ra-2M. ReischleR. A. LipsiusTh. ZieglerE. AdickesC. Güttlervon Lasaulx    
 
LEO MEYER
Über Glauben und Wissen
[Vortrag gehalten am 11. Februar 1876
in der Aula der Universität zu Dorpat.]


"Im Anschluß an das gotische Zeitwort galaubjan bedeutet glauben zunächst für wertvoll halten, für kostbar halten, wie zum Beispiel unser würdigen vom Adjektiv würdig abgeleitet wurde und zunächst für würdig halten bedeutet, unser lieben von lieb und zunächst für lieb halten, lieb haben bedeutet. Wenn wir also unser Glauben als für wahr halten zu erklären pflegen, so scheint das Wahre darin ursprünglich als das Wertvolle, Kostbare bezeichnet worden zu sein."

"Alles menschliche Wissen beruth in seinem letzten Grund ohne Ausnahme auf sinnlicher Wahrnehmung. All unser Denken beruth überhaupt nur auf einem sinnlichen Grund, jeder auch noch so abstrakte Begriff wurde ursprünglich ohne alle Abstraktion rein sinnlich aufgefaßt und bezeichnet. Und wie wir das Wissen als ein ursprünglich rein sinnliches Gesehen haben erkannten, so ist ja zum Beispiel auch das geistige Einsehen vom sinnlichen Sehen benannt, ebenso das Begreifen und das geistige Fassen vom sinnlichen Greifen und Anfassen, das Verstehen vom Danebenstehen, das Überlegen vom sinnlichen Legen, das französische penser denken vom sinnlichen lateinischen pensare abwägen und vieles andere ähnlich."

"Man darf es allgemein aussprechen, daß es für uns absolute Beweise gar nicht gibt, also auch kein absolutes, kein wirkliches Wissen. Auch bei der unmittelbarsten sinnlichen Wahrnehmung, die manche gern für das einzig Sichere halten, sind wir niemals vor Sinnestäuschungen ganz sicher. Wo wir vom Wissen zu sprechen pflegen, handelt es sich streng genommen immer nur um verschiedene Stufen höherer oder geringerer Wahrscheinlichkeit."


Hochgeehrte Anwesende!

Glauben und Wissen, das sind zwei hochbedeutsame Wörter, die, kann man fast sagen, das Wertvollste und Beste in sich schließen, das wir überhaupt unser eigen nennen, und die deshalb und namentlich deren Verhältnis zueinander schon manches denkenden Menschen Geist ernst bewegt haben und doch auch immer wieder von Neuem bewegen werden, so daß es gewiß als nicht ganz unangemessen erscheinen wird, ihnen auch an dieser Stelle einmal in gewissermaßen gemeinsamer Betrachtung für eine kurze Zeit unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei bemerke ich aber sogleich im Voraus, daß es nicht etwa meine Absicht ist, den Versuch zu machen, den bedeutsamen Stoff besonders interessant oder geistreich zu behandeln, sondern es liegt mir nur daran, möglichst vorsichtig zu verfahren und so, daß sich womöglich nichts Unrichtiges und Irriges dabei einmischt, daß eigene Urteile und Ansichten dabei möglichst zurücktreten. Und dann möchte ich gleich zu Anfang auch noch das hervorheben, daß meine Absicht nicht ist, dem speziell Christlichen, das sich beim Glauben ja leicht vordrängen muß, wie es die Laien sonst wohl zu tun pflegen, ängstlich aus dem Weg zu gehen, vielmehr werde ich gerade das besonders ins Auge fassen.

Daß das Wissen in unserem Leben eine ganz außerordentlich große Rolle spielt, das liegt jedem schon darin vor Augen, daß in allen Bildungsanstalten und Schulen, von der geringsten bis zur höchsten, das Wissen das wesentliche Elemente bildet. Nicht nur an der Hochschule, der Universität oder wie sie mit altem vollem Namen heißt der  Universitas litterarum,  das ist der Gesamtheit der Wissenschaften, sondern auch an der geringsten Dorfschule wird auf der einen Seite gelehrt und auf der anderen gelernt.  Lehren  aber bedeutet auch seinem Ursprung nach nichts anderes als "Wissen mitteilen" und  lernen  bedeutet "sich Wissen aneignen". Wer nichts weiß, der wird in der Welt immer einen untergeordneten Platz einnehmen.

Und doch scheint es oft auch wieder, als ob der Wert, den man auf das Wissen zu legen habe, gar kein besonders großer ist.  Paulus  schreibt an die Epheser (3, 19), daß sie erkennen sollen, "daß  Christum  lieb haben, viel besser ist, denn alles Wissen" und gerade diese Worte sind schon manches Menschen Lieblingsspruch geworden. Aber wenn wir ihnen auch eine gewisse Wahrheit zugestehen möchten,  Paulus  hat sie gar nicht geschrieben. LUTHER hat die Worte unrichtig übersetzt und wunderbarerweise erst in  der  Ausgabe, die im Jahr vor seinem Tod erschien, während er früher die Worte richtig wiedergegeben hatte;  Paulus  spricht hier nämlich gar nicht von der Liebe zu  Christo,  sondern davon, daß  Christus  selbst liebt, und so gab LUTHER in seinen früheren Ausgaben richtig "die Liebe  Christi,  die doch alle Erkenntnis übertrifft".

Wie aber so der christlichen  Liebe wenn auch gerade nicht in den angeführten Worten des Paulus, nicht selten ein weit höherer Wert als allem Wissen beigelegt wird, so ist es noch viel häufiger mit dem  Glauben  der Fall. Ohne Glauben, ohne den rechten Glauben sei alles Wissen gar nichts wert, das ist ein strenges Wort, das schon oft gesprochen worden ist. Aber man geht auch noch weiter, man verurteilt nicht bloß das Wissen, wo es nicht mit dem Glauben innig verbunden ist, man schilt überhaupt das Wissen als den Feind, ja als den gefährlichsten Feind des Glaubens. Der unverträgliche Konflikt besteht zwischen Glauben und Wissen, ist eine alte Anschauung. Wo aber ein Kampf ist, pflegt schließlich einer zu unterliegen, hat schon Mancher vor den gewaltigen Fortschritten des menschlichen Wissens ängstlich gefragt, der doch gern einen Anspruch auf ganze Gläubigkeit gemacht hätte, und mancher Andere hat sich vor den beängstigenden Errungenschaften der Wissenschaft einem Strauß gleich ungeschickt scheu verkrochen, ohne erst die drohende Gefahr zur prüfen und ihr dann tapfer entgegenzutreten.

