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KARL CHRISTIAN PLANCK
(1819-1880)
Die Grundbegriffe des Rechts
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"Daß die Errichtung einer allgemein gesetzlichen Ordnung, der Staat also ein Vertrag ist, der seinem allgemein wesentlichen Inhalt nach kein Vertrag, sondern ein ursprüngliches Rechtsgesetz, eine strenge Rechtspflicht ist, und nur der besonderen freien Form seines Inhaltes nach der freien Rechtsbefugnis überlassen, also ein wirklicher Vertrag ist - die ist die einzig richtige Vereinigung derjenigen Ansicht, welche von einem einseitigen religiösen oder sittlichen Standpunkt aus dem Staat den Charakter eines Vertrages absprechen will und der entgegengesetzten, welche den Staat bloß als einen Vertrag zu fassen weiß."


§ 4. Der Begriff des reinen Vertrages

Als die äußere Zusammenstimmung des Handelns mit den gegenständlichen Bedingungen des vorausgesetzten wesentlichen Begriffs der freien Person ist das Recht selbst ein ursprünglich vorausgesetztes, ein unabhängig ansich bestehendes und bedingendes Gesetz, welches nicht erst durch die subjektive Anerkennung von Seiten des Handelns zum Recht wird, sondern wenn überhaupt ein Recht sein soll, von dem Handelns als dieses schon vorausgehende Gesetz anzuerkennen ist.

Allein der Wille hat auch zufolge seines Begriffs innerhalb desjenigen Gebietes, welches nicht zu jenen allgemein wesentlichen gegenständlichen Bedingungen seiner Bestimmung, sondern der einzelnen Besonderheit angehört, das freie rechtliche Dürfen, die freie Rechtsbefugnis, deren äußere Anerkennung selbst eine Rechtspflicht ist. Und hier auf beruth es, daß sich auch ein erst durch die Anerkennung von Seiten des handelnden Subjekts gesetztes Recht bilden kann. Dieses Recht, welches nicht mehr wie jenes erstere für die Anerkennung schon als Recht vorauszusetzen ist, sondern erst durch die äußere Anerkennung selbst zum Recht wird, bildet ebenso den einfachsten wie den allein vollständigen und wahrhaft wissenschaftlichen Begriff des Vertragsrechts.

Der Wille kann sich nämlich innerhalb dessen, was seinem freien rechtlichen Dürfen anheimgegeben ist, beliebig einer Sache entäußern und durch die von ihm ausgehende freie und äußere Anerkennung anderen ein auf diese Sache bezügliches Recht geben. Dies ist die allgemeinste Grundform, die allem und jedem Vertrag und dem von ihm hervorgebrachten Recht zugrunde liegt.

Demzufolge schließt der Begriff des Vertrages keineswegs immer ein gegenseitiges Tun zweier oder mehrerer sich vertragender Willen in sich, sondern die erste und einfachste Form des Vertrags ist die, in welcher nur von einer Seite duch die äußere Anerkennung anderen ein Recht gegeben wird. Und es ist gewiß nicht zu leugnen, daß auch dies mit Recht ein Vertrag genannt wird. Denn derjenige, von welchem jene Anerkennung ausgeht, und welcher also andern ein Recht einräumt, macht sich ebendamit rechtlich gegenüber den andern verbindlich, dieses ihnen zugestandene Recht anzuerkennen. Dies ist aber der hergebrachten Bedeutung des Wortes nach bereits ein Vertrag. - Zunächst ist also:

1. Der einseitige Vertrag nach seinen wesentlichen Formen zu erörtern. Da es sich für den Begriff des Rechts überall nur um die frei äußerlich tatsächliche Anerkennung handelt, so ist

 a)  schon die bloße äußerlich tatsächliche nicht ausdrücklich bezeichnete, wohl aber auf einem freien Tun beruhende Preisgebung (Veräußerung) einer Sache, über die der Wille die freie Rechtsbefugnis hat, ein Vertrag zu nennen. Denn schon diese Preisgebung, wie sie sich in der Unterlassung der Besitznahme und in einem beharrlichen Nichtgebrauch der Sache (in der fortgesetzten Beziehungslosigkeit gegen dieselbe) äußert, ist dem äußerlich sachlichen Handeln nach eine Anerkennung davon, andere von dieser Sache Besitz nehmen lassen zu wollen. Und ebendamit erhalten die andern eine Rechtsbefugnis auf diese Sache, so daß sich der ursprüngliche Eigentümer dem äußerlichen Sachverhalt nach rechtlich verbindlich macht, andere, wenn sie von jener Sache Besitz genommen haben, in demselben anzuerkennen. - Es muß zwar vollkommen zugestanden werden, daß diese erste und dürftigste Form eines durch die tatsächliche Anerkennung gewordenen Rechts von der gewöhnlichen hergebrachten Bedeutung, die man mit dem Wort  Vertrag  verbindet, am entferntesten liegt. Allein der Wille hat doch hierin dem reinen äußerlichen Sachverhalt nach (und eben auf diesen kommt es an) einen Vertrag mit den anderen eingegangen, hat sich auf sachliche Weise, wenn auch nicht ausdrücklich, vielleicht nicht einmal mit einem ausdrücklichen Bewußtsein, sondern aus bloßer Fahrlässigkeit, aus einem bloßen Mangel eines auf die betreffende Sache bezüglichen Willens gegenüber den anderen eine Verbindlichkeit auferlegt, sie, wenn sie von jener Sache Besitz nehmen, darin anzuerkennen. Und so wird sich der Begriff des Vertrags mit Recht auch auf diese erste noch ganz auf einer Unterlassung beruhende Form des durch Anerkennung gewordenen Rechts anwenden lassen, zumal da keine anderweitige und näher liegende Bezeichnung für diese allgemeine Rechtsform vorhanden ist.

 b)  Die zweite schon entwickeltere Form dieses einseitigen Vertrages ist die ausdrückliche entweder ausgesprochene oder anderweitig bezeichnete Preisgebung einer einzelnen dem freien Dürfen anheimgegebenen Sache. Diese Form hat mit der ersten noch das gemeinsam, daß sie nicht erklärt, wen sie von der Sache Besitz nehmen lassen will, sondern im Gegensatz gegen eine solche positive und bestimmte Zuerkennung gleichfalls nur erst das Negative der Veräußerung ausdrückt, also nur auf unbestimmte Weise andern überhaupt ein Recht gibt, eine Sache in Besitz zu nehmen.

