p-4HazayLanzHönigswaldHillebrand    
 
HANS PICHLER
Über die Erkennbarkeit
der Gegenstände

[2/2]

"Das jeweilige Interesse an einer Klasse oder einem Individuum, eine Indifferenz gegen weitergehende Determination, läßt eine bestehende Unbestimmtheit mehr oder weniger ins Gewicht fallen. Wenn das Interesse auf eine bestimmte Klasse nicht auf ein bestimmtes Individuum gerichtet ist, erscheint die gewünschte Eindeutigkeit durch die Eindeutigkeit der Klassenbestimmung erreicht."

"Wo die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse der Gegenstand des Interesses ist, erscheint jede weitere Determination als nicht zur Sache gehörig. Die Nachteile der Unbestimmtheit hinsichtlich des Individuums sind keine Nachteile, sondern Vorteile, wo das Interesse auf das Überhaupt und nicht auf das Wie geht."


II. THEORETISCHES
Kenntnis und Erkenntnis

Was man so erkennen heißt? Der Sprachgebrauch, auch der fachliche, differenziert oft kaum Kenntnis und Erkenntnis. Es dürfte sich wohl lohnen, nicht jede Kenntnis als Erkenntnis zu bezeichnen, sondern nur die erschlossene. Ihr ist gegenüberzustellen die empirisch gegebene und die formuliert vorgegebene Kenntnis. Erkenntnis ist dann alles Wissen, das auf einem "Erkenntnisgrund" beruth.

Es ist ein Vorurteil, daß die deduktive Erkenntnis, und sie allein ist Erkenntnis, keine neue Kenntnis gewährt. Enthält die Induktion Erkenntnis, dann auch Deduktion. Induktion und Deduktion können nicht als verschiedenwertig gegeneinander ausgespielt werden. Die Leistung der Induktion liegt nur darin, für die Deduktion Prämissen zu liefern.

Das Schließen aus ad hoc [zu diesem Zweck - wp] vorgegebenen Prämissen vollzieht sich allerdings schematisch, und würden durchgehends die Prämissen dem Schließen so vorgegeben, daß die conclusio nur formelhaft anzuschließen wäre, es gäbe kein langweiligeres Geschäft als das Erkennen.

Die eigentlich schöpferische und geistreiche Arbeit ist das Aufsuchen entsprechender Prämissen, das Entdecken der beziehungsreichen Seiten des besonderen Falles. Schöpferisch ist unter Umständen die erkennende Konstruktion des besonderen Falles selbst.

Wer die logischen Axiomgesetze kennt oder die Axiomgesetze der Geometrie, ist noch kein Kenner der Logik oder der Geometrie.

Vorgegeben sind der Erkenntnis die formalen logischen Gesetze gemäß denen, und materiale Sätze, aus denen erkannt wird. Die logischen Gesetze bestimmen, wie aus den materialen Sätzen geschlossen werden kann, d. h. was durch konkrete Subsumtionen bedingt ist. Sie bestimmen die Form der Schlüssigkeit.

Die logischen Axiomgesetze können selbst als Prämissen der Erkenntnis dienen. Die theoretische Logik entwickelt aus ihnen spezifische logische Gesetze.

Die logischen Gesetze können aber auch in jedem materialen Schluß als propositio maior [Obersatz - wp] dienen. Indem sie eine Folge an eine Bedingung knüpfen, erscheint jeder entsprechende materiale Schluß oder vielmehr seine Prämissen als deren Erfüllung, wobei die Konsequenz der Erfüllung in der conclusio gemäß dem logischen Gesetz gezogen wird.

Ist die Kenntnis der logischen Gesetze vorgegeben, die Schlüssigkeit methodisch erforscht, auf einen allgemeinsten Ausdruck gebracht, so können sie der Erkenntnis dienen, analog wie ein materiales Gesetz, wie alle solchen besonderen Fälle, die sie erfüllen, präjudizieren, präjudizieren die logischen Gesetze alle besonderen Fälle der Schlüssigkeit. Sie lassen erkennen, ob eine Klasse von Schlüssen, ob ein konkreter Schluß richtig ist.

