und da wiederum diese Begriffe ihre Merkmal in sich enthalten, lassen sie sich noch weiter von neuem zergliedern. Und so verhält es sich auch mit den übrigen vorhin gegebenen Exempeln.

§ 18. Doch ist keineswegs vonnöten, auch gar selten möglich, daß wir diese Zergliederung zu Ende bringen, das ist bis auch solche Begriffe hinausführen, die sich an und für sich nicht mehr zergliedern lassen, weil sie nicht mehr vieles von einander unterschiedenes in sich fassen, sondern wir können zufrieden sein, wenn wir die Zergliederung so weit gebracht haben, daß wir dadurch unseren Zweck erreichen. Nämlich wir brauchen einen Begriff, entweder andere zu bedeuten, was wir wollen, oder einen Beweis daraus zu führen. Also haben wir im ersten Fall unseren Zweck erreicht, wenn der andere uns völlig versteht, das ist, wenn wir die Zergliederung bis auf solche Merkmals ausgeführt haben, daß der andere lauter klare Begriffe hat: in dem andern aber, wenn bei dem Beweis nichts mehr zu beweisen übrig bleibt, welches unten besser wird verstanden werden. Zum Beispiel: EUCLIDES nimmt die Wörter  Gleichheit, größer, kleiner  ohne Erklärung an und vergnügt sich mit den klaren Begriffen davon, weil er seine Sätze alle erweisen kann, die er zu erweisen sich vorgenommen hat, ohne daß er den Begriff der Gleichheit, des größeren und kleineren dazu gebraucht. Hingegen habe ich hiervon in meinen lateinischen Anfangsgründen der Arithmetik deutliche Begriffe gegeben, weil ich sie zum Beweis nötig habe, indem ich diejenigen Sätze erwiesen habe, die EUCLIDES als Grundsätze ohne Beweis angenommen hat, auch in einigen Fällen meine Beweise höher getrieben als EUCLIDES, weil ich nicht allein die Absicht gehabt habe meinem Leser die geometrischen Wahrheiten beizubringen, sondern ihn auch im Nachdenken und Demonstrieren zu üben.

§ 19. Wir bekommen einen deutlichen Begriff, wenn die Sache, welche wir uns vorstellen, nicht gar zu viel verschiedene Dinge in sich faßt, diejenigen aber, so wir in ihr antreffen, sich wohl voneinander unterscheiden lassen, und schließlich wir alles, was sich einigermaßen voneinander unterscheiden läßt, zuerst besonders betrachten, danach eines gegen das andere halten, und auf die Ordnung und Verknüpfung sorgfältig acht geben. Zum Beispiel: man stelle sich einen Tisch vor. An demselben unterscheiden sich sogleich zwei Teile, nämlich das Blatt und das Gestell. Jenes liegt auf diesem und ist an ihm so befestigt, daß es sich nicht von ihm herab verschieben läßt. Soll nun dieser Begriff vollständiger werden, so muß man ferner untersuchen, was für Dinge an dem Blatt, was für Dinge sich an dem Gestell unterscheiden lassen: welches mit mehrerem hierher zu setzen unnötig wäre. Gleichergestalt, wenn man einen deutlichen Begriff vom Willen haben will; so muß man sich ein Exempel vorstellen, daß wir etwas zum ersten mal gewollt haben, und genau acht geben, was in unserer Seele vorgeht, bis wir es wollen. Zum Beispiel: TITIUS, der bisher seinem Studieren mit rühmlichem Fleiß nachgekommen ist, damit er künftig eine gute Beförderung zu erwarten hätte, hört von einer  Condition  bei einem vornehmen Mann, der ihm zu einer Beförderung verhelfen kann, wenn er seine Gunst hat. Indem er also die Condition als ein Mittel seiner Beförderung ansieht; so will er sie annehmen. Hier finden wir 1. eine Sache, welche TITIUS bei sich erwägt, nämlich die Condition, die ihm angetragen wird: 2. die Vorstellung, die er sich dabei in Anbetracht seiner macht, nämlich daß sie ein Mittel seiner Beförderung und das ist, was für ihn gut ist: 3. den Zustand seines Gemütes bei dieser Vorstellung, daß er nämlich nicht allein an der Condition um dieser Vorstellung willen Gefallen hat, sondern auch eine Neigung gegen sie in sich verspürt. Wenn man nun dies alles zusammen nimmt, so sieht man, der Wille ist eine Neigung des Gemüts gegen eine Sache, die wir uns als gut vorstellen. Wir finden noch ein Paar umständlich ausgeführte Exempel von der Ordnung und der Welt in der Metaphysik. Und die übrigen deutlichen Begriffe in der Metaphysik, Moral, Politik und Physik können auf gleiche Art erläutert werden.

§ 20. Es ist hieraus zugleich klar, wie vollständige Begriffe erlangt werden, indem wir nur nötig haben von diesen Dingen, von welchen wir einen deutlichen Begriff bekommen, ferner deutliche Begriffe nach vorgeschriebener Art zu suchen. Und wird hier besonders dienlich sein, wenn man die Begriffe der Dinge, von welchen ich in den folgenden Teilen der Weltweisheit handle, nach diesen Regeln untersucht. Was vorhin von der Vollständigkeit der Begriffe gesagt worden ist, kann auch hier zur Erläuterung dienen.