Dagegen ist die vollständig bestimmte Form dieses einseitigen Vertrages erreicht

 c)  im eigentlichen Schenkungsvertrag als ausdrücklicher Veräußerung (Abtretung) einer Sache an eine bestimmte Person oder Anzahl von Personen. Hier erst, wo die Abtretung der Sache oder ihre Zuerkennung an eine andere Person eine ausdrücklich bezeichnete ist, kann nun auch der Unterschied eintreten, daß die Zuerkennung entweder eine einfach unbedingte ist oder an eine Bedingung, entweder irgendein gegenständliches Geschehen überhaupt, oder an irgendein bestimmtes Tun des andern, welchem die Sache zuerkannt werden soll, geknüpft ist. - Auch in diesen beiden Fällen ist der Schenkungsvertrag:

 α)  noch ein bloß einseitiger, falls die Bedingung, an welche er geknüpft sein mag, eben nur entweder in einem gegenständlichen Geschehen oder einem äußeren Handeln des anderen besteht. Denn obgleich die Zuerkennung erst durch das wirkliche Eintreten der Bedingung ihre Vollendung (Realisierung) erhält, so ist sie dabei doch mittels eines bloß einseitigen Vertrages vollendet. - Anders aber verhält es sich, wenn

 β)  die Zuerkennung an die Bedingung geknüpft ist, daß dem Handelnden von Seiten des andern, an welchen die Zuerkennung geschieht, gleichfalls eine bestimmte Sache zuerkannt wird. Denn auf diese Weise erhält der Vertrag seine Vollendung (Realisierung) erst durch einen entsprechenden Vertrag auf der Seite des andern und es führt diese Form von selbst über

2. zum gegenseitigen Vertrag, in welchem die äußere Zuerkennung einer Sache beiderseits an eine bestimmte gegenseitige Zuerkennung geknüpft ist. Denn wenn dies nicht der Fall ist, sondern jeder nur unabhängig von der Zuerkennung des andern diesem letzteren etwas zuerkennt, so haben wir bloß zwei oder mehrere einseitige Verträge, ncht aber einen zusammengehörigen sich gegenseitig bedingenden Vertrag. Diese Form des Vertrages, welche vorzugsweise und in der engeren Bedeutung des Wortes als Vertrag bezeichnet wird, ist also ihrem Wesen nach ein Tauschvertrag, indem darin für die eine Zuerkennung eine andere Zuerkennung eingetauscht wird.

Zur freien Abtretung und Zuerkennung einer Sache, wie sie für den Vertrag und das dadurch entstehende Recht wesentlich ist, gehört ein Bewußtsein von dem, was die Sache ist, also vor allem von ihrem Wert. Denn soweit dieses Bewußtsein nicht vorhanden ist, soweit ist auch die Abtretung der Sache keine frei gewollte, sondern ist bloß ein äußerliches Weggeben derselben. - Soweit jedoch die Unbekanntschaft mit dem Wert der Sache selbst wiederum als eine bewußte betrachtet werden kann, so daß also die Sache mit dem Bewußtsein eines nicht gekannten unbestimmt großen Wertes derselben abgetreten wurde, insofern ist auch die Abtretung als eine frei rechtsgültige Handlung zu betrachten. - Und ebenso ist die bloße Fahrlässigkeit (der Mangel an intensivem Willen sein Eigentum in acht zu nehmen), die es unterläßt, sich über den Wert der betreffenden Sache Gewißheit zu verschaffen, rechtlich verpflichtet, den Verlust zu tragen, der ihr durch diese Fahrlässigkeit bei der Abtretung oder dem Ankauf einer Sache erwächst. - Anders verhält es sich, soweit die Unbekanntschaft mit dem Wert der betreffenden Sache und der hierauf beruhende Vertrag nicht von Fahrlässigkeit abzuleiten ist, und auch kein Wille vorhanden war, einen unbestimmt großen Wert abzutreten oder anzukaufen. Denn insoweit beruth der Vertrag nicht auf einer wahrhaft freien bewußten Zuerkennung, sondern ist bloß als ein äußerliches nicht rechtskräftiges Weggeben zu betrachten. Auf diesem Verhältnis beruth im allgemeinen der juristische Begriff der  laesio enormis  [übermäßige Schädigung - wp], durch welche ein Vertrag ansich nichtig wird. Derjenige aber, welcher sich mit Bewußtsein ein solches ansich ungültiges Vertragsverhältnis zunutze macht, handelt ebendamit rechtswidrig betrügerisch, sofern er ja in Wahrheit ohne die freie bewußte Zuerkennung des andern in das Eigentum desselben eingreift.