Wie aber andererseits, wenn ein Tatbestand bekannt ist, man ihn nicht mehr zu erkennen genötigt ist, so muß auch die Schlüssigkeit eines Schlusses nicht stets - bzw. überhaupt nicht - erkannt werden; um einen Schluß aus vorgegebenen Subsumtionen zu ziehen, bedarf es nicht von Fall zu Fall der Unterordnung unter das logische Gesetz, in der Praxis dienen die logischen Gesetze nicht als Prämissen oder Formeln. Sie sind die Formen der Schlüsse.

Die logischen Gesetze knüpfen zutreffend an allgemeine Bedingungen allgemeine Folgen. Das Auseinanderreißen von formaler Wahrheit und materialer Wahrheit in einzelnen Fällen ist nicht berechtigt. Höchstens ließen sie sich vollkommen trennen, derart, daß man formal wahr nur die Formalerkenntnisse der theoretischen Logik nennt, da sie keinen bestimmten Inhalt haben, und material wahr nur die aus inhaltlichen Schlüssen gewonnene Erkenntnis.

Eine inhaltliche conclusio, die nur formal wahr wäre, ist ein Unding.

Die logischen Gesetze sind inhaltsleer nur in dem Sinne, daß sie von allen Gegenständen überhaupt gelten, also sich nicht besonders auf diese oder jene Gegenstände beziehen. Durch inhaltlich unwahre Sätze werden sie gar nicht erfüllt, das Subsumieren von A unter B und B unter C bedingt das Subsumieren von A unter C. Wenn ein Satz nun fälschlich eine bestimmte Subsumtion behauptet, so besteht die erfüllende Subsumtion gar nicht, der aus der unwahren Prämisse gezogene Schluß ist nicht etwa formal wahr, aber material unwahr, er ist überhaupt und schlechterdings unwahr, formal wie material, denn das logische Gesetz wird "in Wahrheit" gar nicht erfüllt.

Schlüsse aus unwahren Prämissen sind formal richtig gezogen, aber nicht formal wahr, bzw. sie sind hypothetisch wahr. (1)

Der konstitutive Charakter der Erkenntnis liegt nicht darin, daß richtig geschlossen, sondern daß Wahres erschlossen wird.

Wahr ist eine Erkenntnis, wenn sie wirklich Kenntnis von ihrem Gegenstand gibt, wenn sie mit ihrem Gegenstand "übereinstimmt".

Die kantische Definition, daß die Erkenntnis mit ihrem Gegenstand übereinstimmen soll, hat das Wie dieser Übereinstimmung zum Grundproblem werden lassen. Ein Problem ergibt sich erst bei allzu wörtlicher Auslegung der Übereinstimmung, als sei sie eine Abbildung. Selbst dies hat noch einen gewissen Sinn, insofern das Schema des Begriffs als Abbild gelten kann, nur daß damit die Bedeutung und Leistungsfähigkeit der illustrierenden Anschauungen übertrieben wird. "Übereistimmung" ist kein Terminus, der unbedingt festzuhalten ist. Festzuhalten ist nur das in ihm Subintelligierte [Unterstellte - wp], daß für die Wahrheit einer Aussage über Gegenstände das Sosein der Gegenstände, bzw. das Dasein und Sosein der Gegenstände konstitutiv ist. Wohl nicht mit Unrecht wird das Bedingtsein der Wahrheit eines Urteils, insofern es sich unmittelbar auf die Erfahrung oder Anschauung gründet, als eine Spezifikation des Begründetseins überhaupt bezeichnet. Doch dürfte diese Art des Gründens nicht eine Besonderung der ratio cognoscendi [Grund der Erkenntnis - wp] genannt werden.

Nach einer feinen Bemerkung der "Kritik der reinen Vernunft" finden wir,
    "daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von der Notwendigkeit bei sich führt, da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt sind." (2)
Für die daseienden Gegenstände, auf die sich die Bemerkung KANTs bezieht, ist es charakteristisch, daß sie Gegenstände der Erfahrung sind, d. h. dawider sind, daß sich unsere Wahrnehmungen aufs Geratewohl und beliebig vollziehen. Für alle Gegenstände überhaupt ist es charakteristisch, daß sie dawider sind, daß unser Denken sich aufs Geratewohl und beliebig vollzieht, d. h. die Gegenstände sind nach ihrem Sosein, bzw. nach ihrem Dasein und Sosein für dasjenige Denken, das "gegenständlich" sein will, Gegen-stände.