Es wird zunächst nötig sein, die Antwort auf die Frage zu suchen: Was ist  glauben Da trete ich erst noch einen Schritt weiter zurück und frage, wie kann man denn überhaupt erfahren, was ein Wort bedeutet? Nun,  glauben  ist ein durchaus lebendiges Wort, das jeder von uns kennt und jeder von uns häufig gebraucht. Wo solches aber der Fall ist, da braucht man nicht erst im Wörterbuch oder in der Grammatik nachzuschlagen. Jeder prüfe sein eigenes lebendiges Wörterbuch, sei eigenes Denken, das, wenn es überhaupt ein klares ist, die Bedeutungen der Wörter sicherer abzugrenzen pflegt, als alle gelehrten Wörterbücher es können. Man prüfe sich selbst, wie man das Wort gebraucht. Da  glaubt  ein Kind, daß seine Mutter bald heimkehren wird, ein Anderer  glaubt,  daß es mit dem Winter bald vorbei sein wird, noch ein Anderer  glaubt  vielleicht, die Samojeden sprechen Sanskrit und dgl. mehr. Aber die Samojeden sprechen kein Sanskrit und der Winter währt vielleicht noch recht lange und die erwartete Mutter bleibt vielleicht noch recht lange aus. Da wäre der Inhalt des beispielsweise angeführten Glaubens durchaus irrig. So handelt es sich also beim Glauben gar nicht um wirklich wahre Dinge, sondern nur darum, daß man etwas für wahr hält, das sich vielleicht auch sehr bald als irrig erweist. Da muß also das Glauben begreiflicherweise immer weniger Wert haben, als das Wissen, denn die sichere Wahrheit ist doch allezeit mehr wert, als die Möglichkeit eines Irrtums, und jeder vernünftige Mensch wird, wo er nur glaubt, sich stets gedrängt fühlen, das Glauben womöglich durch Wissen zu beseitigen.

Dem gegenüber dürfen wir nun aber das sogleich als ganz selbstverständlich betonen, daß, wo es sich um den christlichen Glauben handelt, nicht ein solcher gemeint sein kann und darf, dem vielleicht die Erkennung seines vollständigen Irrens unmittelbar auf dem Fuß folgen kann. Der christliche Glaube hat eine ganz andere Art, die wir noch besonders prüfen müssen. Aber wie prüfen? Wir können da nicht fragen, wie spricht etwa dieser oder jener heute vom christlichen Glauben? Das kann möglicherweise ganz verkehrt sein. Denn der christliche Glaube hat einen bestimmten alten Boden, bei dessen Prüfung man ohne einiges Wissen nicht aus kann, wie überall, wo es sich um Geschichtliches handelt. Der christliche Glaube hat schon eine lange Geschichte. Es wäre denkbar, daß das speziell christliche Glauben in früherer Zeit sogar ganz anders benannt wäre, als das gemeine Glauben, wie ich es zum Unterschied bezeichnen möchte. Aber so finden wir es nicht. Wie wir heute nach beiden Richtungen hin das Glauben gebrauchen, so tat es LUTHER vor mehr als dreihundert Jahren auch, so gebrauchten zum Beispiel auch die alten Sachsen im 9. Jahrhundert, als sie das Christentum eben angenommen hatten, ihr  gilobhian,  so zeigt es sich ebenso auch schon vor eineinhalbtausend Jahren in der Zeit, aus der wir zuerst etwas Näheres über die deutsche Sprache erfahren, bei den Goten, die unter allen deutschen Völkern zuerst das Christentum annahmen. Sie nannten "glauben"  galaubjan  und das ist die altertümlichste Form, die wir für unser deutsches Wort  glauben  kennen. Sie hat noch ein besonderes Interesse für uns durch den Zusammenhang, den ihre Durchsichtigkeit uns erkennen läßt. Neben dem gotischen  galaubjan,  das ein abgeleitetes oder, wie man es gewöhnlich sagt, schwaches Zeitwort ist, finden wir nämlich ein ihm wahrscheinlich unmittelbar zugrunde liegendes Adjektiv  galaubs,  mit der Bedeutung "kostbar, wertvoll", das in der gotischen Bibelübersetzung zum Beispiel im Brief an die Römer (9, 21) von dem Gefäß gebraucht wird, wie es ein Töpfer aus einem Klumpen Ton bilden kann, das bei LUTHER "ein Faß zu Ehren" genannt ist, das also der Gote als "wertvolles Gefäß" bezeichnete. In unmittelbarem Anschluß an dieses  galaubs  "kostbar, wertvoll" wird das Zeitwort  galaubjan  "glauben" zunächst "für wertvoll halten, für kostbar halten" bedeuten, wie zum Beispiel unser  würdigen  vom Adjektiv  würdig  abgeleitet wurde und zunächst "für würdig halten" bedeutet, unser  lieben  von  lieb  und zunächst "für lieb halten, lieb haben" bedeutet. Wenn wir also unser  Glauben  als "für wahr halten" zu erklären pflegen, so scheint das "Wahre" darin ursprünglich als das "Wertvolle, Kostbare" bezeichnet worden zu sein. Ich füge noch hinzu, daß unser  Glaube,  also eigentlich  Gelaube,  auch mit der  Liebe  etymologisch zusammenhängt, wie zum Beispiel  Staub mit zerstieben, taufen,  mit  tief  und noch andere Wörter, in den  au  und  ie  sich gewssermaßen ablösen. Auch in unserem gewöhnlichen  Glauben  fühlt man noch die Nebenbedeutung des Hingeneigtseins, in dem meisten Fällen glaubt man gern, was man glaubt. Zur selben Wörterverwandtschaft wie das  Glauben  gehört weiter auch noch unser  erlauben,  das sich zu ihm verhält wie  erreichen  zu  gereichen, erlangen  zu  gelangen, erraten  und  geraten,  in seiner besonderen Bedeutungsentwicklung aber noch nicht ganz deutlich ist.

Aber wenn wir so nun auch für das deutsche  Glauben  die Bedeutung des "für wertvoll, für kostbar Haltens" als ältesterreichbare mit hocher Wahrscheinlichkeit hingestellt haben, was Manchem auch in Bezug auf den christlichen Glaubensbegriff vielleicht sehr ansprechend erscheinen mag, so dürfen wir uns dabei doch durchaus noch nicht beruhigen. Wir haben bisher nur unser deutsches Wort  Glauben  erwogen, wo es sich aber um insbesondere den christlichen Glauben handelt, da sind wir immer unmittelbar auf unsere allzeit allein Norm gebende Urkunde, das Neue Testament, angewiesen. In ihm sollen zuletzt alle das Christentum betreffenden Streitfragen ihre Erledigung finden. Das Neue Testament aber ist in griechischer Sprache verfaßt und allen nichtgriechischen Völkern nur durch Übersetzungen zugänglich gemacht. Und dabei ist immer die Frage, wie weit diese verschiedenen Übersetzungen richtig und genau sind, und das ist natürlich namentlich da zu erwägen, wo es sich um die schärfere Fassung einzelner besonders wichtiger Begriffe handelt, wie eben jetzt des Glaubens für uns. Glauben aber heißt im griechischen Neuen Testament  pisteuein [treu sein, vertrauen - wp] und der Glaube heißt  pistis.  Diese Wörter genauer zu prüfen und ihren Inhalt eindringlicher zu untersuchen, ist für uns viel wichtiger, als alles, was ich über das deutsche Wort  glauben  sagen konnte. Was bedeutet das griechische Wort  pistis  und das griechische Wort  pisteuein?  Darauf kommt hier, wie es scheint, alles an.

Aber ich kann mich hier natürlich nicht mit einer ausführlichen etymologischen Untersuchung über die angeführten beiden griechischen Wörter lästig machen wollen, ich muß mich darauf beschränken, aus der umfangreichen und schwierigen Untersuchung, die die völlige Erledigung der Frage beanspruchen würde, einige wichtigere Einzelheiten herauszuheben. Die griechischen Wörter  pistis  und  pisteuein  gehören zu einer größeren Gruppe von Wörtern, von denen aus dem Griechischen zum Beispiel noch  pithanos,  "glaubwürdig" genannt werden mag, mehrere aber auch im Lateinischen lebendig sind. Zu den letzteren gehören  fîdere  "glauben, vertrauen" und neben ihm  fîducia  "Vertrauen" und  fidês,  das einerseits auch "Vertrauen" bedeutet, "das auf Jemanden gesetzt wird", auf der anderen Seite aber auch "Zuverlässigkeit, Treue" besagt und von dem zum Beispiel  fidêlis  "treu" abgeleitet wurde.

