Die Sprache - I V -
Hier liegt der erste Anfang jener allgemeinsten Funktion des Trennens und Verknüpfens, die ihren höchsten bewußten Ausdruck in den Analysen und Synthesen des wissenschaftlichen Denkens findet. Und neben der Welt der Sprach- und Begriffszeichen steht nun, mit ihr unvergleichbar und ihr dennoch dem geistigen Ursprung nach verwandt, jene Gestaltenwelt, die der Mythos oder die Kunst erschafft. Denn auch die mythische Phantasie ist, so stark sie im Sinnlichen wurzelt, doch über die bloße Passivität des Sinnlichen hinaus. Mißt man sie an den gewöhnlichen empirischen Maßstäben, wie sie die sinnliche Erfahrung uns darbietet, so müssen ihre Gebilde als schlechthin "unwirklich" erscheinen, aber gerade in dieser Unwirklichkeit bekundet sich die Spontaneität und die innere Freiheit der mythischen Funktion. Und diese Freiheit fällt keineswegs mit einer völlig gesetzlosen Willkür zusammen. Die Welt des Mythos ist kein bloßes Gebilde der Laune oder des Zufalls, sondern sie hat ihre eigenen Fundamentalgesetze des Bildens, die durch alle ihre besonderen Äußerungen hindurchwirken. Im Gebiet der künstlichen Anschauung wird es sodann vollends deutlich, daß alle Auffassung einer ästhetischen Form am Sinnlichen nur dadurch möglich wird, daß wir selbst die Grundelemente der Form bildend erzeugen. Alles Verständnis räumlicher Gestalten z.B. ist zuletzt an diese Tätigkeit ihrer inneren Produktion und an die Gesetzmäßigkeit dieser Produktion gebunden. So zeigt sich durchweg, wie gerade die höchste und reinste geistige Aktivität, die das Bewußtsein kennt, durch bestimmte Weisen der sinnlichen Aktivität bedingt und vermittelt ist. Auch hier haben wir das eigentliche und wesentliche Leben der reinen Idee immer nur am farbigen Abglanz der Erscheinungen. Das System der mannigfachen Äußerungen des Geistes ist für uns nicht anders erfaßbar, als dadurch, daß wir die verschie-denen Richtungen seiner ursprünglichen Bildkraft verfolgen. In dieser erblicken wir im Reflex die Wesenheit des Geistes - denn diese kann sich für uns nur dadurch darstellen, daß sie sich in der Gestaltung des sinn-lichen Materials betätigt. Und daß es in der Tat eine reine Aktivität des Geistes ist, die sich in der Schaffung der verschiedenen Systeme sinnlicher Symbole bekundet, das drückt sich auch darin aus, daß alle diese Symbole von Anfang an mit einem bestimmten Objektivitäts- und Wertanspruch auftreten. Sie alle greifen über den Kreis der bloß individuellen Bewußtseinserscheinungen hinaus; - sie beanspruchen ihnen gegenüber ein Allgemeingültiges hinzustellen. Dieser Anspruch mag sich vor einer späteren kritisch-philosophischen Betrachtung und vor ihrem entwickelten und durchgebildeten Wahrheitsbegriff möglicherweise als hinfällig erweisen; - aber daß er überhaupt erhoben wird, gehört zum Wesen und Charakter der einzelnen Grundformen selbst. Sie selbst sehen ihre Gebilde nicht nur überhaupt als objektiv gültig, sondern zumeist geradezu als den eigentlichen Kern des Objektiven, des "Wirklichen" an. So ist es für die ersten gleichsam naiven und unreflektierten Äußerungen des sprachlichen Denkens, wie für das Denken des Mythos bezeichnend, daß sich für sie der Inhalt der "Sache" und der des "Zeichens" nicht deutlich scheidet, sondern daß beides in völliger Indifferenz ineinander überzugehen pflegt. Der Name einer Sache und diese selbst sind untrennbar miteinander verschmolzen; - das bloße Wort oder Bild birgt in sich eine magische Kraft, durch die sich uns das Wesen des Dinges zu