§ 21. Hingegen können wir auch daraus entnehmen, wenn wir nur einen undeutlichen Begriff von einer Sache bekommen müssen. Nämlich solches geschieht, teils wenn in einer Sache gar zu viele Dinge vorkommen, die voneinander unterschieden sind, doch aber von uns nicht können unterschieden werden; teils wenn uns zwar diese Hindernisse nicht im Weg stehen oder wir doch auf jedes inbesondere acht zu haben, und ihre Ordnung und Verknüpfung zu betrachten unterlassen. Also ist es wohl möglich, daß wir einen deutlichen, ja vollständigen Begriff von einem Tisch haben können: allein viele haben doch nur einen undeutlichen, obgleich er ihnen täglich vor Augen steht. Ebenso ist es möglich, daß wir einen deutlichen Begriff von der Weisheit erhalten, denn sie faßt verschiedenes in sich wodurch man sie von anderen Gemütssachen unterscheiden kann: allein viele haben davon nur einen undeutlichen, weil sie niemals durch eine Vergleichung verschiedener Handlungen, die aus der Weisheit entspringen, dasjenige heraussuchen, was zu ihr gehört. Es ist auch möglich, daß man von der Zeit einen deutlichen Begriff erhält, denn man kann gar wohl erkennen, wodurch sie sich von anderen Dingen unterscheiden läßt: allein die meisten haben davon nur einen undeutlichen, weil sie nicht acht haben, was sie eigentlich in ihren Gedanken und der sichtbaren Welt finden, wodurch sie zur Erkenntnis der Zeit gelangen. Ebenso verhält es sich mit der Vernunft und unzählig viel anderen Dingen. Ungeachtet dessen aber begreift ein kleines Würmlein gar viele Teile in sich, die alle voneinander sowohl als in großen Tieren unterschieden sind; so können wir doch keinen deutlichen Begriff davon bekommen, weil wir sie mit unseren Augen nicht mehr unterscheiden. Gleichergestalt bleibt der Begriff von den Farben, von den Arten des Geschmacks, von den Arten des Geruchs, desgleichen des Schalls undeutlich, weil darin unzählig viele Kleinigkeiten anzutreffen sind, welche uns voneinander zu unterscheiden unmöglich fällt: wovon der Grund an einem andern Ort angewiesen wird.

§ 22. Daher helfen uns die Vergrößerungsgläser gar oft zu einem deutlichen Begriff, den wir sonst nimmermehr erlangen würden. Zum Beispiel: man findet, daß das Mark in den Gewächsen ein Haufen kleiner Bläschen ist; daß die Funken, welche man aus dem Stahl mit einem Feuerstein schlägt, gühlende Stücklein Stahl und Stein sind, die gerade schmelzen und sich in Glas verwandeln; daß das Brennen der Nesseln in der Tat nichts anderes ist als ein Stechen, welches mittels subtiler Stacheln, die hin und wieder auf den Blättern stehen, geschieht. Mehrere Exempel findet man in LEEUWENHOEKs Briefen und in HOOKs  Micrographia.  Dergleichen Hilfe tun uns auch bisweilen die Ferngläser, denen wir in Erkenntnis des Weltgebäudes viel zu danken haben, zum Beispiel, daß wir wissen, daß die Milchstraße ein Haufen kleiner Sterne ist; die Mondfläche bergig und nicht eben; Venus und Merkur haben die Gestalt des ab- und zunehmenden Mondes.

§ 23. Schließlich kann unser Begriff nicht anders als dunkel werden, 1. wenn die Sachen, die wir empfinden, allzu klein oder auch allzu weit von uns entfernt sind, daß wir sie nicht recht erkennen, wie sie sind, indem unsere Sinne nicht mehr ausreichen etwas in ihnen, noch sie von andern zu unterscheiden, als wenn wir in der Dämmerung etwas weißes auf dem Feld von weitem liegen sehen, und nicht wissen, was wir daraus machen sollen: 2. wiederum wenn dasjenige, was eigentlich zur Sache gehört, und wodurch sie sich von anderen Dingen unterscheidet, unter vielen fremden Umständen verborgen liegt, als wenn man fragt, was die  Ursache,  die  Absicht,  das  Wesen  ist: 3. desgleichen wenn wir auf die Sache, die wir uns vorstellen, nicht recht acht haben, oder unsere Gedanken nicht lange genug dabei still stehen lassen, wie wenn wir in einem Garten vor einem fremden Gewächs vorbei gehen, dessen Namen vom Gärtner hören, aber mehr unsere Gedanken bei dem Frauenzimmer, welches wir führen, als dem Gewächs haben, oder auch wenn wir bald von diesem Gewächs zu einem andern eilen. Denn wenn wir aus dem Garten kommen, werden wir uns in beiden Fällen nicht mehr recht auf das Gewächs besinnen können, wie es ausgesehen hat, und uns entweder damit entschuldigen, daß wir es nicht recht angesehen haben oder daß wir es wieder vergessen. Und hieraus ersehen wir, warum bisher in den Wissenschaften so viel Dunkelheit gewesen ist: besonders zeigt die andere Ursache, warum in der Metaphysik so große Finsternis gewesen ist, wodurch auch die übrigen Disziplinen nicht wenig verdunkelt worden sind. Wir sehen auch, wie ich diese Dunkelheit vertrieben und selbst in die Metaphysik helles Licht gebracht habe.

§ 24. Weil wir nun leicht wieder zu vergessen pflegen, was wir nicht oft bedenken oder was wir nicht genug überdenken, oder auch von dessen Betrachtung wir uns gleich wieder zu etwas anderem wenden; so können uns auch die Merkmale, wodurch wir die Sachen voneinander unterscheiden, wieder aus dem Sinn kommen, und daher die vollständigen Begriffe unvollständig, die deutlichen undeutlich, die undeutlichen dunkel werden: ja es kann sich aller Begriff gar verlieren, daß wir nicht mehr vermögend bleiben die Sache in ihrer Abwesenheit uns in Gedanken einigermaßen vorzustellen.

§ 25. Damit nun die einmal erlangten Begriffe sich nicht verschlimmern; so müssen wir uns dieselben öfters vorstellen und uns fleißig in acht nehmen, daß wir uns nicht mit vielen Dingen auf einmal verwirren. Besonders aber ist in Wissenschaften ratsam, daß wir die einmal erlangten deutlichen Begriffe aufschreiben: denn auf dem Papier lassen sie sich nicht so leicht auslöschen, als sie im Gedächtnis verlöschen. Dies sind nützliche Regeln für die Studierenden, daß sie fleißig wiederholen, was sei einmal gelernt haben, nicht vielerleit auf einmal, auch alles in solcher Ordnung, wie die Erkenntnis des einen von der Erkenntnis des anderen  dependiert  [abhängt - wp], vornehmen, und was sie Gutes hören, oder was bei eigenem Nachsinnen ihnen einfällt, fleißig aufschreiben.