Allein diesen Begriffen liegt eine gemeinsame sinnliche Bedeutung zugrunde, als die sich unschwer die des "Festseins" erkennen läßt.  Fest  und  treu  verbinden wir als verwandte Begriffe immer gern miteinander, und die deutsche  Treue  ist auch nach der sinnlichen Festigkeit benannt, und ihr ist ganz nah das  Trauen,  das  Vertrauen  verwandt, wie wir ja auch wieder gern von einem  festen  Vertrauen sprechen. Auf jemanden vertrauen heißt in eine ältere sinnlichere Sprache zurückgedeutet "auf ihm sich feststehend wissen, auf ihm feststehen", und wenn das lateinische  fidês  entweder "Treue, Zuverlässigkeit" oder "Vertrauen" bedeutet, so ist das einfach die "Festigkeit", die man entweder selbst hat oder in einem andern erkennt. Dieser Bedeutungszusammenhang ist nun aber auch derselbe, in den die fraglichen griechischen Wörter hineingehören. So dürfen wir also als die Grundlage des neutestamentlichen Glaubens, des  pisteuein  und der  pistis,  geradezu den Begriff der  Festigkeit  hinstellen. Das aber ist etwas wesentlich Anderes, als das gemeine deutsche  Glauben,  mögen wir es nun in der alten Bedeutung des "für wertvoll Haltens" oder der neueren des "für wahr Haltens" nehmen, bei der gerade die Bedeutung der Unsicherheit, des Nichtfestseins, immer eingeschlossen ist.

Mit all diesen Ausführungen aber ist die kleine sprachwissenschaftliche Untersuchung, die ich meinem Vortrag nicht ganz ersparen konnte, doch noch nicht am Ende. Ich betonte, daß wir bei einer sorgfältigeren Prüfung des Begriffs des Glaubens bei den deutschen Wörtern unmöglich stehen bleiben durften, wir mußten bei dem speziell christlichen Begriff bis in das griechische Original hineindringen. Aber auch dabei können wir noch nicht stehenbleiben.

Den Glaubensmittelpunkt allen Christentums bildet allzeit einzig und allein  Christus.  Ihm sollen wir uns nicht etwa bloß in einer unklaren Gefühlsüberschwänglichkeit hingeben, sondern wir sollen von ihm auch direkt lernen, wenn wir über den christlichen Glauben etwas wissen wollen. Was  Christus  selbst über den Glauben sagt, ist uns begreiflicherweise immer unendlich viel wichtiger, als was wir darüber sonst irgendwoher erfahren.

Christus  aber war kein Grieche und sprach kein Griechisch. Alles, was er zu seinen Jüngern oder sonstwie gesprochen hat, ist uns bis auf ganz kleine Reste, die namentlich von  Markus  mitgeteilt werden, nicht im Original, sondern nur in der griechischen Übersetzung erhalten, die freilich, wie vielfach gelehrt wird, gerade in der uns überlieferten Form der heilige Geist eingegeben hat, die aber als Übersetzung für die  Wissenschaft  doch immer unendlich viel geringeren Wert hat, als das Original für uns gehabt haben würde. Mich hat es immer in hohem Grad verwundert, daß man für diese Originalworte  Christi,  für seine Sprache überhaupt, immer nur ein so geringes Interesse gezeigt hat. Und diese Interesselosigkeit hat auch nicht etwa in einer völligen Unkenntnis ihren Grund.

Ich bemerkte soeben, daß auch die evangelischen Berichte uns eine ganze Reihe von Originalworten  Christi  erhalten haben. Den beiden Söhnen des  Zebedäus, Jakobus  und  Johannes,  gab er den Namen  Boanêrgés  "Donnersöhne" (Markus 3, 17), wie ähnlich dem  Simon  den Namen  Kêfâ  (Johannes 1, 42), das dann in das griechische  petros  "Fels" übersetzt wurde: die zwölfjährige Tochter des Jairus erweckt er mit den Worten  talithá kûmi  "Mädchen, steh auf" (Markus 5, 41); den Taubstummen heilt er mit den Worten  effathá  "öffne dich" (Markus 7, 34); sein Gebet im Hof Gethsemane beginnt er mit dem Wort  abbâ  "Vater", das nicht griechisch ist (Markus 14, 36), und da er am Kreuz hing, rief er  elôhi elôhi lemá sabachthani  "mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" wie  Markus  (15, 34) angibt, oder wie  Matthäus  (27, 46) die Worte anführt, êli êli lêmá sabachthani; beide Evangelisten fügen die Bemerkung hinzu, daß Nahestehende geäußert hätten er rufe den  Elias.  Die angeführten Formen können für uns hier kein besonderes Interesse beanspruchen, aber sie sind wichtig als ausdrücklicher Beweis dafür, daß  Christus  auch aramäisch sprach, wie es zu seiner Zeit in ganz Palästina gesprochen wurde, eine dem Hebräischen, das selbst nur in engeren Kreisen der Schule und des Kultus daneben fortlebte, nahverwandte Sprache. Die Mundart Galiläas, des nördlichen Palästinas, der engeren Heimat  Christi,  galt nach dem Zeugnis späterer jüdischer Dokumente als bäuerlich und roh. Aus dem Evangelium ist bekannt, daß  Petrus  im Hof des Hohenpriesters  Kaifas  an seiner Sprache als Galiläer und Anhänger  Jesu  erkannt wurde: "Deine Sprache verrät dich", wird ihm bei  Matthäus  (26, 73) gesagt und bei  Markus  (14, 70) heißt es "du bist ein Galiäer und deine Sprache lautet also gleich." Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir in jener aramäischen Sprache Palästinas noch verschiedene jüdische Dokumente, die aber um mehrere Jahrhunderte jünger sind, als die Zeit  Christi,  mittels derer sich aber annähernd die Sprache  Christi  rekonstruieren läßt. Hier hat das für uns nur insofern ein besonderes Interesse, als wir dabei etwa für unser  Glauben  etwas gewinnen können.

"Er glaubte" lautete, wie ich von befreundeter Seite belehrt bin, in  Christi  Munde wahrscheinlich  haimén  und das substantivische "der Glaube"  haimânuthâ.  Diese Formen aber gehören neben dem aus dem Neuen Testament bekannten Versicherungswörtchen  âmen  "sicherlich" zu einer größern Gruppe von Wörtern, als deren Grundbedeutung die des "Sicherseins, des Festseins" heraustritt. Wie sich daraus die Bedeutung des Glaubens in den oben angeführten aramäischen Formen genauer entwickelt hat, läßt sich noch nicht ganz deutlich erweisen, es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß der in jenen Formen zunächst entwickelte Kausalbegriff des "Festmachens" sich weiter zu dem des "Hervorbringens subjektiver Festigkeit an etwas" und dann "des etwas fest Ergreifens" entwickelt hat. Wie sich die Bedeutungsentwicklung hier im Einzelnen aber auch gestaltet haben mag, wir kommen ganz wie bei den vorhin geprüften griechischen Wörtern auf die Grundbedeutung des "Festseins", und das ist in der Tat im christlichen Glauben das Wesentliche.

