tb-2 Die positivistische PhilosophieKampits - Der Wiener Kreis    
 
VIKTOR KRAFT
Der Wiener Kreis
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"Das Erlebnisgegebene, von dem man ausgeht, kann daher erst nach der Konstituierung dieser Begriffe, also erst auf einer höheren Stufe der Konstitution als eigenpsychisch bestimmt werden. Erst danach, in welches Gegenstandsgebiet innerhalb dieses Systems es dann fällt, ergibt sich nachträglich diese Charakterisierung. Ursprünglich ist es einfach das tatsächlich Gegebene, weder mein noch psychisch, sondern etwas völlig Neutrales. Alle Begriffe, durch die es bestimmt werden könnte, müssen ja erst daraus konstruiert werden. Beim Aufbau eines Konstitutionssystems der Begriffe muß das, was Grundlage ist und was Verarbeitung ist, klar auseinandergehalten werden."

B. Der Empirismus

I. Das Konstitutionssystem
der empirischen Begriffe

Die Bedeutung eines Wortes, eines Zeichens überhaupt kann dadurch angegeben werden, daß man sie mit Hilfe von Wörtern (Zeichen) bestimmt, deren Bedeutung bereits festgelegt ist. Das ist die geläufige Art der Bedeutungsangabe durch Definition. Aber das Definieren findet seine Grenze darin, daß schließlich auch die Bedeutung der zur Definition benützten Wörter (Zeichen) angegeben werden muß, weil man sich sonst in einem Zirkel bloßer Wörter (Zeichen) bewegen würde. Man muß die Wörter (Zeichen) mit etwas anderem als solchen verbinden. Das geschieht dadurch, daß die Zuordnung des Bezeichneten zum Zeichen durch unmittelbare Vorweisung des Bezeichneten hergestellt wird, durch eine "hinweisende Definition". Das Vorzuweisende kann nicht nur ein Ding oder ein Vorgang, sondern auch eine Situation sein, z. B. diejenige, in der "ja" oder "hier" oder "aber" zu verwenden ist. Vorweisen kann man aber nur etwas, das unmittelbar vorliegt. Es muß daher immer, wenn nicht etwas Wahrnehmbares, so doch etwas Erlebnisgegebenes sein. Dadurch erhalten die Wörter (Zeichen) einerseits eine  subjektive  Bedeutung, sie bezeichnen einen qualitativen INhalt, andererseits eine  intersubjektive  Bedeutung für die Mitteilung, indem sie nur die Struktur des Erlebnisgegebenen bezeichnen, wie das weiter oben auseinandergesetzt worden ist.

Demnach muß das Erlebnisgegebene die Grundlage für die Bedeutung aller Wörter bilden. Darin liegt einer der Angelpunkte des Empirismus. Die Bedeutungen müssen letztlich auf einer Vorweisung des Bezeichneten beruhen und deshalb müssen sich alle Bedeutungen schließlich auf Erlebnisgegebenes als das allein Aufweisbare zurückführen lassen. Und das heißt, daß alle begrifflichen Bedeutungen lediglich aufgrund von Erlebnisgegebenem konstituiert werden können.

Den groß angelegten Versuch einer solchen Konstituierung der Begriffe hat CARNAP in seinem Buch "Der logische Aufbau der Welt", 1928, unternommen. Sein Konstitutionssystem der Begriffe will aber nur ein Entwurf sein, kein definitives Systems "beispielhaft illustrieren" (Seite 209). Es soll vor allem zur logischen Feststellung der Methode dafür dienen und "die grundsätzliche Möglichkeit eines Einheitssystems aller Wissenschafts-Gegenstände (-Begriffe) zeigen" (Seite 209). Was in der Axiomatik in so glänzender Weise für die  Sätze  einzelner Gebiete durchgeführt worden ist: ihre logische Ableitung und damit Zurückführung auf ihre logischen Grundlagen, das hat CARNAP für die  Begriffe  und zwar für die Hauptbegriffsklassen der ganzen Wissenschaft versucht.