Das Wahrheitsproblem liegt nicht sosehr in der vielberufenen Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, sondern in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Diese Seite des Wahrheitsproblems ist weniger beachtet worden, obgleich KANT ausdrücklich auf sie hingewiesen hat. Es handelt sich darum
    "bestimmen zu können, ob eine Erkenntnis gerade mit demjenigen Objekt, worauf es bezogen wird, und nicht mit irgendeinem Objekt überhaupt - womit eigentlich gar nichts gesagt wäre - übereinstimmt." (3)
Es ist allerdings ungereimt, ein
    "allgemeines Kriterium der Wahrheit zu fordern, das von allem Unterschied der Objekte zugleich abstrahieren und auch nicht abstrahieren soll",
aber die Aufgabe einer spezifizierenden Theorie der Wahrheit ist nicht ungereimt.

Liegen doch schon in der fundamentalen Differenzierung der Erkenntnis als erfahrungsgemäßer und andererseits als rein "gegenstandstheoretischer", wobei gegenstandstheoretisch hier die Methode des Absehens von der Frage nach Dasein und Nichtdasein bedeutet, beträchtliche Schwierigkeiten, von einer weitergehenden Differenzierung der Wahrheit nicht zu reden, die erst in einer spezifizierenden Theorie der Gegenständlichkeit erfaßt wird.

Die Kompliziertheit des Wahrheitsproblems ist eine Schwierigkeit der Erkenntnistheorie, nicht der Erkenntnispraxis, die sich ihres Gegenstandes von Fall zu Fall bewußt ist und in der Kenntnis von ihm das Kriterium der Erkenntnis über ihn findet.

So wird auch im Folgenden von der Vielgestaltigkeit des Wahrheitsproblems abgesehen - wo Prämissen zutreffend Kenntnis geben, gibt die conclusio Erkenntnis.

Wenn von Gegenständen keinerlei Kenntnis vorgegeben ist, dann sind sie auch der Erkenntnis verschlossen.

Daß es unendlich viele Primzahlen gibt, dies ist nicht der empirischen Kenntnis, wohl aber der Erkenntnis zugänglich, daß die nächste Sonnenfinsternis dann und dann stattfindet, dies ist hic et non [hier und jetzt - wp] der Erkenntnis, nicht aber der Kenntnis zugänglich. Aber die Voraussetzungen, auf denen diese Erkenntnisse beruhen, sind eine vorgegebene Kenntnis.

Wo das Erkennen auf Gegenstände gehen soll, die der freibestimmenden Kenntnisnahme entzogen sind, ohne gleichwohl Gegenstände überhaupt zugänglicher Erfahrung zu sein, also bei Richtung auf supponiert transzendentale Gegenstände ist mangels entsprechender Kenntnis inhaltliche Erkenntnis nicht möglich.

So gibt es auch für Werturteile, wenn sie absolute Werte bestimmen sollen, kein Kriterium, es wurde zumindest noch nicht angegeben, ihr Wahrheitsanspruch, ihr Anspruch Kenntnis vorzugeben, ist ein unkontrollierbarer. Das Wissen von Gut und Böse wächst nicht auf dem Baum der Erkenntnis. Doch selbst wenn in Wertfragen keine völlige Unorientiertheit besteht - die subjektive Werthaltung und die communis opinio [allgemeine Meinung - wp] gibt keine zuverlässige Kenntnis - bleibt es doch exzentrisch, zum "Gegenstand der Erkenntnis" gerade das der Kenntnis zuverlässig nicht Zugängliche zu machen.

Damit Gegenstände erkennbar sind, muß eine Kenntnis von ihnen vorgegeben sein, aber was auch immer von einem Gegenstand vorgegeben ist, es lassen sich stets Erkenntnisse daran anschließen. Vollends der negativen Erkenntnisse ist kein Ende. Die Erkenntnis hängt von dem ab, was vorgegeben ist, die Erkennbarkeit der Gegenstände abzuschätzen kann nur die Möglichkeit der Vorgabe von Gegenständen abschätzen heißen.