Dieser engste Zusammenhang des Begriffes des Glaubens mit dem des Festhaltens, Festseins, Feststehens tritt nun aber auch noch aus manchen Wendungen und Wortverbindungen heraus, die uns im Neuen Testament begegnen. Der Begriff des Glaubens verbindet sich gern mit dem des Festen.  Paulus  schreibt an die Kolosser (2, 5) "ich sehe euren  festen  Glauben" und zwei Verse später "seid  fest  im Glauben" und noch etwas weiter (Vers 23) "so ihr anderes bleibet im Glauben  gegründet  und fest"; auch im ersten Brief Petri (5, 9) heißt es "widerstehet  fest  im Glauben". In der Apostelgeschichte schreibt  Lukas  (16, 5) "da wurden die Gemeinen im Glauben  befestigt"  und wo LUTHER  Christi  Worte an  Petrus  (Lukas 22, 32) wiedergibt "stärke deine Brüder" und Worte des  Paulus  an die Thessaloniker (1, 3, 2) "euch zu stärken in eurem Glauben", da würde die wörtliche Übersetzung gelautet haben "euch zu  befestigen  in eurem Glauben" und bei den Worten an  Petrus  "befestige deine Brüder":  Christus  hatte ihm unmittelbar vorher gesagt "ich habe für dich gebetet, daß dein  Glaube  nicht aufhöre". Vortrefflich übersetzt LUTHER  Lukas  20, 6, wo der zugrunde liegende griechische Ausdruck "überzeugt sein" bedeutet: "sie stehen darauf" gleichsam wie auf festem Boden, von dem man sie nicht wegdrängen kann, "daß Johannes ein Prophet sei", und ganz ähnlich heißt es in genauerer Übereinstimmung mit dem griechischen Original im zweiten Brief an die Korinther (1, 24) "ihr stehet im Glauben" und im ersten Brief an dieselben (15, 1) "ihr stehet im Evangelium". Dem letzteren Ausdruck entsprich ganz, wenn  Jesus  sagt (Markus 1, 15) "glaube an das Evangelium", was in wörtlicher Wiedergabe des Griechischen lauten würde "glaubet im Evangelium", gleichsam "stehet glaubend fest im Evangelium".

Weiter aber wird uns die dargelegte erste und eigentliche Bedeutung des Glaubens noch insbesondere deutlich, wenn wir uns die Antwort auf die Frage verschaffen: was bildet denn den Gegensatz zum Glauben? Das ist ja eine bekannte Methode, Klarheit über Begriffe zu gewinnen, daß man feststellt, was ihnen entgegengesetzt ist, wie ja alles da besonders heraustritt, wo das Licht sich recht grell gegen den Schatten stellt. Ganz gewöhnlich wird der Glaube als Unglaube völlig verneint; den eigentlichen Gegensatz zu ihm aber bildet der Zweifel, ganz wie, sinnlicher, greifbarer ausgedrückt, dem Feststehen das Schwanken entgegensteht. Sehr lebendig sprich das  Jakobus  (1, 6) aus "er bitte aber im Glauben, und zweifel nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Wind getrieben und geweht wird", und auch zwei Verse später: "ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen".

Christus  stellt den Gegensatz heraus, wo er zu  Petrus,  da dieser ins Wasser sinkt, die Worte spricht (Matthäus 14, 31): "O du Kleingläubiger, warum zweifelst du?" und dann in den an die Jünger gerichteten Worten (Matthäus 21, 21): "So ihr Glauben habt und nicht zweifelt und werdet sagen zu diesem Berg: Heb dich auf und wirf dich ins Meer, so wird es geschehen", die in etwas veränderter Form auch bei  Markus  (11, 23) wiederkehren.

Dem Zweifel ist die Furcht nahe verwandt, die daher auch dem Glauben entgegengestellt wird; so spricht  Christus  zu den Jüngern (Markus 4, 40): "Was seid ihr furchtsam? wie habt ihr keinen Glauben?" und zu dem Synagogenvorsteher, oder, wie LUTHER ihn nennt, Obersten der Schule des  Jairus  (Markus, 5, 36). "Fürchte die dich nicht, glaube nur". Im Brief an die Römer (4, 20) heißt es von  Abraham,  "er zweifelt nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben; sondern wurde stark im Glauben" und an einer anderen Stelle (14, 23) in Bezug auf die jüdischen Schriftgesetze, "wer aber darüber zweifelt und isset doch, der ist verdammt, denn es gehet nicht aus dem Glauben".

Auch an der einzigen Stelle des Neuen Testaments, die uns eine eigentliche Erklärung des Glaubens gibt, tritt der betonte Gegensatz heraus, ich meine im ersten Vers des elften Kapitels des Briefes an die Ebräer. Er lautet: "Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehet". Was aber hier LUTHER mit "nicht zweifeln" wiedergibt, das ist im griechischen Original positiv ausgedrückt und könnte genauer mit "überführt sein, überzeugt sein" übersetzt werden. Die ganze Erklärung ist aber gar keine scharfe und ausreichende, oder, wie man gesagt hat, schulmäßige und erschöpfende.

Glauben und Hoffen, die darin so eng miteinander verbunden werden, sind immer zweierlei Dinge und das "nicht sehen" ist durchaus kein besonderes Charakteristikum für den Glauben; handelt es sich ja doch überhaupt bei allen abstrakten unsinnlichen Dingen um ein Nichtsehen. Wenn man etwas denkt, sich einbildet, von etwas überzeugt ist, etwas hofft, etwas wünscht oder ersehnt, nach etwas verlangt, und der gleichen, so pflegt man nicht zu sehen. Wenn im ersten Brief  Petri  (1, 8) in Bezug auf  Christus  geschrieben wird "welchen ihr nicht gesehen und doch lieb habt, und nun an ihn glaubt, wiewohl ihr ihn nicht sehet", so ist dem gegenüber doch gleich hervorzuheben, daß sehr viele doch auch  Christum  gesehen haben und gerade deshalb an ihn glaubten. Das Sehen schließt das Glauben durchaus nicht aus, man kann sehen und glauben und auf der anderen Seite auch sehen und doch nicht glauben, wie ja  Christus  sagt (Johannes 6, 36) "Aber ich habe es euch gesagt, daß ihr mich gesehen habt und glaubet doch nicht". Wie das Sehen und Glauben sich nicht bloß eng miteinander vereinigt, sondern der Glaube auch geradezu häufig durch das Sehen hervorgerufen wird, hören wir mehr als einmal.  Christus  sagt zu  Thomas  (Johannes 20, 29) "Dieweil du mich gesehen hast, Thoma, so glaubest du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben", und an den Königischen, der seine Hilfe erbittet, richtet er die Worte (Johannes 4, 48): "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder  sehet,  so glaubet ihr nicht." Man wendet sich an  Christus  mit der Forderung (Johannes 6, 30) "Was tust du für Zeichen, auf daß wir  sehen  und glauben dir" und da er am Kreuz hängt, sprechen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Markus 15, 32) höhnend "Ist er Christus und König in Israel, so steige er nun vom Kreuz, daß wir  sehen  und glauben".  Johannes  (20, 8) erzählt von sich selbst in Bezug auf die Auferstehung  Christi  "da ging auch der andere Jünger hinein, und  sah  und glaubte es."