§ 26. Wenn wir die Begriffe verschiedener Dinge gegeneinander halten; so treffen wir entweder etwas an, das sie miteinander gemein haben, oder worin sie einander ähnlich sind; oder wir finden nichts, das sie miteinander gemein hätten, oder worin sie einander ähnlich wären. Zum Beispiel: wenn ich den Begriff von einem geradlinigen Viereck vergleiche, finde ich, daß beide in gerade Linien eingeschlossen sind. Hingegen wenn ich den Begriff der Freude, daß sie ein Affekt ist, welcher aus der Genießung des gegenwärtigen Guten entsteht, mit dem Begriff der roten Farbe gegeneinander halte; so haben sie nichts miteinander gemein. Im ersten Fall kann ich dasjenige, das beide Begriffe miteinander gemein haben, herausnehmen, und dadurch einen neuen formieren, der beiden zukommt; wie in dem gegebenen Exempel den Begriff einer geradlinigen Figur, daß sie ein Raum ist, der in gerade Linien eingeschlossen ist. Auf gleiche Weise hat man vom Menschen und Vieh den allgemeinen Begriff der Tiere; von den Tieren und Gewächsen den allgemeinen Begriff der lebendigen Geschöpfe; von der Gottesfurcht, Freigiebigkeit, Dankbarkeit und so weiter, den allgemeinen Begriff der Tugend bekommen: wiewohl ich nicht leugne, daß man auch ohne diesen Weg auf eine andere Weise, besonders in der Sittenlehre, der Staats- und Haushaltungskunst, allgemeine Begriffe aus gewissen Gründen, die man erkennt, herleiten kann: wovon unten im fünften Kapitel geredet wird. Die nun einen solchen Begriff miteinander gemein haben, nennen wir insoweit  Dinge von einer Art. 

§ 27. Nämlich alles, was wir in einzelnen Dingen antreffen, ist auf alle Weise  determiniert:  und eben hierdurch wird etwas zu einem einzelnen Ding, weil es sowohl in all dem, was es in sich hat, wie auch in dem, was ihm äußerlich in Anbetracht anderer Dinge zufällt, determiniert ist. Denn was macht dieses Dreieck, welches ich jetzt beschreibe, zu einem einzelnen Dreieck? Weil es seine abgemessenen Seiten und Winkel hat, zu dieser Zeit und auf diesem Blatt mit diesem Bleistift beschrieben wurde. Wenn man nun von dem abstrahiert, wodurch die Sache außer ihr determiniert wird, das übrige aber alles behält; so habe ich einen solchen Begriff, der nichts als einzelne Dinge unter sich begreift: hingegen abstrahiere ich auch von andern, wodurch die Sache in sich determiniert wird, wie in dem Dreieck von dem Verhältnis der Seiten und Winkel untereinander; so hat der Begriff ganze Geschlechter oder verschiedene Arten einzelner Dinge unter sich. Man sieht aber ohne mein Erinnerung, daß man von diesen Dingen, wodurch die Sache in sich determiniert wird, so viel weglassen kann, wie einem gefällt, und immer zu allgemeineren Begriffen hinaufsteigen. Zum Beispiel: in dem Begriff des geradlinigen Dreiecks, daß es ein Raum ist in drei gerade Linien eingeschlossen, kann ich die Art der Linien weglassen; so behalte ich den Begriff des Dreiecks insgemein übrig, oder ich lasse die Zahl der Linien weg; so bleibt mir der der Begriff einer geradlinigen Figur übrig. Ich habe in der Vorrede zu der anderen Auflage meiner  Metaphysik  gezeigt, wie sich dieses durch die Formel der Polygonalzahl und andere Formeln in der Algebra am allerdeutlichsten zeigen läßt, weil man hier alles klar sehen kann, was sich determinieren läßt und wie es sich determinieren läßt, da hingegen dasselbe in anderen Dingen öfters größten Teils versteckt ist, besonders wenn man auf einzelne Dinge kommt. Doch kann hier zur Erläuterung dienen, was von den Arten der Gesetze und des Gewissens, desgleichen der verschiedenen Regierungsformen gesagt wurde, wenn man es auf eine gehörige Weise erwägt, das ist, gewisse entweder vor diesem oder noch jetzt vorhandene Regierungsformen annimmt und die allgemeinen Begriffe, die ich davon gegeben habe, daraus herleitet. Es dient gar sehr zur Erläuterung der gegenwärtigen Materie, was ich vom Unterschied der einzelnen Dinge ihrer Arten und Geschlechter in den Anmerkungen über die Metaphysik auch vom Wesen ausgeführt habe.

§ 28. In Anbetracht dessen, daß ein Begriff allen Dingen von einer Art zukommt, wird er allgemein genannt, und daher enthält er umso viel weniger in sich, je allgemeiner er ist, folglich sind die allgemeinen Begriffe um so viel leichter zu überdenken, je mehreren Arten der Dinge sie zukommen: wenn man nur allgemeine Dinge zu überdenken gewohnt ist, damit sie einem nicht fremd vorkommen.

§ 29. Man befleißigt sich aber auf allgemeine Begriffe, weil dadurch die Schranken unserer Erkenntnis über die Maßen erweitert werden. Denn was aus einem allgemeinen Begriff hergeleitet wird, kommt allen Sachen zu, die unter demselben enthalten sind, zum Beispiel allen geradlinigen Dreiecken, was aus dem Begriff des geradlinigen Dreiecks hergeleitet wird; allen Affekten, was aus aus dem Begriff des Affekts fließt; allen flüssigen Körpern, was aus dem Begriff des flüssigen Körpers fließt, usw.