Einen Begriff "konstituieren" heißt eine allgemeine Regel aufstellen, in welcher Weise alle Aussagen, die diesen Begriff enthalten, zu ersetzen sind durch Aussagen mit anderen Begriffen. Darin besteht die "konstitutionale Definition" eines Begriffs. Nicht alle Begriffe sind definierbar, sondern nur die Begriffe höherer Stufe. Die undefinierbaren Grundbegriffe, die ihre Grundlage bilden, sind die nur in Erlebnissen aufweisbaren Bedeutungen. Alle Aussagen über Gegenstände höherer Ordnung müssen sich demnach umformen lassen in Aussagen, die nur mehr die Grundbegriffe und logische, das sind formale Begriffe, enthalten.

Die Konstituierung der Begriffe erfolgt stufenweise, indem aufgrund der Begriffe, die aus den Grundbegriffen zunächst konstituiert sind, weiter Begriffe konstituiert werden und aufgrund dieser wieder weitere usf. Eine derartige Konstitution baut die Begriffe so aufeinander auf, wie sie einander voraussetzen. So wird z. B. "Beschleunigung" definiert mit Hilfe der Begriffe "Geschwindigkeitszunahme" und "Zeit"; und "Geschwindigkeit" wird wieder definiert mit Hilfe der Begriff "Weg" und "Zeit".  Welche  Begriffe nun von anderen, den höheren vorausgesetzt werden, bestimmt CARNAP danach, welche Begriffe erkenntnismäßig primär sind. Die Stufenreihe der so konstituierten Begriffe ist damit nach deren erkenntnismäßigem Verhältnis geordnet. Dazu müssen die Arten der Begriffe auf ihre Zurückführbarkeit untersucht werden und diese ergibt sich aufgrund der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse des betreffenden Gegenstandsgebietes. "Das Konstitutionssystem ist eine rationale Nachkonstruktion des gesamten, in der Erkenntnis vorwiegend intuitiv vollzogenen Aufbaus der Wirklichkeit" (Seite 139). Das Ziel ist also ein logischer Stammbaum der Begriffe aufgrund des Erlebnisgegebenen.

Als erlebnisgegeben kann jeder immer nur das Selbsterlebte zugrundelegen. Denn die Verwertung  fremder  Erlebnisse kann immer nur aufgrund  eigener  Wahrnehmung fremder Äußerungen stattfinden. Die Basis des Konstitutionssystems wird darum durch das "Eigenpsychische" gebildet, das heißt durch solche Gegenstände, welche nur  einem  Subjekt zugehören und zwar als bewußte, nicht auch durch das Unbewußte. CARNAP hat diese Grundlegung als "methodischen Solipsismus" bezeichnet. Das ist in metaphysischem Sinn mißverstanden worden: daß nur  ein  Subjekt und seine Erlebnisse als wirklich angenommen werden, wiewohl er das ausdrücklich (Seite 86) abgelehnt hat. Es besagt aber nichts anderes als die Beschränkung auf das tatsächlich Erlebte als Grundlage. Als "eigenpsychisch", d. h. als "psychisch" und als "meines", zu meinem Ich gehöriges, kann das Erlebte aber gar nicht von vornherein bezeichnet werden. Denn das Ich gehört nicht zum "Ursachverhalt des Gegebenen" und das Ich setzt den Gegensatz des "Du" und anderer "Iche" und das Psychische den Gegensatz des Physischen voraus. Das Erlebnisgegebene, von dem man ausgeht, kann daher erst nach der Konstituierung dieser Begriffe, also erst auf einer höheren Stufe der Konstitution als "eigenpsychisch" bestimmt werden. Erst danach, in welches Gegenstandsgebiet innerhalb dieses Systems es dann fällt, ergibt sich nachträglich diese Charakterisierung. Ursprünglich ist es einfach das tatsächlich Gegebene, weder "mein" noch "psychisch", sondern etwas völlig Neutrales. Alle Begriffe, durch die es bestimmt werden könnte, müssen ja erst daraus konstruiert werden. Beim Aufbau eines Konstitutionssystems der Begriffe muß das, was Grundlage ist und was Verarbeitung ist, klar auseinandergehalten werden.