Wie aber das Sehen ganz und gar nicht in einen Gegensatz zum Glauben tritt, so gilt das Gleiche auch vom geistigen Sehen, vom Erkennen, vom Wissen.  Petrus  sagt zu  Christus  (Johannes 6, 69): "Wir haben  geglaubet und erkannt,  daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" und  Christus  selbst sagt (Johannes 10, 38): "Glaubet doch den Werken, wollt ihr mir nicht glauben, auf daß ihr erkennet und glaubet, daß der Vater in mir ist und ich in ihm". Und ebenso verbindet  Paulus  das Glauben und Erkennen miteinander im Brief an die Epheser (4, 13) "bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes." Wie wir hier das Glauben und Erkennen eng miteinander verbunden finden, die also nicht im Gegensatz zueinander stehen können, so ist im Neuen Testament öfter auch das Wissen genannt, wo manchem vielleicht der Ausdruck des Glaubens möchte zutreffender erschienen sein. So spricht  Christus  (Markus 2, 10) "auf daß ihr aber  wisset,  daß des Menschen Sohn Macht hat, zu vergeben die Sünden auf Erden" und so weiter, und im Gebet zu Gott (Johannes 17, 7): "Nun  wissen  sie, daß alles, was du mir gegeben hast, sei von dir." Die Samariterin spricht zu ihm (Johannes 4, 25): "Ich  weiß,  daß ein Messias kommt, der da Christus heißt" und  Nikodemus  (Johannes 3, 2): "Meister, wir  wissen,  daß du bist ein Lehrer, von Gott kommen", und doch gehörte  Nikodemus  noch nicht zu den Gläubigen. Im ersten Brief des Johannes (3, 2) heißt es: "wir sind nun Gottes Kinder, und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir  wissen  aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden."  Paulus  schreibt an die Korinther (2, 4, 14): "wir  wissen,  daß der, so den Herrn Jesum hat auferweckt, wird uns auch auferwecken durch Jesum" und etwas später (2, 5, 1): "wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütten zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben von Gott erbauet, ein Haus nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel"; an die Thessaloniker (1, 5, 1) schreibt er "ihr selbst  wisset  gewiß, daß der Tag des Herrn wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht." Zu Anfang des Römerbriefes (1, 19) finden wir die Worte, "daß man  weiß,  daß Gott sei, ist ihnen" nämlich den Heiden "offenbar: denn Gott hat es ihnen offenbart." An allen diesen Stellen steht das Wissen durchaus nicht höher als das Glauben, an einigen scheint es fast weniger zu sein. Das beiden Gemeinsame ist die Sicherheit, die Festigkeit, das Nichtschwanken.

Aber wir müssen den Begriff des Wissens nun auch noch etwas näher ins Auge fassen; wir können da etwas kürzer sein. Unser deutsches  ich weiß,  dem auch in verwandten Sprachen, wie zum Beispiel im Griechischen und im Sanskrit oder Altindischen die entsprechende Wortform mit der gleichen Bedeutung schon gegenübersteht, ist ursprünglich gar kein präsentisches Wort, sondern ein Perfektum, es hat die Form der vollendeten Handlung. In unserem Hochdeutsch ist das freilich nicht mehr klar, aber LUTHER schrieb zum Beispiel noch  ich reiß  neben dem Plural  wir rissen  und nicht im Singular  ich riß, ich beiß  neben  wir bissen,  und so bedeutet unser  ich weiß  neben  wir wissen  ursprünglich "ich habe gesehen". das alte Präsens aber daneben mit der Bedeutung "ich sehe", das mit dem lateinischen  vidêre  "sehen" ganz unmittelbar zusammenhing, ist in unserer Sprache längst erloschen.

Somit  weiß  man also der Sprache nach eigentlich nur, was man gesehen hat und dann auch im Kopf festhält. Aber in diese enge Grenze ist die Bedeutung des Wortes schon seit ältester Zeit nicht gebannt geblieben. Wir  wissen  auch, daß musiziert wird, wenn wir es hören, wir  wissen,  daß es kalt ist, wenn wir es fühlen. Und ganz gewöhnlich ist das Wort dann auch ins Abstrakte übertragen. Aber doch beruth alles menschliche Wissen in seinem letzten Grund ohne Ausnahme auf sinnlicher Wahrnehmung und wo der unmittelbare Zusammenhang mit der sinnlichen Wahrnehmung nicht mehr vorliegt, haben sich nur Zwischenstufen dazwischengedrängt, die jenen Zusammenhang vielleicht haben unklar werden lassen, die ihn doch nie ganz auflösen können. All unser Denken beruth ja überhaupt nur auf einem sinnlichen Grund, jeder auch noch so abstrakte Begriff wurde ursprünglich ohne alle Abstraktion rein sinnlich aufgefaßt und bezeichnet. Und wie wir das Wissen als ein ursprünglich rein sinnliches "Gesehen haben" erkannten, so ist ja zum Beispiel auch das geistige  Einsehen  vom sinnlichen  Sehen  benannt, ebenso das  Begreifen  und das geistige  Fassen  vom sinnlichen  Greifen  und  Anfassen,  das  Verstehen  vom  Danebenstehen,  das  Überlegen  vom sinnlichen  Legen,  das französische  penser  "denken" vom sinnlichen lateinischen  pensare  "abwägen" und vieles andere ähnlich.

Will man eine feste Grenze haben für das, was man auch auf einem abstrakteren Gebiet als wirklich  gewußt  bezeichnen darf, so kann man sagen: das was  bewiesen  ist, und das  Beweisen  hängt mit dem  Wissen  sprachlich eng zusammen: wie das  Wissen  im Grunde ein  Gesehen haben ist, so ist das  Beweisen  und  Weisen  ursprünglich ein ganz sinnliches "Zeigen", das ist "einen Anderen sehen lassen". Was aber als wirklich  bewiesen  gelten soll, darüber ist hundert- und tausendfacher Streit. Wievieles hat man in früherer Zeit bereits in die sichere Schatzkammer des Wissens einlegen zu dürfen gemeint, das ein späteres Urteil als völlig unbewiesen wieder hinausgetan hat. Die Kunst oder die Methode des Beweisens selbst ist in den Wissenschaften immer weiter ausgebildet und im engsten Zusammenhang damit hat die Beweisbedürftigkeit, wie ich es nennen möchte, mit dem Fortschritt der Wissenschaft selbst auch immer zugenommen. Der mathematischen Wissenschaft hat man wohl den Vorzug zugestanden, daß sie wirklich vollgültige absolute Beweise habe, und die Beweise, die man im gewöhnlichen Leben als völlig sichere anzusehen pflegt, nennt man ja auch wohl mathematische Beweise. Ob wirklich mit Recht, das kann ich zu entscheiden hier nicht versuchen. Wenn aber dieses Urteil über die mathematischen Beweise selbst noch so unsicher ist, so darf man es auch allgemein aussprechen, daß es für uns absolute Beweise gar nicht gibt, also auch kein absolutes, kein wirkliches Wissen. Auch bei der unmittelbarsten sinnlichen Wahrnehmung, die manche gern für das einzig Sichere halten, sind wir niemals vor Sinnestäuschungen ganz sicher. Wo wir vom Wissen zu sprechen pflegen, handelt es sich streng genommen immer nur um verschiedene Stufen höherer oder geringerer Wahrscheinlichkeit. Des absoluten Wissens, der absoluten Beweise aber bedarf es für uns auch gar nicht, ja ein absolutes Wissen mag für den menschlichen Geist wohl gar nicht taugen, daß es uns vorenthalten ist, und wir werden doch innerhalb der der Menschheit gesteckten Grenzen in einem weiten Umfang vom Wissen sprechen können.