§ 30. Gleichwie wir aber zu neuen Begriffen gelangen, indem wir eines und das andere weglassen, wodurch die Sache in sich determiniert wird, so können wir auch hingegen anders determinieren, was noch nicht determiniert ist, oder auch dasjenige, was schon determiniert ist, auf eine andere Art determinieren. Zum Beispiel: im Begriff eines geradlinigen Dreiecks, daß es ein Raum ist in drei gerade Linien eingeschlossen, ist die Größe der Linien nicht determiniert. Wenn ich demnach setze, es sollen alle drei Linien einander gleich sein; so bekomme ich den Begriff eines gleichseitigen Dreiecks. Setze ich an die Stelle der geraden Linien krumme, so habe ich ein krummes Dreieck. Gleichergestalt wenn ich in dem vorhin angeführten Begriff der Freude ferner determiniere, von dem ich das Gute, welches ich genieße, empfangen habe; so entsteht daraus der Begriff von der Dankbarkeit, so weit sie ein Affekt ist, der in uns erregt wird, wenn wir uns vorstellen, daß ein anderer an unserem Glück die Ursache ist. Auf gleiche Weise kann man Begriffe von unzählig vielen Arten des Verstandes desgleichen von verschiedenen Arten der Tugenden und Laster herleiten: wenn man nämlich im ersten Fall die Art und Weise, wie die möglichen Dinge vorgestellt werden (denn der Verstand ist nichts anderes als eine Vorstellung möglicher Dinge, und durch die Art der Vorstellung müssen demnach die Arten des Verstandes entstehen); in dem anderen aber die verschiedenen Umstände und Gründe der Handlung determiniert. Man kann eben hierher die Exempel von den Arten der Gesetze und der verschiedenen Regierungsformen ziehen. Hierher gehören auch die Arten der unkörperlichen Dinge, welche eine Ähnlichkeit mit der Seele haben.

§ 31. Wenn wir durch die Sinne zu einem Begriff geleitet werden, so ist nicht zu zweifeln, daß er möglich ist. Denn wer wollte zweifeln, daß dies sein kann, welches wir wirklich antreffen: daher legen dergleichen Art Begriffe einen sicheren Grund zu richtiger Erkenntnis.

§ 32. Und da die allgemeinen Begriffe nichts in sich enthalten, was nicht in den besonderen gefunden wird, so müssen auch sie möglich sein, wenn sie von möglichen abgesondert werden.

§ 33. Allein wenn wir nach unserer eigenen Willkür etwas determinieren, können wir nicht wissen, ob dieselben Begriffe möglich sind, oder ob wir nur leere Worte bedenken. Denn unser Wille kann nichts möglich machen. Deswegen müssen wir in dergleichen Fällen beweisen, daß die erlangten Begriffe etwas mögliches in sich fassen. Es ist auch nicht genug, daß die  Determinierungen  ansich möglich sind, sondern es wird zugleich gefordert, daß sie neben den übrigen bestehen können. Zum Beispiel: Es ist sowohl möglich, daß zwei Linien gerade sind, als daß sie krumm sind: wenn man aber dazu setzt, daß sie einen Raum einschließen, oder in ihren beiden Enden zusammenstoßen sollen, so geht solches zwar im andern Fall, aber nicht im ersten an.

§ 34. Wir erkennen aber solches entweder aus der Erfahrung, oder durch Beweis. Die Erfahrung lehrt uns, ob ein Begriff möglich ist, wenn wir uns in der Welt umsehen und acht geben, ob wir etwas finden, welches mit ihm übereinstimmt. Zum Beispiel: Ich verlange zu wissen, ob ein Affekt der Dankbarkeit ist oder nicht,, davon wir oben einen Begriff formiert haben. Ich untersuche demnach, was ich für Gutes genieße, und wem ich dasselbe zuzuschreiben habe. So bald ich mir dies vorstelle, gebe ich auf mich selbst acht, was für eine Veränderung bei mir vorgeht; so werde ich finden, daß der vorgebrachte Begriff möglich ist. Nur ist zu merken, daß wir recht überführt oder überredet sein müssen, wir genießen etwas Gutes, und diese oder jene Person sei Ursache an unserem Glück. Denn ich werden an einem andern Ort zeigen, daß keine Erkenntnis den Menschen rege macht, als die eine Überführung oder Überredung mit sich führt. Die verschiedenen Arten der Regierungsformen und ihre Vermischungen werden durch eine willkürliche Determinierung der Anzahl und Macht der regierenden Personen herausgebracht. Daß aber solche Regierungsformen sein können, läßt sich auch aus der Erfahrung erweisen, wenn man diejenigen durchgeht, die entweder vor diesem im Schwange gewesen sind, oder noch heutzutage üblich sind. Ebenso wird die Möglichkeit derer unterschiedenen Arten der einfachen Dinge erwiesen.

§ 35. Durch Beweis wird ausgemacht, ob ein Begriff möglich ist oder nicht, entweder wenn wir zeigen, wie dergleichen Sache entstehen kann, oder auch wenn wir untersuchen, ob etwas daraus fließt, davon wir schon wissen, ob es möglich ist oder nicht. Denn wir wissen, wie etwas entstehen kann, dürfen wir nicht mehr zweifeln, ob es sein kann. Wenn aus einem Begriff unmögliche Dinge fließen, so kann er auch selbst nicht möglich sein: fließen aber lauter mögliche Dinge daraus, so muß auch er möglich sein. Denn was aus einem andern fließt, kann deswegen sein, weil das andere ist. So beweist EUCLIDES, daß ein gleichseitiges Dreieck möglich ist, wenn er lehrt, wie man auf eine jede gegebene gerade Linie eines beschreiben kann. Desgleichen wird klar, daß eine  Maschine  möglich ist, wenn ich richtig zeit, wie sie gemacht wird. Auf solche Weise zeige ich von den Tugenden in der Sittenlehre, daß sie möglich sind, indem ich zeige, auf was für eine Art und Weise sie in der Seele hervorgebracht werden. Hingegen finde ich, daß ein geradliniges Zweieck unmöglich ist, weil daraus folgt, es können zwei gerade Linien in zwei Punkten übereinander schneiden, da doch anderweitig klar ist, daß sie nicht mehr als in einem übereinander schneiden. Ich beweise in den meisten Erklärungen der Moral nach diesen Regeln ihre Möglichkeit.