Was CARNAP als erlebenisgegeben zugrundelegt, sind nicht diskrete qualitative Elemente, Empfindungselemente - wie es der neuere Positivismus (MACH, ZIEHEN) tut. Denn diese Elemente sind erst das Ergebnis weitgetriebener Abstraktion, eines mehrfachen Begriffsaufbaus. Was erlebt wird, sind Totalitäten: Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Strebungen, Stimmung ineinander verwoben als ein einheitliches Ganzes, ein jeweils spezifisches Quale. Das Ursprüngliche ist der kontinuierliche Erlebnisstrom, der sich beständig wandelt. Die "Elementarerlebnisse" sind unzerlegbare Einheiten.

Eine Analyse besteht darin, in einem Komplex Bestandteile aufzusuchen, ihn in Elemente zu zerlegen. Eine eigentliche Analyse des Erlebnisgegebenen in Bestandteile ist nicht möglich, weil es nicht aus realen Bestandteilen zusammengesetzt ist. Zu seiner gedanklichen Bearbeitung schlägt CARNAP einen anderen Weg ein, einen eigentlich synthetischen. Im Erlebnisstrom kann man Stellen unterscheiden und zwischen solchen Stellen lassen sich Beziehungen finden, z. B. daß eine Stelle einer anderen in einer bestimmten Hinsicht ähnlich ist. Alles was über den Erlebnisstrom ausgesagt werden kann, ist, daß eine Stelle darin zu einer anderen in einer bestimmten Beziehung steht. Was CARNAP als "Elementarerlebnisse" bezeichnet, sind nicht qualitative Elemente im psychologischen Sinn, sondern es sind nichts anderes als Beziehungsglieder aus dem Erlebnisstrom, punktuell und eigenschaftslos. Aussagen über die Elementarerlebnisse lassen sich nur hinsichtlich deren  Beziehungen  zueinander machen, nicht aber durch deren  qualitative  Bestimmung, weil dafür die Begriffe erst konstituiert werden müssen. Gesichts- oder Gehörswahrnehmungen sind nicht Bestandteile des Erlebnisstroms, sondern sie werden erst durch Inbeziehungsetzung und Vergleichung daraus ausgesondert. Sie sind nichts ursprünglich Gegebenes, sondern sie werden erst durch eine Ähnlichkeitsbeziehung zu anderen Stellen des Erlebnisstroms herausgehoben, darin unterschieden, so wie innerhalb eines Dreiklangs ein Ton nur durch seine Ähnlichkeit mit Einzeltönen isoliert werden kann. Sie sind ein abstraktes Ergebnis der Begriffsbildung wie die Tonhöhe. In ihnen sind nur Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Stellen des Erlebnisstroms festgestellt. Die Basis des Konstitutionssystems bilden infolgedessen nicht Grundklassen von Elementen, sondern Grundbeziehungen, auf denen die Ordnung der Erlebnisse beruth. Die Grundbeziehungen, nicht Grundelemente, stellen die undefinierten Grundbegriffe dar. Die Grundelemente werden vielmehr aus den Grundbeziehungen als deren Glieder konstituiert.

CARNAP glaubt - er kann es nicht endgültig behaupten, solange das Konstitutionssystem nicht vollständig durchgeführt ist -, daß eine einzige Grundbeziehung zu dessen Aufbau genügt: die Ähnlichkeit zwischen Elementarerlebnissen; und zwar weil Ähnlichkeit dadurch erkannt wird, daß ein gegenwärtiges Elementarerlebnis mit einem früheren, also erinnerten, verglichen wird, ist es die Ähnlichkeits erinnerung,  welche die Grundrelation bildet.

Durch sie werden Verwandtschaftsrelationen zwischen den Elementarerlebnissen festgestellt und aufgrund dieser Beziehungen ergeben sich Ähnlichkeitskreise, die identisch sind mit den Klassen der Qualitäten, welche die Ähnlichkeit zwischen den Stellen untereinander fundieren. Diese Ähnlichkeitskreise ersetzen begrifflich die Bestandteile, die sonst durch Zerlegung gewonnen werden. Sie leisten begrifflich dasselbe, sie fungieren als "Quasi-Bestandteile" und dieses Verfahren als "Quasi-Analyse".