Daß dieses menschliche Wissen nun aber dem christlichen Glauben feindlich entgegensteht, ja ihm fortwährend feindlich entgegenarbeitet, das ist eine ebenso alte, wie entschieden irrige Behauptung.

Unwissende Menschen werden natürlich immer viel leichter geneigt sein, unbewiesene Dinge zu glauben, aber daß sie zum christlichen Glauben irgendwie fähiger wären, als die mit vielleicht sehr reichem Wissen ausgestatteten, ist durchaus unwahr. Gerade die entgegengesetzte Ansicht scheint doch auch gar nicht selten ans Licht zu treten. Ist es doch eine oft gemachte Erfahrung, daß, wo zum Beispiel eine dem allgemeinen Urteil nach äußerst glaubensfeindliche Schrift, etwa vom geistreichen DAVID FRIEDRICH STRAUSS, ans Licht trat, die weniger Unterrichteten, die aber doch den Anspruch einer besonderen Gläubigkeit machten, in eine große Angst gerieten, die sich doch mit dem christlichen Glauben nicht wohl vereinigt, sondern dem Zweifel, der den Gegensatz zum Glauben bildet, nächst verwandt ist, ihre erste Zuflucht zu den mit einem reicheren Wissen Ausgestatteten nahmen und sich erst dann beruhigter fühlten, wenn jene erklärten "es ist nicht so gefährlich".

Aber warum spricht man denn schon seit alter Zeit und immer wieder von Neuem von einem heftigen und gefährlichen Konflikt zwischen Glauben und Wissen? Ganz ohne Grund kann es doch nicht sein und man mag vielleicht in dem von mir bis jetzt Ausgeführten nur den Versuch vermuten, jenem Konflikt auszuweichen und ihn nicht entscheiden zu wollen. Das ist aber durchaus nicht meine Absicht, wir sind eben erst jetzt in unserer Betrachtung so weit gediehen, um jene besondere Frage noch genauer prüfen zu können.

Der christliche Glaube ist, und das spreche ich sogleich mit vollster Entschiedenheit aus, noch niemals, weder in älterer noch in neuerer Zeit, mit dem Wissen überhaupt oder mit irgendeinem Teil des menschlichen Wissens in Konflikt geraten; wohl aber wurde der Begriff des christlichen Glaubens in älterer wie in neuerer Zeit sehr oft mißbraucht; man hat ihn, möchte ich sagen, angesehen wie einen großen Sack, in den sich nach und nach auch allerlei Fremdartiges hineinschieben ließ, das mit dem speziell christlichen Glauben gar nichts zu schaffen hat. Unter diesem allerlei fremdartigen Glaubensstoff, da ist dann allerdings gar manches, das mit aller menschlichen Wissenschaft im schnödesten Widerspruch nicht bloß steht, sondern allezeit stehen muß und stehen soll. Denn die Wissenschaft soll jederzeit heilig und unverletzlich bleiben und kann durch ganz beliebige Glaubenssätze nicht bedrängt werden. Wenn zum Beispiel erst in neuester Zeit in der katholischen Kirche Glaubenssätze aufgestellt worden sind, wie die von der Unfehlbarkeit des Papstes und von der unbefleckten Empfängnis  Mariä,  so schlagen die allerdings aller Wissenschaft und aller gesunden Vernunft ins Gesicht, aber was haben diese Dogmen mit dem christlichen Glauben zu schaffen? Nur die römischen Katholiken haben die mißliche Aufgabe, sich mit ihnen abfinden zu müssen, während wir anderen Christen sie ebensowohl aus dem Gebiet unseres Glaubens wie auch unseres Wissens energisch ausweisen werden.

Aber auch außerhalb der römischen Kirche findet sich von jenem fremdartigen Glaubensstoff gar manches, dessen Aneignung unter der unberechtigten Firma des christlichen Glaubens von vielen gefordert ist und auch wohl noch heute gefordert wird und mit dem Inhalt unseres Wissens in der Tat durchaus unverträglich ist. Dahin gehört zum Beispiel die Glaubensforderung, daß aller Inhalt der Bibel, alle ihre namentlich bloß historischen Berichte ohne Ausnahme buchstäblich war sind. Diese Anforderung hat mit dem christlichen Glauben gar nichts zu schaffen und wird auch in der Heiligen Schrift selbst gar nicht gestellt. Wenn  Christus  der Grund all unseres Glaubens ist, was uns denn nötigen, nun auch alle ältesten Mitteilungen über ihn als durchaus göttlich und von jedem Irrtum frei zu verehren? Schon der erste Schritt ins Neue Testament hinein zeigt uns auch die völlige Bodenlosigkeit jenes Glaubenssatzes. Das erste Kapital des  Matthäus  bringt bekanntlich das Geschlechtsregister  Christi  und darin heißt es Vers 8 "Joram zeugte Osia", aber das ist unrichtig, den  Osia  war  Jorams  Urgroßsohn:  Osias  Vater hieß  Amazja  (Chronika 1, 3, 11; 2, 26, 1),  Amazjas  Vater  Joas  (Chronika 1, 3, 11; 2, 24, 27),  Joas  Vater war  Joram  (Könige 2, 8, 24; Chronika 1, 3, 11; 2, 22, 1). Ebenso unrichtig ist, wenn es im elften Vers heißt "Josia zeugte Jechonja und seine Brüder": denn  Josia  war der Großvater  Jechonias; Jechonias  Vater hieß  Jojakim  (Chroniika 1, 3, 15, 16). Über all diese Männer wird in den Büchern der Könige und der  Chronika  Genaueres berichtet, woran wir die Aufstellungen des  Matthäus  prüfen können. Und niemand wird doch nun etwa so weit gehen und sagen und behaupten wollen, das alte Testament habe für uns eine geringere Bedeutung als das neue, dort seien vielleicht Unrichtigkeiten möglich, im neuen aber dürfe man sie nicht zugeben. Ein einziger weiterer Schritt wird uns auch klar vor Augen stellen, daß das neue Testament auch in sich unleugbare Unrichtigkeiten und unlösbare Widersprüche enthält. Neben dem Geschlechtsregister  Christi  bei  Matthäus  wird ein solches bekanntlich auch von  Lukas,  im dritten Kapitel, gebracht: beide stimmen aber ganz und gar nicht miteinander überein, bei  Matthäus  heißt  Josefs  Vater  Jakob,  bei  Lukas  heißt er  Eli,  und auch alle weiteren Namen gehen völlig auseinander, bis die beiden Register erst wieder in  David  (Matthäus 1, 6; Lukas 3, 31. 32) zusammentreffen;  Lukas  führt seine Reihenfolge mit  Davids  Sohn  Nathan  weiter,  Matthäus  aber abweichend mit  Davids  Sohn  Salomo.  Jeder, der überhaupt klar denken kann, auch ohne in größere Tiefen der Wissenschaft eingedrungen zu sein, wird den Widerspruch begreifen und muß sagen, wo zwei Berichte über dasselbe so weit auseinandergehen, wie jene beiden Geschlechtsregister, da ist der eine  sicher  falsch, der andere ist es  vielleicht.  Und so ließe sich noch viel Ungenaues und sich Widersprechendes aus dem Neuen Testament beibringen, das jeder, in dem noch ein gesundes Denken wohnt, und der, kann man hinzufügen, auch den wirklich christlichen Glauben wertschätzt, ruhig beiseite werfen wird: denn was haben alle solche Irrtümer, wie jene Geschlechtsregister sie an der Stirn tragen, mit dem christlichen Glauben zu tun? Der hat doch einen ganz anderen Inhalt, als Geschlechtsregister und ähnliche Dinge.