§ 36. Wenn ein deutlicher Begriff ausführlich, das ist, so beschaffen ist, daß er nicht mehreren Dingen als von einer Art zukommt, und sie daher durch ihn von allen andern ihresgleichen zu allen Zeiten können unterschieden werden; so nenne ich ihn eine  Erklärung,  weil er mir nämlich die Sache klar macht, daß ich sie erkennen kann: reicht er aber nur auf eine Zeit zu, von anderen gegenwärtigen Dingen etwas bei gewissen Umständen zu erkennen; so nenne ich ihn eine  Beschreibung.  Solchergestalt ist der Begriff von einer  Mondfinsternis,  daß sie eine Beraubung des Lichts im Vollmond ist, eine Erklärung, denn ich kann dadurch die Mondfinsternis von allen anderen Himmelsbegebenheiten richtig unterscheiden. Gleichergestalt ist eine Erklärung des Verstandes, daß er ein Vermögen ist deutlich vorzustellen, was möglich ist, denn dadurch kann ich ihn von anderen in der Seele befindlichen Sachen unterscheiden. Und hierher gehören noch viele andere Exempel, die oben von deutlichen Begriffen angeführt worden ist und in allen Teilen der Weltweisheit, die ich herausgegeben habe, findet man so viele Exempel, als daselbst Sachen von verschiedener Art vorkommen, davon geredet wird. Hingegen wenn ich zu einem, der noch keine Zitrone gesehen hat und sie aus meiner Studierstube holen soll, sage, sie ist eine gelbe und etwas längliche Frucht, die in meiner Studierstube auf dem kleinen Tisch zur rechten Hand, wenn man hineinkommt, liegt; so ist der deutliche Begriff eine Beschreibung: denn ich kann dadurch die Zitrone nur unter gewissen Umständen erkennen, solange sie nämlich auf demselben Tisch im gedachten Zimmer liegen bleibt.

§ 37. Demnach müssen die Erklärungen solche Merkmale in sich enthalten, die zusammengenommen niemals einer anderen Sache, als die man zu erklären vorhat, zukommen: hingegen für Beschreibungen ist es genug, daß man die darin enthaltenen Merkmale nur zu derselbigen Zeit, da einer die Sache erkennen soll, keiner anderen als ihr zueignen kann.

§ 38. Beide aber müssen solche Merkmale haben, die demjenigen, welchem ich eine Sache erklären oder beschreiben will, bekannt sind. Denn sonst wäre aus gegebener Erklärung oder Beschreibung die Sache zu erkennen nicht möglich. Leidet dies die Beschaffenheit der Sache nicht, so ist er nicht imstande die Erklärung oder Beschreibung zu verstehen.

§ 39. Daher muß in Wissenschaften in die Erklärung nichts genommen werden, was nicht entweder mit Recht einem bekannt zu sein vorausgesetzt wird, oder vorher erklärt wurde. Zum Beispiel: wenn ich in der Politik sage, die Monarchie ist eine Regierungsform, die die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit schlechterdings einer einzigen Person zu besorgen obliegt, so ist vorher gezeigt worden, was eine Regierungsform ist, worin die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit besteht, was eine Person ist und wird ferner erklärt, was die Worte schlechterdings haben wollen. Ich kann aber mit Recht voraussetzen, daß einem etwas bekannt ist, wenn entweder keiner geschickt ist eine Wissenschaft zu erlangen, er sei denn zuvor in einer anderen wohl beschlagen, worin dasselbe erklärt wird, oder weil wir es täglich vor Augen haben. Zum Beispiel: wer die Astronomie lernen will, muß zuvor die Geometrie verstehen. Deswegen ist es nicht unrecht, wenn ich in astronomische Erklärungen solche Wörter ohne fernere Erläuterung setze, die in der Geometrie gewöhnlicher Massen erklärt worden sind. Wer die Sittenlehre als eine Wissenschaft erlernen will, da man die Beschaffenheit der Tugenden und Laster aus der inneren Erkenntnis der Seele des Menschen herleitet, wie ich dieselbe abgehandelt habe, muß vorher die Metaphysik, darin von  GOtt  und der Seele des Menschen gehandelt wird, erlernen. Deswegen ist es auch hier nicht, wenn ich in Erklärungen der Tugenden und Laster solche Wörter ohne fernere Erläuterung setze, die in der Metaphysik erklärt wurde. Wer die Politik gründlich erlernen will, muß vorher die Moral studieren, weil dieselbe viele Gründe aus ihr nimmt, die aus meiner Politik zu ersehen sind. Deswegen kann ich Wörter ohne fernere Erklärung in der Politik annehmen, die in der Moral erklärt worden sind. Gleichergestalt darf ich bei der oben angeführten Erklärung der Mondfinsternis nicht erst sagen, was ich durch das Licht verstehe, weil jedermann dasselbe täglich vor Augen hat.

§ 40. Auch müssen keine Wörter in einem uneigentlichen Verstand zu Erklärungen genommen werden, es sei denn, daß derselbe vorher besonders erklärt wurde. Zum Beispiel: Ich kann nicht sagen, die  Verbindlichkeit  ist ein Band der Rechte, wodurch man angehalten wird etwas zu tun, oder zu lassen, wenn ich nicht vorher erkläre, was das Wort  Band der Rechte  für eine Bedeutung haben soll, indem es hier nicht in seinem eigentlichen Verstand genommen wird. So kann ich nicht den Verstand erklären, daß er das Licht der Seele ist, noch auch die Vernunft durch eine Kette der Wahrheit, wenn ich nicht vorher erklärt habe, was diese Kette heißen soll.