Ohnedies kann dem ganzen Begriff des Vertrags zufolge nichts durch denselben veräußert werden, was zu den gegenständlichen äußeren Bedingungen des wesentlichen Begriffs (oder der Bestimmung) der Person gehört. Diese unveräußerlichen Rechte stehen ihrem wesentlichen allgemeinen Inhalt nach außer und über allem Vertrag. Denn dieser hat sein Gebiet nur innerhalb dessen, was dem freien rechtlichen Dürfen überlassen ist, dieses aber erstreckt sich nicht über jene wesentlichen für alle subjektive Anerkennung schon vorausgesetzten Rechtsbedingungen. Jeder Vertrag also, der ein solches wesentliches unveräußerliches Recht abtritt, ist nicht nur ansich nichtig und kann rechtlich jederzeit als ein nichtiger behandelt werden, sondern es ist auch der Gebrauch, den der andere von einem solchen angeblichen Vertragsrecht macht, zumindest der Sache nach ein widerrechtlicher, weil er die ursprünglichen und ewigen zum Begriff der Person gehörigen Rechte verletzt. Es zeigt sich also hier noch in bestimmterer Weise innerhalb des Vertrags die notwendige und wesentliche Beschränkung jenes Satzes:  volenti non fit iniuria.  Denn es ist nicht nur immer eine äußere Anerkennung, eine tatsächlich erklärte Einwilligung, folglich irgendeine Form des Vertrags erforderlich, wenn ich eine Rechtsbefugnis auf irgendetwas erhalten soll, was vorher zum Rechtsgebiet eines anderen gehörte, (während ohne jene Einwilligung des andern, also ohne den Vertrag, jedes Eingreifen in jenes Gebiet eine Rechtsverletzung, eine Beleidigung der freien Selbstheit ist), sondern auch der Vertrag selbst ist nicht rechtsgültig, sobald er eines jener wesentlichen unveräußerlichen Rechte berührt, und also auch dem Einwilligenden geschieht durch die Benützung dieses Zugeständnisses dennoch ein Unrecht, sowie er selbst durch jenes Zugeständnis ein Unrecht begeht. - Und dieses Rechtsverhältnis erstreckt sich viel weiter, als die gewöhnliche Vorstellung sich zum Bewußtsein bringt.

Endlich versteht sichvon selbst, daß der Vertrag immer nur in der Veräußerung einer der Person selbst zustehenden Rechtsbefugnis sein Wesen haben kann. Niemals kann die Person durch ihre äußere subjektive Zuerkennung einem andern eine fremde Rechtsbefugnis zuwenden; denn die fremde Rechtsbefugnis ist ein für alle subjektive Anerkennung schon Vorausgesetztes, rechtlich von ihr Unabhängiges.


§ 5. Der Begriff des wesentlichen Vertrags

Der reine Vertrag gehört seinem Begriff zufolge ganz dem freien rechtlichen Dürfen der subjektiven Befugnis an und wie er selbst seinem Inhalt nach nichts mit den wesentlichen Rechtspflichten und Rechtsbedingungen zu tun hat, so kann er ebendeshalb nie rechtlich gefordert sein.

Allein so gewiß dies vom reinen Vertrag gilt, so gewiß ist es andererseits, daß das Rechtsgesetz selbst, die ursprünglich vorausgesetzte bedingende Rechtspflicht, für ihre Erfüllung, für die vollständige Verwirklichung und Sicherung des Rechts bestimmte Arten des Vertrags fordert, sich nur mittels dieser vollzieht. Und dies ist kein reiner Vertrag mehr, sondern ein solcher, der seinem wesentlichen allgemeinen Inhalt nach Rechtspflicht ist und nur hinsichtlich der besonderen und freien durch das Rechtsgesetz selbst noch nicht festgesetzten Form, in welcher sich jener wesentliche Inhalt vollzieht, freier subjektiver Vertrag ist.

Bleiben wir zunächst aber beim bloß formalen Begriff des Rechts stehen, so fordert schon dieser allgemeinste Begriff des Rechts als einer zusammenstimmenden allgemein gesetzlichen Ordnung des Handelns ansich auch eine allgemein gesetzliche Sicherung dieser Ordnung. Das Recht wäre nicht wahrhaft als diese äußere Ordnung gesetzt (gesichert), wenn nicht durch das Handeln selbst eine gemeinsame gesetzliche Gewalt aufgestellt wäre, welcher die Befugnis und die Rechtspflicht zukäme, die äußerliche rechtliche Ordnung aufrecht zu erhalten und welche durch die Unterwerfung aller unter diese Gewalt mit den nötigen äußeren Mitteln hierzu ausgerüstet wäre. Diese Aufstellung oder Übertragung einer allgemein gesetzlichen Gewalt, durch welche die Rechtsforderung erst zur wirklichen gesetzlich gesicherten Ordnung wird, ist aber ihrer bestimmten Form nach Sache eines gemeinsamen Vertrages. Denn daß gerade diese oder jene bestimmte Person oder Mehrheit von Personen mit jener gesetzlichen Gewalt bekleidet wird, und alles was sonst noch zur unwesentlichen besonderen Form in der Ausführung jenes Rechtszwecks gehört, dies kann nur durch die freie Zuerkennung der Gemeinschaft seine Rechtskraft erhalten und es ist insofern selbst Rechtspflicht, daß die Aufstellung einer gesetzlichen Ordnung durch die freie gemeinsame Übereinkunft, durch Vertrag geschieht. Allein nichtsdestoweniger ist dieser Vertrag nach seinem allgemeinen wesentlichen Rechtszweck keine frei subjektive im Belieben der Willen stehende Übereinkunft, ist also insofern kein Vertrag, sondern die Erfüllung einer Rechtspflicht. Es gibt deshalb eine ursprüngliche durch das Rechtsgesetz selbst geforderte Nötigung, kraft welcher die einzelnen angehalten werden können, sich mit den anderen unter eine gemeinsam aufzustellende gesetzliche Gewalt zu begeben.