Die "Quasi-Analyse" besteht in der Einordnung eines Elementarerlebnisses in Verwandtschaftszusammenhänge aufgrund der Ähnlichkeitserinnerung, wobei die Einheit des Erlebnisses unzerteilt bleibt. Dadurch werden am Elementarerlebnis "Quasi-Bestandteile" unterscheidbar. Die Beziehung zwischen den Elementarerlebnissen ist entweder die der teilweisen Gleichheit in einer bestimmten Hinsicht oder der bloßen teilweisen Ähnlichkeit. Im ersten Fall schließen sich die Ähnlichkeitskreise gegenseitig aus, im zweiten Fall überdecken sie sich vielfach. Im ersten Fall bilden die Ähnlichkeitskreise selbst Quasi-Bestandteile, im zweiten Fall müssen diese erst aus den Ähnlichkeitskreisen abgeleitet werden, "als die größten Teilklassen, die durch die Überschneidung der Ähnlichkeitskreise nicht zerteilt werden" (Seite 101). Auf diese Weise erhält man Ähnlichkeitsklassen, ferner Relationen zwischen solchen Klassen, weiterhin Klassen von solchen Klassen und Klassen von solchen Relationen und noch höhere Klassen und Relationen dieser Art. So ergeben sich immer engere Übereinstimmungsbereiche und dadurch gelangt man zu immer spezielleren Begriffsbildungen. Alle Quasi-Bestandteile sind so durch Abstraktion gewonnen, alle Bestimmungen sind logische Konstruktion aus der Erlebnistotalität.

Das erste Ergebnis der vergleichenden Quasi-Analyse sind Klassen von Elementarerlebnissen, die einander teilweise ähnlich sind, Ähnlichkeitskreise. Aus ihnen können Teilklassen ausgesondert werden, die "Qualitätsklassen", welche Empfindungs- oder Gefühlsqualitäten repräsentieren. Qualitätsklassen sind einander ähnlich, wenn jedes Element der einen jedem Element der anderen Klasse teilähnlich ist. Wenn es zwischen zwei Qualitätsklassen eine Reihe von Qualitäten gibt, die stets von einer Qualität zu einer ähnlichen fortschreitet, dann gehören die beiden Qualitätsklassen zu demselben Sinnesgebiet (der Gesichts- oder Gehörs- ... oder Wärme ... oder Gefühls-Qualitäten). Die Klasse der so einander ähnlichen Qualitätsklassen ist eine "Sinnesklasse". Innerhalb einer Sinnesklasse wird die Ordnung der Qualitäten in Bezug auf ihre Ähnlichkeit durch ihre Nachbarschaftsbeziehung bestimmt. Diese Beziehung hat eine bestimmte Zahl von Dimensionen, durch die das betreffende Sinnesgebiet rein formal, ohne Zuhilfenahme des qualitativen Inhalts charakterisiert werden kann. Für den Gesichtssinn beträgt sie fünf, weil die Farbe drei Dimensionen (Farbton, Sättigung und Helligkeit) und das Sehfeld seiner Ausdehnung nach zwei Dimensionen aufweist. Als Klassen von Qualitätsklassen eines Sinnesgebietes lassen sich endlich Komponenten der Qualitäten unterscheiden: Qualität im engeren Sinn, Intensität, bei den Hautsinnen Lokalzeichen, Richtungskomponenten der Gefühle ...

Der begriffliche Aufbau geht hier somit nicht wie sonst üblich, in der Psychologie sowohl wie in der Erkenntnistheorie, vom Speziellsten, den Empfindungen aus und steigt von da zum immer Allgemeineren auf, den Qualitäten als Klassen von Empfindungen, von da zu den Sinnesgebieten usw. sondern umgekehrt: zuerst werden die allgemeinsten Klassen von Quasi-Bestandteilen konstituiert und daraus erst die spezielleren gebildet: aus den Klassen der Qualitäten die Klassen der Sinnesgebiete und aus diesen erst die Empfindungen. Eine Empfindung ist ein "geordnetes Paar aus einem Elementar-Erlebnis und einer Qualitätsklasse, zu der das Erlebnis gehört" (Seite 130). So werden die Farben als das Speziellste erst ganz zuletzt konstituiert. Es wird als eine Klasse von Qualitätsklassen des Gesichtssinnes die Sehfeldstelle konstituiert und als eine Klasse von Sehfeldstellen die Nachbarstelle. Daraus wird die Gleichfarbigkeit von Nachbarstellen als eine Beziehung von Qualitätsklassen des Gesichtssinns konstituiert und daraus dann erst die Farben als Klassen von Gleichfarbigkeit. Dieser schwerfällige Umweg ist notwendig, wenn man die logischen Voraussetzungen für die Definierbarkeit klar vor sich haben will. Wenn man den Begriff eines MACHschen Empfindungselementes (z. B. blau) nicht einfach als undefinierbaren Grundbegriff voraussetzen kann, weil er schon ein Abstraktionsprodukt ist, dann braucht man, um ihn definieren zu können, allgemeinere Begriffe (den der Farbe) und für die Definition dieser wieder allgemeinere (den des Sichtbaren), bis man endlich bei einem letzten, allgemeinsten, (dem des Erlebnisstroms) anlangt.