Es ist nicht schwer zu erkennen, daß es auf dem Mond keine Menschen gibt, wenn vorgegeben wäre, daß der Satz, auf dem Mond gibt es Menschen, falsch ist. Einerseits kann man behaupten, daß es nicht nur für eine absolute Intelligenz, sondern auch für die mäßigste nichts Unerkennbares gibt, es müssen nur entsprechende Kenntnisse vorgegeben sein. Andererseits liegt in der Art der möglichen Vorgabe überhaupt eine bestimmte Differenzierung.

Erkenntnisse können in synthetischen Sätzen zum Ausdruck kommen und gleichwohl recht nichtssagend sein. Der Satz, auf dem Mond gibt es keine Menschen, ist in sich snthetisch, wie er aber, wie oben aus der Negation seiner Affirmation erschlossen wurde, so und ähnlich läßt sich in allen anderen Fällen eine in sich synthetische conclusio mit zutreffender Erkenntnis, wenn nur eine entsprechende Vorgabe besteht, erschließen, bei entsprechender vorgegebener Kenntnis ist über jeden Gegenstand jedes zu erkennen.

Sieht man von den sogenannten unmittelbaren Schlüssen durch Konversion, Kontraposition etc. ab, um nur die syllogistische Erkenntnis zu beachten, so scheint eine gewisse Spezialisierung der Frage nach dem Bereich der Erkenntnis gegeben. Die Logik lehrt, damit eine assertorische [behauptende - wp] Erkenntnis möglich ist, muß der Obersatz eines Schlusses ausnahmslos sein. Wenn nur ein Subsumieren einiger A unter B vorgegeben ist, kann zuverlässig das Subsumieren eines als ein A bestimmten Gegenstandes unter B nicht erschlossen werden.

Damit ist aber nicht gesagt, daß die inhaltliche Erkenntnis an das Bestehen allgemeiner Gesetze gebunden ist, denn die Klasse A kann ja auch eine individuelle sein, auch dann wäre die Subsumtion von A unter B "universell" und wenn vorgegeben, kann von dem als A bestimmten Gegenstand das B-sein erkannt werden.

Es sind der Erkenntnis über einen Gegenstand keine Schranken gezogen, wenn der Kenntnis über ihn keine Schranken gesetzt sind. (Das Kind von XY ist so alt etc. S ist das Kind von XY, ergo ...)

Nun läßt sich unterscheiden, ob die Vorgabe über einen bestimmten Gegenstand ihn präjudiziert als eine ursprünglich besonders von ihm gemachte Kenntnisnahme oder nicht. Wenn die Vorgabe über einen Gegenstand auf einer besonderen Kenntnis von ihm beruth, so ist allerdings alles, was von ihm vorgegeben ist, von ihm erkennbar, aber eine solche Erkenntnis wiederholt nur, was von ihm schon zur Kenntnis genommen wurde.

Einer derartigen cognitio ex datis, d. h. einer Erkenntnis aufgrund einer vom Gegenstand schon gemachten Kenntnis steht die cognitio ex principiis gegenüber, die Erkenntnis aus Gesetzen.

Das Charakteristische eines Gesetzes, es sei generell oder universell, ist, daß es eine Erkenntnis über einen Gegenstand ermöglicht, von dem es nicht zur Kenntnis genommen wurde. Individuen einer Klasse von geringem Umfang werden wohl immer neben den konstitutiven Klassenmerkmalen in vielen weiteren übereinstimmen, aber um solche universelle Übereinstimmungen behaupten zu können, muß man sie empirisch universell konstatiert haben, es sei denn, daß die Übereinstimmung eine gesetzliche ist. Für eine gesetzliche Verknüpfung ist es charakteristisch, daß sie nicht bloß von einer empirischen Allgemeinheit ist, daß sie nicht von jedem Individuum der Klasse besonders zur Kenntnis genommen werden muß, um der Erkenntnis zu dienen (4).

Man mag eine Theorie der Induktion auf die Voraussetzung bauen, daß alle Naturgesetze in generellen Übereinstimmungen gründen. Ohne eine solche Hypothese dient eine mehr als empirische Allgemeinheit zur Bestimmung eines die generellen wie die universellen Gesetze umfassenden Gesetzesbegriffs. (Generelle Gesetze sind unabhängig vom Quantum der Erfahrung einzusehen, bloß universelle Gesetze können unabhängig vom Quantum der Erfahrung zur Erkenntnis ausgenützt werden.)