eigen gibt. Und man braucht diese Anschauung nur vom Reellen ins Ideelle, vom Dinglichen ins Funktionale zu wenden, um in ihr in der Tat einen berechtigten Kern zu entdecken. Denn wirklich bildet in der immanenten Entwicklung des Geistes der Gewinn des Zeichens stets einen ersten und notwendigen Schritt für die Gewinnung der objektiven Wesenserkenntnis. Das Zeichen bildet gleichsam für das Bewußtsein das erste Stadium und den ersten Beleg der Objektivität, weil durch dasselbe zuerst dem stetigen /Wandel der Bewußtseinsinhalte Halt geboten, weil in ihm ein Bleibendes bestimmt und herausgehoben wird. Kein bloßer Inhalt des Bewußtseins kehrt als solcher, nachdem er einmal vergangen und durch andere ersetzt ist, in streng-identischer Bestimmtheit wieder. Er ist als das, was er war, ein für allemal dahin, sobald er aus dem Bewußtsein geschwunden ist. Aber diesem unaufhörlichen Wechsel der inhaltlichen Qualitäten stellt nun das Bewußtsein die Einheit seiner selbst und seiner Form gegenüber. Seine Identität beweist sich nicht in dem, was es ist oder hat, sondern in dem, was es tut, erst wahrhaft. Durch das Zeichen, das mit einem Inhalt verknüpft wird, gewinnt dieser in sich selbst einen neuen Bestand und eine neue Dauer. Denn dem Zeichen kommt, im Gegensatz zu dem realen Wechsel der Einzelinhalte des Bewußtseins, eine bestimmte ideelle Bedeutung zu, die als solche beharrt. Es ist nicht gleich der gegebenen einfachen Empfindung ein punktuell Einzelnes und Einmaliges, sondern es steht als Repräsentant für eine Gesamtheit, einen Inbegriff möglicher Inhalte, deren jedem gegenüber es also ein erstes "Allgemeines" darstellt. In der symbolischen Funktion des Bewußtseins, wie sie sich in der Sprache, in der Kunst, im Mythos betätigt, heben sich zuerst aus dem Strom des Bewußtseins bestimmte gleichbleibende Grundgestalten teils begrifflicher, teils rein anschaulicher Natur heraus; an die Stelle des verfließenden Inhalts tritt die in sich geschlossene und in sich beharrende Einheit der Form. BERKELEY hat in seinen Untersuchungen zur Theorie des Sehens, die einen Anfangspunkt der modernen physiologischen Optik bilden, die Entwicklung der Raumwahrnehmung der Entwicklung der Sprache verglichen. Es ist eine Art natürliche Sprache, d. h. eine feste Zuordnung von Zeichen und Bedeutungen, durch die nach ihm die räumliche Anschauung erst gewonnen und erst befestigt werden kann. Nicht indem wir ein fertigvorhandenes dingliches Urbild des "absoluten Raumes" in unserer Vorstellung abbilden, sondern indem wir die verschiedenen, an sich unvergleichlichen Eindrücke der mannigfachen Sinnesgebiete, insbesondere des Gesichts- und des Tastsinns, als Repräsentanten und Zeichen für einander gebrauchen lernen, entstehe für uns die Welt des Raumes als eine Welt miteinander systematisch verknüpfter und aufeinander bezogener Perzeptionen. BERKELEY hat hierbei, seiner sensualistischen Grundvoraussetzung gemäß, versucht, die Sprache des Geistes, die er als eine Bedingung der räumlichen Anschauung nachweist, ausschließlich als eine Sprache der Sinne zu verstehen. Aber dieser Versuch hebt, näher betrachtet, sich selbst auf. Denn es liegt schon im Begriff der Sprache selbst, daß sie niemals bloß sinnlich sein kann, sondern eine eigentümliche Durchdringung und Wechselwirkung sinnlicher und begrifflicher Faktoren darstellt, sofern in ihr stets die Erfüllung der individuellen sinnlichen Zeichen mit einem allgemeine gedanklichen Bedeutungsgehalt vorausgesetzt wird. Das gleiche gilt auch