Die zweidimensionale Ordnung der Nachbarstellen ergibt das Sehfeld. Damit ist eine erste räumliche Ordnung, die des Sehfeldes, hergestellt. Aus der Ähnlichkeitserinnerung läßt sich auch ein  Zeit verhältnis für Elementarerlebnisse ableiten, weil das erinnerte Glied als früher gegenüber dem gegenwärtigen charakterisiert ist und daraus läßt sich eine erste vorläufige Zeitordnung aufbauen - vorläufig deshalb, weil sie noch nicht lückenlos ist, sondern erst später durch Schlüsse aus Gesetzmäßigkeiten vervollständigt werden kann.

In dieser Weise werden die Begriffe  eigenpsychischer  Gegenstände konstituiert. Diese konstitutionalen Definitionen werden in vierfacher Darstellung, in vier "Sprachen" gegeben: erstens in logistischer Symbolik um der Präzision willen, zweitens in deren Übersetzung in die Wortsprache, drittens in realistischer Sprache zum inhaltlichen Verständnis als Kennzeichnung bekannter Gegenstände und dadurch zur inhaltlichen Nachprüfung, viertens als Operationsvorschriften für eine fiktive Konstruktion, wodurch die formale Struktur der Gegenstandskonstitutionierung angegeben wird, zur Nachprüfung der formalen Richtigkeit der Konstitution. Die Konstitution der höheren Stufen, die sich über der eigenpsychischen Stufe aufbauen, wird dagegen nur mehr in  einer  Sprache gegeben, in der Wortsprache, weil sie nicht mehr streng durchgeführt, sondern nur skizziert wird.

Die erste dieser höheren Stufen ist die der  Wahrnehmungswelt.  Als deren Grundlage wird nicht erst der subjektive Sehraum, sondern gleich der objektive physische Raum der wahrnehmbaren Dinge und die objektive Zeit konstituiert. Dabei bleibt die spezifische Qualität des Räumlichen und des Zeitlichen außer Spiel; Raum und Zeit werden mit Hilfe von "Weltpunkten" als deren vierdimensionale Ordnung konstituiert. Ein Weltpunkt ist durch seine Koordinaten (drei räumliche und eine zeitliche) als eine viergliedrige Zahlengruppe gegeben. Weltpunkte mit derselben Zeit-Koordinate sind "gleichzeitig". Alle untereinander gleichzeitigen Weltpunkte bilden eine "Raumklasse". Eine "Weltlinie" ist ein stetiger "Kurvenbogen, von dem zu jedem Wert der Zeitkoordinate genau ein Weltpunkt gehört" (Seite 167). Diese Raum-Zeit-Ordnung ist somit nur ein Gefüge von Zahlenbeziehungen (der Koordinaten).

Den Weltpunkten werden Farben (als Gesichtsqualitätsklassen) zugeschrieben und aufgrund dessen die "Sehdinge" definiert als Klassen von Weltpunkten mit konstanten Nachbarschaftsverhältnissen während einer längeren Zeitstrecke, innerhalb eines Bündels von Weltlinien. Ebenso werden den Weltpunkten Qualitätsklassen des Drucksinns, die im Lokalzeichen übereinstimmen, zugeschrieben und daraus ergeben sich die Tastdinge und aus der Kombination beider die zugleich sicht- und tastbaren Dinge.