Daß in terminis die bloß universelle Gesetzmäßigkeit wie die generelle behandelt wird, dies mag bei einer Vermutung des Zusammenhangs toleriert werden. Ohne eine solche aber ist es unzulässig, das bloß universell Gesetzmäßige als ein Notwendiges zu bezeichnen und wollte man die Notwendigkeit als logische in der Präjudiz durch die einmal vorgegebenen Gesetze finden, so wäre diese Notwendigkeit nicht nur eine äußerliche, sondern eine auf Gesetzmäßigkeiten nicht beschränkte, denn präjudizieren läßt sich jedes beliebige Faktum.

Das bloß universell Gesetzmäßige ist, wenn Zufall der Gegensatz von Notwendigkeit ist, zufällig wie das Gesetzlose, und das universelle Gesetz ist erst recht zufällig.

Nun ist Zufälligkeit aber im gebräuchlichen Sinn kein Gegensatz von Notwendigkeit, genereller Bedingtheit, sondern von Gesetzmäßigkeit (5) und in diesem weiteren Sinn kann der Terminus Zufälligkeit umso eher verwendet werden, als ja auch die anscheinend bloß universellen Gesetze der Ausdruck von verborgenen Notwendigkeiten sein kann.

Bloß universelle Gesetze können, wenn überhaupt, nur in der Natur vorkommen. Es gehört zwar eine sehr äußerliche Naturauffassung dazu, anzunehmen, daß die Natur Gesetze "befolgt", die nicht im Wesen der Dinge liegen.

Rein gegenstandstheoretisch hat es keinen Sinn Gesetze als bloß universelle zu bezeichnen. Wo Gesetze nicht als generelle eingesehen werden, kann die Allgemeinheit einer Prädikation nur durch Definition ausgedrückt werden, daß alle x unter y subsumieren, kann nur behauptet werden, wenn x durch y definiert wird, denn wenn die Subsumtion der x unter y bloß universell wäre, kann es auch x geben, die nicht unter y subsumieren. Wird man ja auch - dies ist aber nur eine Analogie - nur dann sagen, daß jeder Pegasus isabellfarben ist, wenn diese Farbe zur konstitutiven Vorstellung gehört.

Die Erkenntnis aus Gesetzen ist im eigentlichen Sinn eine Erkenntnis des der Kenntnis nicht Gegebenen. Nun ist die Frage, unter welchen Bedingungen ein Minimum an Kenntnis ein Maximum an Erkenntnis ermöglicht.


Die Bestimmtheit der Gegenstände

Es soll zunächst nur die begriffliche Bestimmung eines Gegenstandes in einer Klasse sein, nicht die Bestimmung einer Klasse selbst ("alle Menschen") ins Auge gefaßt.

Die Bestimmung eines Gegenstandes ist allgemein, wenn ihr eine Mehrheit von Gegenständen entspricht. Man kann auch umgekehrt sagen, wenn eine Bestimmung allgemein ist, entspricht ihr eine Mehrheit von Gegenständen, aber die Entscheidung darüber, ob eine Bestimmung in diesem Sinne allgemein ist, liegt in den Gegenständen.

Wenn von einem Gegenstand bestimmt ist, daß er eine Farbe ist, so ist damit nicht bestimmt, welche Farbe er ist. Mangel an Eindeutigkeit ist Unbestimmtheit durch Allgemeinheit. Der Gegenstand, von dem bestimmt ist, daß er eine Farbe ist, kann ein Rot - und es gibt unendlich viele Rot - er kann ein Blau - und es gibt unendlich viele Blau - er kann ein Gelb sein etc. Da nun unbestimmt gelassen ist, welche Farbe er ist, können von ihm nur solche Merkmale ausgesagt werden, die allen Individuen dieser Klasse gemein sind, und diese kommen ihm gewiß zu. Die Unbestimmtheit, die durch allgemeine Bestimmungen gesetzt wird, ist nicht eine Unbestimmtheit des Gegenstandes ansich, sondern eine Unbestimmtheit für uns, es ist eine Mißkennung der Sachlage, den Gegenstand, von dem aufgrund einer allgemeinen Bestimmung nur ausgesagt werden kann, was allen Individuen der Klasse zukommt, als einen ansich unbestimmten, allgemeinen Gegenstand zu bezeichnen. Ein Dreieck, das nicht spitz-, stumpf- oder rechtwinklig ist, gibt es nicht.