Fragen wir nun aber nach diesem spezielleren Inhalt des christlichen Glaubens - denn einen bestimmten Inhalt muß der Glaube haben, Glaube an und für sich ist nichts - oder, können wir sagen, nach dem festen Boden, auf dem er steht, wie wir doch vorhin das Glauben als ein geistiges Feststehen oder Festsein erkannt haben, so kann ich als Antwort darauf eben nur das kurz wiederholen, was Sie schon in zahlreichen Predigten wieder und wieder gehört haben, der Grund des christlichen Glaubens ist eben der, nach dem er benannt ist, das ist  Christus.  Der christliche Glaube ist nichts anderes als der Glaube an  Christus.  Aber der Glaube an Gott doch auch und vor allem anderen, werden manche einwerfen. Des Glaubens an Gott, müssen wir dem entgegnen, hat sich kein Christenmensch besonders zu rühmen: wer nicht an Gott glaubt, der ist noch geringer als ein Heide, wer aber an Gott glaubt, der ist deshalb noch kein Christ, wer aber an  Christus  glaubt, der ist in der Tat ein Christ. Aber von einem Glauben an den heiligen Geist spricht man doch daneben auch noch? Darüber kann ich hier keine genaueren Erläuterungen geben, weil die bestimmte Wendung  "Glauben  an den heiligen Geist" im Neuen Testament gar nicht vorkommt und ich mit meinen Auseinandersetzungen mich ja so gut wie ganz auf den Boden des neuen Testaments beschränke.

Vom Glauben an  Christus  spricht das Neue Testament fast auf jeder Seite und auf ihm ist überhaupt das ganze neue Testament aufgebaut; dem Glauben an  Christus  ist alles andere im neuen Testament ohne Ausnahme untergeordnet.

Aber was ist denn der Glaube an  Christus?  werden wir zu fragen weiter gedrängt. Wollen wir uns die Antwort darauf suchen, wo werden wir selbstverständlich wieder die beste und wirklich einzige ganz wertvolle finden? Das kann nur aus  Christi  eigenen Mund sein. Er aber gibt sie nicht so platt und einfach, wie sie mancher sich wünschen möchte, wie  Christus  ja überhaupt Plattheit und Gewöhnlichkeit in seinen Äußerungen nicht liebt. Er hat sehr vieles gesprochen, dessen Verständnis ohne das tiefste und vorsichtigste Nachdenken gar nicht gewonnen werden kann. Aber was der Glaube an ihn oder der Glaube an und für sich, wie es oft einfach ausgedrückt wird, ist und sein soll, das tritt doch überall deutlich genug heraus. Wir brauchen nur einzelnes herauszuheben, um es uns wieder zu vergegenwärtigen.

Mehr als einmal hat  Christus  das Wort gesprochen, "dein Glaube hat dir geholfen" oder wie LUTHER  Markus  5, 34, wo die Worte an das blutflüssige Weib gerichtet werden, etwas genauer übersetzt hat "dein Glaube hat dich gesund gemacht"; so zu dem geheilten Aussätzigen (Lukas 17, 19), zu dem blinden  Bartimäus  (Markus 10, 52) und sonst. Und ganz ähnlich sagt er (Matthäus 8, 13) zum Hautmann von Kapernaum, dessen Knecht er gesund macht "gehe hin, dir geschehe, wie du geglaubt hast" und zu den beiden Blinden, die ihn anrufen (Matthäus 9, 29) "euch gesche nach eurem Glauben". Überall ist in diesen Berichten der Zusammenhang völlig klar; im letztangeführten zum Beispiel richtet  Christus vor  den angeführten Worten an die beiden hilfeflehenden Blinden die Frage "Glaubt ihr, daß ich euch solches tun kann?" und sie erwidern "ja". Also sie glauben, daß  Christus  ihnen helfen kann, und das ist eben die ganze Antwort, die wir auf die Frage "was ist der Inhalt des christlichen Glaubens?" suchen: daß  Christus  helfen kann.

Dieses Helfenkönnen, dieses Heilandsvermögen, können wir sagen, beschränkt sich aber nicht auf blinde Augen, taube Ohren, lahme Glieder und dergleichen, wir könnten fast sagen, alle Wunderberichte sind gewissermaßen selbst nur Gleichnisse, die die volle Heilandswürde  Christi  sinnbildlich darstellen: sie betrifft vor allen Dingen die geistigen Gebrechen, das sündhafte Innere des Menschen. Zu dem sündigen Weib, das sich im Haus des Pharisäers gläubig zu ihm drängt, sagt  Christus  auch "dein Glaube hat dir geholfen" (Lukas 7, 50) und bei ihr ist von leiblichen Leiden gar keine Rede. Zu dem Gichtbrüchigen (Markus 2, 5), den man zu  Christo  trägt im Glauben, daß er ihm helfen kann, sagt  Christus  "mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben" und gleich darauf (Vers 11) "steh auf, nimm dein Bett und geh heim": da liegt also beides nebeneinander, die leibliche Heilung und die höhere und bedeutendere, die von der geistigen Krankheit.

Dieser Glaube also, daß  Christus  der leidenden Menschheit helfen kann, daß er der Heiland, das ist ja "der Heilende, der Gesundmacher", der Welt ist, ist der, der ganz gewöhnlich nur kurz als der Glaube an  Christus  oder auch ganz kurz in einem strengchristlichen Sinn als "der Glaube" bezeichnet wird. Hie und da ist er auch mit etwas anderen Worten ausgedrückt, der Inhalt aber bleibt immer der gleiche. So wenn  Jesus  als der Weltheiland auch "der Christ" genannt wird, wie die Samariter, von denen eben erzählt wurde, daß sie glaubten, zu dem samaritischen Weib sagten: "Wir glauben nun fort nicht um deiner Rede willen, wir haben selbst gehört und erkannt, daß dieser ist wahrlich  Christus,  der Welt Heiland" (Johannes 4, 12) oder wie es im ersten Brief des Johannes (5, 1) heißt "wer da glaubet, daß Jesus der Christ ist, der ist von Gott geboren". Noch prägnanter, können wir sagen, spricht  Christus  selbst zu den Jüngern (Johannes 8,24): "so ihr nicht glaubet, daß ich es sei" und wieder an einer späteren Stelle (Johannes 13, 19) "daß ihr glaubet, daß ich es bin". Wenn einige Male bei  Johannes  (1, 12; 2, 23; 3, 18) gesagt ist "an den Namen Christi glauben", so ist das in der biblischen Sprache wieder nichts anderes, als an ihn selbst und sein Wesen glauben, und wenn  Christus  sagt (Johannes 12, 36) "glaubet an das Licht", so bezeichnet er mit dem Licht auch wieder nur sich selbst, wie deutlich etwas später (Vers 46) "ich bin gekommen in die Welt ein Licht, auf daß, wer an mich glaubt, nicht in Finsternis bleibt".