Das wichtigste Tast-Seh-Ding ist "mein Leib". Der Leib erhält erst durch Zuschreibung von Tastqualitäten neben der von Sehqualitäten (Farbpunkten) eine geschlossene Oberfläche, weil ein großer Teil derselben nur tastbar, nicht sichtbar ist. Erst aufgrund seiner begrifflichen Konstituierung können weitere Spezialisierungen der Sinnesgebiete und aufgrund deren die Dinge der Wahrnehmungswelt voll konstituiert werden. Als Teile des Leibes lassen sich die Sinnesorgane konstitutional kennzeichnen und dadurch wieder die übrigen Sinne (Gehör, Geruch, Geschmack).

Die Qualitäten der übrigen Sinne können ebenso wie die Seh- und Druckqualitäten den Weltpunkten zugeschrieben werden, wodurch die Eigenschaften der wahrnehmbaren Dinge vervollständigt werden. Aber die Qualitäten werden ihnen nicht alle in gleicher Weise zugeschrieben. "Qualitäten gewisser Sinne (z. B. des statischen Sinnes, des kinästhetischen [Wahrnehmung von Bewegung - wp] Sinnes, der Organempfindungen) lassen sich kaum oder überhaupt nicht bestimmten Weltlinien oder Bündelns von solchen, also Sehdingen, zuschreiben. Es besteht jedoch keine scharfe Grenze zwischen zuschreibbaren und nicht-zuschreibbaren Sinnesqualitäten" (Seite 177), im Sinn der alten Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten. Genauso wie der Zucker als süß bezeichnet wird, weil er eine solche Geschmacksempfindung erregt, kann auch eine Melodie "heiter", ein Brief "schmerzlich", eine Tat "empörend" genannt werden, weil dadurch diese Gefühle erregt werden. Nur weil die von denselben Gegenständen ausgelösten Gefühle von Person zu Person graduell stärker variieren als die meisten Sinnesempfindungen und deshalb ihre Zuschreibung an dieselben Gegenstände von Seiten verschiedener Personen zu Widersprüchen führen, werden sie gewöhnlich, aber nicht im kindlichen Denken, nicht in der Lyrik, statt der Außenwelt vielmehr der Innenwelt zugeteilt.

Zur Vervollständigung der Wahrnehmungswelt nimmt CARNAP auch Ergänzungen vor, die von weittragender Bedeutung sind. Er führt nicht-gesehene Farbpunkte und nicht-getastete Tastpunkte neben den gesehenen und getasteten ein, indem er gewissen Punkten seines Zahlenraumes Seh- und Tastqualitäten zuschreibt und er nimmt allgemein eine Zuschreibung von Sinnesqualitäten an solche Punkte eines Raum-Zeit-Gebietes, die solcher Zuschreibungen ermangeln, nach Analogie der korrespondierenden Punkte eines anderen Raum-Zeit-Gebietes vor, mit dem jenes in einem größeren Teilgebiet übereinstimmt. Das heißt in realistischer Sprache: wenn von einem schon früher wahrgenommenen Ding ein räumlicher Teil wieder wahrgenommen wird, der restliche Teil jedoch nicht, dann wird angenommen, daß auch im nicht wahrgenommenen Raumgebiet jener Teil des Dings vorhanden sei, der demselben Teil des früher wahrgenommenen Dinges entspricht - falls nicht andere Schlüsse dem widersprechen; und wenn von einem schon bekannten Vorgang wieder der größere Teil seines zeitlichen Verlaufes wahrgenommen wird, der restliche Teil jedoch nicht, dann wird angenommen - bei mangelnden Gegeninstanzen - daß der Vorgang auch in der nicht-beobachteten Rest-Zeit in analoger Weise abgelaufen ist. Der Sinn dieses Verfahrens ist klar: es werden damit augenblicklich unwahrgenommene Teile von Dingen und Vorgängen, wie Rückseiten, Inneres, Wirkungen, konstituiert. Diese Zuschreibungen nach Analogien dienen zur Durchführung eines Substanz- und eines Kausalitätspostulates oder umgekehrt: "Die beiden Kategorien der Kausalität und der Substantialität bedeuten die Anwendung derselben Analogie-Konstitution auf verschiedene Koordinatenrichtungen" (Seite 180).