Jene Aufstellung einer allgemein anerkannten gesetzlichen Macht ist aber in doppelter Hinsicht für die Sicherung des Rechts notwendig, nämlich:
    1) in sachlicher Hinsicht, sofern durch eine ausdrücklich dazu aufgestellte und verpflichtete sowie durch ihre äußeren Mittel der einzelnen subjektiven Willkür überlegene Macht ein wahrer äußerer Rechtsschutz stattfindet. -
Sie ist aber auch
    2) nach der subjektiven Seite des rechtlichen Handelns gefordert, sofern wiederum nur eine ausdrücklich aufgestellte und auf die Handhabung des Rechts verpflichtete Macht in einer öffentlich erklärten und rechtlich bekräftigten Weise als eine solche erscheint, die auch von Seiten des subjektiven Bewußtsein den Rechtsschutz als solchen im Auge hat, während, wenn es bloß den besonderen Willen selbst überlassen wäre, ein Unrecht abzuwehren und zu negieren, hierin ebensogut ein eigensüchtiges willkürliches Interesse, bloße Rachsucht usw. tätig sein könnte, und so auch bei einer scheinbar gerechten Handlung doch keine Bürgschaft vorhanden wäre, daß sie nicht in der Tat eine widerrechtlich willkürliche ist.
Es ist also Rechtspflicht, durch die Einsetzung einer allgemein gesetzlichen bürgerlichen Ordnung allen auf äußere Weise die Sicherheit zu geben, daß der Rechtsschutz in bewußter und erklärter Weise sich als Rechtsschutz vollzieht; es muß ihm derselbe auf öffentlich erklärte Weise von der bloßen subjektiven Leidenschaft und Willkür gereinigt und vielmehr der allgemein gesetzliche Charakter des bewußten Rechtsschutzes aufgeprägt sein. Denn so wenig es auch beim rechtlichen Handeln auf die Gesinnung ankommt, so muß es doch ein freies Handeln mit Bewußtsein des Rechts sein. Wo aber stattdessen vielmehr eine subjektive Leidenschaft und Willkür handelt, da kann auch eine bei rechtlichem Bewußtsein gerechtfertigte Handlung dennoch eine rechtswidrige, eine Verletzung des Begriffs der freien Person sein.

Demgemäß ist auch innerhalb der gesetzlichen Ordnung dem einzelnen die Selbsthilfe nur da gestattet, wo sie zufolge der besonderen Natur der Sache durch den Rechtszweck selbst gefordert ist.

Jene allgemeine Sicherung des Rechts ist indessen nicht nur durch die aufgestellte gesetzliche Gewalt gegeben, sondern auch die einzelnen Willen für sich geben durch die rechtlich bekräftigte Unterordnung unter jene Gewalt relativ die Sicherheit, rechtlich handeln zu wollen.

Was nun die bestimmten Pflichten und Befugnisse der gesetzlichen Gewalt sind, dies läßt sich erst vom bestimmten materialen Begriff des Rechts aus entwickeln. So viel folgt jedoch schon aus dem rein formellen Begriff des Rechts, daß, soweit dasselbe ein für die subjektive Anerkennung schon vorausgesetztes ursprünglich bedingendes ist, auch die hierfür aufgestellte gesetzliche Gewalt nicht mehr von einem frei subjektiven Willen derer abhängig sein kann, welche ihr diese gesetzliche Macht übertragen haben, sondern daß sie in dieser Beziehung die unabhängig ansich bestehende Wahrung des Rechts sein muß, da sonst der allgemeine Gesichtspunkt des Rechts in sich selbst verkehrt sein würde. Nun in demjenigen, was der Natur des Rechts nach dem frei subjektiven Willen und Vertrag überlassen ist, muß den vielen besonderen Willen diese freie Befugnis bleiben.

Daß die Errichtung einer allgemein gesetzlichen Ordnung, der Staat also ein Vertrag ist, der seinem allgemein wesentlichen Inhalt nach kein Vertrag, sondern ein ursprüngliches Rechtsgesetz, eine strenge Rechtspflicht ist, und nur der besonderen freien Form seines Inhaltes nach der freien Rechtsbefugnis überlassen, also ein wirklicher Vertrag ist - die ist die einzig richtige Vereinigung derjenigen Ansicht, welche von einem einseitigen religiösen oder sittlichen Standpunkt aus dem Staat den Charakter eines Vertrages absprechen will und der entgegengesetzten, welche den Staat bloß als einen Vertrag zu fassen weiß. Die letztere Ansicht widerspricht schon dem ersten Grundbegriff des Rechts, wonach es ein dem freien subjektiven Tun schon vorausgehendes auf dem Begriff und Wesen der freien Person beruhendes Gesetz ist, dessen äußere Sicherung mittels einer allgemein gesetzlichen Ordnung gleichfalls ein ursprüngliches Rechtsgesetz ist.


§ 6. Entwicklung des Begriffs der Strafe

Die gesetzliche Macht hat ihre rechtliche Bestimmung nicht bloß darin, durch ihr Dasein die Verwirklichung des Rechtszwecks zu sichern, und die Rechtsverletzung zu verhüten, sondern auch das Rechtsgesetz gegen die geschehene Rechtsverletzung in einer öffentlich erklärten Weise aufrechtzuerhalten.

Das geschehene Unrecht läßt sich freilich nicht ungeschehen machen. Es kann nur etwa nach Beschaffenheit der Umstände von einem rechtlichen Ersatz für dieses Unrecht die Rede sein, was etwas ganz anderes ist als die Strafe, denn diese bezieht sich auf das widerrechtliche Handeln, dagegen der rechtliche Ersatz auf die verletzte Person.

Allein die geschehene Rechtsverletzung hat eine ganz andere allgemeine Bedeutung, als daß sie sich für sich selbst als diese einzelne geschehene Handlung festhalten ließe. Wäre die betreffende Handlung wirklich von keiner anderweitigen allgemeinen Bedeutung, so wäre sie freilich nur wie ein äußerlich geschehener Unfall zu betrachten und es könnte rechtlich nur davon die Rede sein, den Handelnden wie irgendeinen äußeren schädlichen Gegenstand (ein schädliches Tier usw.) unschädlich zu machen. Allein dies könnte nur von einer solchen Handlung gelten, welche gar keine freie bewußte Verletzung des Rechts wäre. Sofern und soweit aber die Handlung eine freie und bewußte Rechtsverletzung ist - und nur als diese frei bewußte ist sie ja überhaupt eine widerrechtliche zu nennen - so hat sie auch zugleich eine über diese geschehene einzelne Handlung hinausgreifende allgemeine Bedeutung, nämlich