Die Unbestimmtheit eines Gegenstandes durch eine allgemeine Bestimmung fällt natürlich nur dort ins Gewicht, wo der zu bestimmende Gegenstand in irgendeiner Weise der willkürlichen Determination entzogen ist. Wo die Determination einer Bestimmung der Willkür freigestellt ist, erscheint die Unbestimmtheit belanglos. Wenn von einem Gegenstand bestimmt ist, daß er eine beliebige Zahl ist, wird man nicht sagen, wir wissen zwar, daß er eine Zahl ist, wissen aber nicht welche. Wer sich hingegen auf die Hausnummer des XY besinnt, dem genügt es nicht zu wissen, daß sie eine Zahl ist.

Je größer der Umfang der Gegenstände ist, die einer Bestimmung genügen, umso größer ist die Möglichkeit des So oder Soseins. Jede wirkliche Determination schränkt die Unbestimmtheit ein, die Allgemeinheit einer Bestimmung liegt zwischen der vollständigen Bestimmtheit, die den Gegenstand volldeutig bestimmen würde, und der vollständigen Unbestimmtheit. Dann geht sie nicht einmal auf die Klasse aller Gegenstände überhaupt. Dasjenige, das noch das Etwas: das unbestimmt Bestimmte, und das Nichts: das bestimmt Unbestimmte befaßt, ist das unbestimmt Unbestimmte.

Von der Größe der Unbestimmtheit kann man, wenn der Umfang endlich viele Individuen enthält, als von einer numerisch bestimmten Wahrscheinlichkeit des Dieser oder Jener seins sprechen. Wenn die Klasse unendlich viele Individuen enthält, wird die Größe der Unbestimmtheit durch eine Wegnahme oder Zufügung von Individuen nicht vermindert oder vermehrt. Wissen wir nun von einem Gegenstand, daß er ein Kreis ist, so wissen wir unvergleichlich mehr, als wenn wir bloß wissen, daß er etwas, d. h. ein Gegenstand überhaupt ist. Trotzdem ist der Umfang der Kreise unendlich, wie der Umfang der Etwas.

Es gibt dies aber nicht, wie es den Anschein haben mag, einen Einwand gegen die umfangslogische Auffassung der Unbestimmtheit ab (6). Es ist ja nicht die Bestimmung: ein Kreis, deshalb weil sie vollkommen unbestimmt ist hinsichtlich eines besonderen Kreises, überhaupt vollkommen unbestimmt, sie ist vielmehr bestimmt hinsichtlich der Klasse. Für die Zugehörigkeit zu einer Klasse gibt es wieder eine Größe der Unbestimmtheit, die im Umfang der untergeordneten Klassen als Elementen einer übergeordneten Klasse liegt.

Wenn von einem Gegenstand bestimmt ist, daß er ein Kegelschnitt ist, so ist diese Bestimmung viermal unbestimmter als die Bestimmung, er sei ein Kreis, denn er kann auch der Klasse der Ellipsen, der Parabeln, der Hyperbeln angehören.

Wie es eine eindeutige, mehrdeutige, unendlich vieldeutige Bestimmung eines Individuums gibt, so auch eine eindeutige, mehrdeutige, unendlich vieldeutige Bestimmung einer Klasse, sie ist als solche ja auch ein Gegenstand. Wo nicht, wie bei den Kegelnschnitten eine bestimmte Partition einer Klasse besteht, läßt sich die Größe der Bestimmtheit hinsichtlich einer untergeordneten Klasse nicht numerisch ausdrücken. Die Bestimmung: ein Kreis ist unendlich vieldeutig hinsichtlich eines besonderen Kreises, ist aber eindeutig daraufhin, daß er der Klasse Kreis angehört. Die Bestimmung: Etwas ist unendlich vieldeutig gegen die Klasse "Kreis".