Durch Zuschreibung von Sinnesqualitäten zu den Punkten des vierdimensionalen Zahlenraumes wird die Wahrnehmungswelt - ihren Begriffen nach - konstituiert. Durch Ausschaltung der Sinnesqualitäten und durch Zuschreibung von Zahlen als physikalischen Zustandsgrößen ergibt sich die  physikalische  Welt. Durch diese Konstituierung wird ein Gebiet geschaffen, in dem sich mathematisch formulierbare Gesetze aufstellen lassen, vermöge deren aus gegebenen Bestimmungen andere abgeleitet werden können und das völlig intersubjektiv ist, während die Wahrnehmungswelt infolge der Variabilität von Person zu Person nicht widerspruchsfrei ist. Zwischen der physikalischen und der Wahrnehmungswelt besteht aber eine wechselseitige Zuordnung, eine eineindeutige zwischen den physikalischen Weltpunkten und denen der Wahrnehmungswelt, eine einmehrdeutige zwischen den Qualitäten und den Zustandsgrößen, indem den physikalischen Zustandsgrößen an einem Weltpunkt bestimmte Qualitäten entsprechen, einer bestimmten Qualität an einem Weltpunkt hingegen nur eine bestimmte  Klasse  von Zustandsgrößen.

Die nächsthöhere Konstitutionsstufe bildet die des  fremden  Bewußtseins. Innerhalb der Wahrnehmungswelt läßt sich aufgrund der Übereinstimmung mit dem Ding "mein Leib" eine Klasse "andere Menschen" Ihrem Leib nach als physische Dinge konstituieren. Ferner kann einer Klasse von eigenpsychischen Vorgängen eine Klasse von wahrnehmbaren physischen Vorgängen meines Leibes, die häufig gleichzeitig damit auftreten, zugeordnet und damit die "Ausdrucksbeziehung" konstituiert werden. Ferner kann auch der Begriff "zeichengebende Äußerung" aufgrund der Zeichenbeziehung (wenn auch mit Schwierigkeiten) konstituiert werden und damit die Grundlage für das Verstehen von Zeichen als Mitteilungen von Seiten der anderen. Aufgrund dieser Konstitutionen wird der Begriff des Fremdseelischen konstitutional definiert. Es sind eigenpsychische Vorgänge, die an den Leib eines anderen Menschen geknüpft werden. Denn Erlebnisse eines anderen, auch wenn sie von den eigenen weitgehend verschieden sind, können nur aus Quasi-Bestandteilen der eigenen Erlebnisse aufgebaut werden. Denn man kann nur aus dem, was einem selbst bekannt ist, die Ausdrucksvorgänge eines anderen deuten. Und fremdes Seelenleben kann nur durch Vermittlung eines Leibes, durch den es sich äußert, erkannt werden. Diese Zuschreibung wird zu ganzen Erlebnisreihen ergänzt aufgrund der psychologischen Zustands- und Ablaufgesetze, die in den eigenen Erlebnissen hinsichtlich des gleichen Vorkommens und der Aufeinanderfolge von Erlebnisbestandteilen aufgefunden worden sind. Auch bei der Konstitution des fremden Seelenlebens "wird die eigenpsychische Basis nicht verlassen" (Seite 194).

Aus den Erlebnissen eines Mitmenschen kann in genau derselben Weise wie bisher aus den  eigenen  Erlebnissen: mit Hilfe einer Grundbeziehung zwischen den fremden Erlebnissen "Ähnlichkeitserinnerung (des Mitmenschen)" und mit denselben Konstitutionsformen und -schritten, ein neues Konstitutionssystem aufgebaut werden, die Welt des Mitmenschen. Dieses Konstitutionssystem ist aber nur ein  Teil system des eigenen Konstitutionssystems, das dieses in einer gewissen Analogie widerspiegelt. Das ist deshalb möglich, weil beide unvollendbare Systeme sind. Darum kann für jeden Gegenstand des einen Systems im anderen ein entsprechender Gegenstand konstituiert werden, "wenn dieses System genügend weit ausgebaut wird" (Seite 198). Es ist das eine genaue Darstellung dessen, wie sich das Denken einer objektiven Außenwelt mit den Innenwelten der Mitmenschen in einem einzelnen Bewußtsein begrifflich aufbaut.