1) hat darin der Verbrecher sozusagen ein allgemeines Gesetz, einen Grundsatz seines Handelns aufgestellt, zufolge dessen er sich erlaubt, die freie Person überaupt zu verletzen. Denn daß er für sich selbst gerade diese einzelne Person verletzen wollte, dies ist hierbei insofern ganz gleichgültig, als ja nicht die empirische Besonderheit der Person das ist, was sie zur Rechtsperson macht, sondern vielmehr alle eben durch das Allgemeine in ihnen Rechtspersonen sind. Der Verbrecher hat also in seiner Handlung mit freiem Bewußtsein die freie Person überhaupt verletzt. Folglich muß, damit die äußere Zusammenstimmung des Handelns mit dem Begriff der freien Person aufrechterhalten wird, das Handeln des Verbrechers negiert werden. Es muß also dem Verbrecher entweder überhaupt die Freiheit zu einer solchen Verletzung der freien Person genommen oder es muß jenes Handeln sonst auf irgendeine äußere tatsächliche Art in der Person des Verbrechers negiert werden, so daß ,auch wenn er wieder frei gegeben wird, für sein Bewußtsein jede derartige oder sonstige Verletzung der Person auf öffentlich erklärte tatsächliche Weise als eine unerlaubte, als ein ansich zu negierendes Tun gesetzt und also hierin ungeachtet des Verbrechens doch die allgemeine öffentliche Sicherung des Rechts aufrechterhalten ist.

Eine Wiederholung des schon bestraften Verbrechens fordert, wenn es auch seinem äußerlichen Objekt nach nicht schwerer ist als das frühere, doch notwendig eine verschärfte Negierung, weil in der Wiederholung unmittelbar ausgesprochen liegt, daß für das Bewußtsein des Verbrechers sein Handeln durch die frühere Strafe noch nicht als ein wahrhaft negiertes gesetzt ist und hierin zugleich eine intensivere Verletzung, eine Nichtachtung des durch die Strafe vollzogenen öffentlichen Rechtschutzes enthalten ist.

Allein die Strafe hat nun freilich nichts weniger als bloß diese Bedeutung, das rechtswidrige Handeln dieses einzelnen Verbrechers aufzuheben, es als dieses rechtswidrige für künftig zu verhüten, sondern das Verbrechen selbst wie die Strafe hat

2) noch eine ganz andere wahrhaft allgemeine Bedeutung. Es ist ja im Verbrechen überhaupt eine bewußte Verletzung der freien Person enthalten, es ist darin sozusagen ein allgemeiner Grundsatz aufgestellt, welcher sich erlaubt, die freie Person zu verletzen. Würde nun die allgemeine gesetzliche Ordnung, innerhalb welcher dies geschieht, ruhig dabei zusehen, so würde sie ihrerseits auf öffentliche Weise jenen allgemeinen Grundsatz die Verletzung der freien Person zulassen, würde sie als ein innerhalb der Gemeinschaft gesetzlich gültiges Tun anerkennen und auf öffentliche Weise selbst das Recht aufheben. Damit also die Rechtsverletzung nicht eine öffentliche, d. h. von Seiten der Rechtsgemeinschaft selbst zugelassene wird, muß sie in der Person des Verbrechers auf eine öffentlich erklärte Weise für das Bewußtsein der ganzen Rechtsgemeinschaft äußerlich tatsächlich negiert werden, so daß die Rechtsordnung ungeachtet des vom einzelnen geschehenen Verbrechens dennoch mit sich selbst im Zusammenhang ist und bleibt.

Und hiermit erst ist der Begriff der Strafe als der für das Bewußtsein der ganzen Rechtsgemeinschaft gesetzten äußerlich tatsächlichen Negierung des widerrechtlichen Handelns in seiner vollen Bedeutung ausgesprochen.

Es fragt sich nun näher: Wie ist jene an der Person des Verbrechers geschehene äußere Negation, durch welche allgemein dieses widerrechtliche Handeln negiert werden soll, zu denken?

Für die genaue Würdigung dieser Frage ist davon auszugehen, daß es sich in der Strafe nicht darum handelt, die Person des Verbrechers als solche nach seinem Fürsichsein zu negieren, sondern darum, daß in der Negierung des Verbrechers der von ihm aufgestellte allgemeine Grundsatz, dieses allgemeine widerrechtliche Handeln für das Bewußtsein der ganzen Gemeinschaft auf wahrhafte tatsächliche Weise negiert, als ein von der gesetzlichen Macht nicht zugelassenes gesetzt wird. Demzufolge ist durch den reinen Begriff der  Strafe  nicht notwendig gefordert, daß die Person des Verbrechers selbst in demselben Grad negiert wird, in welchem er selbst die freie Person negiert hat, sondern nur das, daß der Verbrecher für das öffentliche Bewußtsein auf eine genügende Weise negiert wird.

Diese Negierung nun, wie sie im Begriff der Strafe gefordert ist, hat eine andere Bedeutung als die im Verbrechen geschehende, welche dem Gebiet einer ganz unbestimmten willkürlichen und äußerlichen Möglichkeit angehört. Der Gesichtspunkt für die in der Strafe zu setzende Negierung dagegen ist der allgemein vernünftige, welcher eine bestimmte Grenze hat gegenüber der unbestimmbaren und willkürlichen Möglichkeit der im Verbrechen geschehenden Verletzung.

Nur muß das Maß der Strafe einerseits freilich im entsprechenden Verhältnis zur Größe des Verbrechens stehen. Denn ein schweres Verbrechen nicht schärfer zu bestrafen als ein leichtes Vergehen, dies würde in sich schließen, daß der Staat das höhere Maß an Rechtswidrigkeit nicht beachtet, ungeahndet läßt, insofern also die Rechtswidrigkeit zuläßt. Der Verbrecher ist also allerdings im Sinne der Strafe soweit zu negieren, als er selbst das Recht verletzt hat. - Allein andererseits ist dieses entsprechende Verhältnis, in welchem Das Maß der Strafe zur Größe des Verbrechens stehen muß, doch keineswegs eine Identität des Strafmaßes mit dem Maß des Verbrechens, sondern der Begriff der Straf muß im Gegensatz gegen die bloße Beziehung auf das Maß des Verbrechens ebensosehr für sich selbst nach seiner unterscheidenden Bedeutung gefaßt werden, wonach er nur das fordert, daß an und für sich für das allgemeine Bewußtsein das Verbrechen als ein von Seiten des Staates ernsthaft negiertes gesetzt ist. Dies aber kann nach den Verhältnissen vollkommen der Fall sein, auch ohne daß die Person des Verbrechers geradezu in demselben Grad negiert wird, in welchem der Verbrecher selbst die freie Person verletzt hat.