Noch bleibt anzuführen, daß  Christus  einmal (Markus 1, 15) auch den Ausspruch tut "glaubt an das Evangelium", dem er unmittelbar voraus die Worte sendet "das Reich Gottes" oder wie  Matthäus  (4, 17) es ausdrückt, "das Himmelreich ist herbei gekommen". Der Inhalt beider Wendungen ist wieder wesentlich derselbe. Das  Evangelium  gehört auch zu denjenigen wichtigen Wörtern des Neuen Testaments, deren Erklärung uns nicht ausdrücklich gegeben wird, sich aber doch überalle vollständig verständlich erweist. Wörtlich heißt es,, es ist ja aus verständlichem griechischem Sprachstoff gebildet, "Verkündigung des Guten" oder besser gesagt "Verkündigung des Heiles" und dieses Heil ist kein anderes, als das Kommen des Heilands  Christus  in die Welt. In der Apostelgeschichte (13, 26) heißt es "euch ist das Wort dieses Heils gesandt": das Wort dieses Heils ist eben das Evangelium, das  Paulus  öfter (Korinther 1, 9, 18; 2, 2, 12; 9, 13. Galater 1, 7) bestimmter nennt das Evangeliums Christi oder im Brief an die Epheser (1, 13) "das Evangelium von eurer Seligkeit".  Christus  selbst gibt den Inhalt in den Worten (Matthäus 18, 11; auch Lukas 19, 10) "des Menschen Sohn", so nennt er sich ja mit Vorliebe selbst, "ist gekommen, selig zu machen, das verloren ist". Das Evangelium vom Reich Gottes, wie es Lukas 8, 1 heißt, sagt auch wiederum dasselbe: denn das Reich Gottes ist eben das von  Christus  begründete, wie er selbst an einer anderen Stelle (Lukas 10, 9) sagt "das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen" oder in der oben angeführten Stelle (Matthäus 4, 17) "das Himmelreich ist nahe herbeigekomme". Das Glauben an das Evangelium ist somit auch gar nichts anderes, als das Glauben an  Christus  selbst und an seine Heilangswirksamkeit.

Aber noch eins scheint einer besonderen Erwägung wert, das ich im Vorausgehenden noch nicht berührte. Im ersten Brief des  Johannes  (5, 5) wird gesagt "wer ist aber, der die Welt überwindet, ohne der da glaubet, daß Jesus Gottes Sohn ist". Da scheint doch noch etwas ganz Neues ausgesprochen, das Glauben, daß  Christus  Gottes Sohn ist; eine Ausdrucksweise, die beachtenswerterweise nur bei  Johannes  begegnet. So sagt  Petrus  zu  Christus  (Johannes 6, 69) "wir haben geglaubet und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" und ganz ähnlich  Lazarus ' Schwester  Martha  (Johannes 11, 27) "ich glaube, daß du bist Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist" und  Johannes  schreibt gegen Ende seines evangelischen Berichtes (20, 31) "diese (Zeichen) aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christ, der Sohn Gottes".  Christus  selbst äußerst sich in Bezug auf das Glauben in der angeführten Weise nur ein einziges Mal (Johannes 9, 35 bis 37), wo er sich an den geheilten Blindgeborenen mit der Frage wendet "Glaubst du an den Sohn Gottes?" und der Angeredete entgegnet "Herr, welcher ist es, auf daß ich an ihn glaube?" und  Christus  sagt darauf "du hast ihn gesehen und der mit dir redet, der ist es".

Wie nun aber der Name des Menschensohnes, den, wie ich schon bemerkte,  Christus  mit Vorliebe von sich selbst gebraucht, in seinem Grund noch keine ausreichende Erklärung gefunden hat, so wird man es auch als besonders schwierig bezeichnen dürfen, den Begriff des Sohnes Gottes klar festzustellen, und ich kann mich nicht vermessen wollen, das etwa hier in der Kürze noch zu versuchen. Ein paar Worte darf ich aber wohl noch hinzufügen, bei denen ich davon absehe, ob etwa auch heutzutage noch in der Christenwelt eine so naive Vorstellung von diesem Ausdruck besteht, wie sie sich zum Beispiel noch auf manchem alten Bild ausspricht, wo  Christus  neben seinem alten Vater auf einem Thron sitzt, weil ja von ihm im Evangelium (Markus, 16, 19) gesagt wird: "er sitzet zur rechten Hand Gottes".

Wenn der Inhalt des Glaubens an  Christus  und damit die Grundlage allen christlichen Glaubens sich herausgestellt hat als der Glaube daran,, daß  Christus  als Heiland der ganzen Menschheit in die Welt gekommen ist, so kann und darf dieser Glaube von keinem anderen etwa ebenso wertvollen durchkreuzt werden. Er muß einzig und obenan stehen. Wohl aber wird dieser Glaube, wenn er wirklich fest und unerschütterlich ist, ohne weiteres den in sich schließen, daß  Christus  nich von sich aus und aus bloß menschlichem Drang als Heiland in die Welt trat, sondern in vollster göttlicher Machtvollkommenheit, wie ja auch  Johannes  (3, 27) in Bezug auf ihn sgt "ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel".  Christi  eigene Worte darüber gibt  Johannes  (17, 8) aus seinem Gebet zu Gott: "denn die Worte, die du mir gegeben hast, hab ich ihnen gegeben; und sie habens angenommen, und erkannt wahrhaftig, daß ich von dir ausgegangen bin, und glauben, daß du mich gesandt hast". Und noch anders, aber wieder in ganz gleichem Sinn, drückt sich  Christus  gegen  Filippus  aus (Johannes 14, 10) "Glaubest du nicht, daß ich im Vater und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst". Wie die vielleicht sehr naive Phantasie, ich kann da nich sagen "der Glaube", des Einzelnen sich den Sohn Gottes zurecht deutet, das ist ganz und gar gleichgültig. Die genauere Begründung des Namens selbst und welche besonderen Beziehungen dabei bestehen, das kann ebenso wie beim Namen "Christus", den sich auch nicht jeder seinem eigenen Geschmack ausbeuten kann, einzig und allein strenge Wissenschaft genauer festzustellen versuchen.

Wenn wir nun am Schluß unserer kurzen Betrachtung des christlichen Glaubens noch einmal auf sein Verhältnis zur Wissenschaft überhaupt hinblicken, so müssen wir sagen, daß  unser  Glaube der Wissenschaft gar nicht entbehren kann, denn wir können uns ja nicht mehr in die Hunderte und Tausende hineindrängen, die durch die unmittelbare persönliche Gottesgewalt  Christi  angezogen wurden. Wir kennen ihn nur aus historischen Berichten, die nie so unmittelbar wirken können, wie eine große leibhaftige Persönlichkeit; wir müssen uns auf eine bloße Mitteilung anderer verlassen und schon mancherlei wissen und verstehen, um jene Berichte selbständig lesen zu können, und es bedarf schon einer sehr umfassenden Wissenschaft, wenn man es mit diesem Verständnis ernst und streng nehmen will. Es gehören sprachliche und historische und vielerlei andere Kenntnisse dazu, wie sie in der besonderen Beziehung zur heiligen Schrift ja die theologische Wissenschaft in sich schließen soll. Unumgänglich notwendig aber ist diese Wissenschaft insbesondere deshalb, damit sie auch den christlichen Glauben schütze. Sie soll ihn schützen gegen Fälschungen und Verunstaltungen, wie sie im Laufe der Zeit in so großer Menge sich ans Licht gedrängt haben. In Konflikt geraten aber mit dem wirklich christlichen Glauben wird die Wissenschaft, wie gewaltig sie auch durch die Jahrhunderte und die Jahrtausende weiter schreiten mag, solange die Welt steht, niemals.

LITERATUR Leo Meyer, Über Glauben und Wissen, Dorpat 1876