Das jeweilige Interesse an einer Klasse oder einem Individuum, eine Indifferenz gegen weitergehende Determination, läßt eine bestehende Unbestimmtheit mehr oder weniger ins Gewicht fallen. Wenn das Interesse auf eine bestimmte Klasse nicht auf ein bestimmtes Individuum gerichtet ist, erscheint die gewünschte Eindeutigkeit durch die Eindeutigkeit der Klassenbestimmung erreicht. Dem zum Tode verurteilten Verbrecher dünkt der Spruch gewiß nicht unendlich vieldeutig, was er doch nach der Individuation seiner Hinrichtung ist. Dem zum Tode verurteilten Offizier erscheint der Spruch vielleicht nur hinsichtlich der Klassen der Justifikation mehrdeutig.

Wo die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse der Gegenstand des Interesses ist, erscheint jede weitere Determination als nicht zur Sache gehörig. Die Nachteile der Unbestimmtheit hinsichtlich des Individuums sind keine Nachteile, sondern Vorteile, wo das Interesse auf das Überhaupt und nicht auf das Wie geht.

Der Mangel an Eindeutigkeit, sei es hinsichtlich einer Klasse oder eines Individuums, ist aber nicht die einzige Unbestimmtheit, die in einer Bestimmung liegen kann, auch wenn Eindeutigkeit hinsichtlich eines Individuums besteht, ist die Bestimmung doch unendlich vieldeutig.

Die Bestimmung: Das Kind von XY ist eindeutig, wenn XY nur ein Kind hat. Und doch ist durch diese Bestimmung offen gelassen, ob es ein Bub oder ein Mädel ist etc. Sie bestimmt ihren Gegenstand eindeutig, denn es gibt nur einen, der ihr genügt, man kann hingehen und Kenntnis davon nehmen, wenn man nicht weiß, ob es ein Bub oder ein Mädel ist, man kann dies aber nicht aufgrund der vorgegebenen Bestimmung wissen.

Also auch eindeutige Bestimmungen sind unbestimmt, es mangelt ihnen die: Volldeutigkeit. Eindeutige aber nicht volldeutige Bestimmungen sind unendlich vieldeutig hinsichtlich der übrigen Bestimmtheiten ihres Gegenstandes, sie sind, wenn auch weniger allgemein, so doch allgemein.

Auch von den übrigen Bestimmtheiten eines eindeutig bestimmten Gegenstandes können einzelne wieder hinsichtlich der Klasse oder als Individuen eindeutig bestimmt werden. Der Einwand liegt nahe, zu sagen, daß z. B. das Alter des Kindes von XY schon durch eben diese Bestimmung eindeutig bestimmt ist, denn es ist "sein" Alter. Aber ebensogut könnte man dann von jedem Gegenstand, auch wenn nichts von ihm vorgegeben ist, sagen, er sei volldeutig bestimmt, denn er ist, der er ist, und hat seine Eigenschaften. Es handelt sich um eine Bestimmtheit für uns und mit leerer Eindeutigkeit ist nicht gedient.

Bestimmungen können eindeutig sein, aber niemals unmittelbar volldeutig. Ist keine weitere Kenntnis von einem eindeutig bestimmten Gegenstand vorgegeben, so ist eine weitere Kenntnisnahme des Gegenstandes nur empirisch möglich. Man braucht nicht hinzuzusetzen, daß dies nur von empirischen Gegenständen gilt, denn sind nicht empirische Gegenstände eindeutig bestimmt, so ist stets von ihnen Weiteres vorgegeben.

Ist durch irgendein Merkmal Eindeutigkeit hinsichtlich eines Gegenstandes gegeben, so kann der Mangel an Volldeutigkeit, die ihn vollständig bestimmen würde, mehr oder weniger ins Gewicht fallen, wie schon Eindeutigkeit hinsichtlich eines Individuums irrelevant sein kann, wenn nur Eindeutigkeit hinsichtlich der Klassen besteht.

Eine daktyloskopische [Fingerabdruckverfahren - wp] Vergleichung läßt einen vorbestraften Verbrecher eindeutig bestimmen, die Identität kann festgestellt sein, bevor man des Täters habhaft geworden ist. Um seiner habhaft zu werden, gibt es vielleicht wieder andere eindeutige Indizien für das Wo seines Aufenthalts etc.