Der Maßstab der Strafe ist ihrem Begriff zufolge ein vom Grad des Verbrechens selbst selbständig unterschiedener.

Demgemäß ist nun auch für die völlige Aufhebung der freien Selbstheit, den Mord, keineswegs durch den Begriff der Strafe ansich die Todesstrafe gefordert. Sofern das Handeln des Verbrechers im Mord als ein seinem ganzen Umfang nach widerrechtliches schlechthin zu negieren ist, muß er freilich für immer negiert sein (lebenslängliche Freiheitsstrafe), da eine Freigebung des Verbrechers nach irgendeinem bestimmten Zeitraum die Bedeutung hätte, als ob sein Handeln keine völlige Aufhebung der freien Person gewesen und deshalb nur bis zu einem gewissen Grad aufzuheben wäre, überhaupt als ob die Negation sich nicht auf sein Dasein im Ganzen betrachtet, also auf seine ganze Lebenszeit bezieht. Allein keineswegs folg, daß die Person des Mörders in demselben äußerlichen Sinn schlechthin negiert werden muß, daß für die öffentliche Negation des in der Tat des Verbrechers enthaltenen allgemeinen Handelns je nach der Beschaffenheit des öffentlichen Rechtszustandes schon dies genügen kann, daß der Verbrecher, auch wenn er fortexistiert, doch in dieser seiner Existenz selbst im Ganzen betrachtet, für das öffentliche Bewußtsein als ein negiertes gesetzt ist, indem ihm alle sonstigen äußeren Lebensgüter, durch die das Leben erst seinen Wert erhält und die zum wirklichen Rechtsdasein gehören würden, entzogen sind. Gegen diesen wahrhaft begrifflichen Gesichtspunkt gehört die Tötung der Person bereichts zu einem nicht mehr wesentlichen, durch die Strafe geforderten, sondern nur äußerlich möglichen Grad der Regierung.

Etwas ganz anderes aber ist es mit der empirischen Frage, ob in einem Rechtszustand, wie in unserem jetzigen, auch schon die Zeit gekommen ist, welche selbst für den Mord die Todesstrafe entbehren könnte. Und darauf darf wohl mit Recht geantwortet werden, daß ein Zustand, welcher noch so mannigfach erst nach einer Herstellung der wesentlichsten äußeren Bedingungen des Rechts aller, eines gesicherten und genügenden Eigentums usw. strebt, in welchem daher selbst die elende und dürftige Existenz, welche dem Verbrecher noch bleibt, zum Teil aus dem Gesichtspunkt öffentlicher Ernährung und Erhaltung desselben durch den Staat betrachtet werden kann, und in welchem die Roheit der unteren Volksklassen zum Teil noch so groß ist - daß ein solcher Zustand schwerlich schon reif ist, um rechtlich eine Strafe ganz entbehren zu können, die in einem höheren ausgebildeten Zustand allerdings nicht mehr gefordert sein wird. - Zumal aber die allgemein grundsätzliche oder gesetzliche Aufhebung der Todesstrafe, bei welcher für die Rechtspflege keine Entscheidung über eine Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit im einzelnen Fall übrig gelassen ist, - diese erfordert wohl ein ganz anderes sichereres Bewußtsein des Staates über seinen gesellschaftlichen Zustand, als es bei unseren jetzigen Verhältnissen möglich ist.

Nur aus einem unrichtigen Begriff der Strafe als Widervergeltung kann gefolgert werden, daß die Strafe gerade in demselben Maß den Verbrecher zu negieren hat, in welchem er selbst die freie Person negiert hat und daß also die Todesstrafe die ansich oder begrifflich notwendige rechtliche Form der Bestrafung des Mordes ist. Der Staat hat gar kein Recht zur Widervergeltung als solcher; denn diese würde sich auf die einzelne Person des Verbrechers an und für sich beziehen. Der Staat hat vielmehr nur die Rechtspflicht und ebendamit auch nur die Rechtsbefugnis, in der Negation des Verbrechers auf öffentliche tatsachliche Weise die Negierung des in seiner Tat aufgestellten allgemeinen Handelns auszusprechen, damit so das eigene öffentliche Handeln des Staates in der Zusammenstimmung mit dem Begriff der  Person  bleibt und nicht jene allgemein widerrechtliche Handlungsweise dadurch sanktioniert, daß es den Verbrecher ungestört fortbestehen läßt. - Das Maß der im Verbrechen geschehenden Verletzung kann also nur als die Grenze gelten, über welche die Strafe ihrer rechtlichen Natur nach nicht hinaus kann; denn der Verbrecher kann jedenfalls nur insofern negiert werden, als sein eigenes Handeln eine Negierung der freien Person ist. Dagegen der auf Widervergeltung beruhendes Grundsatz, daß der Grad der Strafe derselbe sein muß mit dem Grad der verbrecherischen Verletzung würde seiner Konsequenz nach noch über die Todesstrafe hinausführen, da vom bloßen Gesichtspunkt des Verbrechens aus je nach der Beschaffenheit desselben auch noch die einfache Hinrichtung als eine verhältnismäßige Position des Verbrechers, als eine verhältnismäßige Straflosigkeit erscheinen könnte.