Zwischen dem Gesamtsystem und dem mitmenschlichen Teilsystem darin, das heißt zwischen meiner Welt und der eines Mitmenschen, besteht eine sehr weitgehende, aber doch keine vollständige Analogie. Den  ursprünglich  konstituierten Begriffen des Eigenpsychischen, der Wahrnehmungsdinge, der physikalischen Raum-Zeit-Welt, des Fremdseelischen, entsprechen generell auch solche im  neuen  Konstitutionssystem. Aber im Einzelnen fallen sie verschieden aus. Das physische Ding "mein Leib" im Konstitutionssystem eines bestimmten  Mitmenschen  als von diesem erlebtes ist durchaus nicht dasselbe wie das Ding "Leib des Mitmenschen NN" im  gesamten  Konstitutionssystem. Auch andere "gemeinsame", d. h. einander entsprechende Dinge in beiden Konstitutionssystemen weichen teilweise voneinander ab, weil sie zum Leib des Mitmenschen in anderen Beziehungen stehen als zu meinem Leib. Aber zwischen der physikalischen Welt im Gesamtsystem und den physikalischen Welten in jedem mitmenschlichen Teilsystem läßt sich eine eineindeutige Zuordnung herstellen: Zwischen den einander zugeordneten Weltpunkten bestehen dieselben raumzeitlichen Beziehungen und mittelbar infolge der Zuschreibung auch dieselben qualitativen Beziehungen. Damit ist eine  intersubjektive  Zuordnung gegeben. Die Klasse einander intersubjektiv zugeordneter Gegenstände kann als "derselbe" Gegenstand, wie er von mir und wie er von anderen erlebt und erkannt wird, definiert werden. Die Intersubjektivität betrifft zunächst nur die verschiedenen physikalischen Welten. Sie läßt sich aber darüber hinaus auch für das Seelische herstellen. Das Fremdseelische, das im Gesamtsystem dem Leib eines bestimmten Mitmenschen zugeschrieben wird, entspricht dem Fremdseelischen, das in den Teilsystemen den analogen Leibern zugeschrieben wird.

Durch Ergänzung leerer Stellen in den verschiedenen Konstitutionssystemen aufgrund von Zuschreibungen in anderen wird eine durchgängige, eine allgemeine eineindeutige, eine intersubjektive Zuordnung zwischen den Konstitutionssystemen ermöglicht, es wird damit eine intersubjektive Welt konstituiert. Eigenschaften der intersubjektiven Gegenstände, die in allen Konstitutionssystemen übereinstimmen und Aussagen darüber sind deshalb intersubjektiv übertragbar, Eigenschaften dagegen, die nur in einzelnen Konstitutionssystemen vorkommen und Aussagen darüber sind subjektiv.

Die nächsthöhere Konstitutionsstufe, die letzte, stellen die Begriffe des  Geistigen  oder der kulturellen Gegenstände dar. Hier beschränkt sich CARNAP nur mehr darauf, die  Möglichkeit  ihrer Konstitution an Beispielen zu zeigen, ohne die genaue Form ihrer Konstitution darzulegen. Die geistigen Gegenstände werden aufgrund der psychischen konstituiert. Das ist kein Psychologismus, weil die Gegenstände einer höheren logischen Stufe eine neue Gegenstandssphäre bilden. Primäre geistige Gegenstände sind diejenigen, die nicht schon geistige Gegenstände zu ihrer Konstituierung voraussetzen. Sie werden "aufgrund derjenigen psychischen Vorgänge, in denen sie in Erscheinung treten", aufgrund ihrer "Manifestationen", konstituiert, wie z. B. der Gruß durch Hutabnehmen. Aufgrund der primären sind die höheren, die übrigen geistigen Gegenstände, die der Gesellschaft, der Wirtschaft, des Rechts usw., zu konstituieren. Die Werte werden dagegen nicht aufgrund der geistigen Gegenstände oder des Fremdseelischen konstituiert, sondern aus eigenen psychischen Werterlebnissen, ähnlich wie die physischen Dinge aus Wahrnehmungserlebnissen. Solche Werterlebnisse sind die der Pflicht, der Verantwortung, des Gewissens, des Gefühls und anderem. So wenig wie bei den Dingen wird damit auch bei den Werten ein Psychologismus begangen.
LITERATUR: Victor Kraft, Der Wiener Kreis - Der Ursprung des Neopositivismus (Ein Kapitel aus der jüngsten Philosophiegeschichte), Wien 1950