Auch ein Eigennamen oder ein hinweisendes: dies da ist nur eindeutig, nicht volldeutig, wenn auch die Hindeutung die empirische Kenntnisnahme provoziert. Wer den durch einen Eigennamen kenntlich gemachten Gegenstand nicht kennt, für den ist der Eigennamen nur das Kennzeichen einer individuellen Klasse, wie für den Blinden "Farbe" Kennzeichen einer Klasse ist, nur daß es diesem an der Möglichkeit überhaupt fehlt, empirisch Kenntnis zu nehmen.

Die Bestimmung einer Klasse ist, wenn auch eindeutig, gleichfalls immer allgemein. Unbestimmt gelassen wird durch eine eindeutige Klassenbestimmung, was für Individuen die Klasse enthält. Wie ein eindeutig bestimmtes Individuum hinsichtlich seiner weiteren Merkmale unbestimmt, also nicht volldeutig bestimmt ist, kann man die Unbestimmtheit einer Klasse hinsichtlich der Individuation ihrer Individuen Mangel an Volldeutigkeit bei Eindeutigkeit nennen.

Jede Bestimmung ist in etwas eindeutig, und es ist ein analytischer Satz, daß sie soweit sie allgemein ist und das Besondere nicht bestimmt. Das Mißliche ist nur, daß von gewissen Ausnahmen abgesehen, es unmöglich ist etwas auch nur mittelbar volldeutig zu bestimmen, daß die Begriffe aus der Allgemeinheit nicht herausführen können, was aber nicht durch das Wesen des Begriffs, sondern durch das Wesen der Gegenstände bedingt ist.

Wenn eine Bestimmung auf Gegenstände geht, die der willkürlichen Determination freistehen, so mag die Unbestimmtheit überhaupt nicht ins Gewicht fallen, nur daß die determinierende Willkür nicht einmal zu eindeutigen Invididualbestimmungen kommt, so weit sie auch in der Determination fortschreiten mag. Eindeutige Individualbestimmungen sind nur möglich, wo eine Bestimmtheit ansich besteht.

Die Allgemeinheit begrifflicher Bestimmungen äußert sich natürlich auch, wo Erkenntnis aus allgemeinen Sätzen und Gesetzen gefällt wird, Sätze von der Form "jedes A ist ein B" lassen es unbestimmt, welches besondere B ein A ist. Daß alle Menschen sterblich sind, läßt den besonderen Tod, der jedem Menschen zugeordnet ist, unbestimmt, so daß eindeutig von einem Menschen nur die Subsumtion unter die Klasse "Sterblich" zu erkennen ist.

Die Unbestimmtheit einer individuellen Zuordnung bleibt bestehen, auch wenn ein A eindeutig bestimmt wird. Das Gesetz, daß auf jede Primzahl eine weitere folgt, läßt unbestimmt, welche Primzahl auf die eindeutig als die n-te bestimmte folgt.

Dergestalt allgemeine Gesetze, die umso dienlicher zur Erkenntnis sind, als es nur je auf das Überhaupt und nicht auf das Wie der Besonderung ankommt, sind nur eine primitive Form der Gesetzlichkeit.

LITERATUR: Hans Pichler, Über die Erkennbarkeit der Gegenstände, Wien und Leipzig 1909
    Anmerkungen
    1) Wo Subsumtionen nicht bestehen, sind "Annahmeschlüsse" möglich (siehe Meinong, Über Annahmen, Kapitel IV. Über Annahmeschlüsse). In den Annahmen ist eine Logik und Erkenntnistheorie ganz neuartig beleuchtende Stellungnahme entdeckt.
    2) Kant, Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe A, Seite 105.
    3) Kant, Logik, Seite 71
    4) Sehr spezifische Gesetze, die durch allgemeine Gesetze bedingt erscheinen, wird man allerdings nicht als "Naturgesetze" bezeichnen.
    5) Windelband, Die Lehren vom Zufall, Seite 26f. Über die Annahme, daß ein konstant Wirkliches ein notwendiges, generelles ist (Seite 39).
    6) Eine inhaltliche Auffassung der Unbestimmtheit ist natürlich auch möglich, aber das, was man sich bei einem Begriff denkt oder vorstellt, ist durchaus schwankend und nicht formulierbar und um die Formulierung handelt es sich.