§ 41. Es erklären aber die Erklärungen entweder Wörter oder Sachen; daher sie in  Wort-  und  Sacherklärungen  gar füglich eingeteilt werden. Jene besthen in einer Erzählung einiger Eigenschaften, wodurch eine Sache von allen andern ihresgleichen unterschieden wird: diese zeigen die Art und Weise, wie etwas möglich ist. Zum Beispiel: wenn ich sage, ein Uhrwerk ist eine  Maschine,  welche die Stunden andeutet; so erkläre ich das Wort  Uhrwerk:  zeige ich aber, aus was für Rädern und anderem Zubehör es zusammengesetzt wird, so erkläre ich die Sache. Gleichergestalt wenn ich sage: die Vernunft ist eine Einsicht in den Zusammenhang der Wahrheiten; so erkläre ich das Wort  Vernunft:  wenn ich aber zeige, wie dergleichen Einsicht durch die Kräfte der Seele möglich ist, so erkläre ich die Sache.

§ 42. Es kann also in eine Worterklärung nichts anderes genommen werden, aks was einer Sache immer zukommt. Zum Beispiel: bei der Dankbarkeit ist allzeit ein Andenken der Wohltaten. Deswegen wird dieses mit in ihre Erklärung genommen. Damit man nun solches erfährt, hat man wohl zu untersuchen, warum einer Sache dieses oder jenes zukommt. Denn finde ich den Grund davon in der Sache selbst, so bin ich versichert, daß es ihr beständig zukommt; hingegen ist der Grund außerhalb der Sache zu suchen; so kann es ihr nur unter gewissen Umständen zukommen. Da nun keine Sache in die andere unmittelbar etwas wirken kann, als wenn sie ihr nahe genug ist; so muß ich sie aus der Nähe derer Dinge, unter welchen sie sich befindet, in die Nähe anderer bringen, sodann wird es sich bald ausweisen, ob ihr nur um gewisser Umstände willen etwas zukommt, oder nicht. Zum Beispiel: ich setze, es habe einer noch kein Wachs gesehen, und finde ein Stück in heißen Sommertagen auf dem Fenster liegen, so daß es ganz weich sein wird. Will ich nun wissen, ob die Ursache, warum das Wachs weich ist, in ihm oder außer ihm zu suchen ist, so darf ich es nur in kalte Luft, etwa in den Keller bringen. Hier wird es hart werden, und so werde ich sehen, daß das Wachs nicht immer weich ist, sondern nur im warmen. Hingegen ein Stein mag in warmer oder in kalter Luft sein, so bleibt er hart. Und deshalb ist die Ursache seiner Härte nicht außerhalb von ihm, sondern in ihm zu suchen.

§ 43. Man hat sich besonders wohl in acht zu nehmen, daß nicht die Worterklärungen bloß aus anderen Wörtern bestehen, die ebensoviel wie das Wort bedeuten, welches erklärt werden soll. Denn so würde ich durch die Erklärung nicht klüger, als ich vorher war, auch aus derselben nichts erweisen, vielweniger was unbekanntes erfinden können. Zum Beispiel: wenn einer unendlich dadurch erklärt, was keine Schranken hat, so hat er noch keinen deutlichen Begriff vom unendlichen beigebracht: denn es ist nicht klarer keine Schranken haben oder unendlich sein. Wiederum wenn einer sagt, die anziehende Kraft des Magneten sei eine Kraft, wodurch der Magnet das Eisen an sich zieht, so sagt er mit vielen Worten eben dies, was er mit einem gesagt hat.

§ 44. Auch muß man dafür sorgen, daß nicht eines durch das andere erklärt wird: denn sonst wird der Begrif nicht recht deutlich. Zum Beispiel: wenn ich die Stunde durch den vierundzwanzigsten Teil eines Tages den Tag aber durch eine Zeit von vierundzwanzig Stunden erkläre; so verstehe ich weder recht, was ein Tag ist, noch auch was eine Stunde ist. Ebenso wenn ich sage, ein  Gelehrter  ist eine Person, die studiert hat, und, wenn mich einer fragt, was studieren heißt, antwortete, sich bemühen gelehrt zu werden; so wüßte ich weder was studieren, noch auch was einer Gelehrter heißt. Hierin kann man es über die Maßen leicht ersehen, wenn man mit Dingen zu tun hat, die von unseren Sinnen etwas weit entfernt sind, besonders wenn man von Sachen außerhalb ihrer Verknüpfung mit andern handelt, so zum Beispiel von der Tugend allein ohne Moral und ein andermal wieder vom Gesetz der Natur allein. Hier kann es leicht geschehen, daß man die Tugend durch eine Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetz der Natur einzurichten und nach diesem das Gesetz der Natur durch eine Richtschnur tugendhafter Handlungen erklärt: welche beide Erklärungen zugleich doch nicht bestehen können.

§ 45. Es dienen die Worterklärungen nicht allein im gemeinen Leben dazu, daß die Sachen jederzeit mit ihrem rechten Namen genannt werden, sondern geben auch in den Wissenschaften einen richtigen Grund zum Beweis, wie wir aus den mathematischen Wissenschaften zur Genüge sehen können, wie sich auch bei der Abhandlung anderer Teile der Weltweisheit, die von mir an das Tageslicht gestellt worden sind erhellt. Ja wir werden bald hören, wie aus der Worterklärung die Erklärung der Sache selbst gefunden wird.

§ 46. Jedoch ist es nicht möglich von allen Dingen eine Worterklärung zu geben. Denn sie muß aus Merkmalen zusammengesetzt werden, wodurch eine Sache von allen anderen unterschieden wird. Alle diese Merkmale werden durch Wörter angedeutet. Deswegen ist vonnöten, daß etliche Wörter als unerklärt angenommen werden müssen, die wir lernen, wenn wir die gegenwärtigen Dinge nennen hören, und also von ihnen einen klaren, obgleich undeutlichen Begriff erhalten.