für jede andere Art der "Repräsentation - der Darstellung eines Bewußtseinselementes in einem anderen und durch ein anderes. Denken wir uns die sinnliche Grundlage für den Aufbau der Raumvorstellung in bestimmten Gesichts-, Bewegungs- und Tastempfindungen gegeben, so enthält doch eben die Summe dieser Empfindungen nichts von jener charakteristischen Einheitsform, die wir "Raum" nennen. Diese äußert sich vielmehr erst in einer derartigen Zuordnung, daß dadurch von jeder einzelnen dieser Qualitäten zu ihrer Gesamtheit übergegangen werden kann. Wir denken auf diese Weise in jedem Element, sofern wir es als räumliches setzen, schon eine Unendlichkeit möglicher Richtungen gesetzt und der Inbegriff dieser Richtungen macht erst das Ganze der räumlichen Anschauung aus. Das räumliche "Bild", das wir von einem einzelnen empirischen Gegenstand, etwa von einem Hause, besitzen, kommt nur dadurch zustande, daß wir eine einzelne relativ begrenzte perspektivische Ansicht in diesem Sinne erweitern; daß wir sie nur als Ausgangspunkt und Anregung benutzen, um von ihr aus ein sehr komplexes Ganze räumlicher Relationen aufzubauen. In diesem Sinne verstanden ist der Raum nichts weniger als ein ruhendes Gefäß und Behältnis, in das die "Dinge", als gleichfalls fertige, eingehen, er stellt vielmehr einen Inbegriff ideeller Funktionen dar, die sich gegenseitig zur Einheit eines Ergebnisses ergänzen und bestimmen. Wie wir im einfachen "Jetzt" der Zeit zugleich das Früher und Später, also die Grundrichtungen des zeitlichen Fortgangs ausgedrückt fanden, so setzen wir in jedem "Hier" schon ein "Da" und ein "Dort". Die einzelne Stelle ist nicht vor dem Stellensystem, sondern nur im Hinblick auf dasselbe und in korrelativer Beziehung zu ihm gegeben. Eine dritte Form der Einheit, die sich über der räumlichen und zeitlichen Einheit erhebt, ist die Form der gegenständlichen Verknüpfung. Wenn wir einen Inbegriff bestimmter Eigenschaften zum Ganzen eines beharrlichen Dinges mit mannigfachen und wechselnden Merkmalen zusammenschließen, so setzt dieser Zusammenschluß die Verknüpfung im Neben- und Nacheinander voraus, ohne doch in ihr aufzugehen. Das relativ Konstante muß vom Veränderlichen unterschieden, - bestimmte räumliche Konfigurationen müssen festgehalten werden, damit der Begriff vom Dinge, als dem bleibenden "Träger" der wandelbaren Eigenschaften, sich bilden kann. Auf der anderen Seite aber fügt der Gedanke dieses "Trägers" zur Anschauung des räumlichen Beisammen und des zeitlichen Nachinander ein eigenes und neues Moment von selbständiger Bedeutung hinzu. Die empiristische Analyse der Erkenntnis hat freilich immer wieder versucht, diese Selbständigkeit zu bestreiten. Sie sieht im Gedanken des Dinges nichts anderes als eine rein äußerliche Verknüpfungsform; sie sucht zu zeigen, daß Inhalt und Form des "Gegenstandes" sich in der Summe seiner Eigenschaften erschöpft. Aber es tritt hierbei alsbald derselbe Grund-mangel hervor, der der empiristischen Zergliederung des Ichbegriffs und des Ichbewußtseins anhaftet. Wenn HUME das Ich als ein "Bündel von Perzeptionen" erklärt, so hebt diese Erklärung - abgesehen davon, daß in ihr nur die Tatsache der Verbindung überhaupt festgehalten, aber über die besondere Form und Art der Synthese zum , "Ich" nicht das geringste ausgesagt ist - sich schon darum selbst auf, weil im Begriff der Perzeption der Begriff des Ich, der scheinbar analysiert und in seine Bestandteile zerlegt werden sollte, noch vollständig unzerlegt enthalten ist. Was