Daß aber da, wo dem allgemeinen Bewußtseins und Rechtszustand gemäß die Todesstrafe nicht mehr als rechtlich gefordert erscheint, ihre Unterlassung sowohl sittlich als auch rechtlich gefordert ist, das leuchtet von selbst ein. Denn die Rechtsbefugnis zur Negierung des Verbrechens geht nur soweit, als dieselbe durch den Begriff der Strafe gefordert ist. Daß der Verbrecher immer noch, selbst im Falle der Todesstrafe seiner innerlich sittlichen Bestimmung nach ein Gegenstand der Fürsorge des Staates bleiben muß, das könnte zwar auf den ersten Blick ein innerer Widerspruch gegen die rechtsgesetzliche Negierung des Verbrechers scheinen. Allein in Wahrheit bleibt hierin der Verbrecher doch durchaus negiert. Denn gerade für den Willen des Verbrechers ist ja die innerlich sittliche Bestimmung keine Position (Bejahung) seiner selbst; die Fürsorge in Bezug auf die sittliche Bestimmung des Verbrechers kann also nimmermehr dem Begriff der Strafe entgegen sein. Vielmehr wie durch die Strafe selbst die äußeren Güter für den Verbrecher mehr oder weniger negiert werden, so strebt die sittliche Einwirkung auf die innerliche Negaton des verbrecherischen Willens hin, und schon die Strafe selbst als die für das Bewußtsein des Verbrechers gesetzte Negation seines widerrechtlichen Tuns trägt zu jener Einwirkung bei. - Endlich kann da, wo nicht mehr die unvollkommene Beschaffenheit des ganzen gesellschaftlichen Zustandes die Todesstrafe notwendig macht, die Strafe auch erst vollständig ihre positive Seite hervorkehren, indem sie nicht bloß das widerrechtliche Verhalten des Verbrechens negiert, sondern auch stattdessen seiner wahren positiven Rechtspflicht gegen die Gemeinschaft, nämlich der Pflicht zu allgemein zweckmäßiger Arbeit, zur äußeren gesetzlichen Anerkennung verhilft, in der dem Verbrecher auferlegten Zwangsarbeit, die also keineswegs bloß als äußeres Zuchtmittel und auch nicht als bloßer Ersatz für den ihm zu gewährenden Unterhalt zu betrachten ist.

Aus allem Obigen erhellt sich, daß das Wesen der Strafe notwendig eine Art der Stellvertretung in sich schließt. Denn das im einzelnen Verbrechen vorhandene allgemein widerrechtliche Handeln (der allgemeine Grundsatz dieses Handelns) dieses äußerlich Unergreifbare muß auf mittelbare Weise in der Person des Verbrechers (diesem einzelnen Dasein jenes allgemeinen widerrechtlichen Handelns) negiert werden. Hätte die Strafe nur das widerrechtliche Handeln dieses einzelnen Verbrechers zu negieren, ohne daß sie eine andere allgemeine Bedeutung hätte, dann würde es z. B. zur Negierung eines Mordes genügen, diesem einzelnen Mörder für immer die Möglichkeit eines freien Handelns in Bezug auf andere zu nehmen, ihn in ewiger Gefangenschaft zu halten usw. Dies aber kann deshalb nicht genügen, weil gar nicht bloß das fernere widerrechtliche Handeln dieses einzelnen Verbrechers zu negieren ist, sondern auf öffentliche tatsächliche Weise gezeigt werden muß, daß der Staat überhaupt jenes allgemeine Handeln (den Mord) in der Person des Verbrechers negiert. Dazu aber genügt die bloße Unschädlichmachung des Verbrechers nicht. Die wahre ernsthafte Negierung des Verbrechers ist erst dadurch gefordert, daß die Strafe in einer über diesen einzelnen Verbrecher hinausliegenden Weise die Negierung jenes allgemeinen widerrechtlichen Handelns aussprechen muß. - Es findet also in der Strafe eine innerlich notwendige Stellvertretung in dem Sinne statt, daß  1.  die Person des Verbrechers, sein persönliches Dasein büßen muß für das widerrechtliche Handelund und  2.  daß der einzelne negiert werden muß um des allgemeinen Handelns willen, das in seinem Verbrechen aufgestellt ist. - Allein dem Verbrecher geschieht damit doch durchaus nur sein Recht; denn nicht als dieser freie Wille wird er hierbei negiert, sondern als das, als was er sich selbst gesetzt hat, als jenes Allgemeine einer freien Negierung der Person.

Wir fassen nach all dem den Begriff der  Strafe  kurz zusammen, daß sie die gesetzlich allgemeine Verneinung eines widerrechtlichen Handelns an der Person des Verbrechers ist und sich ebendadurch das allgemein rechtliche Handeln der gesetzlichen Ordnimg aufrechthält und behauptet.

Die ältere Auffassung der Strafe beruth auf dem Begriff einer rechtlichen Widervergeltung, wonach die Strafe nicht einfach in der äußeren gesetzlichen Zusammenstimmung mit dem Begriff der freien Person, d. h. darin begründet ist, daß der Staat, um nicht selbst das verbrecherische Handeln zuzulassen, es als ein gesetzlich gültiges anzuerkennen, die Person des Verbrechers negieren muß, sondern kraft einer, in Wahrheit noch transzendenten Rechtsanschauung die Person des Verbrechers ansich betrachtet, als eine solche gilt, die in demselben Grad wieder negiert werden muß. - Gegen eine solche Anschauung, welche die Person des Verbrechers absolut und für sich selbst negiert, statt daß sie in der Negierung der Person des Verbrechers bloß das von ihm aufgestellte allgemeine Handeln, diese von ihm aufgestellte Beziehung zur Gemeinschaft zu negieren hätte, hat sich ganz richtig das erwachende natürliche im Begriff der freien Person gegründete Rechtsbewußtsein der neueren Zeit erhoben, indem sie eine solche rechtliche Macht des Staates über die für sich selbst betrachtete Person des Verbrechers bestritt, obwohl es ein Irrtum war, wenn es das Recht zur Todesstrafe überhaupt in Abrede stellen wollte.