§ 47. Hingegen da außer dem selbständigen Wesen alles seinen Grund hat, warum es vielmehr ist als es nicht ist, oder wenigstens sein kann; so können auch Sachen erklärt werden, von denen man keine Worterklärungen geben kann. Zum Beispiel: es können keine Eigenschaften angegeben werden, wodurch die Lust von anderen Veränderungen des Gemütes unterschieden wird; doch man kann aber zeigen, wie sie entsteht, wenn wir nämlich eine Vollkommenheit empfinden, oder wenigstens eine zu empfinden vermeinen.

§ 48. Das erste, was man von einer Sache denken kann, und darin der Grund des übrigen, der ihr zukommt, zu finden ist, wird das  Wesen  genannt. Nämlich in einem Ding treffen wir zweierlei an, das Beständige und das Veränderliche. Mit dem Veränderlichen haben wir bei den Erklärungen nichts zu tun, sondern es kommt hier bloß auf das Beständige an. Das Beständige ist von zweierlei Art. Entweder es ist so beschaffen, daß eines bloß neben dem andern zugleich sein kann, oder aber, daß es da zugleich sein muß, wo das andere ist, und also durch das Erste determiniert wird. Da nun das Letztere den Grund, warum es einer Sache zukommt in dem ersten hat; so ist das erstere das Wesentliche, das andere aber macht die Eigenschaften aus. Nun kann nichts eher von einer Sache gedacht werden, als wie sie entstanden oder dasjenige geworden ist, was sie ist. Deswegen versteht man das Wesen einer Sache, wenn man deutlich begreift, wie sie dasjenige geworden ist, was sie ist, oder auf was für eine Art und Weise sie möglich ist. Woraus ferner folgt, daß die Erklärungen der Sachen ihr Wesen vor Augen legen. Zum Beispiel: ich verstehe das Wesen einer Uhr, wenn ich deutlich begreife, aus was für Rädern und anderem Zubehör dieselbe zusammengesetzt ist, und wie jedes an das andere gefügt wird. Denn diese Teile sind nicht notwendig beieinander, sondern es kann bloß geschehen, daß sie zugleich in einem Ding nebeneinander sind, und so bald ich dieses weiß, bin ich imstande von allen Wirkungen und Zufällen der Uhr, die sie haben kann, einen richtigen Grund anzuzeigen. Aus gleichmäßiger Ursache verstehe ich das Wesen der Luft, wenn ich weiß, daß sie eine Empfindung der Vollkommenheit ist, wenigstens einer vermeinten. Ebenso verstehen wir das Wesen des Auges, wenn uns bekannt ist, aus was für Teilen und wie daraus das Auge zusammengesetzt ist. Und ebenso verhält es sich mit der Erkenntnis des Wesens unseres Leibes überhaupt. Wenn man aber bloß eine Sache erklärt, daß sie dieses oder jenes wesentliche, wie ein Triangel drei Seiten an sich hat, nicht aber zeigt, wie dadurch die Sache entstehen kann; so hat man bloß eine Wort-Erklärun, weil man daraus nicht ersehen kann, ob dieses beieinander sein kann oder nicht, folglich ob so ein Ding möglich ist, oder nicht. Ein mehreres findet man von dieser wichtigen Materie in meiner lateinischen Logik.

§ 49. Da nun die Erklärungen der Sache zeigen sollen, wie sie entstehen; so wird zweierlei dazu erfordert. Einmal muß man wissen, was für Dinge dazu gehören, wenn sie entstehen soll. Danach muß bekannt sein, was ein jedes von ihnen dazu beiträgt. Zum Beispiel: wenn einer sagen soll, wie die Dünste entstehen, so muß er nicht allein wissen, daß Wasser, Wärme und Luft dazu erfordert werden, sondern auch verstehen, was jedes von diesen dreien zu den Dünsten beiträgt.

§ 50. Man gelangt aber auf verschiedenen Wegen zu dieser Erkenntnis. Denn die Sache, deren Erklärung ich verlange, ist mir entweder schon einigermaßen bekannt, oder ich weiß noch gar nichts von ihr. Sie kann mir nämlich durch die Worterklärung bekannt sein.

§ 51. Wenn ich noch gar nichts von einer Sache weiß, so muß ich solche Dinge annehmen, die mir schon bekannt sind, und mit Fleiß untersuchen, was durch ihre Verknüpfung herauskommt. Zum Beispiel: in der Geometrie nimmt man Punkte und Linien an und denkt sich, daß eines an dem andern auf eine gewisse Weise sich bewegt; so bekommt man allerhand Erklärungen von Flächen. Dergleichen ist die Beschreibung eines Zirkels durch die Bewegung einer geraden Linie um einen Punkt. Einen großen Vorrat solcher Exempel findet man in BARROWs  Lectionibus Geometricis,  Seite 14f. Auf ebenmäßige Art kann man das einfache Rüstzeug auf allerhand Art und Weise zusammensetzen; so werden viele uns zuvor unbekannte Maschinen herauskommen. Wer mit der Chemie, Experimental-Philosophie und Künsten zu tun hat, der wird diese Regel öfters mit vielem Vorteil brauchen können. Auch wird man in der Sittenlehre, der Haushaltungs- und Staatskunst sehen, daß die Erklärungen der meisten dahin gehörigen Sachen auf eine solche Art herausgebracht werden.

§ 52. Es kommt hier bisweilen vieles auf das blinde Glück an. Wenn man nämlich entweder ungefähr oder auch wohl mit Vorsatz solche Dinge miteinander verknüpft, von denen man nicht vorher sagen kann, daß sie neues herausbringen werden, und nur anmerkt, was die Erfahrung neues gibt. So sind die Ferngläser erfunden worden, da man zwei geschliffene Gläser, ein erhabenes und hohles, ungefähr voreinander gehalten hat. Ebenso hat man das Pulver erfunden, da Kohlen, Schwefel und Salpeter zufälligerweise untereinander gemischt worden sind und darein ein Funken gefallen ist. Und die meisten Erfindungen in den Künsten haben wohl keinen anderen Ursprung als diesen. Auf solche Weise ist der Phosphor herausgebracht worden, wie der Herr LEIBNIZ in  Miscellaneis Berolinensibus,  Seite 91f ausführlich benachrichtigt.