die einzelne Perzeption zur Perzeption macht, was sie als Qualität der "Vorstellung" etwa von einer beliebigen Dingqualität unterscheidet, das ist eben ihre "Zugehörigkeit zum Ich. " Diese entsteht nicht erst in der nachträglichen Zusammenfassung einer Mehrheit von Perzeptionen, sondern ist schon jeder einzelnen ursprünglich eigen. Ein ganz analoges Verhältnis besteht in der Verknüpfung der vielfältigen "Eigenschaften" zur Einheit eines "Dinges". . Wenn wir die Empfindungen des Ausgedehnten, des Süßen, des Rauhen, des Weißen zur Vorstellung des "Zuckers", als eines einheitlichen dinglichen Ganzen, vereinen, so ist dies nur möglich, sofern schon jede einzelne dieser Qualitäten ursprünglich mit Rücksicht auf dieses Ganze bestimmt gedacht wird. Daß die Weiße, die Süße usf. nicht lediglich als Zustand in mir, sondern als "Eigenschaft", als gegenständliche Qualität gefaßt wird, - dies schließt die gesuchte Funktion und den Gesichtspunkt des Dinges schon vollständig in sich. In der Setzung des /Einzelnen waltet also hier bereits ein allgemeines Grundschema, das dann, in der fortschreitenden Erfahrung vom "Ding" und seinen "Eigenschaften", nur mit immer neuem konkreten Inhalt erfüllt wird. Wie der Punkt als einfache und einzelne Lage immer nur "im" Raume, d. h. logisch gesprochen unter Voraussetzung eines Systems aller Lagebestimmungen möglich ist - wie der Gedanke des zeitlichen "Jetzt" nur in Rücksicht auf eine Reihe von Momenten und auf die Ordnung und Folge des Nacheinander, die wir "Zeit" nennen, sich bestimmen läßt -- so gilt das gleiche auch für das Ding- und Eigenschaftsverhältnis. In all diesen Verhältnissen, deren nähere Bestimmung und Zergliederung Sache der speziellen Erkenntnistheorie ist, zeigt sich derselbe Grundcharakter des Bewußtseins, daß das Ganze hier nicht erst aus den Teilen gewonnen wird, sondern daß jede Setzung eines Teils die Setzung des Ganzen, nicht seinem Inhalt, wohl aber seiner allgemeinen Struktur und Form nach bereits in sich schließt. Jedes Einzelne gehört hier schon ursprünglich einem bestimmten Komplex an und bringt die Regel dieses Komplexes in sich zum Ausdruck. Erst die Gesamtheit dieser Regeln aber macht die wahrhafte Einheit des Bewußtseins als Einheit der Zeit, des Raumes, der gegenständlichen Verknüpfung usf. aus. Auf die "natürliche Symbolik, auf jene Darstellung des Bewußtseinsganzen: müssen wir zurückgehen, wenn wir die künstliche Symbolik, wenn wir die "willkürlichen" Zeichen begreifen wollen, die sich das Bewußtsein in der Sprache, in der Kunst, im Mythos erschafft. Die Kraft und Leistung dieser mittelbaren Zeichen bliebe ein Rätsel, wenn sie nicht in einem ursprünglichen, im Wesen des Bewußtseins selbst gegründeten geistigen Verfahren ihre letzte Wurzel hätte. Daß ein sinnlich-Einzelnes, wie es z.B. der physische Sprachlaut ist, zum Träger einer rein geistigen Bedeutung werden kann - dies wird zuletzt nur dadurch verständlich, daß die Grundfunktion des Bedeutens selbst schon vor der Setzung des einzelnen Zeichens vorhanden und wirksam ist, so daß sie in dieser Setzung nicht erst geschaffen, sondern nur fixiert, nur auf einen Einzelfall angewandt wird. Weil jeder Sonderinhalt des Bewußtseins in einem Netzwerk mannigfacher Beziehungen steht, kraft deren er, in seinem einfachen Sein und seiner Selbstdarstellung, zugleich den Hinweis auf andere und wieder andere Inhalte in sich schließt, kann und muß es auch bestimmte Gebilde des Bewußtseins geben, in denen diese reine Form des Hinweisens sich gleichsam