Was die übrigen Theorien über das Wesen der Strafe als einer Abschreckung, einer beabsichtigten Besserung des Verbrechers usw. betrifft, so fehlen sie zwar nicht darin, daß sie etwas ansich Unrichtiges hereinziehen. Denn die Strafe, indem sie für das öffentliche Bewußtsein die Nichtzulassung des betreffenden Handelns von Seiten des Staates kund gibt, hat allerdings ebendamit eine abschreckende Bedeutung, während die Unterlassung der Strafe eine Bestätigung jenes Handelns wäre. Und ebenso schließt die Strafe zugleich den Rechtszweck in sich, daß auf diesem Weg die Besserung des Verbrechers bewirkt werden soll. - Allein der Fehler jener Theorien ist, daß sie den Begriff der Strafe nicht erschöpfen und gerade den ersten allgemeinen Rechtsgrund derselben nicht zum Bewußtsein bringen, daß nämlich die Strafe rechtlich gefordert ist, um nicht auf eine öffentliche Weise für das allgemeine Bewußtsein das verbrecherische Handeln zuzulassen, sondern die Rechtlichkeit des öffentlichen Handelns, seine Übereinstimmung mit dem Begriff der freien Person aufrechtzuerhalten.

Übrigens erhellt sich aus dem Bisherigen, daß auch die Strafe nur da ihre rechtliche Gestalt und Bedeutung haben kann, wo zugleich durch das Wesen des ganzen übrigen Rechtszustandes dem bestimmten vollständigen Begriff des natürlichen Rechts aller möglichst Genüge geschieht. Wo dagegen zufolge der mangelhaften Sicherung des Rechts aller einer Menge von Staatsbürgern die äußeren Bedingungen zu einer des Menschen wahrhaft würdigen Existenz fehlen, so so viele schon hinsichtlich der Sorge für das notdürftigste tägliche Brot in einer fortwährenden Unsicherheit sind, wie soll da die Strafe, d. h. der Rechtsverlust, in welchem sie besteht, ihre wahre Gestalt und Bedeutung haben können? Mag doch bei einem solchen Zustand, um in volkstümlicher Weise zu reden, der einzelne, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, "schon gestraft genug sein" und auf diese Weise für ein entsittlichtes Bewußtsein sogar die Strafe selbst, wo sie nicht bis zum Äußersten geht, in gerader Umkehrung ihres Begriffs als eine für den Notfall aushelfende öffentliche Versorgungsanstalt erscheinen!


§ 7. Allgemeines Wesen des
gesetzlichen Rechtsganges

Wie gegen geschehene Rechtsverletzungen, so hat die gesetzliche Ordnung auch gegen andere Störungen das Recht zu wahren, sie hat also auch in Fällen der Rechtsstreitigkeit, wo das Recht selbst als ein zweifelhaftes erscheint, das wirkliche Recht festzustellen und zur Ausführung zu bringen. Für beide Zwecke, den des Rechtsverfahrens wie den der Rechtsprechung in Streitigkeiten bedarf die gesetzliche Ordnung eigentümlicher und fester gesetzlicher Formen, eines regelmäßigen gesetzlichen Rechtsganges.

Daß jene Handhabung des Rechts durch eigene gesetzliche Organe geschehen muß, dies ergibt sich schon aus dem, was oben über den Begriff der gesetzlichen Ordnung gesagt wurde. Aus demselben Grund aber, aus welchem für den gesetzlichen Rechtsgang gesetzliche Organe nötig sind, nämlich zur Abwehr aller subjektiven Willkür und Zufälligkeit, muß auch das Wesen des Rechtsganges durch allgemein gesetzliche Bestimmungen geordnet werden und dadurch persönlicher Zufälligkeit und Willkür von Seiten des Richters entnommen sein. Diese gesetzlichen Bestimmungen, innerhalb deren sich der Rechtsgang bewegt, sind also ihrer Natur nach gleichfalls darauf gerichtet, die vollständigen äußeren Bedingungen herzustellen, durch welche im Gegensatz gegen subjektive Zufälligkeit und Willkür und die mit derselben verbundene Unsicherheit die Ermittlung des betreffenden Tatbestandes und die Vollziehung des auf denselben bezüglichen Rechts gesichert wird. Durch diese gesetzlichen Bestimmungen erhält die Bedeutung der Rechtspflege zugleich ihren Einfluß auf das sonstige rechtliche Leben, indem sich das Recht, um sich als solches vor der gesetzlichen Ordnung vor Gericht geltend machen zu können, nach jenen Bestimmungen richten muß.

Durch den Zweck jener Bestimmungen ist vom Rechtsgang alles ausgeschlossen, was bloß auf subjektives persönliches Zutrauen des Richters gebaut wäre. Der Tatbestand und das Recht, um sich vor Gericht geltend zu machen, bedürfen des Beweises in seinen verschiedenen möglichen Formen. Demnach bedarf z. B. der einzelne Vertrag, wenn er sich nicht mit dem gegenseitigen sittlichen Zutrauen begnügt, sondern eine äußerlich rechtliche Sicherhung haben soll, notwendig entweder der Form einer Urkunde oder der Zeugen usw. Denn der Beweis erst ist diejenige äußere Bedingung, durch welche die Wahrheit gesichert und der Unsicherheit und Willkürlichkeit des bloß subjektiven Gebietes entnommen ist. Ebenso werden die Aussagen der Parteien, um alle zufälligen oder absichtlichen Änderungen von ihrer oder des Richters Seite fernzuhalten, schriftlich fixiert, oder es wird die einzelne Aussage, um in ihr eine möglichste Sicherhung der Wahrheit zu haben, zur ausdrücklichsten und feierlichsten Form der Versicherung zum Eid erhoben; es wird gegen den Beweis der einen Partei ebenso die andere zum Beweis zugelassen usw. Die Maße der Strafe sind, um aller Zufälligkeit der Ansicht wie aller Willkür entnommen zu sein, nach Art und Grad des Vergehens gesetzlich festgestellt usw. - Mit dem allem ergibt sich für die gesetzliche Handhabung des Rechts ein Gebiet von Bestimmungen, von Formen und Umständlichkeiten, die zwar in der inneren Natur des Rechts begründet sind, aber doch nicht mehr dem reinen Begriff des Rechts angehören, sondern dasselbe schon nach seiner empirischen Durchführung und Sicherung darstellen: das Gebiet der praktischen Rechtskunde.

LITERATUR Karl Christian Planck, Die Grundbegriffe des Rechts, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Beigabeheft Bd. 89, Halle/Saale 1886