§ 53. Wenn nun auf solche Art etwas herausgebracht worden ist, und man verlangt zu wissen, ob dergleichen Sache schon wirklich vorhanden ist, und, wenn sie schon vorhanden ist, mit was für einem Namen sie belegt wurde; so muß man einige Eigenschaften aus der gefundenen Erklärung herleiten, und sich alsdann umsehen, ob irgendwo etwas zu finden ist, das dergleichen Eigenschaften an sich hat. Denn was aus einer Erklärung hergeleitet wird, kommt einer Sache deswegen zu, weil von ihr gesagt werden kann, was in der Erklärung enthalten ist. In der Mathematik wird dieses mit Fleiß beobachtet. Wenn man eine krumme Linie herausgebracht hat, und man wil wissen, ob sie bereits unter einem gewissen Namen bekannt ist, so sucht man eine Eigenschaft derselben und sieht zu, ob nicht schon eine Linie vorhanden ist, welche diese Eigenschaft hat. So habe ich erweise, daß die Linie, welche SERLIUS zu Gewölben rekommendiert [empfiehlt - wp], eine Ellipsis ist und bald darauf, daß DÜRERs und HARTMANNs gebürstete Kreise eben keine anderen Linien als die Ellipsis sind. Ebenso habe ich gezeigt, daß die daselbe aus anderen Gründen herausgebrachte erste Art der Seele ähnlicher Dinge die Einheiten des Herrn von LEIBNIZ sind. Und in der Moral wird öfters erwiesen, daß die Tugenden, welche ich aus den vorher angewiesenen Gründen des Gesetzes der Natur herausgebracht habe, eben diejenigen sind, denen man diesen oder jenen Namen zu geben pflegt: zum Beispiel: ich zeige daß des Herrn von LEIBNIZ Wissenschaft der Glückseligkeit eben dasjenige ist, was ich Weisheit nannte.

§ 54. Wenn eine Worterklärung gegeben wird, und man soll daraus die Erklärung der Sache finden; so muß man deutliche Begriffe aller Merkmale suchen, die darin enthalten sind. Indem man diese erwägt, wird es sich bald zeigen, was die Sache zu formieren erfordert wird. Gehen wir nun ferner unsere Erkenntnis durch, die wir zu anderer Zeit erlangt haben, und es kommen uns dergleichen Dinge vor, die erfordert werden, so haben wir die Erklärung der Sache gefunden. Können wir uns aber auf nichts dergleichen besinnen, so sehen wir, daß ihre Entdeckung nicht in unserem Vermögen steht. Zum Beispiel: es wird mir eine Worterklärung von den Dünsten gegeben, daß es kleine Teilchen des Wassers sind, welche in der Luft in die Höhe steigen, ich soll finden, wie dieselben sich formieren. Am Ende erinnere ich mich all dessen, was ich deutlich vom Wasser, der Luft, desgleichen dem Aufsteigen der Körper in flüssigen Materien erkannt habe, wie daß im Wasser viel Luft ist, daß das Wasser von der Luft in Bläschen ausgedehnt wird, daß die Wärme die Luft ausdehnt, daß die leichteren Körper in einer schweren flüssigen Materie in die Höhe steigen. Wenn ich nun diese Dinge gegeneinander halte; so sehe ich leicht, daß wenn die Sonne auf das Wasser scheint oder sonst das Wasser in einen warmen Ort gesetzt wird, die Luft sich darin ausdehnt, folglich kleine Bläschen formiert werden, die nicht allein leichter sind als das Wasser, sondern auch als die Luft, und dadurch sich vom übrigen Wasser abreißen und in der Luft aufsteigen.

§ 55. Es ist nicht zu leugnen, daß es etwas schwer fällt auf vorgeschriebene Weise die Erklärungen der Sachen zu finden: denn es wird nicht allein erfordert, daß man bereits viel weiß, sondern man muß sich auch im Nachsinnen schon ziemlich geübt haben. Deswegen haben sich Anfänger hiermit nicht zu belästigen. Jedoch wenn ihnen Erklärungen der Sachen vorkommen, können sie sich mit großem Nutzen darin üben, daß sie untersuchen, wie sie nach der vorgeschriebenen Art hätten können erfunden werden. Und weil hier kein anderer Weg nötig ist, als derjenige, darauf man zur Erkenntnis einer Wahrheit durch die andere gelangt, und in Auflösung der Aufgaben die Ursache der natürlichen Wirkungen findet; so wird man hierin noch ein mehreres Licht bekommen, wenn man mit Bedacht liest, was von diesen Stücken beigebracht worden ist.

§ 56. Viel leichter kann man in diesen Sachen zurecht kommen, welche eine gewisse Struktur haben, die sich entweder mit bloßen Augen, oder durch Vergrößerungsgläser gar wohl betrachten läßt. Denn hier braucht es nicht viel tiefes Nachsinnen, sondern nur Augen zu sehen, Aufmerksamkeit in acht zu nehmen, was man sieht, und eine geübte Hand die Sachen zergliedern. Auf diese Weise gelangt man zu der Erklärung aller Maschinen, die man wirklich findet, auch aller Tiere und Pflanzen. Und hierher gehört die Anatomie, darin der menschliche Leib zergliedert wird. Man muß aber hier in acht nehmen, was oben von der Erlangung der deutlichen und vollständigen Begriffen erinnert worden ist.

§ 57. Ebenso leicht geht es an, wenn wir gegenwärtig darauf acht haben, wie die Sache formiert wird. Solchergestalt lernen wir die Werke der Kunst, desgleichen die Begriffe der Veränderungen, die in unserer Seele vorgehen, wie der Lust, des Verdrusses, der Affekte und so weiter.
LITERATUR: Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Kräfften des menschlichen Verstandes und ihrem richtigen Gebrauche in Erkäntniß der Wahrheit, Halle 1742