sinnlich verkörpert. Daraus ergibt sich sofort die eigentümliche Doppelnatur dieser Gebilde: ihre Gebundenheit ans Sinnliche, die doch zugleich eine Freiheit vom Sinnlichen in sich schließt. In jedem sprachlichen "Zeichen", in jedem mythischen oder künstlerischen "Bild" erscheint ein geistiger Gehalt, der an und für sich über alles Sinnliche hinausweist, in die Form des Sinnlichen, des Sicht-, Hör- oder Tastbaren umgesetzt. Es tritt eine selbständige Gestaltungsweise, eine spezifische Aktivität des Bewußtseins auf; die sich von aller Gegebenheit der unmittelbaren Empfindung oder Wahrnehmung unterscheidet, um sich dann doch eben dieser Gegebenheit selbst als Vehikel, als Mittel des Ausdrucks zu bedienen. Damit wird die "natürliche" Symbolik, die wir im Grundcharakter des Bewußtseins selbst angelegt fanden, auf der einen Seite benutzt und festgehalten, während sie auf der anderen Seite überboten und verfeinert wird. Denn in dieser "natürlichen" Symbolik war es immer ein gewisser Teilbestand des Bewußtseins, der, aus dem Ganzen herausgehoben, dennoch die Kraft behielt, eben dieses Ganze zu vertreten und es durch diese Vertretung im gewissen Sinne wiederherzustellen. Ein vorhandener Inhalt besaß die Fähigkeit, außer sich selbst zugleich ein anderes, nicht unmittelbar Gegebenes, sondern nur durch ihn Vermitteltes vorstellig zu machen. Die symbolischen Zeichen aber, die uns in der Sprache, im Mythos, in der Kunst entgegentreten, "sind" nicht erst, um dann, über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeutung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung. Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf. Hier ist das Bewußtsein; um das Ganze im Einzelnen zu erfassen, nicht mehr auf die Anregung des Einzelnen selbst, das als solches gegeben sein muß, angewiesen, sondern hier erschafft es sich selbst bestimmte konkret-sinnliche Inhalte als Ausdruck für bestimmte Bedeutungskomplexe. Weil diese Inhalte, als selbstgeschaffene, auch ganz in der Gewalt des Bewußtseins sind, darum vermag es durch sie, wie der bezeichnende Ausdruck lautet, auch alle jene Bedeutungen immer von neuem mit Freiheit "hervorzurufen". Indem wir z.B. eine gegebene Anschauung oder Vorstellung mit einem willkürlichen Sprachlaut verknüpfen, scheinen wir zunächst ihrem eigentlichen Inhalt nicht das geringste hinzugefügt zu haben. Und doch nimmt, schärfer betrachtet, in dieser Schaffung des Sprachzeichens auch der Inhalt selbst für das Bewußtsein einen neuen "Charakter", weil eine neue Bestimmtheit, an. Seine scharfe und klare geistige "Reproduktion" erweist sich geradezu an den Akt der sprachlichen "Produktion" gebunden. Denn nicht dies ist die Aufgabe der Sprache, Bestimmungen und Unterschiede die in der Vorstellung schon vorhanden sind, lediglich zu wiederholen, sondern sie als solche erst zu setzen und kenntlich zu machen. Und so ist es überall die Freiheit des geistigen Tuns, durch die sich das Chaos der sinnlichen Eindrücke erst lichtet und durch die es für uns erst feste Gestalt anzunehmen beginnt. Nur indem wir dem fließenden Eindruck, in irgendeiner Richtung der Zeichengebung, bildend gegenübertreten, gewinnt er für uns Form und Dauer. Diese Wandlung zur Gestalt vollzieht sich in der Wissenschaft und in der Sprache, in der Kunst und im Mythos in verschiedener Weise und nach verschiedenen Bildungsprinzipien: aber sie alle stimmen darin überein, daß dasjenige, was schließlich als Produkt ihres Tuns vor uns hintritt, in keinem Zuge mehr dem bloßen Material gleicht, von dem sie anfänglich ausgegangen waren. So unterscheidet sich in der Grundfunktion der Zeichengebung überhaupt und in ihren verschiedenen Richtungen erst wahrhaft das geistige vom sinnlichen Bewußtsein. Hier erst tritt an die Stelle der passiven Hingegebenheit an irgendein äußeres Dasein eine selbständige Prägung, die wir ihm geben, und durch die es für uns in verschiedene Wirklichkeitsbereiche und Wirklichkeitsformen auseinandertritt. Der Mythos und die Kunst, die Sprache und die Wissenschaft sind in diesem Sinne Prägungen zum Sein: sie sind nicht einfache Abbilder einer vorhandenen Wirklichkeit, sondern sie stellen die großen Richtlinien der geistigen Bewegung, des ideellen Prozesses dar, in dem sich für uns das Wirkliche als Eines und Vieles konstituiert, - als eine Mannigfaltigkeit von Gestaltungen, die doch zuletzt durch eine Einheit der Bedeutung zusammengehalten werden. Blickt man auf dieses Ziel voraus, so wird damit auch die besondere Bestimmung der verschiedenen Zeichensysteme und der Gebrauch, den das Bewußtsein von ihnen macht, erst verständlich. Wäre das Zeichen nichts anderes als die Wiederholung eines bestimmten, in sich fertigen Einzelinhalts der Anschauung oder Vorstellung, so wäre weder abzusehen, was mit einer solchen schlichten Kopie des Vorhandenen geleistet werden, noch wie sie in wirklicher Strenge erreicht werden sollte. Denn es liegt auf der Hand, daß die Nachahmung an das Original niemals heranreichen, es für die geistige Betrachtung niemals ersetzen könnte. Unter der Voraussetzung einer derartigen Norm wird man daher notwendig zu einer prinzipiellen Skepsis gegen den Wert des Zeichens überhaupt geführt. Wird es etwa als die eigentliche und wesentliche Aufgabe der Sprache betrachtet, jene Wirklichkeit, die wir in den einzelnen Empfindungen und Anschauungen bereits fertig vor uns liegen haben, nur in dem fremden Medium des Sprachlauts nochmals zum Ausdruck zu bringen - so zeigt sich sofort, wie unendlich weit alles Sprechen hinter dieser Aufgabe zurückbleiben muß. Der unbegrenzten Fülle und Mannigfaltigkeit der anschaulichen Wirklichkeit gegenüber müssen alle sprachlichen Symbole als leer, ihrer individuellen Bestimmtheit gegenüber müssen sie als abstrakt und vag erscheinen. In dem Augenblick, in dem die Sprache mit der Empfindung oder Anschauung in dies er Hinsicht in Wettstreit zu treten versucht, muß sich demnach ihre Ohnmacht unverkennbar erweisen. In Wahrheit aber zeigt die Analyse der Sprache - insbesondere wenn man nicht von der bloßen Einzelheit des Wortes, sondern von der Einheit des Satzes ausgeht -, daß jeder sprachliche Ausdruck, weit entfernt, ein bloßer Abdruck der gegebenen Empfindungs- oder Anschauungswelt zu sein, vielmehr einen bestimmten selbständigen Charakter der "Sinngebung" in sich faßt. Und das gleiche Verhältnis tritt bei den Zeichen der verschiedensten Art und Herkunft hervor. Von ihnen allen läßt sich in gewissem Sinne sagen, daß sie ihren Wert nicht sowohl in dem besitzen, was sie vom konkret-sinnlichen Einzelinhalt und seinem unmittelbaren Bestand festhalten, als in dem, was sie von diesem unmittelbaren Bestand unterdrücken und fallen lassen. Auch die künstlerische Zeichnung wird zu dem, was sie ist und wodurch sie sich von einer bloß mechanischen Reproduktion unterscheidet, erst durch das, was sie am "gegebenen" Eindruck wegläßt. Sie ist nicht die Wiedergabe des letzteren in seiner sinnlichen Totalität, sondern sie hebt an ihm bestimmte "prägnante" Momente heraus. |